Drei Schritte von Psychopath (um jemanden zum Fremdgehen zu bewegen) ================================================================================ Kapitel 1: Die Idee! -------------------- Es stand schon ewig aus, mal wieder zu meinen Großeltern zu fahren, aber weder meine Eltern, meine Geschwister noch ich hatten besonders große Lust. Meistens fanden wir eine Ausrede, doch was hätten wir dieses Mal sagen sollen? Schließlich wurde meine Großmutter 60. Eigentlich ziemlich jung, wenn man bedenkt, dass ich fast 20 Jahre alt bin. Doch bei den Verwandten mütterlicherseits war es wohl Tradition, sein erstes Kind mit 20 Jahren zu bekommen; zumindest was die weiblichen Verwandten anging. Wir saßen also alle hochmotiviert im Auto und hofften, dass es nicht langweilig werden würde. Es sollten schließlich alle Verwandten kommen. Junge und alte Leute, sodass es eine gute Mischung ergeben und zu einer einigermaßen interessanten Feier werden sollte. Meine Geschwister waren jung genug, um sich selbst zu beschäftigen, indem sie nach draußen gingen und sich lauter Spiele ausdachten. Meine Altersgenossen wissen, wie schwer mir so etwas fiel, weil ich wusste, wie wichtig PCs, Konsolen und Fernsehgeräte waren. Spiele ausdenken, kommt da nicht in frage! Wozu gibt es sonst die zahlreichen Internetseiten, auf denen man Onlinespiele spielen kann? Ich hörte, dass meine 4 Cousinen und 3 Cousins kommen würden. Und jeder von ihnen würde seinen aktuellen Lover mitbringen, damit sie sich beschäftigen konnten. Diese Art von Beschäftigung konnte ich aber nicht mitnehmen, da sie nicht anwesend war. Ich war quasi dauersingle, weil meine Ansprüche viel zu hoch waren. Aber sollte ich mich deshalb mit jemandem unter meinen Niveau abgeben? Das wäre Schwachsinn. Wieso sollte ich mich mit einem Geek oder einer Schwabbelbacke einlassen, wenn ich auch etwas Anderes haben könnte? Dieses gewisse "Andere" ist mir bisher leider nicht begegnet. Aber immerhin bin ich nicht einmal 20. Da sollte mir genug Zeit bleiben, dass mein Prinz Charming auf dem weißen Ross angeritten kommt. Nicht, dass ich noch nie gefragt worden wäre, ob ich Interesse an XY hatte, aber meistens war da etwas, dass mich an dieser Person gestört hat; meistens der Faktor, dass XY weiblich war. Meine Großmutter wohnte irgendwo in der Pampa, in der man sich fühlte, als würde man nicht um 21. Jahrhundert leben. Sie selbst hatte ein Wählscheibentelefon, keinen Fernseher und keinen PC. Ihre Nachbarn lebten in etwa genau so. Meine Mutter hatte versucht, ihre Mutter zu einem Fernseher zu überreden, aber nachdem sie es als "Höllenbrut" bezeichnet hatte, hatte meine Mutter aufgeben müssen. Die Eltern meines Vaters waren da anders, aber das interessierte niemanden, weil sie zu geizig waren und nur zu Weihnachten ein paar Socken schickten. Außerdem geht es nicht um sie, sondern um die Eltern meiner Mutter. Wir waren also endlich in der Pampa angekommen, nachdem wir uns viermal verfahren hatten, meine Mutter vorschlug nach dem Weg zu fragen und mein Vater darauf entgegnete, dass es nur Kühe zum fragen gab. Meine Geschwister hatten angefangen wegen Hunger, Durst, Langeweile und Toilette zu jammern. Mich wunderte, dass mir nicht der Kopf einfach so explodierte, als alle quengelten und meine Eltern sich stritten. Der einzig normale war wohl ich. Jedenfalls waren wir endlich angekommen - in der Hölle. Es war ein eigenartiger Anblick, die Autos zu sehen, mit denen alle Verwandten gekommen waren. Das einzig Moderne auf dem Land, auf dem sonst nur Traktoren und Kühe standen. Ich denke, jeder kann sich vorstellen, wie fantastisch das riecht, wenn man aus dem Auto aussteigt und als nächstes eine Kuhherde sehen kann. Wir waren also mal wieder die Letzten, aber immer noch pünktlich. Eine gute Leistung ,wenn man bedenkt, wie oft wir uns verfahren haben. Nicht, dass ich Wert darauf gelegt hätte, so früh wie möglich dort zu sein, aber jetzt war das einzige Sofa garantiert besetzt. Also blieben nur noch die Hocker, die sogar unter meinem Gewicht zerbrechen würden. Besonders stabil sahen die Dinger nicht aus und waren bestimmt doppelt so alt, wie ich. Tatsächlich war das Sofa besetzt mit insgesamt 7 Leuten, obwohl das Sofa nur für 4 ausgelegt war. Dass sich sieben Menschen quetschen konnten, lag wohl daran, dass die Hälfte auf dem Schoß der anderen Hälfte saß. Man mag sich fragen, ob ich schlecht in Mathe bin, sodass vier x zwei sieben ergibt, aber eine Person saß