Bad News von Pansy ================================================================================ Kapitel 16: Shadows and Dreams ------------------------------ Shadows and dreams "Fürchtest du dich vor deinem Vater?" "... Nein!" Er ballte die Hand zur Faust. "Mein Dad ist einfach abgehauen, als ich noch so klein war wie du. Ich kenne ihn im Prinzip nur von Bildern und Erzählungen..." "..." "Mein Großvater spricht mit mir über ihn, wenn ich darum bitte. Er ist sein Dad, aber er erwähnt den Namen seines Sohnes nur widerwillig..." Mit sehnsuchtsvollen und traurigen Augen sah Nichlas weiterhin aus dem Fenster. Sein Antlitz spiegelte sich kaum sichtbar auf der Glasscheibe wider. "Ich will nicht glauben, dass mein Dad ein Nichtsnutz ist, der vor der Verantwortung wegläuft. Ich will diese Meinung meiner Mom nicht haben!" Während er auf die Knie sank, glitt seine Hand an der Fensterscheibe entlang und hinterließ darauf feuchte Spuren. "Und du hast ihn hier gesehen?" "Ja.", erwiderte er nach einem Moment des Schweigens. "Doch..." Er sah lange auf seine Hände und versuchte sich nicht für verrückt zu erklären. "Doch es war nur ein Schatten!" Es klopfte unerwartet an der Tür und die beiden Kinder erschraken. Die Tür wurde vorsichtig geöffnet und ein Kopf mit dunklen braunen Haaren wurde durch den Spalt gestreckt. "Hallo Robby!" Rob erblickte Nichlas unter dem Fenster sitzend. "Hi. Wie ich sehe hast du schon Besuch. Ich schaue später wieder vorbei." Ein liebevolles Lächeln entgegnete er dem verdutzten Mädchen und die Tür fiel sodann wieder ins Schloss. Die beiden Kinder warfen sich einen kurzen Blick zu, gefolgt von bedächtigem Schweigen. Vici strich sich die Haare hinter die Ohren, beugte sich zur Seite und öffnete eine Schublade des Schränkchens, das neben dem Bett stand. Nachdem sie eine Weile darin gewühlt hatte, zog sie letztendlich ein kleines Album heraus. Das bunte Buch, dessen Einband reichlich mit kleinen Blümchen geschmückt war, lag sicher in ihrer Hand. Sie stand auf und setzte sich auf den Stuhl in der rechten hinteren Ecke des Raumes, von dem aus sie gut aus dem Fenster blicken konnte. Behutsam legte sie das Album auf ihre Beine und strich vorsichtig mit der rechten Hand über den Einband. Während sie das tat, dachte sie an ihren Bruder, der ihr so fehlte. Ohne Nichlas Beachtung zu schenken, der sie aufmerksam beobachtete, begann sie in dem Büchlein zu blättern und ließ ihre Augen lange über jede einzelne Seite schweifen. Die Fotos von sich und Robert zogen sie in den Bann, die Zeilen, die darunter standen, konnte sie aber noch nicht lesen. Die schwarzen, fein geschwungenen Buchstaben hatten für sie keine Bedeutung, lediglich und ausschließlich die Bilder konnten ihr Interesse wecken. "Darf ich auch mal?" Gedankenverloren sah Vici auf und direkt in Nichlas etwas rundliches Gesicht. Er deutete auf das Album und seine Geste beinhaltete fast schon ein unnachgiebiges Flehen. Nach einem Blick zurück auf die Fotos der gerade aufgeschlagenen Seite gab sie sich einen Ruck und überreichte dem Jungen das Buch. "Sei vorsichtig!", mahnte sie ihn mit erstickter Stimme. Er nickte und setzte sich zusammen mit dem Album auf den Boden, der eigentlich zu kalt dafür war, was ihn aber nicht störte. Er sah nämlich gerade einen Jungen vor sich, der wirklich sein Zwillingsbruder sein könnte. Das Foto, das Rob ihm gezeigt hatte, hatte ihn