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Your mind, your eyes, the sea.

time to go... to war?
von

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I'm just a stranger in a strange land, running out of time.

Hallo ihr Lieben (;

Nur eine kleine Anmerkung vorweg: Das Hauptpairing wird nicht Shounen-Ai sein.

Nun gut, have fun. Marshugs *Triad-Kekse hinstell*
 


 

Your mind, your eyes, the sea.

(1.) I'm just a stranger in a strange land, running out of time.
 


 

Wenn das Meer tobt und stürmt, die Farbe des schwarzen Himmels annimmt und einem wenigstens einen kleinen Funken Mitleid für die armen Fischer, die immer noch auf See sind, entlockt… dann weiß man – heute ist wirklich kein guter Zeitpunkt für einen Spaziergang am Strand.
 

Wirklich nicht.
 

Abschätzend blickte ich aus dem Fenster, die Szene die sich mir darbot war nicht ganz unnormal für die herrschende Jahreszeit. Aber wirklich normal war sie nun auch wieder nicht. Das Meer wölbte sich, wie ein großes, flüssiges Ungetüm. Bald würde es die Hochwasserschutzmauer erreicht haben, vom Strand war ohnehin nicht mehr viel zu sehen. Auf der Straße war soweit ich das erkennen konnte niemand, nicht einmal ein paar wahnwitzige Touristen, die sonst gerne ihre Chance nutzen die Naturgewalt des Ozeans am eigenen Leibe zu spüren.
 

Nebenbei regnete es wie aus Eimern, ein lauter Vorhang aus Nass und Grau.
 

Da war man doch glatt froh über das Dach überm Kopf. Mit einer Hand auf der warmen Heizung ruhend zog ich die Gardinen zu und hoffte innig, dass Keel nach diesem Sturm nicht noch um einen Strand ärmer war. Mit einem Blick auf die Wanduhr wandte ich mich vom Fenster ab und machte mich in Richtung Küche auf, die schwarzen Haare band ich zu einem Zopf zusammen.
 

„Mutter?“ Meine Stimme schallte durch das kleine Haus, zusammen mit dem Geräusch meiner Hausschuhe auf den Fliesen. In der kleinen, wild zusammengewürfelten Küche angekommen öffnete ich erst einmal den mit Fotos und Ähnlichem beklebten Kühlschrank, der auch schon einmal bessere Zeiten gesehen hatte.
 

„Lina, sag bloß du fängst erst jetzt mit dem Abendessen an! Es ist bereits halb 8“, hörte ich die Stimme meiner Mutter vom Wohnzimmer aus klagen. Meine gemurmelte Entschuldigung bekam sie wahrscheinlich nicht mehr mit, da meine Stimme, sobald ich den Mund geöffnet hatte, vom Fernseher übertönt wurde. Resignierend fischte ich mir ein paar Zutaten aus dem Kühlschrank und stellte sie auf der Küchenzeile ab. Beim Gemüseschneiden schnitt ich mir zweimal fast in den Finger, aber abgesehen davon verliefen die nächsten paar Minuten ohne nennenswerte Zwischenfälle. Erschöpft ließ ich mich auf mein schmales Bett fallen, während der Auflauf im Backofen köchelte. 30 Minuten Freizeit.
 

Das Wetter hatte sich nicht verändert, denn das wilde Prasseln des Regens gegen die Fensterscheibe vertrieb immer noch die hartnäckige Stille im Haus. Den Fernseher konnte man von hier aus nicht hören. Als ich dort so lag, voll angezogen auf meinem Bett, ließ ich meinen Blick im Zimmer umherschweifen. Es war klein, ein wenig eng, die Wände in einem düsteren Blau gehalten. Außer einem Bett gab es noch einen Tisch und einen Kleiderschrank. Der zum Tisch gehörige Stuhl stand kaputt in der Ecke des Raumes, die Zimmerlampe funktionierte schon lange nicht mehr. Es war dunkel, aber friedlich. Ein Ort der Ruhe.
 

Meine Nase vergrub ich im Kopfkissen, atmete den Duft ein. Es roch nach Weichspüler und nach meinem Shampoo. Früher war da immer noch der Geruch meines Bruders gewesen, tief im Stoff, aber der war nun für ein und alle mal ausgewaschen. Ich blinzelte und drückte mein Gesicht weiter in das Kissen. Meinen Bruder Aidan hatte ich seit Jahren nicht mehr gesehen. Seit er weit weg nach Dublin gegangen war um dort zu heiraten. Sein Zimmer gehörte nun mir.
 

Anfänglich war ich dagegen gewesen sein Zimmer zu beziehen, allein aus der naiven Hoffnung heraus, dass er uns einmal einen Besuch abstatten würde. Dann hätte er bestimmt sein altes Zimmer zurück gewollt.
 

Aber das würde so nicht passieren – er hasste Keel und The Sandybanks. Er hasste die Leute und die Touristen, die Jahr ein Jahr aus den örtlichen Campingplatz aufsuchten. Auch Mutter hatte keinen Platz mehr in seinem Herzen, nachdem sie ihm verboten hatte wegzuziehen um zu studieren. Seine kleine Schwester war nicht mehr genug gewesen, um ihn hier zu halten.
 

Doch ich konnte ihn verstehen, im Gegensatz zu vielen Alteingesessenen in Keel. Ich hatte ihn schon immer verstanden. Idylle allein war eben nicht alles im Leben.
 

„Lina! Wäre dein Kopf nicht angewachsen würdest du ihn mit Sicherheit verlieren.“
 

Meine Mutter ließ mich aus meinen Gedanken aufschrecken. Ich hob den Kopf vom Kissen.
 

Manchmal schien es so als hätte sie ein Radar für solche Gedankengänge. Mit großen Augen sah ich sie an, wohl wissend, dass sie heute nicht gerade fröhlich gestimmt war. Oder die letzte Woche. Das letzte Jahr. Seit Aidan…
 

„Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du die Küchenuhr stellen sollst, wenn du was im Ofen hast?“
 

… So lange lag ich hier doch noch gar nicht.
 

