Einhundertzwanzig von Tsuruume (120 OS » BBxSB) ================================================================================ Kapitel 1: Never cry -------------------- Wenn er ehrlich war, dann hätte er nicht geglaubt, dass sie wirklich kommen würde. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Hochzeitsgesellschaft, die sich auf dem Anwesen der Blacks versammelt hatte, sie aus ihren Klauen ließ, war verschwinden gering, so ungemein winzig, dass sich daran festhalten schon fast Wahnsinn glich. Aber noch eine Tollheit mehr in dem Reigen der Irrsinnigkeiten, die er sich in den letzten Monaten geleistet hatte, wog dann auch schon nicht mehr sonderlich schwer. Und so saß er seit Stunden auf einer der Wiesen, die an das Grundstück angrenzten, weit genug entfernt, um nicht gesehen zu werden, aber immer noch nah genug, dass der Lärm der Feiernden zu ihm getragen wurde. Musik und Gelächter, Dinge, die ihm die Galle so hoch trieben, das sein Mund voll war von dem bitteren Geschmack, der sich so schwer wieder verdrängen ließ. Stunden, die sich hinzogen wie der Kaugummi, den er in einem seiner vielen Aushilfsjobs in den letzten Jahren unter den Tischen von Bars abgekratzt hatte. Stunden, in denen er der Sonne dabei zusah, wie sie langsam über den Himmel kroch und diesen schließlich von dem hellen Blau, welches er getragen hatte, in ein leichtes Rosa tauchte, fließend übergehend in tiefes, sattes Orange. Und hinein in dieses Farbenspiel über seinem Kopf, während er den gefühlten, hundertsten Grashalm zwischen seinen Lippen hielt, drängte sich das Rascheln von Stoff. Nicht sicher, ob nicht gerade der Wunsch Vater des Geräusches war, legte er den Kopf so weit in den Nacken, dass er hinter sich sehen konnte. Und wenn es nicht gerade ein Irrwicht war, der sich dazu entschlossen hatte, sich anstatt in das, was man am meisten fürchtete, in das zu verwandeln, was man am meisten begehrte, dann war sie es tatsächlich. Er sprang auf, ein linkisches Lächeln auf den Lippen, fast schon verlegen, drehte sich zu ihr um und wischte sich die Hände hastig an der Hose ab. „Bella.“ „In Person.“ Tonfall und Gesichtsausdruck bildeten eine perfekte, genervte Einheit und wollten so gar nicht zu dem weißen, fließenden Kleid passen, dessen Rock sie rücksichtslos, bis zum Knie gerafft, in einer Hand hielt. Und damit degradierte sie ihn wieder mühelos zurück in die Rolle des kleinen, unsicheren Jungen, der nicht genau wusste, was er sagen wollte oder sagen sollte, immer ängstlich, dass, egal, was er tat, es so oder so nur dazu führen würde, dass er Ärger bekam. „Ja...“ Nervös befeuchtete er die Lippen mit der Zungenspitze und fuhr sich mit allen fünf Fingern der rechten Hand durch die Haare, während er regelrecht dabei zusehen konnte, wie sich die Falte zwischen ihren Augenbrauen zu bilden begann, die nichts Gutes verhieß. „Hübsch... siehst du aus.“ Bellatrix' Lippen kräuselten sich in einer Mischung aus grimmiger Belustigung und echtem Ärger. „Deswegen sollte ich unbedingt hierher kommen? Damit du mir sagen kannst, dass ich hübsch aussehe?“ „Nein, das... nein, ich meine... vielleicht auch, das...“ Er konnte James in seinem Kopf lachen hören. Laut und ausdauernd. Gehässig. Und das machte es wirklich nicht einfacher. Das brachte ihn nur dazu, sich hier und jetzt noch mehr zu hassen. Er war doch sonst nicht so, er... er hatte doch lange genug darüber nachgedacht, wie es werden würde, wenn sie beide hier standen, er hatte doch oft genug jeden winzigen Teil des Gesprächs in seinem Kopf immer und immer wieder durchgespielt, er... „Sirius.“ Ihre harsche Stimme durchbrach seine geistige Selbstkasteiung. „Entweder reißt du dich jetzt zusammen und sagst, was du zu sagen hast, da ich nicht ewig Zeit habe oder aber du lässt es. Ganz gleich, wofür du Jammerlappen dich entscheidest, es sollte schnell passieren.