Denselben Feind von -Pan (Außer Eis) ================================================================================ Außer Eis --------- Er saß dort mit nach vorn gebeugtem Oberkörper, den Kopf auf die Hand gestützt, die Füße hinter den Stuhlbeinen verkeilt. Sein Blick war auf das Buch gerichtet, das aufgeschlagen vor ihm lag, und wäre es nicht Ron gewesen, so hätte man meinen können, der junge Mann würde tatsächlich lesen. Aber es war eben Ron. Und so stand Hermine eine Weile reglos vor dem Regal, in dem sie ihr gesuchtes Buch erspäht hatte, beobachtete ihre ungewöhnliche Entdeckung und fragte sich, was zum Teufel er mit dem Buch vorhatte. Irgendwann fiel ihr auf, dass sie seit einer halben Minute mit ausgestrecktem Arm vor einem Bücherregal stand und ihn anstarrte, also angelte sie sich das Buch und ergriff das Wort. "Welch seltener Gast." Der Angesprochene blickte erst überrascht, dann freudestrahlend zu ihr auf. "Hermine! Gut, dass ich Dich hier treffe!" Er schlug das Buch zu und lehnte sich zurück. "Weißt Du, ich-" "Du hast in Ermangelung anderer Möglichkeiten beschlossen, Deine Hausaufgaben ausnahmsweise selbst zu erledigen und jetzt, wo die für Dich zuverlässigste Methode, Hausaufgaben zu machen, vor Dir steht, hast Du diese törichte Idee wieder über den Haufen geworfen." Ron starrte sie mit offenem Mund an. "Hermine, Du verstehst mich einfach." Sie verdrehte die Augen. "Das liegt daran, dass Du so tiefgründig bist wie ein vierseitiges Malbuch." Damit wandte sie ihr Gesicht wieder dem meterhohen Regal zu und begann, eifrig in ihrem Buch zu blättern. Ron zuckte mit den Schultern. "Jeder mag Malbücher." "Oh ja", murmelte Hermine abwesend, während sie mit verengten Augen die Zeilen überflog, "Ich wette, Lavender liest nichts anderes." "Hä?", fragte Ron überfordert. Seine Aufmerksamkeit galt inzwischen einer Schokofroschtüte, die ein paar Erstklässler am Nebentisch ausgepackt hatten. "Weißt Du, Hermine, mit leerem Magen kann man nicht lernen!" Ron stand auf, trat beschwingt den Stuhl beiseite und bewegte sich mit großen Schritten auf den Bibliotheksausgang zu. "Mit leerem Kopf auch nicht!", stichelte Hermine ihm hinterher. "Ron! Jetzt nimm doch wenigstens das Buch mit!" Doch der lernwillige Junge war bereits auf dem halben Weg zum Gemeinschaftsraum, wo er irgendwelche nicht herren-, aber doch aufsichtslose Süßigkeiten zu finden hoffte. Hermine verdrehte die Augen, schnappte sich das Buch und machte sich daran, es an seinen angestammten Platz zurückzubringen. ~ Zwar war Hermines Blickfeld, das durch ihre buschige Mähne ohnehin nur einen Bruchteil von dem eines normalen Menschen umfasste, durch das gute Dutzend Bücher, die sie in einem bedrohlich wankenden Stapel vor sich durch die Gänge balancierte, auf ein Minimum reduziert, jedoch gibt es zwei, drei Dinge auf der Welt, die sie selbst mit geschlossenen Augen nicht übersehen könnte, und dieser feuerrote Haarschopf auf zwölf Uhr gehörte definitiv dazu. "Langsam mache ich mir Sorgen, Ron!" Ron musste nicht ihr Gesicht sehen, um die Sprecherin als Hermine auszumachen; er erkannte sie einfach daran, dass er sie aufgrund des monströsen Bücherstapels vor ihrem Gesicht nicht erkannte. Von den links und rechts und oben hervorwallenden Haaren mal ganz abgesehen. „Wieso machst Du Dir Sorgen? Hermine, ich lerne!