The Luck of the Draw von -shiyuu (Wie der Zufall so will) ================================================================================ Kapitel 6: ----------- Nie hätte Satoshi gedacht, dass er selbst einmal eine sexuelle Erfahrung mit einem anderen Mann haben könnte, auch nicht, als ihm Ryos Neigung zum eigenen Geschlecht aufgefallen war. Er und ein anderer Mann – das war einfach etwas, über das er nicht nachdenken wollte, nicht auf dieser Ebene. Darum war es jetzt umso schlimmer, dass es Ryo war, der ihn an seinen intimsten Stellen berührt hatte, aber das Schlimmste war echt, dass er das zugelassen hatte. Er hatte einfach nur dagelegen und ihm freie Hand gelassen, obwohl er sich hätte wehren können, obwohl er sich hätte wehren müssen. Dass das gerade passiert war, ging einfach nicht in seinen Kopf. Er hatte zu viel getrunken, aber das war seiner Meinung nach keine Entschuldigung für das Geschehene. Eine Hand glitt über seinen Bauch, Ryos Hand. Kurz flackerte sein Blick an sich herab und er schluckte die aufkommende Übelkeit herunter, versuchte es zumindest. So wirklich klappen wollte es nicht. Er sah wieder zu Nii, der dastand wie zur Salzsäule erstarrt, die Hand immer noch am Lichtschalter. Warum drückte er da nicht einfach noch mal drauf? Ungeschehen machen würde es das zwar nicht, aber er würde sich nicht mehr so bloßgestellt fühlen! Endlich bemerkte auch Ryo, dass sie einen Zuschauer hatten, und seine Hände zuckten zurück. Er sah mindestens genauso geschockt aus wie Nii. Die beiden starrten sich an, und Satoshi robbte sich von Ryo weg. Schon in der nächsten Sekunde bereute er es. Er konnte Ryos Hinterlassenschaft zwischen seinen Pobacken nur allzu deutlich spüren und ihm wurde plötzlich so übel, dass er glaubte es nicht mehr rechtzeitig zum Klo zu schaffen. Trotzdem sprang er auf wie von der Tarantel gestochen, zog sich seine Hosen nur hoch, stolperte beinahe über Shuu, der immer noch dalag und selenruhig schlief, und hechte dann über den Flur zur Toilette, wo er sich auf den Boden schmiss und der Kloschüssel sein Innerstes offenbarte. Als er fertig war, wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund und atmete angestrengt. Wirklich besser ging es ihm nicht, also blieb er da so hocken; es war ihm sogar egal, dass ihm der Arsch aus der Hose hing. In diesem Augenblick war ihm alles egal, solange dieser verdammte Brechreiz endlich verschwand! Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde es immer noch nicht besser, aber er hatte nicht vor die Nacht jetzt hier vor der Kloschüssel zu verbringen, also stand er schwerfällig auf und dachte daran, sich endlich richtig anzuziehen, ließ es dann aber doch bleiben, da ihm zusätzlich auch noch schwindlig wurde. Verdammter Alkohol. Er hielt sich an dem Waschbecken fest und schloss die Augen, bei jedem Atemzug darauf achtend, dass er nicht zu hastig atmete und allgemein ruhiger wurde. Tatsächlich klappte es und zumindest das Schwindelgefühl ließ nach. Trotzdem wartete er noch einige Minuten, bis er die Augen wieder öffnete. Und wieder vergingen ein paar Minuten, ehe er sich rührte und den Wasserhahn andrehte. Er wusch sich die Hände und spülte sich den Mund aus, drehte den Hahn dann zu, nur um ihn im nächsten Moment wieder aufzudrehen. Während er aus seiner Hose stieg und auch die Shorts von den Beinen streifte, hielt er sich wieder fest. Sicher war sicher. Er hatte keine Lust umzukippen und sich den Kopf anzuhauen. Auch wenn er dann die Chance, diese ganze Scheiße hier vielleicht vergessen zu können, an sich vorbeiziehen ließ. Nachdem er sich auch unten herum gewaschen