Bad News von Pansy ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Connection or not? /Aber er sagte doch, dass er bis jetzt nichts gemerkt hatte. Ich dachte, dass mein Anfall vorhin schon ungewöhnlich war. Was ist heute nur los?/ Rob wusste nicht mehr ein noch aus. Er konnte kaum glauben, dass er sich in der Realität befand. Für ihn schien dieser Tag eher ein schlechter Alptraum zu sein, aus dem er endlich erwachen wollte. Warum konnte seine Mutter ihn nicht wecken und sagen 'es ist Zeit zum Aufstehen, die Schule fängt bald an'?. Verwirrung und Verzweiflung beherrschten seine Sinne. Seine Motorik spielte völlig verrückt. Seine Hände zitterten, seine Augenlider fingen an zu zucken und er bekam weiche Knie. Rob schüttelte sich, das alles sollte aufhören. /Ich werde noch verrückt! Ich werde noch völlig durchdrehen, wenn das so weiter geht./ Er schloss die Augen und atmete einmal tief durch. „Okay, ganz ruhig. Ich geh erst mal ins Krankenhaus und schau nach Dad. Vielleicht renkt sich dann alles wieder von ganz alleine ein.“, sprach er zu sich selbst. Obwohl er immer noch völlig durch den Wind war, nahm er den Autoschlüssel in die Hand und verließ seine Wohnung. Die kühle Abendluft strich lindernd über sein erhitztes Gesicht. Es war schon relativ dunkel und man konnte nur Robs Silhouette erkennen, die sich in Richtung Auto bewegte. Er besaß einen kleinen dunkelblauen Corsa, Baujahr 1997. Die Türe klickte laut beim Öffnen und Rob war im Begriff einzusteigen, als sich plötzlich ein schwarzer Schatten näherte. Er wurde zunehmend größer und nahm Gestalt an. Da jedoch die Straßenlaternen noch ausgeschaltet waren, konnte Rob unmöglich erkennen, was es war. Das bedrohliche Etwas steuerte direkt auf ihn zu; Rob wich zurück. Er rieb sich kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete war nichts mehr zu sehen; es war weg, spurlos verschwunden. /Jetzt sehe ich schon Gespenster! Ich muss endlich wieder zur Vernunft kommen, sonst kann das noch ein böses Ende mit mir nehmen./ Rob drehte bedächtig den Kopf von einer Seite zur anderen und stieg in seinen Wagen. Er wollte so schnell wie möglich im Krankenhaus sein, vor allem um wieder 'normal' zu werden. Dabei fuhr er etwas zu schnell, passte aber auf, dass er nicht mehr als 10 km/h zu viel auf dem Tacho hatte, um nicht zu allem Übel auch noch die Polizei auf sich zu lenken. /Wenn mich jetzt jemand so sähe, würde wahrscheinlich gleich denken, ich stehe entweder unter Alkohol oder unter Drogen, oder vielleicht beidem./, dachte er. Sein linkes Auge fing während der Fahrt plötzlich an zu tränen und Rob kniff es kurz zu, um wieder klar sehen zu können. Es dauerte wirklich nur einen Augenblick, aber der war lange genug, dass er nicht gesehen hatte, dass die Ampel vor ihm auf rot umgesprungen war. Er trat die Bremse bis zum Anschlag durch. Als er genau vor der Haltelinie noch zum Stehen gekommen war, umklammerte Rob immer noch das Lenkrad fest mit beiden Händen. Der Griff war so stark, dass die Adern hervortraten, die grün-blau im fahlen Licht des Armaturenbretts schimmerten. „Puhh, das war knapp!“, stöhnte Rob. Allmählich entkrampfte er sich, die Hände lösten sich vom Lenkrad und er strich sich übers Gesicht und durch die Haare. Als die Ampel wieder grün war, fuhr er weiter und sah nach wenigen Minuten schon das große weiße Gebäude mit den vielen aneinandergereihten Fenstern und kleinen Balkonen. Es war recht symmetrisch gebaut, der Eingang in der Mitte (eine Automatik-betriebene Drehtür, die so groß war, dass locker zwei Rollstühle nebeneinander durchpassten) und links und rechts zweigte das Krankenhaus je in einem rechten Winkel ab, so dass es fast einen vollständigen Halbkreis bildete. Der Hof davor war weitgehend gepflastert, im Zentrum befand sich eine mittelgroße, runde Rasenfläche, die durch eine Reihe grau-weißer Marmorsteine abgrenzt war. Rob sah das Schild 'Gray-Warrn-Hospital', das hell in der fortgeschrittenen Abenddämmerung leuchtete. Das Krankenhaus war überaus modern, denn es war vor drei Jahren vollständig erneuert und mit den neuesten Geräten und Techniken ausgestattet worden. In Bezug auf Krebsforschung waren dort die besten Ärzte des Landes angestellt, die zum Teil selbst nach weiteren Bekämpfungsmethoden forschten. 'Gray-Warrn' war zudem ein sehr gängiger Name in Hither-Mountain, denn die Personen, die diese Namen getragen hatten, waren berühmte und erfolgreiche Wissenschaftler gewesen, die durch ihre Arbeit vielen Menschen geholfen hatten wieder zu genesen. „Hallo Mandy. Wie geht es Dad?“, fragte Rob. Er sah seiner Schwester erwartungsvoll ins Gesicht, das schon wieder sehr alt aussah, denn die Augenringe und die Stirnfältchen kamen wie neulich voll zur Geltung. Ihre Wangen wiesen Spuren von getrockneten Tränen auf und es sammelte sich erneut Wasser in ihren Augen. Die Sirenen von mindestens zwei Krankenwagen heulten auf und klangen allmählich nach Osten hin ab. Ein anderer Wagen kam aus der entgegengesetzten Richtung und bog in den Hof des 'Gray-Warrn-Hospitals' ein. Rob beobachtete durch das Fenster im Gang die Schwestern und die Männer des Einsatzfahrzeugs, wie sie die Barre heraushoben und schnell in das Gebäude beförderten. Jeder Handgriff saß, kein im Wege stehen, alles war perfekt organisiert. „Mandy, jetzt sag doch was!“, forderte Rob seine Schwester auf. Diese fing an zu schluchzen und fiel Rob um den Hals. Er spürte die nassen Tränen an seiner Wange. Mit beiden Händen fasste er an ihre Schultern und schob sie ein Stück weg, so dass er wieder in ihr Gesicht blicken konnte. „Hey, schon gut. Wein dich ruhig aus. Kannst du mir wenigstens sagen, wo Mom ist?“ Rob wollte sie gewiss nicht drängen, aber er konnte es nicht mehr aushalten, weiterhin in Unwissenheit zu bleiben. „Sie ist dort vorne im Aufenthaltsraum und trinkt einen Kaffee.“ Mandy wies mit der rechten Hand nach links in einen langen Gang hinein. Nachdem Rob sie dazu gebracht hatte, sich von ihm zu lösen und sich wieder hinzusetzen, lief er in die besagte Richtung. Am Ende des Ganges war ein Schild mit der Aufschrift 'Aufenthaltsraum '. Rob sah nach rechts und erblickte sogleich Julie, die auf einem Stuhl an der Wand mit einem Becher in den Händen dasaß. Feiner Dampf stieg aus dem Becher auf und ließ ihr Gesicht verschwimmen. Jetzt nahm Rob erst wahr, dass er nicht mehr so verwirrt und zerstreut war. Die Begegnung mit Mandy hatte ihn anscheinend genug abgelenkt, um endlich aufzuhören, an seinen Zusammenbruch im Park zu denken. Zwar war er immer noch nervös und etwas zittrig, aber die Motorik spielte nicht mehr verrückt. Langsam schritt er auf seine Mutter zu. Noch ein paar Meter entfernt, begann er: „Hallo Mom! Ich bin so schnell wie...