tatsächlich allein. Da stellte ich mir natürlich die Frage, wieso, weil ich wusste, dass dieser einsame Cousin mit seinem Freund hier war. Wie dieser Freund aussehen sollte, wusste ich nicht, aber das dürfte nicht schwer herauszufinden sein, weil sämtliche Cousins und Cousinen mit ihrem Freund oder der Freundin kuschelten. Ein wirklich ekelerregender Anblick. Ich seufzte und setzte mich auf einen der Hocker, der bedrohlich knarrte. In der Runde hatte sich niemand verändert. Schade…Ich mochte meine Familie nicht besonders. Alle waren eingebildet oder konservativ. Nicht, dass ich nicht selbst eingebildet war…aber ich konnte es mir immerhin erlauben: schlank, hübsch und klug. Was will man mehr? Erst jetzt fiel mir auf, dass meine Großmutter mich noch gar nicht begrüßt hatte. Mein Großvater tat das nie, weil er sonst aufstehen und seine Zeitung niederlegen musste, aber bei meiner Oma war es schon etwas anderes. Sie musste irgendwas abgehalten haben. Sie war offensichtlich in der Küche, denn ich konnte laut und deutlich hören, wie sie lachte und sagte: „Du bist so ein lieber Junge.“. Das warf natürlich die große Frage auf: Mit wem war sie in der Küche? Ihre sämtlichen Enkel waren in diesem Raum versammelt und kein männlicher Verwandter würde freiwillig in die Küche gehen. Ich suchte mir einen Grund, in die Küche zu gehen. Nicht, dass jemand gefragt hätte, aber ich wollte mir nicht eingestehen, dass ich neugierig war. Das würde gar nicht zu meinem kühlen Image passen. Der Grund, den ich für mich selbst fand, war derjenige, dass ich einfach von diesem Hocker runter wollte, weil er bei jeder Bewegung Geräusche von sich gab, die nicht besonders vertrauenserweckend klangen. Ich begab mich also in die Küche, in der tatsächlich meine Großmutter stand und einem Jungen, den ich noch nie gesehen hatte, zeigte, wie er die Torte verzieren sollte. „Jin!“, rief sie, als sie mich entdeckte und umarmte mich auf Brusthöhe. Das zeigte mir immer, dass ich nicht der kleinste Mensch der Welt war. Ein kleiner Trost, wenn man bedenkt, dass man im Alter schrumpft. Dieser Urschrei veranlassten den Unbekannten, sich umzudrehen und mich direkt anzusehen. Ein wirklich wirklich wirklich nicht hässliches Kerlchen. Nicht viel größer als ich - wenn überhaupt -, Augenklappe (wieso wohl?) und rote Haare. „Hi.“, sagte er und winkte mir mit dem Spritzbeutel zu. Ich nickte bloß. „Ich würde dir gern die Hand geben, aber wie du siehst, bin ich schwer beschäftigt.“, sagte Unbekannt und winkte erneut mit dem Beutel. „Was hast du angestellt, dass du helfen musst?“, fragte ich - wieso eigentlich? „Wieso soll ich etwas angestellt haben?“ „Niemand hilft freiwillig.“ „Ich hab zwei Gründe.“ „Welche?“ „Du darfst sie nicht weiter verraten.“ „Wieso?“ „Weil einer geheim ist.“ „Okay.“ (Verdammte Neugier!) „Ich helfe gern und hab mir gedacht, ich müsste einer Dame“ (meine Großmutter fing an wie eine 14jährige zu kichern) „helfen. Der zweite Grund ist der geheime. Ich mag nicht, bei meinem Freund sitzen und trau mich nicht, ihm zu sagen, dass ich nicht mehr mit ihm zusammen sein will.“ „Feigling. Du bleibst lieber mit ihm zusammen?“ „Ja…Zumindest bis ich einen guten Grund habe, ihn zu verlassen. Oder ich bin so ätzend, dass er keine Lust mehr auf mich hat, dann verlässt er mich und ich hab das Problem nicht mehr an den Hacken. Hilfst du mir beim Dekorieren?“ „Nein.“ „Wieso?“ „Du machst das so schön.“, sagte ich grinsend und verließ die Küche, noch bevor er etwas entgegnen konnte. Ich liebte es, das letzte Wort zu haben! Also setzte ich meine vier Buchstaben wieder auf einen Hocker - diesmal einen anderen, der nicht zu zerbrechen drohte - und fragte mich, was ich von dem Unbekannten in der Küche halten sollte. Immerhin schien er höflich zu sein, sonst würde er meiner Oma nicht helfen. Und offenbar war er viel zu sehr darauf fixiert, niemandem wehzutun, sonst hätte er ja wohl einfach Schluss gemacht. Hässlich war er auch nicht und nicht gerade zurückhaltend oder schüchtern. Er brauchte also einen guten und überzeugenden Grund, der ganz offensichtlich nicht erlogen war. Was für gute und offensichtlich wahre Gründe gab es überhaupt, um verlassen zu werden? Für Misshandlungen war er offenkundig zu nett und höflich. Schlechte Angewohnheiten? Alkoholismus? Fiese Beleidigungen? Im Grunde gibt es viele Gründe, jemanden von einem Tag auf den anderen zu verabscheuen, aber einen dieser Gründe zu inszenieren sollte schwer werden. Ich