schon verblüfft, doch er wollte sich einen noch stärkeren Eindruck davon verschaffen, dass es jemanden auf der Welt gegeben hatte, der ihm dermaßen geglichen hatte... Vici kletterte vom Stuhl und stellte sich ans Fenster, schaute hinaus in den Nebel. Die Häuser waren nur graue und schwarze Facetten im Dunst des Morgens. "Er ist wegen mir gestorben." Nichlas schluckte, das Mädchen unbeholfen anblickend. "Ich bin der Grund für seinen Tod." Wiederum schluckte Nichlas, in der Hoffnung, seine Stimme wieder zu bekommen. "Ich...", ein raues Krächzen begleitete seine Antwort. "Ich glaube nicht, dass du etwas dafür kannst. Unfälle passieren jeden Tag, ohne dass jemand Schuld daran hat. Warum solltest gerade du für seinen Tod verantwortlich sein, die für ihn mehr Liebe empfindet als jeder andere auf der Welt?" Kurze Pause. "Weil er auf der Straße war mit meinem Geburtstagsgeschenk in der Hand." Die beiden sahen sich nicht an und die Atmosphäre wurde zunehmend bedrückender. Vici zupfte an den Fransen des Vorhangs mit den kleinen Fingern ihrer Hände, warf ab und zu einen traurigen Blick hinaus, durch den Nebel hindurch auf Robert, der tot auf der Straße lag. Ihre Vorstellungskraft formte diese Szene der Verzweiflung und des Schuldgefühls. "Gott bestimmt über Leben und Tod." "..." "Gott gibt unser Schicksal vor. Du trägst nicht die Schuld, glaube mir." "Gott?" Sie zögerte, doch hob den Kopf und sah hinauf gen Himmel. "Gott hat mir meinen Bruder genommen?" "Ich glaube schon." Nichlas ging zu Vici und stellte sich genau neben sie. "Mein Großvater sagt, Gott würde oft seltsame und für uns Menschen unverständliche Dinge tun. Er wollte auch, dass mein Dad uns verlässt..." "Gott nahm Robert fort von mir?" "Er nahm ihn zu sich in den Himmel." "Kann er mich von da oben sehen?" "Ich weiß es nicht. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Nur er weiß es." "Sieht er meine Tränen?... Er konnte es nicht leiden, wenn ich weinte." "Kann schon sein." Mit den Achseln zuckend sah er sie von der Seite an. Ihre Wangen waren zartrosa und der kummervolle Ausdruck in ihren Augen ließ ihn für einen Moment an Gott zweifeln. Wie konnte er nur zulassen, dass so ein junges Mädchen dermaßen litt? Rob saß in der Cafeteria des Krankenhauses, vor ihm auf dem Tisch lag ein Buch, in dem er eifrig las, und daneben eine Tasse mit heißem dampfenden Kaffee. Bei dem Buch handelte es sich um eine Sammlung von Gedichten und Werken von berühmten Persönlichkeiten wie Shakespeare oder Goethe. Er hatte kein bestimmtes Vorbild, denn er fand, dass jeder Autor eine gewisse Gabe für das Schreiben und Darlegen von Gefühlen und Gedanken besaß. Kritik, ob positiv oder negativ, wollte Rob auch nie an den Werken, Romanen und Büchern ausüben, da er sich dazu nicht berechtigt fühlte. Seiner Ansicht nach hatte jedes Buch oder Gedicht, das er bis jetzt gelesen hatte, seinen Reiz und seine eigene kleine Geschichte, die er akzeptierte oder einfach genoss und sich darüber freute, dass er die Chance hatte, gedanklich ein Teil von ihr zu werden. "Da bist du ja!" Rob klappte sein Buch zu und man konnte den Titel lesen. Die goldene Schreibschrift auf dem Einband formte die Worte 'Gefühle des Schicksals'. "Ich habe dir nicht verschwiegen, dass ich heute ins Krankenhaus gehen wollte." Auffordernd sah er Niki an und widmete sich gleich darauf seinem Kaffee, in dem er erst ein paar