All Your Other Ways von -Moonshine- ================================================================================ Kapitel 4: - John - ------------------- John landete auf einem Barhocker in einem kargen Backstagezimmer. Der fahle Lichteinfall ließ es irgendwie grau und viel zu hell wirken und die leeren, weißen Wände trugen nicht unbedingt zur Gemütlichkeit bei. An der Wand stand ein viel zu niedriger Tisch, auf dem eine Cola-Flasche, Gläser und ein halbes Dutzend Bierflaschen standen - die meisten von ihnen schon leer. Ein Garderobenständer aus Metall beherbergte Jacken und daneben war ein schmaler Wandspiegel angebracht, der das trostlose Zimmer widerspiegelte. In der Mitte des Raumes hatten die Jungs ihre Musikinstrumente gelagert. John schaute dem fröhlichen Treiben zu, dem Kommen und Gehen, bemerkte die fiebrige Erwartung von Luke und seinen Freunden und ihre aufgedrehte Stimmung. Ständig klatschten sie sich ab, machte doofe Witze oder schubsten sich freundschaftlich herum. John fragte sich, wann er eigentlich so alt geworden war, dass er sich nicht mehr innerhalb dieser Szenerie befand, sondern nur noch ein außenstehender Beobachter war. Aber im Grunde machte es ihm nichts aus. Er nahm einen Schluck aus der Bierflasche, die Luke ihm mit den Worten "Hier, entspann dich" in die Hand gedrückt hatte und fühlte eine angenehme Schläfrigkeit seine Schläfen hinaufkriechen. Möglicherweise war es aber auch der Alkohol, der langsam anfing, sein Gehirn zu vernebeln. John lächelte aus keinem besonderen Grund. "Hey!" Kenny kam zur Tür herein und hatte gerötete Wangen. "Die Bude ist voll! Alle warten auf uns!" Er strahlte, schien aber gleichzeitig furchtbar nervös. Kenny hatte seine schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und war mit seinen einundzwanzig Jahren der Jüngste der Band. Dann gab es noch den eher schweigsamen Ray, und Luke, den Ältesten der drei. John hatte zusammen mit Luke, der nur zwei Jahre jünger war als er selbst, Jura studiert. Sie waren keine besten Freunde, aber hin und wieder unternahmen sie etwas zusammen. Oder Luke versuchte ihm seine Musikideen zu verkaufen. Dieses Mal hatte er es geschafft, eine solche tatsächlich in die Tat umzusetzen. Nach fast zwei Jahren Suche nach den richtigen Bandmitgliedern, Proben im Kellerraum und unbezahlten Auftritten auf kleinen Open-Air-Bühnen in Parks und schmierigen Bars waren sie immerhin in Mayfair gelandet. Und wer in Mayfair war, der konnte es noch weit bringen. "Ja, man", stimmte Luke zu. Es ist schon nach neun. Man muss die Fans ja etwas warten lassen." Er lachte. "Auf geht's, Leute. John, sag dem Bartender Bo deine Getränke gehen auf uns." "Alles klar." John richtete sich auf. "Kommt Leute", rief sein Freund seine Kollegen zusammen. "Schnappt euch das Zeug und dann wird gerockt!" Alle lachten und schrieen "YEAH", nur John brachte ein müdes Lächeln zustande. Wenn er es sich recht überlegte, war er ganz froh, ein Außenstehender zu sein. John war bereits aus der Tür, die Luke für alle aufhielt, als er hinter sich ein gequältes Aufjaulen hörte. Erschrocken drehte er sich um und bekam gerade noch mit, wie Luke seine Hand aus der Spalte zwischen Tür und Türrahmen zog und sie sich mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt. Zwei seiner Finger waren innerhalb von Sekunden schnell in einem rötlichen Lila angelaufen und schwollen an. John zögerte, aber die anderen beiden Jungs stürmten sofort zu Luke. "Hey man! Alles klar?", fragte Kenny besorgt, packte seine Hand und hielt sie sich vors Gesicht. "Kannst du noch spielen?" Klar, dachte John. Dass das die erste Frage des Freundes war, überraschte ihn ein bisschen. Künstlerhände, ging ihm durch den Kopf. Wertvoller als der ganze Rest der Person. "Boah", staunte