Warum? von 7yati (Weil ich...ich bin.) ================================================================================ Kapitel 1: Aus Traurigkeit wächst keine Tat ------------------------------------------- Tränen, ein tiefer, stechender Schmerz in der Brust und gleichzeitig eine gähnende Leere. All dies hatte Keyla in der vergangenen Zeit stets des Morgens, wenn sie aufwachte, begrüßt und abends in den Schlaf geleitet. In der vergangenen Zeit, wie lang das klang, genauer genommen in den letzten 2 Tagen. Genau, seit sie erfahren hatte, dass Lyra, ihre beste Freundin, gestorben war. Alles hatte sie mit ihr bereden können, so unglaublich viel hatten sie durchgemacht; gemeinsam. Keyla drehte sich auf die Seite, um weiter zu schlafen, sie kniff ihre geschwollenen Augen fest zu, um keinen erneuten Tränenschwall zu riskieren. Der Schlaf selbst kam jedoch nicht, genau wie die Tränen. Sie hatte sich wohl schon leer geweint, überlegte sie bei sich und schaute auf ihren Wecker: 12.34 Uhr. Super, dann sparte sie sich das Frühstück und...DINGDONG. Das Türklingeln unterbrach sie in ihrem Gedankenfluss und erschreckte sie nebenbei fast zu To...ha, wie leichtsinnig man doch im Alltag mit solchen Redewendungen um sich warf. Keyla raffte sich auf und rieb sich unbeholfen über ihr Gesicht, um die Spuren des Schlafes und der Trauer wegzuwischen, was ihr aber nicht gelungen war, wie sie feststellte, als sie durch den Flur stolperte und beim Anblick ihres Spiegelbildes erneut fast einen Herzkasper erlitten hätte. Nervös strich sie eine Strähne ihres schulterlangen, hellbraunen Haares aus dem Gesicht und öffnete schließlich beim dritten, nun deutlich aggressiveren Türschellen ebendiese. "Hey, oh...entschuldige, ich wollt dich nicht wecken oder so, aber ich dachte...". Keyla unterbrach den allzu bekannten vor ihr Stehenden. "Nein, okay, schon gut, du hast mich nicht geweckt..." Sie stockte, als sie bemerkte, wie er sie musterte und sein Blick nun an ihrem Schlafanzug herabglitt. Moment. Sie trug keinen Schlafanzug. Prima, es gab nicht viele Frauen, die sich dem Witwer ihrer allerbesten Freundin drei Tage nach deren Tod in Unterwäsche präsentierten. "ACH VERFLUCHTER Mist...hier!", brüllte Keyla um sich und warf sich den erstbesten Mantel über, den ihr Jackenständer, der sich glücklicherweise direkt neben der Tür befand, hergab. Doch ihre Stimme versagte. Mit Ray, Lyras Ehemann...Witwer verband sie so viele Erinnerungen, so viele wundervolle Momente hatte sie mit ihr gehabt, mit ihr, die sie wie eine Schwester, die sie vorher nie gehabt hatte, für sie gewesen war. Die Fülle an Erinnerungen wurde ihr zur Last und Keyla brach in Tränen aus, vor den Augen Rays, der bei deren Anblick verwundert die Stirn runzelte: "Hey...was ist denn...?" "Was ist? WAS MIT MIR LOS IST?" Keyla konnte es nicht fassen. "Du hast deine Frau verloren, sag mir, was MIT DIR los ist, dass du so ganz normal hier klingelst und...was...ich...wieso weinst du nicht?" Zu Keylas großer Verwunderung zeigte Ray ein kleines Schmunzeln. "Ich dachte, du wüsstest es noch nicht, eigentlich wollte ich dir die Nachricht überbringen...entschuldige. Ähm, ich soll mich also rechtfertigen, warum ich nicht weine, vielleicht noch, warum ich Lyra nicht gefolgt bin, ihr nicht den Krebs abgenommen und an ihrer Stelle gestorben bin..." Das Lächeln verschwand langsam und sein Gesicht nahm einen leicht verbitterten Ausdruck an. Er machte auf dem Absatz kehrt und stieg