Mal mit dem Löffel rührte, die Tasse dann an die Lippen ansetzte und ein oder zwei Schluck daraus in sich aufnahm. Sie schob den Stuhl, der ihm genau gegenüber halb unter dem Tisch gestanden hatte, ein Stück zurück, schwang ein Bein über ihn und setzte sich breitbeinig darauf. "Seit gestern Nacht sprichst du nur noch das Nötigste mit mir. Habe ich dich etwa gekränkt?" Lange sah er sie an, dachte über sie und sich nach, schüttelte aber dann den Kopf. "Was ist es dann, Rob? Können wir nicht einfach darüber reden?" "Du..." Er geriet ins Stocken und wandte sich zur Seite. "Ja? Was ist mit mir? Bitte, sag es!" "Du hast mir bewusst gemacht, dass ich eine so große Angst um meinen Vater habe, dass ich nicht weiß, wie ich mit ihr umgehen soll..." Niki nahm seine Hand, die bisweilen auf dem Buch gelegen hatte, in ihre beiden. Die Wärme, die von ihnen ausgingen, fühlte sich gut an. "Du bist nicht alleine. Du hast mich und deine Mom und Mandy, die dir beistehen und dich in den Arm nehmen, wenn du Halt brauchst. Dein Vertrauen zu uns hilft dir über alle schwere Zeiten hinweg und deine Liebe wird dich stärken und dir Mut verleihen." Rob versuchte sich an einem Lächeln, das jedoch eher wie ein verzweifelter Hilferuf aussah. Noch fester seine Hand drückend beugte sich Niki über den Tisch und küsste ihn auf die blasse Wange. "Ich muss jetzt gehen. Machs gut und denk daran, dass ich dich richtig lieb habe!" Sie ging und Rob saß wieder ganz alleine am Tisch. Er schlug die Seite 49 seines Buches wieder auf und las für einen Moment dort weiter, wo er vor wenigen Minuten unterbrochen worden war. /Die Angst schleicht sich in mein Herz und die Liebe und Besorgnis um meinen Dad wird täglich größer und beginnt zu schmerzen. Der Tod ist nicht aufzuhalten, aber ich frage mich, warum ich solche Qualen erleiden muss. Warum er?/ "Hast du wirklich deinen Vater hier gesehen?" Nichlas Augen weiteten sich und seine Angst kehrte plötzlich zurück. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken und ließ seine Haare aufrichten. Ihn fröstelte ein wenig. "Ich hatte das Gefühl, als ob er mich aus der Dunkelheit heraus beobachtet hätte. Ich dachte, eine Gestalt zu sehen und ging auf sie zu. Doch je näher ich ihr kam, desto mehr verblasste sie. Sie sah aus wie mein Dad, doch als ich versuchte, sie zu berühren, bekam ich nur die kalte Wand zu spüren." "Oh, das tut mir Leid." "Das braucht es nicht. Ich zweifle fast selbst schon an meiner Glaubwürdigkeit. Eventuell habe ich mir alles nur eingebildet." "Nein, das glaube ich nicht. Vielleicht wollte er sich dir nur nicht zeigen." Unschuldig sah Vici Nichlas in die grünen Augen, die sie durchdrangen, was ihr im Herzen wehtat. Dieselben ausdrucksstarken Augen wie Robert und doch sah sie ganz andere Eigenschaften und Gefühle darin. Robert war viel offener und glücklicher gewesen, und er hatte jeden Tag seines Lebens genossen und sehr viel gelacht. In Nichlas strahlte nicht diese Freude und Glückseligkeit, er war dafür leidenschaftlicher, was seine Gefühle anbelangte. Vici spürte das Verlangen nach seinem Vater, die Sehnsucht, ihn einmal wieder zu sehen. Er war ihr so ähnlich, was ihr Bruder nie gewesen war. Als sie begriff, dass auch Nichlas einen lieben, verloren geglaubten Menschen ersehnte, regte sich in ihr etwas. Ein Gefühl, das sie vermisst hatte. Die Verbundenheit zu einer Person, die nicht sie selbst