“ „Oh...Du lernst?“, fragte Hermine und klang jetzt leicht aus der Fassung. „Das macht es nicht besser, Ron!“ „Ach? Wer ist denn so viel mit Lernen beschäftigt, dass er nicht die Hausaufgaben anderer Leute machen kann?“ „Wie unmöglich von mir!“ „Ebendrum! Also, Hermine, stör mich nicht beim Lernen!“ „Stör Du Dich nicht beim Lernen!“ Hermine machte auf dem Absatz kehrt und tänzelte davon, als sei sie irgendwie leichter, wenn sie acht Kilo Bücher mit sich herumtrug. ~ „Madame Pince wird Dich umbringen.“ „Ja. Mich und meine Süßigkeiten.“ „Warte, vielleicht macht es das Buch sogar selbst!“ Ron wurde hellhörig. „Was macht das Buch selbst? Lernen?“ „Natürlich nicht! Aber vielleicht wehrt es sich! Hatte Seamus nicht erwähnt, dass Madame Pince die Bücher mit einem Zauber belegt hat? Sie beißen zu, wenn man sie mit Süßigkeiten beschmiert.“ „Hermine, Du glaubst echt jeden Scheiß. Hör Dir lieber das an: “Sucht man des Mitternachts das Bildnis von Erich dem Errötenden auf, tanzt vor diesem auf einem Bein und jongliert dabei mit vier kreischenden Kakteen, so wird er dem Tänzer die Aufgaben für die nächste Prüfung verraten.“!“ „Wer?“ „Na, Erich der Errötende.“ „Sagt wer?“ „Steht in dem Buch hier.“ „Woher hast Du das?“ Hermine blickte mit hochgezogener Augenbraue in Rons begeistertes Gesicht. „Aus der Bibliothek.“ Ron deutet auf ein Regal. „Hier, sieh's Dir an!“ Hermine kniff die Augen zusammen und starrte auf die fragwürdigen Ratschläge, die in dem Buch standen. „Ist das Freds Handschrift?“ „So'n Blödsinn!“, fauchte Ron, blickte aber, als Hermine ihren Blick kurz über das Regal schweifen ließ, skeptisch auf die aufgeschlagene Seite in „Lernen für Lau“ von Sigibert Sitzbleib. „Ah! Da ist es ja!“ Hermine fischte „Alternative Ansätze für Angewandte Arithmantik“ von einem der oberen Regalbretter und strich sich triumphierend die Haare hinters Ohr, wo sie sagenhafte anderthalb Sekunden verweilten. „Tja, Ron! Viel Spaß beim Lernen!“ „Hab' ich!“ rief Ron mit einer Mischung aus Trotz und Glückseligkeit, weil er den Mund voller Schokofrösche hatte, sodass er kleine Sprenkel auf den „Todsicheren Tipps für Traumtänzer“ verteilte. Hermine eilte in ihr Buch vertieft aus der Bibliothek und hörte nur noch gedämpft den pikierten Aufschrei eines gewissen Schülers, dem ein erzürntes Buch am Handgelenk hing. ~ Hermine hechtete noch gehetzter als sonst durch die Büchergänge, wollte sie doch vor der nächsten Stunde noch „Rottende Runen“ von Ruth Ranzig gelesen haben. So schritt sie auch recht zügig an dem Jungen vorbei, der viel zu groß war für den Stuhl, auf dem er saß und viel zu müde und hungrig für das Buch, das vor ihm lag. Grinsend lief sie, mit dem Finger über die Buchrücken streifend, die Regale entlang. Es war immer noch seltsam, Ron nicht in einem Sessel im Gemeinschaftsraum lümmeln zu wissen, sondern ihn um diese Zeit in der Bibliothek zu sehen, aber es war auf eine schöne, vertraute Art seltsam - wie sich bewegende Treppen und verschwindende Türen. Sie wusste nicht einmal, wie lange er schon