Der Wandel mit dem Detective von Lefteye ================================================================================ 02.Oct. 2025 - Klavier (1/2) ---------------------------- Ich konnte diese grässlichen Polyphon-Melodien noch nie ausstehen, aber nach drei Stunden Schlaf schaffte es nur mein Handy mich todsicher aus dem Bett holen. Und damit mein Körper gar nicht erst auf die Idee kam, müde sein zu wollen, gönnte ich ihm zwanzig Minuten auf dem Laufband, eine kalte Dusche und eine halbe Grapefruit. Auf mich wartete ein uncooler Tag, bei dem ich mir keine Schnitzer erlauben durfte: Ich musste Carl loswerden, meinen Song fertig schreiben und mich obendrein versichern, dass die Tatortermittlung nicht hinkte. In der Tiefgarage betrachtete ich meinen Aston Martin. Dieser Wagen hatte mich ein Vermögen gekostet und stand seit einem Jahr fast unberührt auf seinem Platz, während meine Vendetta mich seit über zwei Jahren täglich begleitete. Vielleicht war es unfair, aber das Fahrgefühl unterschied sich nun mal komplett. Von all den Annehmlichkeiten auf der Welt, die ich haben konnte, interessierten mich nur jene, die mir Exklusivität versprachen. Ohne Ausnahme. Sobald ich mein Büro betreten hatte, prüfte ich die Ablage. Sie war leer. Mit Sicherheit änderte sich das in den nächsten Stunden. Ich orderte bei Starbucks ein Frühstück und fuhr meinen Computer hoch. Die eingegangen Emails verteilte ich auf meine drei Monitore. Die erste kam vom Hilton Hotel in Aspen: Meine Buchungsbestätigung für zwei Doppelzimmer vom 23. bis zum 27. Dezember. Ich wusste noch nicht, wen ich mitnehmen sollte. Daryan wäre meine erste Wahl gewesen, aber ich ließ mich eher in die geschlossene Anstalt einweisen, als 985 Meilen mit dem Auto zurück zu legen. Meine restlichen Bandkollegen kamen noch weniger in Frage. Ike war überzeugter Weihnachtsfan; ich wollte seinem – zugegeben niedlichen – Enthusiasmus nicht im Weg stehen. Tjark wiederum zog Unfälle magisch an; er schaffte es sogar zu stürzen, als er bei einem Videodreh durch Absicherungsseile in der Luft hing. Ich konnte keinen bandagierten Drummer gebrauchen, da ich für gewöhnlich nach Aspen zum Snowboarden reiste. Und Lenny? Ich vergötterte ihn wegen seiner musikalischen Genialität, absolut und unwiderruflich (welche Rockband konnte auf einen ausgebildeten Konzertpianist verweisen?), aber auf menschlicher Linie spielten wir Dissonanzen. Ich mochte ihn, und trotzdem war er mir einfach zu lethargisch, sodass ich mir wenig Spaß mit ihm erhoffte. Aber ich hatte noch Zeit eine Begleitung zu finden, die mich von Langweile abhielt. Der Show vom Vorjahr wollte ich keineswegs eine Zugabe nachkommen lassen, so reizvoll diese Liason auch war. Ich hatte fluchtartig die Heimreise antreten müssen, weil eine gewisse Dame die Grenzen nicht kannte, weder ihre, noch meine. Zum einen fand ich es lästig, dass eine atemberaubende Mittdreißigerin nach einer gemeinsamen Nacht Gluckenkomplexe entwickelte und ich sie deshalb nicht mehr ganz so atemberaubend fand, und obendrein besaß sie die Unverfrorenheit, gleichzeitig mit dem Vizepräsident eines Pharmakonzerns verheiratet zu sein. Ihr Beziehungsstatus war mir prinzipiell egal, nur wollte ich nicht der Fokus ihrer frustriert-feuchten Hausfrauenträume sein. Mir lag es schon fern Gitarren oder Hoteleinrichtungen zu zerdeppern, in Talkshows zu pöbeln, auf jedem Kontinent eine Villa zu kaufen oder Rauschmittelexzesse zu feiern. Genau so wenig brauchte ich Klischees in meinem Sexleben. Wenn ich das haben wollte, ginge es leichter, indem ich mir eine mondäne Managerin für die Band engagierte. Das wäre einfach nicht cool, ja? Apropos Manager, die nächste Mail stammte von Carl. Gestern um 18.56 Uhr eingetroffen: Hey Klav, mein Großer – wie geht's, wie steht's? Fit für heute Abend? Bestimmt. Ich weiß ja, dass auf dich Verlass ist. Eigentlich bin