war... Nachdem Nichlas von seiner Mutter abgeholt worden war, hatte nur wenige Minuten später Rob das Zimmer betreten. Das kleine Mädchen schien erschöpft zu sein. Zu viele Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Ihre zart beseidete Seele litt unter den vielen Gefühlen und Empfindungen. Zwar freute sie sich über die Anwesenheit von Rob, doch sie wollte erst einmal allein sein. "Ich bin müde und möchte ein bisschen schlafen." "Das verstehe ich. Dann werde ich morgen vielleicht wieder vorbeischauen, aber nur wenn dir das recht ist?" "Mhhmh." Ihre Augen flehten Rob an, endlich zu gehen, was er letztendlich auch tat. Er wollte sie keinesfalls belästigen oder gar bedrängen. Leise schloss er die Tür hinter sich und sank an sie. Denn er selbst wollte bei jemandem und nicht einsam sein. Die Gedanken an seinen Vater nahmen immer mehr zu und er drohte daran zu ersticken... Durch lautes und gleichmäßiges Ein- und Ausatmen versuchte Rob mühevoll sich zu beruhigen. Er ging ein paar Schritte vorwärts und hielt sich währenddessen die linke Hand auf die Brust. Ihre Finger bohrten sich krampfhaft in die Kleidung, aber er spürte den Schmerz nicht, den er sich damit selbst zufügte. Sein Gesicht verformte sich zu einer finsteren, leidvollen Grimasse. Die Augen hatte er fest geschlossen, er konnte den Anblick dieses Krankenhauses nicht mehr ertragen. Fast im Blindflug rannte er durch die Gänge, stürzte beinahe über ein Krankenbett, das gerade über eine Gabelung zweier Flure geschoben wurde; rannte hinaus und immer weiter in der Hoffnung, den ganzen Schmerz dort zurücklassen zu können. Sein Puls raste und das Seitenstechen wurde zunehmend schlimmer. Als er beinahe keine Luft mehr bekam und nach ihr rang, hielt er inne und beugte sich nach vorne arg keuchend. Seine dunklen Haare fielen vornüber und verdeckten für die wenigen Passanten seine Tränen, die er nun verströmte. Der ganze Kummer und Schmerz, der sich in ihm in den vergangenen Wochen angesammelt hatte, verflüssigte sich gerade und bahnte sich seinen Weg aus ihm heraus. Die Tränen kamen und schienen kein Ende zu nehmen. Vertraute Bilder zogen vor seinem inneren Auge an ihm vorüber; Bilder von seinem Dad aus Kindheitstagen und aus der Gegenwart, der grausamen Wirklichkeit. Rob sank auf die Knie den feuchten Boden dabei nicht beachtend. Seine Hände stützte er auf den kalten Untergrund auf und nun weinte er auf allen Vieren. /Ich wusste nicht, dass ich so viel Trauer in mir trage. Ich verbringe zu viel Zeit im Krankenhaus, die bedrückende Atmosphäre scheint sich auf mich zu übertragen. Vielleicht sollte ich Vici von nun an ihrem Schicksal überlassen und mich lieber ausschließlich meinem Dad widmen. Es bleiben uns nur noch ein paar Monate oder Wochen, möglicherweise nur noch wenige Tage-/ Er zog seine Hände aus den warmen Manteltaschen und hielt sie vors Gesicht. Der Nebel, der den ganzen Tag über nicht gewichen war, legte seinen grauen Schleier um Rob. Aus der Ferne war er nur noch eine schwarze Gestalt, die reglos auf einer Brücke stand... /Der Fluss verbirgt sich heute vor mir; nur das Rauschen des Wassers dringt leise und beständig in mein Ohr. Die Welt ist ein einziger Grauschleier, der Vorhang verdeckt jedes Licht am Horizont. Trüb und verlassen erscheint meine Umgebung; sie könnte meine Gedanken widerspiegeln. Mein Herz schlägt zwar, doch für wen? Für die Menschen, die