hatte, fühlte er sich ein wenig besser. Am liebsten hätte er jetzt gebadet oder wenigstens ausgiebig und heiß geduscht, aber hier befand sich nur dieses einzelne Klo, das er so bald nicht zu verlassen gedachte. Endlich traute er sich einen Blick in den Spiegel zu werfen. Er erschrak nicht einmal, als ihm sein Angesicht entgegenblickte. Er sah fertig aus, aber richtig. Und trotzdem war ihm das egal. Sein Aussehen war gerade seine kleinste Sorge. Ihm fiel auf, dass das nicht sein T-Shirt war, das er da anhatte, und erst nach einigem angestrengten Nachdenken fiel ihm ein, dass Ryo ihm ja seins gegeben hatte. Warum hatte er das doch gleich noch angezogen? Er schüttelte über sich selbst den Kopf und zog das Teil aus. Dass er nun nackt war, störte ihn herzlich wenig. Dass die Tür offenstand und Ryo, sollte er ihm hinterherkommen, ihn jetzt so sehen würde, allerdings schon, also stieß er die Tür zu und schloss ab, dann hockte er sich auf den Boden, die Hände so fest in den Rand des Keramikwaschbeckens gekrallt, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Er hasste sich für das, was geschehen war. Aber noch mehr hasste er Ryo dafür. * „Oh mein Gott.“ Ryo zuckte zusammen als er das hörte und wandte sich zu Nii um, der sich endlich wieder rührte. Er sah blass aus, aber das war dem Drummer gerade ziemlich egal. Er wusste, dass er Mist gebaut hatte, ziemlich gewaltigen Mist. Nie hätte er sich dazu hinreißen lassen dürfen so etwas mit Satoshi zu machen. Nie. Einige seiner kleinen Neckereien waren ja schon grenzwertig gewesen, aber das hier war definitiv zu viel, er hatte den Bogen überspannt. Satoshi war bestimmt schon vor fünf Minuten nach draußen gestürmt, aber er saß immer noch einfach nur da, versuchte zu begreifen wie er nur so dumm hatte sein können. Er hatte sich noch nicht mal die Short wieder vernünftig angezogen, was nun endlich auch Nii zu bemerken schien, denn er räusperte sich und sah in eine andere Richtung. „Los, zieh dich an.“ Nie hätte Ryo damit gerechnet, dass ihr sonst so aufbrausender und übermütiger Gitarrist in so einer Situation so ruhig bleiben würde. Er hatte etwas ganz anderes erwartet, aber umso besser. Er hatte keine Lust sich jetzt großartig mit Nii auseinander zu setzen. Es gab jemanden, der sehr viel wichtiger war, und dieser jemand saß wahrscheinlich gerade irgendwo draußen und war vollkommen überfordert mit dieser Situation. Verständlicherweise. Er seufzte und zog sich im Aufstehen die Shorts hoch, dann sah er kurz auf den Futon, auf dem das eben alles geschehen war. Irgendwie kam ihm das alles total unwirklich vor, wie einer seiner vielen Träume, mit dem winzigen Unterschied, dass Satoshi da dann bei ihm blieb und nicht einfach so wegrannte. Aber das waren eben nur Träume, deren wahre Erfüllung soeben in ganz weite Ferne gerückt war. Leider. Er musste etwas tun, damit es Satoshi wieder besser ging. Es ihm erklären. Sich Entschuldigen. Irgendwas, Hauptsache er stand nicht einfach hier herum und drehte Däumchen! Gerade wollte er Richtung Tür gehen, da hielt Niis Stimme ihn zurück. „Was… war das eben?“ Ryo wandte sich um und sah ihn an. Nii sah immer noch weg. Gott, musste ihm das peinlich sein sie so erwischt zu haben. Wahrscheinlich hatte er nicht einmal bemerkt, dass Ryo gehen wollte. Vielleicht war es aber auch besser, wenn er Satoshi erst mal Zeit gab um runter zu kommen, denn er hatte echt nicht die blasseste Ahnung was passieren würde, wenn er ihm jetzt auch noch mit seinen Erklärungen auf den Sack ging. Er seufzte. „Wonach sah es denn aus?