„Ma, du weißt, dass ich das immer lieber vom Gefühl her mache“, setzte ich an, doch ihr Blick wurde spottend. „Dein Gefühl hat dich wohl offensichtlich verlassen, junge Dame. Wirf mal einen Blick auf die Uhr.“ Schnell sah ich ‘rüber zu meinem Wecker, der auf dem Fensterbrett stand.
 

„Fast halb 9.“ … Fuck. Schnell wie der Blitz war ich auf den Beinen und eilte zum Ofen, das wütende Gemurmel meiner Mutter nur ein vernachlässigbares Hintergrundgeräusch. Der Auflauf war letztendlich nur ein wenig angebrannt und immer noch essbar.
 

Beim gemeinsamen Abendessen herrschte Schweigen, nur das Klirren von Besteck und der, anscheinend niemals enden wollende, Regen waren zu hören. Heimlich beobachtete ich meine Mutter beim Essen, ihr dunkelbraunes, von grau durchzogenes Haar fiel ihr immer wieder ins Gesicht, obwohl sie es nach hinten gebunden hatte. Sehr ähnlich sahen wir uns ja nicht, vielleicht abgesehen von der kleinen Nase, die irgendwie gar nicht in ihr Gesicht passte. Ich war eher das weibliche Abbild meines, seit langer Zeit verstorbenen Vaters – zierlich, ein wenig klein, mit Wellen in den schwarzen Haaren. Das Haar meiner Mutter war dick, meines eher nicht.
 

Nach einer Weile erwiderte sie meinen Blick, den sie sicherlich schon seit einer Weile auf sich gespürt hatte. Aber nicht lange, das Essen verlangte mehr Aufmerksamkeit. „Wir sind morgen bei den O'Brians eingeladen“, sagte sie zwischen zwei Bissen.
 

Ich hatte Glück, dass ich gerade erst heruntergeschluckt hatte, denn sonst hätte ich das Zeug bestimmt wieder auf den Teller gespuckt. Die O'Brians. Na wunderbar.
 

„Du sagst ja gar nichts.“ Erschrocken hob ich den Blick vom Teller, bemüht ein Lächeln auf meine Lippen zu zwingen. „Tut mir leid, Mutter, ich hatte nur nicht damit gerechnet.“ Ihr Nicken bestätigte mir, dass ich mir keine Sorgen um einen möglichen Wutausbruch machen musste. „Wann denn morgen?“, fragte ich nach.
 

Meine Finger krallten sich in meine alte Jeans. „Sei um 19 Uhr da.“ Das Lächeln auf meinem Gesicht fing an sich nach unten zu ziehen. „Werde ich, Ma.“
 

Zurück in meinem Zimmer, in meine Bettdecke eingemummelt, seufzte ich auf. Meine Mutter und Mrs. O'Brian hatten es sich in den Kopf gesetzt mich und Neil O'Brian zusammenzubringen. Und, so wie ich meine altmodische Mutter kannte, würde sie nicht aufhören uns zu umschwärmen, bis sie den genauen Hochzeitstag wusste.
 

Ein Hochzeitstag, der hoffentlich nie stattfinden würde.
 

Meine Augen starrten in die Dunkelheit. Neil war ein netter Kerl, jedoch ähnelte er seinen Eltern zu sehr – ich konnte das Ehepaar auf die Pest nicht ausstehen – und sein ganzes „Ich bin der Mann im Hause“ Gehabe war mir schon auf der Grundschule auf die Nerven gegangen. Abgesehen davon – eine Hochzeit mit ihm würde mich auf ewig an diesen Ort binden. Und das wollte ich nicht. Ich wollte nicht zwei Straßen weg von meiner Mutter und meinen Schwiegereltern wohnen. Ich wollte nicht den lieben langen Tag Blumen gießen und meinen Mann bekochen.
 

Ich wollte leben.
 

Und da gab es noch ein Problem. Neil selber hatte anscheinend nichts gegen mich und ihn einzuwenden, was die Vereitelung des ‚Hochzeitsplanes‘ unserer Eltern nicht gerade einfacher gestaltete. Für sie war es quasi nur noch eine Frage der Zeit bis ich nachgab und, ich zitiere, „aufhöre mich zu wehren und meine wahren Gefühle für ihn zu verstecken“. Ich hatte schon die ein‘ oder andere Rede über mich ergehen lassen müssen, Widerspruch war nicht geduldet.
 

Aufgeben kam trotzdem nicht in Frage. Immerhin war das ja mein Leben, oder?

Crash, crash, burn. Let it all burn.

Okay zwei Updates an einem Tag... ich konnte nicht warten xD
 

*noch eine größere Schüssel Triad-Kekse in den Raum stell*
 


 

Your mind, your eyes, the sea.

(2.) Crash, crash, burn. Let it all burn.
 


 

Der nächste Tag fing schon einmal besser an. Der Regen hatte bis in die frühen Morgenstunden angedauert, doch jetzt kam sogar einmal die Sonne zum Vorschein. Gähnend streckte ich mich in meinem Bett, ich war immer noch müde, da ich dank des ständigen Prasselns gegen das Glas der Fensterscheibe erst spät eingeschlafen war.
 

Mit einem Blick auf meinen Wecker – es war bereits 10, also kein Weiterschlafen für mich – hob ich mein Gewicht von der Matratze und schlüpfte in meine abgetragenen Hausschuhe. Schlaftrunken schlurfte ich zum Badezimmer, vorbei am Zimmer meiner Mutter und der Abstellkammer, und wusch mir erst einmal das Gesicht mit eiskaltem Leitungswasser. So wurde selbst der muffeligste Morgenmuffel wach. Nach dem Duschen und der Morgentoilette war ich schließlich putzmunter.
 