“, schnarrte sie mit schmalen Augen und pustete sich dann gereizt eine der dunklen Strähnen, die sich aus den sorgsam hochgesteckten Haaren gelöst hatte, aus ihrem Gesicht. „Mensch, Bella, ich hoffe wirklich, ihr zwei bekommt nie Kinder, du hast wirklich eine reizende Art, auf Menschen einzugehen.“ Aber wenigstens hatte diese reizende Art den Block in ihm gelöst. Das war vertrautes Terrain, in dem Gebiet kannte er sich aus, so konnte er ohne weitere Probleme mit ihr sprechen. Und selbst das jetzt ihre Miene mit einem Schlag unglaublich finster geworden war, konnte ihm kaum mehr Angst einjagen. Nein, eigentlich belustigte es ihn. „Du hast mich also von meiner eigenen Hochzeit auf diesen Acker geholt, um mich zu beleidigen?“ Sirius riss beide Arme nach oben, als sie einen Schritt auf ihn zumachte und gab ein abwehrendes Geräusch von sich. „Nein, nein, nein. Das hat sich nur gerade... so ergeben.“ Und ehe sie nach Luft schnappen konnte, um ihn verbal zu ohrfeigen – für eine echte stand sie glücklicherweise noch zu weit weg – wedelte er wieder mit beiden Händen. „Was ich eigentlich wollte, Bella, wirklich, wirklich ist... dir viel Glück zu wünschen.“ Fünf kleine Worte und sie kamen so unglaublich, unglaublich zäh über seine Lippen, als müsse er jemanden zustimmen, sein Motorrad zu verschrotten. „Und da ich ja nicht eingeladen war, musste ich das eben so machen... Karten sind immer so unpersönlich.“ Auch, wenn er darüber nachgedacht hatte, einen Heuler zu schicken, aber das hätte wahrscheinlich nur er witzig gefunden, der Rest der Familie hätte das eher als Zeichen seiner Idiotie gewertet. „Verräter sind von Festen eben ausgeschlossen, Sirius, das solltest du eigentlich wissen.“ Es kam weich über ihre Lippen, weicher als man solche Dinge eigentlich sonst aussprach, ehe sie den Blick leicht senkte. „Aber danke.“ Und dann standen sie stumm voreinander. Er immer noch auf dem Grashalm kauend, sie ein Stück Dreck mit der Spitze ihres rechten Schuhes von sich schiebend, ehe sie zögernd wieder die Stimme erhob. „Das... war es dann?“ Etwas lag in ihrer Stimme, was er nicht wirklich deuten konnte. Enttäuschung, Trauer... irgendetwas hin in diese Richtung, das schwer greifbar war, vielleicht auch, weil sie es mit aller Macht zu unterdrücken versuchte. Und er, er nickte einfach nur stumm. „Gut, dann... gut.“ Bellas Mundwinkel verzogen sich zu einem gekünstelten Lächeln, ehe sie ihm den Rücken zudrehte. „Dann... gehe ich wieder.“ Kein Wort darüber, dass das ja wohl wirklich auf eine Karte gepasst hätte, kein Wort darüber, dass er ihre Zeit hier nutzlos verschwendet hatte, nichts. Nichts von dem, was sie wahrscheinlich – nein, eigentlich ganz sicher – jedem anderen an den Kopf geworfen hätte, der sie dazu gebracht hatte, von ihrer Hochzeit zu verschwinden und mit Schuhen, die absolut nicht dafür gemacht worden waren, durch Gras und Dreck zu stapfen. Und jetzt ging sie, ohne, dass er sie das gefragt hatte, was er eigentlich unbedingt hatte fragen wollen. „Macht er dich glücklich?“ Es platzte aus ihm heraus, als sie sich umdrehte, als sie Anstalten machte, zurück zu gehen und es brachte ihm einen irritierten Blick über ihre Schulter ein, ehe ihre Miene regelrecht versteinerte. „Ich denke nicht, dass das wichtig ist, Sirius.“ In einem Tonfall, in dem sie auch hätte sagen können, dass das nichts war, was ihn etwas anging. Etwas, dass ihn nichts mehr anging. „Ich hätte dich glücklich gemacht.“ Wie ein verzweifelter, kleiner Junge griff er nach dem letzten Halm, den die Welt ihm bot, schrie ein letztes Mal all das heraus, was er viel früher hätte sagen sollen. Und erntete dafür ein vernichtendes auflachen, kalt und humorlos, abfällig und unglaublich von oben herab. „Hättest du, ja?