“, fragte er leise und verschränkte die Arme vor der Brust. Nii schwieg eine Weile, er schien sich seine nächsten Worte genau zu überlegen, wollte nichts Falsches sagen. „Ihr seid schwul.“ Eine Feststellung, keine Frage. Und doch musste Ryo ihn enttäuschen; er schüttelte den Kopf und kassierte einen fragenden Blick von dem Gitarristen. „Wir sind nicht schwul.“ Das stimmte so ja auch. Es gab kein wir. Er war schwul, Satoshi nicht. „Aber das eben…!“, protestierte Nii und zog die Brauen zusammen, als glaubte er Ryo würde ihn verarschen wollen. „Ja, das eben.“, sagte er und nickte. „Wir hatten Sex, aber wir sind nicht schwul.“ Und nach einer langen Pause fügte er hinzu: „Satoshi zumindest nicht.“ Jetzt war Nii vollends verwirrt. „Und warum habt ihr dann…?“ Er sprach es nicht aus. Als wäre das so schwer! Ryo wusste schon, warum er das so lange für sich behalten hatte! „Ryo?“ Der Drummer zuckte zusammen. Er hatte ganz vergessen, dass er Nii noch eine Antwort schuldig war. Er zuckte leicht mit den Schultern. „Braucht man für sowas immer einen Grund?“ Nii musterte ihn eine ganze Weile, in der sie sich anschwiegen. Ryo war unwohl in seiner Haut. Er wollte nicht mit Nii über seine Probleme mit Satoshi reden. Nicht über diese Art von Problem. Am liebsten hätte er gehabt, dass Nii sich wieder hinlegte und weiterschlief, aber das war wohl nur Wunschdenken. „Du hast gesagt, Satoshi ist nicht schwul.“ Ryo zögerte, nickte dann. „Richtig.“ „Aber du bist es?“ Wieder zögerte er, aber das war schon Antwort genug. Niis Lippen wurden zu einem schmalen Strich. „Du hast es ausgenutzt, dass Satoshi so betrunken war. Ist… Was auch immer. Du hast ihn-“ „Nein, hab ich nicht!“, unterbrach er Nii und wurde dabei lauter als er wollte. Schnell ging sein Blick zu Shuu. Dass der wach wurde, konnte er jetzt nicht gebrauchen. Es reichte, dass er sich mit Niis Fragen herumplagen musste. Aber zum Glück rührte Shuu sich nicht. Der schlief wie ein Stein. Umso besser. „Du weißt doch gar nicht, was ich sagen wollte.“, kam es leise von Nii, der den Drummer jetzt keine Sekunde mehr aus den Augen ließ, was diesen nur noch unruhiger machte als er eh schon war. „Aber ich kann’s mir denken.“ Ryo ging ein paar Schritte, dann seufzte er schwer und setzte sich an den Tisch. Er hatte sich noch nie so unwohl in seiner Haut gefühlt wie jetzt gerade. Scheiße. Warum hatte er es nur so weit kommen lassen? „Und?“ „Was und?“, fuhr er Nii schärfer an als beabsichtigt. Der Langhaarige hob nur eine Augenbraue, sagte aber nichts. Er ließ einige Augenblicke verstreichen, dann setzte er sich Ryo gegenüber an den Tisch. „Erzähl du’s mir.“ Ryo wandte den Blick ab und schwieg. Er wollte nicht reden, aber das übernahm Nii anscheinend sehr gerne für ihn. „Satoshi ist betrunken und du bist gerade notgeil und er ist da, also wird er direkt mal…“ Wieder zögerte er an dieser Stelle. „Gefickt.“, half Ryo nach. Er nickte. „Genau.“ „Aber ich hab ihn nicht gefickt.“ Niis Stirn legte sich in tiefe Falten. „Ich denk ihr hattet Sex!“ Ein langsames Nicken folgte als Antwort. „Und was ich da gerade gesehen hab, sah verdammt danach aus als hättest du… das gemacht!“ Warum redete Nii über Sachen, von denen er keine Ahnung hatte? Das alles ging Ryo einfach nur auf die Nerven. Am liebsten wäre er aufgestanden und rausgegangen, aber etwas hielt ihn davon ab. Je länger er hier blieb, desto mehr Zeit hatte er sich etwas einfallen zu lassen, was er Satoshi sagen konnte. „So blöd bin ich nicht. Nii, ich steh nicht erst seit ein paar Tagen auf Männer. Glaubst du wirklich ich steck ihm meinen…“ – Schwanz wollte er nicht sagen – „meinen kleinen Ryo hinten rein, wenn ich weder Gleitgel noch Kondome dabei hab? Und ich hätt‘ seinen kleinen Arsch bestimmt nicht auf einem beschissenen Futon entjungfert, während ihr daneben liegt!