konnte schließlich davon ausgehen, dass mein Cousin wusste, wie Unbekannt eigentlich war und es würde ihm wahrscheinlich auffallen, wenn er sich innerhalb von einer halben Stunde komplett veränderte. Tatsächlich grübelte ich immer weiter, ohne den Grund dafür zu kennen. Aber irgendwie passte es mir nicht, dass er mit einem meiner schrecklichen Cousins zusammen war, es aber eigentlich nicht mehr wollte. Es war eigenartig, dass ich so viel darüber nachdachte, dieses Problemchen zu lösen; denn eigentlich interessierten mich meine Mitmenschen eher weniger. In Gedanken versunken, merkte ich gar nicht, dass sich langsam alle an den Tisch begeben hatten und Unbekannt neben mir saß. Erst als einer meiner Onkels mich aus Versehen mit dem Ellbogen anstieß, als er sich neben mich setzte, merkte ich, dass das Essen bereits aufgetischt war. „Da fällt mir ein,“, hörte ich den Rothaarigen neben mir sagen und drehte den Kopf zu ihm um, „ich hab mich ja noch gar nicht vorgestellt! Mein Name ist Ray.“ „Jin.“ „Ich weiß.“ „Woher?“ „Deine Omi hat dich lautstark begrüßt und mein Gehör ist einwandfrei.“ „Stimmt.“ Das ganze Essen über, plapperte Ray fröhlich auf mich ein, stellte lauter kleinerer Fragen und brachte mich fast zum lachen, was ich allerdings gut zurückhalten konnte. Das war auch der Grund, wieso er sich noch mehr ins Zeug legte, mir wenigstens ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Sein Noch-Freund saß mir schräg gegenüber, sodass ich ab und an sehen konnte, wie er mir einen bösen Blick zu warf. Da kam mir der eigentlich beste Grund fürs Verlassenwerden in den Sinn: Fremdgehen! Es stellte sich noch die Frage, ob Ray so etwas mitmachen würde oder ob er genug Anstand hatte, treu zu bleiben. Doch ich war mir ziemlich sicher, dass er selbst den Anstand vergessen würde, wenn ich erst einmal Interesse an ihm zeigen würde. Perfekt! Kapitel 2: Schritt 1: Interesse zeigen -------------------------------------- Ich musste Ray so manipulieren, dass er innerhalb dieses Wochenendes seinen Freund betrügen und dieser ihn verlassen würde. Das dürfte nicht allzu schwer werden. Ich müsste schließlich nur mein Interesse zeigen, ihn um den kleinen Finger wickeln und dann meinem Cousin den Todesstoß verpassen. Drei Schritte, für die ich noch eineinhalb Tage Zeit hatte; es war Eile angesagt! Schritt 1 setzte ich gleich in die Tat um, indem ich mir das Lachen nicht weiter verkniff, sondern lachte und lächelte, wenn Ray etwas Amüsantes erzählte. Ein Verhalten, das sonst niemand von mir kannte und ich deshalb ab und zu schräg angeschaut wurde. Meine Mutter freute sich sichtlich, dass ich doch ein bisschen war, wie andere Jungs in meinem Alter. Doch nicht nur, dass es Spaß machte, wenn alle mich ansahen als wäre ich ein anderer Mensch, auch dass mein Cousin offenbar immer schlechter gelaunt war und mich durchgehend anstierte, versetzte mich in Hochstimmung! Der erste Schritt lief reibungslos. Besser wäre es nur gewesen, wenn mein Cousin aus der Haut gefahren und mich angeschrieen hätte, aber man kann bekanntlich nicht alles haben. Ray war wirklich kein unangenehmer Zeitgenosse. Ich musste also nicht so tun, als würde ich lustig finden, was er sagte, sondern fand tatsächlich, dass er interessante Dinge von sich gab. Obwohl es hübschere und auch größere Männer als ihn gab, fand ich Ray doch ziemlich anziehend. Er war der erste, der aufsprang, als es hieß, der Tisch würde abgeräumt und der Kuchen aus der Küche geholt werden. Als er mit bestimmt 20 Tellern aus dem Zimmer gegangen war, zischte mir mein Cousin zu: „Halt dich bloß fern von ihm.“ „Wieso denn?“ „Er ist mein Freund. Lass deine Flossen von ihm.“ „Aber ich tue doch gar nichts.“ „Du kicherst wie ein liebestolles Nilpferd.“ „Ich wusste nicht, dass Nilpferde kichern können.“ „Verarsch mich nicht! Ich meine es ernst, halte dich von Ray fern.“ „Okay.“, sagte ich mit einem Grinsen, das eindeutig meine Lüge enttarnte. Dass er dadurch von viel wütender war, steigerte meine Laune erheblich. Ray kam mit einer Erdbeertorte wieder und stellte sie vor mir auf den Tisch. „Die darfst du ganz alleine aufessen, schließlich bestehst du nur noch aus Haut und Knochen.“, sagte er und grinste mich an. „Wie lieb, dass du an mich denkst.“, antwortete ich und schenkte ihm ein Lächeln, das meinen lieben Cousin dazu brachte, vor Wut rot anzulaufen. Ray sah ihn fragend an. „Geht es dir nicht gut?“ „Schon okay.