“ Bella zischte die Frage fast schon. „Weißt du, Sirius, das ist vollkommen egal, weil du es nie unter Beweis stellen wirst. Und oh, wenn ich mich recht daran erinnere, dann hast du mich eigentlich nur unglücklich gemacht, also behalte solche Behauptungen in Zukunft einfach für dich.“ Genau so gut hätte sie ihn schlagen oder mit einem Crucio foltern können, keines von beidem hätte mehr geschmerzt als das. „Aber Bella...“ Langsam, fast vorsichtig, so, wie man auf ein wildes, gereiztes Tier zuging, von dem man nicht wusste, wie es reagieren würde, trat er näher. „Nichts aber Bella.“, äffte sie ihn in lodernder Wut nach. „Dass du es wagst... das du es wagst, hier aufzutauchen und mir das... das du es... ich fasse es nicht, ich...“ Ihren Namen dennoch erneut wiederholend, umfasste er ihre beiden Schultern und hielt sie selbst dann noch fest, als sie mit all der Kraft, die sie hatte, versuchte, sich loszureißen. „Fass mich nicht an, Sirius, ich schwöre, fass mich nicht an.“ Fast schon hysterisch, während ihre Wangen sich in purem Zorn rot zu färben begannen. Und als er immer noch nicht los ließ, spie sie ihm das entgegen, wovor er sich am allermeisten gefürchtet hatte. „Ich hasse dich, verstehst du das? Ich. Hasse. Dich.“ Silbe für Silbe eigens betont. „Das tust du, ja?“ Er fühlte sich leer. Wie ein Kessel, gegen den man getreten hatte und aus dem jetzt restlos jeder Tropfen gelaufen war, weil sich niemand dazu berufen gefühlt hatte, ihn schnell genug wieder aufzustellen. Einem Teil von ihm war klar, dass er das hier verdient hatte, er, der all die Zeit mit Zögern und Hadern verbracht hatte. Einem Teil von ihm war klar, dass er jede Strafe auf sich nehmen musste, die die Welt ihm jetzt vor die Fuße warf. Aber das hieß nicht, dass er damit zurecht kam. Das hieß nicht, dass er wirklich damit leben konnte. Und wie ein letztes, nutzloses Aufbäumen dagegen, ließ er ihre Schultern los, umschloss ihre Gesicht mit seinen Händen, wie er das so oft getan hatte und küsste sie sehnsüchtig. Für einen winzigen, verlogenen Augenblick fühlte es sich genau so an wie in den vielen kleinen Momenten zuvor, die sie beide sich von dieser Welt gestohlen hatten. Für einen Wimpernschlag erwiderte sie den Kuss, für eine Winzigkeit drückte sie sich an ihn, ehe sie ihn mit beiden Händen fest von sich stieß und sich mit den Handrücken über die Lippen fuhr. „Na dann...“ Sirius schnalzte leise mit der Zunge, vergrub die Hände tief in den Taschen seiner Hose und trat noch einen Schritt weiter zurück. „Dann... auf Wiedersehen, Mrs. Lestrange.“ Kaum hatte er es ausgesprochen wusste er, dass er sie nie wieder so nennen würde. Er konnte es nicht. Er konnte nicht das aussprechen, was seinen Verlust in zwei so kleine Worte fasste: Mrs. Lestrange. „Das hier ist kein auf Wiedersehen, Sirius.“ Kalt. Fast emotionslos. „Das ist ein Lebewohl. Wobei ich es für dich eher anders formulieren möchte.“ Energisch raffte sie den Rock des Kleides wieder nach oben, dessen Saum mittlerweile dreckig geworden war. „Verreck.“ Und damit ging sie. Ohne, dass er sie noch einmal aufhielt, ohne, dass sie sich noch einmal umdrehte. Hatte das, was zwischen ihnen gewesen war, mit einem einzigen, gezielten Tritt vernichtet, ohne Mitleid, ohne Reue, ohne den Versuch, es aufrecht zu erhalten. Wie lange er schließlich da stand und ihr hinterher starrte, selbst dann noch, als aus ihr nur noch ein kleiner, weißer Fleck geworden war und selbst der weiße Fleck schließlich verschwand, konnte er nicht mehr sagen. Eigentlich war es auch gleich, vollkommen gleich. Das war es. Das Ende einer Romanze, die nie unter einem guten Stern gestanden hatte. Die ihm jeder versucht hatte auszureden. An die er sich geklammert hatte, wie ein Ertrinkender an ein Stück Holz und schließlich selbst versenkt. Sein Hals schnürte sich in der bitteren Erkenntnis des eigenen Versagens zusammen. Aber Tränen waren nicht angebracht. Weinen... weinen wollte er darum nicht, weinen... nein. Das stand ihm nicht zu. „Auf Wiedersehen... Bella.