“. Zu mehr Worten kam er nicht, denn sie war schon aufgesprungen und schlang ihre Arme um ihn. /Ist ja schön und gut. Aber kann mir endlich jemand sagen, was überhaupt los ist?/ Er erwiderte kurz die Umarmung, strich mit einer Hand ihren Rücken auf und ab, brachte es dann aber fertig, wieder Abstand herzustellen. „Was ist mit Dad und wie geht es ihm?“, sprudelte aus ihm hervor. „Wir wissen es noch nicht.“, erwiderte sie leise. „Der Stationsarzt gibt uns Bescheid, wenn die Untersuchungsergebnisse eingetroffen sind.“ Ihre Stimme hob sich. „Rob, Lee ist einfach zu Boden gestürzt! Wir saßen im Wohnzimmer, ich habe gestrickt und er hat mal wieder seine Skulpturen betrachtet, als er plötzlich laut zu keuchen anfing und von jetzt auf nachher vom Sessel sank. Er krümmte sich vor Schmerzen, ach Rob, es war einfach schrecklich!“ Rob kam die geschilderte Szene wie ein déjá-vu vor. Hatte er nicht genau denselben Anfall gehabt? /Aber...das ist unmöglich. Wie kann das sein?/ „...Rob, ist alles in Ordnung?“ „He?, ach so, jaja, schon gut. Ist nicht so wichtig.“ Mit einer lässigen Armbewegung tat er die Frage ab. /Wie kann das nur sein?/ Rob war wieder in sich gekehrt. /Ich muss schleunigst mit Dad reden. Ich muss wissen, was genau mit ihm geschehen ist. Werden die Details mit meinem Erlebnis übereinstimmen?/ Diese und andere solcher Fragen ließen ihn nicht mehr in Ruhe. Eine Weile lang saßen Julie und Rob nebeneinander auf einer Couch im Aufenthaltsraum und ein bedrohliches Schweigen füllte das Zimmer. Keiner von beiden gab nur einen Laut von sich. Rob war viel zu sehr mit sich und den Gedanken an eine mögliche Verbindung zwischen ihm und seinem Vater beschäftigt, Julie hingegen war eingenickt und genoss einen ziemlich unruhigen Schlaf. Zudem herrschte um diese Tageszeit kein reges Treiben im Krankenhaus vor, nur die weißen Kittel der wenigen Ärzte waren mal kurz zu sehen, wenn sie an der offen stehenden Tür vorbeihuschten. Die meisten Patienten waren in ihren Zimmern und schliefen schon. „...Rob?“, Mandy schüttelte ihn sanft. Rob machte die Augen auf und bemerkte erst jetzt, dass auch er eingeschlafen war. Er streckte beide Arme in die Luft und dehnte und streckte sich. Wohlwollend nahm er den Kaffee, den Julie ihm hinhielt, entgegen und trank den Becher in einem Zug aus (er war nur noch lauwarm!). Erst als er endlich wieder völlig wach war, realisierte er, dass er sich ja noch im Krankenhaus befand. Sofort erkundigte er sich nach Lee. „Deswegen haben wir dich ja geweckt, Rob. Also vor wenigen Minuten kam Dr. Junion, der Stationsarzt, zu uns und hat um eine Unterredung gebeten.“ „Erzähl schon Mom, was hat er gesagt!“ Rob war nicht mehr zu halten, er wollte nicht mehr ausschweifende Berichte, sondern nur das Wesentliche gesagt bekommen. Sein ganzer Körper war angespannt, so dass er Ähnlichkeit mit einem Sportler vor einem großen Spiel hatte. „Die Untersuchungen haben zu keinem Ergebnis geführt. Die Ärzte sind völlig ratlos. Sie vermuteten zuerst eine Herzrhythmusstörung oder Auswirkungen des Krebses, aber die Tests haben einwandfreie Blutwerte und so weiter ergeben. Auch ansonsten gab es keine negativen Resultate. Keiner weiß, was mit ihm ist, geschweige denn was er hatte. Verwunderlich ist dazu, dass es ihm jetzt wieder vollkommen gut geht.