herkam. Lange konnte es noch nicht sein. Aber irgendwann hatte er einfach dazugehört, schon lange, bevor sie es gemerkt hatte. Beinahe unversehens hatte er an diesen Platz gehört wie die Bücher in die Regale und Hermine in die Bibliothek. ~ Vollgepackt und gut gelaunt schritt Hermine durch den umherschwebenden Staub, den die Abendsonne im Raum sichtbar machte. Ihre Mundwinkel bereiteten sich schon auf ein kleines Lächeln vor, als sie sich dem Einzelplatz am Fenster näherte, an dem sie jeden Tag vorbeischritt. Doch plötzlich blieb sie stehen. Bevor sie die Kleidung erkannte, die Haarfarbe, das Gesicht, hatte sie schon bemerkt, dass die schlanke Gestalt dort hinten nicht wie ein Schluck Kürbissaft in einem zu kleinen Glas auf der Tischplatte ümmelte, sondern in aufrechter, fast schon steifer Haltung über ihrem Buch saß. Dass sie nicht durch dieses und die Tischplatte hindurch in ein imaginäres Meer aus Butterbier und Schokofröschen starrte, sondern in höchster Konzentration jeden Buchstaben der eng beschriebenen Seite fixierte. Irritiert wandte sich Hermine dem vertrauten Regal zu. Aus der Ecke hörte sie, wie Madame Pince ein paar Zweitklässler zurechtwies, die sich zu angeregt über das kommende Quidditch-Spiel unterhalten hatten. An einem anderen Tisch schob sich jemand unter verstohlenen Seitenblicken einen Schokofrosch in den Mund, und als Hermine ohne hinzusehen an die Stelle des Regals griff, an der „Eine Geschichte von Hogwarts“ für gewöhnlich stand, zog sie genau dieses Buch zwischen den alten ledrigen Einbänden hervor. Alles war wie immer. Nur dass dort, wo Ron hätte sein sollen, ein Junge namens Draco Malfoy saß. ~ ~ ~ Hermine hatte nie vorgehabt, sich heimlich in die Bibliothek zu schleichen. Sie hatte es getan, sicher. Aber nie vorgehabt. Sie hatte sich Harrys höchstheiligen Tarnumhang ausgeliehen und sich am Morgen dreimal die Zähne geputzt, um das bevorstehende Vergehen schonmal irgendwie auszugleichen. Dabei war, was sie vorhatte, gar nicht mal so illegal. Sie wollte nicht in die verbotene Abteilung, wollte nichts stehlen und Schokofrösche hatte sie auch keine dabei. Lediglich der Umstand, dass aufgrund der näherrückenden Prüfungen die Bibliothek von einer solchen Übermacht an schmatzenden, schlürfenden, heulenden, lachenden, lernenden, schlafenden Schülern heimgesucht wurde, dass sogar Madame Pince nicht dagegen ankam, trieb sie außerhalb der Öffnungszeiten in die heiligen Hallen. Obwohl Hermine nicht so für nächtliche Abenteuer oder, treffender formuliert, für hirnrissige, folgenschwere und sehr verstößige Verstöße gegen die Schulordnung war und die Nervosität ihre Blicke immer wieder hinter sie fallen ließ, übte die Bibliothek auch nachts eine unerklärliche Anziehungskraft auf sie aus. Jetzt, wo kein Mensch hier war, wirkten die meterhohen Bücherregale noch majestätischer, und die Stille, die nur vom gedämpften Hall ihrer Schritte durchdrungen, aber nicht durchbrochen wurde sowie der tiefblaue Schleier, der gleichermaßen über Büchern, Boden, Wänden und Decke lag, ließen alles um sie herum wie eine alte, verlassene Unterwasserwelt wirken. Hermine vergaß beinahe den Grund, aus dem sie hier war und blickte