All Your Other Ways von -Moonshine- ================================================================================ Prolog: - Prolog - ------------------ Elizabeth Winston bog in die Einfahrt ihres Elternhauses in North Collingham, Dyke’s End, ein. Aber sie war nicht allein. Und sie saß auch nicht am Steuer des ominösen Fahrzeuges. Ihr Begleiter war ein junger Mann, der - so war ihr Vater, der erbost aus dem Fenster linste, der Meinung -, viel zu alt für sie war. Auch das Aussehen des Mannes gefiel ihm ganz und gar nicht. Er war durch und durch in schwarz gehüllt, trug enge Lederhosen und eine draufgängerische Lederjacke, darunter blitze eine Kette. George Winston wusste nicht, ob er es schlimmer finden sollte, dass so ein alter Typ seine sechzehnjährige Tochter auf einem Motorrad umherkutschierte und tatsächlich noch die Dreistigkeit besaß, hier, auf seinem Grund und Boden, aufzutauchen, oder dass beide keinen Helm trugen, als sie mit einer Affengeschwindigkeit in die Auffahrt gebogen waren. Er ließ den Vorhang wieder sinken und drehte sich mit verkniffenem Gesichtsausdruck zu seiner Frau um. Beth Winston war zumeist eine verständnisvolle Frau, die die Launen ihrer Kinder zu kontrollieren und zu ertragen wusste. Aber bei Liz, ihrer zweitältesten, war auch sie ratlos. Das Kind schlug gar nicht nach ihr, oder ihrem Mann, oder sonst jemanden, den sie kannte. Das Mädchen war störrisch und hatte ihre ganz eigenen Ansichten. Und selbst das hätte Beth verkraften können, wenn hinter all dem mehr Sinn gesteckt hätte, als nur Liz's enorme Vorliebe, ihre Eltern und alle um sie herum zu schockieren. Auch sie hatte einen Blick auf den jungen Mann erhaschen können, aber noch viel mehr hatte sie von ihm gehört. Mit drei Töchtern in einem Haus blieb selten ein Geheimnis verborgen. Jason hieß er, war sechs Jahre älter und hatte ein Tattoo, das an seiner Wirbelsäule entlang lief, und einen Ohrring im Ohr. Bei dem Gedanken daran überkam Beth ein Schaudern. Wenn Liz sich mit solchen Leuten abgab, konnte sie gar nicht mehr aufhören, sich Sorgen um ihre Tochter zu machen. Was würde nur aus ihr werden? Beth drehte sich vom Fenster weg und griff in das obere Regal eines der Küchenschränke. Da, wo sie den Scotch für die Notfälle und die Nerven aufbewahrte. Bei dem, was mit Sicherheit nun folgen würde, brauchte sie ihn. Liz hingegen war das vollkommen egal. Im Gegenteil - sie genoss die Aufmerksamkeit, die ihr Auftritt mit sich brachte. Aus den Augenwinkeln sah sie ihren Vater am Fenster stehen, und bestimmt war er nicht erfreut. Heimlich lachte sie sich ins Fäustchen, denn nichts machte ihr mehr Spaß, als ihren Eltern hin und wieder vor Augen zu führen, dass es da draußen auch eine andere Welt gab, andere, verschiedene Menschen, die andere Talente, Interessen und Fähigkeiten hatten. Die anders aussahen und andere Leben führten, und nicht immer nur in dem gleichen Einerlei von Familie, Kinder und Hund lebten. Jegliche Abweichung von diesem Schema war für ihre Eltern eine mittelgroße Katastrophe, aber, so dachte zumindest Liz, auch sie mussten irgendwann verstehen, dass es dort draußen noch etwas Anderes gab. Etwas Größeres. Und sie würde danach streben. Sie verabschiedete sich von Jason und ließ sich von ihm küssen, sich wohl bewusst, dass ihre Eltern das ganze geschockt durch das Fenster beobachteten. In Erwartung auf das Kommende schlenderte sie betont langsam zur Haustür, während Jason hinter ihr seine Maschine aufheulen ließ, noch mal hupte und dann mit Volltempo davonraste, nur noch eine Abgaswolke hinterließ, die für einige kurze Sekunden in der Luft der sonst so beschaulichen, ruhigen Nachbarschaft waberte. Sie winkte dem Nachbarsjungen Gabriel zu, der auf den Stufen seines Elternhauses saß und mit großen, geweiteten Augen dem rotlackierten, glänzenden Motorrad hinterher starrte. Liz öffnete die Tür. Es war bereits Sonntagabend und am nächsten Tag war Schule. Das Abendessen hatte sie verpasst, aber das war keine große Sache, zumindest nicht für sie. Vom Flur aus konnte sie in die Küche und in das Wohnzimmer spähen. Danny, neun Jahre alt und der jüngste ihrer Geschwister, saß im Schlafanzug und mit zerzaustem, feuchtem Haar im Schneidersitz auf dem Boden und starrte fasziniert den Fernseher an. In der Küche hörte Liz ihre Eltern laut flüsternd miteinander diskutieren. Sie dachte kurz darüber nach, ob sie nicht einfach nach oben in ihr Zimmer verschwinden sollte, aber dann trat sie doch in den Raum, um ihre Eltern zu begrüßen. "Hi Mum, Dad." "Du kommst zu spät", polterte George sofort los, wie erwartet. "Und du wirst diesen Kerl nie wieder sehen. Wie alt ist er?! 30?" Beth schüttelte den Kopf. Sie und ihr Mann hatten die Schlacht schon verloren, das wusste sie. Hätte sie doch bloß die Sache selbst in die Hand genommen... Liz setzte ihren trotzigen Gesichtsausdruck auf, wie Beth und George ihn schon tausendfach gesehen hatte. "Er ist 22, Dad. Und du kannst mir nicht vorschreiben, mit wem ich befreundet zu sein habe." "Du bist sechszehn! Und ob ich es dir vorschreiben kann!", rief ihr Vater erbost und sah aus, als hätte er gerne mit der Faust auf den Tisch gehauen. Aber so etwas machte er nie und würde damit auch heute nicht anfangen. Genervt drehte Liz sich um und stieg die Treppe hoch, die zu ihrem Zimmer führte. Aber da wollte sie nicht hin, sondern zu Judy, ihrer nur zwei Jahre älteren Schwester und zugleich bester Freundin. Das dröhnende „Wir sprechen uns noch!“ ignorierte sie gekonnt. Als sie an Katie's Zimmer vorbeikam, riskierte sie einen Blick hinein. Ihre jüngste Schwester lag im Bett, die Nase in einem Buch verborgen. Sie sah müde aus und hatte einen rosa Schlafanzug an, das Haar war zu einem losen Pferdeschwanz zusammengebunden. "Gute Nacht, Kate." Katie schaute auf und lächelte. "Gute Nacht. Hast du Dad wieder verärgert?" Liz musste lachen. "Ein bisschen. Er kriegt sich schon wieder ein." Judy wartete in ihrem Zimmer auf sie und begrüßte sie mit einem gequälten Lächeln. "Musste das sein?", wollte sie seufzend wissen. "Du weißt doch genau, wie sehr Mum und Dad sich über so was aufregen." Liz zuckte mit den Schultern. Obwohl Judy verantwortungsvoll, anständig und pflichtbewusst war - also alles Eigenschaften, die Liz an ihren Eltern und den meisten anderen Spießern missfielen -, verstand sie sich mit ihr außerordentlich gut. Es machte ihr nichts aus, dass Judy von einem Ehemann und Kindern träumte und dass sie in zwei Jahren, wenn sie ihre A-Level-Prüfungen absolviert hatte, Rechtswissenschaften studieren wollte. Das wohl langweiligste Studienfach in der Geschichte der Menschheit. Schon das Wort - Rechtwissenschaften - ließ Liz beinahe einschlafen. "Das ist nicht meine Schuld. Sie müssen akzeptieren, dass ich ein Recht auf mein eigenes Leben habe." "Du hattest nicht mal einen Helm auf", warf Judy besorgt ein. "So was ist ganz schön gefährlich." Liz rollte mit den Augen. "Gefährlich ist mein zweiter Vorname, Jude." Sie grinste. "Wer nichts wagt, der nicht gewinnt..." "Quatsch. Wer nichts wagt, der seinen Kopf nicht verliert." "Der war schlecht", erwiderte Liz trocken. Judy blieb allerdings ernst. "Lohnt es sich überhaupt?" Sie öffnete eine Schublade und nahm sich ihre Haarbürste heraus, fing an, sich die Haare zu bürsten. Judy hatte dieses dichte, braune Haar, das immer genau so fiel, wie sie es gerade brauchte. "Wie meinst du das?" "Na dieser ganze Ärger mit Mum und Dad wegen Jason. Liebst du ihn etwa?" Liz fing schallend an zu lachen. "Machst du Witze? Ich kenn ihn doch kaum." Judy schüttelte fassungslos den Kopf. "Ich versteh dich nicht." "Macht nichts. Hauptsache ich versteh mich." Kapitel 1: - Liz - ------------------ "Ich hasse es hier", murmelte Liz wütend, als sie sich wieder an ihren Arbeitsplatz sinken ließ. Sie träumte von einem großen Büro, mit genug Platz unter dem Tisch, um die Beine auszustrecken, und Wänden, die hoch genug waren, dass nicht jeder einfach seinen Kopf in ihre Angelegenheiten stecken konnte - wortwörtlich. Kurz gesagt: Sie träumte von einem Büro. Sie träumte auch von Aufträgen. Richtigen Aufträgen. Nicht diesen "Was hat die Queen heute zum Frühstück gegessen"-Artikeln, die keinen interessierten, nicht einmal die Queen selber. Keine Klatschartikel mehr, keine Interviews mit irgendwelchen vollkommen unbekannten C-Promis. Etwas Politisches vielleicht, obwohl die Politik sie eher langweilte. Aber sie war lernfähig. Etwas Wirtschaftliches, etwas Sinnvolles. Ja, etwas Sinnvolles, das wollte sie schreiben. Aber jeder Anfang war schwer, und vorerst musste sie sich mit dem zufrieden geben, was sie hier hatte. Obwohl das nicht immer einfach war, vor allem an Tagen wie diesen, wenn ihre immer missgelaunte, chronisch untervögelte Chefin sie wieder in ihr Büro – ein richtiges Büro übrigens - zitierte. Rob's Kopf erschien über der Paraventwand und er grinste. "Na? Was hat dir die alte Hexe wieder aufgebrummt?" Er kam herum und schob seinen Hintern auf die Eckkante von Liz's Tisch, der - instabil, wie er war -, ganz schön darunter zu leiden hatte. Aber Liz sagte nichts. "Ach, frag nicht", winkte sie missmutig ab. "Es ist immer dasselbe. Kein Wunder, dass die Verkaufszahlen in den Keller sinken, wenn wir immer so einen Schrott herausbringen. Niemand interessiert sich dafür, ob die Innenarchitektin von Macy Hills auf ihrer Hochzeit ein Stelldichein mit Macy’s Vater hatte oder nicht. Wo gräbt die alte Hexe diese Geschichten bloß aus?!" Rob runzelte die Stirn. "Wer ist Macy Hills?" Liz schnappte sich ihre Computermaus und klickte demonstrativ Google an. "Das", erklärte sie, "werden wir gleich herausfinden." "Hey." Rob richtete sich wieder auf und kratzte sich am Hinterkopf, als ein paar Bilder von einer rothaarigen, pummeligen Frau in den Dreißigern auf dem Monitor erschienen. "Hast du vielleicht Lust... also wir gehen heut Abend noch weg, Alex, Brooke, die ganze Bande. Ich dachte mir, vielleicht hast du ja Lust, mitzukommen." Liz seufzte innerlich. Rob gab nie auf. Sie wusste, dass er ein wenig verknallt in sie war, und er war ein netter Kerl, aber einfach nicht ihr Typ. Ohne von ihrer Recherche aufzublicken, runzelte sie die Stirn und schüttelte den Kopf. "Das ist lieb von dir, aber ich hab heute Abend eine feste Verabredung." "Oh." Rob klang so enttäuscht, dass sie sich gezwungen sah, die ganze Sache aufzuklären: "Ja, mit meiner Couch und einer DVD. Welche die glückliche sein wird, weiß ich allerdings noch nicht." "Oh, ach so", beeilte sich ihr Kollege eilig zu sagen und seine vorangegangene Enttäuschung zu überspielen, die ihm peinlich schien. "Du willst 'nen ruhigen Abend verbringen, verstehe. Na ja. Okay. Dann nächstes Mal, oder?" Liz nickte unverbindlich. "Ja, vielleicht." Rob zog endlich ab und nach einigen Klicks war sich Liz auch endlich über die Identität dieser ominösen Macy Hills bewusst. Irgendeine unbedeutende Tochter eines unbedeutenden alten Knackers, der in der Automobilbranche tätig war, einen Haufen Geld besaß und seine Frauen öfter wechselte als seine Unterwäsche. Zumindest war das der Ruf, der ihm anhaftete. Liz wusste, dass Menschen Bösewichte brauchten. Leute, denen sie die Schuld für das "Verkommen" der Gesellschaft geben konnten, um sich nicht selbst dafür verantwortlich zu fühlen, sich insgeheim aber wünschten, genauso zu sein, aus ihrem Leben ausbrechen und entkommen zu können. Normalerweise waren das die frustrierten Hausfrauen, und es überraschte niemanden, dass gerade sie die Hauptabnehmer dieses unspektakulären Klatschblättchens namens „London Talk“ waren, für das Liz arbeitete. Es war nicht Liz’s Traumberuf, ganz und gar nicht, zumindest nicht in dieser Form. Aber nach der Uni musste man nehmen, was man kriegen konnte. Irgendwann würde sie für die Times schreiben und eine richtige Journalistin sein - bis dahin musste sie eben das Beste aus ihrer Situation machen. Und sie verdiente hier genug Geld, dass sie sich eine Wohnung, Nahrungsmittel und Kleidung kaufen konnte, für's erste genügte das also. Liz warf einen Blick auf die Uhr und beschloss, für heute Schluss zu machen. Sie packte ihre Sachen zusammen, stopfe ihre Ausdrücke über die noch unbekannte Macy Hills in die Tasche und holte sich am Automaten einen heißen Kaffee im Pappbecher. Während sie pustete, merkte sie, wie in ihrer Hosentasche der Vibrationsalarm ihres Handys anging. Als sie es herausholte, erblickte sie auf dem Display Mel's Nummer. "Hey Mel. Was gibt's?" Melanie war ihre beste Freundin - zumindest die beste, nicht mit ihr verwandte Freundin -, und sie kannten sich schon seit Kindertagen. Sie waren nach der Schule auch zusammen nach London gezogen und hatten sich ein Zimmer im Wohnheim geteilt. Mel arbeitete jetzt für ein kleines IT-Unternehmen, wo sie dauernd irgendwelche Statistiken aufstellen und auswerten musste, und sie waren noch immer ein Herz und eine Seele. "Heute Flyfishers's?", kam es aus dem Hörer. Im Hintergrund hörte Liz Mel eifrig in die Tasten hauen. Anscheinend tippte sie gerade etwas. "Was ist denn Flyfisher's?", hakte Liz nach, balancierte mitsamt Tasche, Handy und Kaffee vorsichtig an einem Menschenstau vorbei, der sich gebildet hatte, weil nicht genügend Leute gleichzeitig durch die kleine Glastür hindurchpassten, die in das Gebäude hineinführte. Mel hörte auf zu tippen. "Eine neue Bar. Ein Freund hat mich eingeladen, der dort den Barkeeper macht. Da spielt heute irgendeine neue Band und die soll ich mir unbedingt anhören. Da dachte ich, nehme ich dich einfach mit. Du stehst doch so auf diese unbekannten, kleinen Fische." Sie lachte über ihren Wortwitz, die Anspielung auf den Clubnamen. Liz lächelte müde und gab sich dann geschlagen. Ausgehen war immerhin wirklich besser, als den Abend alleine zu Hause zu verbringen – wobei das natürlich auch auf die Musik ankam. Aber sie vertraute Mel in dieser Hinsicht. "Okay, ich komme mit. Aber ich bleibe nicht lange. Die alte Hexe hat mir wieder einen mordsspannenden Artikel aufgehalst, von dem Schock muss ich mich erst mal erholen und zehn Stunden Schlaf tanken." "Ah, die alte Hexe schon wieder." Liz konnte hören, wie Mel schmunzelte. "Schubs sie endlich in den Ofen und übernimm ihren Job, Gretel. Alle würden es dir danken." Sie trat hinaus auf die Straßen von London, Haymarket, um genauer zu sein, und atmete die frische Winterluft ein. Dieser Jahreszeit hatte London seinen verregnete Ruf zu verdanken, denn statt Schnee und Eis brachte der Winter zumeist nur Regen und Hagel über die Stadt, also herrschten von November bis etwa März ziemlich feuchte Temperaturen. Auch jetzt waren die Straßen nass und der Himmel bewölkt. "Da hast du recht", pflichtete sie ihrer Freundin bei. "Vielleicht mach ich das bald. Oder ich kündige..." "Dafür musst du erst mal etwas Neues gefunden haben", informierte Melanie sie pflichtbewusst, wie immer. "Aber um auf Flyfisher's zurückzukommen... das ist ganz in der Nähe vom Grosvenor Square. In der Brook Street. Das findest du bestimmt." "Ach." Liz war amüsieret. "In Mayfair, echt? Dieser noblen Gegend?" Mel raschelte mit Papieren. "Yep. Mayfair. Aber mit noblen Gegenden kennst du dich ja aus. Bist du nicht dauernd da irgendwo unterwegs? Ach warte - du wohnst ja auch in einer!" Liz machte sich auf den Weg zu der U-Bahn-Station Piccadilly Circus. Von da aus waren es nur drei Haltestellen und ein paar wenige Minuten bis zu ihrem Zuhause im Stadtteil Kensington. Sie liebte es dort. Die herrlichen Altbauten, die sich dort befanden, waren wirklich noch gut in Schuss und sahen einfach nur atemberaubend aus. Sie fühlte sich immer reich und mächtig, wenn sie in das vierstöckige Gebäude im Terakotta-Farbton hineinspazierte, in dem sie wohnte. Die Eingangstür wurde von einem großzügigen Rundbogen umrahmt und befand sich direkt in der Mitte des Hauses. Über ihr thronte eine prächtige Balkonzeile, behangen mit wunderschönen, immergrünen Pflanzen, die darauf schließen ließen, dass jemand sich wirklich gut um sie kümmerte. In den restlichen Stockwerken waren ebenso links und rechts über dem großen Balkon kleinere angebracht, wurden jedoch von einem Fenster unterbrochen, doch auch sie waren hübsch bepflanzt. Die Fenster waren groß und freundlich, verziert mit allerlei hübschen Schnörkeleien. Liz wusste, dass das ziemlich kitschig war, aber sie fühlte sich immer um hundert Jahre zurückversetzt, wenn sie davor stand. Was sie niemals ihrer Schwester Kate erzählen dürfte, die mittlerweile neunzehn war und in Nottingham studierte, da die sie bestimmt über die verschiedenen Baustile und die englische Architektur der vergangenen Jahrhunderte aufklären wollen würde. Und das konnte Stunden dauern! "Aber nur wegen Dad. Er hat seine Beziehungen spielen lassen." "Ja, ja. Die Geschichte kenne ich. Und dafür hast du ihm versprechen müssen, nie wieder irgendeinen gruseligen Kerl mit schwarzgeschminkten Augen mit nach Hause zu schleppen, wenn es nicht gerade Halloween ist", vollendete Mel lächelnd den Satz. Liz grinste und wich einem Wasserschwall aus, der von einem durch eine Pfütze fahrenden Bus erzeugt worden war, während sie mit anderen Passanten darauf wartete, dass die Ampel grün wurde. "Nein, nicht einmal zu Halloween. Das hat er ausdrücklich gesagt." "Der hat ja nicht besonders viel Vertrauen zu dir. Und ich muss sagen - zu Recht." "Ich weiß. Ich war ein furchtbares Kind." "Das bist du immer noch", widersprach Mel halb im Scherz. Liz seufzte theatralisch. "Ich weiß. Aber ich bring wenigstens keine schwarzgeschminkten Typen mehr mit nach Hause." Eine ältere Frau warf Liz einen skeptischen Blick zu und entfernte sich dezent ein paar Zentimeter von ihr. "Weil du jetzt ein bisschen mehr Geschmack hast, vermutlich." "Oder weil ich mein Make-Up nicht mit einem Kerl teilen will", witzelte Liz herum und merkte, wie zwei halbwüchsige Mädels, die ziemlich stark geschminkt waren, sie anstarrten. "Das ist immerhin nicht billig." "Da sagst du was. Also. Bis heute Abend. Ich muss noch ein paar Statistiken killen. Um neun dort." Liz nickte, obwohl Mel das nicht sehen konnte. "Ja, bis dann." Sie legte auf, als die Ampel auf grün umsprang, und machte sich sogleich auf den Weg zur U-Bahn-Station, die auf der anderen Straßenseite des ziemlich viel befahrenen Piccadilly Circus lag. Bis man hier irgendwann durchkam, konnten Stunden vergehen. Liz war froh, dass sie ihren alten Spider Fastback zu Hause in seiner Parklücke gelassen hatte. In London verbrauchte man mehr Sprit beim Warten an Kreuzungen und Ampeln als beim tatsächlichen Fahren, und mit der U-Bahn war sie meist sowieso schneller am Ziel. Sie benutzte ihren heißgeliebten roten Flitzer eigentlich nur, wenn sie aus der Stadt rausfuhr, zu einem Auftrag oder nach Hause, zu ihren Eltern, ins 130 Meilen und fast drei Stunden entfernte North Collingham, wo sie sich hin und wieder zurückzog, um entweder ihre Eltern und ihre mittlerweile verheiratete Schwester Judy zu besuchen oder um anständige Nahrung in Mund und Magen zu bekommen. In so einer schnelllebigen Großstadt wie London war es als junger Mensch ein Kunststück, wenn man die Küche, die sich nur als Dekoration in jedem Haus befand, auch tatsächlich zum Kochen benutzte. Fast Food und Lieferservice waren unkomplizierter und schneller. Auch morgen früh würde sie sich wieder auf den Weg nach Hause machen, da ihre beiden Schwestern ebenfalls in ihr Elternhaus einkehren würden. Liz freute sich schon auf diese kleine Familienversammlung. Seitdem sie in London wohnte, sah sie ihre Geschwister viel zu selten, obwohl sie das ihnen gegenüber natürlich niemals zugeben würde. Kapitel 2: - John - ------------------- John streckte seine Beine aus und reckte sich. Erst jetzt merkte er, wie müde er war. Seit Stunden schon suchte er in der internen Datenbank und zusätzlich im Internet nach einem geeigneten Präzedenzfall für sein aktuelles Problem. Um genauer zu sein war es nicht sein Problem, aber er war derjenige, der es für seine Kundin lösen sollte. Es war sein Job als Rechtsanwalt, Probleme zu lösen. Spezialisiert auf Familien- und Erbrecht waren seine Fälle oftmals eine harte Nuss, selbst für ihn, und nicht immer war es einfach, für seine Mandanten so lebenseinschneidende Entscheidungen zu treffen. Seine Assistentin war schon längst nach Hause gegangen, draußen war es bereits dunkel, und als John auf die Uhr schaute, erschrak er. Sie zeigte schon nach acht Uhr abends an. Er erhob sich von seinem Stuhl und glaubte zu hören, wie all seine Knochen und Gelenke knackten. Wie lange hatte er hier gesessen? Stunden? Es kam ihm vor wie Tage. Höchste Zeit, nach Hause zu gehen. Als er durch die Gänge des Gebäudes ging, bemerkte er, dass in den Büros kein einziges Licht mehr brannte. Nur eine Putzfrau, die er - er musste es zu seiner Schande zugeben -, schon mit Namen kannte, lächelte ihm mitleidig zu, als er ihr winkte. "Verdammt noch mal, John", murmelte er zu sich selbst. "Du musst endlich aufhören, so viel zu arbeiten... das ist nicht normal. Und", fügte er noch kopfschüttelnd hinzu, als ihm bewusst wurde, dass er mit sich selbst redete, "jetzt führst du auch noch Selbstgespräche." Er fuhr mit dem Aufzug nach unten und stellte erleichtert fest, dass das Licht im Foyer noch brannte, aber die Empfangsdame - Kylie -, packte schon ihre Tasche zusammen. Er kam in just dem Augenblick aus dem Lift, in dem sie sich ihren Lippenstift nachzog. Erschrocken ließ sie ihn aus der Hand fallen, als sich die Aufzugtüren öffneten, und wurde dann leicht rot. "Oh, Mr. Davies. Sie haben mich erschreckt." Sie kicherte verlegen. "Was machen Sie noch hier? Ich wusste nicht, dass noch jemand da ist." John schenkte ihr ein freundliches Lächeln, aber ihre Worte nagten an ihm. War er wirklich so ein Workaholic? Sie musste ja glauben, dass er keinerlei Privatleben hatte. "Tut mir leid. Ich hab ein wenig die Zeit vergessen, scheint mir. Gehen Sie heute noch aus?" Geh nach Hause und halt doch nicht unnötig mit Small Talk auf, sagte er sich, aber er konnte nicht anders. Sie nickte erfreut und verschwand hinter ihrer Empfangstheke, um den Lippenstift vom Boden aufzuheben, tauchte gleich darauf aber schon wieder auf. "Ja. Mein Freund und ich feiern Einjähriges." "Oh. Na dann, alles Gute für Sie." Er nickte ihr zu und kehrte Kylie den Rücken. "Bis Montag, Mr. Davies!", rief sie ihm gutgelaunt hinterher. Am Kaffeeautomaten blieb John dann doch stehen und überlegte, ob er sich einen Kaffee leisten sollte, entschied sich dann dafür, denn er hatte einen langen Tag gehabt und es verdient, befand er. Er würde sich ein Taxi nach Hause rufen, ebenfalls als Belohnung - außerdem war er damit schneller -, und die U-Bahn heute einfach links liegen lassen. Ihm war bewusst, dass er seinen Kaffee immer mit viel zu viel Zucker trank, aber so schmeckte er ihm am besten. Seine Mutter sagte immer, er würde noch mal irgendwann einen Zuckerschock erleiden, aber bis es soweit war, würde sein Kaffee weiterhin zu 50 Prozent aus der weißen, süßen Masse bestehen. Sein Mobiltelefon klingelte, als er auf das Außengelände trat, und während er in seiner Tasche herumkramte und es suchte, da es irgendwo in den Tiefen derselben verschwunden war, schwappte die braune Flüssigkeit über den Becherrand auf seinen Anzug. "Mist", schimpfte er und wischte sich mit seinem Ärmel über das kaffeebefleckte Jackett, was das Ganze auch nicht besser machte. Sein Handy klingelte munter weiter, doch erst, nachdem er seine Tasche und den Kaffee auf dem Boden abgestellt und sie gründlich durchsucht hatte, konnte er es ans Tageslicht befördern. Die Passanten warfen dem auf dem Asphalt hockenden Mann neugierige Blicke zu, doch John beachtete sie gar nicht. Konzentriert drückte er auf die Annahme-Taste. "Hallo?" "Hallo John. Dad hier." Mist. Wieso schaute er nie auf's Display? Das musste er sich dringend angewöhnen, dann blieben ihm Überraschungen wie diese hier in Zukunft erspart. "Hallo Dad..." Er bemühte sich, seine Stimme nicht allzu gequält klingen zu lassen. Fakt war einfach, dass er und sein Vater keinen allzu guten Draht zueinander hatten. Früher war das einmal anders gewesen, aber nachdem Mr. Davies senior seine Frau mitsamt Kindern verlassen und sich eine neue Frau und Familie gesucht hatte, war die Leitung zwischen ihnen irgendwie gestört. John wusste, dass das auch an ihm lag, aber er konnte die Distanz, die sein Vater und er geschaffen hatten, einfach nicht überbrücken. Noch immer nahm er ihm sein Weggehen übel und über die Jahre hinweg hatten sie sich einfach auseinandergelebt. "John, ich will dich nicht stören. Ich wollte nur fragen, ob du zu unserer Hochzeitstagsfeier kommst? Caroline würde sich sehr freuen und deine Geschwister wollen dich auch mal wieder sehen." Meine HALBgeschwister, sagte John sich in Gedanken, sprach es aber nicht laut aus. Und dann fragte er sich: Und was willst DU, Dad? Caroline war die neue Frau seines Vater - oder nicht mehr neu, sondern vielmehr schon fünfzehn Jahre lang. Sie hatten zwei Kinder: Oliver und Kea, fünfzehn und neun Jahre alt. John fühlte keinerlei Verbindung zu seinen Halbgeschwistern, und er hatte ja auch schon einen Bruder, und der reichte ihm. Mit Phil war sein Geschwisterbedarf für immer gedeckt. "Wann ist die doch gleich?", hakte er kleinlaut nach. Er wusste, was sein Vater jetzt dachte. Dass ihm nicht einmal so etwas wichtig genug war. Und ja. Sein Vater hatte damit vollkommen recht. Eine Weile war es still am anderen Ende der Leitung. Als Mr. Davies senior wieder sprach, klang er so, als müsste er die Zähne zusammenpressen, um nicht laut zu werden. "Morgen." Ups. Nicht gut. John grinste verlegen vor sich hin. "Oh, Dad. Sorry, aber ich werd's nicht schaffen. Ich habe..." Er durchforstete sein Gehirn im Schnelldurchlauf nach einem guten Grund. "... so einen Fall. Geht um eine Frau, die Unterhalt für ihren Mann zahlen muss, obwohl er sie geschlagen hat und-" "Ja, ja", winkte sein Vater ungeduldig ab. Er hasste solche Geschichten. Er hatte gewollt, dass John Arzt wurde. Anwalt war für ihn ein "Rechtsverdreher", der von den Armen nahm und den Reichen gab. Der Anti-Robin-Hood der neuen Generation also. John beglückwünschte sich zu seinem Erfolg. "Du siehst... ich muss das ganze Wochenende arbeiten. Und dabei wäre ich wirklich so gerne gekommen..." Okay. Übertreib es nicht, warnte er sich und entschied, dass es jetzt besser war, die Klappe zu halten. "Na ja, wenigstens kommt Phil", brummte sein Vater missmutig und John fühlte, wie ihn das ein wenig kränkte. Er wusste nicht, woran es lag. Dass sein Bruder einen besseren Draht zu ihrem Dad hatte als er oder dass sein Bruder ihrem Dad, dem Verräter - wie John ihn seit seinem zwölften Lebensjahr insgeheim nannte -, gar nicht übel nahm, dass er ihre Familie so jämmerlich im Stich gelassen hatte. Ihre Mutter hatte seitdem nie wieder geheiratet, und dass es einen anderen Mann in ihrem Leben gegeben hätte, davon wusste John auch nichts. "Ja. Gut für euch...", murmelte er leise und besann sich dann eines Besseres. "Ich muss jetzt nach Hause, Dad. Viel Spaß morgen." "Du bist noch auf der Arbeit? Mein Gott", regte sein Vater sich auf, "hab ich einen Workaholic großgezogen oder was?" John runzelte verärgert die Stirn. DU hast mich gar nicht großgezogen, Dad. Das hätte er zumindest gerne gesagt. Aber er tat es nicht. In diesem Moment ertönte das Anklopfzeichen, das einen anderen Anruf auf seinem Handy ankündigte. "Oh, Dad. Da ruft grad jemand an, sorry. Wir reden wann anders weiter. Bis dann!" Erleichtert nahm er das andere Gespräch an. Wer immer es war, es konnte nicht schlimmer sein als mit seinem Dad zu telefonieren. "Wieso dauert das so lange, bis du abnimmst?", beschwerte sich sofort eine Männerstimme. Luke. Ein guter Freund, den John in der Universität kennen gelernt hatte. "Ich hab schon angefangen, Wurzeln zu schlagen." "Mein Dad war grad dran", erklärte er. "Was gibt es denn so Wichtiges?" "Lucky and the Lukes haben heute ihren ersten Auftritt - du musst dir das reinziehen." John lachte schnaubend. "Das ist ein schrecklicher Name." "Ach, vergiss den Namen! Es geht um die Musik. Irgendwie muss man sich ja nennen. Also, kommst du jetzt?" Eigentlich wollte John verneinen, aber dann hörte er sich selbst etwas Anderes sagen. "Wo ist das?" Luke lachte. Er war sich seiner Sache schon sicher. "Im Flyfisher's. Mayfair, Brooke Street. Komm einfach dahin. Der Gig ist um neun." John kratzte sich am Hinterkopf und gähnte. Ihm fiel wieder ein, wie müde er war. "Ich weiß nicht. Eigentlich will ich nach Hause und schlafen." "Sei kein Softie. Es ist gerade mal nach acht, bist du 'ne alte Lady oder was?" Er rollte die Augen. Luke glaubte immer, es wären seine anstachelnden Provokationen, die die Leute dazu bewegten, alles zu tun, was er wollte, aber im Grund hatte John jetzt einfach nicht mehr die Nerven, noch großartigen zu diskutieren. Es war einfacher zuzustimmen und sich frühzeitig zu verdrücken. Er konnte sich vielleicht einen oder zwei Songs anhören und sich dann immer noch ein Taxi nach Hause rufen. "Okay. Ich bin da." "Klasse. Sag du gehörst zur Crew und komm direkt nach hinten durch, ich geb dir ein Bier aus." John lachte. "Okay. Bis gleich." Als er aufgelegt hatte, fiel ihm wieder ein, dass seine Anzugjacke und sein Ärmel Kaffeeflecken aufwiesen. Er wünschte sich, sofort nach Hause zu fahren, zu duschen und zu schlafen. Aber jetzt war es zu spät. Erschöpft zog er das Jackett aus und lockerte die Krawatte. Sein weißes Hemd war sauber und er musste nun gut aufpassen, dass er es nicht ebenfalls mit Kaffee bekleckerte. Die mittlerweile erkaltete Flüssigkeit stürzte er mit nur wenigen Schlücken hinunter, sodass sie ihm nicht mehr zur Gefahr werden konnte, und machte sich dann, nur in einem kurzärmeligen Hemd, durch den rauen Februarwind schicksalsergeben auf den Weg zum "Flyfisher's". Kapitel 3: - Liz - ------------------ Liz nippte an ihrem Long Island Ice Tea. Eigentlich mochte sie diesen Cocktail nicht, aber der Barkeeper, der anscheinend ein guter Bekannter von Mel war, hatte, kaum dass er sie und Mel erblickte, einfach ein paar der Cocktails gemixt und sie auf Kosten des Hauses an die Mädels verschenkt. Laute Rockmusik dröhnte aus den Lautsprechern der schummrigen Bar und es war schwer möglich, sich in normaler Lautstärke zu unterhalten. Das Flyfisher's war ein neu eröffneter Club, der eher einer Bar glich. Früher war es eine Art Spelunke gewesen, hatte Liz zumindest gehört, doch nach der Renovierung sah hier alles ein bisschen edler und neuer aus. Es passte zu dem Stadtteil Mayfair, wo alles etwas besser war als beim Rest der Welt. Die dominierende Farbe war schwarz, ein paar weiße Akzente sorgten für Kontraste. Die Theke der Bar war glatt poliert und glänzte, genauso wie die Tische, die vereinzelt im hinteren Teil des Clubs herumstanden. Es gab eine große Tanzfläche, direkt vor der kleinen Bühne, und links davon befand sich die Theke, an der sich Liz und Mel aufhielten. Mel unterhielt sich über die Musik hinweg laut schreiend mit ihrem Bekannten, Liz lehnte am Barhocker und beobachtete die Leute, dabei wippte sie im Takt der Musik mit dem Fuß. Bunte Lichter blitzen auf, aber so richtig wollte keine Stimmung aufkommen. Niemand tanzte, alle standen nur herum, tranken etwas oder starrten stumm in die Gegend, weil ein Gespräch bei dieser Lautstärke viel zu anstrengend wäre. Alle warteten wohl auf die Band, genauso wie Liz. Als sie den Namen erfahren hatte - "Lucky and the Lukes" - hatte sie gequält das Gesicht verzogen. Sie lehnte sich zu Mel herüber. "Bei diesem Namen müssen die aber verdammt gut sein, um das zu kompensieren." Mel lachte. "Sind sie auch. Der Name ist hoffentlich nur provisorisch." "Es sind drei", mischte sich nun auch der Barkeeper mit seiner dröhnenden Stimme in das Gespräch ein. "Einer davon heißt Luke. Das ist eine Anspielung auf Lucky Luke." Liz warf Mel einen vielsagenden, skeptischen Blick zu und diese erwiderte ihn mit einem entschuldigenden Achselzucken. "Das habe ich mir schon gedacht...", murmelte Liz trocken. "Du könntest einen Artikel über sie schreiben, wenn du sie gut findest", schlug Mel vor. "Ihn der alten Hexe vorlegen. Das würde den Bekanntheitsgrad der Band bestimmt steigern." Liz schüttelte angewidert den Kopf und schwenkte ihr fast leeres Glas hin und her. Die übriggebliebenden Eiswürfel klimperten. "Das würde höchstens ihren guten Ruf zerstören, den sie sich wahrscheinlich hart erarbeitet haben, in so einem Klatschblatt zu erscheinen. Aber mal davon ab - die alte Hexe interessiert sich nicht für Musik und die vielen verzweifelten Hausfrauen wollen auch lieber etwas über Macy Hills und die Affären ihres Vater wissen." Mel legte wie erwartet die Stirn in Falten. "Wer zum Teufel ist schon wieder Macy Hills?" Mittlerweile kannte sie die Art von Aufträgen, die Liz immer zufielen. Lauter unbekannte Leute, für die sich kein Schwein interessierte, außer vielleicht der alten Hexe. "Genau das habe ich auch gedacht", stimmte Liz mürrisch zu. "Macy Hills!", riss der Barmann, der anscheinend nichts Besseres zu tun hatte, als der Unterhaltung zu lauschen, das Wort wieder an sich. "Ihr Vater ist der Automobilmagnat. Reicher Kerl. Man vermutet, da läuft nicht immer alles mit rechten Dingen zu. Letztes Wochenende hat seine Tochter geheiratet." Mel und Liz starrten den Typen - Bo, wie auf seinem Namensschild verzeichnet war -, mit offenen Mündern an. Dass ein Mann über solche Klatschweibergeschichten Bescheid wusste, war höchst ungewöhnlich - und höchst verstörend. Liz machte sich in Gedanken eine Notiz, nicht mehr nur über frustrierte Hausfrauen herzuziehen, denn anscheinend lasen auch seltsame Bartypen solche Klatschblättchen. Mit hochgezogenen Augenbrauen wandte sie sich von ihm ab und auch Mel schien ihren komischen Freund mittlerweile recht skeptisch gegenüber zu stehen. Demonstrativ warf Liz einen Blick auf ihre Armbanduhr. "Es ist schon längst nach neun. Wo bleiben die Lucky Lukes denn nun?" "Keine Ahnung." Melanie streckte den Kopf, um über die anderen auf die nicht beleuchtete Bühne zu spähen. Da tat sich rein gar nichts. "Wenn die innerhalb der nächsten zwanzig Minuten nicht kommen, hau ich hier ab", informierte Liz ihre Freundin und stellte ihr leeres Cocktailglas wieder auf den Tresen, wo Bo es sofort einsammelte und ihr einen fragenden Blick zuwarf, ob sie noch etwas bestellen wollte oder nicht. Sie ignorierte das. "Vielleicht stimmt irgendwas nicht mit der Technik", mutmaßte Mel, aber sie sah nicht Liz an, sondern einen Typen, der gerade an ihr vorbeiging und sie ungeniert anglotzte. Dann lächelte sie ihm zu und er lächelte zurück. Unweit von ihnen entfernt rutschte er auf einen Barhocker und warf die ganze Zeit glühende Blicke zu Mel herüber. Liz rollte mit den Augen, musste aber gleichzeitig lachen. "Ist das dein Ernst?" Mel, die sofort wusste, wovon die Rede war, zuckte amüsiert mit den Schultern. "Warum denn nicht?" "Er sieht so geschniegelt und gestriegelt aus...", antwortete Liz langsam, während sie den Typen nachdenklich musterte, sodass er es nicht mitbekam. Kurze, schwarze, zurückgegelte Haare, Jeans mit perfekten Bügelfalten – man glaubte es kaum! Melanie gluckste. "Wenn du das sagst, muss ich an ein Pferd denken." "Ja." Liz betrachtete ihre Freundin von oben bis unten skeptisch. Mel, die ihre Haare stets kurz hielt und nun dank des Alkoholkonsums rosige Wangen hatte, hatte sich richtig zurechtgemacht heute. Sie trug eine schwarze Leggings, darüber einen Jeansrock und eine hübsche Bluse. Das Kreuz, dass sie damals zu ihrer Kommunion bekommen hatte, trug sie, wie immer, um den Hals. "Und du bist leicht angesäuselt, meine Liebe." Melanie kicherte und prostete Liz mit ihrem zweiten Cocktailglas überschwänglich zu, sodass die Flüssigkeit über den Rand schwappte. "Solltest du auch mal ausprobieren, Lizzie." Liz schüttelte den Kopf. Ihr stand der Sinn heute Abend nun wirklich nicht nach Sich-betrinken oder ähnlichem. "Vielleicht nächstes Mal." "Ich verlass mich drauf." "Nur zu." Sie nickte in Richtung des Typen. "Den hast du für heute Abend sicher." Melanie drehte sich herum und warf dem Guten noch ein Lächeln zu. "Ich warte, bis er den Schneid hat, rüberzukommen." Liz grinste belustigt. Sie an Mel’s Stelle wäre schon längst selbst zu ihm hingegangen, aber ihre Freundin wartete immer auf die große Romantik. So wie viele andere, die sie kannte. Man nehme als Beispiel nur mal ihre Schwestern. Aber so war jeder anders und unterschied sich von dem Rest – in dem, was er dachte, wollte und wie er tickte. Kapitel 4: - John - ------------------- John landete auf einem Barhocker in einem kargen Backstagezimmer. Der fahle Lichteinfall ließ es irgendwie grau und viel zu hell wirken und die leeren, weißen Wände trugen nicht unbedingt zur Gemütlichkeit bei. An der Wand stand ein viel zu niedriger Tisch, auf dem eine Cola-Flasche, Gläser und ein halbes Dutzend Bierflaschen standen - die meisten von ihnen schon leer. Ein Garderobenständer aus Metall beherbergte Jacken und daneben war ein schmaler Wandspiegel angebracht, der das trostlose Zimmer widerspiegelte. In der Mitte des Raumes hatten die Jungs ihre Musikinstrumente gelagert. John schaute dem fröhlichen Treiben zu, dem Kommen und Gehen, bemerkte die fiebrige Erwartung von Luke und seinen Freunden und ihre aufgedrehte Stimmung. Ständig klatschten sie sich ab, machte doofe Witze oder schubsten sich freundschaftlich herum. John fragte sich, wann er eigentlich so alt geworden war, dass er sich nicht mehr innerhalb dieser Szenerie befand, sondern nur noch ein außenstehender Beobachter war. Aber im Grunde machte es ihm nichts aus. Er nahm einen Schluck aus der Bierflasche, die Luke ihm mit den Worten "Hier, entspann dich" in die Hand gedrückt hatte und fühlte eine angenehme Schläfrigkeit seine Schläfen hinaufkriechen. Möglicherweise war es aber auch der Alkohol, der langsam anfing, sein Gehirn zu vernebeln. John lächelte aus keinem besonderen Grund. "Hey!" Kenny kam zur Tür herein und hatte gerötete Wangen. "Die Bude ist voll! Alle warten auf uns!" Er strahlte, schien aber gleichzeitig furchtbar nervös. Kenny hatte seine schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und war mit seinen einundzwanzig Jahren der Jüngste der Band. Dann gab es noch den eher schweigsamen Ray, und Luke, den Ältesten der drei. John hatte zusammen mit Luke, der nur zwei Jahre jünger war als er selbst, Jura studiert. Sie waren keine besten Freunde, aber hin und wieder unternahmen sie etwas zusammen. Oder Luke versuchte ihm seine Musikideen zu verkaufen. Dieses Mal hatte er es geschafft, eine