mir weggenommen werden? Für die Person, die ich liebe und die ich brauche? Was für eine Welt ist das nur.../ "Ich bin so schnell gekommen wie ich konnte." Laut atmend lehnte sich Niki an die Brüstung und strich sich mit einer Hand die Strähne aus dem verschwitzten Gesicht, die sich beim Rennen aus dem Zopf gelöst hatte. "Gleich nach deinem Anruf, habe ich mich daheim losgesagt und mich auf den Weg hierher gemacht. Bei dieser Witterung konnte ich nicht schneller fahren, tut mir Leid-" Sie verstummte, als Rob plötzlich zusammenbrach. Seine Lethargie jagte ihr einen weiteren Schrecken ein. Den ersten hatte sie an diesem Tag bekommen, als sie seine Sorge im Gray-Warrn-Hospital verspürt hatte. Sie kniete sich zu ihm herab und legte ihre Hände auf seine Schultern. "Rob? "..." "Rob! Sag doch was!" Doch sie erhielt noch immer keine Antwort. Deshalb hob sie sein Gesicht an und ein kurzer Blick in seine dunklen Augen genügte. Sie fühlte seine fiebrige Stirn. "Oh mein Gott..." Nachdem sie ihm auf die Beine geholfen hatte, versuchte sie ihn zu ihrem Auto zu bringen. Ohne jedwede Reaktion schlurfte er unbeholfen neben ihr her und sein ganzes Gewicht lastete auf ihr. Niki hatte zu kämpfen, denn Rob war um einiges größer und schwerer als sie, aber sie durfte keine Zeit verlieren und ertrug die Schmerzen heldenhaft, die ihr zugetragen wurden. Als sie endlich im Auto saßen, betrachtete sie ihren schweigsamen, kranken Freund. /Er muss ins Bett, sein Fieber scheint zu steigen./ In Robs Wohnung überzeugte Niki Rob davon, erst einmal die feuchte Kleidung abzulegen. Doch Rob konnte keine Kraft aufbringen und so musste sie ihm bei der Jeans helfen, die an seinen muskulösen Beinen klebte; er fühlte sich richtig schwach. Mit einer Jogginghose in der Hand schob sie ihn in sein Schlafzimmer, drückte ihm die Hose in die Hand und deutete ihm an, dass er sie anziehen solle, während sie einen Tee zubereiten wolle. Als ein kleiner Topf gefüllt mit Leitungswasser auf der Herdplatte stand, ließ Niki sich am Küchenschrank hinab gleiten, bis sie schließlich auf den hellen Fließen saß. Mit geschlossenen Augen stützte sie ihren Kopf an den Schrank, faltete ihre Hände und schob sie zwischen die angewinkelten Knie. /Rob... er hat sich 'aufgeopfert' für die Menschen, die ihm nahe stehen. Sein Körper rebelliert nun gegen die schlaflosen Nächte, die er verleben musste, da ihn seine Sorgen auch dann nicht losgelassen hatten./ Glitzernde Perlen sammelten sich unter ihren Lidern und eine kleine Träne bahnte sich ihren Weg über eine ihrer zartrosafarbenen Wangen. Als sie endlich das laute Sprudeln des kochenden Teewassers vernahm, hatte dieses bereits Spuren auf dem Herd hinterlassen. Niki griff nach dem gelben Lappen, der hinter dem Wasserhahn des Spülbeckens lag, und wischte die nassen Stellen vorsichtig weg. Der heiße Dampf, der immer noch aus dem Topf aufstieg, kroch über ihre Haut und sie zog mit schmerzverzerrtem Gesicht ihre Hand weg. Schnell ließ sie kaltes Wasser über sie laufen und wickelte sie anschließend in ein Handtuch. Dann goss sie den Inhalt des Topfes in die Kanne mit den drei Teebeuteln. Sie hielt sich die verbrannte Hand vors Gesicht- /Seine Schmerzen sind nicht körperlich. Ich bete von Herzen, dass er den bevorstehenden Tod seines Vaters verkraften wird./ Mit einer Tasse, aus der der heiße Tee nur so dampfte, kehrte sie ins Schlafzimmer