Kurzgeschichten von _Zoe ================================================================================ Kapitel 1: Die Zeit danach -------------------------- Die Zeit danach Mit einen leeren Blick auf die Uhr erkannte er, dass es an der Zeit war, auf das Knarren der Tür zu warten. Dieses Geräusch war ihm in den letzten Monaten eines der Liebsten geworden. Als er in den Flur trat und sich auf die knacksende Holzbank setzte, berührten seine Hände links und rechts neben ihm, die viele unberührte Post, die Zettelnachrichten und die aktuellsten Werbeprospekte, die wieder vom neusten Muss berichteten und dabei doch wieder unangesehen ihren Weg in die Papiertonne fanden. Auch über etwas Glattes strich einer seiner Finger, und nach einer Weile zog er das Etwas unter dem Vielen hervor. Es war eine Postkarte aus Paris- unterzeichnet mit umarmenden Grüßen an ihn. Kurz lächelnd, legte er sie zurück und starrte nun auf seine gefalteten Hände. Er wusste nicht wie lange er sie betrachtete, ohne dabei an etwas Bestimmtes gedacht zu haben. Es kam ihm nur so schrecklich trist vor, wie er hier saß und sich feststellen sah, dass die meisten seiner Nachmittage nur noch von Stille, Schweigen und seiner Gedankenlosigkeit begleitet wurden- er hing nicht noch länger dieser trostlosen Vorstellung hinterher, denn das Knarren der schwarzen Holztür verriet, dass sie gekommen war. Er stand auf und sah sich im Vorbeigehen zur Tür selbst im Spiegel. Er fühlte sich nicht nur müde, er sah auch danach aus. Mit einem unsicheren Griff an die Klinke ließ er die Tür aufschwingen, so dass seine Kleine gleich eintreten konnte. Doch, dass sie ihn bei ihrer Begrüßung fast umhauten würde, hatte er nicht erwartet. Leider musste er eingestehen, dass sie nicht mehr die Leichteste war. "Du bist aber ganz schön gewachsen, seit dem letzten Mal, nicht?", schmunzelte er stattdessen und strich mit seiner großen Hand über ihren kleinen blonden Wuschelkopf. Sie lachte und gab ihm einen Kuss auf seine eingefallene Wange. "Ja, ganze vier Zentimeter! Bald bin ich größer als du, Opi." Sie lachte und ihre Augen strahlten, als sie nach seiner Hand griff und ihre kleinen Finger seine umschlossen. "Was machen wir heute?", fragte sie aufgeregt, schloss die Tür hinter sich, und drehte sich mit Elan so schnell um, dass ihr Kleid flatterte und einen Kreis schlug. "Aber nicht wieder Memory- das haben wir erst letzte Woche gespielt. Wie wäre es mit..." "Schach?", vollendete er ihren Satz und beobachtete wie sich Interesse in das Gesicht des Blondschopfs legten, während seines einen Hauch von Wehmut verriet. "Ja, ich will das auch mal so gut können wie Oma- bringst du's mir bei?" Mit einem Lächeln, dass seine Mundwinkel umschmeichelte, nickte er und deutete ihr in Richtung Wohnzimmer zu gehen und dort die alte Spielesammlung hervorzuholen. Als das junge Mädchen die Figuren ordnete und in Reih und Glied stellte, sah sie verschwörerisch auf. "Ich werde dich besiegen.", kündigte sie an und gespannt wie motiviert zog sie sich einen Stuhl heran. "Vielleicht schaffst du es mich ja irgendwann zu besiegen, aber nimm dir für heute lieber nicht zu viel vor...", sagte er verhalten und ließ sich langsam in den Sessel ihr gegenüber sinken. Noch leiser fügte er beinah Geflüstertes hinzu, dass er als bitteren Satz Wort für Wort auf der Zunge schmeckte. "Oma hat es letztendlich leider nie geschafft..." Kapitel 2: Doppelte Reflektion ------------------------------ "Nehmen Sie Platz", sagte er und lächelte höflich in meine Richtung. Er saß bereits als ich meinen Sitz einnahm, die Beine unüberschränkt ließ und ihm noch einen Moment gab, den er nutze, um über seine Notizen zu fliegen. Im Gegensatz zu mir, saß meine Frisur leider nicht und die große, saubere Spiegelwand vor mir, führte mir das grinsend und gnadenlos vor Augen. Auch zeigte sie mir, dass mein ach so tolles Make up seine Dienste für mich bereits quittiert hatte, Schattenringe zwinkerten mir selbstbewusst zu, während sich das Rouge in irgendeine Ecke meines Gesichtes verzogen hatte. Aber nein, es sollte ja heute nicht windig werden, geschweige denn regnen. In Gedanken über die Unzuverlässlichkeit des Wettes verfingen sich meine Gedanken weiter im Sorgengestrüpp des noch wartenden Tages. "Wie geht es Ihnen?", fragte er und lenkte mich davon ab, meine Gestalt noch länger im Spiegel nach Haftnotizen abzusuchen, die mich an eventuell Vergessenes hätten erinnern können. Ich schaute auf meine sich beschäftigende Finger, die halb ineinanderliegend nicht still halten konnten, als sei jeder der zehn ein Schlafender mit Albtäumen, die ihn quälten. "Nunja", begann ich, und wusste gar nicht wo ich zuerst ansetzen sollte."Mir