solche tatsächlich in die Tat umzusetzen. Nach fast zwei Jahren Suche nach den richtigen Bandmitgliedern, Proben im Kellerraum und unbezahlten Auftritten auf kleinen Open-Air-Bühnen in Parks und schmierigen Bars waren sie immerhin in Mayfair gelandet. Und wer in Mayfair war, der konnte es noch weit bringen. "Ja, man", stimmte Luke zu. Es ist schon nach neun. Man muss die Fans ja etwas warten lassen." Er lachte. "Auf geht's, Leute. John, sag dem Bartender Bo deine Getränke gehen auf uns." "Alles klar." John richtete sich auf. "Kommt Leute", rief sein Freund seine Kollegen zusammen. "Schnappt euch das Zeug und dann wird gerockt!" Alle lachten und schrieen "YEAH", nur John brachte ein müdes Lächeln zustande. Wenn er es sich recht überlegte, war er ganz froh, ein Außenstehender zu sein. John war bereits aus der Tür, die Luke für alle aufhielt, als er hinter sich ein gequältes Aufjaulen hörte. Erschrocken drehte er sich um und bekam gerade noch mit, wie Luke seine Hand aus der Spalte zwischen Tür und Türrahmen zog und sie sich mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt. Zwei seiner Finger waren innerhalb von Sekunden schnell in einem rötlichen Lila angelaufen und schwollen an. John zögerte, aber die anderen beiden Jungs stürmten sofort zu Luke. "Hey man! Alles klar?", fragte Kenny besorgt, packte seine Hand und hielt sie sich vors Gesicht. "Kannst du noch spielen?" Klar, dachte John. Dass das die erste Frage des Freundes war, überraschte ihn ein bisschen. Künstlerhände, ging ihm durch den Kopf. Wertvoller als der ganze Rest der Person. "Boah", staunte Ray. "Wie dick das geworden ist. Vielleicht sollten wir einen Krankenwagen rufen?" Luke stöhnte und jammerte währenddessen. "Verfluchte scheiße", schimpfte er erbost. "Das darf doch nicht wahr sein... Argh!" Kenny drückte ihm die Gitarre in die Hand. "Hier, probier’s aus", forderte er ihn auf. Luke hielt das Instrument fest und versuchte ein paar Akkorde, dann stöhnte er wieder gequält und gab auf. "Das ist meine Spielerhand, Leute. Es geht nicht. Wir müssen die Sache abblasen." "Hoffentlich muss die Hand nicht amputiert werden", warf Kenny ein, von dem John schon längst keine geistigen Höhenflüge erwartete. "Sonst können wir nie wieder auftreten." Luke entriss ihm verärgert das Handy, das er gerade rausgeholt hatte. "Gib her, ich ruf mir ein Taxi. Und du", wies er Kenny an, "geh du da raus und sag den Auftritt ab oder so." Kenny sah aus, als habe man einem Dreijährigen seinen Lolli weggenommen. "Aber...", stammelte er entsetzt, "das..." "Siehst du hier vielleicht noch einen Gitaristen mit einer gesunden Hand? Los, geh schon!", zischte Luke. "Ich halte sie hin. Vielleicht flickt der Doktor dich wieder zusammen", beharrte Kenny kleinlaut und zog geknickt ab, wie ein getretener Hund. Als er weg war, atmete Luke tief durch, seufzte dann schwer. "Das war's wohl. Sorry, Leute." Ray schwieg, während Luke versuchte, seine blauen Finger zu bewegen. Dann musterte er John prüfend. "Was ist mit ihm?", fragte er dann schließlich an Luke gewandt und deutete auf John. "Kann er spielen?" Luke hob den Kopf und blickte John mit geweiteten Augen überrascht an. Er sah ihn so an, als ob er ihn noch nie vorher gesehen hätte. John hob abwehrend die Hände. "Oh, nein. Wirklich. Das ist-" "Ja!", fiel Luke ihm begeistert ins Wort. "Ich hab dich spielen hören, damals, auf der Uni. Ich HAB schon mal mit dir gespielt. Du bist gut." Er drehte sich zu Ray um. "Er ist gut." "Na dann", sagte dieser schulterzuckend, als ginge es ihn überhaupt nichts an, "springt er halt ein." John lachte nervös - das konnte nur ein schlechter Scherz sein. Das konnten sie unmöglich ernst meinen. Die waren verrückt! "Moment mal, nein, nein", widersprach er. "Das ist keine gute Idee, echt nicht." "Warum nicht?", fragte Luke gut gelaunt. "Du kannst doch spielen?" Das war eine rhetorische Frage. "Ja, aber..." "Und du bist auch schon vor Publikum aufgetreten?" "In der Schule..." "Ist fast das gleiche." Luke strahlte wie tausend Sonnen. "Komm schon. Lass uns nicht hängen. Wenn wir das nicht durchziehen, sind wir weg vom Fenster, das weißt du doch. Nicht jeder kriegt so eine Chance und schon gar nicht zwei Mal." John zögerte und wusste, dass das sein erster Fehler war. "Aber... ich gehöre nicht zur Band, das würde doch..." "Niemandem auffallen. Heutzutage wechseln sich Bandmitglieder so schnell aus wie Unterwäsche. Alles okay. Mach dir keinen Kopf. Wir wären dir ewig dankbar." Bei diesen Worten nickte Ray unberührt. "Komm schon. Nur dieses eine Mal. Du bekommst auch einen Teil der Einnahmen." John ließ den Kopf sinken. So wichtig war es Luke damit, dass er sogar die paar Pfund mit ihm teilen wollte, die sie für den Auftritt verdienen würden. Er seufzte und gab sich geschlagen. "Na gut. Zeigt mir schnell die Akkorde. Aber euer Geld will ich nicht." Luke sah aus, als wollte er ihm gerne um den Hals fallen, beließ es aber bei einem freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. "Wow, danke, Kumpel. Und keine Angst, die Akkorde sich einfach, nur Wiederholungen. Kein Solo dabei diesmal." Daran hatte John noch gar nicht gedacht und war nun geschockt und erleichtert gleichzeitig. "Ich sag Kenny eben Bescheid", rief Luke schon im Weggehen. "Ray kümmert sich um dich." Kapitel 5: - Liz - ------------------ Liz seufzte. Wäre sie doch nach Hause gegangen. Sie musste Schlaf und Kraft tanken für eine erneute Kollision mit ihren Eltern, die ihr immer auf den Zahn fühlen wollten. Nicht, dass sie nicht durchaus Spaß an diesen kleinen Auseinandersetzungen hatte - die Gesichter ihrer Eltern waren manchmal unbezahlbar! -, aber es wäre alles viel leichter, wären ihre Mum und ihr Dad einfach mal zufrieden mit ihr und der Art, wie sie das Leben handhabte. Ein furchtbares, klirrendes Dröhnen, das in den Ohren wehtat, durchbrach ihre Gedanken und sie und alle um sie herum zuckten erschrocken zusammen. Jemand hatte die Lautstärke des Mikros nicht heruntergedreht. Dann ertönte ein lautes Klopfen und Liz verdrehte die Augen. Ein junger Typ in einem ausgetragenen T-Shirt und mit Pferdeschwanz stellte sich auf die Bühne und schaute verunsichert in die Menge. "Ähm. Hi. Ich bin von der Band - wir haben ein kleines Problem dort hinten, aber es geht sofort los... wenn ihr also ein paar Minuten warten könntet...", stotterte er verunsichert. Noch ehe er geendet hatte, kam ein zweiter Typ dazu und der Pferdeschwanz ließ sein Mikrofon sinken. Beide unterhielten sich, und der zweite gestikulierte wild mit seinen Händen. Der andere runzelte die Stirn, nickte aber zu allem, was der zweite ihm sagte. Dieser verzog sich wieder in den hinteren Bereich und der Typ von eben nahm wieder das Mikro hoch. Die Meute starrte ihn ungeduldig und erwartungsvoll an. "Ähm ja. Wir haben eine kleine Planänderung..." Die Menge stöhnte genervt auf. "Einer unserer Leute, Luke, hat sich verletzt und wird deshalb ersetzt durch, äh, 'Johnny'. Ähm." Er warf einen hilfesuchenden Blick ins Publikum und setzte ein gezwungenes Lächeln auf. "Johny the Joker." Liz schnaubte amüsiert. Das war kein gutes Improvisationstalent. Eine Karriere als Comedian konnte sich der junge Spund jedenfalls abhaken, falls er jemals an so etwas gedacht hatte. Generell glaubte Liz nicht, dass das mit der Band noch irgendetwas geben würde. Ein Verletzter, ein junger, bleicher, hilfloser Typ... und Johnny the Joker. Mit einer DVD wäre sie besser aufgehoben gewesen. Dann wurde das bunte Diskolicht eingestellt und blaues Licht, gemischt mit ein paar warmen Tönen, erleuchtete nun die Bühne. Die Musik aus den Lautsprechern verstummte, ebenso wie das Stimmengewirr um sie herum. Alle schauten gespannt auf die Plattform. Liz verschränkte skeptisch die Arme. Drei Typen kamen, beladen mit Instrumenten, aus dem Seiteneingang auf die Bühne. Einer war derjenige mit dem Pferdeschwanz in dem T-Shirt. Er setzte sich an die Drums. Den anderen kannte sie noch nicht. Er war der typische Rockbandverschnitt, genau so, wie es sich für diese Branche gehörte. Schwarzes Shirt, schwarze Lederhose, nicht geschnittene Haare. Insgesamt ein eher verlottertes Erscheinungsbild, was mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit Absicht war. Liz kannte solche Typen - eine Zeitlang war sie sogar regelrecht auf sie abgefahren, weil sie Rebellion und Anarchie symbolisierten, aber bald schon hatte sie auch diese Phase überwunden. Auf Musiker allgemein hingegen stand sie noch immer, nur eben nicht mehr auf die mit den langen Haaren und dem unhygienischen Aussehen. Ihr Blick glitt zu dem dritten der Männer. Er trug eine Gitarre und zuerst konnte sie nicht viel ausmachen, aber als er sie herunternahm, entdeckte sie ihn endlich. Mit sorgenvoller Miene spähte er ins Publikum und Liz konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er war älter als die anderen beiden, obwohl sie nicht sagen konnte, um wie viel, trug ein weißes Hemd, eine schwarze Anzughose und eine dunkle Krawatte - die Farbe konnte sie aus der Entfernung und bei dem Licht nicht erkennen. Seine Haare waren verstrubbelt und er sah aus wie ein Mann, der einen harten Tag hinter sich gehabt hatte. Er passte nicht zu den anderen beiden, und genau das gefiel ihr am besten. Sie legte es als das Konzept der Band aus und befand es als ein sehr kreatives. Etwas Gegensätzliches zusammenzuschmeißen, um zu zeigen, dass man im Grunde gar nicht so unterschiedlich war, wie alle glaubten. Einen Typen auf die Bühne zu schicken, der wie ein anständiger Anzugträger aussah und ihn dann Rockmusik spielen zu lassen - das war innovativ und neu. Es war genial. Und diesen Mann, der mit seinem Auftreten scheinbar alle Regeln der Musik brechen wollte, fand sie zutiefst attraktiv. Wenngleich sie ihn auch aus der Entfernung nicht genau sehen konnte, beeindruckte es sie, was er tat und die Art, wie er es tat. Sie lächelte. Vielleicht war das hier doch der DVD vorzuziehen. Geduldig hörte sich Liz die Band an. Sie waren alle gut, auch wenn der Anzugmann ein paar Patzer machte. Aber das machte nichts, ihn anzusehen war eine reine Freude. Kaum hatte er angefangen mit der Musik, schien er abzudriften. Selbstvergessen zupfte er an den Saiten und würdigte das Publikum keines Blickles mehr, als hätte er vergessen, das es überhaupt existierte. Liz lugte zu Mel rüber, die – die Beine übereinandergeschlagen -, auf einem Barhocker saß, ihren zweiten Long Island Ice Tea trank und gedankenverloren mit dem Fuß wippte. Plötzlich fühlte Liz heißen Atem an ihrem Ohr. „Die sind verdammt gut“, hauchte es. Entsetzt drehte sie sich um und blickte Bo, dem Barkeeper, in die Augen, der sich über den Tisch zu ihr herübergebeugt hatte, um ihr die Information zu überbringen. "Hm", machte sie misstrauisch und bewegte sich ein paar Zentimeter von ihm weg. Sie ließ sich wieder vom Klang der Musik und Ray’s dunkler, tiefer Stimme davontragen, der von den Ungerechtigkeiten der Welt sang, vom Krieg und hin und wieder auch von unglücklicher Liebe. Das war wohl ein Thema, an dem weder die Poeten, noch die Musiker, Schriftsteller und der ganze Rest der Welt vorbeikam. Egal, woran man glaubte, und egal, wer, wie und was man war - eins hatten immer alle gemeinsam: das Suchen nach "Liebe". Liebe, dachte Liz abwesend, ob es so etwas wirklich gab? Oder war sie nur ein Konstrukt des menschlichen Geistes, der etwas zum Festhalten und Glauben brauchte in dieser schnellen, unsteten Welt? Liz jedenfalls fand es wahnsinnig, sich für den Rest des Lebens an jemand anderen zu binden und ein Leben zu leben, als wäre man in Ketten gelegt. Warum taten Menschen sich so was freiwillig an? "Gebunden" - das Worte sagte doch schon alles. Es nahm einem jegliche Freiheit und sperrte die Seele ein. Liz war lieber frei. Kein Geld der Welt und nicht einmal tausend süße Engelszungen würden sie dazu bringen, jemals in einem Hochzeitskleid von den Altar zu treten und sich von ihrem Vater an den Bräutigam übergeben zu lassen. Übergeben! Als wäre sie ein Stück Vieh. Als wäre sie nicht ihr eigener Herr und hätte einen freien Willen, ein Leben, ein Recht auf Selbstbestimmung. Aber nein. Man musste ja weitergereicht werden. Von Mann zu Mann. Wie ein Souvenir, eine Trophäe. Allzu weit hatte es die Emanzipation also doch noch nicht geschafft. Liebe - gegen Liebe hatte Liz nichts. Aber niemals würde sie sich von ihr so einlullen lassen, dass sie diesen ganzen Wahnsinn guthieße. Das schwor sie sich immer wieder, wenn sie auf bemitleidenswerte Kreaturen traf, die diesem Irrsinn verfallen waren und nun ein furchtbar monotones, langweiliges Leben führten zwischen Hausarbeit und Windeln. Oder jene Frauen, die statt der gewünschten Liebe am Ende nur Hass und Verachtung geerntet hatten. Und trotzdem - es war ein aktuelles Thema, und das schon seit Jahrhunderten. Selten hatte sich ein Trend in der Geschichte der Menschheit so lange gehalten. Entspannt lehnte sie sich zurück. Liz war, wenn sie so darüber nachdacht, ziemlich zufrieden mit sich selbst. Sie hatte einen Job, verdiente ihr eigenes Geld und führte ihr eigenes Leben. Sie war weder abhängig von ihrer Familie noch - was viel schlimmer gewesen wäre - von einem Mann. Es gab niemanden, der ihr Kopfzerbrechen bereitete und keinen, dem sie Rechenschaft ablegen musste. Der Freunde hatte sie viele. Natürlich gab es nur eine Mel und nur eine Judy unter ihnen, aber Liz war es ganz recht so. Ein paar enge Freunde brauchte der Mensch zum Traurigsein, Wütendsein und Glücklichsein, und der Rest war eben für die gute Unterhaltung und den Spaß zuständig. Nein, Liz Winston brauchte keinen Mann, der sie rettete und dann erdrückte, bis ihre Flammen verloschen. Liz konnte sich selber retten und mit dem Feuer spielte sie unwahrscheinlich gerne. Apropos mit dem Feuer spielen, dachte sie grinsend. Den Typen mit der Krawatte würde sie gerne einmal kennen lernen. Jemand, der so etwas durchziehen konnte, musste ein interessanter Mensch sein. Vielleicht würde er nach dem Auftritt noch an die Bar kommen, oder sie könnte ihm auflauern und behaupten, sie schrieb für eine Zeitung und wollte ein Interview mit ihm. Sie dachte fieberhaft nach, wie sie es anstellen sollte, mit ihm ins Gespräch zu kommen, aber bald schon gab sie es auf. Planen war nicht ihr Ding. Es würde ihr schon etwas einfallen, wenn sie ihn sah, und wenn nicht, dann wusste sie zumindest den Namen der Band und konnte ihren nächsten Auftritt googeln. Liz brauchte keinen Plan. Sie würde einfach improvisieren. "Das war echt gut", sagte Mel begeistert, nachdem der Applaus abgeflaut war. "Hätte ich nicht gedacht." Liz lächelte. "Ja, es war ganz okay." Mel rollte mit den Augen. "Die Untertreibung des Jahrhunderts. Dass du immer so euphorisch sein musst!", spöttelte sie. "Und? Welcher von denen soll es denn nun werden?" Liz runzelte die Stirn." Was meinst du?" "Ach komm schon." Mel boxte ihr liebevoll gegen die Schulter. "Ich kenn dich doch und deine Vorliebe für Musiker. Und ich hab gesehen, wie du die ganze Zeit mit Argusaugen und deinem Wolfslächeln herübergeguckt hast. Lass mich raten... es ist nicht der Kleine. Ist er überhaupt schon achtzehn?" Dann grinste Mel. "Aber das macht dir ja nichts aus, hab ich recht?" Liz entfernte sich ein wenig von Bo, der wieder seinen Ohren heraushängen ließ, sodass er sie nicht mehr hören konnte. "Das war... du weißt genau, dass ich es nicht wusste! Er hat gesagt, er wäre schon... älter. Wenn ich gewusst hätte, dass er mich anlügt und dazu noch minderjährig ist... Willst du mir das mein ganzes restliches Leben vorhalten?", fragte sie ihre Freundin vorwurfsvoll. Mel aber grinste nur, von Liz's Standpredigt ganz und gar nicht beeindruckt. "Na, was denkst du denn? Ich bin deine Freundin, es ist mein Job, dich auf deine Fehler hinzuweisen, damit du sie nie vergisst. Im Alter wird das meine einzige Freude sein." Sie zwinkerte Liz kokett zu und diese verdrehte die Augen, konnte aber ein amüsiertes Lächeln nicht ganz unterdrücken. Liz wartete auf eine günstige Gelegenheit. Als sich der Typ, der vor der Tür zu den Hinterräumen stand sie bewachte, wegdrehte, um eine kleine Auseinadersetzung von Freund und Freundin zu beenden, schlüpfte Liz hinter ihm vorbei durch die Tür. Es tat ihr ein wenig leid, Mel nicht aufgeklärt zu haben, aber diese war gerade mit irgendeinem Kerl, der sie angesprochen hatte, in ein feuriges Streitgespräch über Biersorten vertieft und außerdem war Liz die flankierte Hintertür gerade erst aufgefallen. Sofort hatte sie eine Idee gehabt, wie sie an den Anzugmusiker herankommen könnte und zögerte keine Sekunde, um sie in die Tat umzusetzen. Hinten war alles kahl und kalt. Es war klar, dass nur das Innere der Bar renoviert worden war, nicht aber die Hinterräume. Liz schlenderte den langen weißen Flur entlang und las sich die Aufschriften an den Türen durch. Toiletten, Putzraum, Büro. Bis auf die WCs waren alle Räume abgeschlossen, wie sie nach einem kurzen Klopfen feststellen musste. Doch plötzlich ging nur wenige Schritte vor ihr eine Tür auf. Liz hob neugierig den Kopf. Der Kerl von der Band trat heraus und blieb sofort stehen, als er sie sah. So von Nahem erschien er ihr viel größer. Und er sah müde aus. So richtig fertig. Sein Hemd und die Krawatte hatte er allerdings noch immer an. Über seinem Arm hing eine Anzugjacke und er hatte eine schwarze Tasche in der anderen Hand. Überrascht blickte er sie an. Ganz eindeutig hatte er nicht mit einem Besucher hier hinten gerechnet. Liz warf ihm eines ihrer koketten Lächeln zu, die sie für gewöhnlich gut einzusetzen wusste. "Hallo. Ich bin vom London Talk", sagte sie fachmännisch. Etwas, das sie schon hundertmal gesagt hatte und es beherrschte wie wahrscheinlich nichts Anderes auf dieser Welt. "Ich würde gerne ein Interview für unser Magazin mit dir machen." Der junge Mann blinzelte irritiert. "Mit mir? Aber ich... die Band ist da drin, wenn du sie suchst." Er deutete mit dem Daumen hinter sich zur Tür. Liz war ein wenig irritiert, aber sie ließ es sich nicht anmerken. "Du hast doch in der Band gespielt", sagte sie. "Ich würde gerne mehr über euer Konzept erfahren." Noch ein Lächeln. Er starrte sie an. Um genau zu sein starrte er eine Weile lang auf ihren Mund, bis er weiter nach oben glitt und ihr in die Augen sah. "Nein, Sie verstehen nicht", erwiderte er müde und fuhr sich mit den Finger erschöpft durch das dichte, braune Haar. "Luke hat sich die Finger gebrochen und ist nun im Krankenhaus und - ach, ist ja auch unwichtig. Es war reiner Zufall." Liz verstand nun endlich. "Johnny", stellte sie fest. "Du bist der Auswechselspieler. Johnny the Joker." Er grinste gequält, was sie als Zustimmung auffasste. "Ich nehme an, Joker wirst du nicht wirklich genannt, oder?" Er schüttelte den Kopf. "Nein, und-" "Ich bin Liz." Sie streckte ihm die Hand hin. "Und in welcher Band spielst du nun wirklich?", plapperte sie. "Ein Glück für die, dass du heute anwesend warst und einspringen konntest." Johnny nickte irritiert. "Also, wenn Sie ein Interview mit denen wollen... Kenny und Ray sind noch da. Sie beantworten Ihre Fragen bestimmt gerne. Aber - unter uns..." Er beugte sich näher zu ihr herüber und flüsterte nun fast. "Sprechen Sie lieber mit Ray. Kenny ist nicht immer ganz auf der Höhe, wenn Sie mich fragen." Liz grinste. "Kenny - ist das der Kleine?" Er nickte. "Hm...", machte Liz und war schon im Begriff, sich etwas Anderes auszudenken. Wenn Johnny gar nicht zu dieser Band gehörte, sondern zu einer anderen, und nur zufällig zur rechten Zeit am rechten Ort war, wäre es Zeitverschwendung, nun noch mit den Bandmitgliedern zu reden und sich lächerliche Fragen auszudenken. Der vermeintliche Artikel würde sowieso niemals im London Talk erscheinen. "Ich denke ich muss das Interview verschieben", log sie. "Wenn Luke nicht da ist, lohnt es sich nicht, eins zu machen. Ich werde wohl einen neuen Termin mit den Jungs vereinbaren müssen." Sie gab ihrem Tonfall einen bedauernden Beiklang. John musterte sie. "Na gut", sagte er dann langsam. "Es war nett, Sie kennen zu lernen, Liz. Viel Erfolg noch für Ihren Artikel." Er wollte sich aus dem Staub machen! Das gab's doch nicht! Liz war empört. Hatte dieser Typ denn überhaupt nicht seine Fühler ausgestreckt?! HATTE er überhaupt welche? Sie musste wohl etwas direkter werden. "Warte", sagte sie zu seinem Rücken, als er sich schon von ihr abgewandt hatte. "An der Bar gibt es diese schrecklichen Long Island Ice Teas." Er drehte sich wieder zu ihr um und runzelte ratlos die Stirn. "Und diesen sehr gesprächigen und neugierigen Barkeeper. Bo. Er würde sich bestimmt freuen, wenn du ihm einen Besuch abstatten würdest." Johnny sah aus wie eine Kuh wenn's donnerte. Anscheinend war er wirklich schwer von Begriff. Liz hätte sie Situation beinahe schon als ärgerlich empfunden, wenn sein Gesichtsausdruck sie nicht so furchtbar amüsieren würde. Mein Gott, sah der Typ fertig aus. Aber gleichzeitig wirkte dieses Angespannte an ihm auch seltsam anziehend auf sie. "Mit mir", fügte sie bedeutungsvoll hinzu und sah ihn lange und eindringlich an. So musste er doch einfach verstehen! Und er tat es auch. Aber er lächelte nicht wissend, wie viele andere es getan hätten, sondern riss nur überrascht die Augen auf. Unglaube stand ihm ins Gesicht geschrieben. "Mit Ihnen?", hakte er fast schon ehrfürchtig nach und musterte sie skeptisch. "Verstehen Sie mich nicht falsch... Sie sind wirklich eine, ähm, eine sehr schöne Person, aber ich bin..." Schwul?, fragte Liz sich. Verheiratet? Vergeben? Vater dreier Kinder? Impotent? "...nicht passend angezogen für so etwas", beendete er leicht verlegen seinen Satz und sah zweifelnd an sich herunter. Sie lachte laut auf. Humor hatte er auch! Das war gut. Besser, als sie erwartet hatte. "Wenn es für die Bühne reicht, reicht es auch für die Theke", witzelte sie und warf ihm ein blitzendes Lächeln zu, das er zaghaft erwiderte. "Na ja, gut...", gab er sich dann geschlagen und erwiderte ihren Blick. Sie ließ ihn mit ihren Augen nicht los und er hatte Schwierigkeiten, sich abzuwenden, das merkte sie. Trotzdem, eine harte Nuss, entschied sie. Aber auch das würde sie noch zu ändern wissen. Nüsse knacken war nämlich ihre Spezialität. Nur dass es meist die traurigen Frauen waren, hinter deren Geheimnisse sie auf subtile Art und Weise kommen musste. Aber Männer - nein. Die erforderten nicht unbedingt ihr feinstes Fingerspitzengefühl. Kapitel 6: - John - ------------------- John folgte verwundert dieser jungen Frau, die wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Plötzlich hatte sie da vor der Tür gestanden und ihn mit diesen unergründlichen, tiefbraunen Augen angesehen. Richtiggehend gemustert hatte sie ihn, so als ob sie ihn mit Blicken maß. Ein bisschen nervös hatte sie ihn schon gemacht, diese Frau, die sich ihm als Liz vorstellte. Und an ihrer Geschichte von einem Interview war auch etwas seltsam. Warum hatte sie so plötzlich das Interesse an der Band verloren? John's Interesse hingegen war geweckt. Er folgte ihr in das Innere des Club und nahm auf einem Barhocker neben ihr Platz. Er musste zugeben, dass ihr Lächeln atemberaubend war, aber vielleicht fand er das auch nur, weil ihn schon lange keine Frau mehr so angelächelt hatte - als wollte sie ihn auf der Stelle flachlegen. Er schob diesen Gedanken schnell beiseite. Was immer diese Liz von ihm wollte, das war es ganz sicherlich nicht. "Also... Johnny", begann sie und blickte ihn interessiert an. "Du bist Musiker, hm?" Sie musterte sein Outfit. "Ich muss sagen, ich bin überrascht." Und ich auch, dachte John sich. Sie hielt ihn für einen Rocker! In diesem Aufzug! Was für eine unterhaltsame Wendung der Ereignisse. "Ach", unterbrach sie sich dann selbst und deutete auf den Barkeeper, der schon zur Stelle war und mit treudoofen Augen zu ihnen hinüberblickte. Zum Dienen geschaffen. "Was möchtest du trinken? Mein Freund Bo hier-" Sie warf besagtem eines dieser Lächeln zu und sein Blick wurde sofort weich wie Butter, "bringt dir alles, was du willst." Eigentlich hatte John überhaupt keine Lust mehr, noch etwas zu trinken, vor allem was den Alkohol anging, aber er wollte nicht, dass sie ihn für ein Weichei hielt und bestellte deshalb ein Bier. Cocktails, fand er, waren eher was für Mädchen. Dieser bunte Fruchtsaft-Mix konnte ihn absolut nicht locken. In Wahrheit aber bevorzugte er hin und wieder ein Gläschen Wein. Es ließ ihn nach einem anstrengenden Tag schneller einschlafen. Und heute Abend hätte er sich vermutlich auch eins gegönnt, wenn er nicht hier gelandet wäre. Wie auch immer er das angestellt hatte. Es war ihm noch immer schleierhaft. "Liz", sagte er, nur um irgendetwas zu sagen, "ist eine Abkürzung für...?" Sie verzog das Gesicht. Das Thema war wohl nicht eines ihrer liebsten. "Elizabeth", antwortete sie dann. John betrachtete sie unauffällig. Wer war diese Frau? Mit der Queen hatte sie nicht viel gemein, außer vielleicht dem Namen. Und Liz passte wirklich besser zu ihr. Den Barkeeper hatte sie wohl schon um ihren Finger gewickelt, aber was wollte sie von ihm? Er beschloss, er herauszufinden. Langsam fing es an, interessant zu werden mit dieser schönen Unbekannten. "Meine Eltern waren nicht besonders einfallsreich gewesen bei der Namenswahl", fügte sie dann mit schiefem Grinsen hinzu. Was sollte er dann bloß sagen?, dachte John. Sein Name war auch nicht gerade ein Ausbund an Originalität. "Und wie lange spielst du schon Gitarre?" Mein Gott. Sie dachte wirklich, er wäre ein Musiker! Jemand, der eine eigene Band hatte und wahrscheinlich ständig auf Tour war. Herrje. Es war so komisch, dass er fast losgelacht hätte, aber er begnügte sich mit einem versteckten Grinsen. "Ziemlich lange", antwortete er wahrheitsgemäß und in diesem Moment stellte Bo das Bier vor ihm ab. John nahm einen Schluck. "Mit elf habe ich angefangen." Mit elf. Nachdem sein Vater sie verlassen und sich eine neue Familie gesucht hatte. Seine Mutter hatte damals gedacht, dass John ein neues Hobby gut täte und ihn zur Musikschule gesucht. Er hatte es mit Klavier, Saxophon - das er überhaupt nicht leiden konnte -, und Schlagzeug versucht, aber letztendlich war er bei der Gitarre gelandet. Ihre Töne, so fand er, klangen immer so melancholisch. Das hatte ihm damals gefallen. Bei jedem einzelnen dieser traurigen Akkorde stellte er sich vor, dass das ein kleines Stück aus seinem Inneren war, das an die Oberfläche gelangte und davonschwebte und ihn immer mehr und mehr heilen ließ. Natürlich waren seine Gedanken nicht genau diese gewesen, dafür war er noch viel zu klein, aber das Gitarrenspiel hatte ihn beruhigt und gleichzeitig hatte er das Gefühl gehabt, nicht vollkommen allein mit seiner Traurigkeit zu sein. Letztendlich, dachte er sich nun, hätte er beim Schlagzeug bleiben sollen. Diese lauten, aggressiven Drums, das Immer-Draufhauen - das hatte er damals gebraucht. All seine Wut hätte er damit ausdrücken können. Aber da hatte er noch nicht gewusst, dass er wütend war. Erst später kam die Erkenntnis. Liz stützte das Kinn in ihre Hand und sah ihn bewundernd an. "Wow", hauchte sie. Und da traf John die Erkenntnis. Sie flirtete mit ihm! Und sie war verdammt gut. Verflucht. Wieso war ihm das nicht schon früher aufgefallen? Lag es an seiner Müdigkeit, dem Alkohol, oder diesem seltsamen Tag? Oder war er einfach nur schon so total durch den Wind, dass er solche Avancen gar nicht mitbekam?! "Sie... Du... schreibst gar nicht an einem Artikel, oder?", stellte er verdattert fest. Sie lächelte, legte den Kopf schief und ihre braunen Augen ruhten geduldig auf ihm. "Ich dachte schon, du würdest nie darauf kommen", erklärte sie ihm schamlos in ihrer reizvollen Art. John schluckte. Normalerweise waren die Frauen, mit denen er bis jetzt ausgegangen war, eher zurückhaltend und subtil gewesen. Diese hier war ganz anders. Das irritierte ihn. "Was... warum wolltest du dann mit der Band sprechen?", wollte er wissen und schüttelte verwundert den Kopf. Oder wollte sie gar nicht...? "Nein", lachte sie. "Eigentlich war ich auf der Suche nach dir." Das hatte er sich schon gedacht. Trotzdem konnte er es sich nicht erklären. "Nach mir", sinnierte John zweifelnd und sah sie dann noch einmal prüfend von oben bis unten an. "Kennen wir uns etwa zufällig schon? ich kann mich nicht an dich erinnern... und... ich meine, ich würde mich bestimmt an dich erinnern, weil..." Liz grinste. Es schien, sie verstand mehr, als er sagte. "Nein, ich denke nicht. Ich fand deinen Auftritt sehr interessant, das ist alles. Ich wollte dich mal persönlich kennen lernen." John schwieg und schwenkte sein Bier in der Flasche hin und her. Dann blickte er wieder auf. "Okay, dann... lernen wir uns kennen. Was machst du beruflich?" "Journalistin", sagte sie. "Das hab ich ja schon gesagt. Und ich schreibe wirklich für den London Talk. Allerdings würde meine Chefin - in Fachsprache auch 'die alte Hexe' genannt-, niemals auch nur einen Gedanken daran verschwenden, etwas über Musik herauszubringen. Aber..." Ihre Augen nahmen einen Ausdruck von Fernweh an und glänzten sehnsüchtig, "ich hab nicht vor, ewig bei diesem Klatschmagazin zu bleiben. Mein Ziel ist die Times." "Oh", sagte John, leicht beeindruckt, "das nenn ich mal sehr... ambitioniert." Liz warf ihm einen skeptischen Blick zu, als wäre sie mit seiner Wortwahl nicht einverstanden. "Natürlich ist es nicht zu vergleichen mit einem Leben als Rockstar. Immer auf Achse, immer was zu tun", räumte sie dann ein. John wusste nicht genau, ob sie das im negativen oder im positiven Sinne meinte, also antwortete er nicht darauf und zuckte nur gleichmütig mit den Schultern. Er hatte nicht die geringste Lust, sie aufzuklären, dass er "nur" Anwalt war und ein - ihrer Meinung nach wahrscheinlich - ziemlich langweiliges Leben führte. Er würde sie einfach in dem Glauben lassen, denn er rechnete sowieso nicht damit, sie nach dem heutigen Abend noch einmal wiederzusehen. Sie war so... extravagant. Allein schon ihr Aussehen bewies das. Liz trug eine lange grau-braun-karrierte Tunikabluse und dazu eine enge Jeans mit grauen Stiefeln. Ihr Haar war von dieser honigblonden Farbe, gewellt, und hätte ihr fast das Aussehen eines engelsgleichen Wesens verleihen können, blitzten nicht dauernd kupferrote Strähnchen auf, die ihren braunen Augen schmeichelten. John seufzte. Dass sie schön war, konnte er nicht bestreiten. Im Gegensatz dazu fühlte er sich im Moment furchtbar unattraktiv mit seinem Anzug, den er nun schon seit mehr als zwölf Stunden am Leib trug und seinen ungekämmten Haaren. Eine Dusche könnte er auch gut vertragen - jedenfalls würde er sich danach erheblich besser fühlen. "Hier ist es sehr laut", sagte John, um sie vom Thema abzulenken. Nicht, dass sie nach seine, Werdegang oder gar seiner Band fragte. Liz nickte. "Ja. Ich glaube, dass ich sowieso nur die Hälfte verstehe von dem, was du sagst." Sie lachte kurz. "Wir könnten woanders hingehen?" John dachte kurz nach. Er wollte nach Hause. Aber diese Frau reizte ihn. Wie alt sie wohl war? Auf jeden Fall jünger als er, das konnte er sehen. Und sie war auch kleiner. So eine zierliche Person, die anscheinend genug Energie für eine ganzen Mustangherde in sich trug. Wenn er sie so ansah, meldete sich irgendwo tief in seinem Gehirnwindungen sein Beschützerinstinkt, aber in ihren Augen konnte er sehen, dass sie alles andere als hilflos war. Sie war... ein reißender Fluss, der niemals still stand. John hingegen würde sich möglicherweise mit einem See vergleichen. Ein perfekter Gegenpol... Er schüttelte seine Gedanken ab und nickte. Hier im Club fühlte er dauernd Blicke auf sich ruhen, manche heimlich, manche stachen ihm regelrecht in den Rücken. Alles würde er tun, um endlich von hier zu verschwinden, und wenn er dabei auch noch eine attraktive Frau an seiner Seite hatte - umso besser! Liz hatte ihre Strickjacke und Handtasche von der Garderobe geholt und lächelte ihm nun zu, während er am Ausgang auf sie wartete. "Und was... wo möchtest du gerne hingehen?", fragte er sie ein wenig nervös. Ihm war noch immer schleierhaft, was sie von ihm wollen könnte. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und stellte fest, dass es kurz vor zwölf Uhr nachts war. Liz warf ihm einen vielsagenden Blick zu. "Ehrlich gesagt... wie wär's mit..." Sie kam im ziemlich nahe und John wäre gerne eine Schritt zurückgewichen, aber ihr Blick, der seien Augen gefangen hielt, hinderte ihn daran. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, lächelte geheimnisvoll und legte ihre Hände... auf seine Krawatte. Sie lockerte den Knoten, sodass sie nur lose an seinem Hals herunterging und schaute ihn ziemlich zufrieden an. "Schon viel besser", nickte Liz und klopfte ihm dann mit der Handfläche sachte gegen die Brust. Aber sie machte keine Anstalten, sich wieder von ihm zu entfernen. Viel zu dicht stand sie bei ihm, registrierte John. Und er merkte auch, wie sein Atem schneller wurde. Er roch, wie sie duftete. Irgendwie nach Shampoo und Parfum und noch... etwas anderem. Nach... Frische. Anders konnte er diesen Duft nicht benennen. Es raubte ihm fast den Verstand und er wagte es nicht, sich zu bewegen, andernfalls hätte er vermutlich irgendetwas Dummes getan. Etwas wirklich, wirklich... Unangemessenes. Wie zum Beispiel... Sie küsste ihn! Sie legte ihre Arme um seine Hals, drängte ihn gegen die Hauswand und presste ihren Körper an seinen und ihre Lippen gegen die seine. Überrumpelt und verdattert ließ John es geschehen, am Rande seines Bewusstseins nahm er ihre Süße wahr, und nur zögerlich legte er seine Hände auf ihre Hüften. Eine Hand wanderte ihrem Rücken nach oben und er drückte sie enger an sich. Ihre Hände fuhren durch seine Haare, und dann drehte John sie herum, sodass sie nun zwischen dem Gebäude und ihm eingeengt wurde. Sie wollte mit ihm spielen? Das konnte er auch. "Wo wohnst du?", hauchte sie leise, als er ihren Hals liebkoste. John wusste jetzt, was sie von ihm wollte – und soeben hatte er festgestellt, dass ihre Wünsche ganz offensichtlich identisch waren. "Ein paar Blocks weiter", antwortete er ihr leise und ließ von ihr ab. Sie sahen sich lange in die Augen und Liz lächelte nicht mehr, sondern blickte ihn ernst an. Dann nahm er ihre Hand und führte sie mit sich. Kapitel 7: - Liz - ------------------ Liz war schon angezogen und gerade im Begriff, sich aus dem Zimmer zu stehlen, als Johnny aufwachte. Er murrte verschlafen etwas vor sich hin, setzte sich auf und blinzelte in das helle Tageslicht. Liz blieb stehen - nun musste sie sich doch von ihm verabschieden - und betrachtete ihn lächelnd. Sein unordentliches Haar, der nackte Oberkörper, das zerwühlte Bett, sein zerknautschter Gesichtsausdruck, als wäre er noch immer nicht richtig wach. "Du gehst", stellte er dann fest und bewegte sich keinen Millimeter vom Fleck. "Wohin gehst du?" Diese Frage hatte sie nicht erwartet. "Nach Hause." In diesem aufgeräumten Zimmer sah der zerstrubbelte Johnny irgendwie fehl am Platz aus. Vielleicht war das gar nicht seine Wohnung... jedenfalls stellte sie sich so nicht die Wohnung eines Musikers vor. Normalerweise waren diese Zeitgenossen schlampig, überall lagen Notenblätter verstreut, Klamotten ebenso, und an den Wänden hingen oder lehnten diverse Musikinstrumente. Das Bett war nie gemacht - was gestern anders gewesen war. Aber sie hatte keine Zeit gefunden, sich darüber zu wundern. Sie hatten besseres zu tun gehabt. Er hob die Hand und fuhr sich damit durch sein Haar. "Ich, ähm... möchtest du vielleicht einen Kaffee? Frühstück?" Sie schüttelte milde den Kopf. "Nein... ich muss jetzt wirklich los. Aber danke." Sie wollte sich schon von ihm abwenden, aber dann zögerte sie. "Es war... sehr schön." Er grinste verlegen. "Ich mach so etwas normalerweise eigentlich nicht..." Liz musste lachen. "Sollte das nicht eigentlich das Mädchen sagen?" Johnny zuckte ratlos mit den Schultern. "Du weißt es nicht, weil du das normalerweise nicht machst, hab ich recht?" Sie glaubte ihm natürlich kein Wort. Ständig gaben Männer vor, etwas zu sein, was sie nicht waren, um Frauen zu beeindrucken oder auf sich aufmerksam zu machen. Nie im Leben würde sie glauben, dass ein attraktiver Mann, der sich des abends in Bars herumtrieb und wahrscheinlich eine Horde weiblicher Fans hatte, sich nicht ab und zu auch mit einer von ihnen vergnügte. Aber Johnny nickte nur. "Werden wir uns wiedersehen?", wollte er ernst wissen. Liz hielt inne und betrachtete ihn misstrauisch. "Sollte DAS nicht auch eher das Mädchen sagen?", hakte sie trocken nach. "Na ja, da das Mädchen hier gerade versucht hat, sich sang- und klanglos davonzuschleichen, bleibt mir keine andere Wahl", konterte er ohne ein Anzeichen von einem Lächeln. Liz ging auf, dass sie ihn möglicherweise mit ihren Worten gekränkt haben könnte, ohne es zu wollen. "Oder siehst du das anders?" Leicht verärgert zog er eine Augenbraue hoch. Liz seufzte. Eine Wiederholung der Ereignisse der letzten Nacht war mehr als verlockend... aber konnte sie wirklich davon ausgehen, dass Johnny nur das im Sinn hatte und nicht auf irgendeine abartige Beziehungskiste hinzielte? Das war wirklich das letzte, was sie wollte. Aber andererseits, dachte sie, konnte sie es ja herausfinden, wenn sie ihn das nächste Mal wiedersah... Ihr wurde klar, dass sie sich schon längst entschieden hatte. Schon bevor er aufgewacht war. Sie nickte zu seinem Kopfkissen herüber, dass die letzte Nacht ihr Kopfkissen gewesen war, und Johnny folgte ihrem Wink. Dort lag ein kleines, gelbes Post-It, auf dem sie ihre Nummer notiert hatte. Er lächelte verlegen und streckte die Hand danach aus. "Ist es auch die richtige Nummer?", fragte er halb im Scherz. Liz grinste. "Find's raus." Dann kehrte sie ihm den Rücken zu, hob zum Abschiedsgruß die Hand und verschwand aus seiner Wohnung im West End. Nachdem sie kurz bei sich zu Hause vorbeigeschaut hatte, um sich zu duschen und neue Kleidung anzuziehen, machte sie sich sogleich auf den Weg. Es war mühsam, aus London herauszukommen, denn der Verkehr war sehr dicht, aber nachdem sie erst mal aus der Stadt raus war, waren die Straßen größtenteils frei. In den nächsten zweieinhalb Stunden schweiften ihre Gedanken immer wieder zu Johnny ab. Viel hatte sie ja gestern nicht über ihn herausgefunden. Es war alles sehr schnell gegangen - so hatte Liz das nicht geplant. Eigentlich hatte sie gar nichts geplant. Aber mein Gott - diese Nacht würde sie so schnell nicht vergessen. Es war selten, dass sie sich mit jemandem so gut ergänzte - und ich viel seltsamer war, dass sie vorher überhaupt nicht mit ihm gesprochen hatte. Er