ich mir sicher, dass ich es dir schon gesagt habe. Wollte nur sicher gehen für die Party heute Abend. Also lass dich mal ein paar Minuten bei den Fans blicken. Keine Sorge, die Security passt auf, dass sie dir nicht die Klamotten vom Leib reißen. Aber wenn sich die Aktion erst mal rumgesprochen hat, wird das 'ne richtig große Sache! Ich kann's ja gar nicht oft genug betonen, aber direkter Kontakt von Fan zu Künstler ist Gold wert. Die werden uns aus der Hand fressen. Ein paar Autogrammstunden könnten auch nicht schaden. Ich hab noch viele geile Ideen, aber schmeiß erstmal die Show heute Abend. Also, Hals und Beinbruch! Carl Der Mann war so was von gefeuert! Er war nicht nur dreist, sondern versuchte mich auch noch für dumm zu verkaufen. Natürlich hatte er mich über dieses kleine Spektakel nicht in Kenntnis gesetzt, statt dessen "informierte" er mich zu einer Zeit, in der ich meine Emails nicht mehr überprüfte – kurz vor dem Soundcheck. Einfach, weil er wusste, dass ich solche Aktionen nicht guthieß. Ich liebte meine Fans, aber hielt es für besser, mit keinem allzu persönlich zu werden. Und wer war ich, dass ich neuerdings Autogrammstunden gab!? Wir hatten eine Autogrammadresse, verdammt noch mal! Carl konnte von Glück reden, dass er nicht an mein 17-jähriges Ego geriet. Damals neigte ich zu einer theatralischen Willkür, die es gewissen Leuten unmöglich machte, jemals wieder einen Fuß in der Musikbranche zu fassen. Er hätte es zweifellos verdient – aber mittlerweile waren mir diese Ambitionen zu kindisch. Ich klickte die Mail weg und öffnete die letzte in meinem Postfach. Sie war auf Deutsch verfasst. Guten Abend Klavier, wie es scheint, bist du sehr beschäftigt. Es wäre schön, wenn ich nicht nur der Zeitung entnehmen müsste, was mein Bruderherz bewegt. Anlässlich deines 24. Geburtstages in nicht einmal zwei Wochen möchtest du mir sicher eine Einladung zukommen lassen. Sollte ich falsch informiert sein, korrigiere mich bitte. Herzlichst, Kristoph Es tat gut, ein paar Zeilen in meiner Muttersprache zu lesen. Wir hielten es mit dieser Tradition seit Jahren – unter uns sprachen wir kein Englisch. Und so aufgebracht ich vor wenigen Augenblicken noch war, Kristophs Mail beruhigte mich. Sehr sogar. Er war der wichtigste Mensch in meinem Leben. Meine Familie. Oder vielmehr das, was von ihr übrig blieb. Ich wollte nicht daran denken. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass 5.20 Uhr war und das brachte mich rasch auf andere Gedanken. Ich schaltete die Monitore ab und nahm mir den Fall zur Hand. Die Fakten waren auf den ersten Blick eindeutig: Das Opfer Louis Hiller verblutete bedingt durch einen Messerstich in die Milz. Die Tatwaffe wies keine Fingerabdrücke auf. Ich versuchte auf dem Untersuchungsprotokoll eine handschriftliche Notiz zu dechiffrieren. Wer auch immer das geschrieben hatte, benötigte dringend einen Kurs in Schönschrift. Einzig das Wort Blutspuren konnte ich noch erkennen. Ich nahm mir den Bericht über das Opfer zur Hand: Louis Hiller war ein Informatikstudent, 31 Jahre alt, gesundheitlich angeschlagen: Aids im fortgeschrittenen Stadium und Thrombozytenmangel. Medizin war nicht mein Fachgebiet, aber das war nicht nötig um zu wissen, dass dieser Gentleman ohnehin nicht mehr lange unter den Lebenden gerockt hätte. Aber schön, warum einfach, wenn ich es auch kompliziert haben konnte, ja? "Ich bin da. Wenn Sie was wollen, lassen Sie es mich wissen." Als ich den Kopf hob, sah ich nur noch, wie die Tür sich wieder schloss. Natürlich wollte ich etwas: Viele, viele Informationen. Ich zählte stumm bis Zehn, in dieser Zeit hatte sie es sicher bis zum Fahrstuhl oder Treppenabsatz geschafft. Dann erhob ich mich, öffnete die Tür und rief: "Ach, Fräulein Skye? Kommen Sie bitte noch mal in mein Büro, ja? Ich möchte gern mit Ihnen über den gestrigen Fall sprechen." Die Tür ließ ich offen stehen und und setzte mich wieder an meinen Schreibtisch um mich dem Fall zu widmen. Doch ich vergaß für einen Moment die Fakten: Der Anblick des miesgelaunten Fräuleins mir gegenüber war herzerweichend. Ich lächelte in mich hinein und blätterte in den Papieren. "Die Berichte sind noch unvollständig, aber Sie haben sich gestern am Tatort umgesehen, Fräulein Skye. Ich bin neugierig." Sie sagte nichts, sondern sah sich in meinem Büro um, als säße sie hier zum ersten Mal. Was sollte das? Ich schnippte mit den Fingern und lehnte mich nach vorn. "Sie haben sich doch Gedanken darüber gemacht, ja?" Ich wollte wissen, wie sie dachte und was ich überhaupt von ihr erwarten konnte. Vielleicht war es wirklich noch etwas früh, denn jetzt galt ihre ganze Aufmerksamkeit ihrem Kaffee. Ihre Spielchen langweilten mich. Ich wollte eine Antwort. Jetzt. Sofort. Und eine gute, ja? "Keine Ahnung, was Sie von mir hören wollen. Ich weiß auch nicht mehr, als da drin steht. Dennoch... Ich hab viele, teilweise recht große Blutspuren gefunden, die nicht so richtig zur Leiche passen. Die Wunde war nicht sehr groß und das Opfer weitesgehend sauber. Nur ein kurzer Stich in die Milz. Damit ist man nicht mehr fähig viel zu laufen." Ach, das hier fing an interessant zu werden. Konnte es sein, dass... "Ist nur so eine Vermutung, dass hier mindestens eine Leiche fehlt." Richtig. Sie sprach genau das aus, was mir gerade durch den Kopf schoss. Damit hatten wir nicht nur eine Leiche ohne Täterprofil, sondern obendrein noch eine fehlende, inklusive mangelnder Fakten. Und trotzdem: Das rockte! Wenn Fräulein Skye mir demnächst einen Fall präsentierte, der mir und meiner Show im Gerichtssaal gebührte, konnte sie sich meiner Gunst sicher sein. "Achtung, Fräulein Detective! Wissen Sie, was ich jetzt von Ihnen erwarte?" Meine Laune erklimmte soeben einen Gipfel, auf dem ich schon die nächste Hitsingle hörte. Ich kam nicht umhin die neue Melodie mit der Luftgitarre zu performen. Endlich erschien alles in einem dramatischeren Licht. Ich spielte die imaginären Schlussakkorde und strahlte meine neue Partnerin mit einem Hunder-Watt-Lächeln an. "Heute Abend möchte ich, dass höchstens unser Mörder noch mehr über die verschollene Leiche weiß als Sie! Machen Sie sich an die Arbeit, ja?" Dieser Fall inspirierte mich zutiefst, als ob ein Tsunami über mich herein gebrochen wäre. Das musste ich sofort festhalten. Eigentlich hätte ich die Melodie zuerst notieren müssen, aber sie war so eingängig, dass ich dem Text Priorität gab. Ich holte mein Notizblatt von gestern hevor und begann zu schreiben. "My girlfriend is the stolen corpse? Nein... das rockt nicht... ich brauche einen besseren Titel..." Ach, was hielt ich mich auch am Titel auf! Der ergab sich später von selbst. Aber vielleicht sollte ich es zunächst mit der richtigen Metrik versuchen. Ich stand auf um mir eine Gitarre zu holen. Fräulein Skye war gegangen. Sie hatte ich völlig vergessen, aber es war ohnehin besser, wenn sie sich ihrer Arbeit widmete statt mir. Ich hob eine Akustik von der Wand, da ging die Tür auf. Der Starbucksazubi kam gerade richtig: Allmählich bekam ich Hunger, aber ich freute mich mehr auf meinen Kaffee. "Stellen Sie es einfach auf den Tisch, ja?" Er starrte mich an, als sei ich das jüngste Gericht. "Da war so 'ne Frau. Die sagte, dass Sie unsere Produkte gesundheitlich nicht vertragen und hat's dann mitgenommen." Ich verstand nicht, was er mir damit sagen wollte. Seit wann vertrug ich nicht- ... Ach, tatsächlich? "Eine Frau im... Kittel?" "Jaah, genau! Die kam gerade aus der Tür und meinte, dass Ihr Cholesterinspiegel zu hoch wäre und faselte noch was von 'ner Lactose-Sache." Das war zu viel für mich. Ich musste die Gitarre abstellen, damit sie mir vor Lachen nicht aus der Hand fiel. Nicht übel, Fräulein Skye. Gar nicht übel. "Sir? Das wären jetzt