“ Hilflos sank Julie Stevenson auf den Stuhl, der direkt hinter ihr stand. /Ihm geht es wieder gut? Keine Schmerzen, nichts? Unmöglich!/ „Wo liegt er, kann ich zu ihm?“, erkundigte sich Rob. „Es ist zwar schon spät, aber er ist noch wach. Zimmer 159. Geh ruhig zu ihm.“ Das ließ sich Rob nicht zweimal sagen. Er lief so schnell er konnte. 137, 138, er bog nach rechts ab, 153, 157, 159. Als er vor der richtigen Tür stand, überkam ihn ein mulmiges Gefühl. Was wird ihn jetzt da drin erwarten? Wird er wirklich Antworten auf seine Fragen bekommen? Oder war alles nur ein dummer Zufall? /Ich schätze, ich habe das alles überbewertet. Oder doch nicht?/ Er horchte mit geschlossenen Augen auf das Summen der Klimaanlage. Sein Herz pochte. Mit der rechten Hand klopfte er zweimal an die Tür mit dem Nummernschildchen 159. „Herein!“, ertönte eine kräftige Männerstimme. Gedämpft drang sie in Robs Ohr. Dieser drückte die Klinke herunter, übertrat langsam die Schwelle und stand endlich seinem Vater gegenüber. Dort im Krankenbett lag ein rundum vitaler, unversehrter 50-jähriger, der noch sein halbes Leben vor sich hatte. Lee sah tatsächlich gänzlich gesund aus, es gab keinerlei Anzeichen von irgendwelchen Beschwerden, es schien alles in bester Ordnung zu sein. Rob musterte seinen Vater noch eine Weile. Dieser hingegen wurde unruhig, denn es war für ihn mehr als nur unangenehm so angestarrt zu werden. „Rob, kannst du das bitte unterlassen?“, fragte Lee eindringlich. „Hm?“, erwiderte Rob verwirrt. Er war in den letzten 18 Stunden nicht mehr er selbst gewesen. Ihm kam es so vor als hätte irgendeine fremde Macht die Kontrolle über seinen Körper ergriffen. Ständig war er wie weggetreten, bekam nichts mehr von seiner Außenwelt mit und wenn er aufwachte, wusste er nicht so recht, was mit ihm eigentlich los war. Jetzt war es an der Zeit, mit Lee darüber zu sprechen, der dem Anschein nach sich nicht den Kopf über den plötzlichen Schmerzanfall zerbrach. „Sag mal Dad,...“, Rob fand nicht die richtigen Worte; kleine Schweißperlen traten ihm aufs Gesicht. Seine Augen wanderten von einer Ecke des Raumes zur anderen. Jede verstreichende Sekunde kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Es war doch nur sein Vater, sein Erzeuger, den er vor sich hatte. Warum bereitete es ihm dann so große Mühe, offen und direkt zu fragen, was geschehen war? Hatte er nur Angst aufdringlich zu sein, oder steckte mehr dahinter? /Rob, jetzt mach schon. Auf was wartest du denn?/ Innerlich brodelte er. Einerseits wollte er nichts lieber als mit Lee über die ganze Angelegenheit reden, andererseits hielt ihn sein Gefühl davon zurück. /Wenn ich erwähne, dass ich im Park zusammengebrochen bin, dann macht sich Dad vielleicht noch mehr Sorgen, was sich negativ auf seinen Gesundheitszustand auswirken könnte. Aber wenn ich mein Erlebnis verschweige, dann kann ich gleich ade sagen./ „Rob, was ist mit dir? Du bist kreidebleich! Bedrückt dich etwas, außer dass ich hier liege?