Auf Zehenspitzen versuchte ich, Arme ausgestreckt, das oberste Fach des Badezimmerschranks zu erreichen, was mir jedoch mehr schlecht als recht gelingen wollte.
 

„So ein Mist, immer wieder Dasselbe“, grummelte ich und verfluchte meine Mutter dafür, dass sie den Nagellack jeden Abend vor dem Schlafengehen wieder nach ganz oben stellte. Das hatte sie schon gemacht als ich noch ein kleines Mädchen war, wohl um zu verhindern, dass ich mir das ganze Zeug über die Hände – und womöglich noch die gesamte Inneneinrichtung des Badezimmers – kippte. Ich war zwar jetzt über 20 und somit sehr wohl fähig angemessen mit derartigem Kosmetikkram umzugehen, jedoch war ich immer noch nicht groß genug um dort oben ranzukommen. Würde ich wohl auch nie sein, da ich bezweifelte, dass ich in dem Alter noch viel wachsen würde.
 

Dass Ma es aber auch wirklich nicht lassen konnte. In ihrem Kopf war ich wohl noch so lange ein Kind, bis ich einen Ring am Finger hatte.
 

Leicht angenervt schnappte ich mir den Stuhl, der aus mir unerfindlichen Gründen schon seit Jahren im Bad stand – vielleicht weil manche Dinge im Sitzen einfach einfacher waren? – und platzierte ihn dort, wo ich vorher gestanden hatte. Mit wackligen Beinen stieg ich auf die Sitzfläche und hielt mich sogleich am Schrank fest, um nicht noch das Gleichgewicht zu verlieren. Viel davon hatte ich sowieso nie gehabt. Siegessicher schlappte ich mir die kleine schwarze Flasche aus dem obersten Kabinett und stieg sogleich wieder vom Stuhl, um nicht noch das Schicksal herauszufordern.
 

Vielleicht hatte meine Mutter auch einfach etwas gegen den Nagellack, weil er schwarz war.
 

Ich schüttelte den Kopf und schloss die Türen des Wandschranks – akute Stoß-Gefahr – mit einem Ruck, bevor ich mich wieder auf den weißen Stuhl setzte und anfing, mir die Nägel zu lackieren. Ich mochte Schwarz, vielleicht gerade weil die ältere Generation in unserem Dorf – sprich: meine Mutter und Mrs. Ó Brian – es nicht mochten.
 

Oh, Mann. Das Abendessen heute. Meine ohnehin schon nicht ganz so gute Morgenlaune fiel auf ein Minimum. Ich hatte absolut keinen Nerv darauf mich schon wieder mit diesen Leuten herumschlagen zu müssen, schon gar nicht mit Neils Flirtversuchen. Meine Mutter wollte es so, das wusste ich, und irgendwie hatte ich auch das kranke Bedürfnis ihre Erwartungen zu erfüllen, besonders nachdem sie jetzt nur noch Kontakt zu einem ihrer Kinder hatte. Ich versuchte ja ohnehin schon so „brav“ wie möglich in ihrer Gegenwart zu sein, aber… was zu weit ging, ging zu weit.
 

Sie ist deine Mutter.
 

„Scheiße, das weiß ich doch“, flüsterte ich in die feuchte Luft. Das ich mit mir selbst redete war mir im Grunde mehr als egal. Sie war meine Mutter und ich liebte sie, der miesen Laune und alldem zu trotz. Sie war meine Mutter und sie würde mir niemals verzeihen, wenn ich keinen Mann in Neil finden würde.
 

Aber was war sie dann für eine Mutter? Konnte sie das ihrem Kind antun, einfach so?
 

Sie war nicht perfekt, sie war nicht optimal, und sie war schon lange keine gute Mutter mehr. Sie hatte es geschafft mich an diesem Ort zu halten, mit ihren anschuldigenden Blicken und damit, dass sie es für selbstverständlich hielt, dass ich bei ihr blieb und ihr Gesellschaft leistete. Das Verlangen aus ihrem Käfig auszubrechen wurde von Sekunde zu Sekunde größer, ich rutschte mit der Hand aus und schmierte mir die pechschwarze Flüssigkeit quer über den Zeigefinger.
 

So ein Mist auch. Missmutig stellte ich das Fläschchen auf die Ablage vor dem Badezimmerspiegel. Jetzt noch einmal im Schrank nach dem Nagellackentferner zu kramen kam mir gar nicht in den Sinn.
 

Zurück in meinem Zimmer holte ich mein schwarzweiß gepunktetes Sommerkleid aus dem Kleiderschrank, in dem ich vor ein paar Monaten eine kleine Lampe eingebaut hatte, um auch an düsteren Tagen meine Sachen sehen zu können. Bisher hatte ich mich allerdings noch nicht dazu durchringen können die Zimmerlampe auszutauschen. Obwohl es bereits Herbst war schlüpfte ich in das knielange, nicht zu aufreizend wirkende Kleid, da ich mit einem Blick aus dem Fenster festgestellt hatte, dass es heute noch vergleichsweise warm zu werden schien. Und ich musste zugeben, dass ich ein Faible für gemütliche Kleider hatte.
 

Meine Haare ließ ich offen, generell band ich sie nur zusammen, wenn ich vorhatte etwas zu kochen. Frühstück stand heute nicht auf dem Tagesplan, da meine Mutter an Sonntagen immer zu ihrer kleinen „Frauenrunde“ bei den Murphys ging. Das kam mir immer ganz gelegen, da ich so ohne lästige Fragen wie „was machst du?“, „besuchst du Neil?“ und „kannst du XYZ sagen, dass…“ das Haus verlassen konnte.
 