acht Dollar und zwanzig Cent." Immer noch lachend holte ich meine Brieftasche hervor. Alles, was ich hatte, war ein Hundert-Dollar-Schein. Ich trug nicht gern viel Bargeld mit mir herum, da ich die meisten Dinge mit der Karte bezahlte, aber für den Notfall hatte ich immer einen oder zwei Scheine in petto. Das hier war so ein Notfall. "Wären Sie so nett, das Gleiche noch einmal zu besorgen? Und wenn Sie es schaffen, sich von dubiosen Fräuleins in Kitteln fernzuhalten, dürfen Sie den Rest behalten, ja?" Ich gab ihm das Geld und wartete darauf, dass er ging. Erhöhter Cholesterinspiegel... Ich nahm mir die Akustik und sah gleichzeitig auf den Notizzettel. My girlfriend is a grumpy detective? Nein, lieber nicht. Bei so etwas dachte man nur an Trenchcoat und Stoppelbart. Schluss mit den albernen Gedanken, ich wollte mich auf meinen Songtext konzentrieren. Ich begann zu spielen und versuchte gleichzeitig etwas auf die Melodie zu singen: "In the middle of the cross-examination.... nah~... in the middle of the crossfire, he decides the game... Does.. Does he rember the weapon? Does he remeber the name? ...the culprit sweats bullets. Mr. attorney starts to pray. Cause....Cause... Cause everyone knows what he has to say..." Das klang mehr als armselig, aber immerhin war es ein Anfang. Eine Stunde später kaute ich zufrieden meinen Bagel und sandte eine SMS an Daryan: "Komm nicht zu spät zur Arbeit, Darling!" Ich wusste, dass er meine Nummer unter Barbie eingespeichert hatte und ein kleiner Teufel in mir hoffte, dass einer seiner Kollegen ihm eines Tages auf die Schliche kam. Als Nächstes druckte ich die Empfangsbestätigung des Hotels aus, setzte meine Unterschrift und schickte es mit meiner Kreditkartennummer per Fax nach Aspen. Und Kristoph erwartete auch noch eine Antwort von mir: Hey Kris, wie könnte ich dich jemals vergessen? Selbstverständlich musst du zu meiner Party kommen! Es werden ziemlich viele Leute da sein, auch die Jungs von meiner Band. Ich freu mich schon drauf. Liebe Grüße, Klavier Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Mir wäre es lieber gewesen, Kristoph an diesem Tag seperat zu treffen. Er und Daryan konnten sich auf den Tod nicht leiden und ich hoffte einfach, dass Kristoph von selbst absagte, wenn er wusste, dass Daryan auf die Party kam. Das war nicht fair, aber für alle das Beste. Vor allem für meine Nerven. Ich holte mein Handy hervor um Carl anzurufen. "... Thompson." Er klang verschlafen. Mich wunderte das nicht (vermutlich lag noch ein Groupie unter ihm). "Ich bin's, Klavier. Ich mach's kurz: Können wir uns heute treffen? Ich möchte etwas mit dir besprechen." "Ist es wichtig? Ich hab Termine, Mann." Natürlich hatte er die. Noch. "Es ist von außerordentlicher Bedeutsamkeit, ja? Ich habe eine Idee und ich möchte, dass du sie zuerst erfährst." "Ist es wenigstens 'ne gute Idee?" "Es ist die beste, die ich jemals hatte. Du wirst ausflippen... versprochen." "Also schön, wann?" "19 Uhr, im Manila. Ich freu mich." Dann legte ich auf. Der letzte Satz war nicht gelogen: Ich freute mich tatsächlich wie ein kleines Kind. Und damit nicht nur ich den ganzen Spaß kassierte, wollte ich Daryan bitten mitzukommen. Mir fiel ein, dass ich Fräulein Skye noch informieren musste. Nicht, dass sie heute Abend vor meiner verschlossenen Bürotür stand und deswegen Trübsal blies. Ich überflog das Intranet des Präsidiums, fand aber keine Email-Adresse. Daher schickte ich ein Fax: Fräulein Skye, Sie haben noch keine Email-Adresse. Holen Sie das bitte nach, ja? Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass ich Sie heute Abend nicht in meinem Büro empfangen kann, weil mir andere Verpflichtungen dazwischen gekommen sind. Aber es spricht nichts dagegen, wenn wir das morgen früh um 6 Uhr bei einem Frühstück nachholen. Bei dieser Gelegenheit können wir gern über meine gesundheitliche Verfassung plaudern. Ich erwarte Sie pünktlich in meinem Büro. Herzlichst, Klavier Gavin Es dauerte keine fünf Minuten bis eine Antwort bei mir eintraf: Morgen um Sechs Uhr werde ich vermutlich pappsatt sein. Ansonsten interessiert mich Ihre Gesundheit nicht die Bohne und ich wäre überaus dankbar, wenn Sie die ganze Arbeit nicht an mir allein hingen ließen. Wenn Sie über den Fall sprechen wollen, tun Sie sich keinen Zwang an und vereinbaren einen Termin zu einer angemessenen Uhrzeit im Polizeipräsidium. Skye Ich musste schmunzeln, dann nahm ich mir sogleich ein neues Formblatt um ein weiteres Fax ins Präsidium zu schicken. Einen Augenblick lang starrte ich auf das Papier hinab und summte die neue Melodie vor mich hin. Dann beugte ich mich vor und füllte meine nächste "Liebesbotschaft" an das Fräulein Skye aus: Ich freue mich wirklich sehr über Ihren Arbeitseifer, Fräulein Detective. Ich bin mir sicher, dass Sie gerade das Präsidium rocken, ja? Allerdings würde ich mir niemals anmaßen, Sie in Ihrem Allerheiligsten zu belästigen. Ein simpler formgerechter Bericht heute Abend auf meinem Schreibtisch wird mir genügen. Auch wenn ich es ein bisschen unpersönlich finde. Sie können ja ein wenig von Ihrem liebreizenden Parfum draufsprühen. Wie heißt diese Duftnote? Eau de Gallseife? Klavier Gavin Und jetzt war ich wirklich gespannt auf ihre Antwort. Natürlich war dieses Geplänkel kein bisschen produktiv, aber es amüsierte mich. Davon abgesehen vertrat ich die Ansicht, dass zwischen Staatsanwalt und Detective ein solides Vertrauen herrschen sollte. Daryan kannte ich seit der Higschool. Ich war also unerfahren im Kennenlernen meiner Partner. Die Antwort ratterte durch mein Faxgerät. Ich zog das Blatt aus der Ablage. Es würde durchaus genügen, zukünftige Korrespondenzen über Schriftverkehr abzuhalten. Ich schicke den neuen Bericht an Sie raus, sobald ich ihn fertig habe. Unsere Leiche liegt übrigens im 23. Bezirk, falls Sie das interessiert. Skye PS: Wenn Ihnen meine Duftnote nicht penetrant genug ist, so muss ich Ihnen leider mitteilen, dass ich nicht vorhabe Ihr blumiges Altweiberwässerchen zu übertünchen. Ich hoffe, Sie verstehen das. Diesmal musste ich tatsächlich laut auflachen. "Achtung, Fräulein Detective! Sie sind heute besonders charming", flüsterte ich dem Papier zu. Die Leiche befand sich im 23. Bezirk? Vermutlich konnte es nicht schaden, meinem Detective ein wenig unter die Arme zu greifen. Eine telefonische Recherche beim Pförtner verriet mir, dass der Staatsanwalt für kriminaltechnische Angelegenheiten Miles Edgeworth hieß. Ich grübelte einen Moment. Dieser Name war mir nicht unbekannt, trotz dessen konnte ich ihm kein Gesicht zuordnen. Ich füllte ein Überführungsgesuch für die zweite Leiche aus, an das ich gleich noch ein Memo heftete mit der Bitte um kollegiale Unterstützung, soweit es die Kapazitäten im 23. Bezirk zuließen. Nicht, dass ich wirklich Hilfe von einem anderen Staatsanwalt benötigte, aber es konnte nie Schaden, sich neue Freunde zu machen. Außerdem erleichtete dieses Memo eventuell Fräulein Skyes Ermittlungen. Ich schickte das Gesuch per Fax zum 23. Bezirk vor und rief dann einen Stadtkurier, um die Reinschrift per Boten zu übermitteln. Und jetzt war es wieder Zeit für meinen Song. Leider konnte ich mich keine zehn Minuten damitbeschäftigen, da mein Telefon klingelte. Ein kurzer Blick auf die Digitalanzeige zeigte mir, dass der Anruf aus dem Distrikt kam - Fräulein Skye's Durchwahl (zumindest nahm ich das an, weil sie sich mit ihrer Faxnummer deckte). Ich lehnte mich entspannt zurück, ließ es ein paar Mal klingeln und hob dann mit gespielter Verwunderung ab. "Hatten Sie nicht eben noch vergeschlagen, unsere Unterhaltungen auf die romantische Kunst des Briefeschreibens zu beschränken? Sie müssen meine Stimme ja mächtig vermisst haben." "Ich soll Ihnen von Mr. Edgeworth