die ersten drei Stufen der Treppe hinab. Dann kippte er um. Kapitel 2: Einer muss den Frieden beginnen, wie den Krieg --------------------------------------------------------- Keyla wusste gar nicht wie ihr geschah: "OH GOTT..." Es kam ihr vor, als würde jemand das Geschehen in einem Zeitraffer betrachten, wie sie barfuß die wenigen Schritte auf dem kalten Steinboden des Hausflures entlang rannte, ihr grauer Herbstmantel ihren halbnackten Körper umwedelte und sie Ray kurz vor dem Fall noch unter die Arme greifen und auffangen konnte. Er hatte die Augen geschlossen und zitterte kaum merklich. "Verdammt, was machst du nur für Sachen...", begann sie und er flüsterte etwas als Antwort, während sie ihm aufhalf, ihn stützte und langsam mit ihm in die Wohnung ging. "Das passiert mir, wenn ich vergesse zu trinken...tut mir leid.", war das erste was Ray sagte, als Keyla, nun angezogen, ihr Wohnzimmer betrat. Sie hatte Ray mit einem Glas Wasser auf ihrem Sofa verfrachtet und ihm klar gemacht, dass er ja liegen bleiben und sich ausruhen solle. Wie schwach er jetzt aussah, ganz anders, als sie ihn vor ihrer Tür, vor gut einer halben Stunde, noch erlebt hatte. Er war kein 2-Meter-Mann, aber 1,85 m maß er bestimmt. Doch seinem extrem schlanken Körperbau hatte er es zu verdanken, dass Keyla ihn hatte auffangen und stützen können. "Ach, du brauchst dich für nichts zu entschuldigen. Übrigens hatte Lyras Mutter mich angerufen. Sie hat mir die Nachricht überbracht. Aber...sie sagte mir nicht, warum Lyra..." Sie schaffte es nicht ihren Satz zu beenden. Ray hatte sich nun aufgesetzt und bedeutete Keyla, sich neben ihn zu setzen, indem er auf das Kissen neben ihm klopfte. Diese erfüllte ihm den Wunsch. Nun begann Ray zu erzählen: "Weißt du...sie hat die ganze Zeit mit sich selbst gekämpft, ob sie es dir erzählen solle, oder nicht. Ich meinte zu ihr, du seiest ihre beste Freundin und, dass Ehrlichkeit wohl eines der wichtigsten Dinge unter Freunden sei. Aber sie..." Er stockte und blickte Keyla direkt in die Augen. Es geschah so plötzlich, dass sie kaum merklich zusammenzuckte und nun gezwungen war, dessen Züge zu betrachten. Ray war tatsächlich wunderhübsch. Sie meinte fast, eine gewisse Spur an Traurigkeit in dessen grünbraunen Augen entdecken zu können, doch viel mehr offenbarten sie ihr eine kindliche Schelmigkeit. Ray grinste und fuhr fort: "...sie meinte, du wärest nicht stark genug, um damit umgehen zu können. Sie wollte dich beschützen und ihre letzten Tage glücklich verbringen, mit dir. Na ja, und ein bisschen mit mir, aber ich wurde ihr wohl zu spießig, mit meinem ständigen 'Schon dich, Schatz.'..." Ihm entfuhr ein verzweifeltes Lachen, das Keyla einen Schauer über den Rücken jagte. Warum, warum musste sie sich nur alles immer bildlich vorstellen? Nun hatte sie ihre beste Freundin wieder vor Augen, wie deren wunderhübsche strohblonde Haare ihr nur so durch das Gesicht flatterten, wie ihre sanfte, kindliche Stimme ihren Namen rief. Keylas Augen füllten sich mit Tränen. Mal wieder. Schön, dafür hatte sie sich also gerade das Gesicht gewaschen und kiloweise Make-up aufgetragen. "Aber, sie hätte es mir doch sagen...", setzte sie an. Dann überlegte Keyla noch einmal. Sie war schon immer der Typ gewesen, der erst redete und dann dachte. Und sie sah es ein. "Sie hatte Recht. Ich bin schwach." Innerlich hoffte sie, Ray würde das verneinen, doch er tat es nicht. Und das war gut so, denn sie wollte niemanden