“, knurrte er und sah mich mahnend an. Was für ein tolles Gefühl es doch war, der wahrscheinlich hübscheste Mensch am Tisch zu sein und deshalb jeden zu kriegen, den man haben will, was automatisch dazu führte, andere neidisch zu machen. Besonders gut war es dann noch, wenn man die neidische Person sowieso nicht mochte. Dieser Geburtstag schien doch besser zu werden, als ich dachte. Nach dem Nachtisch, bei dem Ray immer noch nur mit mir redete, ging die Frage um, wer wo schlafen sollte. Da ich wusste, dass es meiner Familie ziemlich egal war, solange die Person einen Garten hatte oder einen Spielplatz vor der Tür, entschied ich mich, diese Entscheidung zu treffen und nistete uns in dem Haus der Familie ein, in dem auch Ray seine Nacht verbrachte. Perfekt! Ich hatte nicht gedacht, dass Schritt 1 sich so in die Länge ziehen würde. Vermutlich hatte er mein Interesse schon gemerkt, aber ging nicht darauf ein. Dies machte es allerdings ziemlich schwierig zu entscheiden, wann ich Schritt 2 einleiten sollte. Im Nachhinein war es doch keine so gute Idee, in dem Haus zu übernachten. Dadurch hatte ich es nämlich geschafft, dass Ray grundsätzlich bei seinem Freund sitzen musste, weil dieser meinen Plan witterte. Aber sind die zu überwindenden Probleme nicht immer der Nervenkitzel und machen eine Aktion erst wirklich spannend? Am Ende eines einfachen Plans ist die Freude darüber, es geschafft zu haben, nicht wirklich groß, weil man das Gefühl hat, der Erfolg wäre geschenkt worden. Irgendjemand hatte mal gesagt, dass man sich am besten Probleme sucht, damit das Leben spannend bleibt. Bisher hatte ich Ray nur mit Blicken und lachen gezeigt, dass er mir gefielt. Vielleicht war er aber der Typ Mensch, der so etwas als Freundschaft ansah, daher musste ich also auf Worte zurückgreifen. Da ich wusste, dass mein Cousin nichts so sehr hasste wie Spaziergänge, brauchte ich gar nicht lange zu überlegen, wie ich Ray von ihm entfernen konnte. Ich schlug also vor: „Ich geh ein bisschen in den Park, sonst setzt sich die Torte noch auf dem Bauch ab. Außerdem hab ich heute den ganzen Tag schon gesessen und muss mir die Beine vertreten.“ Zum Beweis stand ich auf und streckte mich. Wie immer trug ich ein Oberteil, das geradeso meinen Bauch bedeckte, wenn ich normal stand oder saß, das aber viel freilegte, wenn ich die Arme hochnahm. Glücklicherweise tut man genau das, wenn man sich streckt und da ich genau vor Ray stand, hatte er den besten Blick auf mein freigelegtes Stück reizvollen Fleisches. Das eine Auge, das man von Ray sah, weitete sich und fixierte die relativ große Fläche nackter Haut. Das war genau das, was ich geplant hatte! Jetzt musste er nur so entzückt sein, dass er sich freiwillig meldete, mit mir mitzukommen, weil ich sonst alleine gehen musste. Schließlich würde meine „Tarnung“ sonst auffliegen. Damit es nicht zu auffällig wurde, dass ich mich zur Schau gestellt hatte, ließ ich die Arme wieder sinken und ging Richtung Flur, als Ray aufsprang: „Ich komm mit!“ Es hatte tatsächlich geklappt! Selten geht mal alles gut und doch hatte ich heute noch kein Pech. Vollkommen siegessicher schlüpfte ich in meine Schuhe und wartete, dass Ray das gleiche tat. Wie geplant war die Abscheu meines Cousins davor, sich zu bewegen, größer als die Angst, ich könnte Ray für mich überzeugen. „Weißt du denn auch, wo du lang willst?“, fragte mich Ray, „Du kommst doch gar nicht von hier.“ „Aber ich kenne mich ein wenig aus. Außerdem habe ich doch dich dabei.“ „Woher willst du wissen, dass ich mich auskenne?“ „Vielleicht, weil du einen Freund hast, der hier lebt?“ „Aber er geht nie raus. Übrigens hast du einen wirklich bemerkenswerten Bauch.“ „Danke.“ „Du hörst bestimmt häufig, dass irgendwas an dir hübsch ist, oder?“ „Nein, ich höre, dass alles an mir wunderschön ist.“ „Wow.“ „Gehen wir in den Park?“ „Klar.“ Einige Menschen hätten vielleicht in dem Moment schon gedacht, sie hätten Ray um den Finger gewickelt, also Schritt 2 erfolgreich beendet, aber schon beim Essen hatte er mir so viele Komplimente gemacht, dass ich eher dachte, dass er bloß aussprach was er dachte, ohne ein bestimmtes Ziel dabei zu verfolgen. Ich kannte Personen, die kein Problem damit hatten, jemandem zu zeigen, dass sie ihn/sie mochten; doch ich gehörte da nicht zu. Ich musste krampfhaft nachdenken, was ich am besten sagte, damit er mich nicht falsch verstand. Außerdem durfte es keinesfalls aufdringlich klingen. Ich begann mit harmlosen Fragen, wie alt er wäre (20) und wieso er eine Augenklappe trug („Keine Ahnung…Es sieht doch cool ist, oder nicht?