The Wishmaker von -Moonshine- ================================================================================ Es ist ein kalter, beißender Wind, der mir ins Gesicht bläst, und ich versinke noch tiefer in meinem Schal, der mir ohne schon bis zur Nasenspitze reicht. Kleine, weiße Wölkchen bilden sich in der Luft, wenn ich ausatme, und verschwinden genauso schnell wieder im Nichts. Die Luft ist klar, wie Kristall, und riecht nach Schnee. Sie riecht nach weißem, kaltem, eisklarem Schnee. Der Boden unter meinen Füßen ist teilweise gefroren und ich muss gut aufpassen, nicht auszurutschen. Die Hände in den Taschen vergraben sehe ich mir die Autofahrer an, die an mir vorbeirollen, oder besser gesagt, ich betrachte ihre Autos. Die Marke interessiert mich nicht, lediglich die Farbe. Und wie so oft komme ich nicht umhin, zu bemerken, dass Rot und Silber die beliebtesten Farben der Automobilindustrie sind. Aus den Augenwinkeln sehe ich ein plötzliches Funkeln, eine kurze Reflexion des Sonnenlichtes, und ich drehe mich um und suche nun mit meinem Blick die Straße ab - die vereinzelten Autos, die darüber fahren, sind mir keine große Hilfe dabei. Noch ein flüchtiges Aufleuchten und ich sehe es. Da liegt ein Geldstück auf dem Asphalt. Ein Penny. Ich komme näher, bleibe am Rand des Bürgersteigs stehen und starre wie gebannt auf die Münze. Wer verliert einen Penny mitten auf der Straße? Während sich die Frage nur am Rande meines Bewusstseins kratzt, schweifen meine Gedanken ab in eine längst vergessene Zeit... "Auto!", brüllt jemand und sofort verlassen wir in einem Pulk von Kindern die Straße und stellen uns in einer Reihe am Rand auf, die eine Hälfte von uns auf der einen, die andere Hälfte auf der anderen Seite des Weges. Wir warten, bis das Fahrzeug vorbeigefahren ist und stürmen sofort wieder zu unserem Spiel. "Ich hab keine Lust mehr, da rumzuhüpfen", verkündet Allison, entfernt sich ein paar Schritte von uns und geht dann in die Hocke. Mit gelber Kreide malt sie einen großen Kreis auf den Asphalt und fügt dann nach kurzem Überlegen einen lächelnden Mund und zwei Augen hinzu. Ich zucke entschuldigend mit den Schultern in Richtung der anderen Mädchen und verlasse ebenfalls das "Himmel und Hölle"- Spielfeld. Allison malt derweil gelbe Sonnenstrahlen an die fröhliche Kugel und kneift vor lauter Konzentration die Augen zusammen. "Ich will nicht mehr mit diesen beiden Gänsen spielen", verrät sie mir laut flüsternd, ohne von ihrem Kunstwerk aufzusehen. "Die wissen immer alles besser und meckern nur rum." Ich nicke. Wir sind elf und Allison ist meine beste Freundin, deshalb ist es wichtig, dass wir einer Meinung sind. "Hey", sagte sie dann und grinst mich an. "Kommst du noch mit?" "Wohin?", will ich wissen, aber ich weiß schon, dass ich es tun werde. Sie steht auf und wischt sich den Kreisestaub von ihren roten Shorts. Die Blicke der beiden anderen Mädchen, die uns wahrscheinlich gehört haben, ignoriert sie einfach. "Ich hab noch was zu erledigen", verrät sie mir und klopft mit ihrer Hand gegen die Hosentasche, wo ein paar Münzen klimpern. Ich grinse. Allison will sich Süßigkeiten kaufen! Es ist also eine gute Entscheidung, mitzukommen, denn zu Hause gibt es selten etwas Süßes, und wenn, dann nicht viel. Allison ist ein nettes Mädchen. Mit mir teilt sie immer alles. "Okay", sage ich deshalb voller Vorfreude. Meiner Mutter sage ich besser nichts. Sie wird wissen wollen, wo wir hingehen, und dann fliegt der ganze Plan auf. Außerdem dauert es nicht lange, bis wir zurück sind, der Laden ist gleich um die Ecke. Sie wird nichts bemerken. Wir gehen ein paar Schritte nebeneinander her, bis die anderen uns nicht mehr sehen können, und dann holt Allison das Geld aus ihrer Tasche und hält mir ihre offene Handfläche hin, damit ich gucken kann. "Das sind ja nur Pennies", sage ich enttäuscht. Dafür kann man sich doch gar nichts kaufen! Allie nickt. Dann nimmt sie eine der Münzen, holt aus und wirft sie weg. Ich reiße empört die Augen auf und starre in die Richtung, in der das Geldstück verschwunden ist, und dann starre ich sie an. "Was machst du denn da?", sage ich entsetzt. Man schmeißt Geld nicht weg, nicht mal Pennies. Meine Mum hätte mir bei diesem Verhalten schon längst die Hölle heißgemacht. Allison lacht angesichts