Die Haustür fiel hinter mir zu und ich sprang regelrecht die Stufen herunter, als mir die frische Meeresluft entgegenschlug. Sehr windig war es heute nicht, aber Windstille gab es in Keel nie. Schnellen Schrittes ging ich durch die schlecht asphaltierten Straßen, vorbei an kleinen weißen, blaubedachten Häuschen und braungrünen Wiesen. Hier und da hörte ich die Stimmen der Einwohner und wohl auch der Touristen vom Keel & Sandybanks Campingplatz, der sich irgendwo zu meiner Rechten befand. Die Straße führte direkt zum Strand, der um diese Uhrzeit noch fast menschenleer war. Hier gab es keine Liegen, Sonnenschirme oder Leute, die sich nur in Badehose oder Bikini in die Fluten warfen. Das hatte es in Keel nie gegeben. Das Wasser war zu kalt dafür, die Atmosphäre dieses Ortes stimmte ebenfalls nicht. Immerhin war das hier kein Badeort für urlaubsreife Büroangestellte und dergleichen.
 

Bei Keel handelte es sich fast um das irische Klischee; weite grüne Wiesen, wildes Wasser, Hügel am Horizont, weit und breit nur vereinzelte Häuser und der immerwährende Geruch von Salz, Frische und Heu. Nein, ich hasste es nicht, nicht wie Aidan es gehasst hatte. Das würde ich niemals können. Aber mein ganzes Leben, an diesem Ort, mit diesen Menschen?
 

„Guten Morgen, Lina“, grüßte mich eine freundliche Stimme. Ich drehte mich um, lächelte, und winkte Mr. Ó Riley Senior beim Vorbeigehen zu. Seine Familie lebte hier schon seit Generationen, seine Frau war vor ein paar Jahren an Altersschwäche gestorben. Das gesamte Dorf war zu der Beerdigung eingeladen gewesen. Jeder kannte jeden.
 

Nun erstreckte sich der Atlantische Ozean vor mir, weit und graublau gefärbt, wie der Himmel. Meine Füße sanken im Sand ein als ich an das Wasser trat. Am Ufer war der Wind wesentlich stärker, aber immer noch ein Nichts, wenn man es mit gestern Nachmittag verglich. Genüsslich atmete ich die kühle Luft ein während meine Augen über das Wasser hinweg die fernen Klippen fokussierten, die hoch aus dem Meer türmten.
 

Das war alles noch Irland. Gerade aus lag der freie Ozean vor mir, tausende um tausende Quadratkilometer Wasser… und irgendwann, Amerika. Niemand, den ich kannte, war jemals dagewesen; das Weiteste war immer noch Rosa Flurry, die angeblich bis Spanien gereist war. Genau konnte man das nicht wissen, seit Jahren gab die alte Dame nur noch wirres Zeug von sich. Alles was ich kannte waren Keel und die umliegenden Dörfer, nur bis Castlebar war ich gekommen. Ich hoffte ja immer noch, dass Aidan mich irgendwann einmal mit nach Dublin an die andere Küste Irlands nehmen würde.
 

„Frierst du nicht? Mama sagt immer, dass ich immer mindestens eine Jacke über das Kleid ziehen soll.“
 

Ich sah hinunter auf das kleine Mädchen, das auf einmal neben mir stand und auf die Wellen blickte. Ihr braunes Haar war bereits vom scharfen Wind verknotet. Gesehen hatte ich das Mädchen, das ich auf gerademal 8 schätzte, noch nie, also nahm ich an, dass ihre Familie vorrübergehend auf dem Campingplatz Urlaub machte. Ihr Akzent war irisch.
 

„Nein, noch ist mir nicht kalt“, antwortete ich geduldig, denn es fühlte sich irgendwie so an, als wäre ich ihr eine Antwort schuldig. „Aber hier draußen am Meer kann es durchaus schon mal frisch werden, also hat deine Mama da gar nicht so Unrecht.“
 

„Wieso hast du dann keine Jacke dabei?“, fragte sie und richtete zwei große rehbraune Augen auf mich.
 

„Ich wohne nicht zu weit weg, falls es kalt werden sollte kann ich immer noch wieder zurückgehen und mir meine Jacke holen.“ Kurz nachdem diese Worte meinen Mund verlassen hatten hörte ich eine Frauenstimme aus einiger Entfernung rufen. Als ich mich umdrehte sah ich eine junge, ja auch hübsche, Frau, die das Mädchen zu sich winkte.
 

Die Kleine rannte so gut es ging zu ihrer Mutter, vielleicht war es auch die Schwester, und umarmte ihre Taille. Ein kleiner Wink in meine Richtung und ich war wieder am Strand. Nur ich, das Meer, der Sand und die stille Hoffnung auf Veränderung.
 

In Gedanken vertieft vergrub ich die Hände im wehenden Stoff des Kleides. Eine winzige Gänsehaut hatte sich auf meinen Armen gebildet, aber ich war hart im Nehmen. Ich spielte mit der Vorstellung wie es wohl sein musste nur zum Urlaub, zum Entspannen hier her zu kommen. Ein paar ruhige Tage an der Küste, bis es wieder nach Hause in den Alltag ging. In einer Stadt eine Wohnung zu besitzen, über und unter sich 3 Stockwerke… Menschenmassen, Stimmen, Lärm und Verkehr. Die vielen Lichter, eine Großstadt bei Nacht. Lass das, du wirst nur noch sentimental, ermahnte ich mich selbst.
 

Als sich die Windrichtung änderte drehte ich dem Meer den Rücken zu, um meine Haare davon abzuhalten mir wild ins Gesicht zu wehen. Die Wellen brachen hinter mir, leise doch bedrohend, und ich wusste, dass nun der Sommer endgültig vorbei war. Die dunklen Dächer der wenigen Häuser lagen nun vor mir, ich konnte jedem einzelnen ihre Bewohner zuordnen. Von meinem eigenen Haus sah man nur einen Teil der Ziegel hinter einer Hauswand hervorluken. Kopfschüttelnd stapfte ich durch den einsinkenden Sand, wieder auf die Straße zu. Aus einer mir unerklärlichen Laune heraus bog ich nicht in meine Straße ein – was ich vielleicht tun sollte, da meine Haare nun eher einem Vogelnest ähneln dürften – sondern lief die Straße weiter entlang, den Hügel hoch. Ich wollte nicht zurück in das Haus, wollte erst recht nicht meiner Mutter begegnen, und zu diesem Abendessen wollte ich ebenfalls nicht gehen. Ich wollte so weit laufen wie meine Beine mich trugen, raus aus Keel, runter von der Achill Island, raus aus Irland… einfach weg.
 