“). Leider fielen mir keine anderen Fragen ein. So kam es mir wirklich gelegen, dass Ray mich fragte: „Hast du eigentlich eine Freundin?“ Hah! Diese Frage konnte man doch nur stellen, wenn man ein Nein als Antwort haben wollte. „Nein, habe ich nicht. Werde ich auch nie.“ „Wieso das?“ „Hm…wie soll ich das sagen? Mädchen sind nicht so mein Fall.“ „Wirklich?“ „Würde ich dich anlügen?“ „Ich habe keine Ahnung. Gut…Hast du denn einen Freund?“ „Nein.“ „Wieso?“ „Wieso sollte ich einen haben?“ „Naja…“, sagte Ray und betrachtete seine Schuhe, „du siehst gut aus, lachst niedlich, bist nicht so schüchtern, wie andere und klug bist du auch.“ Woher auch immer er meinte zu wissen, dass ich klug wäre, jetzt konnte ich Schritt 2 in Angriff nehmen! Kapitel 3: Schritt 2: Um den Finger wickeln ------------------------------------------- Direkte Konfrontation schien mir am sinnvollsten, deshalb wartete ich, bis Ray nichts sagte oder Luft holte, bis ich ihn fragte: „Wieso brauchst du unbedingt einen guten Grund, um jemanden zu verlassen?“ „Ich will niemandem wehtun.“ „Stattdessen bleibst du mit dieser Person zusammen?“ „Ja, bis ich einen guten Grund habe.“ „Was wäre ein guter Grund?“ Er verschränkte die Arme vor der Brust, blieb stehen und sah in den Himmel. „Keine Ahnung.“ „Das heißt du würdest warten, bis sich etwas ergibt?“ „Ich denke schon.“ „Was würdest du denken, wenn ich dir sagen würde, dass du deinen Freund für mich verlassen solltest?“ Seinen Blick in dem Moment konnte ich nicht wirklich deuten. Hielt er mich für verrückt, suchte er nach der geheimen Botschaft, dass ich etwas für ihn empfand oder versuchte er herauszufinden, ob ich ihn anlog? Egal was er dachte, er sah mich weiterhin genau so an, antwortete aber nicht. Wer schon einmal nach einer halben Minute immer noch keine Antwort bekommen hat und so ungeduldig ist wie ich, kann nachvollziehen, dass mich dieser Moment fürchterlich nervte. Dadurch verstimmt, fragte ich in einem - für meinen Plan - viel zu genervten Tonfall: „Hast du mir zugehört?“ „Ja schon…Aber ich frage mich, was ich von deiner Frage halten soll.“ „Sie zu beantworten, wäre schon mal ein guter Anfang.“ „Ich habe dir so viele Komplimente gemacht, dass ich verstehen würde, wenn du glaubst, ich stünde auf dich…Aber andererseits scheinst du mir der Typ Mensch zu sein, der die Gefühle anderer nicht ernst nimmt. Dann glaube ich aber wiederum, dass du lieb sein könntest, wenn du mich erst einmal richtig kennen würdest…Ich weiß nicht, was ich dir antworten soll. Einerseits: Klar wieso nicht, schließlich bist du wunderschön und einzigartig. Andererseits glaube ich nicht, dass du es ernst meinst, sondern so etwas nur aus der Laune heraus fragen würdest.“ So ganz Unrecht hatte er nicht. Wenn man bedachte, dass ich ihn höchstens seit 5 Stunden kannte, konnte man denken, dass die Frage nicht ernst war. Trotzdem! Wenn er sich solche Gedanken machte - egal ob plausibel oder nicht -, dann würde Schritt 2 scheitern. Wie sollte ich ihn um den Finger wickeln, wenn er Zweifel daran hatte, dass ich es ernst meinte? Was aber ganz schlimm war, war die Tatsache, dass er es geschafft hatte, mein schlechtes Gewissen zu wecken. Offenbar war er nicht abgeneigt von mir, aber ahnte, dass ich bloß meinen Spaß suchte. Egoistisch zu sein, hatte mich bisher nie gestört. Wieso machte es mir also etwas aus, wenn Ray schlecht über mich dachte oder denken würde? „Und wenn ich dir die gleiche Frage stellen würde und vorher zweifellos gezeigt habe, dass ich es ernst meine, was würdest du dann antworten?“, fragte ich, einfach nur um zu wissen, ob ich zumindest seinem Beuteschema entsprach. Es wäre schließlich verschwendete Zeit, wenn ich versuchte, mich an jemanden heranzumachen, der gar kein Interesse an mir verspürte. „Naja…“, antwortete Ray und stand immer noch mit verschränkten Armen und Blick in die Luft vor mir, „Dann wäre es möglich. Da stellt sich mir nur die Frage, wie du es schaffen willst, mich davon zu überzeugen, dass du mich nicht verscheißerst?“ „Ich denke, mir würde etwas einfallen.“ „Also war es wirklich nur eine theoretische Frage?“ Klang er etwa enttäuscht oder bildete ich mir das nur ein; man malt sich schließlich alles Mögliche aus, wenn man ein Ziel verfolgt. „Kommt ganz drauf an, was du antworten würdest.