“ Lee sah seinen Sohn mit bedenklicher Miene an. Er hatte ihn noch nie so geistesabwesend erlebt. Normalerweise war Rob derjenige, der immer einen kühlen Kopf behielt und sich nicht aus der Ruhe bringen ließ. Lee mit seinen kirschbaumbraunen Augen anvisierend entgegnete Rob: „Naja, das ist nicht so einfach zu erklären... Ich fange am besten von vorne an. Als ich heute Vormittag im Park saß und an einem neuen Gedicht schrieb, überkamen mich von jetzt auf nachher fürchterliche Schmerzen. Mein kompletter Körper war wie eine einzige Qual. Ich konnte kaum atmen und mir war mal heiß mal kalt. Doch nach wenigen Minuten hörte es auf. Ich spürte gar nichts mehr. Mir ging es danach wieder richtig gut.“ Lee war keine Reaktion anzusehen. Rob jedoch erzählte mit viel Emotion, er akzentuierte jede Silbe. „Nachdem ich zu Hause den Anrufbeantworter abgehört und von deinem Anfall erfahren hatte, war ich noch verwirrter als zuvor. Wie ist es nur möglich, dass wir beide an demselben Tag aus heiterem Himmel so etwas erlebt haben? Wie?“ Den Kopf schüttelnd ließ sich Rob auf einem Stuhl am Bett nieder. Lee war nicht imstande irgendwas zu sagen. Klar wollte er seinem Sohn aufbauende Worte zureden, doch auch er hatte keine Antwort parat. Ein sehr seltsamer Tag lag hinter ihnen, keiner weder Lee noch Rob wussten, was mit ihnen geschehen war. Selbst der erfahrene, bewanderte Lee war zum Schweigen verdammt. The dialogue /Warum sagt Dad nichts?/ Rob sah zu ihm auf. /Jetzt mach schon, auf was wartest du denn? Okay, ich bin kein Kind mehr, aber nun bin ich auf deine Hilfe, Vater, angewiesen./ Die Wanduhr blinkte kurz auf (das tat sie immer zur vollen Stunde); eine große 23 war für einen Moment sichtbar. Es war schon spät und Rob hätte eigentlich nicht mehr im Krankenzimmer bei Lee sein dürfen. Aber das berührte ihn nicht, er konnte jetzt nicht einfach so gehen. Schließlich war der Zeitpunkt gekommen, um das Gespräch zu führen. Sie hatten sich schon lange nicht mehr richtig unterhalten. Immer wenn sie angefangen hatten zu konversieren, hatten sie unterschiedliche Ansichten vertreten, wodurch die Unterhaltung eher zu einem Streit ausgeartet war als dass sie zu einer vernünftigen Einigung geführt hatte. Doch genau an diesem ereignisreichen Tag ist Rob bewusst geworden, dass er seinen Vater brauchte und natürlich auch entsprechende Dialoge mit ihm. Werden sie sich dieses Mal verständigen können? Oder wird die Situation erneut eskalieren? Rob setzte an, um dem schrecklichen Schweigen ein Ende zu versetzen, machte aber im letzten Augenblick einen Rückzieher und blieb stumm. /Vater, du bist an der Reihe. Du kannst auch mal über deinen Schatten springen. Ich habe lange genug den ersten Schritt gemacht, nun ist es deine Aufgabe, deiner Rolle als Vater gerecht zu werden./ Rob dachte gewiss nicht schlecht über Lee, denn er war eigentlich immer fürsorglich und fair ihm gegenüber gewesen; doch jetzt war es an der Zeit, dass er ihn genauso behandelte wie Mandy, das heißt (so viel wie) zivilisiert miteinander und nicht gegeneinander reden zu können. Es schien beinahe so als ob Lee Robs Gedanken mitgehört hätte. Denn er räusperte sich plötzlich und fing tatsächlich an draufloszureden. „Rob, mein Sohn, ich glaube, wir müssen wirklich mal ernsthaft ein paar Worte wechseln.