ausrichten, dass die zukünftige Zusammenarbeit gebongt ist. Da Sie vermutlich schwer beschäftigt mit dem Versenden von Frühstückseinladungen sind, werde ich mich der Sache annehmen und Mr. Edgeworth nachher auf ein persönliches Gespräch treffen. Ist vielleicht besser so, weil ich ihn ohnehin schon seit ein paar Jahren kenne und Sie ihn nur unnötig verschrecken." Natürlich hatte ich nichts einzuwenden. Mir war es ganz recht, wenn sie selbstständig arbeitete, solange die Ergebnisse stimmten. Aber ganz so einfach konnte ich sie nicht davon kommen lassen. "Ich bin verletzt, Fräulein Detective! Kaum taucht eine alte Jugendliebe auf, bin ich bei Ihnen wieder abgeschrieben. Aber gehen Sie nur! Ich will Ihrem Glück nicht im Wege stehen. Solange Sie wieder zu mir zurück kommen, bin ich gerne bereit Ihnen Freiraum zu geben. Eine offene Beziehung steht uns eh viel besser, ja?" Ich konnte förmlich sehen, wie sich ihre Miene verfinsterte. Ob sie wohl gerade wieder auf diesem seltsamen Süßkram herumkaute? Ich musste mich stark anstrengen, um nicht zu feixen. "Wissen Sie, das ist wie mit arrangierten Ehen. Da kann man sich auch nicht aussuchen, mit wem man verflucht wird. Und nichts gegen eine offene Beziehung, nur glaube ich, dass Ihr ohnehin viel zu aufgeplustertes Ego einen Kratzer abbekäme und ich finde es generell nicht gut unschuldige Kinder zu behelligen. Aber ich werde Mr. Edgeworth sagen, dass Sie sich viel Mühe geben beim Erfahrung sammeln, womit Sie ihm zwar in zehn Jahren noch nicht das Wasser reichen können, aber wie sagt man so schön: Dabei sein ist alles!" Ich lachte. Nicht in meiner üblichen Flirt-Manier. Nein, ich lachte aus vollen Stücken. So spröde sie sich auch benahm, ihr Geist war in der Tat erfrischend. "Achtung, Fräulein Detective! Nicht, dass ich mich noch in Ihre Boshaftigkeit verliebe, ja? Sie wissen doch, was man über Männer sagt, die alles kriegen können, was sie wollen. Dann will ich Sie lieber nicht länger von Ihrer Arbeit abhalten. Viel Spaß noch auf Ihrem Date und blamieren Sie mich nicht." Ich legte auf und betrachtete grinsend das Telefon. Auch wenn Daryan mir nach wie vor lieber war, konnte ich nicht leugnen, dass Ema Skye anfing bei mir Sympathiepunkte zu sammeln. Ein paar Stunden später beendete ich endlich die saubere Abschrift des Songentwurfs. Ich betrachtete prüfend mein Werk. Die Melodie war perfekt, definitiv. Allerdings kamen mir Zweifel beim Text auf, insbesondere, was den Titel anging. Ich brauchte eine zweite Meinung, also griff ich zum Handy und schickte eine SMS an Daryan: "Bist du im Präsidium? Ich will dich sofort sehen!" Zum Glück war Daryan ein Schnelltipper, daher musste ich auch nur eine halbe Minute unruhig durch mein Büro tigern. "Gavin, du nervst. Ich bin im Rodex." Keine zehn Minuten später hielt ich mit meinem Bike vor dem Rodex, ein nettes Café mit Dachterasse, nicht weit vom Präsidium. Ganz oben angelangt eilte ich auf seinen Tisch zu und überdeckte das vor ihm liegende Magazin mit dem Songentwurf. "Was hältst du davon? Und sei bitte ehrlich, ja?" Ich nahm Platz und trank einen Schluck von Daryans Orangensaft. "Du weißt, dass ich keine Noten lesen kann", sagte er genervt. Es stimmte: Daryan war ein begnadeter Gitarrist, beherrschte jedes noch so fiese Handling und wenn man einen verdammt guten Loop brauchte, fragte man am besten ihn. Nur verstand er von all dem nichts mehr, sobald es um Noten ging. Meistens übersetzte ich für ihn und Daryan konnte sich ohnehin über das Hören schnell Abfolgen einprägen. "Woah Klav, das ist fucking... süß!" Mit spitzer Zunge las er den Titel vor. "My best friend is the prosecution's witness. My best friend!? Geben wir jetzt Konzerte für Staceys Ponyhof?" Das war typisch Daryan. Nur weil er die Noten nicht entziffern konnte, zog er über den Text her. "Es ist noch ausbaufähig, aber die Melodie rockt. Hör