“ Nii war das ganze sichtlich unangenehm. Unruhig rutschte er auf seinem Stuhl herum und pulte mit den Fingern die Lackierung an der Tischkante ab. „Aber das eben…“ Er wusste nicht weiter. Das Thema war wohl komplettes Neuland für ihn, genauso wie es das für Satoshi gewesen war, als er ihn auf diesem anderen Kerl, dessen Namen er nicht einmal mehr wusste, gesehen hatte. Scheiße. Irgendwie lief alles verkehrt. „Willst du wissen, was das eben war?“ Er wartete gar keine Antwort ab. „Ich hab’s mir zwischen seinen kleinen süßen Pobacken gut gehen lassen, während ich ihm einen runtergeholt hab! Mehr war das nicht! Auch wenn ich ihn weitaus lieber richtig gehabt hätte. So ein selbstsüchtiges Arschloch bin ich dann doch nicht! Und ich hätte das alles nie gemacht, wenn er nicht plötzlich rumgejammert hätte ihm sei kalt und da bin ich halt dichter an ihn ran gerutscht. Dann kam eins zum anderen…“ Sie sahen sich an und schwiegen. Eigentlich hatte Ryo das alles gar nicht erzählen wollen. Er wusste auch nicht, warum er das getan hatte. Nii hatte ihn mit seinen unterschwelligen Vorwürfen einfach nur wütend gemacht, und trotzdem hätte er das alles nicht so raus posaunen dürfen. Er schluckte und sah auf seine Hände. „Bist du in ihn verliebt?“ Ruckartig hob er den Kopf und riss die Augen auf. „Was?“ „Du hast mich schon richtig verstanden.“, sagte Nii so leise und dennoch so durchdringend, dass ihm ganz anders wurde. War er so leicht durchschaubar? „Was hat mich verraten?“, fragte er resigniert, doch Nii gab nur ein überraschtes Geräusch von sich und sah ihn ungläubig an. „Du stehst auf ihn? So richtig?“ Ryo biss sich auf die Unterlippe. Hätte er es geleugnet, hätte Nii ihm wahrscheinlich sogar geglaubt, und jetzt hatte er sich selbst verraten. Heute lief einfach alles schief. Er rang sich ein Nicken ab und sank tiefer in seinen Stuhl zurück. „Weiß Satoshi das?“ „Keine Ahnung. Wahrscheinlich schon…“ „Wahrscheinlich?“ Warum musste er da jetzt nachhaken? Ryo hatte keine Lust jetzt seine Gefühle vor Nii zu offenbaren. „Ja, wahrscheinlich. Er weiß schon ‘ne Weile, dass ich schwul bin und ich war ihm gegenüber… nun ja… ein bisschen aufdringlich, hab’s aber immer als Spaß abgetan. Ich weiß nicht, ob er das weiß.“ Nii seufzte schwer. „Warum sagst du’s ihm nicht einfach?“ Der Drummer sah ihn ungläubig an. „Jetzt, nachdem ich das mit ihm gemacht hab? Nachdem du uns erwischt hast und er total fertig raus gerannt ist? Sicher ist jetzt der beste Zeitpunkt dafür. Am besten halt ich ihm gleich meine Backe hin, damit er mir eine knallen kann und alle sind glücklich.“ „Kein Grund sarkastisch zu werden.“, sagte Nii leise und seufzte dann. „Jetzt ist wahrscheinlich wirklich nicht so gut. Aber du solltest ihm das sagen, wenn er über… die Sache da eben hinweg ist.“ Ryo nickte. „Ja…“ Vielleicht… „Jetzt geh ich erst mal nach ihm sehen.“, sagte er leise und stand auf. Nii wollte noch etwas sagen, verkniff es sich dann aber. Als Ryo an der Tür war, ergriff er dann aber doch noch das Wort. „Ryo?“ Angesprochener drehte sich um und bekam seine Hose entgegen geworfen. „Zieh dir wenigstens vorher was an.“ Ohne Widerworte tat Ryo wie geheißen und zog die Hose über. „Wo ist dein T-Shirt?