“ Unruhe und Nervosität prägten jedoch seine Stimme. „Ich muss zugeben, dass ich in der Vergangenheit auch Fehler gemacht habe, aber darüber wollen wir sicherlich nicht jetzt debattieren. Uns interessiert momentan vielmehr, was heute alles geschehen ist, habe ich Recht?“ Lee wartete keine Antwort von Rob ab, sondern fuhr sogleich fort. „Gut, dann erstatte ich dir erst einmal einen detaillierten Bericht über meine Attacke. Wie du bestimmt schon weißt, habe ich mich im Wohnzimmer aufgehalten und über die Bedeutung einer Skulptur meiner Sammlung philosophiert. Ganz in Gedanken versunken über das etwaige komplizierte Leben eines Künstlers (er betrachtete sich das verschnörkelte, aber in seinen Augen doch meisterliche Werk, das ihm Mandy zum Geburtstag geschenkt hatte) bin ich schlagartig wie von einer Biene gestochen aufgeschreckt. Zuerst hatte ich vermutet, dass Julie irgendwas fallen gelassen hatte und ich durch den verursachten Lärm hochgefahren war, doch dann bemerkte ich, dass sie immer noch im selben Zimmer saß und friedvoll strickte. Verwundert blickte sie mich an; und dann fing das erst richtig an.“ Er strich sich mit einer Hand kurz über die trockenen Lippen, ließ sich aber nicht das Wort nehmen. „Ja, es setzte ein. Zuerst begann mein Herz wie verrückt zu stechen. Ich glaubte, ich erleide einen Herzinfarkt und kippe von einem Augenblick zum anderen um, aber dann kam es anders. Das Herzrasen stoppte und dafür überkam mich eine Hitzewelle. Mir lief der Schweiß in Strömen herunter, die Kleidung war in Kürze völlig durchnässt. Julie fragte mich ständig, was denn mit mir los sei. Doch diese Frage konnte ich ihr beim besten Willen nicht beantworten, denn für mich war die Situation genauso fremd wie für sie. Wahrscheinlich kam mir die Sache noch eigenartiger vor als ihr. Sie hatte schließlich immer gepredigt, ich solle besser auf meine Gesundheit Acht geben, aber ich nahm das nie ernst; bis heute. Ich glaube, ich sollte aufhören, unterwegs bei jedem MacDonalds zu halten und mich zusätzlich mehr sportlich betätigen...“ Lee schien eher zu sich selbst zu sprechen als zu Rob. Dieser saß still auf seinem Stuhl und setzte die einzelnen Puzzleteile der Geschichte seines Vaters zusammen in der festen Überzeugung, dass sie am Ende genau seiner gleichen wird. „Wieder zu heute Nachmittag: Nach dem Schweißausbruch verlor ich fast das Bewusstsein, als ich wieder richtig zu mir kam, fand ich mich hier wieder. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was in den zwei Stunden, die mir in der Erinnerung fehlen, so alles passiert sein mag. Dennoch meine ich nicht, dass deine Schmerzen etwas mit meinem Kollaps zu tun haben. Vielmehr denke ich, dass du auf der Parkbank eingedöst bist und schlecht geträumt und dann Fiktion mit Realität verwechselt hast.“ Rob hatte beim letzten Satz weit die Augen geöffnet. Dachte sein Vater wirklich, er habe sich das alles nur eingebildet? /So ist das also. Er nimmt mich nicht für voll. Klar, ich breche zusammen und dann habe ich das nur in meinem Traum erlebt, sicherlich, sehr überzeugend. Und ich kam auf die überragende Idee, mit meinem Vater darüber zu sprechen, gut gemacht, Rob./ Er schüttelte sich kurz, so wollte er nicht über Lee denken. Mit einem leisen Seufzer und den Ärger herunterschluckend erwiderte er. „Dad, weiß Mom, was in den zwei Stunden geschehen ist? Schließlich war sie diejenige, die die ganze Zeit über bei dir war.