zum Lügen nötigen. "Ich war ihr keine gute Freundin, eigentlich habe ich sie nicht verdient, ich..." "Schhhht...!". Ray hatte die Augen weit aufgerissen und bedeutete ihr, ja nicht weiterzureden. "Sie wusste, dass du so reden würdest!" Wie konnte es nur sein, dass ihre beste Freundin sie besser gekannt hatte, als sie selbst? Wieso hatte sie nie gemerkt, was sie an ihr gehabt hatte? Ja, sie hatten schöne Zeiten verbracht, ja, sie hatten viel gemeinsam gemeistert, aber warum hatte man den einen sinnlosen Streit um das letzte Kleid in Größe 36 nicht vermeiden können, oder diesen unsinnigen Zoff, als Keyla Lyra ein viel zu teures Geschenk gemacht hatte... "Weil eben auch das zu einer guten Freundschaft gehört." Ungläubig wandte Keyla ihren Blick über dem Rand ihres Taschentuches hinweg Ray zu. Kapitel 3: Ein paar Mal weinen ist ja gut, aber dann ist es genug ----------------------------------------------------------------- "Mensch, jetzt starr mich doch nicht so an, Key!" Selbst Ray schien es nun unwohl zumute geworden sein, wie lang hatte Keyla ihn jetzt schon so angeschaut? Doch woher konnte er wissen... "Lyra kannte dich einfach in- und auswendig. Eines Abends unterhielten wir uns darüber, wie du reagieren würdest, wenn sie tatsächlich sterben müsse und du es erführest. Sie konnte mir tatsächlich deine Gedanken auflisten: so viele schöne gemeinsame Erlebnisse, doch warum so viele Streits und dies und das...na ja..." Und dabei hatte Keyla schon gedacht, er wäre ein Gedankenleser...wann hatte sie wohl damit angefangen, zu fantasieren? "Aber du solltest auch mal an deiner Durchschaubarkeit arbeiten, deine Mimik hat in der Tat Bände gesprochen..." Bei Keylas verdutztem Gesichtsausdruck konnte Ray sich nicht mehr halten, er prustete los und ließ ein glockenhelles Lachen verlauten. Es kam aus tiefstem Herzen, das spürte Keyla, fast konnte man nicht glauben, dass ebendieser fröhliche, junge, schöne Mann erst vor kurzem seine Frau verloren hatte. Das verwunderte Keyla, und gleichzeitig machte es sie sehr traurig. Denn sie fürchtete, Lyra unrecht zu tun, wenn sie einfach so unbekümmert lachte. "Sie hat dich wirklich sehr lieb gehabt." Und Keyla wollte nicht mehr weinen, doch die Wunde in ihrem Herzen war zu frisch. Um diese zu heilen, würde sie Lyra vergessen müssen; das wollte sie um keinen Preis. Jetzt konnte sich auch Ray nicht mehr halten, als er bemerkte, wie Keyla erneut Tränen die Wangen herabkullerten. Doch im Gegensatz zu ihr, brüllte er los: "Jetzt reicht es aber, verdammt, reiß dich doch zusammen Keyla! Ich habe dir etwas Schönes erzählt, ja?! Da sollst du dich freuen, lächeln und nicht wieder anfangen zu weinen..." "Aber ich..." Er ließ ihr keine Chance. Doch fuhr er etwas sanfter fort. "Warte, ich rede jetzt, lass mich ausreden...bitte. Glaubst du, es ist für mich leicht gewesen? Meinst du, ich hätte nicht getrauert oder geweint? Da würdest du dich aber sehr irren, ich glaube ich habe sogar dem Regenwald geschadet mit den Massen an Taschentüchern die ich verbraucht habe...und weißt du, was mir dann aufgefallen ist? Dass es purer Egoismus ist, weswegen ich weinte, sie hatte keine Schmerzen und ich weinte auch nicht für sie, sondern, weil ich selbst so einsam war...schon abends, als ich noch neben ihr im Bett lag...musste ich weinen. Und jetzt hasse ich mich dafür. Aber was geschehen ist, das ist nun einmal geschehen. Und es mag Menschen geben, die wollen, dass man ihnen ewig