Als ich auf die „Hauptstraße“ des Dorfes wechselte hatte ich schon die meisten Häuser hinter mir.
 

Das Rauschen des Meeres und gelegentliches Blöken von hier grasenden Schafen lagen mir in den Ohren, als mich meine Füße weiter über die trockene Asphaltstraße trugen. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es bereits war. Irgendwie… zu spät zum Abendessen zu kommen klang nicht einmal so schlecht. Mit etwas Glück würde Neils Mutter mich dann nichtmehr ihres Sohnes würdig einschätzen.
 

Aber war das nicht kindisch, so aus Trotz zu handeln? Wollte ich wirklich so sein?
 

Mit gerunzelter Stirn – und, sozusagen, dem Kopf in den Wolken – verließ ich Keel ohne es überhaupt zu merken. Ich dachte an meinen Bruder, wie es ihm wohl ging, ob er nun glücklich verheiratet war oder ob die Hochzeit mit dem Mädchen, deren Name ich nicht einmal kannte, doch noch abgesagt wurde. Hatte er in Dublin einen Job gefunden, sich in der Stadt eingelebt? War er der Alte, oder… würde ich ihn nicht mehr wiedererkennen?
 

Vermisste er mich?
 

Ein tiefer, dröhnender Laut riss mich gewaltsam aus meinen sehnsüchtigen Gedanken und ich konnte mich gerade noch zum Straßenrand retten, als ein großes, schwarzes Etwas an mir vorbeischlitterte. Was… was zum?! Stocksteif stand ich dort und sah es ein paar Meter von hier langsam zum Stehen kommen. Die Fahrertür des Busses wurde sogleich aufgerissen und ein großer, rundlicher Mann stürzte auf mich zu, hektische Sätze fielen geradezu aus seinem Mund. Was sagte er? Ich konnte mich nicht auf seine Worte konzentrieren, mein Blick galt immer noch dem lackschwarzen Ungetüm, das mich eben beinahe dem Erdboden gleich gemacht hätte. Mein Herz schlug so schnell, dass es wehtat.
 

„Hier, setzen Sie sich erstmal, bevor Sie mir noch umkippen!“ Raue Hände griffen meine Arme und langsam ging der Mann mit mir in die Hocke. „Ruhig, ruhig.“
 

‚Ich bin doch ruhig!‘, wollte ich erwidern, doch kein Ton kam mir über die Lippen. Abgesehen davon wäre es eine Lüge gewesen. Ich nahm ein paar tiefe Atemzüge und löste meine Augen von dem Reisebus und sah stattdessen nach unten, auf meine Sandalen. Ruhig. Das war allerdings leichter gesagt als getan, da mein Verstand mir gerade rücksichtslos vor Augen führte, was hätte passieren können.
 

„Ich sterbe“, entwich es mir, wie von Sinnen, als ich mich selbst sah wie ich von dem Bus überfahren werde und unter die Räder komme. Oh my god. Verdammt. Verdammte Scheiße… „Nein, Sie sterben nicht, alles ist okay“, redete der Busfahrer auf mich ein, um mich und wahrscheinlich auch sich selbst zu beruhigen.
 

Ein Knall. Mein Kopf schreckte nach oben, etwas zu schnell, so dass mir schwindlig wurde. Jemand kletterte aus der geöffneten Schiebetür und eilte in unsere Richtung.
 

Was machte ein Reisebus in unserer Einöde? Und war das eben wirklich passiert?!

Stand out on the edge of the earth, dive into the center of fate.

*trommelwirbel* Jetzt geht's los (:
 


 

Your mind, your eyes, the sea.

(3.) Stand out on the edge of the earth, dive into the center of fate.
 


 

„Was ist denn los? Joe?“
 

Der Mann war inzwischen vor uns zum Stehen gekommen und sah etwas irritiert auf uns hinab – wir hockten noch immer am Boden – woraufhin sich der Busfahrer erhob und ein paar Schritte auf den Businsassen zutrat. Ich blieb in der Position und blickte starr in die Luft, ich fühlte mich nicht dazu in der Lage dem Mann gegenüberzutreten, da mir der Schock nach wie vor in den Knochen saß.
 

Ich wusste gar nicht, wie ich das eben Gesehene verarbeiten sollte. Ich hätte jetzt tot sein können. Weil ich dumme Kuh ja unbedingt völlig gedankenverloren in der Mitte der Fahrbahn umherwandeln musste. Eine Sekunde zu spät und…
 

Tief einatmen. Tief ausatmen. Alles ist okay. Nichts ist passiert.
 

Die Stimmen der beiden Männer hörte ich nur als Gemurmel im Hintergrund, ausdruckslos starrte ich geradeaus. Der Mann, der aus dem Bus gekommen war, stand direkt vor mir, sodass seine Beine den Großteil meines Blickfeldes einnahmen.
 

Gott, mir war schlecht. Mein Bauch fühlte sich an als würde eine ganze Schaar Hornissen darin nisten. Nie hatte ich gedacht, dass mir so etwas je passieren würde. Und erst recht nicht hier. Ich sah schon meinen Grabstein vor mir: „Lina Catherine Donovan, 1984-2010, Überfahren auf offener Landstraße“.
 

Das würde ja mal wieder passen.
 