“ Kapitel 2: Black & Blue ----------------------- » THEN Kichernd, das schmale Buch, welches er erbeutet hatte, fest an sich gepresst, robbte er unter das Bett, zupfte von unten die Tagesdecke, die er dadurch leicht verschoben hatte, wieder zurecht und hielt sich dann die freie Hand vor den Mund, um jeglichen Laut zu unterdrücken. Gerade noch rechtzeitig, wie das Knallen der Tür, die mit voller Wucht aufgestoßen worden war, ihm signalisierte. „Wo ist er? Wo ist er? Ich schwöre, ich bringe ihn um.“ Bellas Stimme überschlug sich fast vor Hass, war hoch und hysterisch und amüsierte ihn mehr, als es für sein Überleben gut gewesen wäre. „Aber Bella, das ist doch nichts weiter als ein dummer Jungenstreich, er kann doch nicht weit gekommen sein.“ Die Stimme und das Paar Schuhe, welches sich in sein Sichtfeld schob, musste Cissa gehören. Gut, wenn er jetzt erwischt wurde, dann konnte er wenigstens damit rechnen, mit dem Leben davon zu kommen, denn seine Cousine würde es sicher nicht wagen, ihn vor ihrer jüngeren Schwester in der Luft zu zerfetzen. Wirklich nicht. Und so, wie es klang, würde sie Bella schon beschwichtigen. „Das hat er sicher nicht böse gemeint.“ Die schwarzen Schuhe wirbelten wenige Meter von ihm entfernt herum. „Nicht böse gemeint?“ Jetzt kippte die Tonlage seiner Cousine vollkommen. „Das glaubst du doch selbst nicht, Cissa. Er hat darauf gewartet, dass wir alle unten waren und dann hat er die Zeit genutzt, hochzuschleichen und mein Tagebuch an sich zu bringen. Das war geplant. Eiskalt geplant.“ Ein Kompliment an ihre Gabe, ihn einzuschätzen, das war wirklich der Fall gewesen. „Und jetzt sitzt er mit Sicherheit irgendwo, liest es und denkt darüber nach, wie er mit dem, was er da liest, den größten Schaden anrichten kann.“ Abgesehen davon, dass er das noch nicht tat, weil er leider noch nicht in der Lage dazu gewesen war, hatte sie schon wieder recht. Musste er anfangen, sich Sorgen darüber zu machen, leicht durchschaubar zu sein? Oder waren sie sich einfach zu ähnlich? „Bella, ich bitte dich.“ Narzissa lachte hell auf. „Du unterstellst dem Jungen Dinge, die wirklich an den Haaren herbeigezogen sind, warum sollte er...“ Er würde die Lobreden von ihr niemals zu Ende hören können, da ein Laut sie unterbrach. Genauer gesagt ein Nieser. Genauer gesagt ein Nieser, den er verursacht hatte. Der Vorteil von Betten war, sie boten viel Platz für einen Jungen mit acht Jahren. Der Nachteil war, dass darunter eher weniger Staub gewischt wurde, man müsste diese Hauselfen wirklich zu besserer Leistung anhalten... und jetzt darum beten, dass niemand das gehört hatte. „Was war das?“ Bellas Stimme war scharf, glich einem Bluthund, der die Witterung seiner Beute aufgenommen hatte. „Ein Nieser?“ Die Antwort ihrer Schwester war von einem fast schon verzweifelten Lachen untermalt. „Er ist hier, Cissa, er ist... diese kleine...“ Noch bevor er auf die Idee kommen konnte, unter dem Bett hervor zu kriechen, um sich noch irgendwie zu retten, schlossen sich Finger wie Schraubstöcke um das Gelenk seines rechten Fußes und er wurde mit einem Ruck unter dem Bett hervor gezogen. Wenigstens konnte er das Tagebuch noch loslassen, damit es sicher dort blieb. Wenn sie wütend genug war, fiel ihr das nicht auf und der Schatz blieb sein. „Da bist du ja...“ Ihre Stimme war trällernd, mit einem Hauch von Irrsinn, der ihn wirklich, wirklich beunruhigte. „Bella.“ Immerhin gestatte sie ihm, sich um zudrehen, ehe sie ihn Kragen packte und zu sich hochzog. „So, du Flubberwurm...“ „Bella, jetzt sei doch nicht so.“ Narcissa klang leider mehr belustigt, als wirklich besorgt, er selbst zwang sich zu einem strahlenden Lächeln, auch, wenn er die Totenglocken bereits hörte. „Wo ist es?