nachtrauert, doch so ist Lyra nicht...gewesen, niemals. Sie war perfekt. Und wird es immer sein, wo auch immer sie jetzt ist. Wir haben getrauert. Doch jetzt ist es wieder gut. Sie würde wollen, dass wir glücklich werden, unheimlich glücklich, für uns und für sie. Und deshalb, ja deshalb...freue ich mich, dass es mir vergönnt war, sie kennen und lieben zu lernen..." Kapitel 4: Niemand ist fort, den man liebt...Liebe ist ewige Gegenwart... ------------------------------------------------------------------------- Keyla war vollkommen perplex und fast wollte sie reflexartig applaudieren, oder ihn umarmen...oder beides, diesen wundervollen, liebenden Mann. Er war während des Redens aufgestanden, seine Augen waren leicht glasig geworden, das Glitzern der Tränen machte ihn, sofern dies überhaupt möglich war, noch schöner. Und eines wurde ihr klar: Ihre Wunde würde nicht heilen müssen, nein, sie konnte das leere Loch in ihrem Herzen füllen, mit den wunderbaren Erinnerungen und Momenten, die sie mit Lyra hatte teilen dürfen. NIEmals würde sie ihre Schwester vergessen, sie würde in ihrem Herzen erhalten bleiben, als ein Teil von ihr. Sie würde ihr vom Schicksal bestimmtes Leben leben, weinen, wenn sie traurig war und von Herzen lachen können, ohne sich schuldig fühlen zu müssen. Weil Ray ihr die Augen geöffnet hatte. Schlimm, dass sie nicht von alleine darauf gekommen war. Lyra war nie ein selbstsüchtiger Mensch gewesen. Sie würde wollen, dass sie glücklich ihr Leben lebte. Zum ersten Mal, seit ihre beste Freundin gestorben war, lächelte sie. Ihr Lächeln galt Ray, der es voller Erleichterung erwidern konnte. Keyla begleitete ihn noch zur Tür. "Es ist schön, dass ich dir helfen konnte, Key." Sie wollte sich von nun an von Lyra inspirieren lassen. Sie war sehr glücklich gewesen, in ihrem Leben. Und stets voller Aufrichtigkeit und Selbstbewusstsein. "Hoffentlich fall ich nicht wieder...hehe..." Jetzt, sie musste den Moment nutzen. Er hatte sich umgedreht, es fehlten nur noch wenige Schritte zur Treppe... "Warte!" Es war ihrem Mund einfach entglitten. Ray stutzte und sein verdutzter Blick traf sie. "Ich..." Wie konnte sie nur? Er hatte erst seine Frau verloren. Aber man konnte Gefühle nicht aufhalten. "Ich...fühle mich sehr zu dir hingezogen und wollte dich in dem Zusammenhang fragen, ob, ob...du, wir, uns..." Keyla sah wie seine Mundwinkel zuckten, das gab ihr Hoffnung. Doch diese schwand gleich wieder. Auf Rays Gesicht zeichnete sich ein trauriges Lächeln ab. "Es tut mir leid. Ich werde nicht mehr trauern. Doch ich werde Lyra nie betrügen. Hab noch ein schönes Leben, Key." "Danke, Ray,...ich danke dir." Keyla lächelte Ray dankbar zu, für dessen Hilfe und Ehrlichkeit. Er zwinkerte zurück, lief die Treppe herab und verschwand hinter dem Geländer. Welch überaus dumme Tat sie da wieder vollbracht hatte. Doch so war sie nun einmal. Jetzt endlich ward es Keyla klar, als sie ihre Wohnungstür geschlossen hatte und durch den Flur in Richtung Balkon ging: Sie musste einfach nur sie selbst sein. Die Keyla, die sie war, als sie ihre wundervolle Lyra kennen gelernt hatte. Es verwunderte sie sehr, dass Ray nun ein solch paradoxes Leben durchstehen wollte. Doch gleichzeitig empfand sie auch tiefe Bewunderung für ihn. Er hatte ihr etwas klar gemacht, das für sie von nun an das Wichtigste im Leben sein würde, das ihr niemand nehmen konnte: die Unsterblichkeit der Liebe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)