sich um. Die eigentlich feindliche Umgebung, in der sie doch gar nicht hätte sein dürfen, wirkte so friedlich. Der wie von Wasser bedeckt wirkende Boden. Die verlassenen Tische. Die zierliche Katze... Die Katze? Hermines Herz sprang ihr in den Hals hoch und rutschte dann unter ihre linke Kniescheibe. Ein paar Sekunden lang stand sie reglos da, atmete nicht und blickte an die Stelle, an der soeben noch Mrs. Norris gestanden hatte. Dann drehte sie sich um und rannte los. Sofort verfingen sich ihre Füße in dem viel zu großen Tarnumhang, und obwohl das Stolpern sie nicht zu Fall brachte, fiel die kleine Laterne, die sie bei sich trug, mit einem entsetzlichen Scheppern zu Boden. Hermine blickte hinter sich - dort war niemand, und als sie den Kopf wieder in Laufrichtung wandte, rannte sie fast in eine schwarze Gestalt hinein. Hermine stieß einen spitzen Schrei aus, hielt sich die Hand vor den Mund und wetzte kurzerhand an dem großen Schatten vorbei, aus der Bibliothek, den Gang entlang, eine Treppe hinauf, eine andere Treppe hinunter, bis sie nicht mehr wusste, wo sie war und einfach ziellos umherrannte. Irgendwann, als sie den Tränen und der Erschöpfung nahe war und sie sich nicht mehr nur auf das Laufen konzentrieren konnte, erkannte sie hier eine Statue, da einen Wandvorhang und plötzlich hatte sie wieder eine ungefähre Ahnung, wo sie sich befand. Zielstrebig steuerte sie auf eine Tür am Ende des Korridors zu, riss sie auf, eilte hinein und schlug sie viel zu laut hinter sich zu. Hermine wusste, wo sie sich befand, aber sie hatte keine Ahnung, wo sie war. Und das war ihr auch herzlich egal. Sie setzte sich auf den Boden, den Rücken an die Wand, und horchte. Es war nichts zu hören, aber ihr Herz hämmerte weiter. Dennoch wusste sie, dass ihr nichts passieren konnte. Man würde sie hier nicht finden. Weil sie einen Ort zum Verstecken gesucht hatte. Weil sie sich einen gewünscht hatte. Also hatte sie nichts zu befürchten, solange Filch nicht dreimal am Raum der Wünsche vorbeiging und sich eine verängstigt in der Ecke sitzende Hermine Granger wünschte. Hermine kicherte in ihren Ärmel, verstummte aber sofort. Draußen waren Schritte zu hören, und für einen Moment jagte ihr Puls wieder hoch. Dann wurde Ihr klar, dass, wer immer draußen war, nicht würde hineinkommen können, und so schloss Hermine die Augen, entspannte sich ein wenig und atmete durch. Da saß sie nun, vollkommen erschöpft, möglichst klein an die Wand gedrückt und blickte mit einer Mischung aus Schrecken und Erleichterung in die Gegend. Dann wurde die Tür aufgerissen. Hermine hätte schwören können, dass jemand hereinstürmte, aber eine Sekunde später war die Tür wieder zu, der Raum wieder duster, und kein erboster Filch stand vor ihr. Aber irgendjemand atmete. Hermine nicht. Ihre zitternde Hand griff lautlos in den Umhang und fasste ihren Zauberstab. „Lumos.“ Es war tatsächlich jemand hereingekommen. Draco Malfoy saß vollkommen erschöpft möglichst klein an die Wand gedrückt und blickte mit einer Mischung aus Schrecken und Erleichterung in die Gegend. Wie eine vor Schreck erstarrte Maus sah er sie aus großen Augen an. „M-Malfoy!“ flüsterte Hermine. „DU!