mal!" Ich summte ihm zunächst die Hookline vor und danach seinen Part, obwohl es der Sache vielleicht nicht dienlich war. Mein Bariton klang nun mal eine Spur zu nett für eine Partitur, die Daryan spielen sollte. Ihm schien es zu gefallen, weil er nichts sagte. Ein schweigender Daryan war ein kreativer Daryan, ja? "Hey, wie wär's mit My filthy cock is the prosecution's cock-up. Abgefahren oder? Nein, sag nichts! Hier: My filthy dirty cock is the prosecution's witness. Du weißt, was ich meine. Pump mal ein bisschen mehr Aussage rein. Muss jetzt nicht unbedingt ein Schwanz drinstecken, sonst kommt's noch auf den Index, aber denk mal drüber nach." Ich sah ihn nachdenklich an. "Ein stärkeres Wort, ja?" Daryan hatte vollkommen recht, auch wenn seine lyrische Argumentation für meinen Geschmack zu freimütig klang. Alle meine Songs holten Platin, weil er ein unverbesserliches Gespür für den Markt hatte. Ich wollte alles, nur keine profanen Abgleisungen und Daryan war mein Detektor, das Zünglein an der Waage und die letzte Instanz. Es musste etwas sein, das tiefer ging, da lag er richtig und natürlich sollten die Fräuleins es gern mitsingen wollen. Aus irgendeinem Grund blieb mein Blick an Daryans Handy haften. Wenn man sich die SMS durchlas, die wir uns täglich schickten, könnte man glatt annehmen, dass Daryan und ich verliebte Turteltäubchen seien. Zudem spekulierten die Medien nur allzu gern darüber. Nicht, dass es mich sonderlich kümmerte. Wenn in einem Interview eine Frage diesbezüglich kam, kokettierte ich und gab nichtssagende Antworten wie "Er ist ein sehr wichtiger Mensch in meinem Leben" und schon war die Sache vom Tisch. Natürlich könnte ich alles verneinen, aber dann würden sich die Klatschblätter noch mehr auf dieses Gerücht einschießen und das belastete unsere Freundschaft nur unnötig. Deshalb hatte ich mir angewöhnt, hin und wieder einen Gerüchteknochen hinzuschmeißen, ohne etwas Konkretes zu sagen. "My boyfriend is the prosecution's witness", murmelte ich. "Bwahahahaha! Gavin, du willst sie schon wieder ärgern! Aber das ist nicht übel. Vielleicht könntest du den Text aus Sicht einer Frau schreiben. Wenn du schon wie eine aussiehst, kannst du sicher auch wie eine denken." Ich stützte mein Kinn auf die Hand und sah Daryan schmachtend an. "Soll ich dann von dir schreiben, ja?" Daryan griff nach der Speisekarte und fächelte sich Luft zu. "Oh ja, Baby, schreib über mich. Aber gib's mir richtig, Mann!" Er winkte eine Kellnerin an unseren Tisch. "Okay... Uhm~... ich nehm den Hawaii-Toast hier, das Buhl-", er hielt inne als ob er die Karte nicht verstand, ".. das Fischzeug. Ist ein Eintopf, oder? Ja, dann nehm ich das und noch so 'n Mascarapony mit Zitrone und Zimt." Die Kellnerin wiederholte: "Hawai-Toast, die Boullaibaise und einmal Mascarpone mit Zimt und Zitrone, richtig?" "Und 'ne Coke", fügte Daryan hinzu. "Was darf's bei Ihnen sein?" Ich musste einen schnellen Blick auf die Karte werfen. "Für mich bitte ein Boeuf Miroton und einen Eistee." Ich wartete, bis die Kellnerin sich entfernt hatte. "Was machst du heute Abend?" "Vergiss es, Klav. Ich gehe heute auf Hasenjagd und wenn du dabei bist, wird's nur unnötig kontraproduktiv." "Ich dachte, du hast dich gestern ausgetobt?" Er sah ein wenig beleidigt aus und mein Gefühl sagte mir, dass ich nicht wissen wollte, warum Daryan nicht zum Zug gekommen war. "Ich habe Carl für 19 Uhr ins Manila bestellt. Vielleicht möchtest du uns Gesellschaft leisten." Vermutlich hatte ich gerade ein Feuerwerk in Daryan entfacht, andernfalls hätte er mich nicht so angebrüllt. "Der kann froh sein, dass ich ihn nicht zu Haifutter verarbeitet hab! Der hat gestern minimum zehn Groupies abgefüllt und die Hälfte davon geknallt!" Autsch. "Und die anderen?" Ich wollte meinen Jungs nichts vorschreiben und dennoch bestand ich darauf, dass sie bezüglich ihres