“, zischte seine Cousine, ihre Schwester vollkommen ignorierend. Ihre Augen waren vor Wut schmal und ihm war absolut klar, dass er verloren hatte. Aber wer wäre er denn gewesen, wenn er jetzt einfach aufgab? Stattdessen strahlte er sie an und öffnete den Mund, um einen der folgenschwersten Sätze seiner Kindheit von sich zu geben: „Wenn du mir einen Kuss gibst, dann sage ich es dir.“ Sprach's und spitzte die Lippen. Ihre Antwort bestand in einem Aufschrei, schriller als der einer Alraunenwurzel und dem Versuch, ihm den Hals umzudrehen. Was auch geklappt hätte, wenn Narcissa sie nicht um die Hüfte gepackt und festgehalten hätte. Und während Bella noch schrie, dass man sie loslassen sollte, sprang er über das Bett, um lachend aus dem Raum zu laufen. Großartiger Tag. Großartiger Tag. Den Kuss hätte er dennoch irgendwie gerne gehabt. » NOW Warum ihm das gerade jetzt in den Sinn kam, konnte er nicht sagen. Vielleicht lag es daran, dass er sich auch jetzt wieder, wie ein feiger, kleiner Junge, in einen schützenden Schatten duckte und darauf wartete, dass das Unheil in Form seiner Cousine an ihm vorüber ging. Unheil, welches sich vielleicht hätte lösen lassen, wenn sein Zauberstab nicht mehrere Meter von ihm entfernt am Boden liegen würde, dort, wo er hingeschleudert worden war, als sie ihn entwaffnet hatte. Und jetzt saß er wie eine Ratte in der Falle und überlegte. Eine der Überlegungen war, dass eines sich in all den Jahren, in denen sie sich mehr und mehr voneinander entfernt hatten, immer noch nicht geändert hatte: Bella wusste immer ungefähr, wo er sich verkroch. Und einem Raubvogel gleich, zog sie immer enger werdende Kreise um sein Versteck, bis sie ihn schlussendlich finden würde. Entweder, weil er sich verriet oder weil sie durch pures Glück in das richtige Loch stieß. Geändert hatte sich nur das, was auf ihn wartete: war es früher nur einfach eine Tracht Prügel oder ein widerlicher Ausschlag gewesen, den sie ihm verpasst hatte, würde es heute ein Crucio sein, so lange, bis er wahnsinnig wurde und seine Kehle zu trocken war, um zu schreien. Und keine Narcissa würde kommen, um ihn zu retten. Nein, heute waren sie beide alleine und sie und er, Hass und Angst, Wahnsinn und Furcht. „Komm schon raus, Sirius, ich weiß, dass du da bist.“ Ihre Absätze klackerten hell auf dem steinigen Boden der Gasse und die hohen, dreckigen Wände brachen ihre Stimme tausendfach und warfen sie immer und immer wieder zurück. „Nun komm schon, du feige Ratte, komm raus und stell dich der Sache wie ein Mann.“ Es war eine Mischung aus Wut und diesem Irrsinn, den er so sehr an ihr hasste. Manchmal brach sie in eine Art Gelächter aus, was aber sofort wieder abebbte. „Du kannst dich nicht ewig verstecken.“ Jetzt war es nur noch Wut und in der nächsten Sekunde zuckte ein grüner Lichtstrahl über den Boden und erhellte die Szenerie für die Dauer eines Wimpernschlages. Es war noch nie gut gewesen, Bella warten zu lassen. Wenn er ehrlich war, dann hatte er jetzt genau zwei Möglichkeiten: Er konnte hier sitzen und warten, bis sie ihn erwischte und würde dann chancenlos untergehen. Oder aber er griff sie jetzt direkt an, mit bloßen Händen und hoffte, dass der Überraschungsmoment gelang und ihm einen solchen Vorteil verschaffte, dass er entweder an ihren Zauberstab kam oder aber seinen zurück bekam, damit er apparieren konnte. Er entschied sich für Zweiteres, als sie wieder an ihm vorbeistapfte. Mit all der Kraft, die er aufbringen konnte, schnellte er nach vorne, umfasste sie und riss sie mit sich zu Boden. Sicher, es tat ihm irgendwie leid und wirklich Schmerzen zufügen wollte er ihr nicht, aber solche Sentimentalitäten konnte er sich hier und jetzt nicht erlauben. Sie gab einen erstickten Laut von sich, als sie zusammen auf dem harten Boden aufkamen. Ein hölzerner Laut verkündete ihm, dass der verdammte Stab ebenfalls nach unten gefallen war. Triumph rauschte einen Augenblick lang durch seine Adern, aber dann rammte sich ein Ellenbogen empfindlich hart in seine Magengrube und für einen Moment stockte ihm die Luft. „Du verdammter, du widerlicher, du...