“, sagte ich schließlich und schenkte ihm noch ein Lächeln, das eigentlich selten war. Und immer noch sah Ray mich genau so an, wie schon die letzten Minuten und noch immer, machte es mich verrückt, dass ich nicht wusste, was er dachte! Doch er ließ die Arme sinken und grinste mich an. „Dann lass dir mal etwas Glaubwürdiges einfallen. Komm wir gehen weiter oder wolltest du hier stehen bleiben?“, mit diesen Worten ging er freudestrahlend an mir vorbei. Schritt 2 war also nicht völlig verloren! Besonders spontan war ich nicht, deshalb fiel mir natürlich nicht sofort ein, was ich tun könnte, um ihn zu überzeugen. Daher blieb ich beim harmlosen Reden und setzte Schritt 2 wieder einmal auf Eis. „Du bist bestimmt wählerisch.“, sagte Ray irgendwann, „Ich glaube nämlich nicht, dass dir vieles egal ist.“ „Zum Beispiel?“ „Hm…Beim Eisessen nimmst du weder Vanille noch Schokolade, sondern ausgefallene Dinge wie Himmelblau und Kinderschokolade. Im Restaurant sagt du der Kellnerin, sie solle gewisse Dinge weglassen, dafür aber andere hinzufügen.“ Natürlich war mir das nie aufgefallen. Wie denn auch, wenn es mir doch wie das Normalste der Welt vorkam. „Wie sieht es mit deiner Männerwahl aus?“, fragte Ray und erneut wusste ich nicht, ob er versuchte mit mir zu flirten oder bloß eine Frage stellte, um sich weiterhin zu unterhalten. „Ich bin wählerisch.“ „Worauf achtest du?“ „Aussehen, Intelligenz, Stimme, Zähne, Symmetrie, Körpergröße“ (hatte ich das tatsächlich mit „Körper“ näher definiert, um Missverständnisse auszuschließen?!) „Hände und Charakter.“ „Das sind aber viele Aspekte, auf die du achtest.“ „Tja.“ „Du hattest bestimmt noch nie jemanden, der alles erfüllt hat oder?“ „Ich hatte bisher überhaupt niemanden. Wenn nicht alle 8 Faktoren vorliegen, kann ich mit dieser Person nichts anfangen.“ „Dir ist aber klar, dass du auch nicht alle deine Voraussetzungen erfüllst?“ „Sicher.“ „Und trotzdem erwartest du, dass jemand perfektes dich liebt?“ „Wieso auch nicht?“ Schweigend gingen wir weiter und wieder einmal hatte ich das Gefühl, mein Egoismus wäre ein Hindernis, Ray für mich zu gewinnen. Jetzt, wo ich alle meine Voraussetzungen aufgezählt hatte, konnte ich nicht anders, als die Checkliste bei Ray durchzuführen: Aussehend: sehr gut Intelligenz: wahrscheinlich gut - muss noch in Erfahrung gebracht werden Stimme: nett und angenehm Zähne: bisher hab ich ihm nicht in den Mund geguckt Symmetrie: keine schiefe Nase oder schielender Blick Körpergröße: könnte größer sein, muss aber nicht Hände: perfekt! Charakter: offen, ehrlich, freundlich, höflich, misstrauisch, lustig = sehr gut Den Test hatte er zumindest schon mal fast bestanden, sobald ich mir seine Zähne und seine Intelligenz genauer ansehen würde und diese sich auch als zumindest gut herausstellen sollten, hätte ich das erste Mal in meinem Leben jemanden gefunden, der meine Checkliste mit befriedigend und damit angemessen überstanden hatte. „Verrätst du mir deinen Notendurchschnitt?“, frage ich, um zumindest diesen Punkt geklärt zu haben. 2,5 sollte dieser mindestens betragen, sonst wäre er wesentlich schlechter als ich (1,8 [verdammter Sportunterricht]) und das sollte auch nicht sein. Besser sollte er auch nicht sein. Wer will schon einen Klugscheißer an seiner Seite? „Also dieses Jahr war ich bei 2,3. Wieso? Gehst du deine Aspekte durch?“ Erwischt! „Wie kommst du denn auf diese Idee?“, fragte ich, um bloß nicht zu zeigen, dass er mich durchschaut hatte. „Ich würde es tun.“, sagte Ray und warf mich völlig aus der Bahn. Was sollte denn nun dieser Satz? Das war schon wieder keine Antwort! „Willst du mir nicht erst einmal antworten, bevor du mit dir selbst sprichst, weil das eindeutig nicht an mich gerichtet war.“ Er grinste mich an. „Von wegen! Das war eine Antwort und sie war sogar an dich gerichtet.“ „Du verwirrst mich.“ „Ich kam auf die Idee, weil du eben von den Aspekten gesprochen und mich dann nach meiner Intelligenz gefragt hast.“ „Gut…Das war die Frage auf meine Antwort, aber jetzt entwirre mich bitte.“ „Verwirrt?“ „Sonst müsste ich nicht entwirrt werden.“ Immer noch grinste er mich an und streckte mir dann die Zunge entgegen. „Ich verrate es dir nicht. Denk doch mal nach, worüber wir uns vor knapp 10 Minuten unterhalten haben.“ Ich versuchte meine Fragen zurückzuverfolgen: Notendurchschnitt, unbedeutende Fragen, meinen Cousin für mich verlassen, ein guter Grund jemanden zu verlassen… Moment! Schlagartig wusste ich, was er meinte! „Du würdest deinen Freund also tatsächlich für mich verlassen?