zurück. Rob lag schweißbedeckt im Bett, die Decke bis zum Hals hochgezogen. Fröstelnd starrte er an die Decke und beachtete seine Freundin nicht, als sie ein kaltes, nasses Tuch auf seine Stirn legte. Sie strich ihm zärtlich über den Kopf und küsste ihn ganz sanft auf die Backe. "Werde bald wieder gesund, hörst du!?" Ihre Stimme verlor sich fast in der Stille und Dunkelheit, die an diesem Tag schon seit dem Morgengrauen vorherrschten. Langsam drehte Rob seinen Kopf und lächelte liebevoll. "Sicher." Er schlief ein und gab sich der süßen Wollust seines Traumes hin. Das Lächeln, das ihn im Schlaf begleitete, beruhigte Niki ein wenig, die die ganze Nacht an seinem Bett saß und immer das Tuch neu befeuchtete, wenn dieses warm war. Selbst tat sie kein Auge zu, denn sie traute sich nicht einzuschlafen, in der Sorge, Robs Fieber könnte erneut steigen. "Die Liebe wird mir zuteil; genau die, nach der ich mich sehnte. Die Einsamkeit wird zur trauten Zweisamkeit..." Niki lauschte Robs Worten, die er schlafend vor sich hin murmelte, konnte dennoch nur einzelne Silben davon verstehen. "Ein Teil meines Herzens geht verloren, aber ich habe einen neuen hinzugewonnen. Und diesen wird mir keiner so schnell nehmen, denn ich hänge sehr an ihm..." Gegen acht Uhr wachte Rob auf und sah Niki, wie sie halb neben ihm auf dem Bett lag und ruhig schlief. /Sie war die ganze Zeit hier, um sich um mich zu kümmern. Ihre Müdigkeit hatte sie dabei nicht beachtet.../ Er fühlte das kühle Tuch auf seiner Stirn. /...nur um mein Fieber zu senken./ Noch ein wenig schwach strich er mit der rechten Hand sanft über ihre Lippen, was ein Lächeln auf seinen hervorrief. /Traute Zweisamkeit.../ "Ich habe heute nacht eine wichtige Entscheidung getroffen..." Sie sah ihn müde an. Sie saßen gemeinsam am Frühstückstisch, denn Rob ging es wieder besser dank Nikis nächtliche Wache und Einsatz. "Wenn ich damit nur nicht falsch liege..." "..." "...ich möchte meine freie Zeit nur noch mit meinem Dad verbringen." Rob blickte schuldbewusst auf. "Klingt das selbstsüchtig und egoistisch? Ich mache mir Vorwürfe wegen Vici... ach, ich weiß nicht, ob das richtig wäre. Schließlich hat sie morgen Geburtstag und ich verspüre deswegen einerseits eine Heidenangst und andererseits eine große Erleichterung, weil ich glaube, dass sie in Nichlas einen Freund gefunden hat, an dem sie festhalten kann." Nach ein wenig Überlegen, entgegnete Niki: "Wie wär's, wenn du ihr morgen gratulierst und dich dabei mehr oder weniger vorübergehend von ihr verabschiedest. Sie wird erst sechs Jahre alt und findet noch jede Menge Freunde, doch dein Vater liegt im Sterben und wird dich für immer verlassen; ihn kannst du nicht ersetzen." Er nickte, presste dabei die Lippen fest zusammen und weitete die Augen. "Gut... Nichlas wird sich schon um sie kümmern." "Das denke ich auch, zumal es kein Abschied für immer wird. Außerdem scheint Nichlas ein guter Junge zu sein. Wie du dir selbst eingestehen musst, brauchst du dir nicht unnötig Sorgen machen." "Ja, er ist wirklich ein liebenswerter Junge. Vici ist bei ihm gut aufgehoben." "Das war sie bei dir auch." "Danke, aber du musst jetzt nichts sagen, damit es mir besser geht." "Tu ich ja auch nicht. Ich sage dies aus vollem Ernst und aus der Überzeugtheit heraus, dass dies der Wahrheit entspricht." Ein glücklicher Gesichtsausdruck begleitete Robs funkelnde dunkle