Einmal ist keinmal von PlanTeaWolf (Doch zweimal... [Ivan/Gil]) ================================================================================ Kapitel 5: Einsamkeit --------------------- Nichts war zu hören. Kein hastiges Poltern hinter Ecken oder aus der oberen Etage. Kein verschrecktes Tuscheln. Absolut gar nichts. Lediglich die alten Heizkörper polterten leise, weil sich zu viel Luft in ihnen befand. Ob es nur an dieser in den Heizkörpern befindlichen Luft lag, dass es selbst hier drinnen kalt war, weil die Heizungen so nicht richtig aufheizen konnten, konnte Gilbert nicht sagen. Auch wenn alles so aussah wie früher, auch wenn der Preuße sich vermutlich blind in diesem Haus orientieren konnte, so wirkte es doch fremd. Der Staub, der hier und da auf den Möbeln zu finden war. Die stellenweise ausgeblichenen Tapeten, Teppiche und Bilder. Diese einem auf die Ohren drückende Stille. All das wirkte befremdlich. Unwirklich. „Überrascht?“, kommentierte Ivan unbeeindruckt, während er sich die dicken Winterstiefel auszog und sich aus seinem Mantel schälte. Lediglich den rosafarbenen Schal, den er seit Dekaden sein Eigen nannte, behielt er um den Hals geschlungen. Gilbert war sich nicht ganz sicher, wie die Frage gemeint war. Weil es hier aussah, wie damals vor nunmehr rund zwanzig Jahren, als er gegangen war? Weil es so still hier war? So verlassen? Doch Ivan schien zu sehen, weswegen sein weißhaariger Gast stutzte. „Wie war es damit, dass ich noch alles habe?“ „Also… haben sie dir wirklich allesamt den Rücken gekehrt?“ „Da.“ „Selbst Natalia?“ „Da.“ „Aber die hat doch sonst auch immer an dir geklebt wie ‘ne Klette und auf Stalker gemacht?“ „Siehst du sie hier denn irgendwo? Sie ist schon vor Jahren wieder in Weißrussland. Wo sie hingehört.“ Wieder stutzte Gilbert. Das die drei Balten – Eduard, Toris und Raivis – gegangen waren wunderte ihn nicht. Sie hatten schon immer fürchterliche Angst vor Ivan und nur darauf gewartet, in ihre jeweilige Heimat zurückzukehren. Auch das Yekaterina, Ivans große Schwester, nicht mehr hier war, überraschte den Preußen wenig. Er wusste um ihre Probleme bezüglich des Gases, welches Yekatarinas Land von Ivan bezog, aber nicht zahlen konnte, bescheid. Eigentlich wusste er auch, dass Weißrussland wieder ein eigenständiges Land war, doch er hatte erwartet, dass das Natalia nicht davon abhalten würde bei ihren großen Bruder zu bleiben. Feliciano war schließlich auch mehr als nur oft bei Ludwig und ihm in Deutschland gewesen, obwohl er sich um sein Land zu kümmern hatte. Aber vielleicht hatte Lovino ihm das auch nur abgenommen. „Du hättest netter sein sollen. Das hab ich dir doch immer gesagt.“, antwortete er jedoch knapp. „Ich war nett.“ „In deinen Augen vielleicht. Aber was glaubst du, warum sich so gut wie die ganze Welt einscheißt, wenn du in der Nähe bist?“ Das ging unter die Gürtelline. Aber dessen war Gilbert sich durchaus bewusst; es war beabsichtigt gewesen. Er konnte einfach nicht… nett und… verständnisvoll sein. Es ging nicht. Es würde sich falsch anfühlen, da war der Preuße sich sicher. Ivan schien von dem schnippischen Kommentar der einstigen Nation jedoch nur bedingt gestört. Er wusste selber, wie die anderen Länder sich benahmen, wenn er da war und wie, wenn nicht. Schon oft hatte er einige Minuten vor den Türen der Konferenzsäle oder hinter Ecken und Nischen ausgeharrt und die anderen heimlich beobachtet und belauscht. Er wusste genau, wie ausgelassen sie ohne und wie angespannt sie mit ihm waren. Es kümmerte ihn nicht. Es war ihm egal. Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden ging der Russe in sein Wohnzimmer. Gefolgt von Gilbert. Natürlich. Was hätte er auch sonst machen sollen? So war er doch noch nie der Typ gewesen, der ratlos und eingeschüchtert irgendwo rumstand und abwartete, bis man ihm Anweisungen gab. Selbst dann, wenn es schlauer wäre einfach abzuwarten hatte der Preuße einfach gehandelt. Und dafür mehr als nur oft die Konsequenzen tragen müssen. Ohne daraus zu lernen, denn nur wenige Tage später hatte er sich wieder in ähnliche Situationen gebracht. Ja, Gilbert war schon immer eine Sache für sich gewesen. Trotz der Zeitspanne, die er und Ivan sich kannten hatte er es doch immer und immer wieder geschafft den größeren aufs Neue zu überraschen. Und doch war Ivan der Meinung, ihn besser zu kennen als viele andere; vielleicht sogar besser als Ludwig seinen eigenen großen Bruder kannte. Abstrus. Aber das war es wohl, was Gilbert war: Ein Paradoxon. Aufgrund dieser Gedanken und Erinnerungen anders lächelnd als sonst tätschelte Ivan mit der rechten Hand neben sich auf die Chaiselongue, auf die er sich soeben niedergelassen hatte. Gilbert, dem diese Geste gegolten hatte, dachte jedoch nicht im Traum daran der Aufforderung nachzukommen. Was war er denn? Ein dressiertes Schoßhündchen, das Kunststücke aufführte, wenn Herrchen es wollte? Oh nein, sicherlich nicht. Erst recht nicht, wenn der Russe sich selbst noch als Herrchen ansah. Den Zahn würde er ihm schon noch ziehen. Statt auf die ausladende Couch setzte Gilbert sich somit also in den, zur Sitzecke gehörenden, Sessel; die Beine fast schon provokant übereinander geschlagen. Beinahe so, als wollte er sagen „Ey, ich steh nicht mehr unter dir. Du kannst mir nicht mehr sagen, was ich zu tun und zu lassen habe. Ich steh auf einer Stufe mit dir. Wenn nicht höher, denn im Gegensatz zu d i r habe i c h Freunde.“ Der selbstgefällige Ausdruck auf dem fast weißen Gesicht des Preußen untermalte diese unausgesprochene Aussage zusätzlich. Ivan würde ihn nicht mehr herum schupsen können wie es ihm gefiel. Doch auch das schien den sandblonden Russen wenig zu scheren. „Sag mir jetzt, was dich hierher verschlagen hat. Noch dazu alleine.“ „Zuerst einmal bin ich nicht alleine“, begann Gilbert und deutete auf den noch immer auf seiner Schulter sitzenden Gilbird: „Und hier bin ich nur, weil ich dich ja nach Hause fahren musste.“ „Stell dich nicht dümmer als du bist, Gilbert. Ich will wissen, warum du allgemein in Russland bist.“, kommentierte Ivan, ohne auf die Aussage bezüglich Gilbird einzugehen. „Urlaub.“, war daraufhin die knappe Antwort des Weißhaarigen. Das stimmte ja auch. Zumindest ansatzweise. Urlaub machte man schließlich zum entspannen und genau aus diesem Grund hatte er sich doch heimlich davongestohlen. „Ohne deinen geliebten kleinen Bruder?“ „Er… hat halt mit seinem ganzen Papierkram zu tun.“ „Aha? Und weswegen hast du dich nicht angekündigt?“ „Weswegen hätte ich das machen sollen?“ „Weil es sich so als Nation – oder zumindest als Teil einer solchen – gehört?“ Nun vollbrachte Gilbert es doch, verächtlich zu schnauben. Anders als vor einigen Stunden im Auto. In Punkto Nation war er noch immer empfindlich. Auch wenn er es nicht offen zugab, so hatte er es noch nicht ganz verkraftet, dass sein geliebtes Preußen als solches nicht mehr existent war. Die Landstriche des einstigen Landes gab es zwar noch, doch standen sie nun alle unter verschiedenen Herrschaften. Waren anderen Zuteil geworden, nachdem Preußen offiziell aufgelöst wurde. Aber das tröstete Gilbert nun wirklich nicht, auch wenn ein wenig Preußen in deutscher Hand – und somit doch ein wenig unter seinem Einfluss – weiterlebte. „Schmollst du jetzt etwa, weil du nur noch Fragment und kein Ganzes mehr bist?