“ schrie Malfoy. „Psst!“, fügte er dann leise hinzu. Hermine Angst indes legte sich wieder. Malfoy würde sie nicht verraten, war er doch selbst in der Bibliothek gewesen - was auch immer er dort getan hatte, außer ihr bei der Flucht im Weg zu stehen - und hatte dann wie sie einen Ort zum Verstecken gesucht. Nun, wo sie das innerhalb von Sekundenbruchteilen verstanden hatte, beobachtete sie in einer Art skeptischem Interesse Malfoy, hinter dessen Stirn es noch ratterte. „Was...wir...Du?“ „Geistreich wie immer, Malfoy.“ „Oooh!“ Gekonnt wie eh und je schaltete Malfoy von „Oh mein Gott, ich werde sterben!“ auf „Ein bisschen Überheblichkeits wird’s schon richten“ um. „Soso, treiben wir uns nachts rum, ja?“ „Gut erkannt, Malfoy, WIR treiben uns nachts rum.“ „Shht! Da kommt jemand!“ Reflexartig löschte Hermine das Licht. Dann meldete sich ihr Verstand zu Wort. „Ja und? Die können uns hier nicht finden. Immerhin ist das hier der Raum der Wünsche und wir haben uns einen Ort gewünscht, an dem Filch uns nicht findet.“ „Das weiß ich doch!“ Hermine konnte das „Klick!“ in Malfoys Gesicht sehen, obwohl sie sein Gesicht nicht sah. „Dann macht doch das Licht wieder an, Granger!“ „Warum machst Du es denn nicht an?“, gab Hermine mit einer Hochnäsigkeit zurück, die der Malfoys in nichts nachstand. „Lumos!“ Beide sahen sich um. Der Raum, in dem sie sich befanden, war gerade groß genug für zwei Personen. Zwei Personen und ein paar Putzeimer. „Eine Besenkammer?“, machte Malfoy seine Empörung laut. „Das – Eine Besenkammer?“ In fassunglosem Vorwurf starrte er Hermine an. „Was schaust Du mich denn da an?“, engegnete sie ungeachtet der Tatsache, dass es außer Ihr nicht viel anzusehen gab. „Na, Du warst doch zuerst hier! Du hast eine Besenkammer draus gemacht!“ „Also bitte!“ Hermine schoss aus unerfindlichen Gründen das Blut in die Wangen. „ Du bist doch auch hier gelandet! Oder nicht?“ „Aber eine Besenkammer?“ „Tut mir ja Leid, wenn es ohne Swimming Pool nicht den Wünschen des gnädigen Herrn entspricht!“ „Na super, jetzt sitze ich mit einem großmäuligem kleinen Schlammblut in dieser stinkenden Besenkammer fest.“ „Die Freude ist ganz meinerseits.“ „Klar, ist ja auch Deine Besenkammer!“ „Natürlich, es ist alles ganz allein meine Schuld.“ „Wessen denn sonst? Du wärst doch gar nicht hier gelandet, wenn Du nicht irgendwas Verbotenes getan hättest!“ „Ach, und Du hast Fegedienst oder was?“ „Was ich gemacht habe, geht Dich einen feuchten Dreck an, Granger.“ „Ich will's auch gar nicht wissen.“ Das war gelogen, aber es war gut gelogen. So saßen sie sich die nächsten Minuten lang schweigend gegenüber, den Blick auf den Boden oder an die Decke gerichtet, und blickten sich nur an, wenn draußen Schritte laut wurden. Sobald diese dann wieder verhallt waren, legte Malfoy noch einmal sein gesamtes Kontingent an Verachtung in seinen Blick, um dann wieder vornehm an die Decke zu schauen. Das Spiel trieben sie fast zwanzig Minuten, dann wurde es Hermine zu dumm. „Oh, komm schon!“ fauchte sie ihn so unvermittelt an, dass er zusammenzuckte. „Wenn Du es hier nicht aushältst, geh' doch einfach raus! Professor Snape wird Dich da schon raushauen!