Augen. "Danke." "Komm schon her..." Eine innige Umarmung rundete das Gespräch ab und berührte beide tief im Herzen. "Ursprünglich wollte ich heute nicht hierher kommen, aber du bist die einzige, die von meinem Erlebnis weiß. Daheim habe ich es nicht mehr ausgehalten, weil meine Mom mich und das, was ich mache, ständig beobachtet und das nervt mich. Ich möchte ihr nichts erzählen, doch sie kann es einfach nicht verstehen. Als sie mich heute morgen fragte, über was wir uns unterhalten haben, wollte ich nur noch weg... na ja und jetzt bin ich hier." Beschämt blickte Nichlas zu Vici, die ihn anstrahlte. "Ich freue mich über deinen Besuch." Erleichtert nahm er Platz und er verspürte sogleich wieder den Drang, den er schon seit dem Aufstehen gehabt hatte: er wollte ein bisschen reden. "Wenn ich ehrlich sein darf... ich möchte meinen Dad mal wieder sehen. Ich verstehe nicht, warum er mich so lange nicht besucht hat. Ich verstehe auch nicht, warum er damals einfach weggegangen ist... er soll es mir selbst erklären." Nichlas wusste zwar, dass Vici ein paar Jahre jünger war und noch weniger von seiner Situation verstand, doch er fühlte sich in ihrer Gegenwart vielleicht sogar genau aus diesem Grund einfach sicher. Außerdem genoss er es, seine Gefühle preisgeben zu können, ohne dass ihn jemand dafür verurteilen konnte oder ihn unnötig bemitleidete. Die kleine Vici strahlte so viel Wärme aus, die es ihm ermöglichte, sich wohl zu fühlen und keine Angst zu haben, er könne was falsches sagen und sich blamieren. "Hast du ein Bild von ihm?" "Ja, sogar mehrere." "Dann sieh sie dir an und denke ganz fest an ihn." "Aber... das ist nicht das gleiche." "Wenn ich mir die Bilder von Robert ansehe, dann habe ich das Gefühl, er steht neben mir und ist mir ganz nah." Für einen Moment glitzerten einige Tränen in ihren Augen, doch so schnell sie aufleuchteten waren sie auch wieder verschwunden. Vici hatte sich nämlich vorgenommen, seit Nichlas ihr gesagt hatte, ihr Bruder könne sie sehen, nicht mehr so viel zu weinen. Und es hatte den Anschein, als solle ihr das gelingen. "Dann will ich es noch einmal versuchen. Wenn ich nachher wieder zuhause bin, werde ich die Fotos aus meinem Versteck holen und so fest an ihn denken, dass er bei mir ist." Vici lächelte ausgelassen und sie strahlte übers ganze Gesicht. So glücklich hatte Nichlas sie in den vergangenen zwei Tagen nicht erlebt, aber es stimmte ihn ebenfalls froh. /Aber irgendwann soll er mir seine Handlung erklären./ Die nächsten Stunden verbrachten die beiden Kinder mit spielen und ihr Lachen konnte man teilweise durch den ganzen Flur vernehmen. /Morgen werde ich ihr vorübergehend lebe wohl sagen. Hoffentlich versteht sie, dass mein Dad meine Anwesenheit jetzt mehr benötigt als sie. Für ihr Alter ist sie wirklich klug und äußerst verständnisvoll. Es wird keine Probleme geben, oder doch?/ Während Rob auf dem Weg zu seinem Vater war, kam er an der Kinderstation vorbei. Für einen Augenblick blieb er stehen, sah in den langen Gang hinein und schluckte. Mit viel Mühe konnte er sich selbst dazu zwingen weiterzugehen und jetzt keinen Fehler zu begehen, den er früher oder später nur bereuen würde. /Mein Dad braucht mich und ich brauche ihn. Ich muss mir jetzt erst mal selbst helfen.../ Als Rob das Zimmer seines Vaters betrat, erlebte er eine Überraschung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)