“ Sie war so außer sich, dass sie das, was sie da anfing, nie beendet, aber dafür wand sie sich mit so einer Kraft unter ihm, dass er sie kaum halten konnte. „Bella, lass... verdammt, lass das doch einfach...“ Sicher, betteln brachte ihn da nicht weiter, aber vielleicht, vielleicht hörte sie ja wirklich auf ihn und hörte auf, nach ihm zu schlagen, nach ihm zu treten und vor allem musste sie die Versuche beenden, ihren Stab wieder in die Finger zu bekommen. Wirklich. Dringend. „Dafür werde ich dich umbringen, Sirius, du feiger Hund.“ Mittlerweile hatte sie sich umgedreht, lag direkt unter ihm und nutzte die Chance, dass sie ihm ins Gesicht sehen konnte, um ihm in selbiges zu spucken. Bei all dem Ernst der Lage huschte ein fast schon ironisches Lächeln über seine Lippen, als es ihm schließlich gelang, sie auf dem Boden zu fixieren. „Ja, sicher wirst du das tun. Damit dein hässlicher Lord dir den Kopf tätscheln und dich loben kann.“ Ihre Augen wurden schmal vor Hass. „Hör auf ihn zu beleidigen. Du bist es überhaupt nicht wert, über ihn zu sprechen.“ Er lachte abfällig auf. „Soll ich dir ein Geheimnis verraten, Bella?“ Auf ihre Antwort wartete er gar nicht erst, sondern beugte sich über sie und raunte fast schon vertrauensvoll in ihr rechtes Ohr: „Er ist Abschaum. Widerlicher Abschaum, unwichtiger und verabscheuungswürdiger als der Dreck unter meinen Schuhen und ich hoffe, dass er jämmerlich sterben wird. Und das schnell.“ Vielleicht hatte er, als er das sagte, die Kraft, mit der er sie hielt, ein wenig gelockert. Vielleicht hatte er auch einfach unterschätzt, wie stark sie werden konnte, wenn sie wütend war. Vielleicht hätte er sie auch einfach nicht weiter reizen sollen. Fakt war – ganz gleich, was ihr nun diese Chance gab – dass sie die rechte Hand losriss und ihm eine so schallende Ohrfeige verpasste, dass vor seinen Augen kleine, bunte Punkte zu tanzen begannen. » THEN Ihre eigene Hand brannte, so fest hatte sie zugeschlagen, aber das war nichts im Vergleich zu der Hitze, die sich auf ihren Wangen abzeichnete und sich über das komplette Gesicht zu ziehen drohte. Die andere Hand hielt sie gegen ihren Mund gepresst, dorthin, wo bis vor wenigen Sekunden, vollkommen überraschend, noch die seinen gelegen hatten. Und er, er stand vor ihr, immer noch dieses dreckige Grinsen auf dem Gesicht, obwohl ihre Finger sich bereits mehr als deutlich dort auf seiner Wange abzeichneten, wo diese sie getroffen hatten. „Was fällt dir ein?“ Sie zischte es regelrecht. Immer noch ein Grinsen und am liebsten hätte sie ein weiteres Mal zugeschlagen, wenn es ging, dann noch härter, nur, damit das aufhörte. Aber sie hielt sich zurück, sah zu, wie er einfach nur mit den Schultern zuckte und in seinen Taschen nach etwas zu suchen begann, während er sich mit dem Rücken an die Wand hinter sich lehnte. „Mir war danach.“ Ihre Augen weiteten sich in einer Mischung aus purer Entrüstung und einer Art von Entsetzen. Dann wiederholte sie seine Worte. Langsam. Fast schon drohend. Und er, er lachte jetzt wirklich auf, laut, amüsiert und winkte beschwichtigend ab. „Bella, bitte.“ Das, was er gesucht hatte, waren seine Zigaretten gewesen. Widerliches Muggelzeug, sie verstand gar nicht, was er so großartig daran fand. „Bitte was?