“ „Wow! Du bist tatsächlich drauf gekommen.“ „Wie habe ich dich denn überzeugt?“ „Indem du deine Voraussetzungen für einen perfekten Freund an mir getestet hast.“ „Aber du weißt doch gar nicht, wie du abgeschnitten hast.“ „Trotzdem. Ich würde meinen Freund für dich verlassen.“ Um den Finger wickeln - erfolgreich abgeschlossen! Kapitel 4: Schritt 3: Der Todesstoß ----------------------------------- Der Todesstoß sollte nicht besonders schwer werden. Immerhin hatte ich die ersten beiden Schritte erfolgreich beendet. Menschen mit durchgehend wachem Gewissen hätten wohl ein Problem damit, jemandem den Freund auszuspannen, aber mein Gewissen war grundsätzlich im Tiefschlaf und wachte nur manchmal auf, um sich umzudrehen und mir dabei kurzzeitig ein schlechtes Gewissen zu verpassen. Noch ein Punkt, der Schritt 3 einfacher für mich machte, war die Tatsache, dass ich meinen Cousin nicht leiden konnte. Was könnte mir jetzt noch im Weg stehen? „Jin?“, fragte Ray, „Darf ich dich um etwas bitten?“ „Klar.“ „Erzähl deinem Cousin nichts von unserer kleinen Unterhaltung heute.“ Verdammt! Ich war so sicher, heute noch den Jackpot zu knacken! „Wieso?“, entgegnete ich mit ruhiger Stimme, die meinen Ärger nicht zeigte. „Ich möchte es ihm selbst sagen. Aber nicht heute.“ Es heißt, man solle aus den Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, etwas Schönes bauen. Doch was sollte ich mit dem Felsbrocken machen, den Ray mir vor die Füße geworfen hatte? Ich hatte jetzt also meinen Erfolg hinter und einen gewaltigen Kieselstein vor mir. Eine völlig unschöne Situation. Hinzu kam noch, dass ich nicht glaubte, dass Ray jemals ansprechen würde, dass er jetzt einen anderen (mich) kennen gelernt hatte und nicht mehr in dieser Beziehung feststecken wollte. Dafür schien er mir schlichtweg viel zu nett. „Bist du sicher? Ich meine, es ist einfacher, wenn ich der Böse bin.“, schlug ich vor. Der letzte Hoffnungsschimmer, Ray ab morgen als meinen Freund zu bezeichnen. Doch dieser Schimmer verpuffte sofort als Ray den Kopf schüttelte. „Ich mache das schon. Ich will doch nicht, dass du den Bösen spielst. Außerdem sollte ich das auch mal in die Hand nehmen. Schließlich bin ich der Unzufriedene.“ „Aber es macht mir nichts aus.“ „Das ist wirklich lieb von dir, aber es jetzt geht es einfach darum, dass ich so etwas auch einmal selber hinbekommen muss.“ „Gut. Soll ich dir ein Ultimatum setzen?“ „Das wäre vielleicht gar nicht schlecht.“ „Morgen fahren wir nach Hause. Bis dahin möchte ich Gewissheit darüber, ob ich nun weitersuchen soll oder nicht.“ Das Ultimatum sollte gewährleisten, dass ich nicht allzu lange warten musste. Wie bereits erwähnt, gehöre ich nicht zu den geduldigen Menschen. Da fiel mir plötzlich etwas ein: „Sag mal Ray, wo wohnst du eigentlich? Hier in der Nähe oder weiter weg? Ich stehe nämlich nicht besonders auf Fernbeziehungen.“ „Keine Angst.“, antwortete er und zwinkerte mir zu (zumindest glaubte ich das, denn bei ihm konnte ich ja nur ein Auge sehen), „Ich wohne tatsächlich in deiner Nähe.“ „Woher willst du wissen, wo ich wohne?“ „Ich bin eben genial.“ Leider beließ er es bei der Antwort, auch als ich ihn noch 10 Minuten damit nervte, er solle mir sagen, woher. Schließlich lenkte er ab, indem er fragte, ob wir nicht langsam wieder zurück wollten, schließlich war es schon dunkel und es wurde immer kälter. Außerdem kämen die Mücken heraus. Deswegen schlenderten wir wieder zurück und quatschen wieder nur über sinnlosen Kram, bis er mich schließlich fragte: „Was hättest du eigentlich gemacht, um mich zu überzeugen, dass du es ernst meinst, wenn ich deine Checkliste nicht als Grund angesehen hätte? Ein verwirrender Satz oder?“ „Nicht wirklich. Mir wäre schon etwas eingefallen.“ „Sag schon! Hattest du schon einen Plan?“ „Vielleicht.“, sagte ich grinsend und ging einfach weiter, ohne auf seine sich ständig wiederholende Frage („Was hättest du gemach? Was? Was? Was? Was? Was?...“) zu reagieren. Jetzt konnte er selbst einmal von seiner Medizin kosten, keine Antwort zu bekommen. Vielleicht würde er dadurch lernen, dass ich meine Antworten präzise und sofort haben wollte. Wir waren fast angekommen, als ich mich fragte, wieso mein nerviger Cousin nicht alle zwei Minuten Ray angerufen hatte. Mich konnte er nicht anrufen; meine Handynummer hatte er nicht. Ich fragte Ray, was ihn wohl daran hindern könnte. Auch er schien ziemlich verwirrt zu sein, tastete seine Taschen ab und sagte dann: „Ich hab’s wohl bei ihm zu Hause vergessen.