Ray. "Wie dick das geworden ist. Vielleicht sollten wir einen Krankenwagen rufen?" Luke stöhnte und jammerte währenddessen. "Verfluchte scheiße", schimpfte er erbost. "Das darf doch nicht wahr sein... Argh!" Kenny drückte ihm die Gitarre in die Hand. "Hier, probier’s aus", forderte er ihn auf. Luke hielt das Instrument fest und versuchte ein paar Akkorde, dann stöhnte er wieder gequält und gab auf. "Das ist meine Spielerhand, Leute. Es geht nicht. Wir müssen die Sache abblasen." "Hoffentlich muss die Hand nicht amputiert werden", warf Kenny ein, von dem John schon längst keine geistigen Höhenflüge erwartete. "Sonst können wir nie wieder auftreten." Luke entriss ihm verärgert das Handy, das er gerade rausgeholt hatte. "Gib her, ich ruf mir ein Taxi. Und du", wies er Kenny an, "geh du da raus und sag den Auftritt ab oder so." Kenny sah aus, als habe man einem Dreijährigen seinen Lolli weggenommen. "Aber...", stammelte er entsetzt, "das..." "Siehst du hier vielleicht noch einen Gitaristen mit einer gesunden Hand? Los, geh schon!", zischte Luke. "Ich halte sie hin. Vielleicht flickt der Doktor dich wieder zusammen", beharrte Kenny kleinlaut und zog geknickt ab, wie ein getretener Hund. Als er weg war, atmete Luke tief durch, seufzte dann schwer. "Das war's wohl. Sorry, Leute." Ray schwieg, während Luke versuchte, seine blauen Finger zu bewegen. Dann musterte er John prüfend. "Was ist mit ihm?", fragte er dann schließlich an Luke gewandt und deutete auf John. "Kann er spielen?" Luke hob den Kopf und blickte John mit geweiteten Augen überrascht an. Er sah ihn so an, als ob er ihn noch nie vorher gesehen hätte. John hob abwehrend die Hände. "Oh, nein. Wirklich. Das ist-" "Ja!", fiel Luke ihm begeistert ins Wort. "Ich hab dich spielen hören, damals, auf der Uni. Ich HAB schon mal mit dir gespielt. Du bist gut." Er drehte sich zu Ray um. "Er ist gut." "Na dann", sagte dieser schulterzuckend, als ginge es ihn überhaupt nichts an, "springt er halt ein." John lachte nervös - das konnte nur ein schlechter Scherz sein. Das konnten sie unmöglich ernst meinen. Die waren verrückt! "Moment mal, nein, nein", widersprach er. "Das ist keine gute Idee, echt nicht." "Warum nicht?", fragte Luke gut gelaunt. "Du kannst doch spielen?" Das war eine rhetorische Frage. "Ja, aber..." "Und du bist auch schon vor Publikum aufgetreten?" "In der Schule..." "Ist fast das gleiche." Luke strahlte wie tausend Sonnen. "Komm schon. Lass uns nicht hängen. Wenn wir das nicht durchziehen, sind wir weg vom Fenster, das weißt du doch. Nicht jeder kriegt so eine Chance und schon gar nicht zwei Mal." John zögerte und wusste, dass das sein erster Fehler war. "Aber... ich gehöre nicht zur Band, das würde doch..." "Niemandem auffallen. Heutzutage wechseln sich Bandmitglieder so schnell aus wie Unterwäsche. Alles okay. Mach dir keinen Kopf. Wir wären dir ewig dankbar." Bei diesen Worten nickte Ray unberührt. "Komm schon. Nur dieses eine Mal. Du bekommst auch einen Teil der Einnahmen." John ließ den Kopf sinken. So wichtig war es Luke damit, dass er sogar die paar Pfund mit ihm teilen wollte, die sie für den Auftritt verdienen würden. Er seufzte und gab sich geschlagen. "Na gut. Zeigt mir schnell die Akkorde. Aber euer Geld will ich nicht." Luke sah aus, als wollte er ihm gerne um den Hals fallen, beließ es aber bei einem freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. "Wow, danke, Kumpel. Und keine Angst, die Akkorde sich einfach, nur Wiederholungen. Kein Solo dabei diesmal." Daran hatte John noch gar nicht gedacht und war nun geschockt und erleichtert gleichzeitig. "Ich sag Kenny eben Bescheid", rief Luke schon im Weggehen. "Ray kümmert sich um dich." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)