“ „Niemals“, entgegnete Malfoy in einem Tonfall, der so gar nicht zu ihrem vorherigen Gezanke passen mochte. Hermine legte die Stirn in Falten. Plötzlich gingen ihr die Vorwürfe, die Harry Malfoy gegenüber erhoben hatte, noch einmal durch den Kopf. Sie lehnte den Kopf zurück und blickte ihn nachdenklich an. Das konnte sie ganz ungeniert tun – ihre Blicke würden sich nicht so schnell treffen, da Malfoy sich kaum dazu herablassen würde, den seinen von der Decke zu lösen. Er war noch blasser als sonst. Sie hatte nicht geglaubt, dass das möglich war. Sein Haar war dünn, genau wie seine Haut, unter den Augen lagen deutliche Schatten und obgleich sein Blick reglos nach oben gerichtet war, hörten seine Hände nicht auf, sich mit nichts zu beschäftigen. Gerade eben noch hatte Hermines größte Sorge einem Tadel und einer Stunde Nachsitzen gegolten. Jetzt, wo sie in dieser Besenkammer saß, fiel ihr wieder ein, dass draußen Krieg war. Für sie, für Ron, für Harry, für ihre Freunde und Verwandten. Für ihn. Vom ersten Schultag an waren die Fronten geklärt gewesen, und mit jedem weiteren Tag war die Kluft zwischen ihnen größer geworden. Jahrelang war er die Verkörperung von Boshaftigkeit, Feigheit und Arroganz gewesen. Jetzt saßen sie sich direkt gegenüber und sie konnte den Schrecken nicht mehr verleugnen hinter diesem dünn gewordenen Grau, das leblos in die Ferne starrte. Sie hatte es schon am Anfang des Schuljahres gemerkt. Bis dahin war es so einfach gewesen, Malfoy einzuordnen. Wo genau er stand, das hatte sie nie gewusst, entscheiden war nur gewesen, dass es sehr, sehr weit weg von ihnen war. Aber jetzt teilte er mit ihnen das, was sie mit allen teilten. Angst. Hermine rutschte auf ihrem Platz hin und her, wandte den Blick nach einer Weile zum Boden. Da ergriff Malfoy das Wort. „Meinst Du, die Luft ist rein?“ Es war eine ehrliche Frage. „Keine Ahnung. Die passen ja auf wie die Schießhunde zur Zeit. Vielleicht sollten wir noch etwas warten.“ Malfoy antwortete nicht, sondern horchte nach draußen. Dann begann er, mit den Fingern auf den Boden zu trommeln. Hermine gab sich einen Ruck. „Wieso?“, fragte sie unschuldig, „Hast Du's eilig?“ Malfoy sah sie wütend an. Hermine wurde nervös, unauffäliges Ausfragen war nicht gerade ihre Stärke. „Vielleicht,“ riss Malfoy sie mit einem Zischen aus ihren Gedanken, „kann ich mir einfach besseres vorstellen, als mit jemandem wie Dir tatenlos in einer Besenkammer herumzuhängen.“ „Kannst ja fegen“, gab Hermine zurück. Malfoy starrte sie verdutzt an und öffnete den Mund, aber Hermine ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Damit Du's weißt, ich hätte auch lieber eine Einzelkabine!“ „Warum hast Du Dir dann keine gewünscht?“ „Wa...Wie bitte?“ „Warum sitzt Du denn dann nicht in Deiner „Einzelkabine“, hm? Der Raum der Wünsche wird zu dem, was man haben will, oder? Du hat einen Ort für Dich zum Verstecken gebraucht, aber hier ist Platz für zwei, also hast Du ja wohl irgendwas falsch gemacht! Oder hast Du Dir gedacht „Hey, nehme ich gleich ein Versteck für zwei, dann kann ich noch irgendjemanden retten, der zufällig vorbeikommt!“? Sieht Dir ähnlich, Dir und Deinen heldenhaften Freunden.“ „Ich...