schien selbst zu wissen, was er tat und ihr war es genauso ergangen. Liz drehte das Radio lauter auf und sang lautstark zur Musik mit. Sie freute sich schon auf das Wiedersehen mit ihm - was sie durchaus nicht von jedem Mann behaupten konnte, mit dem sie jemals etwas gehabt hatte. Und das nächste Mal würde sie sich auch mehr Zeit nehmen, um Johnny besser kennen zu lernen. Zumindest sein Alter würde sie gerne erfahren - nicht, dass es für sie irgendeinen Unterschied machte, ob er 20 oder 40 war, aber so was war immer gut zu wissen. Liz's Eltern wohnten in Dyke's End. Einer Sackgassenstraße. Es war eine Wohngegend für die wohlhabenderen Leute und die Häuser standen hier nicht, wie in ganz England typisch war, dicht an dicht aneinander. Nein, Liz war aufgewachsen in dem Gebäude mit der Hausnummer neun, das eine typisch viktorianische Villa mit weiß-gelblicher Täfelung war. Einen hübschen Kontrast dazu stellte das Dach dar, das von dunkelgrauen Schiefertafeln bedeckt wurde. Die Fensterrahmen und das Geländer der überdachten Veranda waren in reinem Weiß gehalten. Ihre Eltern ließen es jedes Frühjahr neu streichen, damit es nicht vergilbte, was eine Menge über ihre Mum und ihren Dad aussagte, fand Liz. Charakteristisch und ein besonderer Blickfang war das kleine Türmchen, das kaum höher reichte als der Schornstein. Es gehörte damals zu Judy's Zimmer, jedoch hatte sich Lizzie das Zimmer unter den Nagel gerissen, als Judy ausgezogen war. Es war heiß begehrt unter den Schwester und wurde nachher an Kate weitergegeben. Nur Danny, der jüngste der Winstons, hatte den Wettstreit um das schönste Zimmer des Hauses nicht mitgemacht. Ruhig und geduldig, wie er war, hatte er viel einstecken müssen und war zu einem ernsten, schweigsamen jungen Mann herangewachsen, der seine Nase niemals in die Angelegenheiten anderer steckte, denn er wusste, früher oder später würde er dafür bezahlen müssen. Das hatten seine Schwestern - allen voran Liz -, ihm schon in frühen Jahren beigebracht. Manchmal taten Liz ihre früheren Attacken auf Danny leid. Nicht selten hatten sie und Judy ihn als Mädchen verkleidet oder ihm befohlen, für sie Modell zu stehen, damit sie an ihm verschiedene Schminktechniken oder Haarschnitte ausprobieren konnten. Damals waren sie natürlich selbst zu klein gewesen, um zu verstehen, dass so was eine reine Folter für den Jungen war, aber später war Danny stets der Sündenbock gewesen - einfach, weil er sich bestens dazu eignete mit seiner passiven, zurückhaltenden Art. Vieles hatte er schlucken müssen - und Liz hatte den Verdacht, dass er sie noch heute fürchtete. Zumindest kam es nicht selten vor, dass er sich zurückzog, wenn sie da war, und ihr aus dem Weg ging. Sie wollte es wiedergutmachen, aber jedes Mal, wenn sie versuchte, sich ihm anzunähern, hielt er sie auf Distanz. Als sie nun in der Auffahrt des Hauses parkte, vermutete sie, dass alle schon auf sie warteten. Sie sprang aus dem Wagen und ging die Treppe zur Veranda hoch, doch noch bevor sie klopfen konnte, wurde die Tür von Innen aufgerissen. Ihre Mutter nahm Liz stürmisch in die Arme, bevor diese überhaupt verstanden hatte, was passierte. Dann lachte sie und umarmte ihre Mutter ebenfalls und danach waren Kate und Judy an der Reihe, die sie beide gleichzeitig in die Arme schloss. Sie hatte die zwei so vermisst! Es war etwas, woran sie sich nach all den Jahren immer noch nicht gewöhnt hatte - ihre Schwestern nicht mehr tagtäglich zur Verfügung zu haben. Aber andererseits war die Wiedersehensfreude jedes Mal umso größer. Was folgte, war der bekannte Trubel, der bei den Winstons herrschte, wenn alle aufeinander trafen. Liz erfuhr, dass ihr Dad und Alan in London auf Geschäftsreise waren - so gesehen hatte sie wohl mit ihnen getauscht - und musste mit einem Lachen feststellen, dass Danny, der davon auch noch nichts gewusst hatte, wenig begeistert von dieser Neuigkeit war. Sie fuhr ihm wild durch die Haare, woraufhin er stöhnte und sie mit einem bösen Blick bedachte. Aber er wagte es nicht, sich gegen sie zur Wehr zu setzen. Judy half ihrer Mutter beim Kochen und alle redeten durcheinander. Aus dem Wohnzimmer kamen Zeichentrickfilmgeräusche. Anscheinend wurde Micky, Judy's Sohn, damit für eine Weile ruhiggestellt, während die Frauen die Küche bevölkerten. Liz lehnte sich an den Kühlschrank und betrachtete ihre Familie wohlwollend. Wie viel Zeit hatte sie damals in dieser Küche verbracht? Und wie oft hatten sie sich hier gestritten und wieder zusammengerauft? Nicht selten hatte sie ihren Blumenkohl auf Danny's Teller geschmuggelt, als gerade niemand hingesehen hatte. Sie hatte noch vor Augen, wie klein sie damals alle gewesen waren. Sie und Judy als die ältesten und dann Kate und Danny, die am Sonntagmorgen nach dem Frühstück in ihren Schlafanzügen am Küchentisch "Mensch ärgere dich nicht" spielten, während ihre Mutter das Mittagessen zubereitete und Judy, inmitten all des Lärmes, der Gerüche und Geräusche seelenruhig ihre Hausaufgaben machte, ohne sich an irgendetwas zu stören. Liz wünschte manchmal, sie könnte diese Zeiten noch einmal heraufbeschwören, um sie noch einmal zu erleben. Aber das war leider nicht möglich, und so blieben ihr und ihren Geschwistern nur die Erinnerungen an damals, die süßer nicht sein konnten. Es wurde still um sie herum und sie blickte auf. Die eingekehrte Ruhe war verstörend und unnatürlich, und deshalb fiel sie ihr sofort auf. "Das Essen ist fertig", sagte ihre Mutter und klatschte in die Hände, um alle zusammenzurufen. "Geht schon mal ins Wohnzimmer, Judy hat bereits den Tisch gedeckt. Ich hole noch das Hühnchen aus dem Backofen. Oh und - nehmt den Salat und das Püree schon mit." Sie kommandierte alle herum, wie immer, und scheuchte ihre Kinder aus der Küche, jedes davon mit einer Schüssel, Tellern oder Besteck beladen. "Kind", sagte Mrs. Winston zu Liz, als sie sich gesetzt hatten. "Du siehst müde aus." Die Erinnerungen an die vergangene Nacht kamen wieder zurück und sie versteckte ihr Grinsen hinter dem Glas Orangensaft, das sie sich schnell an die Lippen führte. Doch Judy konnte sie nichts vormachen. Als sie zu ihr rüber spinkste, trafen sich ihre Blicke für den Bruchteil einer Sekunde und Liz war sofort klar, dass beide wussten, was die jeweils andere dachte. So war es schon immer gewesen. Unmerklich zog Judy eine Augenbraue hoch und wandte sich dann an Beth. "Mum, glaubst du, Micky und ich können über Nacht hier bleiben?", fragte sie. "Ich hasse es, wenn Alan nicht zu Hause ist." Beth strahlte. "Aber ja, Schatz. Natürlich, dazu musst du doch nicht extra um Erlaubnis bitten!" Mrs. Winston liebte es, wenn Micky bei ihnen übernachtete. Sie und George hatten extra das Gästezimmer in ein Kinderzimmer umfunktioniert, damit er öfter bei ihnen schlafen konnte und sich wie zu Hause fühlte. Judy schlief dann für gewöhnlich in einem der anderen Zimmer, zusammen mit ihren Schwestern. Liz lachte in sich hinein. Das würde wieder eine tolle Pyjamaparty werden mit Jude und Kate und sie konnte mit ihnen endlich über Johnny quatschen und - wie jede Frau, die etwas auf sich hielt -, den Typen ein bisschen analysieren. Es gab da einige Sachen, die kamen ihr mehr als nur spanisch vor... Kate saß schon im Schlafanzug auf ihrem Bett und las ein Buch - ein Bild, das Liz immer vor Augen hatte, wenn sie an ihre Schwester dachte. Oft hatte sie sie in dieser Pose angetroffen, wenn sie ihr in Zimmer kam, und es beruhigte sie zu wissen, dass einige Dinge sich niemals ändern würden. Sie lachte über Kate's überraschten Gesichtsausdruck und winkte Judy hinein, die ihr auf dem Fuße folgte. Beide - Liz auch bereits im Schlafanzug, Judy noch in ihrem Alltagsdress - machten es sich bequem und Kate legte das Buch beiseite und sah ihre Schwestern neugierig an. "Ganz wie in alten Zeichen", sagte Judy seufzend und sah sich in dem alten Kinderzimmer um, das einmal ihr, dann Liz und nun Kate gehörte. "Stimmt", pflichtete Liz ihr bei und ließ noch einmal die Erinnerungen auf sich wirken. "Wir hatten eine sehr glückliche Kindheit", meldete sich dann wieder Judy zu Wort und lächelte versonnen. Als alle nickten und zustimmten, fügte sie hinzu: "Ich hoffe, meine Kinder werden auch so glücklich sein" Bei Liz schrillten sofort die Alarmglocken und sie erwachte urplötzlich aus ihrer Lethargie. "Kinder?", hakte sie misstrauisch nach. "Plural?" Judy lächelte verlegen und nickte. Liz und Kate tauschten einen überraschten Blick und beiden war sofort klar, was das bedeutete. Sofort stürzten sich die beiden Schwestern auf die älteste. "Wie lange schon?", japste Kate und war anscheinend genauso aufgeregt wie Liz selber. "Dritter Monat", antwortete Judy strahlend. "Ich hoffe, es wird ein Mädchen", stellte Lizzie klar. Dasselbe hatte sie damals bei Micky auch gesagt, aber sie war ganz und gar nicht enttäuscht gewesen, als es doch ein Junge geworden war. Sie liebte ihn über alles! "Wir müssen die Winston-Weiber-Tradition doch fortführen!" "Hoffentlich wird sie nicht wie Liz", lachte Kate und warf Liz einen feixenden Blick zu. "Sonst werden wohl auch für dich ein paar Flaschen Scotch aus Mum's Geheimbestand angebracht sein", sagte sie dann zu Judy. "Sie sollte etwas von uns allen haben", entschied Liz und ignorierte ihre freche, kluge, kleine Schwester. "Judy's Warmherzigkeit, Kate's Intelligenz und meine-" Lebenslust, wollte sie sagen, doch Kate kam ihr zuvor. "Lieber nichts von dir", unterbrach Kate sie. "Sonst wird sie wirklich allzu verkorkst." "Was soll das denn heißen?" Liz sprang auf und funkelte Kate herausfordernd an. Natürlich war sie nicht wirklich wütend, aber es machte immer Spaß, sich mit Kate zu triezen. Judy und Kate waren sich vom Wesen her sehr ähnlich, aber Judy was ausgeglichener, während Kate ihre Empfindlichkeit durch ihre schlagfertigen Antworten kompensierte. Judy hob lächelnd die Hände und versuchte, die beiden Mädchen zu besänftigen. "Hey, hey. Wir wissen noch nicht einmal, ob es überhaupt ein Mädchen wird." "Das werde ich ihm dann aber übel nehmen!", drohte Liz mit erhobenem Zeigefinger streng. "Hör auf, das ungeborene Kind einzuschüchtern." Sogleich wurde Kate von einem Kissen ins Gesicht getroffen und schaute ziemlich verdattert aus der Wäsche. "Hey!", rief sie empört und plötzlich entbrannte eine heftige Kissenschlacht, in deren Verlauf Danny in der Tür erschien, um die drei zurechtzuweisen. Irgendjemand schleuderte auch ein Kissen nach ihm und er verzog sich wieder, wohl wissend, dass man Mädchen sowieso nicht bändigen konnte, wenn sie sich gerade wie Wilde aufführten. Liz lachte leise und ließ sich rücklings auf das Bett fallen, Judy und Kate taten es ihr nach. Alle drei schauten an die Decke, auf der noch Judy's alte Leuchtsterne klebten, die sie sich von ihrem Taschengeld gekauft hatte, als sie dreizehn gewesen war. Zwölf Jahre war das schon her. Und die Sterne leuchteten immer noch. Liz fand das eine sehr schöne Metapher. "Also", kam Judy nun zu des Pudels Kern. "Erzähl uns von ihm." "Von wem?", fragte Kate verwundert. "Von dem Kerl, mit dem sie die Nacht verbracht hat", erklärte Judy, als hätte sie hellseherische Fähigkeiten. Mit großen Augen richtete sich Kate auf und starrte Liz an. "Du hast... ich meine...?“ Liz lachte. Kate war ein behütetes Kind gewesen - wie sie alle eigentlich, aber bei Kate hatte sich das wirklich gut ausgeprägt - in ihrer Welt gab es keine spontanen Aktionen wie "mit einem Mann nachts mitgehen". Sie musste immer alles planen. Nur, wenn sie sich einer Sache sicher war, zog sie sie auch wirklich durch. Alles andere wurde ad acta gelegt. Liz winkte ab. "Keine große Sache. Ich war in dieser neun Bar, Flyfisher's. Mel hat mich hingeschleppt, wegen dieser neuen Band, die da auftreten sollte. Es hat sich alles ewig lang hingezogen, aber dann haben sie gespielt und sie waren echt gut." Judy verzog das Gesicht und verdrehte die Augen. "Du hast wirklich ein ausgesprochen festgefahrenes Beuteschema", sagte sie dünn lächelnd. "Was findest du nur an diesen Musikern?" Liz gebot ihr mit einer Handbewegung zu schweigen. "Er ist in Anzug und Krawatte aufgetreten. Ich kann euch sagen, alle waren ziemlich baff, mich eingeschlossen. Danach habe ich mich mit ihm unterhalten. Viel hat er nicht gesagt, ich glaub’, er fand mich irgendwie seltsam." Dann grinste sie. "Aber ich sag euch was, küssen kann er! Mein Gott." "Also bist du mit ihm nach Hause gegangen?", schlussfolgerte Judy sachlich. Liz nickte. "Aber das seltsame ist, dass seine Wohnung total aufgeräumt ist. Und er verhält sich auch so... ich weiß nicht... unnormal?" Kate schnappte nach Luft. "Hoffentlich hast du dir keine Psychopathen eingefangen", quiekte sie ängstlich. Liz rollte die Augen. "So meine ich das nicht. Normalerweise sind diese Typen so... 'Hey, Baby, wie wär's mit uns beiden? Du bist mein größter Fan, du weißt schon... zwinker zwinker...'" Sie grinste kurz ob dieser wirklich passenden Charakterisierung, die ihr so kurzfristig eingefallen war. Kate verzog angewidert das Gesicht. "Was? Und mit so welchen gehst du tatsächlich mit?" "Das hab ich nicht gesagt!", verteidigte Liz sich. "Aber ich hatte auch mal meine wilde Rumprobierphase!" "Wohl eher Rummachphase...", murmelte Kate trocken. Judy unterbrach das Geplänkel. "Und er? Wie heißt er überhaupt?" "Johnny. Er war so... zurückhaltend. Als wüsste er gar nicht, worauf das alles hinausläuft. Kurzzeitig hat er sogar versucht, mich abzuwimmeln, glaube ich. Das passt überhaupt nicht." Judy runzelte die Stirn. "Findest du nicht, dass du da ein wenig Vorurteile gegen solche Leute hegst? Nicht jeder, der Musik macht, ist ein unhygienischer Schlamperich und nicht jeder, der einen festen Job hat, hält seine Wohnung rein... Außerdem hat doch jeder ein Recht auf den ihm eigenen Charakter. Kann es nicht einfach sein, dass der Typ gerne Musik macht UND ordentlich ist?" Liz dachte eine Weile darüber nach. "In seiner Wohnung sind überhaupt keine Instrumente", warf sie dann ein. "Vielleicht hat er ein Musikzimmer dafür", erklärte Kate. "Viele haben das. Diese Hobbyzimmer sind jetzt ziemlich im Trend. Bei Schriftstellern ist das sogar Gang und Gebe..." "Jaja", schnitt Liz Kate ungeduldig das Wort ab. "Das könnte natürlich eine mögliche Erklärung sein. Ihr habt ja recht." Sie seufzte. Sie wollte auf keine Fall so sein - Leute in Schubladen stecken - dabei tat sie es die ganze Zeit. Und das schlimmste war, dass es ihr noch nicht einmal auffiel. Natürlich konnte Johnny ein guter Musiker sein und dazu noch jemand, der seine Wohnung gerne sauber hielt. Vielleicht hatte er auch eine Putzfrau... Und vielleicht war er ein Womanizer, oder auch schüchtern. Was machte es schon. Er war ein netter Kerl, und wenn sie ihn das nächste Mal sah, würde sie es schon herausfinden. "Und nun?", hakte Kate nach, nach einem Happy End gierend. "Seid ihr zusammen?" Liz lachte laut los und erntete genervte Blicke ihrer Schwestern, die das schon kannten. "Ich kenne ihn doch gar nicht. Aber nein - wir sind nicht zusammen", erklärte sie dann geduldiger. "Man muss nicht immer gleich zusammenziehen, sich einen Hund kaufen und fünf Kinder bekommen, wisst ihr." Judy, deren Meinung zu diesem Thema Liz schon kannte, betrachtete sie mitleidig, und Kate runzelte die Stirn. "Man kann eine Beziehung auch führen, wenn man keine Kinder und einen Hund hat. Oder verheiratet ist", sagte sie. "Man muss sich nur gern haben." "Und genau da liegt das Problem", fügte Judy seufzend hinzu. "Bis Liz mal einen Kerl wirklich gern hat - na ja. Keine Ahnung, was dafür erst passieren muss. Apokalypse oder so was.“ "Ach, hört doch auf", winkte Liz ab. "Ich hab viele Männer gern. Aber trotzdem muss mich nicht gleich in Ketten legen lassen." Judy schnaubte. "Ich will dich mal erleben, wenn du verliebt bist. So richtig. Mal sehen, ob du dann noch immer so hochnäsig tust." Liz grinste, lehnte sich zu Judy herüber und lehnte ihre Stirn an die ihrer Schwester. Ihre Augen glitzerten angriffslustig. "Versprochen", sagte sie zu ihr. Kapitel 8: - John - ------------------- John stöhnte und kniff vor Schmerz die Augen zusammen, um seinen Bruder Phil einen grimmigen Blick zuzuwerfen, dabei hielt er sich ein Kühlpad an die Stirn und konnte sich gut vorstellen, wie dämlich er damit aussah. "Tut mir wirklich leid, John. Ich hab dich nicht kommen sehen", sagte Phil mit einem entschuldigenden Lächeln, aber sein Glucksen strafte ihn Lügen. "Du hast mir die Tür vor der Nase zugeschlagen", brummte John. "Warum war die überhaupt offen?" Phil zuckte nur mit den Schultern. "Keine Ahnung. Anscheinend haben wir vergessen, sie zuzumachen, als wir nach Hause gekommen sind. Wir waren wirklich müde." "Seit gestern?!" "Und wenn schon", winkte Phil ab, "kann doch jedem mal passieren." John seufzte. Sein Bruder war das komplette Gegenteil von ihm. Sorglos, blond, ein Sonnenschein. Und er wohnte zusammen mit seiner Freundin Faye ganz in der Nähe von John's Wohnung, weshalb sie sich sehen konnten, wann immer sie wollten. An diesem Sonntag hatte John entschieden, dass er seinen Bruder besuchen sollte, auch, um ihm ein bisschen auf den Zahn wegen der Hochzeitsfeier seines Dads zu fühlen, doch als er bei ihnen ankam, hatte er festgestellt, dass die Tür nur angelehnt war. John hatte sich schon sonst was ausgemalt und gerade, als er den Mut aufgebracht hatte, einen Schritt in die Wohnung zu setzen, hörte er Phil's Stimme, der sich über die offene Tür wunderte, und schon hatte er genau diese im Gesicht gehabt. Jetzt prangte eine große Beule, die schmerzhaft pochte, auf seinem Vorderkopf und er saß hier wie ein Trottel mit Kühlpads und musste sich das dämliche Gegrinse seines Bruders antun. "Wie war die Feier?", wechselte er dann das Thema und versuchte, so unbeteiligt wie möglich dabei zu klingen. In Wahrheit aber brannte er darauf zu erfahren, dass... dass sein Vater total enttäuscht gewesen war, dass er nicht aufgetaucht war. John wusste, dass das nur seiner Fantasie entsprang und natürlich auch ohne ihn alles gut verlaufen war und alle sich amüsiert hatten, ohne seine Abwesenheit zu vermissen. "Gut. Wir haben uns alle toll amüsiert. Schade, dass du nicht da warst. Dad meinte, du hättest arbeiten müssen." Phil warf ihm einen fragenden Blick zu. "Ich vermute ja eher, du hattest keine Lust." John zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. Er war niemandem eine Rechenschaft schuldig. Weder seinem Bruder und schon gar nicht seinem sogenannten Vater. "Ich weiß gar nicht, was du gegen Caroline hast. Sie ist sehr nett." "Ich habe schon eine Mutter", erwiderte John, schärfer als er eigentlich gewollt hatte, und merkte, dass er sich unnötig aufregte. Aber er konnte nicht anders, wenn die Sprache auf seinen Vater und seine neue Frau kam. Phil zögerte und wählte seine nächsten Worte mit Bedacht. "Das habe ich auch... und ich sag ja gar nicht, dass Caroline ein Ersatz sein soll. Es gibt mehr als nur... Schwarz und Weiß da draußen." Johns schnaubte und warf seinem Bruder das Kühlpad hin. "Seit wann bist du denn zum Moralapostel mutiert, Phil?" "Bin ich gar nicht. Ach." Phil schüttelte verärgert den Kopf. "Du bist hoffnungslos. Und unfähig, über deinen Tellerrand hinwegzusehen." "Vielen Dank für deine realistische Einschätzung der Lage", brummte John genervt. Wann war sein Bruder eigentlich so erwachsen geworden? Er hatte immer sich für den reiferen von ihnen gehalten, für denjenigen, der auf Phil und seine Mutter aufpasste und ihre Interessen vertrat. Aber nun merkte John, dass er möglicherweise nur Phil's Wut mitgetragen hatte, weil Phil selbst überhaupt keine empfand. "Ich sag ja nur", beschwichtigte Phil ihn. "Wenn du mal aus deinem Schneckenhaus herauskriechen würdest, würdest du merken, dass du eine noch größere Familie haben könntest." "Du, Mum und Faye, das reicht mir", winkte John brüsk ab. Dass Thema hatte ihn wieder mal verärgert, genauso wie es immer der Fall war. Er sollte es einfach gar nicht mehr ansprechen. Nie wieder. Was sich schwierig erweisen würde, denn deshalb würden sein Dad und Caroline noch lange nicht aufhören, zu existieren oder sich bei ihm zu melden. Phil konnte ein kleines Lächeln nicht unterdrücken. "Dass du Faye als deine Familie ansiehst, ist ja schon mal ein Anfang..." John wusste, dass er Phil damit besänftigt hatte. Aber es war die Wahrheit. Phil war schon seit jeher mit Faye zusammen und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie sich verloben und heiraten würden. Für ihn war Faye wie eine kleine Schwester, und sie passte hervorragend zu Phil. Wo sein Bruder aufmüpfig und störrisch war, war sie geduldig und vernünftig. Sie erinnerte ihn in gewisser Weise an ihn selber - nur dass sie das Leben mit viel mehr Humor nahm und viel öfter lachte. Er liebte Faye. Und mehr Familie als diese drei brauchte er nicht. "Ich hab euch Jungs eine Tüte Chips aufgemacht." Faye kam ins Wohnzimmer und stellte eine Schüssel Knabberein auf den Couchtisch, dann setzte sie sich neben Phil auf das Sofa und ließ ihn einen Arm um sich legen. "Und ich hab gewartet, bis ihr endlich aufhört, euch anzuzicken." John lachte. "Sehr diplomatisch." "Trotzdem hat Phil recht." Sie ließ ihre Worte ein wenig wirken und fügte dann sanfter hinzu: "Du kannst nicht ewig auf deinen Dad sauer sein. Es ist schon so lange her." "Und Mum ist seitdem immer noch alleine", verteidigte John sich. Von gleich zwei von denen in die Mangel genommen zu werden war einfach... nicht fair! Seltsamerweise schwiegen Phil und Faye verlegen und mieden seinen Blick, was ihn stutzig machte. "Was ist?", fragte er misstrauisch und legte seine Stirn in Falten. "Ihr verheimlicht mir doch etwas?" Faye räusperte sich und sah ihm noch immer nicht in die Augen. "Sieh mal, John... Manchmal ist es so, dass Eltern sich nicht trauen, ihren Kindern..." "Mum hat einen Freund", fiel Phil ihr genervt ins Wort, und als sie ihn anklagend ansah, verteidigte er sich sogleich: "Was? John ist alt genug, um das auch zu wissen." John jedoch war die Kinnlade heruntergeklappt. Er konnte erst mal eine Weile gar nichts sagen. Seine Mutter? Einen Freund? Der erste Gedanke, der ihm durch den Kopf ging, war: In ihrem Alter? Aber dann besann er sich darauf, dass das Alter eigentlich gar keine Rolle spielte. Aber... wieso wussten Phil und Faye davon, und er nicht? Wieso hatten sie ihm das alle verheimlicht? "W... wie lange schon?" "Na ja...", druckste Faye herum, die Phil mit Blicken zu verstehen gegeben hatte, dass er besser den Mund halten sollte. "Ein paar Monate schon..." "Und warum sagt mir niemand was?!", polterte John empört drauf los. "Weil", mischte sich Phil nun doch ein und ignorierte Faye's verärgerten Blick, "Mum sagt, du bist noch nicht bereit dazu." Er rollte genervt mit den Augen. "Sie sagt, du bist noch nicht über Dad hinweg." John machte den Mund auf, doch dann schloss er ihn wieder. Er fühlte sich wie ein Idiot. Alle - anscheinend auch seine Mum, von der er es am wenigstens gedacht hatte - lebten ihr Leben weiter und anscheinend störte sich niemand mehr an dem Verrat seines Vaters vor etlichen von Jahren... er war der einzige, der die ganzen enttäuschten Gefühle und die Wut mit sich herumtrug und es nicht schaffte, darüber hinwegzusehen. "Phil, du bist ein Arsch." Faye boxte seinen Bruder auf die Schulter. "Das kann man auch netter sagen." "Autsch." Er rieb sich die Schulter und warf ihr einen skeptischen Blick zu, als vermutete er, sie wäre noch nicht fertig damit, ihn zu schlagen. "Tut mir leid, John, Aber du bist alt genug, um es auch zu erfahren. Wir sind doch keine zehn mehr." John schwieg, und Faye auch. Als er einen Blick mit ihr wechselte, konnte er sehen, dass sie Mitleid mit ihm hatte. Das hasste er, deshalb war es wirklich an der Zeit, sich zusammenzureißen. Gequält lächelte er. "Ich finde", sagte Faye und hob den Zeigefinger in die Höhe wie eine Lehrerin. "John könnte eine Freundin auch ganz gut tun. Wann hattest du deine letzte?" "Schon ewig her", murmelte Phil leise und kassierte einen zweiten Schlag von seiner Freundin. John dachte nach. "Schon ewig her", gab er zu. "Vor ein paar Wochen bin ich mit einer Kollegin ausgegangen..." "Aber? Sie war nichts für dich?" "So ähnlich." John dachte an Liz. Im Grunde hatte er das ganze Wochenende an sie gedacht - und lächelte. Es war das dämliche Grinsen eines dämlichen Narren, das wusste er genau, aber er konnte es nicht unterdrücken. Faye sprang sofort darauf an. Wenn sie erst mal ihre Fühler ausstreckte, konnte man nichts vor ihr verbergen. "Was?", fragte sie aufgeregt. "Da ist noch was!" Phil sah sie zweifelnd von der Seite an und zeigte John dann vielsagend den Vogel. Faye rammte ihm ihren Ellbogen in die Rippen und er heulte leidend auf. "Spinnst du?!" "Halt die Klappe, Phil!" "Ich sag’ doch gar nichts!", empörte sich dieser und rückte ein Stück von Faye weg. John musste lachen. So ging es zwischen den beiden schon seitdem sie kleine Kinder gewesen waren. Er liebte das. "Ich sehe alles", warnte sie ihn mit einem eisigen Blick und gebot John dann mit einem ungeduldigen Wink, weiterzureden. "Weiter, weiter." "Da war nichts", log John und wusste sofort, dass alle anderen auch wussten, dass er log. Er seufzte, noch bevor jemand etwas sagen konnte. "Okay, okay. Ich hab Luke ausgeholfen mit seiner Band. Sie spielten in Mayfair. Er hat sich verletzt und ich bin für ihn eingesprungen." Phil machte große Augen. "Soll das heißen, du bist... aufgetreten? Auf der Bühne?" Dann lachte er laut. "Sehr witzig. Verarschen kann ich mich auch alleine." Faye verdrehte die Augen und zeigte John nun ihrerseits den Vogel. "Ignorier ihn. Der kriegt keinen Zucker mehr zum Frühstück." John tat, wie ihm geheißen. "Danach war da diese Frau... sie hat behauptet, sie wollte einen Artikel über die Band schreiben, aber als ich sagte, ich wäre gar nicht von der Band, hat sie das Interesse schnell verloren. Zumindest an den anderen Jungs. Wir sind an die Bar und sie hat die ganze Zeit gedacht, ich spiele auch in einer Band..." "Und du hast sie aufgeklärt?", vermutete Faye. "Dann ist sie gegangen, weil sie dich langweilig fand." John fand es ganz und gar nicht schmeichelhaft, wie viel Vertrauen Faye in ihn hatte. Er schüttelte den Kopf. "Ich hab sie in dem Glauben gelassen. Ich hab ja nicht gedacht, dass ich sie je wiedersehe nach diesem Abend." Phil, der sich auf der Couch ausgebreitet und bis dato einen ziemlich desinteressierten Eindruck gemacht hatte, richtete sich mit gespitzten Ohren auf. "Was soll das heißen?" "Äh, wir... irgendwie ist eins zum anderen gekommen. Heute morgen hat sie mir ihre Telefonnummer dagelassen, bevor sie verschwunden ist." Phil glotzte ihn an. "Heißt das, du hast sie fla-" Er bemerkte Faye’s schneidenden Blick und räusperte sich. "Die Nacht mit ihr verbracht? Wow. Mein großer Bruder wird ja ein richtiges Partytier. Ich bin stolz wie eine Mami." Phil grinste dämlich. Faye sah aus, als wollte sie ihn auf der Stelle erwürgen. "Phil. Ich sag's dir. Halt endlich deine Klappe!" Dann wandte sie sich wieder John zu. "Entschuldige. Aber du weißt ja besten, wie er ist..." "Ja." John grinste. "Ihm fehlte eine starke männliche Hand." "Also, wie heißt sie und wann wirst du sie anrufen? Warte - ich hab's! Ruf sie jetzt an!" Faye sprang vom Sofa und griff sich das Telefon, um es ihm hinzuhalten. John sah es skeptisch an. "Na los, hier. Überall auf der Welt warten Frauen darauf, dass der Kerl sie anruft. Du kannst das ändern und jetzt gleich ein kleines Stückchen Gerechtigkeit in die Sache hineinbringen!" Sie sah ihn streng an. "Nette Rede...", kommentierte Phil ironisch. "Setz ihn ja nicht unter Druck." John hob abwehrend die Hände und lachte verlegen. "Faye, das ist... echt nett, danke, aber ich glaub’, ich ruf sie doch erst lieber... zu Hause an. Vielleicht morgen oder so..." Der Gedanke, jetzt hier, vor den Augen und Ohren von Phil und Faye mit Liz zu reden.... ließ ihm einen kalten Schauder über den Rücken gleiten. Wahrscheinlich würde er nur herumstottern und Quatsch erzählen, während er die Blicke der beiden im Rücken fühlte wie Messerstiche. Nein. Das war nun wirklich etwas, wobei er kein Publikum brauchte. Faye sah enttäuscht aus. "Aber ruf’ sie auch wirklich an, ja?", bettelte sie. John nickte. "Na klar... und danach werd ich dir erzählen, wie's gelaufen ist." Eigentlich sollte das nur ein Scherz sein, aber das Gesicht seiner "Schwester" hellte sich im Nu auf und sie nickte begeistert. Wie hätte er sie dann noch enttäuschen können? Kapitel 9: - Liz - ------------------ Liz war gerade mit dem Macy Hills-Artikel fertiggeworden, die sie zwei Tage zuvor getroffen hatte, als John anrief. Es war das perfekte Timing, denn sie war endlich fertig mit der Arbeit, entspannt, und hatte Lust auszugehen. Sie überrumpelte ihn, als sie seine förmliche Essenseinladung ausschlug und ihm stattdessen nahe legte, noch direkt am selben Tag nach SoHo zu gehen und in Chinatown etwas zu essen. Liz liebte SoHo und Chinatown, das geschäftige Treiben dort, die immerwährend arbeitsamen Chinesen und die Touristen, die mit großen Augen Fotografien von den bunten, leuchtenden Lampions und Lichterketten machten. Vor allem abends, wenn es dunkel war, entfaltete Chinatown seine Wirkung. Es war laut, voll, eng, bunt und es gab in jedem Winkel etwas anderes zu entdecken. Und niemand achtete auf einen. Ja, heute Abend hatte sie wirklich Lust auf Chinatown. Sie traf John am Eingang an. Etwas verloren stand er inmitten der ihn passierenden Menge und schaute verstört drein. Liz lachte, als sie auf ihn zutrat. "Sag bloß, du warst noch nie in Chinatown?", neckte sie ihn. John lächelte, als er sie sah. Linkisch bewegte er sich vor, doch dann blieb er auf der Stelle stehen. Stattdessen nickte er. "Doch. Aber es ist immer wieder erstaunlich." "So geht’s mir auch immer. Ich liebe diesen Ort." Mit glänzenden Augen sah Liz sich um und in ihren Pupillen spiegelten sich die tanzenden Lichter wider. "Ich liebe Chinatown. Ich glaube, es ist der fröhlichste Ort auf der Welt." Wie selbstverständlich hakte sie sich bei ihm ein und zog ihn enthusiastisch mit sich. "Komm mit, gleich da vorne", sie deutete auf ein Gebäude, das sich in nichts von den anderen unterschied, "ist das wohl beste Chinesische Restaurant hier." Sie strahlte ihn an. "Hast du Hunger?" Ohne auf seine Irritation zu achten, zog sie ihn mit sich in das Gebäude hinein. Ihre Fröhlichkeit und ihre Lebendigkeit steckten ihn an und er lächelte bei ihrem Anblick milde. Noch nie hatte er eine Frau getroffen, der man ihre Lebenslust sofort ansehen konnte. Die meisten Frauen, mit denen er ausgegangen war, waren ebenfalls Anwältinnen gewesen und immer irgendwie... beherrscht. Sie lachten nicht zu viel, sie aßen nicht zu viel und sie waren stets höflich, förmlich und... steif. Liz war locker, das hatte er sofort gemerkt. Sie war jemand von „der anderen Seite der Welt“, wie er es stets nannte. Leider war die andere Seite der Welt für Leute wie ihn nicht so einfach zu erreichen. Sie drängte sich vorbei an eng aneinanderstehenden Tischen mit Touristen und wurde fast von einem eilenden Chinesen mit drei beladenen Tellern in den Händen umgerannt. Doch Liz wich ihm mit John im Schlepptau geschickt aus, rief einem bleichen Jungen mit schwarzem Haar etwas im Befehlston zu und ehe er sich’s versah, saßen sie an einem Tisch für zwei Personen. Liz lächelte triumphierend, als John sich mit großen Augen umschaute, während er sich seinen Stuhl zurückrückte und versuchte, keinem der Gäste, die alle eng an eng zusammensaßen, auf die Füße zu treten oder den Ellbogen ins Gesicht zu wischen. "Das ist ja das reinste Abendteuer, ich habe wohl echt was verpasst in all den Jahren." Liz blinzelte. "Machst du Witze? Sag bloß, du warst noch nie chinesisch essen?" "Doch, doch. Aber nicht... so. Nicht hier." Liz lehnte sich gönnerhaft zurück und nahm die Speisekarte in die Hand. "Tja, das hier ist tausendmal besser. Du wirst sehen." John nahm das Menü, das auch auf seinem Tisch lag. "Das ist auch auf Chinesisch", sagte er verwundert und starrte auf die ihm unbekannten Zeichen. "Was...äh? Wie soll ich? Ach, warte..." Er runzelte die Stirn und hielt sich die Karte näher ans Gesicht. "Ist das da Englisch? Ich dachte... huh? Was soll denn das bedeuten?" Liz lachte. Die Hieroglyphen einer chinesischen Speisekarte zu entziffern war mindestens genauso langwierig wie unmöglich. "Vergiss es. Nimm die 28, wenn du Fisch magst." John sah über den Rand der Karte zu ihr herüber. "Ein Geheimtipp?" Sie lächelte ihm kess zu. "Du wirst es nicht bereuen." "Das glaube ich auf's Wort", murmelte er und schluckte. Der bleiche Schwarzhaarige kam angebraust, rief ihnen etwas auf Anglo-Chinesisch zu und räumte dabei hastig den Tisch der Nachbarn ab, die sich gerade ihre Jacken anzogen. Hinter dem jugendlichen Kellner standen schon die nächsten Gäste bereit und schauten genauso verstört drein wie John, als Liz ihn in diese seltsame Parallelwelt inmitten von London geführt hatte. "Zweimal 28", rief Liz dem Kellner beiläufig zu und er verschwand auf der Stelle wieder im Getümmel. Erst dann widmete sie ihre ganze Aufmerksamkeit John. "Also." Sie stützte ihr Kinn auf ihre Hände und sah ihn interessiert an. "Erzähl mir etwas von deiner Band. Spielst du da auch Gitarre, oder bist du ein Multi-instrumentales Talent?" John sah sie geschockt an und zeigte keinerlei Reaktion. Dann verzog er das Gesicht zu einem gequälten Ausdruck und druckste herum. "Also... um ehrlich zu sein... die ganze Sache ist so..." Liz zog eine Augenbraue fragend in die Höhe. "Ich hab gar keine Band", platzte es dann aus ihm heraus und er sah sehr erleichtert aus. "Du bist einfach davon ausgegangen und ich hab’ nichts getan, um dich vom Gegenteil zu überzeugen. Und... ich heiße auch nicht 'Johnny' - John reicht vollkommen aus. Tut mir leid...", schloss er dann lahm und versuchte ein verlegenes Lächeln. Liz brauchte eine Weile, um die Information zu verarbeiten. John war gar kein Musiker? Er spielte in keiner Band? Viele kleine Puzzlestückchen ergaben nun endlich ein ganzes Bild und sie verstand jetzt alle Details, glaubte sie. Die vielen ausweichenden Antworten, die ruhige, beherrschte Art, die ordentliche Wohnung... John war... was war er? "Aber glaub mir", fügte er noch hinzu und unterbrach damit ihre Gedanken. "Hätte ich vorher gewusst, dass das bei schönen Frauen so gut ankommt, hätte ich schon lange meine eigene Band gegründet." Er lachte nervös und kratzte sich dann am Hinterkopf. Dabei sah er aus wie ein linkischer Schuljunge. Aus irgendeinem Grund - Liz wusste es selbst nicht - konnte sie ihm nicht böse sein. Nein - sie war irgendwie auch erleichtert. Johnny - wäre er wirklich so gewesen, wie sie gedacht hatte - hätte ihr Weltbild ganz schön ins Wanken bringen können. Aber dieser John hier war ganz und gar ungefährlich. Er war süß und schnuckelig und zweifellos auch mit ein paar Musikergenen gesegnet. Doch absolut harmlos. Aber so leicht wollte sie ihn nicht vom Haken lassen. "Du hast mich angelogen?", fragte sie stirnrunzelnd und sein leidendes Winden bereitete ihr diebisches Vergnügen. "Ich hab... nicht wirklich daran geglaubt, dass du mich wiedersehen willst", entgegnete er mit entwaffnender Ehrlichkeit und Liz hätte am liebsten aufgestöhnt. Hatte sie hier etwa tatsächlich ein Exemplar von Mann vor sich, das zu genau der richtigen Zeit genau das Richtige sagte? Das konnte unmöglich wahr sein. Liz beschloss, nicht darauf zu reagieren. So leicht würde sie sich nicht ködern lassen, obwohl sie nicht umhin konnte, zu bemerken, dass John ihr dauernd Komplimente machte. "Wo arbeitest du dann?" "Ich bin Anwalt." John räusperte sich. "Erb- und Familienrecht." Liz hätte am liebsten ihren Kopf gegen die Tischplatte gehauen. Anwalt! Ausgerechnet! Genauso wie ihr Dad. Gab es einen langweiligeren Beruf auf dieser Erde? Wohl kaum. "Ich weiß", redete John weiter, als sie ihn nur anstierte, ohne etwas zu sagen, und nicht einmal registrierte, wie zwei vollbeladene Teller vor sie hingestellt wurden. "Die meisten Menschen halten diesen Beruf für extrem langweilig und somit auch die Menschen, die darin arbeiten." Er stockte plötzlich und überlegte, seufzte dann ergeben. "Okay... Ich muss aus eigener Erfahrung sagen, es stimmt wirklich. Ich würde es verstehen, wenn du mich jetzt einfach hier sitzen lässt, jetzt, wo du das weißt. Aber... ich hoffe, du wirst es nicht tun." Er warf ihr einen flehenden Blick zu. Liz ging vieles zu durch den Kopf. Zum Beispiel, dass nicht viele es geschafft hätten, so gnadenlos ehrlich zu sein. Und auch, dass, wenn man so ehrlich zu jemandem war, man es eigentlich nur ernst mit demjenigen meinen konnte. Sie bemerkte auch einen Anflug von Panik, der mit diesem Gedanken einherging. Aber vor allem dachte sie daran, dass sie eine verdammte Heuchlerin war. Klar hatte sie eben noch daran gedacht, dass John ein langweiliger Spießer war, aber wie kam sie überhaupt dazu, sich ein Bild von ihm zu machen, ihn schon in einem Schublade abzulegen, bevor sie ihn überhaupt richtig kannte? Sie wusste ja nicht einmal seinen Nachnamen, und hatte sie nicht insgeheim schon mit dem Gedanken gespielt, ihn hiernach abblitzen zu lassen? Er hatte das anscheinend auch erkannt, denn dumm war er nicht, das wusste sie bereits. Er hatte es gewusst, und sie deshalb in dem Glauben gelassen. Liz widerstrebte diese Selbsterkenntnis. War sie wirklich so unmoralisch? Pickte sie sich nur das Interessante raus und ließ alles andere links liegen, nur weil es nicht ihrem Interessensgebiet entsprach, ganz egal, wie der Mensch war, der dahinter steckte? Sie hatte sich immer bemüht, nicht oberflächlich zu sein und allen eine Chance zu geben, aber anscheinend traf das nicht auf Männer zu. Mit wenigen Worten hatte John ihr ein schlechtes Gewissen gemacht und wusste wahrscheinlich noch nicht einmal davon. Sie beschloss, ihm eine Chance zu geben. Sie würde schauen, wie der Abend verlief und dann entscheiden, ob John es wert war, dass sie ihn wiedersah oder nicht. "Warum bist du Anwalt geworden?", hakte sie nach. John lachte. "Mein Vater wollte, dass ich Ingenieur oder Architekt werde. Also hab ich Jura studiert." Verständnislos sah sie ihn an und er erklärte: "Um ihn zu ärgern. Eigentlich habe ich an so etwas wie Kfz-Mechaniker oder Bauarbeiter gedacht, aber das wäre doch nicht ganz so mein Fall gewesen. Obwohl es das bestimmt wert gewesen wäre." Liz musste sich ein Lachen verkneifen. Sie war wohl nicht die einzige, deren Lebensstil auf Unverständnis bei der eigenen Familie stieß. Da steckte doch tatsächlich ein bisschen von