Ich fuhr zusammen, als sich eine warme Hand auf meine Schulter legte. Im Glauben mich einigermaßen beruhigt zu haben sah ich auf, direkt in das Sonnenbrillen-verdeckte Gesicht des Mannes, dessen Beine ich bis jetzt angeglotzt hatte. Er hatte sich zu mir hinuntergebeugt.
 

„Bist du okay? Sollen wir einen Arzt rufen?“, fragte mich eine sanfte Stimme, die mich erst einmal verdutzt blinzeln ließ, da ich irgendwie eine sehr viel rauere Stimme erwartet hatte. Wieso, konnte ich nicht sagen. Dazu kam noch, dass er mich einfach geduzt hatte. Ich räusperte mich kurz bevor ich ein hastiges „Ja, ja, mir geht es gut… ich bin nur, eh, geschockt“ verlauten ließ.
 

Ich sehe doch nicht wie unter 18 aus, oder? Tue ich das?
 

Völlig blind gegenüber der perplexen Reaktion auf seine Anrede klopfte er mir zweimal auf die Schulter und wies mich mit einer Handbewegung an, aufzustehen, bevor er sich jemandem hinter ihm zuwendete, den ich bis jetzt noch nicht bemerkt hatte. Etwas verlegen erhob ich mich aus der Hockposition und klopfte mir überflüssigerweise den nichtvorhandenen Dreck vom Kleid. Mensch, ich wurde gerade fast angefahren. Wieso fühle ich mich wie bestellt und nicht abgeholt?
 

Die neu dazugekommene Person war, zu meinem Erstaunen, nur um weniges größer als ich, was beim männlichen Geschlecht doch recht selten vorkam. Auch er entschloss sich dazu mir einmal kräftig auf die Schulter zu klopfen – Männer eben? – doch im Gegensatz zu meinem Vorgänger zwang mich dieser fast in die Knie. Mein Gott, au, was hat der denn für eine Kraft in den Armen? „Ow“, machte ich und rieb mir die gepeinigte Schulter, was dem Mann ein schuldbewusstes Lächeln entlockte.
 

„Sorry, Kleine.“ Seine Stimme war um Einiges tiefer als die des anderen Mannes. Auch er trug eine Sonnenbrille, wenn auch keine überdimensionale.
 

„Da bist wohl nochmal mit einem Schrecken davon gekommen, was?“, sprach der Sonnenbrillen-Typ, der im Übrigen auch noch seine Haare unter einer Kapuze versteckt hielt.
 

„Scheint so“, antwortete ich. Mir war das Ganze mehr als unangenehm. Erde, öffne dich bitte.
 

„Komm erst mal mit rein, wir können dich doch nicht einfach hier mitten im Nichts stehen lassen.“ Ein freundliches Lächeln umspielte seine Lippen. Die Sorte Lächeln, das man einfach erwidern muss, ohne, dass man eine Wahl hat. Ich nickte.
 

Ein wenig verwirrt versuchte ich den Busfahrer zu erspähen, der anscheinend anstelle von mir vom Erdboden verschluckt worden war. Schulterzuckend folgte ich dann den beiden Männern, die schon einmal zum Bus vorgegangen waren. Ich war etwas ratlos bezüglich was ich nun in einem Reisebus sollte, aber vielleicht hatten sie ja vor mich zurück nach Keel zu fahren. Der größere Mann war schon in den Bus gestiegen, als ich sie einholte. Der kleine trat einen Schritt zur Seite, um mich vorzulassen, und grinste dann in mein etwas hilflos dreinblickendes Gesicht. Den Blick von ihm abwendend sah ich zu den für meinen Geschmack viel zu hoch angelegten Stufen, die in den Bus führten, und hoffte inständig, dass ich mich nicht gleich noch mehr blamieren würde.
 

„Komm, ich helf‘ dir“, lachte es hinter mir und bevor ich mich versah wurde ich schon auf die erste Stufe gehoben, was ich mit einem überraschten Quieken quittierte. Ein kleines „danke“ murmelnd erklomm ich die weiteren drei Stufen und stieg letztendlich, mit siegreichem Gesichtsausdruck, in das Innere des Busses.
 

Nun, irgendwie hatte ich das hier nicht erwartet, als ich den schwarzen Bus von außen gesehen hatte. Fast wie angewurzelt blieb ich im Eingang stehen und ließ meinen Blick durch das, was fast wie eine fahrbare Wohnung aussah, schweifen. Was war das, ein Luxus Wohnwagen?
 

Hinter mir schloss sich die Tür mit einem Ruck und ich wurde sanft aber bestimmt vom Eingangsbereich weggeschoben. Immer noch ungläubig dreinblickend trat ich in was aussah wie der Wohnbereich mit eingebauter Kochnische. Es gab einen Tisch mit gepolsterter Sitzecke und auf der anderen Seite des schmalen Raums eine kleine, offene Küche. Am Tisch saßen der Sonnenbrillen-Typ und der aufgewühlt wirkende Busfahrer, der sich demnach doch nicht in Luft aufgelöst hatte. Ich wurde weiter nach vorne geschoben, so dass der kleine Typ mit den Muskelarmen sich an mir vorbei quetschen und in der Sitzecke Platz nehmen konnte.
 

Da hatten wir’s wieder: wie bestellt und nicht abgeholt. Unsicher stand ich vor dem Tisch und versuchte keinem der drei Männer in die Augen zu blicken, oder, naja, in die Sonnenbrille. Was sollte das überhaupt, so hell war es hier nun auch wieder nicht.
 

„Shane, was bist du denn für ein Gentleman? Warum bietest du der Dame keinen Sitzplatz an?“, kam es von links, wieder diese weiche Stimme. Der Sonnenbrillen-Typ. Meine Finger vergruben sich wieder in meinem Kleid.
 