“ Ja, darauf hätte sie gerne eine Antwort. Ansonsten würde sie jetzt auf der Stelle zu dem übergehen, was sie schon vor Jahren mit ihm hätte tun sollen, hätte man sie nicht aufgehalten: ihn grün und blau prügeln, bis er, um Gnade winselnd, zu ihren Füßen lag. Die Packung in der Hand drehend, ohne einen der stinkenden Stängel heraus nehmend, sah er sie an – ohne jeglichen Spott, ohne die Überheblichkeit, die bis gerade eben noch fast den ganzen Raum gefüllt hatte. „Lass mich doch erst mal ausreden...“ Ihr lagen die Wiederworte schon auf der Zunge, aber gut, sollte er eine Chance bekommen. Ihr sollte niemand nachsagen, dass sie nicht auch gnädig sein konnte. Also nur ein aufforderndes Nicken. „Ich dachte... du willst das... vielleicht auch.“ Bei Merlins Bart, ihr Cousin war dabei, vollkommen durchzudrehen. „Warum sollte ich einen Kuss von einem Knirps wollen, der es gerade mal geschafft hat, seinen Schulabschluss zu machen, ha?“ Richtig. Sie hatte einen Mann in Aussicht, einen richtigen Mann. Und nicht ihn hier, der ihr zwar in den letzten Jahren gewaltig über den Kopf gewachsen war und der nicht einmal schlecht aussah und in dessen Gegenwart... Schluss. Schluss. Unwirsch rief sie sich selbst zur Ruhe, wischte den Unsinn, die dummen Flausen, die von ihm überspringen mussten, aus dem Kopf und schenkte ihm den vernichtensten Blick, zu dem sie in der Lage war. „Weil du mich magst?“ Unfassbar, wie leicht er zwischen verlegen und überheblich hin und her schwanken konnte. Jemand sollte das untersuchen, das konnte nicht normal sein. „Dich mögen.“, giftete sie. „Warum sollte ich? Du bist ein Kind, ein Trottel, nicht viel intelligenter als ein Flubberwurm und auch nicht viel hübscher.“ Seine rechte Augenbraue wanderte ein Stück nach oben, die Packung Zigaretten wurde wieder zurück in die Tasche geschoben, ehe er einen Schritt auf sie zumachte. „Tust du also nicht, ja?“ Der Unterton gefiel ihr überhaupt nicht, er brachte einen Nerv in ihr dazu, auf eine Art zu schwingen, die ihre Knie weich werden ließ. Was sie aber nicht davon abhielt, das Kinn trotzig nach oben zu recken. „Nein, tue ich nicht, Sirius.“ „Komm her.“ Hörte er ihr eigentlich zu? Hörte er ihr eigentlich eine verdammte Sekunde lang zu? Alles, was sie ihm schenkte, war ein Blick, in dem die Frage lag, ob er sich jetzt vollkommen von der wachen Welt verabschiedet hatte, um in seiner eigenen, kleinen zu leben. Aber alles, was er tat, war diesen einen Satz wiederholen, die Stimme rauchig und tief, so ganz im Gegensatz zu dem kindischen Benehmen, welches er ansonsten an den Tag legte. Es war nichts weiter, als ein kleiner Ausrutscher. Eine kleine, kurze Sache, ein winziges, schmutziges Geheimnis, welches zwischen ihnen beiden bleiben würde. Denn was konnte schon Großes aus einem einzigen, schwachen Moment werden, in dem sie den Schritt wirklich auf ihn zumachte. Er vergrub die Finger in den Haaren in ihrem Nacken und zog sie ganz zu sich. Sie konnte das warme Lächeln, welches seine Mundwinkel umspielte, einen winzigen Moment sehen, ehe sie die Augen schloss und ihm seinen Willen ließ. » NOW Es war der wohl dümmste Moment gewesen, um sich an etwas zu erinnern, was nicht dazu beitrug, ihren Willen, ihm das Genick zu brechen, zu steigern. Das waren Dinge, die sie weich werden ließen, die sie für einen Moment zur Seite schieben ließen, dass er nichts weiter war, als ein dreckiger Verräter, den es zu töten galt, weil er eine Schande für jede reinblütige Familie darstellte. Und natürlich nutzte er es aus, etwas anderes hatte sie von ihm auch gar nicht erwartet, nach einem so unfassbar feigen Angriff. Sirius hatte die Chance genutzt und nach ihrem Stab gegriffen, ehe sie auch nur den Hauch einer Chance gehabt hatte, ihn davon abzuhalten oder – noch besser – ihn selber wieder in die Finger zu bekommen, um das zu beenden, was sie angefangen hatte. War aufgesprungen und stand jetzt vor ihr, ihr, die immer noch im Dreck lag und jetzt erst die Möglichkeit bekam, sie aufzurappeln. „Gib ihn auf der Stelle zurück.