einem Rebell in dem Anwalt John. Das konnte noch interessant werden... John erzählte schon weiter. "Beim Studium habe ich dann gemerkt, dass es eigentlich - ja, ich weiß, es ist nicht zu glauben - ganz interessant ist, was ich da mache. Zuerst wollte ich Richter werden, aber dann fiel mir doch noch rechtzeitig ein, dass das eine Nummer zu groß für mich war." "Und warum Familien- und Erbrecht?" "Es erschien mir weniger trocken als der Rest. Und mit Schwerverbrechern wollte ich mich jetzt auch nicht herumschlagen." Dann senkte er den Kopf und lächelte niedergeschlagen. "Obwohl ich bei manchen meiner Familien denke, da sollte so etwas wie Strafrecht auch greifen..." Seine nachdenkliche Stimmung sprang auf Liz über und sie schwiegen beide für einen Augenblick. Dann sah John sie grinsend an. "Tut mir leid. Das ist kein gutes Thema für einen so schönen Abend. Ich schätze mal, du hast keinen Artikel über Luke's Band geschrieben, oder?", wechselte er das Thema und beäugte misstrauisch die Stäbchen, die neben seinem Teller lagen. Dann hob er skeptisch eine Augenbraue hoch und griff nach der Gabel, die daneben lag. Liz grinste. "Nein. Die alte Hexe würde so etwas niemals zulassen." "Die alte Hexe?" "Mrs. Witch. Meine Chefin." Auf John's argwöhnischen Blick hin erklärte sie: "Sie heißt wirklich so. Und man sagt ja nichts umsonst 'Nomen est Omen'. Zumindest bei ihr trifft das zu." John lachte. "Und sie mag keine Musik? Eine Schande." Dann steckte er sich eine Gabel von der Reis-Fischpfanne in den Mund und hielt inne - kaute. "Oh", machte er dann verdutzt und starrte seinen Teller an. "Das schmeckt... anders." "Schmeckt es dir nicht?", wollte Liz wissen. "Es ist vielleicht ein wenig gewöhnungsbedürftig, wenn-" "Nein, nein. Es schmeckt sehr gut. Es ist nur... das hier schmeckt wie... Fisch!" Liz legte den Kopf schief und lächelte fragend. "Normalerweise schmeckt der Fisch beim Chinesen immer nach gebackenem Teig und gar nicht richtig nach Fisch. Aber das hier..." Er deutet auf seinen Teller und hob begeistert beide Augenbrauen. "Das ist echt gut." Verdammt. Liz mochte ihn! Sie merkte es daran, wie alles, was er tat, sie lächeln machte. Sie beschloss, es auf ihre gute Laune heute Abend zu schieben. Und sie musste es genießen, solange, wie es anhielt. Wahrscheinlich würde die alte Hexe ihr schon morgen einen weiteren uninteressanten Artikel zuteilen und dann konnte sie sich wieder durch zehn archivierte Regenbogenpresse-Zeitungen wühlen – wenn sie Glück hatte! John lachte entspannt und unterbrach ihre Gedanken. "Ich hab all die Jahre keinen richtigen Fisch gegessen und es nicht einmal gemerkt!" Liz tippte auf die Speisekarte, die noch immer auf ihrem Tisch lag. "Vom Muschelgericht würde ich allerdings abraten. Ich hab einmal eins erwischt, und es ist nicht... gutgegangen", wich sie lächelnd aus. John zog die besorgt die Augenbrauen zusammen und schaute angestrengt auf die Karte. "Welches ist es?" "Ich weiß es leider nicht mehr." Beide schauten sich an und mussten lachen. "Ich fürchte", sagte John und deutete hinter Liz, "wir müssen uns beeilen. Da steht schon eine ganze Schlange lauernder Hyänen und wartet begierig darauf, dass Plätze freiwerden..." Er schob sich eine weitere Gabel in den Mund und ließ die Horde hinter Liz nicht aus den Augen. Liz grinste und zwang sich dann dazu, damit aufzuhören. Das konnte doch nicht wahr sein! "Ja", sagte sie, "gemütlich kann es hier eigentlich nie werden..." Er warf ihr einen seltsamen Blick zu, sagte aber nichts. Sie aßen eine Weile und unterhielten sich über Belangloses. Liz erzählte von ihrem Artikel, den sie heute erst fertiggestellt hatte, behielt allerdings die Tatsache für sich, dass sie ihre Arbeit im Moment ganz und gar verabscheute. Er sollte sie nicht für eine unzufriedene Nörglerin halten. Ihre Vorbehalte gegen die Regenbogenpresse brachte sie trotzdem zur Sprache und John hörte ihr geduldig zu, während er immer wieder verwunderte Blicke auf sein Reisgericht warf, als könne er kaum glauben, dass etwas so schmecken konnte. Irgendwann schien er sich nicht einmal an den Horden der Menschen, die sich an ihnen vorbeidrängelten, zu stören und auch nicht daran, dass sie die Gespräche im Umkreis von mehreren Metern mithören konnten. Er erzählte ihr nichts von seiner Arbeit. Wahrscheinlich, vermutete Liz, wollte er sie nicht langweilen, da er eh schon gemerkt hatte, dass sie nicht allzu begeistert reagiert hatte - wofür sie sich mittlerweile in den Hintern treten konnte. Egal, wie ein Mensch seinen Lebensunterhalt verdiente, er sollte sich nicht dafür rechtfertigen müssen. Schon gar nicht bei ihr. Stattdessen redete er über Luke, wie er ihn kennengelernt hatte und wie es dazu gekommen war, dass er an diesem besagten Freitag Abend auf der Bühne stand und nicht Luke, wie eigentlich vorgesehen. Ingesamt, fand Liz, war es eine Geschichte voller Zufälle, wo eins zum anderen geführt hatte. Und jetzt konnte sie auch verstehen, warum John so durch den Wind gewesen war, als sie dann auch noch auf der Bildfläche aufgetaucht war. "Wozu hast du Lust?", fragte sie ihn, als sie fertig waren mit dem Essen und auf die Straße hinaustraten. John hatte bezahlt und als sie erwidert hatte, dass es nicht nötig sei, hatte er ihr erklärt, dass es sich so gehörte. Diese Ritterlichkeit war ihr vorher fremd gewesen und obwohl sie es etwas altmodisch fand, war sie doch geschmeichelt gewesen und hatte ihn gewähren lassen. "Tja, ich weiß nicht", murmelte er und rieb sich ratlos den Hinterkopf. Der Mond schien in einem gruseligen leuchtenden Orange, aber in London war es selten dunkel genug, als dass das irgendeine gespenstische Wirkung haben könnte. "Wollen wir ein Stück zu Fuß gehen?", half sie ihm auf die Sprünge und hakte sich wieder bei ihm ein. "Ich zeige dir, wo ich wohne." Er sah sie fragend an und warf einen skeptischen Blick auf seine Uhr. Natürlich war es noch früh und sie konnte sich denken, was er dachte, und lachte. "Es ist ein Stückchen zu Fuß. Am Hyde Park. Meinst du, du kannst so weit laufen?" Jetzt hatte sie sein männliches Ego am Haken und sie wusste das. "Sicher kann ich das", ereiferte er sich ein wenig eingeschnappt. "Kennst du den Weg?" Sie nickte. "Wie landet man denn in Kensington, wenn man gerade erst von der Uni kommt?", wunderte John sich stirnrunzelnd. "Das ist aber ein weiter Sprung." "Durch meinen Vater. Er kennt hier viele Leute. Ich hab also Glück gehabt. Die Wohnung ist wirklich klasse." John schwieg eine Weile und schien mit den Gedanken ganz woanders. Sie bogen in eine weniger beleuchtete Straße ein, eine Wohnstraße, wo keine Schaufenster oder Restaurants zu sehen waren. "Dein Vater", sagte John, "wie ist er so?" Etwas überrumpelt durch die Frage musste Liz erst einmal nachdenken. "Mein Vater ist... er ist Anwalt", lachte sie dann überrascht. "Aber er ist in Ordnung. Meistens." John hob fragend eine Augenbraue. "Aber?", hakte er nach, beließ es jedoch dabei. "Wohnt er auch hier?" "Nein, nein." Sie schüttelte den Kopf. "Mum und Dad wohnen in Nottinghamshire, und meine Geschwister auch." "Geschwister?" "Judy, Kate und Danny. Wir sind vier." Sie hielt inne. "Ich weiß, viele finden das... zu viel. Aber besser könnte es nicht sein." "Ich finde es nicht zu viel", protestierte John ruhig. "Es hört sich nach Spaß an." Liz lachte und drückte dabei seinen Arm, als wollte sie sich näher an ihn heranpressen. "Ja, und sehr viel Stress. Jude ist verheiratet und hat schon einen Sohn. Sie ist die älteste", erzählte sie ihm bereitwillig, weil sie das Gefühl hatte, er wollte es hören. "Und Kate studiert Literatur in Nottingham. Sie ist klug, aber ein kleiner Quälgeist, wenn sie wieder daran geht, uns ahnungslosen Normalsterblichen ihr breit gefächertes Wissen zu vermitteln." "Und Danny?", fragte John und es ermutigte sie, weiterzureden. Liz lachte bitter auf. "Danny geht noch zur Schule. Ich glaube, er mag mich nicht besonders. Wir haben ihn früher ein bisschen... na ja... gequält ist wohl das richtige Wort." John wog den Kopf hin und her und überlegte. "Mit drei älteren Schwestern hat man es wohl nicht leicht." "Wohl nicht." "Ich hab nur einen Bruder. Phil. Er ist jünger." Liz schaute ihn prüfend an, aber er wich ihrem Blick aus. "Das war's?", fragte sie stirnrunzelnd. Sie hatte das Gefühl, da war noch etwas, das er ihr nicht erzählen wollte. John zögerte. "Ich hab noch Halbgeschwister, aber die zählen nicht." Sie blieb überrascht stehen und John sah sich gezwungen, ebenfalls anzuhalten. "Warum zählen die nicht?" "Sie gehören zu meinem Vater. Ich hab nichts mit ihnen zu tun." Liz schwieg. Sie merkte an seinem rechtfertigenden Tonfall, dass sie eine wunde Stelle getroffen hatte. "Deine Eltern sind... getrennt?", hakte sie vorsichtig nach. Er nickte und ging weiter, und sie nahm wieder seinen Arm. "Geschieden. Mein Dad hat uns verlassen, als ich elf war. Phil war acht. Er hat sich eine neue Frau gesucht, oder vielleicht hat er Mum wegen ihr verlassen, ich weiß es nicht. Nur ein Jahr später bekam sie selbst ein Kind, und danach irgendwann das zweite." Obwohl er es sicherlich nicht geplant hatte, hörte Liz ihm die Bitterkeit an, die er darüber empfunden haben musste, und er tat ihr leid. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es sein musste, mit elf Jahren festzustellen, dass der Vater seine Familie gegen eine andere austauschte - war es nicht das, was John in Wirklichkeit dachte? Was jeder an seiner Stelle denken würde? "Und deine Mum?", fragte sie nach. "Hm?" "Deine Mutter. Wie geht es ihr?" John schnaubte leise. "Gut. Es geht ihr gut. Ich dachte immer, sie hat noch daran zu knabbern, aber sie..." Er stockte und sein leicht verärgerter Tonfall wich einem resignierten. "Es geht ihr gut." "Bist du deshalb Anwalt für Familienrecht geworden?", fiel ihr dann siedend heiß wieder ein, "Weil du solche Ungerechtigkeiten... vermeiden wolltest?" John sah sie überrascht an. In seinen Augen spiegelten sich Schock und Erkenntnis wider. Als wäre er selbst noch nie auf diese Idee gekommen. "Nein... Ich weiß es nicht", stammelte er verdutzt. "Vermutlich." Liz wusste nicht, wie sie mit so etwas umgehen sollte. Klar kannte sie Menschen, deren Eltern sich hatten scheiden lassen. Aber sie hatte das Thema immer gemieden, wenn sie gemerkt hatte, dass derjenige noch nicht ganz darüber hinweg war. Und hier war das ganz offensichtlich der Fall. Sie schwieg betroffen, und John sah auf sie herunter und lächelte niedergeschlagen. "Lass uns das Thema wechseln", schlug er vor, "erzähl mir lieber was von deiner alten Hexe." "Sie ist nicht meine alte Hexe", lachte Liz, "das wäre ja noch schöner." Nach etlichen Anekdoten über Liz's Arbeit und einem kleinen Abstecher in den dunklen Hyde Park, wo sie ein bisschen mehr in den Genuss von John's Kusskünsten kommen konnte, standen sie endlich vor Liz’ Haus in Kensington. Die Straßenlaterne beleuchtete den unteren Teil des Hauses und den Eingang. John sah an der Fassade hoch und lächelte, und dann glitt sein Blick zu Liz zurück. "Hübsch." Sie wusste nicht, ob er sie oder ihr Haus meinte, und lächelte unverbindlich. Mit einem Schritt war sie bei ihm, lehnte sich an seine Brust, stellte sich auf die Zehenspitzen und berührte seine Lippen sanft mit ihren. Als sie sich von ihm löste, neigte sie den Kopf und sah ihn wohlwollend an. "Ich würde dich ja reinbitten... Aber man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Sagt man. Und den anderen schönen Teil... lassen wir heute ausfallen." Sie konnte schließlich nicht jedes Mal mit ihm ins Bett hüpfen, wenn sie ihn sah - auch wenn sie noch so sehr wollte. Einige Geschenke musste man sich auch für später aufheben, damit man sich umso mehr freute, wenn man sie endlich auspacken durfte. Neugierig blickte er sie an und wartete auf eine weitere Erklärung, doch sie gab ihm keine. "Also", hakte er dann noch mal nach. "Sehen wir uns noch mal wieder? Oder hat dich der Anwalt in mir doch abgeschreckt?" Liz lachte und klopfte ihm dann mit der Handfläche gegen die Brust. "Was denkst du denn? Wir könnten doch das nächsten Mal die Speisekarte im 'Crispy Duck' durchgehen und schauen, ob wir die Muscheln finden?" Er lächelte. "Das hört sich gut an." "Gute Nacht, John." Sie kramte den Schlüssel aus ihrer Tasche und steckte ihn ins Schloss, während er sich abwandte. Als sie die Tür geöffnet hatte, drehte sie sich noch einmal unwillkürlich zu ihm um. John stand vor ihrem Fastback Spider und betrachtete den Wagen bewundernd. Als hätte er es gemerkt, wandte auch er sich noch mal um und als er sah, dass sie ihn musterte, lächelte er und hob zum Abschied die Hand. "Ich freu mich schon darauf, die Muscheln zu finden", rief er ihr zwinkernd zu und Liz flüchtete ganz schnell ins Innere des Hauses, wo er nicht mehr hören konnte, wie sie laut auflachte. Verdammt. Sie mochte ihn wirklich! Kapitel 10: - John - -------------------- John parkte sein Auto in der Auffahrt seines Elternhauses. Er hatte plötzlich Lust bekommen, seine Mutter zu besuchen, die im beschaulichen Stadtteil Bromley wohnte - Bromley machte weniger den Eindruck von einem Londoner Stadtteil, als vielmehr von einem Vorort. Es gab hier fast nur kleine Einfamilienhäuser und Grünflächen, soweit das Auge reichte. Nicht umsonst nannte man es das ländlichste Gebiet in London. Obwohl nur knapp zehn Meilen von der Innenstadt entfernt, machte es doch schon einen großen Unterschied, wo man war. Hätte er es nicht besser gewusst, John würde glatt behaupten, er wäre in irgendeine Kaff gelandet. Dass die Großstadt mit ihren Lichtern und ihrem Lärm nur ein paar Minuten mit motorisierten Verkehrsmitteln weit weg war, davon war hier weit und breit nichts zu bemerken. Nach der Scheidung seiner Eltern waren seine Mutter, Phil und er gezwungen, in ein kleineres Haus zu ziehen. Sie hatten Glück, dass sie weiter unten in der Bishops Avenue ein kleineres Häuschen finden konnten, das gerade frei stand und den Finanzen seiner Mutter nicht widersprach. Immer, wenn John am alten Haus vorbeifuhr, in dem jetzt schon seit vielen Jahren andere Leute wohnten, erinnerte er sich daran, wie es von Innen ausgesehen hatte. Es war nicht eins dieser eng an eng stehenden Häuser gewesen, die für England so typisch sind, sondern ein größeres, freistehendes Haus mit roten Ziegelsteinen und weißen Tür- und Fensterrahmen. Die Einfahrt war gepflastert und über der Eingastür befand sich ein kleineres Vordach. Hinten im Garten gab es genug Platz zum Fußballspielen. Ihr Vater hatte damals ein kleines Tor gekauft und es dort aufgestellt, damit die Jungs spielen konnten und etwas anderes hatten Phil und John auch nie gebracht. Er erinnerte sich, dass sein Dad ab und zu von einem Pool sprach, den er gerne dort einbauen würde, und seine Mum hatte immer widersprochen, dass ein Teich mit Fischen viel sinnvoller wäre. Aber dazu war es nie gekommen. Das neue Haus war zwar kleiner, sah aber sehr schön aus - was vor allem daran lag, das seine Mutter es hegte und pflegte. Im Vorgarten hinter dem Mäuerchen wuchsen Büsche, die im Sommer rote Blüten trugen und es gab sogar eine voll befensterte Ausflucht. Der Form halber hatten alle Häuser dieser Straße aus rotem Ziegel und mir weißen Läden zu sein, wobei kleinere, individuelle Variationen geduldet wurden. John's Zimmer war über der Garage gewesen. Manchmal hatte er sich nachts aus dem Fenster geschlichen und sich auf das zum Teil flache Dach der Garage gesetzt. Dann hatte er die nächtliche Welt da draußen betrachtet. Die Jugendlichen, die vorbei liefen - die Mädchen kicherten und liefen in Grüppchen, die Jungs boxten sich gegenseitig gegen die Schultern -, oder die Schlaflosen, die Heimatlosen. Oder die Leute, die in ihren Schlafanzügen mit ihren Hunden spazieren gingen. Niemand bemerkte ihn, wie er da unter seinem Fenster in der Dunkelheit kauerte. Nachdem Phil ihm jedoch einmal im Alter von zehn Jahren gefolgt und danach fast vom Dach gefallen war, war John nie wieder rausgeklettert- und Phil hatte er es auch strengstens verboten. John machte das Radio aus und drehte den Schlüssel herum, sodass der Motor verstummte, dann stieg er aus. Noch bevor er die Haustür erreicht hatte, öffnete seine Mutter, die ihn anscheinend schon durch's Fenster gesehen hatte. "John", sagte sie verwundert, "was führt dich hier her?" Er war irritiert. Normalerweise freute sie sich immer. Aber heute war irgendetwas anders... Er musterte sie und versuchte es mit einem Lächeln, das sie jedoch nicht erwiderte. "Ich dachte, ich komme mal vorbei, Mum. Ich war schon lange nicht mehr da." Er kam auf sie zu, gab ihr einen Kuss auf die Wange und wollte an ihr vorbei ins Haus, doch sie stand felsenfest in der Tür und ließ ihn nicht durch. Stattdessen betrachtete sie ihn mit zusammengekniffenen Augen. "Du hättest anrufen sollen", gab sie ein wenig vorwurfsvoll von sich. John's gute Laune - die eindeutig Liz's Verdienst war - begann langsam, sich aufzulösen. Er konnte sich das Verhalten seiner Mutter nicht erklären. Warum war sie so abweisend? "Was ist los, Mum? Versteckst du da drin eine Leiche?", witzelte er, um die Stimmung wieder aufzulockern, konnte ihr damit aber auch kein Lächeln entlocken. Sie sah ihn nur weiterhin streng an, als hätte er etwas falsches gemacht. "John... es ist..." Sie senkte den Kopf und er stellte verwundert fest, dass sie tatsächlich ein wenig errötete. Für einen Moment stand er noch auf der Leitung, aber dann fiel es ihm siedend heiß wieder ein! Natürlich! "Hast du etwa... einen Mann da drin?", hakte er vorsichtig nach und versuchte, an ihr ins Hausinnere vorbeizuspähen. Sie riss erschrocken die Augen auf. Er lächelte freudlos. "Phil und Faye haben es mir gesagt. Schön, dass ich es auch mal erfahre", brummte er missmutig. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt so zu reagieren. Er wollte hierher kommen und sich ganz gleichmütig geben, zeigen, dass er sich für seine Mutter freute. Aber ihre Reaktion auf sein Erscheinen hatte ihm den Spaß gründlich verdorben. Ihr Ausdruck hatte sich verändert und sie sah ihn nun ein bisschen besorgt an. "Wir wollten es dir ja sagen, John", murmelte sie dann bekümmert, "aber wir glaubten... du wärst noch nicht bereit dazu." John schnaubte verächtlich. Er konnte es einfach nicht fassen! "Mum, ich bin 28 Jahre alt! Ich werde es wohl verkraften, wenn du deine Zeit mit einem anderen Mann verbringst!", schnappte er verärgert. Er war kein Kind mehr. Wieso behandelte sie ihn wie eines? "Anderen... Mann?", fragte seine Mutter geschockt. "Als Dad", rutschte es John heraus und erst, als die Worte aus seinem Mund in die Freiheit entschlüpft waren, merkte er, was er da eigentlich gesagt hatte. Entsetzt über sich selber riss er die Augen auf. Dann schlug er sich die Hand vor's Gesicht und stöhnte. "Oh Gott..." Mrs. Davies, die zu seinem großen Erstaunen den Namen ihres Ex-Mannes damals behalten hatte, legte ihm sanft eine Hand auf den Arm und tätschelte diesen. "John. Dein Vater lebt sein eigenes Leben. Und ich auch. Ich bin kein Teil mehr davon und möchte es auch nicht sein. Und, ob du es glaubst oder nicht..." Sie warf ihm einen mitleidigen Blick zu. "Es ist gut so, wie es ist. Nun ist es 17 Jahre her und du musst es auch begreifen. Ich weiß, es ist schwer. Wenn man ein Junge ist und der Vater gerade dann geht, wenn er am wichtigsten ist für das Heranwachsen zu einem Mann. Aber, Schatz... ich finde, wir haben das ganz gut gemeistert." John sah sie an und rang sich ein Lächeln ab. "Findest du nicht?" Er nickte. "Tut mir Leid. Ich wollte so was eigentlich gar nicht sagen... Ich finde es schön, wenn du mal, äh... etwas Neues ausprobierst", formulierte er es vorsichtig, aber irgendwie war es auch nicht das, was er wirklich sagen wollte. Die richtigen Worte kamen einfach nicht! Seine Mutter lachte leise in sich hinein. "Ich werde euch einander vorstellen." Als sie seine hoffnungsvolle Miene sah, hob sie schnell die Hand, um ihn zum Schwiegen zu bringen. "Aber nicht heute." Dann warf sie einen kurzen Blick auf ihre Uhr. "Wir wollten gleich weg. Raus auf's Land zu Mittag essen." Das war eine ungesagte Aufforderung für ihn zu verschwinden. "Schon klar, Mum. Ich gehe." John verzog das Gesicht zu einem misslichen Grinsen, aber sie hielt ihn noch am Arm fest, als er sich umdrehen wollte. "Sei nicht böse, John. Die Zeit wird kommen. Und bis dahin-" Sie zwinkerte ihm schelmisch zu, "Kannst du sie ja mit deiner neuen Freundin totschlagen." John klappte der Mund auf. "Woher weißt du denn-?" Er war sich sicher, dass er seiner Mum noch nichts von Liz erzählt hatte. Er hatte noch nicht einmal mit ihr geredet, seit er Liz kennen gelernt hatte! "Phil", erklärte sie trocken mit nur einem Wort und beide verdrehten genervt die Augen. "Ich weiß auch nicht, was für eine Tratschtante ich großgezogen habe", lächelte sie zärtlich bei dem Gedanken an Phil. "Und Faye hat ihr übriges dazugetan", murmelte John trocken. Vor Phil und Faye konnte man aber auch gar nichts geheim halten. "Sie war übrigens ganz aus dem Häuschen wegen dem Mädchen, John. Ich glaub, sie mag sie." John lachte lauthals los. "Sie kennen sich doch gar nicht!" "Ach, das macht doch nichts. Ich will sie auch mal kennen lernen. Aber nun musst du nach Hause fahren und sie irgendwohin ausführen. Diesen schönen Tag solltest du nicht alleine verbringen. Sei nett zu ihr." "Schon klar, Mum. Ich gehe. Viel Spaß noch." Er hob zum Abschied die Hand und grinste schief. Seine Mutter schmiss ihn einfach so raus! Das war noch nie vorgekommen. Vielleicht tat ihr der neue Mann ja ganz gut. Wenn das aber zur Gewohnheit werden sollte, dann war John eher weniger begeistert. Aber sie hatte ihn auf eine gute Idee gebracht. Sobald er wieder in der Innenstadt wäre, würde er bei Liz anrufen und fragen, ob sie nicht Lust hatte, etwas mit ihm zu unternehmen. Er sehnte sich schon seit dem Moment nach ihr, als er sie am Abend zuvor vor ihrer Haustür abgeliefert hatte. Sie haute ihn förmlich aus den Socken, überwältigte ihn - und das, indem sie überhaupt gar nichts tat! Er wollte die ganze Zeit die Lieder im Radio mitpfeifen und unter der Dusche singen, wenn er an sie dachte. Er wollte... mehr von ihr. Alles von ihr! John stieg ins Auto und startete mit beflügelten Gedanken den Motor, als sein Handy klingelte. Ohne auf das Display zu schauen, nahm er ab, und hätte sich am liebsten fast auf die Zunge gebissen, als ihm einfiel, dass es wieder sein Vater sein könnte! Aber es war nicht sein Vater. "Hey John." Er lächelte. "Liz." "Wo bist du? Fährst du?" Anscheinend hatte sie die Motorengeräusche gehört. "Ja. Ich bin in Bromley." "Bromley...", murmelte sie. "Was machst du denn so weit draußen? Ach, unwichtig. Hast du Lust, mich zum Wembley-Stadion zu begleiten? Ich dachte, das könnte dir gefallen..." Er hörte das Lächeln in ihrer Stimme und konnte sich sein eigenes nicht verkneifen. Und wie ihm das gefallen könnte! "Klar. Ich bin in zwanzig Minuten bei dir." Kapitel 11: - Liz - ------------------- Liz streckte sich aus dem Sofa aus. Sie war mal wieder zu Besuch bei ihren Eltern, die derzeit nicht zu Hause waren, und lümmelte mit Judy auf der Couch, die irgendwelche wichtigen Unterlagen ordnete. Sonst war niemand im Haus - Liz hatte keine Ahnung, wohin Danny wieder verschwunden war, aber es war herrlich ruhig, denn Micky, Judy's Sohn, war mit Alan bei dessen Eltern und Liz und Judy hatten einen ganzen Tag für sich alleine. Sobald Judy mit ihrem Papierkram fertig war, müssten sie den Dachboden ausräumen. Mrs. Winston wollte einige Sachen, die sie nicht mehr brauchte, Bedürftigen spenden und hatte die Mädchen beauftragt, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Früher hatten sie liebend gerne auf dem Dachboden gespielt und sich alte Kleider, die sie dort finden konnten, angezogen und sich verkleidet, aber mittlerweile hatte Liz absolut keine Lust mehr, sich eine Stauballergie einzufangen und nachher ihre Klamotten waschen zu müssen, wenn sie mit einer dicken Staubschicht vom Dachboden kam. Sie freute sich schon auf die Niesanfälle, die sie sicherlich ereilen würden. Sie gähnte und warf einen Blick zu Judy, die voll konzentriert ihre Unterlagen durchging und hier und da etwas notierte. Mit ihrer Lesebrille sah sie fast haargenau so aus wie eine ältere Ausgabe von Kate und Liz wunderte sich mal wieder, wie viel Ähnlichkeit die zwei miteinander hatten. Manchmal, in bestimmten Momenten, wenn sie einen von ihnen ansah, glaubte sie, die jeweils andere zu sehen. Obwohl es so viele Möglichkeiten gab, wie Gene sich gruppieren konnten, war es immer wieder erstaunlich, dass manche Geschwister sich so sehr glichen. "Langweilig", informierte sie ihre ältere Schwester und starrte die Decke an. "Dann mach was", murmelte Judy zurück, ganz so wie früher. Obwohl sie so vertieft in ihre Arbeit war, nahm sie dennoch alles um sich herum genau wahr. Wenn Liz sich in etwas versenkte, dann war all ihre Aufmerksamkeit auf diese eine Sache konzentriert und draußen hätte die Welt untergehen können - sie würde es nicht bemerken. Liz setzte sich auf und krabbelte an das andere Ende des Sofas, schaute Judy über die Schulter. "Wann bist du endlich fertig?" Jude seufzte resigniert, häufte die Papiere auf einen Haufen und schob sie von sich weg, legte den Bleistift obenauf und nahm die Brille ab. "Jetzt, anscheinend. Was ist?" "Lass uns ins Kino gehen", schlug Liz vor. Judy hob eine Augenbraue. "Was, jetzt? Wir müssen den Dachboden ausräumen." "Deshalb ja..." "Du holst die Kartons aus der Garage und ich die Müllsäcke", kommandierte Judy, ohne auf Liz einzugehen, stand auf und verschwand in der Küche. "Ich glaub, hier oben war schon seit Jahren keiner mehr... Ob es hier Mäuse gibt?" Judy lachte. "Was? Die furchtlose Liz hat plötzlich Angst vor Mäusen? Wie kommt das denn? Wirst du etwa weich mit dem Alter?", neckte sie ihre Schwester, die missmutig dreinblickte. "Nein. Aber du wirst mit dem Alter anscheinend fies." "Ach." Judy winkte ab. "Das ist das Muttersein. Es härtet einen ab. Da können sogar Mäuse nichts ausrichten." Sie hockte sich hin und nach einem kurzen Moment der Ratlosigkeit angesichts der vielen, vielen Kartons, die herumstanden und geöffnet werden wollten, griff sie einfach nach dem, der ihr am nächsten stand und begann, ihn auszusortieren. Es kamen eine Menge Stoffreste zum Vorschein, die Liz stöhnen ließen. "Und was machen wir mit so was? Wegwerfen?", fragte sie. Ungerührt stopfte Judy alles in einen großen, schwarzen Sack. "Die kannst du ja kaum verschenken, oder? Los, erzähl mir etwas über deinen neuen Freund." "Meinst du etwa John?" "Ich dachte, er heißt Johnny", runzelte Judy die Stirn und machte weiter. Liz setzte sich im Schneidersitz daneben und öffnete den nächsten Karton. Er war voller alter Fotoalben. "Nein", antwortete sie dann, während sie eins in die Hand nahm und es vorsichtig öffnete. "Er heißt John, John Davies. Und er spielt auch in keiner Band... irgendwie..." Judy sah sofort auf und ihr Blick war geschärft. "Was sagst du da?" Liz zuckte nur gleichmütig mit den Schultern und in Judy's Gesicht spiegelte sich Überraschung wider. "Er spielt in keiner Band", sagte sie ganz vorsichtig. "Das war nur ein dummes Missverständnis." "Erzähl." Judy war nun Feuer und Flamme und hatte sogar ihre Sortierarbeit vergessen, sie hing förmlich an Liz's Lippen. Diese holte tief Luft, um mit ihrer Geschichte anzufangen. "Er ist nur eingesprungen für einen Freund vom College, weil er gut Gitarre spielen kann... eins führte zum anderen und... ja. Als wir uns das nächste Mal wiedergesehen haben, hat er es mir gesagt." Judy schüttelte fassungslos den Kopf. "Und du hast ihm sofort 'ne Abfuhr erteilt", schlussfolgerte sie übereilig. "Oh, Liz..." "Nein", widersprach diese heftig - ein bisschen zu heftig, wie sie selbst erstaunt feststellte. Dann zwang sie sich zur Ruhe. "Ich hab’ ihm keine Abfuhr erteilt. Er ist ein toller Kerl und-" "Aber er ist kein Musiker", warf Judy bedeutungsschwer ein. Liz ärgerte sich langsam über ihre Schwester. Hatte sie wirklich so... versessen an ihren Einstellungen festgehalten, dass niemand sich jetzt vorstellen konnte, dass es in ihrem Leben auch etwas anderes gab als festgefahrene Meinungen? "Er ist Anwalt", sagte sie trocken. Eine gespannte Stille legte sich zwischen die Schwestern und Liz beobachtete genau Judy's Reaktion. Ihren Eltern wollte sie das nicht erzählen - es war ihr irgendwie unangenehm -, aber Judy und sie hatten sich schon immer alles gesagt. In Judy's Gesicht zeichnete sich Erstaunen ab und etwas, das aussah wie.... Schadenfreude?! Liz konnte es nicht glauben und riss empört die Augen auf. "Anwalt?", wiederholte Judy ungläubig und musste schwer an sich halten, um sich ein Grinsen zu verkneifen. "Ernsthaft? Du gehst... mit einem Anwalt aus?" "Er ist-" "Warte, warte!" Judy hob die Hand und gebot Liz zu schweigen. "Du führst eine Beziehung - du! - eine Beziehung! - mit einem Anwalt - einem Anwalt! Das sind viele - sehr viele - Dinge in einem Satz, die da vorher keinen Platz hatten. Bist du wahnsinnig geworden?" Fasziniert starrte Judy ihre Schwester an. Sie kostete diesen Moment des Triumphes voll und ganz aus. Die Kartons hatte sie schon längst vergessen. Liz fühlte sich ein wenig vorgeführt. Sie hatte gehofft auf Verständnis zu stoßen, aber anscheinend genoss Judy die Situation. Das war auch der Grund, warum Liz es niemals ihren Eltern sagen würde. Und es gab ja auch nichts zu sagen - ihre Beziehungen hielten nie besonders lange und sie hatte auch nicht vor, den Rest ihres Lebens mit John zu verbringen. Irgendwann würden sie auseinandergehen - sie waren einfach zu verschieden - aber bis dahin war es in Ordnung, die Zeit zu genießen. Und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, genoss sie die Zeit sogar in vollen Zügen. "Das bin ich nicht", widersprach sie ihrer Schwester verdrießlich. "Ich... Er ist nett. Er hat Humor und ist lustig. Und er versucht immer, nicht von seinen Anwaltsachen zu erzählen, weil er Angst hat, ich würde mich langweilen." Sie kicherte bei dem Gedanken daran. "Das ist irgendwie süß. Außerdem sieht er guuut aus, Jude. Richtig gut. Vor allem morgens, nach dem... du weiß schon. So richtig schön verwuschelt und..." "Ja, ja", winkte Judy grinsend ab. "Ich weiß es gaaanz genau." Liz hob fragend eine Augenbraue. "Du magst ihn!", platze es förmlich atemlos aus Judy heraus. Sie sah ihre Schwester mit großen Augen an, in denen nichts anderes als Begeisterung zu lesen war. "Du... du magst ihn!" "Sicher mag ich ihn", räumte Liz vorsichtig ein, da sie zu wissen glaubte, worauf das hinauslief. "Sonst würde ich ja kaum mit ihm, äh, ausgehen." Ja, "ausgehen" war ein gutes Wort. Es implizierte keinerlei Beziehung, Bindung oder sonst etwas derartiges. Ausgehen war gut. Judy grinste über's ganze Gesicht. "Du magst ihn mehr als nur das. Bist du verliebt in ihn, Liz? Ich hab dich noch nie so über einen Mann sprechen hören." Für einen Moment lang stand alles still und die Worte ihrer Schwester hingen drohend und laut über ihren Köpfen. Sie hallten in Liz's Gedanken nach. Liz schüttelte sie ab. Sie schüttelte heftig den Kopf und spürte, wie ihr Herz sich beschleunigte. Ein erster Anflug von Wut meldete sich in ihrem Bauch. "Ich bin nicht..." Sie schaffte es kaum, die Worte herauszuwürgen, "verliebt in ihn." "Du bist hin und weg", kommentierte Judy ironisch. "Du bist total hingerissen. Und deine Augen-" Sie tippte mit ihrem Zeigefinger auf Liz's Nase, "leuchten auf, wenn du von ihm sprichst. Erzähl mir nichts, Lizzie." Heftiger als beabsichtigt schlug Liz die Hand ihrer Schwester weg und drehte sich verärgert um. Sie war nicht in John verliebt. Sie würde sich nicht verlieben und zu einem Spielball ihrer Gefühle werden. Sie hatte alles im Griff. Alles unter Kontrolle. Und das gefiel ihr. Das machte sie aus. Und selbst wenn John ein paar mehr Gefühle in ihr auslöste, als es so manch anderer vor ihm geschafft hatte - was machte es schon? Sie hatte immer noch alles im Griff. Alles unter Kontrolle. Judy seufzte mit einem Lächeln und machte sich wieder daran, die Kartons auszuräumen. Im dritten fand sie ein paar alte Stofftiere und beschloss, dass man sie noch gebrauchen konnte. Liz währenddessen schmollte ein wenig und blätterte in den alten Fotoalben herum. Es waren viele verwackelte Fotos und solche, die man nicht in einen Bilderrahmen stellte, die meisten von den Winston-Kids bei irgendwelchen Familienausflügen gemacht. Ein paar waren auch von Liz dabei - ihre ersten Versuche mit einem Fotoapparat. Wie ungeschickt hatte sie sich angestellt, wenn sie verbissen versucht hatte, ein gutes Foto zu schießen. Aber irgendetwas ging immer schief. Entweder sie wackelte zu viel mit dem Fotoapparat, oder jemand lief durch ihr Bild, oder sie knipste gegen das Licht - heute würde ihr das nicht mehr passieren. Sie fuhr mit den Fingern gedankenverloren über ein verwischtes Kinderfoto, auf dem sie und Danny zu sehen waren. Sie standen Hand in Hand auf einer Wiese und Liz hatte ein stolzes Lächeln im Gesicht. Sie mussten damals etwa zehn und drei Jahre alt gewesen sein. Friedlich sahen sie aus. Als gäbe es nicht diese... Schlucht zwischen ihnen, die sich irgendwann still und heimlich aufgetan hatte. Plötzlich spürte sie Judy's Hand auf ihrer Schulter und als sie sich umdrehte, lächelte ihre Schwester ihr wohlwollend zu und drückte sie an sich. "Ich weiß, Lizzie", sagte sie sanft. "So was kann einem Angst machen. Aber du warst schon immer mutiger als die anderen. Vor Mäusen hast du dich nie gefürchtet und noch weniger vor Jungs. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, um damit anzufangen." Liz schwieg. Sie wusste nichts zu sagen. Sie wusste auch nicht, ob Judy recht hatte - ob sie - Liz - wirklich Angst hatte oder nicht. Es fühlte sich nicht so an. Wenn sie bei John war, war es einfach... Spaß. Sie hatte eine Menge Spaß. Sie musste doch nicht verliebt in ihn sein, um ihn zu mögen. Und sie musste auch nicht verliebt in ihn sein, um mit ihm Spaß zu haben. Sie konnten zusammen lachen und tanzen und manchmal - aber das würde sie nicht einmal Judy verraten -, fühlte sie sich ziemlich gut, wenn sie sich einen Film ansahen und er den Arm um sie legte, sie sich an ihn schmiegte und ihren Kopf an seine Schulter lehnte. Es war gemütlich und sie fühlte sich sicher. Aber um so etwas zu empfinden musste sie auch nicht in ihn verliebt sein. Zum ersten Mal formulierte sich jedoch eine andere Frage in ihrem Kopf. Eine Frage, an die sie vorher aus irgendeinem Grund nie gedacht hatte. War John möglicherweise in sie verliebt? Und das - das machte ihr wirklich Angst. Kaum hatte sie den Gedanken an die Oberfläche gelassen, verschwand sämtliche Wut auf Judy und die Unsicherheit ihrer eigenen Gefühle. Da war nur noch Platz für diesen Gedanken und die Panik, die gegen ihre Brust drückte, als würde sie ausbrechen wollen. "Schau mal." Von Liz’s innerem Kampf nichts ahnend, nahm Judy ihrer Schwester die Fotografie aus der Hand und lachte. "Da waren wir unten bei Stonehenge. Es war gähnend langweilig, aber Dad hat sich prächtig amüsiert mit seinen... Steinen. Erinnerst du dich noch?" Liz, die kaum zuhörte, nickte mechanisch, während es in ihrem Gehirn weiterratterte. "Das Foto hat Kate geschossen. Es ist das einzige, auf dem wir drauf sind. Sie hat einen ganzen Film verschossen, wo nur die Steine drauf waren. Nur dieses Foto von euch zweien hat sie gemacht. Und eins, auf dem sie Dad's Stirn eingefangen hat." Judy lachte. "Ja", grinste Liz halbherzig, obwohl sie mit ihren Gedanken ganz woanders war. Aber sie wollte Judy nicht wieder auf dieses Thema zurückführen. "Das weiß ich noch..." "Danny erinnert sich bestimmt nicht mehr." Beide schwiegen und Judy pustete einmal über das Foto drüber. Staub wirbelte in den Sonnenstrahlen in der Luft und setzte sich nach einer Weile wieder auf den Gegenständen ab, die herum standen. "Na dann lass uns mal weitermachen. Wir können ja mal sehen, wie viel wir schaffen und den Rest mach ich dann zusammen mit Mum ein andermal." Liz zwang sich, wieder in die Realität zurückzukehren, konnte sich aber noch immer nicht ganz von ihren Sorgen trennen. Ruhiger als sonst machte sie sich an die Arbeit und vermied für den Rest des Tages tunlichst das Thema "John". Kapitel 12: - John - -------------------- In der Oxford Street fühlte sich John total verloren - wie immer. Er drängte sich vorbei an Menschenmassen, wich Leuten aus und verlor fast den Kopf bei all der Unübersichtlichkeit. Links und rechts von ihm türmten sich die hohen Gebäude auf - dazu der laute, dichte Verkehr auf der engen Straße. Am liebsten wäre John wieder umgekehrt und hätte sein Vorhaben einfach fallen lassen, aber er wusste, dass er es jetzt durchziehen musste. Etwas anderes fiel ihm nicht ein - zumindest nicht, was er Liz zumuten konnte. Sie war etwas Besonderes für ihn geworden und er wollte ihr etwas Besonderes schenken, wenn sie am nächsten Tag ausgingen. Er suchte den "Ernest Jones" Juwelierladen. Er wollte nichts allzu Teures, aber etwas kleines, schönes. Sie waren nun seit drei Monaten zusammen und John wollte sie so einfach nicht mehr gehen lassen. Seitdem er Liz kannte, war sein Leben bunter und aufregender geworden. Er verbrachte nicht mehr so viele Überstunden bei der Arbeit und freute sich auf seinen Feierabend. Er hatte viel mehr Freude an seinem Leben. Und das nicht nur, wenn er mit Liz zusammen war. Sein Blick war geschärfter, seine Witze lustiger, seine Gefühle intensiver. Er war geduldiger, gütiger, fröhlicher. Sie brachte nur das Beste in ihm zum Vorschein. John war niemals der Typ gewesne, der sich von jemandem so mitreißen ließ und es zuließ, dass alles völlig auf den Kopf gestellt wurde - dafür war er viel zu vernünftig, viel zu vorsichtig -, aber dieses Mal hatte er gar keine Wahl gehabt. Ohne seine Kopf zu verlieren hatte er sich in die Sache reingestürzt und bis jetzt war nur Gutes dabei herausgekommen. Er war glücklich. Er war ein zufriedener Mensch, völlig ausgeglichen. Und das durch eine Frau, die ihre Launen so oft änderte wie wahrscheinlich keine andere. Aber selbst das machte ihm nichts aus. Er rief in seinem Kopf noch mal die Stadtkarte auf, die er im Internet angeguckt hatte. Auf der linken Seite, genau an der Ecke, musste der Juwelier sein. John registrierte den Foot Locker und erinnerte sich daran, dass er diesen auf der Internetkarte gesehen hatte. Noch ein paar Meter und er würde am Ziel sein. Als er eintrat, ertönte eine Klingel und er merkte, dass er der einzige Kunde im Geschäft war. Eine Dame mittleren Alters, sehr ordentlich und gepflegte gekleidet, schenkte ihm ein reserviertes Lächeln und nickte ihm zu. Er erwiderte ihren Gruß, war jedoch leicht überfordert. Unsicher schlenderte er durch die Reihen und sah sich den Schmuck an. Es gab einfach alles hier. Uhren, Ketten, Armbänder, Ringe, Diamantenschmuck, Ohrringe und vieles andere. Manche Dinge waren pompös und auffallend, andere wiederum schlicht und klein. John hatte nicht vor, Liz einen monströsen Diamanten zu schenken. Er hatte so im Gefühl, dass das nicht ganz ihr Ding war. Obwohl Liz eine so präsente Persönlichkeit war, die das Potenzial dazu hatte, jedem anderen die Schau zu stehlen, hatte er sie sehr selten mit Schmuck gesehen. Das höchste der Gefühle war ihre Armbanduhr und ein paar Mal hatte sie eine Kette um gehabt. Silber war sie gewesen mit einem kleinen roten Doppeldeckerbus-Anhänger. Als er sie fragte, welche Bedeutung dahinter steckte, legte sie ihre Hand um den Anhänger an ihrer Brust und lächelte erinnerungsselig. Dann erzählte sie ihm, dass ihre Geschwister zusammengelegt und ihr die Kette und den Anhänger gekauft hatten, kurz bevor sie nach London gegangen war, um hier zu studieren. John merkte, dass Liz viel an ihrer Familie lag, aber oft betonte sie auch, dass ihre Eltern sehr konservativ waren und nicht zufrieden mit dem, was Liz machte. John konnte sich das nur schwer vorstellen. "Kann ich Ihnen helfen?", unterbrach die Verkäufern seinen Gedankengang und sah ihn erwartungsvoll an. Er kratzte sicher also am Hinterkopf. "Ja, vielleicht. Ich möchte einer Frau ein Geschenk machen, aber..." Ohne, dass er zu Ende sprechen musste, nickte sie schon eifrig mit dem Kopf und kam hinter ihrer Verkaufstheke hervor. "Woran hatten Sie denn da gedacht? Eine Uhr?" John schüttelte den Kopf und sie fragte lauernd: "Einen Ring?" Er musste lachen bei der Vorstellung, Liz einen Ring zu schenken. Sie würde ihn mitsamt seines teuren Mitbringsels davonjagen. Obwohl sie sich noch nicht lange kannten, hatte er doch gemerkt, dass sie dem Thema Heiraten ein bisschen skeptisch gegenüberstand. Sie hatten noch nie darüber geredet, aber manchmal ließ sie Bemerkungen fallen über verheiratete Frauen - und sei es nur über ihre Klienten -, die ihm verdeutlichten, dass das nicht unbedingt in ihren primären Lebensentwurf gehörte. John machte sich allerdings keine Gedanken darüber. Er hatte nicht vor, Liz zu fragen, ob sie ihn heiraten wollte, zumindest jetzt noch nicht. Vielleicht später, wenn sie etwas länger zusammengewesen waren. Und er würde bestimmt alles dafür tun, dass es funktionierte. "Nein, kein Ring." Er sah sich etwas um und schüttelte hilflos den Kopf. "Wissen Sie, sie ist etwas... kompliziert. Schwer einzuschätzen." Die Verkäufern verzagte nicht. "Erzählen Sie etwas von ihr." John dachte kurz nach. Er wollte keine privaten Details ausplaudern. "Sie ist sehr... stur." Die Verkäufern nickte wieder. "Und sehr lebensfroh. Irgendwie ist sie eine einzige wirbelnde... Farbenpracht..." Er räusperte sich verlegen. Das hatte er gar nicht sagen wollen, aber Liz mit normalen Adjektiven zu beschreiben war fast unmöglich. Sie war alles andere als normale Adjektive. Sie war Symbole und Metaphern. Doch anstatt sich über ihn lustig zu machen, kniff die Verkäufern die Augen zusammen. Auf ihrem Namensschild stand "Mrs. Harris". "Wann hat sie Geburtstag?", wollte sie entschieden wissen. "Oh, es ist nicht ihr Geburtstag", widersprach John hastig, aber sie sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen fragend an, sodass er sich ihr fügte. "Im August. Am fünften." Auf dem Gesicht von Mrs. Harris erschien ein wissendes Lächeln, das ihm, obwohl sie nichts sagte, signalisierte, sie hatte die Situation unter Kontrolle. "Löwe also", kommentierte sie fachmännisch. "Stur, huh? Dynamisch vom Wesen her? Stürmisch? Mutig." John nickte irritiert. Er beschäftigte sich nicht mit Horoskopen und Typologien. Hatte es niemals gemacht. Für ihn war das alles Hokuspokus. Das richtige Leben interessierte es nicht, ob man vom Sternzeichen ein Steinpilz oder ein Kassettenrekorder war. Hauptsache, man funktionierte. Doch diese spontane Beschreibung passte auf Liz wie die Faust auf's Auge. "Das ist typisch für Löwen", redete die Frau weiter und winkte ihn mit sich, als sie sich umdrehte und langsam durch den Laden ging. Dabei wandte sie ihr Gesicht wieder John zu. "Sie können jedoch zuweilen auch stolz und etwas ichbezogen sein. Sehr starke Persönlichkeiten." Ob Liz zu stolz oder zu ichbezogen war, dazu konnte John nichts sagen. Er sah es nicht so. Wenn er es sich recht überlegte, sah er nur ihre guten Seiten und welche Wirkung sie auf ihn hatten. Doch mit einem hatte die Dame Recht: Liz war wirklich eine starke Persönlichkeit. Mrs. Harris kam an eine Vitrine, in der kleine Anhänger gut sortiert auslagen. Es waren ähnliche wie der von Liz und John beugte sich fasziniert darüber, um all die kleinen Bilder und Symbole zu betrachten. Er konnte es kaum glauben, was es alles gab: einen roten High Heel, einen grüne Froschkönig, über den er lachen musste - ob der Liz gefallen würde? -, einen Briefumschlag, Stern, Lippenstift, Würfel. Es gab Perlen, Tiere, Schlüssel. Und einer fiel ihm ganz besonders ins Auge: ein schwarzer Stern mit der Aufschrift: Rockstar. Er musste grinsen. Das könnte durchaus eine Bedeutung haben! Mrs. Harris holte ihren Schlüssel heraus und öffnete die Vitrine. "Darf ich fragen, welches Sternzeichen Sie sind?", hakte sie nach, während sie mit der Türe hantierte und John sich weiterhin die Anhänger besah. Es gab sogar eine Micky Mouse und einen Donald Duck. Für die Sammler wahrscheinlich. "Keine Ahnung", murmelte er. "Mit so was kenne ich mich gar nicht aus." Als er ihren geduldigen Blick auf ihm spürte, erklärte er: "Ich habe im Juli Geburtstag." Sie riss die Augenbrauen hoch. "Krebs", stellte sie dann trocken fest, fasste in die Vitrine und nahm sich einen Anhänger. John sah auf ihre Hand, aber sie hatte ihn schon um das kleine Ding geschlossen und er konnte nicht erkennen, welchen sie sich geschnappt hatte. Sie wirkte amüsierte, als sie ihn von oben bis unten betrachtete, was ihn leicht nervös machte. "Gegensätze ziehen sich an, sagt man ja", bemerkte sie dann wohlwollend, zog aber mitleidig die Augenbrauen hoch. John wusste nicht, was sie damit sagen wollte, aber es war ihm auch egal. Er fühlte sich, als wäre er in einem Esoterikshop gelandet. Wenn sie ihm gleich einen amourösen Liebestrank andrehte, würde er schnellstens die Flucht ergreifen und Liz dann doch lieber Blumen und Pralinen schenken, obwohl sie das - wie er auch - sicherlich für absolut einfallslos halten würde. Aber sie tat nichts dergleichen. Stattdessen öffnete sie ihre Hand und ließ ihn hineinsehen. Auf ihrer Handfläche lag ein kleiner, orangener Anhänger. Es war ein Löwe, in einer so leuchtenden, hellen Farbe mit brauner Mähne und schwarzen Augen. John liebte ihn sofort. "Dazu gibt es auch bestimmte Ketten, an die man diese Anhänger hängen kann", erklärte Mrs. Harris und lächelte, als sie John’s fasziniertes Gesicht sah. "Ich dachte mir, das würde vielleicht passen." John nickte begeistert. Es passte wie die Faust auf's Auge. "So eine Kette hat sie schon", murmelte er und Mrs. Harris nickte zufrieden, obwohl sie doch eigentlich enttäuscht sein sollte, weil ihr mehr Umsatz verwehrt blieb. "Vielen Dank, ich glaub, den nehme ich." Er lächelte ihr erleichtert zu. Diese Frau war seine Rettung gewesen. Obwohl sie anscheinend alles über unnütze Astrologie wusste, hatte sie auch einen bemerkenswerten Riecher. Kein Wunder, dass sie in einem Laden wie dem "Ernest Jones" arbeitete. Es war das perfekte Geschenk. Es war nicht pompös, nicht auffällig. Es war besonders, es war persönlich, aber es war nicht zu teuer, was möglicherweise gar nicht angemessen wäre nach nur einem Monat. Niemand gab ein Vermögen für eine einmonatige Beziehung aus und bei Liz konnte man sowieso nicht wissen. John hoffte nur, dass sie sich darüber freuen würde. Er jedenfalls war hellauf begeistert. Er hätte Mrs. Harris knutschen können. Und deshalb gab er ihr auch ganze fünf Pfund Trinkgeld, was er normalerweise niemals tat. Er hatte auch schon einen Tisch in einem netten Restaurant reserviert. Nicht zu edel, aber auch kein Fast Food Restaurant. Und dort gab es das beste Schokoladensoufflee des Landes - hatte ihm Kylie, seine Empfangsdame, verraten. Genauso, wie es in Chinatown die beste Fischreispfanne gab. Kapitel 13: - Liz - ------------------- In der Redaktion war die Hölle ausgebrochen und Liz wusste nicht, warum. Sie wusste nur, dass die alte Hexe zwei Journalisten bereits gefeuert hatte - beide Mädels waren mit eingezogenen Schwänzen aus dem Gebäude gedackelt - und die ganzen anderen Mitarbeiter waren in heller Aufregung. Überall war von "Kürzungen" und "Rationalisierungen" die Rede. Liz versuchte, sich nicht davon anstecken zu lassen. Sie hatte heute morgen keinen Kaffee gehabt, denn ihre Kaffeemaschine hatte anscheinend den Geist aufgegeben und auf dem Weg zur Arbeit hatte sich die U-Bahn so sehr verspätet, dass sie keine Zeit mehr gehabt hatte, um an der riesigen Schlange von Starbucks zu versauern. Zudem nervte Rob sie schon seit dem frühen Morgen. Zweimal hatte er bei ihr auf dem Handy angerufen, um sie über irgendeinen Artikel, an dem er gerade schrieb, auszufragen. Es ging um Desserts - Rob war eigentlich Koch, aber als solcher praktizierte er nicht -, und Liz sollte sich dringend ihre Emails anschauen, um ihm zu sagen, welches von seinen Fotos sie besser fand, denn er hatte Mittags Abgabeschluss und war sich noch zu unsicher. Zumindest behauptete er das. Dabei hatte sie es nicht mehr geschafft, kurz in die Dusche zu hüpfen, weshalb sie sich jetzt unwohl fühlte, obwohl sie wusste, dass das totaler Quatsch war. In dem ganzen Lärm und Trubel ließ sich kaum anständig arbeiten und so trat Liz schon seit fast einer Stunde auf der Stelle und hatte keine nennenswerten Fortschritte gemacht. Als sie Rob aus den Augenwinkeln auf sie zukommen sah, hoffte sie inständig, dass er an ihr vorbeigehen würde, aber natürlich war dem nicht so. Sie stöhnte innerlich auf, zwang sich jedoch zu einem halbherzigen Lächeln, als sie sich zu ihm umdrehte. "Liz, unten ist jemand für dich. Eine Melanie." Er hielt ihr den Telefonhörer hin. Verdutzt nahm Liz ihn entgegen und horchte hinein. "Ja?" "Miss Winston, eine Melanie Brown für Sie. Soll ich sie hochschicken?" Die Rezeption da unten machte ihre Arbeit wirklich gut, musste Liz anerkennen. Aber für ihre Verhältnisse war das ein bisschen zu penibel. "Ja, klar. Schicken Sie sie hoch", gab sie grünes Licht und legte auf. Rob nahm den Hörer wieder an sich und drehte ihn in seinen Händen herum. "Eine Freundin von dir?" Liz nickte, aber sie schwieg. Sie hatte nicht vor, Rob ihre Lebensgeschichte zu erzählen und er wurde immer viel zu neugierig, wenn man ihm erst mal die Chance gab, mit einem ins Gespräch zu kommen. "Hm." Er stand ein wenig unschlüssig herum. "Kennst du sie schon lange?" Das war wirklich nicht ihr Tag. "Ja." Und weil er ihr doch leid tat, fügte sie hinzu: "Schon seit der Schule." "Pass auf, dass die alte Hexe dich nicht erwischt, wie du Privatbesuch bekommst", riet er ihr besorgt. "Sonst schmeißt sie dich auch noch raus wie Mary und Nancy. Das wäre echt ein Jammer." Das glaube ich dir auf's Wort, dachte Liz missmutig. Aber ihr würde es nichts ausmachen. Die alte Hexe würde ihr sogar einen Gefallen damit tun. Solange sie in dieser Einöde hier feststeckte, würde nie etwas Großes aus ihr werden. In diesem Moment ging die Tür der Redaktion auf und Mel trat ein. Zielstrebig bewegte sie sich in Liz's Richtung, aber es war so viel los, dass niemand auf sie achtete. Doch das war kaum verwunderlich. Es kamen und gingen ständig Fremde hier ein und aus, Lieferanten, Praktikanten, Mechaniker. Niemand konnte sagen, wer hierher gehörte und wer nicht. Das mochte Liz so sehr daran. Die Türen waren für alle offen – vorausgesetzt, man kam bei der Rezeption durch. "Hey, Liz", begrüßte Mel sie freudestrahlend. "Ich dachte, ich komm’ dich mal besuchen." Sie warf Rob, der noch immer dort stand und nicht daran dachte, sich vom Fleck zu bewegen, einen neugierigen Blick zu. Als Liz nichts sagte, streckte Mel ihm die Hand hin. "Hi, ich bin Melanie." Er ergriff und schüttelte sie. "Rob", sagte er. "Ich arbeite mit Liz zusammen." Mel grinste schief. Natürlich hatte Liz ihr schon einiges über Rob erzählt. "Dacht’ ich mir schon. Wofür bist du noch mal zuständig?" Er wand sich ein bisschen und Liz fühlte sich fast ein wenig schuldig, weil sie so etwas wie Schadenfreude dabei empfand. Rob war es irgendwie peinlich, über Rezepte und Desserts und leckere Speisen zu schreiben. Obwohl er es gerne machte, war er dennoch der Auffassung, es wäre "Frauenarbeit" - was Liz furchtbar daneben fand. Wenn ein Mann gerne kochte, war ihr das ebenso recht, wie wenn eine Frau gerne Autos reparierte. Hauptsache man tat, was man gerne tat. "Die Kochseiten", antwortete er dann und warf Mel einen skeptischen Blick zu, so als würde er erwarten, dass sie ihn sofort auslachte. Was Mel natürlich nicht tat. Stattdessen lächelte sie höflich. "Cool", sagte sie dann und wandte sich wieder Liz zu. "Was hast du heut’ Abend vor?" Liz konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, sah aber ganz kurz zu Rob herüber, der noch immer neben ihr stand, als gehöre er zum Inventar. Das konnte doch nicht wahr sein! Hatte der Typ denn überhaupt kein Feingefühl? Nun, wenn er es nicht anders haben wollte, dann war es nicht ihr Problem, beschloss sie. "Ich treffe mich mit John." Sie bemerkte gleichermaßen, wie Rob's, als auch Mel’s Gesichtsausdrücke sich veränderten und sie ahnte nichts Gutes dabei. Rob sah aus, als hätte man ihn in den Magen geboxt - er starrte sie unentwegt ungläubig an, als erwartete er eine Erklärung. Mel hingegen - und das machte ihr mehr Sorgen - sah ein bisschen verdrießlich drein. "Na klar", murmelte sie dann kühl. "Was sonst." Liz runzelte die Stirn und wünschte sich nun wirklich, dass Rob die Fliege machen würde. "Wo ist das Problem?", hakte sie nach. Aber Mel antwortete nicht. Als hätte sie dasselbe gedacht, drehte sie sich zu Rob um und warf ihm einen geduldigen, aber unmissverständlichen Blick zu. Auch Liz sah ihn an, aber freundlicher - wie sie hoffte. Es machte wohl Klick bei ihm. "Ah, schon klar. Ihr Mädels wollt alleine sprechen." Wie ein getretener Hund zog er ab und ließ sich niedergeschlagen an seinen Schreibtisch ein paar Meter weiter sinken. Die Mädels schaute ihm nach, bis er anfing, auf seiner Tastatur zu tippen, um sicherzugehen, dass er nicht doch noch mit einem Ohr bei ihnen hängen würde. Aber er sah sich nicht einmal um. "Was ist los?", wollte Liz noch einmal wissen, mit gedämpfter Stimme. "Gar nichts", murmelte Mel abweisend. "Lüg mich nicht an, Melanie Brown." Langsam wurde sie ärgerlich. "Du bist extra hier hergekommen, um mir zu sagen, dass es 'gar nichts' ist?" Mel riss die Hände in die Luft und ergab sich. "Okay, okay. Ich wollte dich abpassen und fragen, ob du mich zu einer Party begleitest - ein Kollege feiert seinen Geburtstag und es werden viele Männer anwesend sein. Aber anscheinend ist John mir schon wieder zuvorgekommen." Mel's düsterer Blick und ihr Tonfall gefielen Liz überhaupt nicht. "Was soll das heißen...", hakte sie langsam nach. "Schon wieder." "Gar nichts." Auf Liz's tadelnden Blick hin sagte sie: "Ich dachte, John wäre nur eine Eintagsfliege. Aber anscheinend scheinst du es ernst mit ihm zu meinen." Liz starrte sie regungslos an. "Ich hätte nicht gedacht, dass du dich ausgerechnet in so einen verliebst." Als Liz den Mund aufmachte, war ihr zunächst, als hätte sie ihre Stimme verloren, aber dann merkte sie, dass es nur ein großer Kloß im Hals war, der sie vom Sprechen abhielt. Sie räusperte sich nervös und versuchte, ruhig zu bleiben. Was immer Melanie sagen wollte, sie meinte es bestimmt nicht so, wie es gerade den Anschein machte. "Was... gefällt dir an John nicht?" Es traf sie persönlich - und unvorbereitet -, dass die Kritik an John sich wie Kritik an ihr selbst anfühlte. Gemein, verletzend, und darauf ausgerichtete, sie mitten ins Herz zu treffen. Und sie traf. Und weil sie traf, bekam Liz Angst. "Gar nichts." Mel stöhnte. Wahrscheinlich war auch ihr aufgefallen, dass sie diese zwei Wörter in der kurzen Zeit ein bisschen überstrapaziert hatte. Und sie wussten doch beide: Gar nichts gab es nicht! Irgendwas war immer. "Tut mir leid... Ich bin nur ein bisschen enttäuscht. Ich hatte einen echt miesen Tag." Liz schwieg. Sie dachte darüber nach, wie ihr Tag angefangen und wie er sich bis hierher entwickelt hatte. Nicht besonders gut, musste sie feststellen. Was sollte sie dann erst sagen? "Das", warf sie vorsichtig ein, "hat nichts damit zu tun, was du eben gesagt hast." Mel zuckte mit den Schultern und ließ sich dann auf der Kante von Liz's Tisch nieder. "Liebst du ihn?" Liz blinzelte verblüfft. "Was?" "Na, du verbringst doch viel Zeit mit ihm. Und wenn du von ihm redest, bist du so... ich weiß nicht. Anders." Melanie schwieg eine Weile, und auch Liz sagte dazu nichts. "Ich weiß, du glaubst nicht an so was. Aber da es dich anscheinend doch erwischt hat, warum ausgerechnet John? Er passt doch gar nicht in dein Beuteschema." Liz musste das Gesagte erst einmal verdauen. Ihr Herz raste auf Hochtouren und sie hatte Schwierigkeiten, ihren Gedankengängen zu folgen. Warum ausgerechnet John? Diese Frage hatte Liz sich immer und immer wieder gestellt. Aber sie hatte nie den Mut gehabt, ihr nachzugehen. John war ein toller Kerl, hatte sie sich gesagt. Warum also nicht? John war lustig. Warum nicht? John konnte ein echt guter Freund sein. Also warum nicht John? Aber tief in ihrem Inneren fürchtete sie sich. Nicht vor John, nein. Vor sich selbst. Hatten ihre Eltern doch Recht gehabt? Hatten sie sie erzogen zu einem gewöhnlichen Hausmütterchen, das sich einen Ehemann aussucht und dann für den Rest ihres Lebens zu Hause bei den Kindern hockt? War sie in Wahrheit doch so jemand und wusste es bloß nicht? Kam das jetzt alles heraus - kitzelte John diese verborgene, ungeliebte Seite in ihr heraus? Liz schluckte. Ihr Mund war ganz trocken. Die Gefühle, die sie für ihn hatte, gingen weit über das "mögen" hinaus - das hatte sie schnell festgestellt, aber mit niemandem darüber geredet. Es war - ihrer Meinung nach - wider ihre Natur. Sie würde sich schon beruhigen und wieder zurückfinden. John war nur ein kleiner Ausrutscher, den sie später nicht bereuen würde. Aber eine zufriedenstellende Antwort hatte sie für ihre Freundin auch nicht parat. Diese setzte allerdings noch einen drauf. "Wollt ihr eigentlich zusammenziehen oder so?" Liz riss geschickt die Augen auf. "Was?" "Na das macht man doch so, wenn man eine Beziehung hat. Meinst du, er fragt dich, ob du ihn heiraten willst?" "Wir - ich...". stotterte sie, doch dann sah sie den Schalk in den Augen ihrer Freundin und blickte sie empört an. Mel lachte sich kaputt! "Du hättest mal dein Gesicht sehen sollen!", grinste sie schadenfroh. "Das Beste, das ich heute gesehen habe, ehrlich. Hast du das echt geglaubt? Wäre ja noch schöner, wenn die vogelfreie Liz Winston an die Kette gelegt werden würde." Mel schüttelte amüsiert den Kopf und schnalzte mit der Zunge. "Das wäre echt eine Schande." Steif nickte Liz, doch sie sah schon lange nicht mehr Mel an, sondern starrte auf einen Punkt auf dem Boden. Hinter ihren Augen bildeten sich viele, viele Bilder, die sie am liebsten sofort wieder verdrängt hätte. John mit einem Ring in der Hand. John vor ihr auf den Knien. Sie und John vor dem Altar. Sie in einem weißen Kleid. Liz fröstelte. Sie erinnerte sich, dass sie diese Art von Gedanken schon einmal gehabt hatte. Damals, beim Dachbodenaufräumen mit Judy zusammen. Judy hatte ihr diesen Floh ins Ohr gesetzt, obwohl sie eigentlich gar nicht wollte, aber Liz hatte es bald schon wieder verdrängt. Jetzt kam der Gedanke erneut hoch. Ob John wirklich so etwas mit ihr wollte? Sie wusste, dass er verrückt nach ihr war - das war nichts Arrogantes, sie merkte es ihm einfach an. Wie er sie ansah, wie er lächelte, wie er mit ihr umging. Aber John war nun mal so. Das hatte sie von Anfang an gewusst. Er war einer "dieser" Typen - obwohl es davon nicht mehr so viele gab -, die zuverlässig und treu waren, und die dasselbe von ihrer Partnerin erwarteten. Und noch viel mehr. Nämlich ein "Leben lang" - oder "lebenslang". "Glaubst du echt, er würde das machen?", murmelte Liz nach einer kleinen Denkpause zögernd. Auf Mel’s fragenden Blick hin erklärte sie: "Einen Antrag... oder so etwas?" Melanie zuckte nur unbeteiligt mit den Schultern und kramte auf Liz's Schreibtisch herum, bis sie unter ein paar Dokumenten ein Bonbon fand. "Er scheint mir der Typ dafür, oder? Also irgendwann bestimmt. Vorausgesetzt, du hältst es so lange mit ihm aus. Oder er mit dir." Mel grinste, aber Liz war das Lachen vollkommen vergangen. Das war genau das, was sie auch dachte. Und es war genau das, was sie gar nicht gebrauchen konnte. "Ich mag John ja", redete Mel unbeschwert weiter, ohne ihre feinen Fühler auszustrecken und Liz's Schwermut zu bemerken. "Aber es ist mir ein Rätsel, wie du auf ihn kommst. Er ist so...überhaupt nicht dein Typ, weißt du. Andererseits ist er viel netter als die Kerle, die du sonst so angeschleppt hast. Und hey." Sie grinste Liz an. "Er klaut dir wenigstens nicht dein Make-Up. Ah, jetzt weiß ich auch, was du an ihm findest. Das muss es sein", witzelte sie, packte das Bonbon aus und steckte es sich in den Mund. Liz lächelte halbherzig und unterdrückte dann einen tiefen Seufzer. Wie gern wäre sie jetzt nach Hause gegangen und hätte sich ins Bett gelegt. Ohne nachzudenken, ohne irgendjemanden zu sehen und ohne mit irgendjemandem zu reden. Sie wusste bereits jetzt schon, dass ihre düsteren Gedanken sie den ganzen Tag über verfolgen würden. Und zu allem Überfluss wurde soeben die Bürotür der alten Hexe von ihrer Hoheit persönlich aufgerissen und sie bellte: "WINSTON! Ins Büro!" Liz warf Mel einen genervten Blick zu und erhob sich. Mitleidige Blicke folgten ihr, aber es war ihr egal. Wenn sie rausgeschmissen werden würde, dann war es halt so. Es machte den Tag nicht besser, aber auch nicht gerade schlechter. Liz wurde nicht gefeuert. Aber sie wünschte, sie wäre es. Stattdessen hatte die alte Hexe ihr noch mehr Arbeit aufgebrummt: die Arbeit der beiden Mädels, die sie zuvor hatte gehen lassen nämlich. Plötzlich sah sie sich überhäuft mit einer Menge Artikeln, die es zu schreiben galt – die alte Hexe war sogar so verrückt und hatte ihr die Horoskope überlassen! Als ob Liz irgendetwas von so einem Hokuspokus halten würde, geschweige denn wusste, wie man so etwas einigermaßen glaubhaft vermittelte. Wobei "glaubhaft" wahrscheinlich eher Auslegungssache wäre. Das war es. Das war der letzte Schubs gewesen, der benötigt worden war, um ihr diesen Tag endgültig zu verderben. Sie konnte ihn abschreiben. Der einzige Lichtblick wäre das Treffen mit John am Abend gewesen, aber Mel hatte ihr auch das verdorben, indem sie ihr furchteinflößende Gedanken gemacht hatte. Jetzt würde Liz den ganzen Tag nur daran denken, ob John mehr von ihr wollte, als das, was sie bereit war, ihm zu geben, und dass sie in den nächsten Tagen wahrscheinlich gar keine Freizeit oder Zeit zum Schlafen haben würde, denn sie musste ja arbeiten, arbeiten, arbeiten. Eines aber stank ihr ganz gewaltig. Es stank ihr noch mehr, als sich irgendwelche sinnlosen Horoskope aus den Fingern zu saugen. Mary's Aufgabe war es gewesen - und das musste man sich mal auf der Zunge zergehen lassen - Berichte über Hochzeiten zu schreiben. Mit allem drum und dran. Die Braut begleiten, mit ihr in das Brautmodengeschäft, zum Kuchenprobeessen und wahrscheinlich auch noch zum Briefkasten rennen, um die Einladungen abzuschicken. Auf der Hochzeit anwesend sein und jedes kleinste Detail herauskitzeln. Das war doch Ironie des Schicksals, entschied Liz erbost, als sie sich wieder genervt auf ihren Stuhl fallen ließ. Was konnte es anderes sein? Sie, als die ultimative Ehe-Gegnerin, auf solche Fälle anzusetzen. Das war einfach gemein. Sie hatte versucht, es der alten Hexe auszureden, aber die hatte keinen Widerspruch geduldet. Liz war sauer, so richtig auf 180°, aber es gab niemanden weit und breit, an dem sie diese Wut hätte auslassen können. "Was ist?" Plötzlich scharrte sich der Großteil ihrer Kollegen um sie und alle sahen sie mit großen, sensationslüsternen Augen an. "Hat sie dich rausgeschmissen? "Hast du ihr die Meinung gesagt?" "Musst du sofort gehen?" "Was hat sie gesagt?" "Wer ist der nächste?" Alle reden auf sie ein und sie rollte nur mit den Augen. Mel stand stumm neben ihr und sah sie neugierig an. "Ich bin nicht gefeuert", knurrte Liz zwischen zusammengebissenen Zähnen. "Und der nächste ist der, der nicht an seinem Schreibtisch sitzt, wenn sie gleich aus ihrer Höhle kommt." Sofort stoben alle wieder auseinander und es kehrte eine nie gekannte Ruhe ein. Liz seufzte und wandte sich Melanie zu. "Die spinnt doch. Weißt du, was sie mir aufgehalst hat?", brauste sie auf. Melanie schüttelte schweigend den Kopf. "Ich soll noch zwei Bereiche übernehmen. Die Horoskope!" Mel brach in lautes Gelächter aus, obwohl Liz noch gar nicht geendet hat. "Und die Hochzeitskolumnen! Ich schwöre dir, sie will mich umbringen." "Das glaube ich auch." Mal lachte, aber in ihren Augen spiegelte sich Mitgefühl. "Du Arme, Liz. Und was hast du ihr gesagt?" "Gar nichts. Sie lässt gar nicht mit sich reden. Die Hochzeitskolumne, Mel! Das ist mein schlimmster Alptraum." Mel nickte. "Du könntest ein paar echt miese Artikel schreiben, die Braut ein bisschen denunzieren und so", schlug sie vor. "Dann zieht die dich vielleicht wieder ab." Liz schüttelte den Kopf. "Dann würden die uns verklagen und so menschenfreundlich, wie die alte Hexe ist, würde die Klage auf mich persönlich fallen. Nein, das tu ich mir nicht an." Sie blickte Mel an. "Ist deine Mittagspause nicht eigentlich schon vorbei?" Diese warf einen kurzen Blick auf ihre Armbanduhr und verzog entsetzt das Gesicht. "Du sagst es. Oh-oh. Ich muss los." Sie umarmte Liz hastig. "Ruf mich an, wenn du was Neues weißt, und viel Spaß heut Abend. Lass den Kopf nicht hängen." Liz sah ihr schweigend nach. Leichter gesagt als getan, dachte sie grimmig. Sie hatte noch immer schlechte Laune, als sie John traf. Die Ereignisse des Tages nagten an ihr und sie schaffte es nicht, sie abzuschütteln. Zu allem Überfluss hatte John sie zum Essen eingeladen, und zwar in ein piekfeines Restaurant, wo man vorher anrufen und reservieren musste und die Kellner die Nase so hoch trugen, dass sie irgendwo in den Wolken zu schweben schien. Liz fühlte sich sofort unwohl, aber das war kein Wunder. Sie hatte es den ganzen Tag nicht geschafft, sich in eine halbwegs stabile Gemütslage zu versetzen, was sollte sie dann jetzt erst sagen? Zudem war sie vollkommen underdressed. John hatte ein frisches Hemd an und eine schwarze Hose, und bei manchen Männern reichte das schon, damit sie gut aussahen - John gehörte zu diesen Männern-, aber sie trug eine alte, enge Jeans, Stiefel und einen Cardigan. "Warum hast du mir nicht gesagt, dass wir in so ein edles Ding gehen?", raunte sie ihm missmutig zu, als sie zu ihren Plätzen geleitet wurden. "Dann hätte ich mir was anderes angezogen." Er bedachte sie mit einem wohlwollenden Blick. "Liz, du siehst schön aus. Was willst du mehr?" Sie verdrehte genervt die Augen. Männer! Kapierten die überhaupt gar nichts? "Das würdest du selbst dann noch sagen, wenn ich hier im Schlafanzug aufkreuzen würde", murmelte sie grimmig und John warf ihr ein liebenswürdiges Lächeln zu. "Natürlich. Du bist immer schön." Sie konnte nicht anders, und musste ebenfalls schmunzeln, aber dann fielen ihr wieder Mel's Worte ein und das Grinsen gefror in ihrem Gesicht. Kavalier, der er war, kam John dem Kellner zuvor, zog Liz's Stuhl mit einem charmanten Lächeln hervor und ließ sie Platz nehmen. Als er Wein bestellte, kam ihr zum ersten mal der Gedanke, dass irgendetwas nicht stimmte - sie gingen nie so schick aus - und das war auch gar nicht nötig, Liz mochte es kein bisschen -, und John benahm sich... seltsam. Irgendwie so feierlich. Dabei war das nur ein ganz normaler Abend, wie jeder andere auch. Oder?! Sie beschloss, sich nicht davon irritieren zu lassen. Wahrscheinlich war sie einfach nur viel zu misstrauisch, weil Mel ihr komische Flausen in den Kopf gesetzt hatte. "Ist heute... irgendetwas Besonderes?", fragte sie vorsichtig und nippte nervös an ihrem Weinglas. John warf ihr einen kritischen Blick zu. "Na ja", druckste er herum. "Eigentlich nicht, nein." Sie stellte das Glas ab und sah ihn prüfend an. "Und uneigentlich?" Er räusperte sich und schaute ein bisschen in der Gegend herum, um ihrem Blick auszuweichen. Dann sah er sie wieder an. "Zur Feier des Tages... dachte ich." Liz runzelte die Stirn. Hatte sie irgendetwas nicht mitbekommen? "Welche Feier?" "Heute vor... drei Monaten. Da haben wir uns kennen gelernt, Lizzie", erwiderte er mit einem schiefen Grinsen, klang aber ganz und gar nicht gekränkt, weil sie offensichtlich nicht von selbst drauf gekommen war. Verdammt, sie hatte es wirklich nicht gewusst. Aber Liz hatte sich noch nie etwas aus Daten gemacht. Außer Weihnachten, ihrem Geburtstag und ihren Abgabefristen blendete sie Zahlen vollkommen aus. Die waren einfach nicht ihre Welt, und wer kümmerte sich schon darum, ob man drei Tage, vier Monate oder sechs Jahre mit jemandem zusammen war? John kümmerte es anscheinend. Und es bestätigte ihre Theorie. Er war... spießig. Er interessierte sich für so was. Und er erwartete, dass es sie auch interessierte. Würde er jetzt jeden Monat so einen Aufriss deswegen machen? Wahrscheinlich erwartete er auch noch irgendeine positiv geartete Reaktion von ihr, aber Liz fühlte sich von Sekunde zu Sekunde unwohler. "Ach ja", brachte sie deshalb nur heraus und selbst in ihren Ohren klang das zutiefst abweisend. John musterte sie nachdenklich. "Alles okay bei dir?" Sie nickte. "Es war ein harter Tag." "Hm." Er kratzte sich etwas ratlos am Hinterkopf, so wie er es immer tat, wenn er gerade nicht so richtig weiterwusste. "Wenn du willst... wir müssen nicht hier essen. Ich kann dich auch nach Hause bringen." Liz schaute auf. Er sah so enttäuscht aus, obwohl er diese Enttäuschung nicht zeigen wollte, und sie schüttelte müde den Kopf und versuchte es mit einem Lächeln. "Nein, nein. Ist schon gut. Ich wünschte nur, ich hätte gewusst, was du vorhast. Mel wollte mich heute zu einer Party mitnehmen." Ups. Liz biss sich auf die Zunge. Warum hatte sie das gesagt? Das hatte sie gar nicht gewollt, und plötzlich war es da und aus ihrem Mund entschlüpft. John presste die Kiefer aufeinander und schaute auf seinen Teller. Er sah aus, als wollte er etwas sagen, tat es aber nicht. Liz wusste, das sie gemein gewesen war und es tat ihr furchtbar leid. Sie wusste selbst nicht, warum. Er schluckte und zwang sich zu einem Lächeln, aber er sagte nichts mehr und zwischen ihnen entstand eine lange, angespannte Stille. Es war das erste Mal, dass sie sich anschwiegen, bemerkte Liz erstaunt. Und das auch nur, weil sie sich gerade nicht grün waren. "Wie war dein Tag?", ergriff sie nun selbst das Wort, da sie das Gefühl hatte, etwas wieder gutmachen zu müssen. Aber sie dachte nicht daran, sich zu entschuldigen. Denn dann müsste sie ja zugeben, dass sie es genau so gemeint, wie John es aufgefasst hatte. "Anstrengend", seufzte er und fuhr sich durch die Haare. Liz bemerkte erst jetzt, dass er auch müde und abgeschlagen aussah. "Der... Noch-Ehemann einer Mandantin macht Probleme." "Warum?" John zuckte mit den Schultern und spielte mit seiner Serviette herum, indem er sie auseinander- und wieder zusammenfaltete, während er sprach. "Er will die Sorgerechtsklage anfechten und nun selbst das Sorgerecht für seine Kinder haben. Und das will meine Mandantin natürlich nicht. Sie hat... sie musste viel durchmachen in letzter Zeit." Liz legte den Kopf schief. "Warum teilen sie sich nicht einfach das Sorgerecht?" "Das..." John hielt kurz inne und suchte nach den richtigen Worten. "Er hat sie betrogen und ihr jahrelang verschwiegen, dass er mit der anderen ein Kind hat. Sie behauptet, er wäre ständig auf "Geschäftsreisen" gewesen, aber in Wahrheit..." John seufzte. "Das nimmt sie ihm ziemlich übel. Sie sagt, er war nie für die Familie da, und er sagt genau das Gegenteil." "Hm." Liz nahm noch einen Schluck von ihrem Wein. Wein war zwar nicht unbedingt ihr Lieblingsgetränk, aber diesen hier konnte man ganz gut trinken. Zumindest, wenn man es sich nicht zur Gewohnheit machte. "Und was denkst du darüber?" John blickte auf und sie sah, wie es in seinen Augen aufblitzte. "Ich denke, jemand, der seine Familie so belügt und betrügt, hat seine Kinder nicht verdient." Seine Worte, sein Tonfall, klangen hart. Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, hörte sie ihn so etwas sagen. Klar hatte er sich hin und wieder über den ein oder anderen beschwert, aber jetzt schwang ein unbekannter Ernst in seinem Tonfall, ein Groll, der anscheinend noch immer tief in ihm saß. So interpretierte sie es zumindest. "Erinnert dich das... an deinen eigenen Vater?", fragte sie sanft und merkte sofort, dass sie anscheinend einen wunden Punkt getroffen hatte. Überrascht sah John sie an, dann zeigte er eine Spur von Empörung, aber noch bevor er den Mund aufmachte, um etwas zu sagen, verschwand das alles und es trat ein resignierter Ausdruck auf sein Gesicht. "Wenn du damit sagen willst, dass ich mich zu sehr persönlich mit reinziehen lasse", wich er ihr aus, ohne ihre Frage direkt zu beantworten, "hast du vermutlich recht, Liz. Trotzdem kann man es manchmal nicht vermeiden, dass bestimmte Fälle einen beeinflussen. Es geht um Menschen, und das sind wir eben alle. Nur Menschen." Als sie daraufhin nichts sagte, richtete John das Wort an sie. "Und warum war dein Tag so furchtbar?" Sie zuckte nur mit den Schultern. "Die alte Hexe." "Oh-oh", erwiderte John lächelnd. "Hat sie wieder ihre schwarze Magie an dir ausgelassen?" "Und wie. Ich soll zwei weitere Rubriken übernehmen, weil sie Einsparungen vornehmen will und die beiden, die dafür verantwortlich waren, gefeuert hat. Natürlich findet sich da kein anderer außer mir", beschwerte Liz sich erbost und die ganze Ungerechtigkeit über die Situation, die sie vorhin noch so stark empfunden hatte, kam wieder zurück und machte sie nun wieder richtig wütend. Als der Kellner kam, um die Bestellungen aufzunehmen, unterbrachen beide ihr Gespräch, nahmen es aber sofort wieder auf, als der Gute wieder außer Hörweite war. "Was hat Mrs. Witch dir aufgedrückt?" Liz grummelte. "Du wirst lachen", warf sie ihm misstrauisch vor. John verzog überrascht das Gesicht. "Nein. Versprochen." "Horoskope." Seine Mundwinkel zuckten verräterisch, aber es waren seine Augen, die amüsiert leuchteten. "Aha", sagte er vorsichtig. "Was noch?" "Hochzeitsberichte." Jetzt sah er nicht mehr belustigt aus, sondern lächelte sie ehrlich an. "Hochzeiten? Das ist doch schön." Liz glaubte ihren Ohren kaum, aber dann wiederum überraschte es sie nicht besonders, dass John SO reagierte. Nach allem, was ihr heute alles durch den Kopf gegangen war, war das kein großes Wunder. "Was ist daran schön?", fragte sie verständnislos. "Na, zum Beispiel... dass du beim wichtigsten und schönsten Tag von zwei Menschen dabei sein kannst?", schlug er vor, doch als sie ihn nur düster anstarrte, fügte er noch schnell hinzu: "Außerdem das Gratis-Essen und die Gratis-Getränke." Liz schüttelte erschöpft den Kopf. "Das wiegt es nicht auf, ehrlich." Sie schwiegen sich wieder eine Weile an, dann holte John laut Luft und fing an, in seiner Jackentasche zu kramen. "Ich seh schon", murmelte er eher zu sich selbst, während er etwas suchte. "Du hast heute schlechte Laune. Vielleicht wird dich das hier etwas aufheitern..." Er zog aus seiner Tasche eine kleine, mit Samt überzogene Schatulle hervor, legte sie auf den Tisch und schob sie Liz zu. Dabei sah er sie auffordernd und erwartungsvoll an. Liz gingen tausend Gedanken gleichzeitig durch den Kopf, aber das, was sie von innen heraus hörte, war nur ein langer, schriller Schrei... nur in ihrem Hirn produziert, aber so laut und panisch, dass sie komplett alles um sich herum ausblendete. Sie schüttelte tonlos den Kopf. "Nein, nein", murmelte sie starr. "Tu das nicht." Kapitel 14: - John - -------------------- John runzelte die Stirn. Diese Reaktion hatte er nicht erwartet. Einen kurzen Moment lang sahen sie sich beide an und John las in ihren Augen die blanke Furcht, einen Schock, der über ihr ganzes Gesicht gezeichnet war. Was hatte sie so erschreckt? "Liz, alles klar?" Er machte sich Sorgen. Liz war den ganzen Abend schon so komisch gewesen. Er wusste nicht, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte, ihre Launen wechselten von Sekunde zu Sekunde. Liz machte den Mund auf, bekam aber keinen Ton heraus. Dann schüttelte sie wieder den Kopf und schob das kleine Samtkästchen von sich weg. "Ich will das nicht", brachte sie heiser hervor und John hatte das Gefühl, dass sie sich sogar davor fürchtete, die Schatulle anzufassen. Langsam dämmerte ihm, was mit ihr los war - und er fand es keineswegs schmeichelhaft. Er nahm die Schatulle an sich und öffnete sie energisch. "Das ist nur ein Anhänger, Liz", erklärte er, wobei er versuchte, seinen Ärger im Zaun zu halten. "Nicht die Büchse der Pandora." Liz starrte noch eine Weile auf den orangefunkelnden Löwen, bis John das Kästchen wieder zuklappte und auf den Tisch stellte. "Ich weiß auch nicht", sagte er verdrießlich, "warum sie mir ausgerechnet diese Verpackung gegeben hat. Wahrscheinlich dachte sie, es sei etwas Besonderes." Aber das konnte er ja jetzt abhaken. Niemals würde er diesen Gesichtsausdruck vergessen, der ihm alles sagte, was er wissen musste: Liz wollte ihn nicht. Zumindest nicht so, wie er sie wollte. Sie fasste sich an den Kopf und massierte ihre Schläfen, während er schwieg. "Tut mir leid, John", entschuldigte sie sich, aber es klang erschöpft und nur halbherzig. "Ich dachte... Ach, ich weiß auch nicht." "Aber ich", erwiderte er brüsk. "Du dachtest, es wäre ein Ring." Dieses Statement ließ er über ihnen in der Luft schweben, erdrückend und unheilvoll. Liz widersprach nicht. "Warum schenkst du mir überhaupt etwas?", fuhr sie ihn dann selbst etwas unbeherrscht an. "Ich hab nichts für dich." Er lehnte sich zu ihr über den Tisch und sah sie scharf an. Um ihre Lautstärke zu kompensieren, raunte er ihr leise zu: "Darum geht es doch gar nicht. Ich wollte dir eine Freude machen. Und du warst kurz davor, aufzuspringen und das Land zu verlassen. Wäre es wirklich so schlimm, wenn sich hier drin ein Ring befunden hätte?" Er nahm das Kästchen wieder in die Hand und schwenkte er verärgert hin und her. Sein Blick traf auf kühle, braune Augen, einen plötzlich reservierten Zug um den Mund. "Das ist nicht meine Welt, John. Ich möchte nicht so ein spießiges Leben führen", antwortete sie ruhig, aber ihre Stimme zitterte von unterdrückter Wut. "Und in diese Richtung möchtest du doch?" Er runzelte die Stirn. "Was?" "Du willst so was - heiraten, Haus bauen, und so weiter. Oder etwa nicht? Du bist der Typ dafür. Aber ich - ich nicht!" John konnte sich jetzt kaum zurückhalten. Wären sie nicht in der Öffentlichkeit - er hätte ihr durchaus seine Meinung dazu gesagt. Aber es wäre einfach unfein, in einem Restaurant einen Streit anzufangen. "Ach ja? Bin ich das?", murmelte er wütend. "Und was sagt deine begnadete Psychoanalyse zu dir selbst?" Liz funkelte ihn erbost an. "Ja, natürlich hast du Recht. Jemanden zu finden, der zu einem passt und den man liebt - warum sollte das auch nicht mein Ziel sein?", fragte er sie ernst. "Aber willst du mir vielleicht erzählen, dass du nicht so denkst? Dass du dein Leben alleine verbringen willst, bloß, weil du zu viel Angst davor hast, in der Menge unterzugehen?" Ihr Gesicht veränderte sich für den Bruchteil einer Sekunde, in der er merkte, dass er sie gekränkt haben musste. Sanft, in der Hoffnung, sie würde sich überzeugen lassen, fügte er hinzu: "Ich kenne dich doch. Wir sind nicht so verschieden, wie du glaubst, Liz. Das muss dir doch auch klar sein?" Sie wich seinem Blick aus, schloss kurz die Augen und atmete durch. Dann schüttelte sie resigniert den Kopf. "John, du hast dir die Falsche für deine Ziele ausgesucht. Es war ein Fehler, sich mit dir einzulassen. Tut mir leid." Dann stand sie auf und raffte ihre Sachen zusammen. Völlig durch den Wind erhob sich auch John. "Was hast du vor?", fragte er sie misstrauisch, obwohl er genau wusste, worauf das Ganze hinauslief. "Ich gehe", rief sie ihm zu, als sie ihm schon den Rücken zugewandt hatte und sich hastig an den Tischen vorbeischlängelte. Einige Gäste hatten Wind vom den Ganzen bekommen und blicken nun empört oder neugierig auf, verfolgten die ganze Szene. Als die Eingangstür zufiel und er Liz durch die hohen Fenster an dem Gebäude vorbeihasten sah, fielen alle Blick auf ihn, wie er einsam und verloren an seinem Tisch stand. Angespannte Stille herrschte im Raum. Sogar der Kellner starrte ihn mit großen Augen an. Eine junge Frau, die am Nebentisch mit ihrem Mann - oder Freund - speiste, lehnte sich zu ihm herüber. "Gehen Sie ihr nach", raunte sie ihm hinter vorgehaltener Hand zu. "Na los doch." Wie aus seiner Starre erwacht blickte er sie an und sie nickte ihm bestärkend zu. Ein Ruck ging durch seinen Körper und John kramte aus seiner Geldbörse einen Schein hervor und legte ihn auf den Tisch, bevor er sich eilig zum Ausgang des Restaurants bewegte. Ihm war vollkommen egal, dass der Betrag zu hoch war für ein Mahl, das noch nicht einmal eingenommen worden war - und ihm war egal, dass alle ihn mitfühlend anstarrten - ihm war auch egal, dass er seine Jacke an der Garderobe hängen gelassen hatte und dass es draußen zu dieser Tageszeit ohne sie viel zu kalt war. Er wollte nur Liz einholen und sie zur Vernunft bringen. Mein Gott. Die Frau musste doch mit irgendetwas zu überzeugen sein. Er sah es doch. Er sah, dass sie ihn mochte. Dass sie Spaß zusammen hatten, dass sie sich sorgte, dass sie ihn anhimmelte, dass sie ein perfektes Zweierteam waren, dass sie auf einer Wellenlänge waren. Noch nie hatte er solche Zufriedenheit verspürt, wenn er mit jemandem zusammengewesen war. Und keiner konnte ihm erzählen, dass sie das alles ganz anders sah! Sie musste es doch auch sehen. Er war sich vollkommen sicher. Aber aus irgendeinem Grund hatte sie eine Phobie gegen den Ernst des Lebens. Worauf hatte er sich da bloß wieder eingelassen? Auf etwas, das den ganzen Ärger wert war, beschloss er, noch voller Hoffnung. Natürlich holte er sie nicht mehr ein. Liz war verschwunden - wie vom Erdboden verschluckt! Wahrscheinlich war sie in die U-Bahn geflüchtet, wo sie in der Menge untertauchen konnte. Blöd war sie wirklich nicht. John seufzte. Jetzt zu ihr nach Hause zu fahren würde keinen Sinn machen, denn sie wusste, dass er sie dort am ehesten suchen würde. Verdammt, sagte John sich. Er kannte sie wirklich viel zu gut, und sie kannte ihn auch. Wie konnte sie da behaupten, sie passten nicht zusammen? Dass er sich die Falsche ausgesucht hatte? Obwohl er es ihr gegenüber nicht erwähnt hatte, war er sich ziemlich sicher, dass sie sich irrte. Sie war die Richtige für ihn, die absolut einzig Richtige mit nur ein paar... Schwierigkeiten, sich selbst so zu sehen, wie er sie sah. Aber John war zuversichtlich. Er würde sie schon noch zur Vernunft bringen. Heute, beschloss er, würde er sie nicht mehr belästigen. Sie musste erst mal wieder zur Ruhe kommen und sich abkühlen. Morgen würde er sie anrufen und alles mit ihr klären. Über die Nacht würde sich all ihr Ärger und ihre Zweifel setzen und bei Anbruch des neuen Tages würde auch sie sich einsichtig zeigen. So blind konnte sie nicht sein, dass sie die offensichtlichsten Zeichen falsch deutete. Er seufzte und machte sich auf den Weg nach Hause. Der ganze Abend war ein Reinfall gewesen - er hätte gar nicht erst von dem Anhänger anfangen sollen, als er gemerkt hatte, dass Liz so explosiv geladen war. Apropos Anhänger... er bemerkte, dass er etwas umklammert hielt und blickte auf. Es war das Schmuckkästchen. Er öffnete es und nahm behutsam den schimmernden Löwen heraus. Die Schatulle beförderte er achtlos in den nächsten Mülleimer. Die hatte ihm nur Unglück gebracht. John ließ den Löwen in die linke Brusttasche seines Hemdes gleiten - näher an sein Herz - und lächelte schicksalsergeben. So hatte er Liz wenigstens noch bei sich, auch wenn diese ihn vermutlich zu diesem Zeitpunkt verteufelte und am liebsten auf den Mond schießen würde. Aber morgen sah schon wieder alles ganz anders aus. Davon war er überzeugt. Kapitel 15: - Liz - ------------------- Liz fühlte sich wie ein Zombie. Und wahrscheinlich sah sie auch so aus. Sie hatte die ganze Nacht in ihren Klamotten vom Vorabend verbracht - nein, sie hatte nicht in ihnen geschlafen, weil sie gar nicht geschlafen hatte! -, und ein Blick in den Spiegel hatte ihr bestätigt, dass sie dunkle Ringen unter den Augen hatte und alles in einem... ziemlich verhärmt und alt und müde aussah. Aber das war ihr egal. Sie fühlte sich... gar nicht. Da war etwas in ihrem Inneren, dass sie als Eisblock bezeichnet hätte. Als etwas Gefrorenes, Erstarrtes, das es ihr leichter machte, durch den Tag zu kommen. Und das sie sinnvolle Entscheidungen treffen ließ, ohne dass sie Bedauer darüber empfand. Und genau deshalb betrat sie an diesem Morgen seelenruhig das Büro der alten Hexe und legte ihr mit einer fast schon gespenstischen Gefasstheit einen Briefumschlag auf den Tisch. Einen Briefumschlag, in dem sich ihre Kündigungspapiere befanden. Mrs. Witch starrte sie aus großen Augen an, während Liz erklärte, dass sie sich die nächsten drei Wochen Urlaub nehmen würde, bis die Kündigung Anfang des nächsten Monats in Kraft träte. Auf die verdutzten, schwachen Widerspruchsversuche ihrer ehemaligen Chefin reagierte sie gar nicht erst und war wieder aus dem Gebäude verschwunden, noch ehe irgendjemand die Sachlage realisieren oder analysieren konnte. Nichts spielte sich in ihren Gedanken ab, als sie mit ihrem Spider, den sie heute ausnahmsweise mal benutzte, zu ihrer Wohnung fuhr, dort ihre Sachen packte und sich auf den Weg nach North Collingham machte. Wie durch einen Schallschutz hörte sie den Verkehrslärm, ihre Nachbarin, die sie grüßte und das Dudeln des Radios, bis sie es abschaltete. Alles, was in ihren Ohren pochte, war ihr Herz, laut und regelmäßig und dumpf. Mit einem Tempo, das sie vorher aus Besonnenheit vermieden hatte, raste sie aus der Stadt heraus, auf die freien, ländlichen Straßen Mittelenglands, als wollte sie nicht nur John und der Stadt, sondern auch ihren Gefühlen entkommen. Doch natürlich war es sinnlos. Irgendwann musste sie loslassen, und als sie begriff, dass sie ihrem Schmerz nicht davonlaufen konnte - nicht einmal nach Hause zu ihren Eltern - und er sie immer einholen würde, ließ sie los und es überkam sie. Sie drosselte ihre Geschwindigkeit und machte das Radio wieder an, damit da noch etwas anderes war, das sie hörte, anstatt den immer dröhnenden Worten von John in ihrem Ohr. "Jemanden zu finden, der zu einem passt und den man liebt..." Hatte er etwa sie damit gemeint? Natürlich hat er dich damit gemeint, du dumme Nuss, schalt sie sich. Wen sonst? Warum hatte sie es nicht früher gemerkt? Warum hatte sie dem ganzen nicht früher Einhalt geboten? Es war ihre eigene Schuld, dass sie sich nun so fühlte, wie sie sich fühlte. Sie hätte es nicht so weit kommen lassen dürfen, aber nun war sie genau dort, wo sie niemals hatte sein wollen. Und obwohl sie Judy widersprochen und versucht hatte, Mel vom Gegenteil zu überzeugen, so konnte sie es nicht länger vor sich selbst geheim halten... Natürlich hatte John sie eingefangen. Irgendwie hatte er es geschafft. Und das, was sie für ihn empfand war - vermutete sie zumindest - so etwas wie Verliebstein. Aber wie konnte er das geschafft haben, was vor ihm niemand zuwege gebracht hatte? All die coolen Typen mit ihren verschmitzen Grinsen, ihren spannenden Leben und ihren draufgängerischem Äußeren. Mit ihren Motorrädern, die einem die Luft wegbleiben ließen, wenn man damit fuhr, und mit ihren wirklich unkonventionellen Ideen und den unausgereiften Umgangsformen. Wie hatte John es geschafft, sich an all diesen vorbei zu schlängeln und sich in ihrem Herzen einzunisten, obwohl dort kein Platz für ihn hätte sein sollen? Sie hasste ihn dafür. Hasste ihn, dass er ihr solche Gefühle beschert und dass sie nun damit zu kämpfen hatte. Aber sie würde ihm nicht auch noch ihre Freiheit opfern. Er hatte sich gestern klar genug ausgedrückt und auf keinen Fall wollte sie sich selbst so hintergehen. Nicht ein Mann auf dieser Welt würde sie dazu bringen, für ihn alles aufzugeben. Nicht einmal John, nicht einmal jemand, der sie so verrückt machte. Schon seltsam, ging ihr durch den Kopf. London war immer ihr sicherer Ort gewesen. Ihr sicherer Hafen. Groß, laut, grau - aber sicher. Ein Ort, an den sie immer zurückkehren konnte, wenn sie erschöpft von ihrer Familie oder für einen ihrer Artikel unterwegs gewesen war. Und jetzt wollte sie nur noch weg von hier. Gar nichts mehr war an London sicher - John hatte ihr alle Sicherheiten genommen, die sie zu glauben gehabt hatte. Und das, ohne dass sie es bemerkt hatte. Sie ärgerte sich furchtbar über sich selbst. Während der Fahrt war sie abwechselnd wütend und verzweifelt, und beide Emotionen wechselten sich ab, bevor eine der beiden ihren Höhepunkt erreichen konnte. Doch als sie nach Dyke's End einbog und das Haus ihrer Eltern in Sicht kam, fühlte sich Liz einfach nur noch ausgelaugt und tieftraurig. Und plötzlich begriff sie, dass das ihr sicherer Hafen war. Ihre Zufluchtsstätte, wann immer es ihr schlecht ging, wann immer sie Sehnsucht nach etwas Bekanntem hatte und wann immer sie sich in der großen Stadt verloren fühlte. Liz war niemand, der sofort anfing zu heulen, wenn es hart auf hart kam. Liz hatte auch nicht vor, hier herum zu flennen, wie ein kleines Mädchen. Nicht wegen einem Typen. Schon gar nicht wegen John. Das wäre ja noch schöner! Sie zwang sich, sich zusammenzureißen, und dachte an ihre Mutter, die ihr gleich die Tür öffnen und sie begrüßen würde. Sie würde sofort sehen, dass etwas nicht stimmte. Und Liz verspürte widersprüchliche Gefühle. Einerseits wollte sie sich in der Sicherheit des mütterlichen Schoßes flüchten und sich trösten lassen, andererseits hatte sie den leisen Verdacht, dass ihre Mutter sie ganz und gar nicht verstehen würde. Vor allem dachte sie wahrscheinlich noch immer, John wäre ein Musiker, wenn Judy ihr nicht Bescheid gesagt hatte. Und Judy plauderte niemals irgendetwas aus, es sei denn, man bat sie darum. Liz hatte sie nicht gebeten. Sie seufzte, parkte ein und schnappte sich ihre Tasche. Sie könnte Judy heute Abend anrufen und sie herbestellen. Oder sie könnte auch nach Lincoln fahren, wo Judy, Alan und Micky wohnten, aber obwohl Liz Alan mochte, war er immer noch ein Kerl und er war einfach "da" - und bei so etwas war ein Mädchenabend immer viel, viel besser. Sie wunderte sich, dass die Tür nicht sofort aufsprang, noch bevor sie klingeln konnte, so wie immer. Und es dauerte auch ziemlich lange, bis sie von innen Schritte hörte, die ganz bestimmt nicht ihrer Mutter gehörten. Liz runzelte die Stirn. Es war Danny, der da in der Tür stand - verwundert und etwas entsetzt starrte er seine Schwester schweigend an. Liz brachte ein klägliches Lächeln zustande. Der skeptische Blick ihres Bruders setzte ihr zusätzlich zu. Seit wann war sie eigentlich so dünnhäutig? Das musste dringend aufhören! "Hallo", begrüßte sie ihn und er trat zur Seite und ließ sie eintreten. "Hi", murmelte er, einsilbig wie immer. "Was machst du hier?" Liz zuckte nur mit den Schultern, ließ ihre Tasche am Fuß der Treppe stehen und schlenderte ein wenig durch den Flur, steckte den Kopf in die Küche, in das Wohnzimmer. Es war erstaunlich ruhig in dem Haus - was sie nur selten erlebt hatte. Verwundert sah sie wieder Danny an. "Wo sind denn alle?" "Dad ist arbeiten." Das hatte Liz sich schon gedacht. "Und Mum ist bei Bekannten in Langford." Eine Weile starrte Liz ins Leere. Die Information, dass ihre Mutter jetzt gerade nicht verfügbar war - dass im Moment eigentlich überhaupt keiner verfügbar war - setzte sich wie ein schwerer Stein in ihrem Brustbereich ab und erst, als sie Danny's entsetzten Gesichtsausdruck bemerkte, wurde ihr bewusst, dass ihre Augen sich mit Tränen gefüllt hatten. Tränen! Liz hatte nicht mehr geheult, seit sie 13 Jahre alt gewesen war. Und als sie mit 16 den Liedtext "Supergirls don’t cry" gehört hatte, hatte sie sich fest vorgenommen, niemals wegen irgendetwas zu weinen. Das brachte einen einfach nicht weiter und war Zeitverschwendung. Nur schwache Menschen heulten über unabänderliche Tatsachen. Starke Menschen lösten Probleme! Schnell versuchte sie, die Tränen wegzublinzeln, aber je länger Danny sie anstierte - mittlerweile verzweifelt und verängstigt - desto schlimmer fühlte sie sich. "Liz?", hakte er schließlich vorsichtig und leise nach. "Alles okay?" Sie nickte und eilte hastig an ihm vorbei. Reden konnte sie jetzt nicht, denn der Kloß in ihrem Hals machte das unmöglich. "Soll ich vielleicht... Mum anrufen?" Danny schlich hilflos hinter ihr her, dabei wäre es ihr am liebsten gewesen, er würde sie in Ruhe lassen. Dass sie hier so die Kontrolle verlor, war ihr zutiefst peinlich. "N... nein", stammelte sie erstickt. Sie war immer die starke Schwester gewesen, fiel ihr ein. Danny hatte sie noch nie so gesehen. Kein Wunder, dass er nicht wusste, was er tun sollte. Dann fühlte sie plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter. Nur ganz leicht berührte er sie, als hätte er Angst, dass sie ihm den Arm abreißen würde. Und diese Berührung war ausschlaggebend. So viel Trost sie sich im Moment auch wünschte, dass er ausgerechnet von Danny kam, von dem sie es am wenigsten erwartet hatte, ließ alle ihre Mauern einstürzen und sie lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter und konnte sich nicht mehr zurückhalten. Unbeholfen, aber ausdauernd und schweigend strich Danny ihr über den Rücken, während sie stumm schluchzte. Erst, als sie langsam verstummte, wagte er es, das Wort an sie zu richten. "Liz", flüsterte ihr Bruder eingeschüchtert, "was ist passiert?" Sie schüttelte nur den Kopf, doch er ließ sie nicht mehr vom Haken. "Ich rufe Mum an, wenn du es mir nicht sagst", grummelte er streng, und sie musste unter ihren Tränen ein wenig grinsen. Diese Einschüchterungsversuche hatte er sich eindeutig bei ihr abgeguckt. "Ich hab mit John Schluss gemacht", murmelte sie undeutlich, die Stirn immer noch an Danny's warmer Brust. Er räusperte sich. "Dein Freund?" "Jetzt nicht mehr..." Danny atmete laut aus. "Oh Gott. Ich dachte schon, jemand hätte dich überfallen oder schlimmeres", gestand er erleichtert und die Erleichterung machte es ihm einfacher, sie nun ganz fest in die Arme zu schließen und zu drücken, was ihr unendlich gut tat. "Was hat er gemacht? Soll ich ihn für dich verprügeln?" Liz konnte ein ersticktes Lachen nicht unterdrücken, doch dann musste sie schon wieder weinen, als sie daran dachte, dass John absolut nicht der Typ dafür war, verprügelt zu werden. Doch nicht der gradlinige, aufrichtige, ein bisschen trottelige John, der immer das Richtige im richtigen Augenblick sagte - bis auf dieses eine Mal. "Nein", schluchzte sie wimmernd und Danny seufzte. "Ich hab auch meinen Job gekündigt", gab sie kleinlaut zu. "Den hast du eh gehasst", erwiderte Danny trocken, was sie wieder zu einem verzweifelten Lachen brachte. Ihr Bruder war wirklich ein toller Mensch. Warum hatte sie das nicht früher entdeckt? "Stimmt." Sie löste sich von ihm und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. Wie gut, dass sie sich heute nicht geschminkt hatte - in weiser Voraussicht anscheinend. Sie warf Danny ein verheultes, verlegenes Lächeln zu. "Tut mir leid... Ich geh besser mal nach oben, um mir ein Zimmer einzurichten." "Bleibst du?", wollte er wissen. Sie nickte. "Eine Weile. Tut mir leid für..." Sie beschrieb eine vage Handbewegung, "das hier... Die Heulerei." Danny zuckte unbeteiligt mit den Achseln. "Kein Problem. Soll ich Mum wirklich nicht anrufen? Sie könnte in fünf Minuten da sein?" "Nein, schon okay. Sie wird früh genug merken, dass ich hier bin." Danny nickte, aber er war nicht besonders überzeugt. Als sie sich ihre Tasche schnappte und nach oben ging, spürte sie noch immer seinen besorgten Blick im Rücken. Innerhalb weniger Stunden hatte sich Liz's Verzweiflung in Groll verwandelt, was vielleicht damit zusammenhing, dass bereits jemand ihr Ego getätschelt hatte. Danny's Zuwendung war mehr gewesen, als Liz hatte ertragen können, und mehr, als sie jemals von ihrem Bruder erwartet hatte. Schon seit längerer Zeit machte ihr das eher kühle Verhältnis zu ihm zu schaffen, denn sie war als Kind wild und laut und Danny war immer jemand gewesen, der sich am wenigstens wehren konnte. Natürlich hatte sie das damals ausgenutzt. Kate zum Beispiel - sie und Danny waren wie gute Freunde. Sogar mehr als das. Sie waren sich ähnlich und dann wiederum nicht. Beide waren von einem eher stilleren, ernsten Naturelle, doch während Kate wissbegierig und eine kleine Streberin war - und Liz meinte das bestimmt nicht abwertend - war Danny immer schweigsam und einsilbig gewesen - zumindest in ihrer Gegenwart. Nie wusste sie, was in seinem Kopf vorging, was er denken könnte, was er mochte, was er wollte. Er war immer ein Rätsel für sie gewesen - und je mehr sie versucht hatte, das Rätsel zu lösen - notfalls mit Gewalt-, desto mehr hat er sich zu einem noch größeren Rätsel für sie entwickelt. Als Kind war ihr das nicht klar gewesen, aber nun wurde ihr nach und nach bewusst, dass Danny kein Rätsel war, dass es zu knacken galt - er war einfach nur ihr Bruder. Ein junger Mann, der, umgeben von lauter Weibern, seine eigene Nische hatte finden müssen, um inmitten des Amazonentrupps nicht unterzugehen. Zumindest, dachte sie, beschäftigte sie sich jetzt nicht mehr so viel mit John. Danny war eben auch den ein oder anderen Gedanken wert. Er hatte sein Wort gehalten und Mrs. Winston nicht sofort in Alarmbereitschaft versetzt. Als Liz - zwei Stunden später - den Schlüssel im Schloss hörte, horchte sie auf. Ihre Mutter musste doch den Spider in der Auffahrt gesehen haben? "Liz?", rief sie sogleich auch durch das ganze Haus. "Bist du zu Hause?" "Ja, Mum!", brüllte Liz zurück und erinnerte sich an früher, wenn Gespräche zwischen den Kids ständig von Zimmer zu Zimmer geschrieen wurden, bis Mr. Winston, ihr Vater, dann ein Machtwort sprach - beziehungsweise von unten hoch brüllte. Liz, die daran gegangen war, die Schränke und Schubladen ihres alten Zimmers auszuräumen und wieder neu einzusortieren, erhob sich und machte sich auf den Weg nach unten. Da ihr nicht mehr zum Heulen zumute war, sondern sie einfach nur noch in ihrer schlechten Laune schwelgte, entschied sie sich dagegen, ihrer Mutter von John zu erzählen. Sie würde es ja doch nicht verstehen. Während ihre Mutter angeregt über das Leben der Hammonds aus dem Nachbarort - der übrigens aus nur einer einzigen Straße bestand -, plauderte, hatte es sich Liz in der Küche gemütlich gemacht und schaute ihr dabei zu, wie diese fröhlich brabbelnd Tee zubereitete. Doch dann drehte sie sich zu Liz um und maß sie mit den Augen. Prüfend schaute sie sie an und überlegte. "Was ist, Mum?", hakte Liz misstrauisch nach. "Judy hat mir von deinem Freund erzählt." Verdutzt schwieg Liz. Also doch! "Dieser Rockstar." Okay, vielleicht doch nicht so ganz. Liz knurrte leise. "Er ist kein Rockstar, Mum." Beth machte eine wegwerfende Handbewegung. "Star oder nicht, er macht diese grässliche Musik, oder? Johnny heißt er?" Liz hatte wirklich keine Lust, ihrer Mutter alles noch einmal von vorne vorzukauen und deshalb nickte sie nur einmal kurz mit dem Kopf. Sollte sie doch denken, was sie wollte. Aber dass die Sprache mal wieder auf John gekommen war, passte ihr gar nicht. Anscheinend wurde sie verfolgt! Dabei wollte sie nichts mehr, als ihn endlich aus ihren Gedanken verbannen zu können. Sie kannte die Reaktionen ihrer Mutter bereits in- und auswendig. Deshalb wusste sie auch, dass Mrs. Winston sich, obwohl sie Liz wieder den Rücken zugewandt hatte, missbilligend die Lippen aufeinander presste und die Augenbrauen zusammen schob. Sie wusste auch, dass sie sich viel Mühe gab, um nichts dazu zu sagen, aber früher oder später würde sie sich doch nicht zurückhalten können. Liz’s restliche Laune sank nun auch in den Keller. Sie war nicht hierher gekommen, um sich Vorwürfe anzuhören. Vielleicht war es ein Fehler gewesen. Aber vielleicht war sie auch einfach nur total schlecht drauf! In diesem Moment kam jemand zur Haustür herein und Kate's Kopf erschien im Türrahmen. "Oh!", machte diese überrascht und sah Liz mit großen Augen an. "Was machst du denn hier?" Das gleiche hätte Liz auch gerne gefragt. Sie warf ihrer Mutter einen fragenden Blick zu, den diese nicht beachtete. "Was wohl? Ich besuche Mum und Dad", blaffte sie ihre Schwester an. "Aha." Ohne sich von ihrer Laune beeindrucken zu lassen, schob Kate sich neben sie an den Tisch und suchte sich einen grünen Apfel heraus - Kate war schon immer der Typ für die grünen, sauren Äpfel gewesen. Dann rieb sie ihn kurz an ihrem Ärmel und Mrs. Winston warf ihr einen amüsierten Blick zu. "Die sind gewaschen, Liebes." Was auch sonst? Ohne Liz zu beachten wandte sich Kate an ihre Mutter. "Wo ist eigentlich Danny?" "Der ist abgehauen, kurz nachdem ich gekommen bin", knurrte Liz, doch das war nur die halbe Wahrheit. Etwas Essentielles hatte sie ihrer Schwester und ihrer Mutter verschwiegen... "Ach", sagte Bethany mild, da sie anscheinend merkte, wie es um Liz's Befinden stand, "er ist bestimmt wieder zu seiner Freundin gefahren.“ Liz und Kate schauten beide geschockt auf und Kate ließ ihren Apfel sinken. "Freundin?", wiederholte Liz und wechselte einen überraschten Blick mit Kate. Plötzlich fühlte sie sich ausgeschlossen. Nicht nur von ihrer Familie, die ihr anscheinend auch nur das nötigste erzählte, sondern... von der ganzen Welt der Beziehungen und Gefühle da draußen. "Er hat eine Freundin? Wieso kriegt man eigentlich nichts mehr mit, wenn man nicht mehr zu Hause wohnt?" Kate war derselben Meinung. "Kaum ist man aus dem Haus, wird einem nichts mehr erzählt", stimmte sie zu, "Du hättest uns ja auch etwas erzählen können, Mum!", warf Liz ihrer Mutter vor. "Du plauderst doch sonst so gerne aus dem Nähkästchen." "Nun hört doch auf, Kinder." Mrs Winston holte zwei Tassen aus dem Hängeschrank und füllte diese bis zum Rand voll mit dem eben gebrühten Kaffee, der die ganze Küche mit seinem typischen Duft erfüllte. Schon der Geruch machte Liz wacher. Dabei wollte sie sich jetzt eigentlich nur noch im Bett einrollen und ihren ganzen Kummer verschlafen. Sie vermisste John so. Schon jetzt, nach nur einem Tag. Sie hätte jetzt selbst mit ihm in einem Café sitzen können - oder irgendwo anders. In seiner Wohnung, in ihrer Wohnung, in der U-Bahn oder irgendwo im Park. Aber nein. Er musste ja alles kaputtmachen. Er musste ihr ja sagen, dass er sie liebte, dass er sich nach Heirat, Familie, einem Hund sehnte. Es hätte so schön sein können. Sie und er, vogelfrei, ungebunden. Aber einfangen lassen wollte sich Liz auf keinen Fall. Liz starrte grimmig vor sich hin und schnippte achtlos einen Krümel vom Tisch auf den Boden. "Wer ist es denn?", wollte Kate neugierig wissen, während ihre Mutter die Kaffeetasse vor Liz stellte, die sofort danach griff wie nach einem Rettungsseil, das einer Ertrinkenden zugeworfen wurde. Vielleicht würde sie durch den Kaffee ein bisschen zur Vernunft kommen und ihr Gehirn würde wieder seinen normalen Betrieb aufnehmen. Hoffen konnte sie zumindest. Begierig nahm sie einen Schluck und heulte sofort auf. "Heiß!" Das trug auch nicht gerade zu ihrer Laune bei. Mit verbrannter Zunge - Liz hätte vor Wut am liebsten laut aufgeheult und auf irgendetwas eingeschlagen - schob sie schlechtgelaunt die Tasse von sich. Bethany betrachtete sorgenvoll ihre Tochter, dann wandte sie sich Katie zu und beantwortete ihre Frage. "Das weiß ich nicht. Irgendein Mädchen aus seiner Klasse, aber als Mutter weiß man ja sowieso nur so viel, wie es gut für einen ist." Sie seufzte und warf Lizzie einen bedeutungsvollen Blick zu, den diese gekonnt ignorierte. Liz wusste ganz genau, was ihre Mutter ihr damit sagen wollte. Sie wusste, dass irgendetwas mit ihr vor sich ging, sie wusste nur noch nicht, was. Aber Liz konnte sich nicht mehr zurückhalten. Der Groll in ihrer Brust war so weit angeschwollen, dass sie ihrem Ärger Luft machen musste, da sie sonst das Gefühl hatte, sie würde daran ersticken. "Toll", spottete sie und rümpfte die Nase. "Für alle hängt der Himmel voller Geigen. Wie schön!" "Ach, halt doch die Klappe", keifte Kate nun ihrerseits - etwas, das Liz nicht vorausgesehen hatte -, und biss geräuschvoll in ihren Apfel. Für einen kurzen Augenblick vergaß Liz ihren Kummer und warf ihrer Schwester einen verwunderten Blick zu. Dann machte es Klick. "Ach ja", sagte sie trocken, als sie sich erinnerte. "Weiß er es noch immer nicht?" Kate warf ihr tödliche Blicke zu, während Liz ungerührt aggressiv in ihrem Kaffee herumrührte, den sie anzurühren eigentlich gar nicht mehr gedachte. "Wer weiß was nicht?", fragte Mrs. Winston interessiert, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich mit ihrer Kaffeetasse zu den Mädchen an den Tisch, um mit ihnen einen Kaffeeklatsch zu halten. "Niemand", sagten beide Mädchen wie aus einem Mund und wandten sich voneinander ab, um sich gegenseitig nicht zu verraten. Ihre Mum seufzte ergeben. "Genau das meine ich", beklagte sie sich, warf ein paar Zuckerwürfel in den Kaffee und rührte um. "Und welche Laus ist DIR eigentlich über die Leber gelaufen?", hakte Kate mürrisch nach und sah Liz auffordernd an. Was soll's, sagte Liz sich. Ist ja auch egal. Früher oder später würden es ja doch alle erfahren. "Johnny", antwortete sie mit einem Zähneknirschen. Sie benutzte absichtlich den "anderen" Namen, denn so war es einfacher, nicht an den John zu denken, der er in Wirklichkeit war. Mrs. Winston verzog unglücklich das Gesicht. "Ihr Freund", warf Bethany freudlos ein, aber Liz schnaubte nur und schüttelte den Kopf. "Ex-Freund, besser gesagt!" "Ex-Freund?", japste Mrs Winston erfreut - ihre Augen waren tellergroß und... voller Begeisterung. Liz rollte genervt die Augen. Das Verhalten ihrer Mutter ging ihr ziemlich gegen den Strich, auch, wenn sie es eigentlich im Vorfeld schon geahnt hatte. "Das war ja klar, dass du dich darüber freuen würdest, Mum." Sofort versuchte Bethany, sich zusammenzureißen und schnellstmöglich das erfreute Grinsen von ihrem Gesicht abzustreifen, jedoch ohne viel Erfolg. "Entschuldige, Liebes." Sie probierte, eine bekümmerte Miene aufzusetzen, was ihr aber auch nur teilweise gelang. "Was ist denn passiert?" "Ihr werdet es nicht glauben!", ereiferte sich Liz empört, da sie plötzlich die ganze Situation wieder vor Augen hatte und die Wut in ihr aufwallte über den Abend und wie er gelaufen war. Und was John zu ihr gesagt hatte! Bethany und Kate's Augen hingen praktisch an ihren Lippen und beide warteten, was Mr. Rockband-Johnny so Unglaubliches angestellt haben mochte, das selbst Liz verscheucht hatte - sie würden niemals darauf kommen! "Er hat..." Sie machte eine Kunstpause, um den Effekt auszuprobieren, bis Kate unruhig wurde und auf ihrem Sitz hin und her rutschte. "Er hat mich in so ein piekfeines Restaurant geführt und etwas von Heiraten, Betziehung und so weiter erzählt! Außerdem hat er mir nach - nur drei Monaten! - einen Anhänger geschenkt... schenken wollen. So, als wollte er mich ganz und gar für sich alleine." In der Küche herrschte Totenstille. Niemand wagte es, etwas zu sagen. Liz schwieg triumphierend und blickte Kate und ihre Mutter Bestätigung heischend an. Es sollte doch wohl jedem hier klar sein, dass drei Monate für so ein Gespräch viel zu wenig waren? Wenn es nach Liz ginge, war sogar ein Leben lang für so ein Gespräch nicht ausreichend. Aber John hatte es ja darauf anlegen müssen. Und das hatten sie beide nun mal davon. Sie passten einfach nicht zusammen - sie wollten verschiedene Dinge. Es ging nicht. Mrs. Winston machte als erste den Mund auf. "Ooh...", machte sie ratlos. Kate war in ihrer Wortwahl kreativer. "Oh nein, wie furchtbar", höhnte sie. "Jemand will sein restliches Leben mit dir verbringen, das muss wirklich schlimm sein. Arme Lizzie." Diese warf ihr einen vernichtenden Blick zu. Kate war wirklich unausstehlich, wenn sie mal wieder die Sarkasmustüte auspackte - was selten geschah, aber es geschah. "Schon seit Wochen war er so seltsam und hat merkwürdige Andeutungen gemacht, aber als er mich dann in dieses piekfeine Restaurant eingeladen hat..." Sie verzog das Gesicht, als sie sich daran erinnerte. "Und ich habe noch gehofft, er schlägt mir nur einen Dreier vor oder so... aber DAS war jawohl der Gipfel!" Natürlich übertrieb sie. Niemals hatte sie so etwas gedacht - geschweige denn gehofft. Aber es wäre etwas gewesen, mit dem sie hätte umgehen können, oder zumindest besser umgehen können als mit "Ich liebe dich" - oder wie auch immer John das formuliert hatte. Kate und ihre Mutter wurden beide tiefrot im Gesicht, was ihren Spruch fast schon wieder rechtfertigte. "Aber... Schätzchen...", stammelte Mrs. Winston, nicht wissend, was sie auf all das sagen sollte, und immer noch erschüttert. Wahrscheinlich würde jetzt eine Strafpredigt kommen, über den richtigen, angemessenen Sprachgebrauch. Sie kam ihrer Mutter, die bereits den Mund aufmachten, zuvor: "Och, Mum, halt mir bitte keinen Vortrag. Echt, ich hab schon genug zu leiden. Ich dachte, Johnny wäre cool und nicht so ein altmodischer Spießbraten. Hätte ich von Anfang an gewusst, dass er Einer dieser gutbürgerlichen Stockkonservativen ist, die noch an die "Institution Ehe" glauben - oh Gott!" Sie fasste sich an den Kopf und atmete tief durch. "Dabei habe ich ihm nie das Gefühl gegeben, bis zum Ende meines Lebens mit ihm zusammen sein zu wollen..." Sie schüttelte verstört den Kopf und blickte verwirrt von Beth zu Kate, als könnten die ihr sagen, was sie falsch gemacht hatte. Oder hatte sie ihm vielleicht doch das Gefühl gegeben? Sie wusste es nicht - sie wusste plötzlich gar nichts mehr. Sie konnte weder ihr eigenes, noch sein Verhalten einordnen. Sie war einfach nur... total durch den Wind! "Wow", platzte es beeindruckt aus Kate heraus, die Lizzie's Monolog fasziniert mitverfolgt hatte. "Das muss ja echt die große Liebe gewesen sein." Liebe. Das Wort schnitt in ihr Herz. Aber das konnte sie nicht auf sich sitzen lassen. Kate war schon immer so gewesen - ein bisschen konservativ, nach den alten Werten strebend. Dabei konnte sie nicht einmal ihr Problem mit Jake aus der Welt schaffen, obwohl es überhaupt kein Problem gab. "Ach, was weißt du schon, Schwesterherz", wies sie ihre Schwester in die Schranken. "Da draußen in der Welt gibt es mehr als nur Heirat und Kinder. Glaubst du, ich will den Rest meines Lebens als Hausfrau verbringen mit spuckenden und schmutzigen Gören, die mir am Rockzipfel hängen? Nein danke!" Liz hielt augenblicklich die Luft an, als sie das Gesicht ihrer Mutter bemerkte, die sie aus zusammengekniffenen Augen kalt ansah, und fügte sogleich viel freundlicher hinzu: "Nicht alle Kinder können so pflegeleicht sein wie wir es waren." Bethany hob skeptisch eine Augenbraue. "Glaub mir, Kind, du warst alles andere als pflegeleicht und hast mich und deinen Vater alle Nerven gekostet. Und nun muss ich mir so etwas von dir anhören?" Aber wütend war sie nicht, und Liz seufzte erleichtert auf. "Jedenfalls, ich hab ihm den Laufpass gegeben." Mrs. Winston massierte sich mit einem unglücklichen Gesichtsausdruck die Schläfen. "Kind", murmelte sie erschöpft, "jetzt bist du erwachsen und kostest mich noch immer alle Nerven..." Kate stützte einen Ellenbogen auf dem Tisch ab. "Und was machst du jetzt?", wollte sie wissen. Liz zuckte gleichgültig mit den Schultern. "Erst einmal hier bleiben." Beth verschluckte sich fast an ihrem Kaffee und starrte ihre Zweitälteste entsetzt an, während diese ungerührt einen Schluck aus ihrer Tasse nahm. "Hier... bleiben...?", wiederholte Beth unbehaglich, in der Hoffnung, sich verhört zu haben. Doch Liz nickte nur. "Und was ist mit deiner Arbeit?" "Ich hab heute morgen gekündigt. Bis die Kündigung in Kraft tritt, hab ich mir Urlaub genommen." Liz grinste schief. Kate und Bethany blieb bei dieser Ansage der Mund offen stehen. Liz zuckte teilnahmslos mit den Schultern. "Ich hab ihn eh gehasst", erinnerte sie sich an Danny's Worte. Er hatte ja recht. Aber hatte sie nicht ein wenig zu vorschnell gehandelt? "Dein Freund macht dir einen Antrag und du verlässt ihn und deinen gutbezahlten, sicheren Job willst du auch aufgeben? Was hast du eigentlich für ein Problem? Ergibt das in deinem Kopf vielleicht einen Sinn, der uns Normalsterblichen verborgen bleibt?", redete Kate ihrer älteren Schwester weiter ins Gewissen, die sich davon allerdings kein bisschen beeindruckt zeigte. "Erspar mir die Moralpredigt, Kate, bitte." Hatte sie sich nicht selbst schon genug dieser Moralpredigten gehalten? Nun mischte sich auch Beth ein, die zuvor stumm und bleich am Tisch gesessen und sich kreideweiß im Gesicht an ihre Tasse geklammert hatte. "Aber sie hat recht! Was machst du nur mit deinem Leben, Kind?" "Mum", stöhnte Lizzie genervt. "Ich bin 23 und hab noch viel vor. Denkst du, ich will auf ewig bei diesem Klatschblättchen arbeiten? Nein, danke." Naserümpfend warf sie einen Blick aus dem Fenster, wo gerade ein silberner Rover in die Auffahrt biegen wollte, in der bereits Lizzie's Spider Fastback stand. Es war ihr Vater, der da gerade nach Hause kam, und das war eine willkommene Abwechslung. Sobald Mr. Winston im Haus war, würden wieder andere Dinge wichtig sein und sie musste vor diesen beiden Spießbürgern nicht mehr Rede und Antwort stehen. Außerdem sehnte sie sich danach, wieder in ihr Zimmer zu huschen und zu schlafen. Sie war unglaublich müde - was kein Wunder war, denn die Nacht war sie nicht zum schlafen gekommen. Ihr Dad hupte kurz ungeduldig und Liz erhob sich. "Ich geh mal den Weg freimachen", murmelte sie. "Und ich dachte, sobald sie erst mal aus dem Haus sind, kommen sie nicht mehr wieder", hörte sie ihre Mutter im Hinausgehen noch sagen. "Na was soll's, Platz genug ist ja da und ich koche sowieso immer viel zu viel." Kapitel 16: - John - -------------------- "John, John, John." Faye schüttelte fassungslos den Kopf und baute sich vor ihm auf, die Hände in die Hüften gestemmt. "Hast du denn überhaupt keine Ahnung von Frauen?" Er seufzte und schaute zu ihr auf. "Anscheinend nicht." "Deswegen", mischte sich Phil ein, der auf dem Sofa herumlungerte und seine Bierflasche schwenkte, "war er mir auch nie eine Hilfe, als ich Probleme mit Mädchen hatte." Faye wandte sich langsam zu Phil um und starrte ihn mit eiskaltem Blick an. "Welche Mädchen?", fragte sie betont langsam, ihre Augen zu gefährlichen Schlitzen verengt. "Das würde ich auch gerne wissen", murmelte John, nur, um seinem Bruder eins auszuwischen. Phil hatte nie andere Mädchen als Faye gehabt. Sie und er, sie waren von Anfang an ein Herz und eine Seele gewesen. Er bewunderte die zwei dafür. Es war, als seien sie füreinander bestimmt. Und nach all den Jahren waren sie noch immer nicht gelangweilt voneinander. So etwas wollte er auch... aber das war wohl nun Vergangenheit. Phil setzte sein charmantesten Lächeln auf und schickte es in Richtung Faye, an der es abprallte wie ein Gummiball an einer Betonwand. Sie zog nur unbeeindruckt eine Augenbraue hoch. Er räusperte sich und beschränkte sich darauf, jetzt besser nichts zu sagen. Worauf Faye abgezielt hatte. Sie drehte sich wieder zu John um. "Also noch einmal von vorne." Von seinem genervten Aufstöhnen ließ sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Es war nun schon das dritte Mal, dass sie das Geschehen mit ihm durchkauen wollte - er war langsam genervt. "Du hast sie mit diesem Anhänger vertrieben?" "Ich fürchte", meldete sich Phil hilfreich zu Wort, "es war eher mit dem, was er gesagt hat. Ewige Liebe und so." Faye wirbelte zu ihm herum. "Das hat er doch gar nicht gesagt!" Sie schnappte sich ein Kissen, das auf dem Sessel lag, und schmiss es nach ihrem Freund. "Du kannst nie richtig zuhören, Phillip!" "Komm mir nicht mit Phillip", meckerte Phil empört. "Ich hör wohl zu. Er hat es gesagt und sie hat es falsch verstanden. Oder so. Und dann ist sie abgehauen, weil sie dachte, er wollte direkt daran gehen, mit ihr zehn Kinder zu zeugen. Oder so." "’Oder so’", äffte Faye ihn gehässig nach. "Hör dich mal selbst reden. Keine Ahnung hast du!" John hob beschwichtigend die Hände. "Leute, beruhigt euch wieder. Es ist doch egal, wer was gesagt hat.... Liz will nicht mit mir reden und will mich nicht sehen... sie hat anscheinend all ihre Telefone ausgestöpselt und ihr Handy ist auch aus.