„Oh, du hast recht, Brüderchen. Wie rücksichtslos von mir“, kam die lachende Antwort von… Shane, der sogleich Raum für mich auf der Bank machte. Schweigend nahm ich neben ihm Platz und sah abwartend in die Runde, gespannt darauf, was jetzt kommen würde. Die Sitzkissen waren jedenfalls weicher als sie aussahen. „Da hast du uns aber einen gehörigen Schrecken eingejagt“, meinte der Sonnenbrillen-Typ, der jetzt gegenüber von mir saß. Ich nickte, „Ohne Schock bin ich auch nicht davongekommen.“
 

„Ich bin Jared“, stellte er sich dann vor, „Und das ist mein Bruder Shannon und unser Busfahrer Joe.“
 

„Lina.“ Auch ich sagte nur den Vornamen, wieso den ganzen Namen nennen, wenn sie das auch nicht taten? Über den Tisch hinweg schüttelte ich erstmal Hände mit dem Busfahrer, der sich erneut bei mir entschuldigte – dabei war es doch eher meine Schuld gewesen, oder?
 

Shannon – Gott, war ich froh, dass ich jetzt die Namen kannte! – wuschelte mir einmal dezent durchs Haar, das jetzt wohl endgültig zum Wischmopp mutiert war, und Jared schenkte mir ein offenes Lächeln, bevor er mir die Hand reichte. Sein Händedruck war angenehm fest und er grinste amüsiert als er den schwarzen Nagellackstreifen, der sich über meinen ganzen Zeigefinger zog, erblickte. Schnell zog ich die Hand zurück. Mist, ich hätte ihn doch wegmachen sollen. Aber wer ahnt denn so etwas?
 

Glücklicherweise wurde ich aus der etwas peinlichen Situation gerettet als jemand mit einem „Was ist denn das hier für eine Volksversammlung?“ in den Raum trat. Ich sah auf, und diesmal war ich es, die sich das Lachen verkneifen musste. Im Durchgang stand ein mittelgroßer und hauptsächlich haariger Mann – und zwar nur in Boxershorts und einem zerknitterten T-Shirt.
 

„Tomo!“, lachte Jared und wies mit einer überschwänglichen Handbewegung auf mich hin, die immer noch nicht glauben konnte, dass jemand so haarig sein konnte. Die dunklen, verwuschelten Haare des Mannes, der mich jetzt mit geweiteten Augen ansah, gingen ihm bis unters Schulterblatt und sein Vollbart war auch nicht ohne – von seinen Beinen wollte ich nicht einmal anfangen. Allgemein erinnerte er mich irgendwie an… Jesus. Nur ein dunklerer Typ.
 

„Oh“, machte der Mann und ich sah zu wie seine Wangen sich rosa färbten, bevor er wieder aus dem Raum eilte. „‘Oh‘ kann er laut sagen.“ Jetzt fing auch Shannon neben mir an zu lachen, und glaubt mir, ich hatte noch nie zuvor so eine ansteckende Lache gehört. Nach einer Minute lagen wir vier – ja, auch Joe – lachend halb unterm Tisch. Das war einfach köstlich gewesen.
 

„Ja, ja. Lacht mich nur aus, ihr wisst ja, dass mich das anmacht.“ Mit diesen Worten kam der Mann wieder, diesmal aber in eine graue Röhrenjeans und ein schwarzes Shirt gekleidet.
 

„Oh, weiß Vicky das denn schon? Ich bin sicher sie findet auch im Bett was, worüber sie sich lustig machen kann“, kam es von einem höhnisch grinsenden Jared, der sich dann aber zu mir umdrehte um mir den Mann als Tomo vorzustellen. Den Namen hatte ich ja noch nie gehört.
 

„Hey Tomo“, grinste ich, immer noch belustigt. Verschmitzt sah er mich an und hob beide Augenbrauen. „Hey..?“ Sichtlich irritiert drehte er sich zu Jared, der sich zurück gegen die Wand gelehnt hatte. „Wo habt ihr die Kleine denn aufgetrieben? Sind wir überhaupt schon da?“
 

Schnell blickte er durch die getönte Fensterscheibe, welche sich hinter uns befand. „Wir haben doch keinen Motorschaden, oder?“
 

„Wenn ihr nach Keel wollt; die Fahrt dauert nur noch ein paar Minuten“, brachte ich ein, da ich annahm, dass sich niemand von den hier anwesenden Männern im County Mayo auskannte. Ich wusste nicht einmal was sie hier überhaupt wollten, mit ihrem Luxus Wohnwagen, der eigentlich viel zu schick für den Keel & Sandybanks Campingplatz war.
 

Joe zwängte sich währenddessen an Jared vorbei, was nicht so ganz einfach aussah, aufgrund seiner eher runden Statur, und klopfte sich die Falten vom Sweatshirt, bevor er sich Mr. Hairy zuwandte. „Wir sollten langsam mal wieder weiter, meint ihr nicht? Und nein, dem Baby geht es gut.“
 

Dem Baby?
 

… Achso, der Bus.
 

„Gut.“ Tomo blinzelte und Joe verließ den Bus wieder, um in die Fahrertür einsteigen zu können.
 

„Also, ihr nehmt mich jetzt einfach wieder nach Keel mit?“, fragte ich und lehnte mich ein wenig über den Tisch. Tomo setzte sich inzwischen in die freigewordene Lücke zwischen Jared und Shannon und schaute weiterhin verdutzt aus der Wäsche – ein ganz niedlicher Anblick. „Das war der Plan“, murmelte Shannon neben mir, „Es sei denn, du willst woanders hin.“
 

„Nein, ich—“
 

„Moment mal, Leute.“ Alle Blicke wanderten zu Tomo, der zurückgelehnt und mit gerunzelter Stirn dasaß. „Wer ist sie“ – er nickte in meine Richtung – „und warum spielen wir jetzt Taxiservice?“
 

„Das kommt davon, wenn du am helllichten Tag schläfst“, kam sogleich die kühle Antwort von seiten Jareds. Übrigens war es ein Wunder, dass ich mir die ganzen Namen so schnell merken konnte. „Das ist Lina. Wir hatten eben einen kleinen… Zwischenfall.“
 