meiner entgeisterten Miene. "Ich bringe Glück!", ruft sie, hopst weiter die Straße entlang und wirft den nächsten Penny in den Vorgarten von Mrs. Hammond, deren Mann im März an einem Herzinfarkt gestorben ist. Mum hatte damals viel Zeit mit der alten Witwe verbracht und ihr hin und wieder auch etwas von unserem Mittagessen rübergetragen. "Glück?", echoe ich tonlos. Ich spähe über den Zaun, dessen weiße Farbe bereits abblättert, und muss dem Impuls wiederstehen, auf den Rasen zu laufen und nach der Münze zu suchen, um sie an mich zu nehmen. "Ja. Grandma sagt immer, wenn man einen Penny findet, bringt das Glück und man kann sich was wünschen. 'Siehst 'nen Pennie, heb ihn auf. Es folgt ein guter Tag darauf.' Ich will, dass die Leute, die das finden, Glück haben." Ich denke eine Weile darüber nach. "Aber...", widerspreche ich dann zögernd. "Ich glaube nicht, dass das so funktioniert..." Allie wirft mir einen verärgerten Blick zu. "Warum sollte es nicht funktionieren?" Ich zucke mit den Schultern und folge ihr zögerlich, während sie nach dem nächsten guten Ort Ausschau hält, um ihr Geld durch die Gegend zu schmeißen. "Meine Mum hat es mir erklärt", sage ich langsam. "Das nennt man Aberglaube. Das ist das gleiche, wie wenn eine schwarze Katze vorbeiläuft und man denkt, das bringt Unglück. Aber das stimmt nicht. Das ist alles nicht wahr, was die Leute darüber sagen." Nun bleibt Allie stehen und sieht mich streng an. "Warum ist das nicht wahr?", verlangt sie von mir zu wissen, aber darauf kann ich ihr keine Antwort geben, weil ich es selbst nicht weiß. Ich zucke also nur mit den Schultern. "Ist so", sage ich daher etwas ratlos, aber natürlich glaubt sie mir nicht. "Es klappt", beharrt sie entschieden. "Du wirst schon sehen. Wenn du auch mal einen Penny findest, wirst du sehen, dass es klappen wird. Und dann wirst du Glück haben." Ich bleibe nachdenklich am Straßenrand stehen, während Allie an das angrenzende Waldstück rennt tun ihren nächsten Pennie mit einem gezielten Wurf im Gebüsch versenkt. Mum sagt immer, Glück und Zufälle gibt es nicht. Alles ist geplant. Deshalb weiß ich nicht, ob ich lieber ihr oder Allie glauben soll. "Warum behältst du das Geld nicht einfach und sparst es, um dir nachher etwas davon zu kaufen?", stelle ich die Frage, die mich schon die ganze Zeit beschäftigt. So würde ich es zumindest machen. Allie dreht sich zu mir um und rollt die Augen, weil ich anscheinend noch immer nicht verstehe. Aber Geld auf die Straße zu schmeißen - das macht doch keiner! "Ich finde es toll, wenn jemand die Pennies findet und dann Glück hat oder sich ein Wunsch erfüllt. Das gefällt mir. Ich bin eine Wünscheerfüllerin", prahlt sie ziemlich stolz, und fügt noch hinzu: "Und außerdem brauche ich mir nichts zu kaufen. Mein Dad bringt mir immer etwas mit, wenn er in die Stadt fährt." Ich bin ein bisschen neidisch. Mein Dad bringt mir nie etwas mit, und meine Familie hat auch nicht so viel Geld, dass wir es uns erlauben können, es auf den Straßen zu verteilen. Allie hält eine letzte Münze hoch. "Guck, eine hab ich noch." Sie kommt auf mich zu und bleibt dann auf halbem Wege stehe. Dann lässt sie das Geldstück fallen und es landet auf dem Asphalt, in der Mitte der Straße. Ich schaue den Penny lange an und frage mich, wer den wohl finden wird... Ich muss lächeln, als ich mich erinnere. Und dann sehe ich in den Himmel hinauf, in den kalten und klaren Himmel, eisblau und wolkenlos. Obwohl ich nicht weiß, ob ich an Gott und die Vorstellung von dem Leben nach dem Tod glaube, gefällt mir der Gedanke, Allie ist irgendwo da oben und schaut auf mich herunter. Oder dass sie mir diesen Penny geschickt und ihn mitten auf die Straße geworfen hat, so wie damals, um mir Glück zu bringen. Dann sehe ich wieder auf den Asphalt und warte, bis die Ampel auf rot springt und der Weg frei ist. Ich haste auf die Straße, bücke mich und hebe den Penny auf. Er fühlt sich eiskalt an in meiner Handfläche und er ist schmutzig vom ganzen Dreck und Matsch. Aber es ist ein Penny. Und er bringt Glück. Zumindest werde ich das jetzt wohl herausfinden, wie Allie es mir damals prophezeit hat. Ich schicke ein Lächeln in den Winterhimmel. Danke. Ich vermisse dich, füge ich noch in Gedanken hinzu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)