“ "Du könntest ihr einen Brief schreiben", schlug Faye pragmatisch vor. "Wie früher." Phil schnaubte leise. "Genau, als wir noch im Mittelalter lebten. Du könntest auch einfach bei ihr vorbeigehen und sturmklingeln. Irgendwann muss sie ja zu Hause sein, oder?" John wollte gerade den Mund aufmachen und sagen, dass er diese Idee auch schon gehabt hatte, aber Faye kam ihm zuvor. "Er ist doch kein Stalker", rief sie empört und sah John streng an. "Komm bloß nicht auf solche Ideen, John. Danach siehst du sie nämlich nie wieder. Nichts ist abstoßender und furchteinflößender, als ein Mann, der nachts vor deinem Haus herumschleicht. Brrr..." Sie schüttelte sich. John und Phil starrten sie schweigend an. Als die Erkenntnis langsam in sein Bewusstsein sickerte, sprang Phil empört auf. "Wer hat sich nachts vor deinem Haus herumgetrieben?", verlange er erbost zu wissen. "Wann?" Faye winkte verlegen ab. Sie wirkte, als hätte sie zu viel gesagt. "Niemand. Das war... nur ein Beispiel." Phil schien nicht besonders überzeugt, aber er setzte sich wieder hin - jedoch jederzeit absprungbereit -, und betrachtete Faye misstrauisch. Faye setzte sich neben John und wirkte genauso ratlos wie er. "Vielleicht kriegt sie sich wieder ein?", fragte sie, mehr zu sich selbst. "Oder auch nicht", warf Phil ein. Als er zwei genervte Blicke erntete, hob er abwehrend die Hände. "Ich sag nur, wie es sein könnte. Könnte sein, könnte nicht." Er schaute auf den Tisch, wo der kleine, orange Löwe lag und griff danach. Eine Weile drehte er den Gegenstand in seinen Fingern hin und her und betrachtete ihn. "Löwen sind Rudeltiere", murmelte er dann gedankenverloren. "Sie mögen es nicht gerne, alleine zu sein." Faye runzelte die Stirn, und John erinnerte sich an die Frau im Juwelierladen, die ihm etwas über Horoskope erzählt hatte. Er hatte keine Ahnung, ob Phil auf echte Löwen anspielte oder ebenfalls an diesen Astrologie-Quatsch glaubte. Er seufzte verzweifelt. Er vermisste Liz so. Seit sie so überstürzt aus dem Restaurant geflüchtet war, hatte er sie weder gesehen, noch gehört. Wahrscheinlich brauchte sie nur ein bisschen Freiraum... aber was, wenn sie ihn nie wieder sehen wollte? Diese Frau machte ihn einfach fertig. Er wusste überhaupt nicht, was er so schlimmes gesagt oder getan hatte, aber ihm war wohl bewusst, dass sie sich anscheinend in die Ecke gedrängt fühlte. Und dann hatte er sich nicht mehr zurückhalten können und sie noch weiter zurückgedrängt. Kein Wunder, dass sie Reißaus genommen hatte. Aber sie hätte auch einfach mit ihm reden können. Wahrscheinlich, sinnierte er, war sie jetzt bei ihrer Familie. Sie war oft dort und erzählte immer sehr liebevoll über ihre Eltern und Geschwister. Er verstand nicht, wie jemand, der so behütet aufgewachsen war – dem Scheidung, Kindesmisshandlung oder andere familiäre Probleme gänzlich unbekannt waren -, sich so gegen die Familie sträuben konnte? Zu ihrer eigenen Familie hatte sie doch auch einen guten Kontakt, warum also wollte sie selbst so etwas nicht? Warum wollte sie etwas nicht, das für sie so schön gewesen war? John verstand es einfach nicht. Frauen! "Übrigens", sagte Faye leise, als sie alle drei einen Weile geschwiegen haben. Sie wechselte einen kurzen, bedeutungsvollen Blick mit Phil. "Mum hat uns am Wochenende eingeladen." John wusste sofort, wen Faye mit Mum meinte. Seine eigene Mutter, die Faye schon lange ebenfalls so nannte. Er blickte auf. "Sie möchte uns ihren neuen, äh, Freund vorstellen. Er heißt übrigens Willian Goodwin." William Goodwin also. Das fehlte John noch. Dafür hatte er nun wirklich keinen Kopf. "Ich glaube", fügte Faye an, als sie merkte, dass John wenig begeistert war und nicht darauf abzielte, ihr eine Antwort zu geben, "es ist ihr wichtig, dass wir - oder besser gesagt ihr zwei -, ihn kennerlernt. Er ist bestimmt ein netter Kerl. John", stöhnte sie dann. "Sei nicht so dickköpfig. Du kommst doch mit?" Wenn es seiner Mutter so wichtig war, dann konnte er nicht umhin. Er erinnerte sich noch immer daran, wie sie ihn weggeschickt hatte und grollte ihr deswegen ein bisschen. Aber damals hatte Liz ihn das schnell vergessen lassen. Jetzt war Liz nicht hier und irgendwie schien seine Welt sich immens verdüstert zu haben. Er hasste es. "Ja, klar", sagte er lustlos zu. "Ich komme mit." Er hatte ja eh nichts zu tun. Faye klatschte begeistert - einen Tick ZU begeistert - in die Hände. "Super. Ich werde ihr gleich morgen früh Bescheid sagen. Und Jungs." Sie schaute beide streng an. "Seid nett zu ihm. Verstanden?" Beide nickten brav. "Vielleicht weiß Mum einen Rat wegen deiner Freundin, John", ermunterte sie ihn. "Sie kann uns bestimmt helfen." Klar, dachte John, halb belustigt, halb genervt. Er würde auch mit seiner Mutter sein Liebesleben auseinander nehmen. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Er spürte eine Hand auf seiner Schulter, die ihn tätschelte. "Ach John", seufzte Faye. "Das kann ich nicht mit ansehen. Du siehst aus wie..." "Ein Haufen Elend", vollendete Phil den Satz wie aus der Pistole geschossen. "Ein richtig, richtig großer Haufen... Elend." "Danke", brummte John pikiert. "Mach dir nichts draus." Faye stand auf, ging zu Phil hinüber und nahm ihm den Anhänger aus der Hand. Dann gab sie ihm John. Der Löwe fühlte sich warm an und er glitzerte immer noch im Licht der Lampe, als wäre nie etwas geschehen. John ließ ihn in seiner Hemdtasche verschwinden. In der linken, näher am Herzen dran. Kapitel 17: - Liz - ------------------- Liz war wieder in London. Dieser Tage war es schwierig für sie, morgens aus dem Bett zu kommen. Es war schwierig, einkaufen zu gehen, oder nur shoppen, es war schwierig, ihre Hose anzuziehen und etwas Anderes zu machen, als im Schlafanzug vor dem Fernseher zu sitzen und Löcher in die Luft zu starren. Sie bestellte sich Pizza beim Lieferservice und hatte sich das eine Mal, das sie tatsächlich aus dem Haus gegangen war, mit Fertiggerichten und Schokolade eingedeckt. Die totale Depression, ging ihr durch den Kopf. Sie hoffte, dass dieser Zustand irgendwann auch mal zu Ende sein würde, aber so lange, wie es dauerte, würde sie sich einigeln und einfach... nichts tun. Das Telefon hatte sie schon längst ausgestöpselt und ihr Handy machte sie nur im Notfall an. Aber immer, wenn sie es tat, fand sie viele, viele Anrufe von John vor. Ihre Mailbox hörte sie gar nicht erst ab. Sie wollte ihn weder hören, noch sehen, obwohl sie nichts mehr wollte, als ihn zu sehen und zu hören. Es war wie verhext. Judy hatte Recht gehabt. Es machte einem wirklich Angst. Und je mehr Angst es ihr machte, desto stärker wuchsen ihre widersprüchlichen Gefühle ihm gegenüber. Wie konnte man jemanden so sehr vermissen und ihn gleichzeitig so sehr verteufeln? Es würde vieles einfacher machen, würde sie ihn einfach kontaktieren, aber dann wiederum... wo war ihr Stolz? Sie würde sich nicht seinen Wünschen unterwerfen, nur, weil er es eben so wollte. Aber der Grund, warum sie ihn nicht sehen wollte, war eigentlich ein ganz anderer... denn sie wusste, sobald sie ihn sah, würde sie wieder schwach werden. Und das wollte sie nicht. Sie wusste es einfach, so, wie sie wusste, dass Mrs. Witch eine verbitterte alte Hexe war und der Mond nachts am Himmel stand. Und diesen - ihren eigenen - Fall wollte sie nicht miterleben. Bei jedem anderen war sie hart geblieben, hatte kaum Mitleid verspürt, aber bei John... sie bräuchte nur einmal seine Stimme zu hören... Deshalb ging sie auch nicht ans Telefon. Und aus dem Haus - falls er vor der Tür auf sie lauern sollte. Die Angst, sich selbst untreu zu werden, lähmte sie. Und die Angst, ihm schließlich doch zu geben, was er von ihr wollte, noch viel mehr. Es war, als konnte sie nicht mehr richtig atmen, nicht mehr richtig denken. Ihre Funktionen waren nur noch auf das Wichtigste beschränkt - als ob sie stehen gebelieben war und die Erde sich ohne sie weiter drehte. Sie verpasste alles, das ganze Leben, das an ihr vorbeiflog, aber sie konnte sich nicht weiterbewegen. Oh ja. Und wie Judy Recht gehabt hatte! Als es plötzlich an ihrer Haustür klingelte, fuhr Liz erschrocken auf. Sie hatte auf dem Sofa gesessen und auf den Bildschirm gestarrt, auf dem stumm die Bilder flimmerten. Seit Tagen hatte niemand mehr bei ihr geklingelt, und sie fragte sich, wer das wohl war. Womöglich John? Aber wieso sollte er erst jetzt kommen? "Mach endlich auf!", schrie jemand von unten hoch. Sie hörte es durch das gekippte Fenster und es war eindeutig eine Frauenstimme. Es war Mel! Liz stand auf, warf einen kurzen Blick aus dem Fenster und entdeckte dort unten tatsächlich ihre Freundin, die besorgt zu ihr hinauf schaute. Wieder verspürte sie widersprüchliche Gefühle - eigentlich wollte sie alleine sein, aber andererseits würde Mel sie vielleicht aufheitern können? Sie öffnete die Tür und innerhalb kurzer Zeit betrat Mel die Wohnung. Kritisch ließ sie ihren Blick an Liz hoch und runter wandern und schüttelte dann empört den Kopf. "Herrgott. Wie siehst du denn aus? Jetzt reicht es aber mit dem Trübsal blasen." Sie ging an Liz vorbei, die die Tür hinter ihrer Freundin schloss, und marschierte schnurstracks in die Küche, wo sie das Durcheinander, das Liz veranstaltet hatte, gekonnt ignorierte. Ein paar Pizzaschachteln schob sie energisch zur Seite und stellte eine große Papiertüte auf dem Tisch ab. Liz kam neugierig näher. "Was hast du da?" "Ein erste Hilfe-Paket, Lizzie", belehrte Mel sie und griff in die Tüte. Sie holte als erstes eine Packung Tomaten heraus, und darauf folgten noch Champignons, Paprika, Hühnchen und Nudeln. "Als erstes musst du etwas Gesundes zu essen bekommen. Ich dachte mir schon, dass du hier versinkst..." Sie sah sich streng um und rümpft angewidert die Nase. "Weiß du eigentlich, was ich mir für Sorgen gemacht habe? Das Telefon ist aus, das Handy auch. Ich hab sogar schon ROB kontaktiert, um ihn zu fragen, wo du steckst, bis er mir dann sagte, du hättest deinen Job hingeschmissen!" Sie musterte Liz ernst. "Bist du eigentlich wahnsinnig geworden? Ich weiß ja, dass die alte Hexe eine... Hexe ist, aber wegen John gleich alles hinzuschmeißen? So kenn ich dich ja gar nicht." Liz schwieg und wich Mel's Blick aus. "Obwohl es wirklich überfällig war, dass du da rauskommst", gab diese dann selbst zu und seufzte. "Nur dachte ich, du solltest dir vorher vielleicht etwas Anderes suchen. Hast du etwas von John gehört?" "Nein", erwiderte Liz einsilbig. Mel nickte wissend. "Wie auch, wenn du dich so abschottest? Na ja." Sie klopfte Liz aufmunternd auf die Schulter. "Das wird schon, du wirst sehen." Da war sich Liz allerdings nicht so sicher. "Also. Weiter im Text." Ein weiterer Griff in die Tasche und sie holte Tee und Schokoladenkuchen heraus. "Selbst gebacken. Und dann noch..." Als nächstes folgte eine DVD. "Eine Actionkomödie ohne jegliches Romantikpotenzial." Sie schwenkte den Film stolz vor Liz's Nase herum und legte ihn dann weg. "Und zum Schluss..." Sie holte ein kleines, rechteckiges Päckchen hervor. "Ein Entspannungs-Badezusatz. Ich hab auch an Schlaftabletten gedacht, aber hab mich dann dagegen entschieden. Sonst..." Mel sprach ihren Satz nicht zu Ende, aber Liz wusste auch so, was sie hatte sagen wollen. Sie rollte genervt mit den Augen. "So weit ist es noch nicht mit mir gekommen", erwiderte sie trocken, aber Mel zuckte nur mit den Schultern. "Es ist SO weit" - sie machte eine vage Handbewegung und beschrieb die Küche - "mit dir gekommen. Und das war früher nie so. Das ist schlimm genug." Liz betrachtete nun ihrerseits den Schweinestall. Irgendwie war ihr das vorher nicht aufgefallen,. aber sie musste zugeben, dass Mel Recht hatte, auch wenn sich das meiste, was hier herumlag, in aller Schnelle dadurch beseitigen ließ, dass man es in Mülltüten packte. "Wenn du dich schon verkriechst, dann solltest du dabei wenigstens nicht alleine sein", entschied Mel. "Wir können nachher auch einen kleinen Spaziergang machen. Das Wetter ist mild und gnädig zurzeit - ich fürchte, du hast den Frühlingsanfang verpennt." Liz verzog unwillig das Gesicht. "Doch", widersprach Mel dem stummen Protest. "Du brauchst dringend ein bisschen Frischluft. Geh wasch dir die Haare, nimm ein schönes Bad, lies ein Buch, und ich bereite solange das Essen zu." Auf Liz's zweifelnden Blick hin scheuchte sie sie energisch aus der Küche heraus. "Los, los, geh schon. Keine Widerrede." Liz fühlte sich geduscht tatsächlich schon besser. So, als hätte das kleine Bad neues Leben in sie hineingehaucht. Nicht viel, aber immerhin etwas. Es war gut, dass Mel vorbeigekommen war, entschied sie. Wie lange hätte sie wohl noch so vor sich hinvegetiert? Ein kleiner Arschtritt war niemals zu verachten. In frischer Kleidung und mit noch feuchten, gekämmten Haaren trat sie in ihre Küche und schnupperte. "Das riecht gut. Was wird das?" "Hähnchen-Gemüsepfanne mit Erdnusssoße." Mel zwinkerte. "Eigens kreiertes Rezept." Mel war bekannt für ihre Kochkünste. Sie hielt sich nie an Rezepte, sondern experimentierte immer herum und meistens kam dabei etwas Atemberaubendes heraus. Liz bewunderte sie dafür. Ein Bissen von ihrem Hähnchen und sie würde sich wahrscheinlich im Himmel wiederfinden. Sie lächelte. Etwas, das sie schon lange nicht mehr gemacht hatte, und fühlte, wie die Muskeln, die schon so lange nicht mehr benutzt worden waren, sich spannten. Mel sah zufrieden aus. "Schon besser, Lizzie. Setzt dich hin, ich hab den Tisch schon gedeckt. So. Und dann erzähl mal." Sie hatte Mel nicht mehr gesprochen, seit diese bei ihr in der Redaktion aufgetaucht war. An dem Tag, nachdem sie gekündigt hatte, hatte sie Mel eine kurze Nachricht zukommen lassen, die beinhaltet hatte, dass mit John Schluss war und sie, Liz, sich eine kurze Auszeit in Collingham nehmen würde. Mel hatte sie daraufhin in Ruhe gelassen, aber sie hatte auch nicht anders gekonnt, denn Liz hatte ja sämtliche Leitungen gekappt, über die man sie erreichen konnte. "Es war eigentlich nichts...", winkte Liz leise ab und grinste schief. Mel zeigte sich vollkommen unbeeindruckt, während sie einen Teller nahm und ihn mit Nudeln und Hähnchen belud. "Das sieht mir aber nicht nach nichts aus. Hat er dich abserviert, oder du ihn?" Liz brummelte irgendetwas Unverständliches. "Also du ihn. Dacht ich's mir." Sie stellte den Teller vor Liz hin und ihr Gesichtsausdruck wurde ganz weich. "Es tut mir leid, was ich da gesagt habe. Über ihn und dich. Ich hab's nicht so gemeint und war nur irgendwie.. wahrscheinlich hab ich mich ein wenig ausgeschlossen gefühlt. Ich wollte nie, dass es so weit kommt..." Liz hob den Kopf und sah sie an, dann lächelte sie schwach. "Schon okay. Du hattest ja Recht. Wir passen wirklich nicht zusammen. Ich wusste es von Anfang an, aber irgendwie hab ich gehofft... John möchte all das, was ich niemals wollte. Und mit weniger gibt er sich bestimmt nicht zufrieden. Und weißt du..." Sie brach ab, schluckte und versuchte, sich zu beruhigen, weil sie wieder traurig wurde. "Er hat es ja auch verdient. Deshalb ist es nicht gut, wenn wir weiterhin zusammen sind." Mel schüttelte verständnislos den Kopf. "Ich verstehe das nicht. Was will er denn? Und was willst du nicht? Du hast ihn doch gern. Was kann man mehr wollen?" "Auf Dauer meine ich. Du weißt schon. So ein spießbürgerliches Leben, das ich nie wollte." "Hm." Mel sah sie prüfend an, während sie sich mit ihrem eigenen Teller ihr gegenüber setzte. "Meiner Meinung nach lebt man immer so, wie man will. Glaubst du denn, dass du direkt spießig und konservativ wirst und eine verbitterte, gelangweilte Hausfrau, die den London Talk liest, sobald du nur eine ernsthafte Beziehung mit einem Mann eingehst?" Verdammt. Mel hatte immer so eine Art, die Dinge auf den Punkt zu bringen, dass es Liz manchmal ziemlich nervte. "Passiert das nicht automatisch?", rechtfertigte sie sich pikiert. "Trifft man jemanden, der so ist, lässt man sich ganz schnell beeinflussen." Mel sah nicht sehr überzeugt aus. "Hattest du denn das Gefühl, dass John so was anstrebt?" Da hatte sie sie wieder. Liz hatte keine Ahnung. "Ich weiß es nicht." Sie probierte etwas von dem Hähnchen und war entzückt. Die Erdnusssoße passte wunderbar dazu. Liz liebte Erdnusssoße, vor allem die in Chinatown... was sie wieder an John erinnerte. Sie würde da nie wieder hingehen können, ohne an ihn zu denken. Also würde sie nie wieder dort hingehen. Warum hatte sie ihn nur an diesen geheiligten Ort mitgenommen? Noch nie war sie mit einem Mann dort gewesen, aber ausgerechnet John hatte sie mitgenommen. Als wäre er... etwas Besonderes gewesen. Und wahrscheinlich war er das auch. Sonst würde sie sich jetzt wohl nicht so fühlen, wie sie sich fühlte. Und zwar furchtbar. "Weißt du", sagte Mel, kaute und schluckte, "was ICH denke?" "Nein?", hakte Liz misstrauisch nach. "Ich denke... du hast einfach Schiss bekommen." Auf Liz's empörten Blick sprach Mel schnell weiter. "Und zwar, weil du gemerkt hast, dass du eigentlich genau das gleiche willst - also ihn und niemanden sonst. Und weil du das nicht kennst und weil es dir gegen den Strich geht, so abhängig zu sein, hast du ganz schnell - und viel zu voreilig, wenn du mich fragst -, einen Schlussstrich gezogen, solange du noch konntest." Liz warf Mel einen zweifelnden Blick zu. "Echt. Und weil er überhaupt nicht in dein Beuteschema passt, ist es dir auch peinlich, dass du auf ihn stehst." Liz protestierte, wobei sie sich fast an einem Champignon verschluckte. "Das ist überhaupt nicht wahr!" Mel hob eine Augenbraue. "Hast du ihn deinen Eltern vorgestellt?" Liz schwieg. "Oder ihnen von ihm erzählt?" "Ich habe Judy von ihm erzählt", verteidigte Liz sich. Aber Mel lachte sie nur aus. "Judy zählt nicht. Ihr erzählst du alles. Wer zählt sind die, die ein bestimmtes Bild von dir haben sollen. Und John passt nicht in das Bild rein. Dabei sieht doch jeder Blinde, dass ihr zwei total verrückt nacheinander seid..." "Waren. Vergangenheit." "Seid. Gegenwart", widersprach Mel belustigt. "Sei doch nicht so dickköpfig, Elizabeth Winston. Ein Typ, der dich dazu bringt, deinen Job hinzuschmeißen und dich tagelang im Schlafanzug auf dem Sofa zu verkriechen ist mir jetzt schon sympathisch. So einer ist es bestimmt wert." Liz verzog angewidert das Gesicht. "Ich hasse es." "Natürlich tust du das. Du wärst blöd, wenn es anders wäre. Aber darum geht es nicht. Wie viele Nachrichten hat er dir hinterlassen?", hakte sie neugierig nach und fügte dann hinzu: "Iss dein Gemüse, sonst wird es kalt." Liz leistete der Aufforderung Folge und seufzte. "Ich hab sie nicht abgehört. Und ich hab es auch nicht vor. Ein Typ, der mich dazu bringt, meinen Job hinzuschmeißen und mich tagelang im Schlafanzug auf dem Sofa zu verkriechen muss schleunigst verschwinden. So kann es nicht weitergehen." Mel hoch skeptisch eine Augenbraue, entschied sich aber, gar nichts dazu zu sagen. Sie kam sich wohl sehr klug vor, dachte Liz verdrießlich, mit ihren schlagfertigen Argumenten. Und obwohl in dem ein oder anderen Gesagten ein Körnchen Wahrheit steckte, würde Liz es bestimmt nicht zugeben. Dafür war sie einfach viel zu sehr von ihrer Sichtweise überzeugt. John hatte zu vorschnell agiert und das hatte er davon. Er hatte gewusst, was sie davon hielt, und hatte trotzdem seinen Willen durchsetzen wollen. Was er bekommen hatte, war nur allzu vorhersehbar gewesen. Nur dass sie darunter litt - das war nicht fair. Aber es war nun mal ein Nebeneffekt, den sie so hinnehmen musste. Wenn es doch nur ein bisschen weniger wehtun würde... "Du hast bloß Panik", mümmelte Mel mit vollem Mund, "weil du zum ersten Mal richtig verknallt bist. So mit Haut und Haar. Und zwar in einen anständigen Typen, den deine Eltern für dich auswählen würden, wenn du sie ließest. Und du weißt nicht, wie du damit umgehen sollst, weil du deine Autonomie nicht verlieren willst. Lass dir sagen..." Sie wedelte lehrerhaft mit dem Zeigefinger in der Luft herum, "verliebt zu sein ist beschissen. Aber es ist der Lauf der Dinge." Liz schnaubte verächtlich. "Vielen Dank für diesen kleinen Exkurs. Kann ich jetzt wieder von deiner Psychocouch aufstehen, Doc?" Mel grinste und legte ihre Gabel beiseite. "Das macht 260 Pfund pro Stunde, aber du kannst sie in Raten abbezahlen", scherzte sie. "So gefällst du mir schon besser. Jetzt bist du mehr... du. Übrigens, warst du schon beim Friseur?" Liz betrachtete ihre Haarspitzen, die über ihrer Schulter lagen und runzelte die Stirn. "Warum sollte ich? Stimmt etwas nicht mit meinen Haaren?" "Macht man das nicht so, wenn man sich gerade getrennt hat?", wollte Mel wissen. "Ich nicht. Ich war vor drei Wochen beim Friseur und John hat gesagt..." Sie stockte. "Egal." Mel wurde hellhörig und lehnte sich ein wenig über den Tisch zu Liz herüber. "Was hat John gesagt?" "Nichts", wiederholte Liz gepresst. Unfassbar, dass John ständig in ihrem Kopf herumspukte. John hat gesagt dieses, John denkt jenes... 'Die neue Frisur ist schön, aber längere Haare stehen dir auch ganz gut' - das hatte John gesagt. Es war seine Art zu sagen, dass er ihre Haare vor dem Friseurbesuch schöner gefunden hatte, aber natürlich war er zu diplomatisch gewesen, um es SO auszudrücken. Liz hätte ihn für seine Vorsicht abknutschen können - was sie auch getan hatte -, aber nun machte sie die Erinnerung daran nur traurig. Wie konnte ein Mann so einfühlsam sein, aber dann so ins Fettnäpfchen treten? Mensch. Das konnte doch nicht wahr sein! "Ich wette", unterbrach Mel ihre Gedanken, "wenn er niemals etwas von Heiraten und Blabla sagen würde, würdest du ewig mit ihm zusammensein." "Hä?" "Na ja. Sagen wir, drei Jahre vergehen, er verliert kein Wort darüber. Du bist glücklich und fühlst dich nicht bedroht. Nach zehn Jahren dasselbe. Nach elf Jahren sagt er 'Hochzeit' - und innerhalb weniger Sekunden hast du deine Sachen gepackt und bist raus aus der ganzen Sache. Obwohl es hinterher eigentlich auch nicht anders ist als vorher." Liz pustete missmutig die Luft aus ihren Backen, sodass ihr schiefer Pony hochflog. "Können wir jetzt das Thema wechseln?", wollte sie genervt wissen. Aber Mel's Worte hinterließen einen fahlen Nachgeschmack - und ein bisschen hatten sie sie auch verletzt, obwohl sie nicht genau sagen konnte, warum. Noch bevor sie dem nachgehen konnte, klingelte das Telefon. Erschrocken schaute Liz auf. "Ich hab es wieder eingestöpselt, als du baden warst", erklärte Mel vergnügt. "Schau mal nach, der dran ist." Langsam erhob sich Liz und wanderte zum Telefon. Als sie den Hörer in die Hand nahm, erblickte sie auf dem Display Kate's Nummer und ihren Namen. Gott sei Dank. "Hallo?" "Liz?", kam es unsicher aus dem Telefonhörer. "Ja? Was gibt's?" Ihre Schwester schwieg eine Weile, dann platzte es aus ihr heraus: "Kann ich dich besuchen kommen?" Überrascht, aber erfreut ließ sich Liz diese Möglichkeit durch den Kopf gehen. Kate hatte sie noch nie besucht und es würde bestimmt lustig werden. Außerdem wäre es eine gelungene Abwechslung. Und nun, da sie sowieso nichts zu tun hatte, kam ihr das ganz gelegen. "Klar. Wann willst du kommen?" "Am Wochenende?", schlug Kate vor. "Sonntag? Wenn du da Zeit hast, meine ich." Liz nickte begeistert, aber das konnte ja nicht sehen. "Okay. Sonntag ist gut. Meld dich noch, wann du genau ankommst." Sie verabschiedete sich von ihrer Schwester und kam schon viel besser gelaunt in die Küche, wo Mel ihren Teller schon leergegessen hatte. "Kate kommt mich besuchen", verkündete sie stolz und Mel lächelte. "Schön. Vielleicht kann sie dich ja zur Vernunft bringen." "Fehlanzeige." Mel lachte leise und schüttelte weise den Kopf, als wüsste sie es besser. "Wir werden sehen, Elizabeth Dickkopf Winston." Kapitel 18: - John - -------------------- William Goodwin war ein netter, älterer Herr. John konnte sehen, dass er seine Mutter mit ausgesuchter Höflichkeit behandelte, ihr sehr zugetan war und sie immerzu anstarren musste. Und seine Mutter - so strahlend hatte er sie noch nie gesehen. Ihre Wangen waren gerötet und ihre Augen glänzten. Es kam ihm vor, als sei die Frau, die ihm gegenübersaß und in unregelmäßigen Abständen lachte oder verlegen lächelte eine jüngere Version ihrer Selbst. So, dachte John sich, musste sie vorher gewesen sein. Als sie seinen Vater kennen gelernt hatte. Als sie noch glücklich gewesen waren. Und er verspürte einen kleinen Stich, denn seine Mutter war so glücklich, und er konnte sich nicht einmal für sie freuen, denn all die Fröhlichkeit und die Liebe, die im Raum mitschwangen, erinnerten ihn nur an Liz... sie hätte hier dabei sein sollen und sie hätte bestimmt ihren Spaß gehabt. Liz hatte so eine Art, die Menschen für sich einzunehmen. Es erinnerte ihn an Sonne und Hagel und bunte Lichter. Alles zusammen. Sie war wie ein Wirbelwind, immer zur Stelle mit einem schlagfertigen Kommentar oder einer witzigen Bemerkung. Immer in Bewegung. Jetzt schien die Zeit jedoch stillzustehen. Still und stumm. SO fühlte sich John. Irgendwie gefühllos, leer. Er starrte in sein Glas, das mit Orangensaft gefüllt war, während die Unterhaltung an ihm vorbeiplätscherte, ohne, dass er davon etwas mitbekam. "Will ist ein toller Koch", schwärmte seine Mutter gerade Phil und Faye vor und deutete auf ihren Teller. "Er hat mal eine Zeitlang als Koch in einer Gaststätte gearbeitet. Wenn er kocht, dann will man gar nicht mehr ausgehen zum Essen." "Mhm, das schmeckt wirklich gut, Mr. Goodwin", bestätigte Faye kauend und stieß Phil unter dem Tisch mit dem Ellbogen an. Dieser nickte sofort. "Ja... diese... Erbsen. Ein Genuss." Faye verdrehte die Augen und ihre Mutter lachte. William grinste. "Nennt mich doch Will. Und ja, Phil, du hast schon richtig erkannt: Die Erbsen sind das Highlight des Tages." Als Phil ihn verdattert anschaute, lachte er laut und dröhnend. "Ich sehe nach, was der Nachtisch macht." Als Will aus dem Esszimmer verschwunden war, änderte sich schlagartig das Gesicht seiner Mutter. Sie schaute John empört an. "Du könntest ruhig etwas netter zu Will sein, John", schalt sie ihn. "Er hat sich so viel Mühe gegeben mit dem Essen und allem. Er wollte euch so gerne beeindrucken. Und du schweigst ihn nur an!" John blinzelte verwirrt. "So hab ich dich nicht erzogen, John", wisperte sie ihm weiter erbost zu, "ich dachte es wäre an der Zeit, euch bekannt zu machen. Aber anscheinend hab ich mich da geirrt." "Mum..." "Darum geht es doch gar nicht", mischte sich nun auch Faye erstaunt ein und schnitt somit dem perplexen John das Wort ab. "John's Freundin hat ihn sitzen lassen. Deshalb ist er jetzt so mies drauf. Sei nicht böse auf ihn." Mit großen Augen schaute sie Mrs. Davies flehend an. Niemand konnte diesem Blick widerstehen und das wusste Faye. John’s Mutter wurde sofort versöhnlicher und blickte ihn besorgt an. "Das wusste ich ja gar nicht, Schatz. Warum hast du mir nichts gesagt?" "Das gehört echt nicht hierher." John warf seiner Mutter und dann Faye einen unzufriedenen Blick zu. "Ich sagte doch, du sollst nett zu ihr sein!", ermahnte Mrs. Davies ihn streng. "Aber du hörst ja nie auf mich." Phil räusperte sich. Dass er bis jetzt überhaupt so lange den Mund gehalten hatte, war ein Wunder. "Anscheinend war er ein bisschen ZU nett zu ihr. Das ist ja das Problem", spöttelte er. Mrs. Davies schaute verblüfft drein. John verdrehte die Augen. Faye erklärte: "Sie hatten einen Streit, infolgedessen John ein paar Sachen gesagt hat, die er lieber nicht hätte sagen sollen, woraufhin sie einen Abgang gemacht hat. Jetzt ist Funkstille angesagt und er leidet wie ein Hund. Wie du ja siehst", schloss sie ihre Ausführungen und sah ziemlich selbstzufrieden aus. Mrs. Davies wandte sich wieder an John und zog die Augenbrauen zusammen. "Du warst doch nicht ungehobelt, oder?" "Natürlich nicht", antwortete er pikiert und fühlte sich von Minute zu Minute unwohler. Er hatte überhaupt nicht gewollt, dass seine dreckige Wäsche nun hier am Esstisch gewaschen wurde. Er hatte überhaupt gar nicht mehr über Liz sprechen wollen. Er hätte ganz einfach nicht hierher kommen sollen. Es war eine schlechte Idee. Wenn man etwas für sich behalten wollte, aber mit Faye und Phil unterwegs war, war das immer eine schlechte Idee. Seine Mutter schaute ihn mitfühlend an und tätschelte dann seinen Arm. "Das tut mir leid, Schatz. Du scheinst kein Glück zu haben bei den Mädchen." "Wem sagst du das?", feixte Phil. Das alles schien ihm höllisches Vergnügen zu bereiten. John rollte die Augen. "Ist schon gut. Reden wir über etwas Anderes." In diesem Moment betrag William wieder den Raum, in den Händen hielt er ein Tablett, auf dem fünf kleine Schälchen nebeneinander standen, gefüllt mit einer gelblichen Creme und getoppt mit Beeren-Allerlei. "Worüber reden wir?", hakte er nach, da er offensichtlich John's letzten Satz aufgefangen hatte. "John hat Probleme mit einem Mädchen", erklärte seine Mutter eifrig. "Ich verstehe noch immer nicht genau, was passiert ist." "Gar nichts", knurrte John. "Das möchte ich jetzt aber auch wissen." Phil verteilte die Schälchen und blickte ihn neugierig an. Faye war es natürlich, die dem Rätselraten ein Ende bereiten musste. "So, wie ich das verstanden habe, hat er sie zum Essen ausgeführt. In so'nen edlen Laden, obwohl er genau weiß, dass sie so was gar nicht mag. Dann hat er ihr einen Anhänger geschenkt, zum dritten Monats... äh... tag. Der war aber in so einer Ring-Schatulle drin und sie dachte, er wollte ihr einen Antrag machen. Außerdem hatte sie eh schon einen furchtbaren Tag gehabt." "Weil", warf Phil ein, "sie von ihrer Chefin, der Hexe, für die Hochzeitsartikel und die Horoskope eingeteilt wurde." "Ja. Und dann hat sie Panik bekommen. Woraufhin sie sich gestritten haben und John ihr erklärt hat, dass sie die Frau für's Leben ist. Dann ist sie gegangen." "Was man ihr nicht verübeln kann...", murmelte Phil mit abgewandten Blick, wurde aber von Faye unter dem Tisch so heftig getreten, dass er laut aufstöhnte. Will und Mrs. Davies starrten John befremdet an. "Junge, der geht aber ran", brummte Will. "Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm..." Dabei grinste er schelmisch und zwinkerte John's Mutter kokett zu. Sie errötete und lachte verlegen. "Oh Gott...", stöhnten Phil und John unisono. Faye ignorierte das. "Liz ist viel jünger als John. Ich glaube, er hat ihr Angst gemacht." Will setzte sich wieder auf seinen Platz und runzelte die Stirn. "Du hast sie wohl verjagt. Überrumpelt. Normalerweise ist es Sache des Mannes, kalte Füße zu bekommen." John seufzte. Jetzt mischte sich auch noch der alte Knacker von Freund seiner Mutter ein. Seit wann war sein nicht-existentes, verkorkstes Liebesleben eigentlich zu einer Familienangelegenheit mutiert? John wünschte sich nur noch ganz weit weg. "Es ist doch nicht Schlimmer dabei, einer Person zu sagen, dass man sie gern hat", wunderte sich seine Mutter erstaunt. "Das wird man ja wohl noch dürfen?" "Aber doch nicht so", beharrte Phil. "Heutzutage ist sowieso alles anders. Da schleicht man um den heißen Brei herum und versucht, so wenig wie möglich von sich zu verraten." "Solange, bis man sich in- und auswendig kennt", stimmte Faye ihm zu. Mrs. Davies wechselte einen Blick mit William. "Das kann doch irgendwie nicht richtig sein", sagte sie befremdet zu ihm. "Bin ich froh, dass ich in anderen Zeiten aufgewachsen bin." "Das können wir auch", gab Will ihr Recht. "Die jungen Leute heutzutage scheinen es viel schwieriger zu haben." Phil löffelte die Beerencreme in sich hinein und gab ständig schmatzende Mhm-Laute von sich. "Wow, das ist gut, Mr. Goodwin." "Danke sehr. Aber um noch mal auf die Frau zurückzukommen... Wieso sagst du nicht etwas dazu, John? Bisher haben nur alle anderen etwas gesagt." John hob überraschte en Kopf. Das war das erste Mal, dass ihn jemand in dieser Familie zum Reden aufforderte. Normalerweise diskutierten immer alle alles über seinen Kopf hinweg, egal, ob er anwesend war oder nicht. "Ich...", stammelte er verwirrt, "ich versuche sie anzurufen, aber sie hat sich komplett unerreichbar gemacht." Will nickte fachmännisch und lächelte. "Die Masche der Frauen." Als alle ihn verwirrt anguckten, zuckte er mit den Schultern. "Was? So viel hat sich auch nicht geändert, seit ich jung war. Wenn sie wollen, dass du ihnen nachläufst, machen sie sich rar. Wenn sie dich loswerden wollen, wirst du das schon von alleine merken. Die sind nicht zimperlich." Mrs. Davies hob zweifelnd eine Augenbraue, aber dann schmunzelte sie schweigend. "Und woher", hakte Phil verdattert nach, und John war froh, dass nicht er diese Frage - die ihn zugegebenermaßen ebenfalls interessierte - stellte, "soll er wissen, ob sie ihn jetzt loswerden will oder nur dazu bringen, ihr hinterherzulaufen?" "Wenn sie einen Mann ratlos und ahnungslos zurücklässt, dann will sie für gewöhnlich, dass er das Mysterium löst", erwiderte Will kurz, und weder John, noch Phil wurden schlau aus seinem Gerede. Mrs. Davies aber lächelte geheimnisvoll. "Wenn du aber glaubst, sie ist das alles nicht wert - dann solltest du besser aufhören, dir Gedanken darüber zu machen", riet Will ihm und John schüttelte empört den Kopf. So etwas zu sagen war doch eine Unverschämtheit. Faye kam ihm zuvor. "John ist total verknallt. Er kann da gar nicht mehr raus, ob er nun will oder nicht. Der arme Hund." "Apropos nicht mehr rauskommen." Phil strahlte. "Faye und ich werden heiraten!" Faye Kopf flog zu ihm herum und sie funkelte ihn wütend an, wovon Phil sich wiederum nicht einschüchtern ließ und alle anderen immer noch Beifall heischend anschaute. John, seine Mutter und Will starrten Phil schweigend an, und Will war der erste, der wieder zu sich kam. Er erhob sich und klatschte in die Hände. "Wow, das ist ja wunderbar. Und gleich so gute Neuigkeiten. Gratuliere!" Er beugte sich über den Tisch, schnappte sich Phil's Hand und schüttelt diese kräftig. Dann wiederholte er das gleiche mit Faye, die noch immer ziemlich wütend wirkte. "Das muss gefeiert werden! Ich hole eine Flasche Sekt!" Und er verschwand wieder in der Küche. Mrs. Davies lächelte glücklich. "Das ist toll, Liebling." Damit meinte sie beide gleichermaßen, Phil und Faye, die, wie John wusste, für sie wie eine Tochter war. "Das wurde ja auch langsam Zeit", schalt sie sie scherzhaft. "Aber die Überleitung war ein bisschen... misslungen." Sie lachte. Faye warf John, der auf seinem Stuhl zusammengesackt war und sich elend fühlte, einen entschuldigenden Blick zu. "Tut mir leid, John. Das war so nicht geplant. Ich hab diesem Idioten hundert Mal gesagt, dass er die Klappe halten soll, aber du kennst ihn ja..." Sie brach ab. John zwang sich zu einem schiefen Lächeln. "Quatsch. Ich freue mich für euch." Und weil das nicht mal in seinen Ohren besonders überzeugend klang, fügte er noch schnell etwas enthusiastischer hinzu: "Auch, wenn das ja nun wirklich nicht überraschend kommt." Phil schmollte. "Wisst ihr schon, wann die Hochzeit stattfinden soll?", hakte Mrs. Davies interessiert nach. "Wollt ihr sie selber vorbereiten, oder eine Hochzeitplanerin engagieren?" In ihren Augen glitzerte es. Und klug und feinfühlig, wie Faye war, lächelte sie wissend. "Ich hab vielleicht daran gedacht... ob du mich dabei unterstützen willst?" Sie machte eine wegwerfende Handbewegung in Richtung Phil. "Männer sind dabei sowieso nicht zu gebrauchen." William kam mit dem Sekt und fünf Gläsern herein. Er stellte sie auf den Tisch, ließ den Korken knallen und goss schnell etwas in die Sektgläser hinein. Dann verteilte er sie an die Umsitzenden und hob sein Glas. "Na dann!", dröhnte er fröhlich. "Auf das Brautpaar in Spe! Cheerio!" Alle stimmten mit ein und tranken ihren Sekt. John beobachtete Phil und Faye heimlich. Irgendwie war er... da war etwas in ihm... er identifizierte dieses seltene Gefühl mit Neid. Faye und Phil sahen so glücklich aus. Obwohl sie sich dauernd zofften, verspotteten und ständig anderer Meinung waren als der jeweils andere, hatten sie sich doch so gern. Sie kannten einander, wie niemand anderes sie kannte, und sie liebten sich, wie wahrscheinlich kein anderer sie jemals lieben könnte. Und nun wollten sie den Rest ihres Lebens miteinander verbringen. Gott, war John neidisch! Dieses offensichtliche Liebesglück konnte er sich kaum mit ansehen. Und ertragen konnte er es momentan auch nicht, nicht jetzt, wo er nichts sehnlicher wollte, als das, was Phil und Faye hatten und wo Liz ihm entwischt war. Und wie sie ihm entwischt war! Einfach so vorbei geschlängelt hatte sie sich, und ehe er sich’s versah, war sie auch schon verschwunden. Aber wenn es stimmte, was Will sagte, dann durfte er nicht aufgeben und es weiterhin versuchen. Wenn es eine kleine Chance gab, dass er Liz wiederbekommen könnte... Und er würde sie wiederbekommen. Er war schließlich Anwalt, rief er sich zur Ordnung, und ein neues Gefühl von Selbstbewusstsein erfüllte ihn, das ihn faszinierte und gleichermaßen in Erstaunen versetzte. Er war Anwalt. Reden und argumentieren - das war sein Job. Er würde sie ausfindig machen, sie zur Rede stellen und sie mit seinen logischen Argumenten an die Wand nageln. Alle Ängste würde er ihr nehmen und ihr vor Augen führen, was das Problem war. Nicht, wovon sie glaubte, das es das Problem war - sondern was wirklich problematisch mit ihr und ihrer Beziehung war. Liz hatte vorher noch nie eine ernsthafte Beziehung gehabt - zumindest soweit er das verstandne hatte - und als sie gemerkt hatte, dass John genau so etwas anstrebte und dass es ihr gefallen könnte - da hatte sie Panik bekommen: Sie hatte nur einen Grund gebraucht, um endlich auszubrechen, und den hatte er ihr auf dem Servierteller geliefert. Er konnte es vorher nicht wissen, aber jetzt wusste er es - und dieses Wissen war sein Trumpf. Liz glaubte, sie war so furchtbar rebellisch und nonkonform, aber im Grunde war sie genau das, was sie war: ein Mädchen, aufgewachsen in einer Kleinstadt in Mittelengland, die eine perfekte Familie hatte und deren einziges Vergnügen darin bestand, ihre Eltern zur Weißglut zu treiben. Und das tat sie immer noch - ihre Eltern zur Weißglut treiben. Ihm machte das nichts aus - aber Liz musste endlich einsehen, dass das nicht der Sinn ihres Lebens sein konnte. Dass sie besseres verdient hatte als flüchtige Liebschaften mit unhygienischen Kerlen mit Rockermähne und Gitarre um den Hals. Er war etwas Besseres. Und er hatte sie sich ebenfalls verdient. Es war, als hätte