“ Hermine war irritiert. „Ich habe gar nichts gedacht! Ich hatte es ziemlich eilig, weißt Du?“ Für einen Moment verstummte sie. „Und überhaupt,“, fuhr sie dann fort, „Warum bist Du denn hier drin gelandet? Hast Dir wohl selbst auch keine Einzelkabine gewünscht oder was? Hast wohl dran gedacht, dass Du Angst im Dunkeln hast, was?“ „Ich habe an gar nichts gedacht“, fauchte Malfoy, „Ich war auf der Flucht, genau wie Du.“ Sie sagten beide die Wahrheit, aber das änderte nichts daran, dass sie nun gemeinsam in einem Raum saßen. In diesem Raum. Eine Weile schwiegen sie sich an. Bei Harry und Ron war Hermine nie um ein Wort verlagen, es sei denn, Rons Blödheit verschlug ihr die Sprache, aber nun wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Sie wusste auch nicht, ob sie was sagen wollte. Es gab so viele Worte. Zu groß für diesen Raum und zu klein für diesen Augenblick. Die Zeit verging nicht, jedenfalls nicht hier drin. Weit weg vom Schulalltag, nur eine Wand entfernt von all dem Trubel, waren ihre Ängste so nah. So nah, so wahnsinnig nah. Aber trotzdem vor der Tür. Außerhalb. Hier drin war sie sicher. Aber draußen ging es weiter. Sie schritt zwischen den Geanken hin und her, wie man einen Gang auf und ab geht, und immer wieder blieb sie vor den Augen stehen, in denen sie nun sah, was da die ganze Zeit gewesen war. Irgendwann regte sich Malfoy, und Hermine schaute atemlos zu, wie er sich reckte und die Hand nach dem Türgriff ausstreckte. Er löschte das Licht. Dann drückte er ganz langsam die Klinke hinunter. Kurz verharrte er in dieser Position . Dann drückte er die Tür leicht auf. Es war nichts zu hören. Hermine sah zu, wie Malfoy leise aufstand und durch den Türspalt spähte. Dann drehte er sich zu Hermine um. Eigentlich hätte noch eine letzte abfällige Bemerkung fallen müssen, aber ihm schien nichts einzufallen. Sie sahen sich noch ein paar Momente lang an, Malfoy öffnete den Mund. Schloss ihn wieder. Keiner von beiden schien noch daran zu denken, dass jeden Moment ein aufgebrachter Filch um die Ecke stürmen konnte. Malfoy zuckte mit den Schultern und ging. Hermine sah ihm durch die offene Tür hinterher, wie er langsam in der Dunkelheit verschwand. Sie nahm die Besenkammer kaum noch wahr. Vor ihr lag wieder das große, bedrohliche Schloss, das ihr eigentlich so vertraut war. Ihr Herz pochte leicht, aber sie hatte keine Angst mehr. Vor nichts im Inneren dieser Mauern. Sie hatten schlimmere Dinge vor sich als Strafarbeiten. Sie beide. Hermine blieb reglos sitzen, bis seine Schritte fast verhallt waren. Dann sprang sie plötzlich auf, eilte auf den Gang hinaus und hielt den Atem an, um zu horchen. Aber seine Schritte waren schon verklungen und sie konnte nicht mehr ausmachen, in welche Richtung er gegangen war. Auch die Besenkammer war nicht mehr da. Sie würde nie wieder da sein. Sie würde Malfoy morgen wiedersehen, einen anderen Malfoy. Den, den sie seit vielen Jahren kannte und nie kennengelernt hatte. Sie würden Rivalen sein, Gegner, vielleicht Todfeinde. Auf verschiedenen Seiten stehen. Aber einer von ihnen würde wissen, dass sie denselben Feind hatten, Opfer desselben Krieges waren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)