“ Da. Da war es wieder. Dieses Lächeln. Diese Stimmfarbe. Kindlich. Unschuldig. Und doch so brutal und grausam, wie nur Ivan sein konnte. Dieser Schlag ins Gesicht; nur wegen einer bestimmten Mimik und einer bestimmten Betonung. Wie Gilbert ihn dafür doch hasste. Wie er ihn dafür in Stücke reißen könnte. Könnte… Die Wut wie Galle hinunterwürgend zwang Gilbert sich jedoch zur Ruhe. „Kann dir egal sein. Morgen bin ich wieder weg.“, grollte er; die Versuchung, Ivan an die Gurgel zu springen weiterhin unterdrückend. „Aber ich dachte, du wolltest Urlaub machen?“ „Sicherlich nicht bei dir und auch allgemein nicht in Russland!“ „Kaliningrad gehört auch zu Russland.“ Wie er doch hätte kotzen können. Es hatte Königsberg zu heißen, verdammt! Königsberg, Königsberg, Königsberg! Seinetwegen konnte sich die Region ja gerne ‚Oblast Kaliningrad‘ schimpfen, aber diese Stadt hatte gefälligst weiterhin den Namen Königsberg zu tragen! „Gewöhn‘ dich endlich dran. Königsberg gibt es nicht mehr. Wird es nicht wieder geben. Nie mehr. Es ist – wie Preußen – gestorben. Ein für alle Mal.“, kommentierte Ivan den verbissenen Gesichtsausdrück des ihm gegenüber sitzenden Albinos. Lächelnd aber dennoch mit ernster Stimme. „Preußen ist nicht tot. Oder warum bin ich noch da? Wenn Preußen nicht mehr existent ist, dann dürfte ich es doch auch nicht mehr sein?“ Da hatte Gilbert recht. Zumindest in gewisser Weise. Wie konnte er denn noch am Leben sein, wenn es das Land, das er repräsentierte, nicht mehr existierte? Und wenn er schon nicht mit seinem Land untergegangen war, warum war er dann noch immer wie die anderen Nationen? Warum war er nicht ‚menschlich‘ geworden? Nicht gealtert? „Vielleicht lebst du noch, weil wir dich zur Deutsch Demokratischen Republik gemacht haben, Gilbert?“ „Welche es aber auch nicht mehr gibt. Spätestens seit der Wiedervereinigung hätte ich doch eigentlich tot sein müssen, oder etwa nicht? Sag, Ivan: Welche Länderpersonifikation außer mir lebt noch, obwohl das dazugehörige Land nicht mehr existiert, hm? Keine, oder? Es gibt kein Rom mehr. Kein Heiliges Römisches Reich deutscher Nationen. Sie alle sind mit ihren Ländern untergegangen.“ Auch das waren wahre Worte. Worte, die es sogar schafften Ivans scheinbar eingemeißeltes Lächeln von seinen Lippen zu wischen. Aber… „Aber was ist mit den beiden Italienern? Soweit ich weiß ist Italien e i n Land, aber beide Leben. Norden und Süden. Meinst du nicht, es könnte mit Deutschland genauso sein?“ Nun war es Gilbert, der lächelte. Daran hatte er, obwohl er doch regelmäßig mit zumindest einem der beiden Italienern zu tun hatte, nicht gedacht. Auch wenn ihm sein Dasein als Teil eines Landes nicht behagte, so begründete es doch seine Existenz und erlaubte ihm weiterhin am Leben zu sein. Rechtfertigte, warum er nicht gestorben war. Auch Ivans Lächeln war zurückgekehrt. Nicht zuletzt, weil es das erste Mal war, seit Gilbert zurückgekommen war, dass er lächelte. Ernsthaft lächelte. Glücklich, nicht überheblich oder provokant. Doch als der Weißhaarige selbst seine Mimik registrierte verschwand das Lächeln wieder. Bloß keinen falschen Eindruck entstehen lassen. „Und wo gedenkst du mich schlafen zu lassen?“ „In deinem alten Zimmer?“ „Natürlich. Immer wieder gerne.