er sein ganzes Leben nur noch auf sie gewartet. John schaute auf, als er Will's lautes Lachen hörte. Er beobachtete ihn eine Weile, wie er mit seiner Mutter umging, wie er auf Phil’s Scherze antwortete und wie er sich mit Faye unterhielt. Eine Wärme breitete sich in seiner Brust, ein plötzliches Gefühl von Zuneigung erfüllt ihn. Sein Vater, schoss ihm durch den Kopf, war nie so liebevoll gewesen. Mit keinem von ihnen. Und dann fragte er sich, woran genau er sich eigentlich noch erinnerte? Und die Erkenntnis kam, und sie warf ihn fast um: an gar nichts. Natürlich erinnerte er sich an seine Kindheit - aber an den größten Teil seiner Kindheit und Jugend, nachdem er elf war. Vorher waren nur Bruchstücke da in seinem Kopf. Seine Mutter und Phil, Faye und Phil, er und Phil, er und seine Mutter, seine Mutter und Faye's Eltern, seine Freunde und er, Phil’s Freunde und Phil, er und Faye... seine Schulkameraden, deren Eltern, Mütter, Väter, seine Lehrerin, wieder seine Mutter, wieder Phil... sein Vater, wie er grimmig am Esstisch saß. Wie er frustriert von der Arbeit nach Hause kam und ihn und Phil wegscheuchte, um etwas "Ruhe" zu bekommen. Wie er das Haus verließ. Verließ, verließ, verließ. John blinzelte. Keine einzige schöne Erinnerung hatte er an seinen Vater. Dann sah er wieder Will an. Obwohl er ihn erst seit ein paar Stunden kannte, hatte er schon eine Menge schöner Bilder in seinem Kopf gesammelt. Will mit seiner Mutter. Lachend, flirtend. Will mit den Sektgläsern, mit der Beerencreme, Will in der Küche... John bemerkte, dass er Will trotz seiner anfänglichen Vorbehalte - die er sich selbst gegenüber nicht hatte zugeben können -, doch mochte. Er machte seine Mutter glücklich, und war das nicht alles, was zählte? Er machte seine Mutter ganz offensichtlich glücklicher, als sein Vater, zumindest wenn das, woran er sich noch vage erinnerte, stimmte. John lächelte - zum ersten Mal seit langem - ehrlich. Er fühlte sich plötzlich - erleichtert. Viel besser. Es war, als wäre ihm ein Stein vom Herzen gefallen. Die Gewissheit, dass er Liz zurückgewinnen würde, und die Gewissheit, dass seine Mutter glücklich war und einen netten Mann gefunden hatte, machten es ihm plötzlich viel leichter, zu lachen. Und es fiel ihm nun auch leichter, sich für Phil und Faye zu freuen. Er warf ihr einen Blick zu und ihre Augen trafen sich. Faye lächelte ihm erst verhalten zu, weil sie nicht unhöflich sein wollte, aber als sie merkte, dass er es ernst meinte, strahlte auch sie. Unter dem Tisch tastete sie nach seiner Hand und drückte sie. "Danke John", flüsterte sie ihm zu und es rührte ihn zutiefst. "Ich bin so glücklich, dass es für dich auch okay ist. Und du wirst deine Lizzie auch noch finden. London ist doch ein Kaff." Sie zwinkerte ihm komplizenhaft zu und er musste lachen. "Danke." "Bald sind wir offiziell verwandt." "Das sind wir doch jetzt schon", widersprach er ihr amüsiert. "Als wärst du jemals irgendetwas anderes gewesen als meine kleine Schwester." "Wenn ich deine Schwester wäre, wäre das hier ziemlich illegal..." Sie nickte mit dem Kopf zu Phil rüber, der von diesem Gespräch nichts mitbekam und mit Will darüber diskutierte, welches Auto sich am besten als Limousine für das Kutschieren von Braut und Bräutigam eignete. Mrs. Davies tupfte sich mit einem Taschentuch heimlich ein paar Tränen weg und lächelte immerzu erfreut in die Runde, obwohl sie mit ihren Gedanken ganz woanders war. John konnte sich schon denken, dass sie sich gerade auf einer sentimentalen Rundreise durch die Vergangenheit befand, und er wollte sie dabei nicht stören. "Phil und ich", erzählte Faye ihm, da das Thema für die anderen anscheinend schon gegessen war, "haben an Herbst gedacht. Du weißt schon. Wenn die Blätter gerade so richtig schön bunt sind. Irgendwo draußen, mit tollem Lichteinfall und so weiter." John grinste. "Kann kaum glauben, dass Phil sich so etwas ausdenken würde..." Sie zwinkerte ihm zu. "Okay, es war meine Idee. Er ist mit allem einverstanden, was ich sage." John kannte die zwei gut genug, um seine nächste Frage zu stellen. "Sonst...?" Faye kicherte. "Sonst blas ich alles ab." "Ich wusste es." Er verdrehte amüsiert die Augen. Kapitel 19: - Liz - ------------------- Liz war froh, dass Kate da war. Durch den Besuch ihrer Schwester lenkte sie sich ein wenig ab und musste nicht mehr nur dauernd an John denken. Kate hatte sie noch nie in London besucht und Liz hatte schon alles mögliche an Plänen geschmiedet. In den fünf Tagen, die sie hier war, ließ sich eine Menge unternehmen und Liz hatte schon alle beliebten Touristenattraktionen - wie zum Beispiel das Madame Tussaud's - und viele verschiedene Museen über sich ergehen lassen, was ihr aber nicht viel ausgemacht hatte. Das National History Museum mochte sie sogar, denn es war riesig und interessant dazu. Schon allein das Foyer, in dem ein riesiges Dinosaurierskelett auf einen herunter starrte, wenn man eintrat, war beeindruckend. Ganz zu schweigen von dem Wal in Originalgröße in der Halle der Säugetiere. Und das beste war: der Eintritt war kostenlos. Es gefiel ihr, wie fasziniert Kate auf alles reagierte, und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hatte sie auch ein wenig Stolz verspürt, als Kate ihre Wohnung - vor allem ihr gläsernes "Büro" - bestaunt hatte. Zu ihrem Ärger hätte John, der ihr Telefon ständig klingeln ließ und sie nicht in Ruhe lassen wollte, fast auf das Band gesprochen, doch zum Glück hatte sie ihn mittendrin abschneiden können, sodass Kate nicht seine ganze Nachricht zu hören bekam. Liz hatte so getan, als wäre nichts gewesen und ihrer Schwester somit signalisiert, dass sie nicht darüber reden wollte, und Kate, klug wie sie war, war zwar neugierig gewesen, hatte es aber so hingenommen. Wahrscheinlich wusste sie, dass Liz anfangen würde, auch in ihren Wunden herumzustochern, wenn sie näher nachhakte. Liz konnte sich schon denken, warum Kate für ein paar Tage nach London geflohen war. Und das so kurzfristig. Das sah ihrer Schwester normalerweise gar nicht ähnlich, denn bei Kate musste alles penibel genau geplant werden. Ihre Anwesenheit hier erschien Liz wie eine Flucht, und wovor sollte Kate fliehen, wenn nicht vor Jake, diesem liebenswerten Trottel vom besten Freund? Liz konnte Jake gut leiden. Man merkte sofort, dass er ein gutes Herz hatte, aber ihrer Meinung nach war er einfach... blind. Unfähig, was Mädchen anging. Aber das konnte man ändern. Und er mochte Kate, das wusste Liz auch. Das hatte er schon immer. Sie wusste nicht, ob er dasselbe empfand wie Kate offensichtlich für ihn, aber Liz wusste, dass er ihrer Schwester niemals wehtun würde - zumindest nicht absichtlich. Aber genau das ist anscheinend eingetreten. Nur wollte Kate nicht darüber reden - warum auch immer. Liz konnte durchaus ernst sein, aber wenn ihre Schwester noch nicht dazu bereit war, dann musste sie es eben so akzeptieren. Kate war sowieso eine Geheimniskrämerin, die alles lieber mit sich selbst ausmachte, was ihr schon so manche Probleme bereitet hatte, denn nicht immer stimmte ihre Umwelt mit Kate überein. Aber jedem das seine, dachte Liz und wurde bei diesem Gedanken schmerzlich an John erinnert. Momentan wollte sie auch mit niemandem über ihn reden. Nicht mit Kate, die ihre eigenen Probleme hatte, nicht mit Mel, die das wahrscheinlich sowieso nicht verstehen würde und auch nicht mit der verständnisvollen Judy, die wahrscheinlich Mitleid mir ihr haben würde. Das alles könnte Liz nicht ertragen. Und mit ihren Eltern schon mal gar nicht! Das wäre das schlimmste vom schlimmsten. Also verbrachte sie ihre Tage lieber mit Kate, inmitten von London's Sehenswürdigkeiten. Hin und wieder konnte sie sogar eine Anekdote abliefern oder zur Abwechslung mal Kate belehren mit irgendwelchen geschichtlichen Hintergründen, die sie dann und wann aufgeschnappt hatte. Eines Abend saßen sie nach einem langen Tag am Trafalgar Square auf dem Brunnenrand, die Nelsonsäule in ihrem Rücken, ruhten sich aus und fütterten die Tauben, die sich zu Hunderten auf dem Platz befanden. Ein ganzes Rudel von Vögeln, die alle dieselbe, graue Färbung hatten, drängten sich zusammen, um etwas von den Brotkrumen abzubekommen, die Liz und Kate wohlwollend auf den Asphalt warfen. Viele, sehr viele Passanten, schüttelten missbilligend die Köpfe oder warfen ihnen böse Blicke zu, aber die zwei störten sich nicht daran. In stillem Einverständnis brauchten sie einen ganzen Laib Toastbrot auf, den sie extra für die Tauben gekauft hatten, was viel zu schnell ging, und machten sich dann zusammen auf den Heimweg. Es begann langsam zu dämmern und Liz's Magen knurrte. Nach dem eher kargen Sandwich vom Mittagessen waren beide ziemlich hungrig. "Ich mach uns was Leckeres zum Abendessen", informierte Liz ihre Schwester, als sie wieder in ihrer Wohnung ankamen. "Irgendwelche Wünsche?" Kate schüttelte den Kopf, wusch sich die Hände und wollte ihr helfen, doch Liz winkte ab. "Nein, du setzt dich hin. Ich mach das selbst." Es war endlich mal eine Gelegenheit, wieder etwas zu kochen. Liz wusste schon gar nicht mehr, wann sie das letzte Mal etwas gekocht hatte - richtig gekocht, meinte sie, nicht dieses "Pizza in den Ofen schieben", oder "Nudeln mit Tomatensoße" oder sonstiges, das schnell ging. Dabei hatte sie früher richtig gerne gekocht, mittlerweile aber konnte sie mit der Zeit besseres anfangen. Während sie in der Küche hantierte, machte Kate das, was sie am liebsten machte: Sie durchstöberte Liz's Bücherregal und man hörte hin und wieder überraschte Ausrufe. Schließlich kam Kate mit einem alten Reiseführer zurück in die Küche, den sie irgendwo ausgegraben hatte. Liz erinnerte sich noch daran, dass sie ihn vor vier Jahren auf dem Campus-Flohmarkt gekauft hatte. Und selbst damals war er schon so antik gewesen. Kate setzte sich an den Tisch und blätterte ihn interessiert durch. Dann und wann grinste sie und las Liz zuweilen auch eine Passage daraus vor, über die sie beide kichern mussten. "Das Ding ist wirklich alt. Ich glaube, den könnte ich in einem Antiquitätenladen für viel Geld verscherbeln", vermutete Liz amüsiert, während sie das Hackfleisch in der Pfanne anbriet, um später das Gemüse dazuzugeben. "Aber es stehen erstaunlich viele historische Daten drin." Kate übersprang ein paar Seiten und Liz rollte mit den Augen. "Du kannst es haben, wenn du willst. Ich brauche es sowieso nicht mehr." Wie sie vermutete hatte, strahlte ihre Schwester. "Ehrlich? Danke. Hier kann man sogar noch was lernen." Liz lachte. "Kaum zu glauben, dass man dir noch etwas beibringen kann. Wie läuft es eigentlich mit dem Studium?" "Gut." "Ich hab nichts Anderes erwartet. Wahrscheinlich lebst du in der Bibliothek, hm? Vermisst Claire dich nicht zu Hause?" Kate grinste ertappt. "Sie weiß ja, wo sie mich finden kann..." "Ich hab die Bibliothek gehasst." Auf den Blick mit den hochgehobenen Augenbrauen seitens ihrer Schwester fügte Liz hinzu: "Nicht wegen den Büchern. Es war immer so leise da drin. So ruhig. Furchtbar." Sie schüttelte sich bei dem Gedanken daran und stellte mal wieder fest, wie verschieden sie und ihre Schwester doch waren. Kate musste darüber lachen. Wahrscheinlich, ging Liz durch den Kopf, hatte sie nichts anderes von ihr erwartet. Kapitel 20: - John - -------------------- John wählte noch einmal ihre Telefonnummer. Mittlerweile war er verzweifelt, übermüdet... wütend. So einfach würde er sie nicht damit durchkommen lassen. Sie musste ihm mindestens ins Gesicht sagen, dass sie ihn nicht mehr sehen wollte. Dieses Nicht-Beachten und Zurückziehen war doch kindisch und dumm! Das würde er nicht mehr mit sich machen lassen. Sicher, er hatte sie verärgert. Und er hatte ihr Angst gemacht - aber jetzt hatte er nicht weniger Angst, und zwar davor, sie zu verlieren. Er hatte sich in den vergangenen Wochen so sehr an sie gewöhnt, dass es ihm nun, in diesen Tagen, erschien, als würde etwas Essentielles von ihm fehlen. Als hätte jemand einen Teil von ihm rausgerissen. Manche Leute würden es wohl als Liebeskummer oder gebrochenes Herz bezeichnen, aber John wusste, es steckte etwas Anderes dahinter. Es war, als hätte ihm jemand sein Zuhause genommen. Noch einmal. Aber dieses Mal würde er darum kämpfen. Er war nicht mehr elf Jahre alt und er würde sich dagegen wehren, dass Menschen, die ihm viel bedeuteten, einfach so aus seinem Lebens verschwanden – sang- und klanglos. Und wenn er in diesem Moment wählen dürfte zwischen der Rückkehr seines Vater und Liz - er würde sie nehmen. Immer wieder. Es klingelte ein paar Mal am anderen Ende der Leitung, aber John hatte schon aufgegeben. Er wusste, es würde niemand rangehen. Liz machte ihre Sache gut. Sie ignorierte ihn, als hätte sie nie etwas Anderes getan. Umso überraschter war er, als dann doch jemand den Hörer abhob. Sein Herz hämmerte wie wild gegen seine Brust, sein Puls beschleunigte sich von einer Sekunde auf die andere. "Hallo?" Diese Frauenstimme war nicht die von Liz, registrierte er verwundert, und fragte dann doch etwas unsicher: "Lizzie?" "Nein... hier ist Kate", kam es etwas zögerlich zurück. Kate... Kate! Liz's Schwester, die in Nottingham studierte. Die kluge, kleine Kate. "Ach!", lachte er fast schon erleichtert. Wenigstens bekam er eine Winston-Frau an die Strippe. Das war immerhin etwas. Es war mehr als er zu hoffen gewagt hatte! Und wo Kate war - vor allem, wenn sie in London, in Liz's Wohnung war - konnte diese nicht weit weg sein. Das war es. Das war seine Chance. Und die musste er heute nutzen. "Die Schwester?" "Ja", antwortete das Mädchen vorsichtig. John fiel ein, dass er sich noch gar nicht vorgestellt hatte. Liz hatte ihm zwar viel von Kate und ihren anderen Geschwistern erzählt, aber woher sollte er wissen, ob das auch andersherum genauso war? "Hier ist John", sagte er und platzte dann auch endlich mit der dringlichen Frage aus, die ihn am meisten interessierte. "Ist sie da?" "Nein", antwortete Kate ihm etwas einsilbig. Wahrscheinlich fand sie ihn verdächtig. Das konnte er ihr nicht verübeln. Da fragte gerade ein Fremder eine 19-Jährige über ihre Schwester aus. Oder sie wusste Bescheid und wollte ihm nicht zu viele Informationen geben, weil Liz sie dazu angewiesen hatte. "Sie ist in der Redaktion, stimmt's?", riet er, als es ihm klar wurde, als hätte jemand eine Glühbirne über seinem Kopf angeschaltet. Es war Mittwoch! Mittwoch war Liz’s Redaktions- und Meetingtag. "Da ist sie Mittwochs immer..." Die Schwester am anderen Ende der Leitung schwieg gespannt. Wahrscheinlich war John ihr wirklich nicht geheuer. Aber er war ihr unendlich dankbar dafür, dass sie den Telefonhörer abgenommen hatte. Jedenfalls wusste er jetzt, dass Liz noch lebte. In seiner Vorstellung bildete sich ein Plan aus - ein verschwommener, noch unscharfer Plan. "Kate?" "Ja?" "Danke." Er atmete erleichtert aus, in Gedanken schon bei seinem weiteren Vorgehen, das sich wie ein Film vor seinem inneren Auge abspielte. "Bis nachher!" Ein Taxi war John zu langsam. Die U-Bahn auch. So, wie er sie kannte, würde Liz bald von der Arbeit kommen. Und da war es nur gerechtfertigt, wenn er dieses Mal seinen Wagen benutzte und auf den Umweltschutz pfiff. Das hier war schließlich wichtig! Wie ein Geisteskranker raste er zu Liz's Wohnung - um dem dichten Verkehr zu entgehen, nahm er ein paar Umwege in Kauf, aber die Geschwindigkeit, mit der er unterwegs war, machte den Zeitverlust fast wieder wett. Und so hatte er wenigstens nicht mit Menschenmassen zu kämpfen. Zu seinem Glück war die Eingangstür unten offen, sodass er nicht erst noch klingeln musste. Liz würde ihm den Durchweg sicherlich versperren, obwohl sie wusste, dass er auch andere Lösungen hatte. Als er vor ihrer Haustür stand und ihre Stimme hörte - anscheinend unterhielt sie sich gerade mit Kate - wurde er plötzlich ruhig. Es war, als hätte ihm jemand eine Beruhigungstablette verabreicht. Sein Atem wurde gleichmäßiger, sein Puls ebenfalls. Er ruhte plötzlich in sich. Er hörte ihre Stimme - und er war sich sicher, dass er sie zum Zuhören bringen konnte. Und wenn er sie zum Zuhören bringen konnte, war es nur ein kleiner Sprung bis zum nächsten Schritt. Er würde sie überzeugen. Er hatte die richtigen Worte parat. Das wusste er einfach. Das musste er haben. Er war hier. Und er würde sie zurückgewinnen. Wie Faye gesagt hatte. Vorher durfte er ihr nicht unter die Augen treten. Das hatte Faye ihm auch gesagt... John klopfte und hörte Liz unmittelbar vor der Tür etwas murmeln. Dann wurde sie aufgemacht. Liz stand davor, schön wie eh und je. Wie hatte er sie vermisst! Ihre weichen, gewellten Haare, ihre braunen, funkelnden Augen, ihr amüsiertes Lächeln, ihre Schultern, den spöttischen Zug um ihren Mund... einfach alles! Für einen Moment, während er sie vollkommen fasziniert anschaute, als sähe er sie zum ersten Mal, stierte auch sie ihn an. Überraschung stand in ihrem Gesicht geschrieben, doch diese wurde schon bald von einer Feindseligkeit abgelöst, die John eigentlich hätte Angst machen müssen. Tat sie aber nicht. Liz schnaubte verächtlich. "Was machst du hier?", knurrte sie ihn an und ging einen Schritt zurück, als ob sie sich vor ihm in Sicherheit bringen müsste. John sah sich in seiner Theorie bestätigt. Er trat einen Schritt auf sie zu, trat ungefragt in die Wohnung ein. Sie kehrte ihm den Rücken zu und marschierte mit schnellen, großen Schritten davon. John ließ die Tür hinter sich zufallen und atmete einmal durch. Dieser Kampf würde ihn noch viel Kraft kosten. Geduldig folgte er ihr. "Wie zum Teufel bist du reingekommen?" Sie wirbelte zu ihm herum und stieß ihm ihren Zeigefinger in die Brust. Bitterböse schaute sie ihn an. John überging das und kam direkt zum Wesentlichen. "Wir müssen reden, Liz, und das weißt du genauso gut wie ich", sagte er ernst. "Warum bist du nur so störrisch?" "Wir müssen gar nichts!", giftete sie ihn an. "Du bist hier nicht erwünscht, falls du das noch nicht bemerkt haben solltest." John holte hörbar Luft. Liz war jetzt eine andere. Eine kühle, unnahbare Frau. Unantastbar. Unvernünftig. Er musste ruhig bleiben. Aber das fiel ihm nicht schwer. Je mehr sie sich aufregte, desto gefasster wurde er. Er ahnte langsam, was mit Liz los war. Warum sie sich so aufregte und warum sie ihn nicht mehr sehen wollte. Er hatte immerhin eine Menge Zeit gehabt, sich Gedanken darüber zu machen. "Ich gehe erst, wenn du wieder mit mir redest", verkündete er beherrscht. Sie schnaubte ein weiteres Mal, wandte sich wieder von ihm ab und verschwand in der Küche. Gemächlich folgte er ihr. Sie lief vor ihm weg - er war also auf der richtigen Spur. "Eine Stunde", entschied sie kühl, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Sie gab ihm eine Stunde! John gratulierte sich zu diesem Erfolg. Lässig lehnte er sich an dem Türrahmen und betrachtete Liz, wie sie grimmig zu ihrer Handtasche griff und ihre Autoschlüssel darin verfrachtete. Er bemerkte ein Mädchen auf einem Stuhl in der Küche sitzend. Das musste Liz's Schwester Kate sein. Sie hatte dichtes, braunes Haar und dieselben Augen wie seine Lizzie. Sie sahen sich so ähnlich, stellte er fest, obwohl sie beide ganz verschieden waren. Wahrscheinlich wussten sie selbst nicht, wie ähnlich sie sich vom rein Äußerlichen waren. Und möglicherweise auch darüber hinaus. "Ich fahre", sagte John an Liz gewandt und sein Tonfall duldete keinen Widerspruch. Er war selbst ganz erstaunt, wie er so viel Autorität aufbringen konnte. Im Gerichtssaal und mit seinen Mandaten war das für ihn kein Problem. Da war er der kühle, stets besonnene Anwalt. Es galt ja auch, die gegnerische Partei durch Vernunft zu überzeugen, zu übertrumpfen. Dass er dazu auch privat in der Lage sein konnte, entdeckte er jetzt erst. Und er war sich sicher, dass ihm das nur nutzen konnte. Vor allem bei einer Frau wie Liz. Es wirkte ja schon. Es war wie ein Wunder. Dann wandte er sich Liz’s Schwester zu. Mit großen Augen schaute Kate John an. Auch ein bisschen misstrauisch, was ihn an den Gesichtsausdruck von Liz erinnerte, als er ihr gebeichtete hatte, dass er nicht in einer Rockband spielte. Es lag aber nicht so viel Skepsis in dem Blick, wie vielmehr... Neugier. Wenigstens eine Winston-Frau, die ihn nicht sofort zum Teufel jagen wollte. Er zwinkerte Kate schelmisch zu und versuchte aufgrund ihrer verdutzten Miene ein Lächeln zu unterdrücken. Was immer Liz ihrer Schwester erzählt hatte, es war nicht das, was Kate jetzt sah - da war er sich ganz sicher. Von dem, was Liz ihm - eher unwillig - über ihre früheren Beziehungen erzählt hatte, schloss er darauf, dass Kate sicherlich jemand ganz anderen erwartet hätte. Keinen Kerl in einer beigen Frühlingsjacke mit stinknormalen Jeans und frisch geschnittenen Haaren. Während Liz missmutig in der Küche rumorte und sich ein Stück Pizza mit auf den Weg nahm, warf sie ihm einen vernichtenden Blick zu. "Ich werde dich wohl nie los." Ungerührt musterte er sie und legte ein wenig den Kopf schief. Er glaubte ihr nicht. Sie wollte ihn nicht loswerden. Wenn sie es gewollt hätte, hätte sie es ihm klipp und klar gesagt. Sie hätte ihn nicht in die Wohnung gelassen. Und es hätte ihn nicht nur ein Wort von ihm gekostet, um sie zum Mutgehen zu bewegen. So war es aber. Es war keine besondere Anstrengung von Nöten gewesen. John war nun selbstsicher und siegesbewusst. Liz hatte ein anderes Problem mit ihm. Eines, dem er sich schon längst hätte bewusst sein sollen. Liz fand nichts mehr, was in der Küche zu tun war, und konnte die Zeit nicht mehr herauszögern. Er sah es. Sah den Moment, in dem sie resignierte und sich zu ihm umdrehte, um mit ihm mitzugehen. Ihr Blick war kühl, um ihren Mund spielte ein verkniffener Zug. Aber den Moment hatte er trotzdem wahrgenommen. "Es dauert nicht lange", sagte sie zu ihrer Schwester und warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu. Er wusste ganz genau, was sie ihm damit sagen wollte. Aber sie würde sich irren. "Ich bin bald wieder da, schau dich ruhig in der Stadt um, aber vergiss nicht die Haustürschlüssel. Bis nachher." Hoch erhobenen Hauptes schritt sie an ihm vorbei. John sah ihr nach, dann lächelte er Kate, die das ganze schweigend verfolgt hatte - um ehrlich zu sein sah sie so aus, als wäre sie jetzt tausendmal lieber irgendwo anders als hier -, aufmunternd zu. Diese Winston-Frau würde er ganz sicher auch noch mal kennen lernen. Sie war der erste Teil von Liz's Familie, der ihm in Natura begegnete. "Bis dann, Kate. Wir sehen uns sicherlich wieder, dann hoffentlich unter glücklicheren Umständen." Er grinste schief, bevor er sich von ihr abwandte und Liz folgte. Liz schwieg. Sie schwieg eisern. Und John versuchte auch gar nicht erst, ein Gespräch mit ihr anzufangen. Er hatte einen Masterplan. Und irgendwann musste sie den Mund aufmachen. Während sie in seinem Wagen durch London fuhren - diesmal die regulären Straßen, sodass sie viel an Kreuzungen und Ampeln stehen mussten -, dachte er - mal wieder-, über Liz nach. Vieles wurde ihm nur langsam klar. Aber wahrscheinlich bedurfte es eines richtigen Psychologen, um alle ihre kleinen Macken ausfindig zu machen. Nun ja. Ein paar hatte er ja schon. Und es machte alles Sinn. Vom ersten Treffen bis hin zu diesem Moment in seinem Auto. Er parkte, sie stiegen aus. Widerwillig folgte Liz ihm und warf ihm immer wieder argwöhnische Blicke zu. Schließlich konnte sie es nicht mehr aushalten. "Wohin gehen wir?", platzte es aus ihr heraus, aber er nahm nur ihre Hand, und noch bevor sie sie ihm wieder entreißen konnte, riss sie überrascht die Augen auf. John hatte sie nach Chinatown geführt. Er hatte einen anderen Weg genommen, sodass sie nicht direkt darauf kommen konnte. Es war Tag und natürlich funkelte jetzt nichts so wie bei Dunkelheit und es bot auch nicht mehr diesen beeindruckenden Anblick. Die Geschäftigkeit, die Touristen und das dichte, enge Drängen war jedoch noch immer dasselbe. Als Liz bemerkte, dass John noch immer ihre Hand hielt, entzog sie sie ihm. Aber nicht mehr so energisch, wie sie es vielleicht vorher getan hätte. Eher zögerlich, langsam. "Was sollen wir hier, John?", wollte sie wissen. Jetzt war auch sie ruhig. Und sie wirkte traurig. "Hunger?", fragte er beiläufig, statt ihr eine Antwort zu geben. Sie kapitulierte und er war schon lange nicht mehr wütend auf sie. Eine Welle der Zärtlichkeit wallte in ihm auf, so heftig, wie selten zuvor. Er wollte sie in den Arm nehmen und trösten und ihr alle Ängste nehmen, aber zu diesem Zeitpunkt hätte sie ihn wahrscheinlich noch immer zum Teufel gejagt. Liz schüttelte nur den Kopf. "Komm mit. Ich möchte dir etwas zeigen." Er lächelte ihr ermutigend zu und deutete in eine Richtung. Nicht weit von hier entfernt befand sich ein klitzekleiner Park. Der St. James Square Gardens. Von dicht stehenden hohen Bäume geschützt, die schon fröhlich grünten, lag dieser kleine Park inmitten einer Wohn- und Einkaufsgegend. John hatte ihn erst kürzlich entdeckt und hatte ihn Liz unbedingt zeigen wollen. Er hatte damals den Eingang nicht sofort gefunden, und da es so wohl vielen anderen auch ging, war niemand in dem Park gewesen außer ihm. Er hoffte, dass es dieses Mal auch so sein würde, und er wurde nicht enttäuscht. Umgeben von all den Bäumen sah man kaum noch die Häuser. Man kam sich vor, als befände man sich auf dem Land oder im Wald auf einer Lichtung - nur dass es im Wald natürlich keine Mülleimer gab und der Schotterweg nicht so gepflegt aussah. Das ganze Stadtfeeling war verschwunden, hier herrschten Ruhe und Abgeschiedenheit. Liz sah sich erstaunt um, doch schon bald verlor sie das neugierige Interesse an ihrer Umgebung und sah ihn abweisend an. Wie als Schutz zwischen sich und ihm verschränkte sie die Arme vor der Brust, aber möglicherweise fröstelte sie auch nur. "Sag, was du mir sagen wolltest, John", forderte sie ihn distanziert auf. Er kam näher und sah sie an. Zum ersten Mal an diesem Tag richtig. Er musterte ihr Gesicht, ihren Ausdruck und lächelte milde. Sie war wunderschön, wie immer. Aber diese Trennung war auch an ihr nicht spurlos vorüber gegangen. Und das konnte er nur sehen, weil sich jede Einzelheit von ihr in sein Gehirn eingebrannt hatte. Kapitel 21: - Liz - ------------------- John legte ihr seine Hand an die Wange und lächelte niedergeschmettert. "Liz... Lizzie. Du siehst furchtbar aus." Sie schnaubte und drehte sich weg. "Vielen Dank, sehr charmant." Du musst jetzt durchhalten, sagte sie sich. Sie konnte ihn gar nicht lange genug ansehen, ohne wieder dieses Verlangen, diese Sehnsucht nach ihm zu verspüren. Schon, als sie ihn gesehen hatte, war sie fast wieder weich geworden. Am liebsten hätte sie sich ihm in die Arme geworfen und alles vergessen. Aber dann fiel ihr wieder ein, dass sie Liz war. Und Liz warf sich nicht einfach in die Arme eines Kerls, nur weil er ihr das Blaue vom Himmel versprach. Liz ließ sich nicht so einfach weich klopfen. "Müde und traurig. Du hast nicht geschlafen", fuhr John ruhig fort, betrachtete sie mit nachsichtigem Blick, der sie ganz kribbelig machte. "Das ist erleichternd." Sie warf ihm einen fragenden Blick zu und wandte sich schnell wieder von ihm ab. Er war gar nicht wütend. Er schrie nicht. Er schien ganz ruhig. Das machte sie... nervös. Der ganze Mann machte sie nervös! Sie hasste es, sich so zu fühlen. Niemand durfte sie in diese Gemütslage versetzen! "Was möchtest du, John?", fragte sie kühl und verbot es, sich einzugestehen, wie sehr er ihr gefehlt hatte. "Ich hab dich auch vermisst", fuhr er geduldig fort, ohne auf ihre kalte Art zu reagieren, was sie noch mehr ärgerte. "Aber ich hab nicht vor, dich aufzugeben, nur weil du zu stolz bist, um über deinen eigenen Schatten zu springen,." Liz fuhr herum und funkelte ihn böse an. Er hatte kein Recht, so mit ihr zu sprechen. "Was weißt du schon, John? Wir kennen uns doch gar nicht lange genug, als dass du so was behaupten könntest." Er lächelte geknickt. "Man muss jemanden nicht lange kennen, um ihn gut zu kennen. Sieh dich doch an. So sieht doch keine Frau auf, die mit ihrer Entscheidung zufrieden ist.“ Liz stöhnte gequält. "John... lass doch gut sein." Sie hielt inne, weil sie nicht die richtigen Worte fand. Sie wollte ihn nicht verletzten, aber... sie wollte auch sich selbst nicht verletzten. Vor sich selbst nicht dastehen wie eine riesengroße Heuchlerin. John schwieg ebenfalls, wartete. "Ich bin..." Lizzie stoppte und begann noch mal von vorn. Was war eigentlich los mit ihr, seit wann war sie um Worte verlegen? "Du bist ein so netter Kerl." John hob trocken eine Augenbraue in die Höhe. "Ein wirklich toller Mann, John. Ehrlich. Aber... wir passen nicht zusammen... Wir haben unterschiedliche Lebensentwürfe. Du willst heiraten, Kinder kriegen, eine Familie. Jemanden, der für dich kocht, der dich umsorgt, immer da ist für dich. Das ist nicht... das kann ich nicht." Er starrte sie mit großen Augen an. Was in seinem Blick war, war kein Zorn, wie sie erwartet hatte, sondern eher Überraschung. "Oh mein Gott... Bei dir hört sich das so an als bräuchte ich... eine Putzfrau... eine Mutter? Haussklavin? Das ist doch alles... Ich will nur mit zusammen sein. Putzen und kochen kann ich alleine. Und eine Mutter habe ich schon. Ich will dich. Ich will dich nicht... in Ketten legen oder so etwas." Er fuhr sich mit der Hand verzweifelt durch die Haare, ließ dann den Kopf in den Nacken fallen und lachte kopfschüttelnd. Liz betrachtete ihn skeptisch. War er jetzt vollkommen verrückt geworden? "Herrje", seufzte er dann. "Du bist der komplizierteste Mensch, der mir je begegnet ist. Mit all deinen Ängsten und Störungen." Liz schnaubte. John war heute wirklich nicht besonders charmant. "Ich hab weder Ängste noch Störungen, danke", erwiderte sie schnippisch und wollte sich umdrehen. Doch er griff nach ihrem Handgelenk und zog sie zurück. Diesmal näher an sich heran. "Sicher hast du die, Lizzie", sagte er sanft. "Du hast Angst, deinen guten Ruf zu verlieren. Du hast Angst vor Routine und davor, dass deine Eltern ihre Sache doch gut gemacht haben. Du hast Angst, dir selbst einzugestehen, dass du auf grundsolide, anständige, schnarchlangweilige Anwälte in Anzügen stehst. Du hast Angst, ein Teil der breiten Masse zu werden. Aber Liz... das wirst du nie sein. Für mich nicht." Liz schwieg. Zuerst wollte sie protestieren, aber der Kloß in ihrem Hals hinderte sie daran. Wie konnte er nur... solche Sachen sagen? "Das ist alles... nicht wahr", murmelte sie tonlos, gab sich keinerlei Mühe mehr, überzeugend zu klingen. John seufzte. "Und ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich verliebt in dich bin, ohne dass du sofort Panik bekommst und wegläufst.“ Liz zwang sich dazu, ihre Schultern zu straffen und ihm in die Augen zu schauen. Er sah müde und abgespannt aus. Sein Blick war matt, als erwartete er nichts mehr. Das tat ihr furchtbar weh. "Davor... hab ich keine Angst." "Sondern?" Sie zuckte mit den Schultern und machte eine ratlose Handbewegung. "Ich... ich stimme dem nur nicht zu. Dem ganzen System. Man muss sich nicht auf ewig binden und sich das Blaue vom Himmel versprechen, wenn doch sowieso beiden klar ist, dass es schon morgen ganz anders aussehen kann." John grinste schief. "Und ich dachte, ich wäre hier derjenige mit den geschiedenen Eltern und dem fehlenden Vertrauen in Beziehungen." "Ich will nicht irgendjemandes Frau sein oder mich durch irgendjemanden definieren lassen." "Das musst du nicht. Wir entscheiden immer selbst, wie wir leben. Und ich will auch nicht, dass sich jemand durch mich definiert. Ich liebe dich, weil du ein eigenständiger Mensch bist mit vielen Ideen und Humor und Idealen – wie verdreht diese auch sein mögen. Du bist einfach du... was will ich mehr?" Sie verschränkte die Arme vor der Brust und ihre Augen funkelten angriffslustig. "Ich bin schon ziemlich toll..." John lachte erleichtert und stimmte ihr zu. "Das bist du." "Also... willst du immer noch mit mir zusammen sein... unter diesen Umständen, meine ich?" "Welche Umstände meinst du? Ich hoffe..." Er schluckte. "Du meinst nicht die „anderen“ Umstände?" Liz rollte mit den Augen. "Ich möchte nicht heiraten und eins von diesen langweiligen Leben führen, das aus Kredit, Schulden und Windelwechseln besteht." "Gut." John tat so, als wischte er sich erleichtert imaginären Schweiß von der Stirn. "Ich auch nicht. Aber in einer Sache muss ich dir widersprechen.“ "Die wäre?" Liz musterte ihn misstrauisch. "Wir müssen nicht sofort heiraten, aber du solltest wissen, dass ich dich doch einmal fragen werde. Später. Und du wirst ja sagen." "Du bist ja sehr von dir überzeugt, John", sagte Liz verächtlich und rollte mit den Augen. Ein seltsames, erleichtertes Gefühl machte sich in ihrem Inneren breit. Als wären ihr zehn Tonnen Steine vom Herzen gefallen. Als wäre das Sonnenlicht plötzlich heller und wärmer. Er schüttelte den Kopf und lächelte nachsichtig. "Nein. Ich bin überzeugt von dir." Sie starrte ihn durchdringend an, mit dem Ziel, ihn durch einen ihrer Blick zu töten. Aber er erwiderte ihn ruhig und überwand dann die restliche Distanz zwischen ihnen mit nur einem Schritt. Sehnsüchtig legte er die Arme um sie und presste ihren Körper an seinen. Ohne Einwände ließ sie es geschehen. Sie schauten sich schweigend an. "Und jetzt sag mir bitte, Lizzie, dass du mindestens genauso furchtbar wahnsinnig nach dem langweiligen Anwalt verrückt bist, wie er nach der irren Ausreißerin." Liz musste lachen, sie konnte nicht anders. "Na gut, du Langweiler. Ich bin furchtbar wahnsinnig verrückt nach dir", wiederholte sie belustigt. "Na endlich", murmelte John und küsste sie kurz. "Und als nächstes werden wir dann deine Eltern kennen lernen." Liz versteifte sich in seinen Armen. Alles in ihr schrie danach, wegzulaufen. Er verstärkte ihren Griff um sie. "Schön ruhig bleiben. Künftige Schwiegereltern lieben mich für gewöhnlich", witzelte er vergnügt. Liz knurrte. "Du bist ein Arsch, John, echt." Er lachte. "Das hört man doch gerne. Scheint, als wäre ich in deiner Gunst gestiegen." "Ich hab noch nicht ja gesagt." "Noch." "Vielleicht überlege ich mir das noch mal mit dir." "Da gibt es nichts zu überlegen." „Du bist ein arroganter Arsch", stellte Liz trocken fest und tippte ihm mit dem Zeigefinger auf die Brust. "Oh, noch eine Beförderung. Heute ist ein guter Tag. Als nächstes gründe ich eine Band und schreibe Texte über das Anwaltsein." "John..." Er unterbrach sie und verstellte die Stimme Elvis Presley-mäßig. "Nenn' mich Johnny, Baby." Sie legte ihm die Hand auf den Mund, um ihn zum Schweigen zu bringen, und warf ihm einen scheltenden Blick zu. "John gefällt mir besser." Er lächelte. "Mir auch." ________ Bereit für den Epilog?! :D Epilog: - Epilog - ------------------ Frustriert steckte John sein Mobiltelefon zurück in die Jackentasche und runzelte verärgert die Stirn. Der Höflichkeit halber klingelte er, obwohl er einen Schlüssel hatte. Falls Liz zu Hause sein sollte und er dort so unaufgefordert auftauchte, könnte sie das missverstehen. Aber andererseits - warum hätte sie ihm dann den Schlüssel geben sollen? Vieles an ihr verstand er noch immer nicht. Liz verwirrte, irritierte, und ärgerte ihn. Aber das war wohl normal, schätzte er. Frauen waren so. Unergründlich, lauter Rätsel. Als kein Summen an der Tür ertönte, benutzte er doch den Schlüssel. Er wusste, es hatte nichts zu sagen, dass niemand aufmachte, Wie erwartet, fand er sie in ihrem Büro vor. Konzentriert starrte sie auf den Monitor und hackte ohne Hinzusehen auf ihrer Tastatur herum. Als er klopfte und eintrat, sah sie nicht einmal auf. Noch sagte sie irgendetwas. "Liz", knurrte John genervt. "Verdammt. Ich versuche seit Stunden, dich zu erreichen. Warum gehst du nicht ans Telefon?" "Bist du deshalb früher von der Arbeit zurück?", murmelte sie abwesend. "Mein Handy liegt hier irgendwo." John fuhr sich mit der Hand durch die Haare und mahnte sich zur Geduld. "Na toll. Und ich dachte du würdest schon irgendwo auf der Themse herumtreiben oder so was ähnliches." Liz wandte sich nun doch von ihrem Notebook ab und sah ihn amüsiert an. Ein spöttischer Zug spielte um ihren Mund. "Warum sollte ich so etwas tun?" Er rang die Hände. "Na was weiß ich. Weil sie dich nicht genommen haben, oder sonst was. Du weißt doch, wie wichtig das heute war!" Liz nickte und wirkte immer noch belustigt. "Ja, für mich. Ich weiß gar nicht, warum du dich so aufregst." John ließ sich erschöpft auf die Couch fallen, die Liz in ihrem Büro stehen hatte. Sie ließ ihn nicht aus den Augen und beobachtete jede seiner Bewegungen. "Ich geb’ auf", stöhnte er matt. "Du schaffst mich. Wie ist es gelaufen?" Liz grinste. "Was glaubst du denn? Ich hab meinen ersten Auftrag." John richtete sich sofort kerzengerade auf und schaute sie mit großen Augen an. Jedes Zeichen von Erschöpfung war verschwunden. Er sah jetzt nur noch überrascht und gleichzeitig erfreut aus. "Ehrlich? Wow, toll. Schreibst du gerade daran? Worum geht es?" Er stand auf und versuchte, einen neugierigen Blick auf ihr Dokument zu erhaschen. Doch Liz drehte sich so herum, dass sie den Bildschirm mit ihrem Körper verdecken konnte. "Lass dich überraschen." Sie musterte ihn prüfend. "Wann ist noch mal diese Geburtstagsfeier von der zweiten Frau deines Vaters?", fragte sie wie beiläufig. John's Gesichtszüge fielen augenblicklich in sich zusammen. "Ich geh da nicht hin. Woher weißt du überhaupt davon?", brummte er grummelnd. "Phil hat es mir gesagt." "Warum sollte Phil dir so etwas sagen?", hakte John nach und musterte sie skeptisch. Liz zuckte unbeteiligt mit den Schultern. "Phil mag mich halt. Wir unterhalten uns manchmal. Solltest du auch mal versuchen." "Über mich?!" Liz lächelte verschlagen. "Vielleicht." "Was auch immer er dir erzählt hat", verteidigte John sich verärgert. "Glaub ihm nicht zu sehr. Er erzählt viel, wenn der Tag lang ist. Vor allem, wenn er sich in die Angelegenheiten anderer einmischen kann." "Er hat nur gesagt dass ihr eingeladen worden seid und er wissen möchte, ob du auch kommst, damit ihr zusammen hinfahren könnt." Aber dann sah sie John an und ihr Blick wurde weicher. Sie griff nach seiner Hand und tätschelte sie sanft. "Ich habe ihm gesagt, dass wir dort zusammen hingehen. Du und ich, John." ___ The End. :) Danke an alle, die es bis hierhin geschafft haben und nicht aufgegeben haben, obwohl es so lange gedauert hat. Ich hoffe, man sieht sich mal wieder. Vielen Dank für's Lesen, Kommentieren, Favorisieren, Reingucken, Mitfiebern, Mitärgern, Fehler suchen und vieles mehr. :) Bis zum nächsten Mal, vielleicht. Eure Eli. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)