geht es gut." Er lächelte verschmolzen, als ich meine Aussage wiederholte, doch es klang immer noch nicht überzeugender als mein erster Versuch. "Okay...naja ich bin etwas aufgekratzt heute. Ich muss noch viel erledigen bevor am Abend das Klassentreffen ist und ich ihn treffen...", brach ich ab, denn mein Gegenüber schien intensiv nach dem passenden Vermerk zu suchen. Er nickte trotzdem verstehend und sah auf einem seiner Bemerkblätter einen entsprechenden Hinweis auf den heutigen Tag. "Genau, daher die Vorverlegung.", er wartete und schien mir Raum zu lassen, das Gespäch in eine mir beliebte Richtung zu lenken, doch ich schwieg in dieser Hinsicht und fiel noch ein Stückchen mehr in mich zusammen. "Wissen Sie, ich habe mir heute noch so viel vorgenommen. Ich muss noch zum Frisör und zur Kosmetik und wenn ich zur Agentur wegen der fehlenden Akten fahre, muss ich noch schnell das lange Kleid aus der Reinigung abholen und daneben in den Supermarkt, da ist die zartbittere Schokolade im Angebot, die Sie doch auch mögen.", erzählte ich, als sei er meine Teefreundin und nicht mein Therapeut. "Sie können mir ja eine mitbringen.", schlug er vor und lächelte kobolthaft. "Ja?", rief ich erstaunt, als er schon wieder den Kopf schüttelte. "Nein, nein. Berrichten Sie mir lieber, wie das Aufgenommene auf sie gewirkt hat- war es merkwürdig sich selbst zu hören? Wissen Sie noch wann wir die Aufnahmen erabeitet haben? "Nun war ich es, die den Kopf schüttelte. "Das war vor den letzten drei Terminen hier, als es um die Trennung von Ihrem Freundes und Ihre Gefühle dazu ging." Und da war es zu spät. Er hatte das Gespräch in eine ihn interessierende Richtung gelenkt. "Ehrlich gesagt...", begann ich und konnte ihm nicht mal in die Augen sehen. "Habe ich es mir nicht angehört." "Oh, das ist kein Problem", bemerkte er leicht und kramte, als hätte er auch schon damit gerechnet, einen alten Kassettenrekorder unter seinem Arbeitstisch hervor. "Dann hören wir es eben jetzt.", beschloss er in der durchsetzungsfähigen Art, die ihn auszeichnete und mich nun, mehr fordernd als zwingend auf eine unschöne halbe Stunde vorbereitete. Die ersten zehn Minuten waren viel geprägt durch eine weinerliche Stimme, die kaum ein paar Sätze sprechen konnte, die nicht von einem herzergreifenden Schluchzen unterbrochen wurden. Weinte die Stimme nicht haltlos oder drohte gerade im Wasser zu ertrinken, so schlug die Wut hervor, die wie ein wildes Tier krachend aus dem Unterholz jeden zu zerfleischen drohte. Erschrocken hörte ich mir zu wie ich Lennard die Pest und den Tod an den Hals wünschte, und die Kälte in meiner Stimme ließ mich erschauern. Die eiskalten Worte ließen mich erstarren, während um mich herum ein wahres Gewitter ausbrach. Ich fluchte, tobte, schrie, und heulte. Während hin und wieder seine ruhige Stimme mich bat weiterzuerzählen und mich mehr auszuschütten. Es dauerte eine ganze Weile, eine schmerzende, gefühlte Ewigkeit, als er mir auf der Kassette einen Ruhemoment gönnte und mir ein Taschentuch reichte, in das ich, gut hörbar schnäuzte. Danach notierte man, unregelmäßiges Atmen und wieder begann meine Stimme die Geschichte weiter zu schildern. "Können wir hier unterbrechen?", bat ich und musste hart schlucken. Ich fühlte mich schlecht und mein Magen zog sich zusammen. Ich kam mir erbärmlich und klein vor. So fehlerbehaftet wie ein aussrangierten, aber zum Sonderpreis zu ersteigerndes Kleidungsstück, dass auf den ersten Blick überzeugte, doch die schlecht genähte Naht und der provisorisch verwendete Stoff über den tatsächlichen Zustand nicht hinwegtäuschten. Ich sah auf in zwei verlaufende Augen mir gegenüber. Mein Therapeut hatte sich etwas zur Seite gedreht, dass ich das Ausmaß des Gehörten auf mich, nicht nur fühlen, sondern auch sehen konnte. So sah man also aus, wenn Reue, Abscheu, Traurigkeit, Wut und Selbstenttäuschung ihre Hände anlegten. Doch im Vergleich zur Aufnahme war die Reflektion meines Ichs im Spiegel deutlich schweigsamer. Es musste mir nichts mehr gesagt werden, ich hatte verstanden. "Wissen Sie wie spät es ist?", fragte er mich und drehte mir sein Handgelenk zu, so dass ich auf das Ziffernblatt sehen konnte. "Bevor Sie ihn auf dem Klassentreffen sehen sollten, gehen Sie zu ihm und sagen Sie ihm, was sie jetzt fühlen." Er stand auf und automatisch spiegelte ich seine Bewegung. Kosmetik würde mir nicht helfen, auch nicht das lange Kleid, der Frisörbesuch oder Lennards Lieblingsschokolade... "Sie rufen mich an?", hörte ich es noch im Treppenhaus schallen, bevor ich verhindern konnte, dass die Praxistür mit lauten Knall ins Schloss fiel. Hosted by Animexx e.V. 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