“ Der Mann, der ihm gegenüber lag, sah nicht mehr so unbekümmert aus wie vor einer halben Stunde. Seine Haut schien mehr Falten zu haben und die Augen waren glasig. Die grauen Bartstoppeln ließen ihn um einiges älter wirken, jedes Lächeln war aus seinem Gesicht gewichen. Der Schock schien durchaus seine Spuren zu hinterlassen. „Julie? Sie wollte mich nicht weiter beunruhigen und hat meiner Meinung nach etwas Wichtiges verschwiegen. Zu mir sagte sie lediglich, dass ich für einen kurzen Moment ohnmächtig gewesen sei und sie daraufhin sofort den Notruf verständigt hätte. Doch das füllt immer noch nicht den Zeitraum von etwa zwei Stunden, Rob. Ich würde natürlich auch gerne wissen, was in dieser verdammten Zeit mit mir war. Warum setzt mich kein Mensch darüber in Kenntnis? Mir ist bekannt, dass die Ärzte zunächst Stillschweigen bewahren, aber meine Frau, die Frau, mit der ich schon seit 28 Jahren verheiratet bin, gibt nicht die Wahrheit preis! Du kannst es nachher gerne mal versuchen, etwas aus ihr herauszukitzeln, doch ich bezweifle, dass sie dir etwas erzählt.“ Das klang schon wieder ziemlich abwertend. Enttäuscht war Rob zweifelsohne über eine solche Behandlung, ließ sich das aber nicht anmerken. Letztendlich wollte er an diesem Tag nicht auch noch einen Streit verursachen. /Mom! Wenn sie wirklich weiß, was in den 120 Minuten los war, dann hat sie mir vielleicht auch nicht die ganze Wahrheit über die Unterredung mit Dr. Junion gesagt./ „Junge, was ist? Du siehst aus, als hättest du einen Geistesblitz gehabt!“ Da hatte Lee auch nicht so unrecht. „Hm? Ach nicht so wichtig, was mir gerade durch den Kopf gegangen ist. Vermutlich ist es sowieso nur reine Spekulation und ich möchte keine Gerüchte in die Welt setzen bis ich nichts näheres weiß. Du hast mir selbst gelehrt, dass man einen Ruf nicht einfach so aus Willkür schädigen darf; 'erst wenn man eindeutige Beweise hat, kann man die Angelegenheit der Öffentlichkeit preisgeben, aber selbst dann sollte man sich genau überlegen, ob man das auch verantworten kann.' Zitat Ende.“ Ein fast unmerkliches Lächeln huschte über Robs Lippen, denn er hatte sich für Lees durchaus ungerechtes Verhalten ihm gegenüber revanchieren können und das sogar mit dessen eigenen Worten. Lee war nicht gerade erfreut, da er sich zwangsweise geschlagen geben musste, denn er konnte ja nicht seiner eigenen Meinung kontra geben. Ärgernis überzog sein Gesicht. Rob hoffte, dass er jetzt nicht wie sonst losschreien würde. /Ganz ruhig, Dad. Mach jetzt keinen Hehl daraus. Außerdem bist du ja selbst daran schuld, wenn du mir solche Ansichten vermittelst; dann hast du ihnen selbst auch Folge zu leisten, das gilt nicht nur für mich./ Röte des Zorns stieg in Lee auf. /Bitte tu es nicht!/ /So kann und darf mich mein eigener Sohn nicht behandeln!/ /Vater, es war doch nicht meine Absicht, dich zu kränken./ /Erst werde ich von meiner Frau im Stich gelassen, und dann von Rob./ /Uhh, hoffentlich beruhigt er sich wieder!/ /Ich...ich...NEIN!!!.../ /Was hat er plötzlich? Er...Dad?/ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)