“ Das Schicksal meinte es scheinbar gut mit mir oder Ray hatte sein Mobiltelefon absichtlich vergessen. Hatte er geahnt, was ich vorhatte? Oder war es doch nur Zufall? Egal, was es war, es war gut so. Blöderweise fiel mir erst vor der Haustür ein, dass ich auf dem kompletten Heimweg auch Rays Hand hätte halten können, was ihn vermutlich mehr angespornt hätte, meinem Cousin sofort die Kugel zu geben. Am liebsten hat man es doch, wenn einem die Tür von einer freundlich dreinblickenden Person geöffnet wurde. Ray bekam so ein Gesicht von seinem Bald-Ex-Freund zu sehen, aber als dieser zu mir sah, veränderte sich sein Gesichtsaudruck zu purem Hass und grenzenloser Verachtung. Schön zu wissen, dass man so geliebt wird. Schon für das Verpassen des Händchenhaltens hätte ich mich ohrfeigen können, doch ein kleiner Gute-Nacht-Kuss auf die Wange wäre auch noch vor der Tür drin gewesen, wenn ich nicht so voreilig geklingelt und damit verursacht hatte, dass mein Cousin Ray auf Schritt und Tritt verfolgte, um mich bloß nicht in seine Nähe zu lassen. Den Kuss nachzuholen, wäre Selbstmord. Meine Tante hatte mich allein in eines der Gästezimmer geschickt mit den Worten: „Ich nehme an, dass jemand so junges nicht bei den Eltern und nicht bei den Geschwistern schlafen will.“ Glücklicherweise hatte ich also ein Einzelzimmer und musste niemandem beim Schnarchen zuhören. Ich war fast eingeschlafen, als es plötzlich an meiner Tür klopfte. Die Digitaluhr zeigte 02:23 Uhr. Wer wollte denn um diese Uhrzeit etwas von mir? „Herein.“, versuchte ich zu rufen, was allerdings nur als etwas lauteres Reden herauskam. Die Tür wurde einen Spalt breit geöffnet. „Hab ich dich geweckt?“ Ich erkannte Rays Stimme und schaltete die Nachtischlampe an. „Nee, ich war noch wach. Komm rein. Was is?“ Kein „t“ bei „ist“ und kurze Sätze: Deutliche Zeichen dafür, dass ich fast geschlafen hatte und somit Ray fast angelogen hatte. Aber fast ist eben nicht ganz und damit nicht verwerflich! Ray kam herein setzte sich auf die Bettkante, während ich mich aufsetzte. „Ich wurde aus dem Zimmer geworfen.“, sagte er und sah mich irgendwie traurig an. „Wieso?“ Blöde Frage! Aber ich will gerne mal eine Person sehen, die etwas Gescheites sagen kann, wenn sie noch fast schläft. „Ich hab deinem Cousin gesagt, dass ich dich niedlich, hübsch und lieb finde…Eigentlich habe ich sogar noch viel mehr Worte benutzt, weil sie einfach so aus mir heraussprudelten. Jedenfalls hab ich es nicht geschafft, ihm zu sagen, dass ich nicht mehr mit ihm zusammen sein will, weil er mich viel zu schnell herausgeworfen hat. Lange Rede, kurzer Sinn: Darf ich bei dir schlafen?“ Viel zu lange Rede! Ich hatte nur die Hälfte verstanden - die wichtige Hälfte: Er fand mich toll und wollte bei (oder mit?) mir schlafen. „Klar. Aber das ist ein Einzelbett.“ „Wir sind ja nicht dick.“ „Übereinander passt es außerdem hervorragend.“ „Was?“ „Ich glaube, so etwas im Fernsehen gehört zu haben. Keine Ahnung. Leg dich hin.“ Ich legte mich wieder hin und drehte ihm den Rücken zu. Er knipste das Licht aus und kroch unter die Decke. Nach kurzem Zögern legte er die Arme um meine Hüften, sodass ich seinen Atem im Nacken spüren konnte. Man stelle sich also vor: Jemand wirklich liebes und irgendwie anziehendes haucht seinen heißen Atem in den eigenen Nacken und legt die perfekten Finger auf das bisschen Haut, das zwischen der eigenen Schlafhose und -shirt hervorschaut. Außerdem landet der eigene Hintern automatisch im Beckenbereich des Dazugekommenen. Alles Weitere, wird hier nicht näher erläutert, denn die eigene Fantasie ist doch immer am spannendsten. Am Morgen darauf, begleitete ich Ray zum Bahnhof und fragte ihn, was er mit meinem Cousin gemacht hatte. „Ich habe ihm gesagt, dass er nicht mehr mein Fall ist. Außerdem hätte ich bereits jemand Anderes gefunden.“, antwortete er, drückte mir einen Kuss auf die Lippen und auf Nase und winkte mir aus dem Zug heraus zu, bis dieser losfuhr und Ray mir nur noch einen Luftkuss zuwerfen konnte. Seine Handynummer und Adresse hatte er mir selbstverständlich zugesteckt mit den ernsten Worten, ich solle ihn anrufen und besuchen. Meine Adresse und Handynummer hätte er sich anderweitig besorgt. Wie er das geschafft hatte, wollte er allerdings nicht verraten, aber das würde ich ihm schon antrainieren. Schließlich hatte ich jetzt die offizielle Erlaubnis, ihn zu erziehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)