Privatlebens diskret vorgingen. "Lenny und Tjark sind abgehauen. Ich hab Ike nach Hause gefahren." Ich musste lachen. Unser süßer Youngster musste einen Kulturschock erlitten haben. "Glaubst du er ist-?" Wie ich es liebte, wenn Daryan sich nicht traute die Dinge beim Namen zu nennen. "Schwul? Wahrscheinlich. Und wir sollten Carl loswerden, bevor er auf die Idee kommt, Ike zu bekehren." Die Kellnerin brachte unsere Getränke. Das ging schnell. "Eistee und Cola, bitte sehr. K-Könnte ich vielleicht ein Autogramm haben?" Sie war vermutlich älter als wir, aber in diesem Moment wirkte sie wie ein beklemmtes Schulmädchen. "Klar, hast du 'nen Stift dabei?" Daryan unterschrieb artig auf ihrem Notizblock und ihrem Handy und ich machte von den beiden ein Foto, nachdem ich ebenfalls meine Autogramme verteilt hatte. Als sie noch ein Foto mit mir wollte, lehnte ich ab. Auf der Dachterrasse schlug mir der Wind um die Ohren: Ich wollte nicht wissen, wie schlimm meine Frisur aussah und außerdem zeichneten sich bei mir Schatten unter den Augen ab. Sie schien enttäuscht zu sein, daher lehnte ich mich nach vorn und raunte mit meiner GavinSexNow©-Stimme: "Ich kann es mir nicht leisten neben einem so schönen Fräulein zu verblassen." Daryan rollte mit Sicherheit schon wieder die Augen, aber ich war noch damit beschäftigt dieses Fotohandy mit einer anzüglichen Geste in ihre geschlossene Hand zu schieben. "Ein anderes Mal, ja?" Ich bekam keine Antwort, aber sie starrte mich an wie das Kaninchen die Schlange und verließ fast rennend die Dachterrasse. "Gavin, du bist widerlich. Die sah nicht mal ansatzweise gut aus." "Wirklich? Dann sollte ich sie mir lieber gleich aus dem Kopf schlagen", entgegnete ich und nahm einen Schluck von meinem Eistee. Ich wollte das Thema wieder auf Carl lenken. "Bezüglich heute Abend-", begann ich, stockte aber, als ich diese Stimmehörte. "Sie.... SIE! Wie können Sie es nur wagen! Weiß Ihr Freund davon? Wie viele haben Sie sich eigentlich noch geangelt?" Dieses Geschrei kam eindeutig von unten. "Was ist da los?", fragte Daryan. Mein Gehör war einfach zu sensibel, als dass ich nicht sofort erkannt hätte, wer da unten zeterte. "Ich denke nicht, dass du das wissen möchtest, ja?" Doch ich konnte Daryan nicht davon abhalten, zur Treppe zu gehen, zumal mir die nächsten Sätze durch das Ohr tanzten: "Ich habe überhaupt keine Ahnung wovon Sie sprechen oder was Sie von mir wollen, aber ich möchte Sie bitten, jetzt schleunigst zu verschwinden. Ich befinde mich nämlich in einer dienstlichen Besprechung!" "Dass ich nicht lache! Sie wissen genau wovon ich rede! Wenn Ihr Freund davon erfährt! Es wird dem armen Mann das Herz brechen! Wie können Sie nur so kaltblütig sein! Lassen Sie bloß die Finger von meinem Edgey-Poo, Sie unreifes Früchtchen!" Ich sah zu Daryan, der es sich auf dem Treppenabsatz bequem gemacht hatte um das Schauspiel zu bewundern. "Bwahahahahaha! Gavin, komm her. Das musst du dir ansehen. Da streiten sich zwei Frutten um 'nen Typ. So 'ne Kitteltussi und 'ne alte Schabracke. Boah, das sind keine Falten mehr, sondern Schluchten. Bwahahahahaha! Der Typ hat echt Nerven!" Ich wollte meinem besten Freund zurufen, dass es mich überhaupt nicht interessierte, als die Ereignisse sich überschlugen: Zuerst betrat ein sonderbar gekleideter Mann die Dachterrase, im nächsten Moment folgte ihm eine junge Frau. Nicht irgendeine, sondern mein Fräulein Detective höchstpersönlich. "Mr. Gavin?!" Ich war mindestens genau so überrumpelt. Und als ob das nicht genug wäre, musste ich mit ansehen, wie eine aufgebrachte Mrs. Oldbag Daryan beiseite stieß um die Terrasse schneller zu betreten. "Aus dem Weg!", rief sie und sobald sie mich erblickt hatte, ging sie auf mich zu. "Sie Armer!" Ich lief impulsiv rückwärts. Das hier war die versteckte Kamera, oder? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)