„Zwischenfall?“
 

Ich seufzte. „Ihr hättet mich eben fast überfahren.“ Tomos sah mich daraufhin entgeistert an und schüttelte erst einmal den Kopf. „Das… wie… Dir ist doch nichts passiert, oder?“ Mein aufmunterndes Lächeln schien den Mann vorerst zu beruhigen und ich versicherte ihm, dass es mir gut ginge. Geschockt atmete er aus und fuhr sich mit den Händen durchs unordentliche Haar. „Gut Jay, du hast mich. Ich schlafe nie wieder tagsüber, da kann der Jetlag noch so groß sein. Ich verpasse ja die ganze Show.“
 

Nach ein paar Minuten fühlten wir dann das vibrieren des Motors, der von Joe angelassen wurde. Die Atmosphäre im Bus war angenehm, ich fühlte mich richtig wohl mit diesen Männern, über die ich so gut wie gar nichts wusste. Nicht mal ihre Nachnamen. Das gegenseitige Duzen schien fast wie normal, obwohl sie nichts Weiteres als Fremde waren. Auf jeden Fall war ich lieber hier mit ihnen als bei diesem Abendessen heute.
 

Moment. Wie spät war es eigentlich? Ich sah mich um, doch im ganzen Raum schien keine einzige Uhr zu sein, die mir verraten konnte, ob ich noch irgendeine Chance darauf hatte, rechtzeitig zu erscheinen. Ach, was soll’s, dachte ich, Scheiß drauf.
 

„Jungs?“, fragte ich in die Runde. Fragende Grunzlaute. Ich schmunzelte. „Was wollt ihr eigentlich in einem Kaff wie Keel?“ Das interessierte mich wirklich. Ich war immer noch nicht dazu in der Lage, mir vorzustellen nur zur Erholung nach Keel zu fahren. Es ging einfach nicht in meinen Kopf.
 

„Wohnst du dort?“, fragte Shannon. Ich nickte, eine Grimasse ziehend. „Wir haben für drei Wochen … „Urlaub“ und mein Brüderchen hier hielt es für eine tolle Idee diese nicht etwa in einem Hotel mit Rundumservice, sondern in der Natur zu verbringen.“ Von der Idee hielt er offensichtlich gar nichts. Aber ich verstand ihn, wieso Keel wenn man eine Millionenmetropole haben könnte?
 

Ich blickte zwischen Shannon und Jared, der so aussah als würde ihm Shannons Einstellung dazu gar nicht passen, hin und her. Ich hatte schon wieder vergessen, dass Jared Shannon als seinen Bruder vorgestellt hatte. Von Jareds Gesicht konnte ich ja nicht viel sehen, aber vom Körperbau her ähnelten die beiden sich überhaupt nicht.
 

„Shan, zwei Wochen. Danach kannst du wieder in deinen geliebten Hotelbettchen schlafen. Du hast doch sonst nichts gegen Kultur.“
 

„Ja ja, Big Boss. Tyrannisier uns nur mit deinem intellektuellen Wissensbedürfnis.“
 

Ich lachte leise, und kurz kam mir die Frage in den Sinn, als was die Drei denn arbeiteten. Doch dann hielt der Bus auch schon vor den Toren des Campingplatzes und Jared ging mit raus um den finanziellen Kram zusammen mit Joe zu klären.
 

„So“, seufzte ich und stand auf, nachdem mir Tomo noch eine peinliche Geschichte aus Shannons Alltag erzählt hatte. „Danke euch für den… „Taxiservice“. Ich denke ich sollte dann mal wieder gehen.“ Die beiden Männer nickten mir zu, und ich bat Shannon noch schnell darum mir die Uhrzeit zu sagen. Draußen war es bereits dunkel geworden.
 

Er wühlte kurz in seiner Hosentasche bis er sein Smartphone herausholte – war das etwa ein iPhone?! – und mir den Display entgegenhielt.
 

7:49pm.
 

„Scheiße!“, fluchte ich. Wie konnte ich die Zeit nur so aus den Augen verlieren, ich war fast eine Stunde zu spät! Und in diesem Aufzug konnte ich unmöglich erscheinen. „Tut mir leid ihr beiden, aber ich muss sofort los. Man sieht sich bestimmt mal wieder, oder so.“
 

Hastig verabschiedete ich mich von ihnen und eilte aus dem Bus. Draußen wäre ich fast in Jared hineingerannt, der gerade mit Steve Richard, dem Besitzer des Campingplatzes, redete. Überrascht drehte er sich zu mir um, Mr. Richard begrüßte mich mit einem kleinen Winken.
 

„Guten Abend, Sir“, murmelte ich abwesend und trat ein paar Schritte von Jared zurück, der endlich seine Diven-Sonnenbrille abgenommen hatte. Wohl das beeindruckendste Augenpaar, das ich je zu Gesicht bekommen hatte, blickte mir entgegen. Ich hatte garantiert nicht erwartet, dass sich das hinter der riesigen Sonnenbrille verbergte. „Ich, ehm… Ich muss schnell nach Hause, danke fürs Mitnehmen.“
 

„Nett dich kennengelernt zu haben, Lina“, lächelte er und wandte sich wieder Mr. Richard zu. Ich hingegen stand dort noch für eine gefühlte Ewigkeit, bis mir wieder einfiel, dass ich eigentlich gehen musste. „Ehm, bye!“, rief ich und fiel in einen schnellen Gang. Als ich durch die dunklen Straßen huschte fühlte ich mich wie benebelt, auch als ich vor meiner Haustür angekommen war hatte das Gefühl noch nicht nachgelassen. Wow… der Mann hat Augen. Kopfschüttelnd schloss ich die Tür auf und schlüpfte hinein, ich war mir durchaus bewusst, dass ich gleich eine massige Standpauke kassieren würde.
 

Irgendwie… war mir das aber egal.



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