“ „Gästezimmer? Oder in dem, das die drei Balten bewohnt haben? Das Bett reicht deinem Ego bestimmt.“ „Als würde es nur darum gehen… Weißt du, ich finde die Temperatur hier im Wohnzimmer schon unangenehm genug. Willst du als so ein schlechter Gastgeber dastehen, Ivan? Denn genau das scheinst du mir zu sein.“ Dem Angesprochenen war dieser verbale Angriff schlichtweg egal. Es lud sich ohnehin niemand zu ihm ein. Zumindest nicht zu ihm nach Hause. Wenn doch mal eine der anderen Nationen in Russland zu tun hatte, dann bevorzugten sie doch möglichst zentral gelegene Hotels. Zum einen eben, weil sie sich vor Ivan fürchteten, zum anderen, weil sein Anwesen ziemlich abseits lag und man außer Schnee und Eis selten etwas sah. Da waren die Moskauer Straßen doch wesentlich interessanter. „Meinetwegen schlaf in meinem Bett.“ „Und du auf der Couch?“ „Wieso sollte ich?“ „Weil ich meinen Platz brauche.“ „Damals hat es dich auch nicht gestört, mit mir zusammen in einem Bett zu schlafen. Ich bin der Meinung, dass es dir sogar ziemlich gefallen hat.“ „‘Damals‘ ist einundzwanzig Jahre her. Selbst für uns ist das nicht gerade wenig Zeit.“ „Aber du hast es genossen.“ „Ja. ‚Damals‘ , Ivan, ‚damals‘.“ Es darauf beruhen lassend erhob Gilbert sich und verließ das Wohnzimmer. Holte den Koffer mit seiner Kleidung und den Hygieneprodukten aus seinem Z4. Schleppte ihn hoch in die obere Etage, wo Ivans Schlafzimmer lag. Stellte ihn dort ans Fußende des ausladenden Himmelbettes. Altes Teil. Aber verdammt bequem. Und mit den vielen Kissen und Decken würde sich ein wunderbarer Schutzwall aufbauen lassen, falls Ivan aufdringlich werden sollte. „Was meinst du, Gilbird?“, wandte er sich an das auf seiner Schulter sitzende Küken: „Eine Nacht sollte doch zu überstehen sein, oder? Eine einzige, läppische Nacht?“ Der kleine Reichsadler legte zur Antwort lediglich den Kopf schief. Piepste leise. „Das ist keine Antwort, Gilbird…“ „Reden wir wieder mit kleinen Vögelchen?“ Besagtes flatterte verschreckt auf, als Ivan näher kam und erst dicht hinter dem Preußen stehen blieb. Kauerte sich auf einem der Bettpfosten zusammen und beobachtete die zwei Männer aufmerksam. Skeptisch. „Gilbird ist nicht einfach ein ‚Vögelchen‘ sondern mein kleiner Reichsadler.“ „Im Ernst: Das glaubst du doch selber nicht, oder? Schau dir den Federball doch mal an. Er hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem Adler. Das einzige, was er mal wird, ist ein Chicken Nugget.“ „Ich geb dir gleich Chicken Nugget! Du wirst schon noch sehen, wie sehr Gilbird Adler ist, wenn er erst mal ausgewachsen ist!“ „Und wann soll das sein? Die kleine Flauschkugel sieht noch genauso aus wie damals.“ „Pah! Leck mich doch!“ Gesagt, getan. Kaum, dass Gilbert seinen Mund wieder geschlossen hatte spürte er auch schon Ivans Zunge knapp unter seinem Ohr. Ein Schaudern nicht unterdrücken könnend schalt er sich mental selbst, wie er nur vergessen konnte, wie wörtlich Ivan solche Aufforderungen nahm. „Vorsicht mit deinen Wünschen, Gilbert. Sie könnten wahr werden.“, raunte besagter Russe leise in das minimal gerötete Ohr seines vorübergehenden Gastes. Dieser sah sich zu keiner Antwort bereit. Stand lediglich stillschweigend da. Malträtierte seine Unterlippe zwischen den Schneidezähnen. Erst als er langsam den Kopf wandte um Ivan ansehen zu können, öffnete Gilbert seinen Lippen etwas, wobei seine Mundwinkel leicht zuckten und sich zu einem schiefen Grinsen verzogen. „Du kannst mich mal, Ivan. Kreuzweise.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)