“ Als ob er das getan hätte. Als ob er das wirklich getan hätte. Genau so gut hätte sie ihn darum beten können, sich in die Ecke zu setzen und dort einfach zu sterben, damit sie ihre Zeit nicht weiter mit ihm verschwenden musste. „Ich borge ihn mir nur aus, liebes Cousinchen.“ Seine Stimme war schon wieder ein einziger Quell des Spottes, der aus der Überlegenheit kroch, in der er sich gerade zu wälzen schien. „Und wenn du nett zu mir bist, dann bekommst du ihn vielleicht sogar wieder.“ Sie wollte ihm den Hals umdrehen. Unbedingt. Dringend. Die Finger darum schließen und langsam zudrücken. Ohne jegliche Magie, einfach nur mit den bloßen Händen. Und er schien genau das zu wissen, denn ohne, dass sie sich in Bewegung setzte, machte er noch einen Schritt nach hinten, hielt die Spitze ihres Stabes dabei aber drohend auf sie gerichtet, während er sich, ohne sie aus den Augen zu lassen, seinen eigenen vom Boden aufhob. „Ich meine, du kennst den Preis für deine Sachen doch immer noch, meine Liebe, oder nicht?“ Schalk funkelte in seinen Augen. „Nein.“ Woher sollte sie wissen, was in seinem verdrehten Kopf vorging? Woher? Eine Antwort gab er ihr nicht, da war nur für die Dauer eines Wimpernschlages eine Art Trauer in seinem Blick, die sie zum Schweigen brachte. Weil es ihr die Gewissheit gab, dass sie etwas vergessen hatte, etwas, das sie einst verbunden hatte. „Nicht so wichtig, Bella... nicht so... wichtig.“ Und dann verschwand er, apparierte schweigend, nahm ihren Stab mit sich und ließ sie einfach so hier zurück. Zurück mit einem Kopf, der sich unbedingt an Momente erinnern wollte, die sie tief in sich begraben hatte, so tief, dass sie an manchen Tagen vergaß, dass es sie jemals gegeben hatte. Die keinen Platz mehr in ihrem Leben hatten, die keinen Platz mehr dort haben durften. Sie war eine treue Dienerin des Lords und er nichts weiter mehr als ein Verräter. Einem Mantra gleich wiederholte sie diesen einen Satz, wieder und wieder, als sie ihre Kleidung richtete, den Dreck von Knien und Oberkörper fegte, so gut, wie es eben ging. Sie brauchte ihn nicht. Sie wollte ihn nicht. Und als sie die Gasse schließlich verließ, um dem Lord davon zu berichten, dass sie versagt hatte, war sie auch wieder bereit, daran zu glauben. » Wahrscheinlich war es an der Zeit, dass er, genau wie sie, endlich mit allem abschloss. Sie hatte das alles hinter sich gelassen, als hätte es niemals existiert. Ein Teil von ihm beneidete sie darum, der andere Teil spürte stilles, tiefes Mitleid. Und welcher genau irgendwann die Oberhand gewinnen würde, konnte er wirklich nicht sagen. Genau so wenig wie er sich beantworten konnte, warum er ihren Zauberstab mit sich genommen hatte, obwohl es gereicht hätte, ihn einfach in eine der Ecken zu werfen. Wahrscheinlich aus dem gleichen, dummen Grund, aus dem er damals ihr Tagebuch an sich genommen hatte. Um wenigstens für ein paar Stunden etwas zu haben, das ihr gehörte. Etwas, das ihm das Gefühl gab, mit ihr verbunden zu sein. Und das mehr als nur durch den Namen. Und jetzt, wo er über das raue, gebogene Holz mit den Fingern strich, waren es die gleichen Empfindungen, die er schon als kleiner Junge gehabt hatte. Selbst, wenn es nur geborgt war. Selbst, wenn er nie den Kuss dafür bekommen würde, den er dafür eingerechnet hatte, sondern einen Tracht Prügel, war es das wert. Sicher, es war Zeit, erwachsen zu werden, aber ein paar Minuten konnte er sich darum sicherlich noch drücken. Ein paar Minuten, in denen er glauben konnte, dass sie ihn vielleicht doch nicht so sehr hasste, wie sie es immer und immer wieder in den Nachthimmel schrie. Vielleicht würde er sie das fragen, wenn er ihr den Stab zurück brachte. Ein Versuch war es schließlich wert. » FIN. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)