“ „Das hat Satoshi an…“ Nii hob eine Braue, fragte aber nicht weiter nach, sondern ging zu Ryos Tasche und holte ein anderes Shirt heraus, dass er dem Drummer entgegen warf. Ryo zog es an, stieg über Shuu herüber und verschwand aus dem Raum. Dem Gitarristen entkam ein tiefes Seufzen, als die Tür sich leise geschlossen hatte. Draußen im Flur blieb Ryo erst mal stehen und lehnte sich an die Wand. Er atmete tief durch und versuchte ruhig zu werden. Ruhig zu bleiben. Seine Atmung ging viel zu schnell. Er hatte immer noch keine Ahnung, was er Satoshi gleich sagen sollte, aber irgendetwas müsste er ihm sagen. Und er wollte es auch. Er wollte sich erklären und am besten dafür sorgen, dass wieder alles war wie vor diesem dummen Fehler. Er war davon ausgegangen, dass er sich besser unter Kontrolle hatte. Er sog noch einmal gierig Luft in seine Lungen und wünschte sich er hätte seine Zigaretten mitgenommen, ging dann aber den Gang entlang und hoffte den Sänger bald zu finden. Vor der nächsten Tür blieb er stehen. Er versuchte sie zu öffnen, doch es ging nicht. Er stand vor der Toilette und sie war abgeschlossen. Satoshi war gefunden; da hatte er aber echt Glück gehabt, dass das so schnell gegangen war. Er trat näher an die Tür und drückte sein Ohr dagegen, lauschte. Nichts war zu hören, aber Satoshi musste da drin sein. Er hob seine Hand und strich über das kalte Holz, zögerte, klopfte dann an und warte. Immer noch regte sich nichts. Er klopfte erneut und wartete, klopfte, wartete. Dann seufzte er. „Satoshi?“, fragte er in die Stille hinein. Keine Reaktion. „Ich weiß, dass du da drin bist … Können wir bitte reden?“ Nichts. Es vergingen einige Augenblicke, die sich in die Länge zogen wie zäher Kaugummi, dann war doch etwas zu hören. Ein Rascheln, dann ein dumpfer Knall, aber leise. „Satoshi? Alles in Ordnung?“ „Das hast du nicht gerade echt gefragt, oder?“, kam es leise von der anderen Seite der Tür. Ryo biss sich auf die Unterlippe. „Doch. Ich mach mir Sorgen.“ „Bisschen spät, findest du nicht?“ Das stimmte, auch wenn er es sich nicht gern eingestand. Ryo lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür und schloss die Augen. Er ließ einige Minuten verstreichen, ehe er sich an dem Holz herabgleiten ließ und auf den Boden hockte. Er zog die Beine an und legte die Arme darum. „Es tut mir leid…“ Es war wieder still, erschreckend still. Warum sagte Satoshi nichts, warum schrie oder brüllte er ihn nicht an? Alles wäre besser gewesen als dieses gottverdammte Schweigen! „Hast du gehört? Es tut mir lei-“ „Halt die Klappe!“, zischte er andere zurück und augenblicklich verstummte der Drummer. Und lauschte, doch mehr kam nicht. Er sah auf seine Hände und wartete. Er würde hier sitzen bleiben, bis Satoshi dort herauskam, so viel stand fest. „Geh.“ Als hätte Satoshi seine Gedanken gelesen. „Was?“ „GEH!“ Ryo schüttelte den Kopf. „Nein… Ich bleib hier bis du da rausgekommen bist. Oder wir zumindest geredet haben…“ „Worüber willst du denn reden? Über das, was du eben mit mir gemacht hast?“ Seine Stimme zitterte und Ryo fühlte sich schlecht. Er war schuld, dass es Satoshi nun so ging; dass er sich im Klo eingesperrt hatte und nicht raus kommen wollte. Er war so ein Idiot! „Ja, genau darüber…“ Er wartete darauf, dass Satoshi etwas sagte, doch das geschah nicht, also sprach er einfach weiter. „Ich wollte nicht, dass das… so ausartet.“, sagte er leise. „Aber du warst betrunken und… heiß… du wolltest das bestimmt nicht, aber du hast mich tierisch angemacht. Da haben meine Hände sich verselbständigt…“ „Und andere Körperteile auch.“ Er presste die Augen zusammen. „So ungefähr. Ich konnte nicht mehr aufhören. Es tut mir wirklich leid…“ Eine ganze Weile sagte keiner von ihnen etwas. Es war so leise, dass er Satoshis Atmen hörte – zumindest glaubte er das. Vielleicht war er aber auch einfach so übermüdet und mitgenommen, dass er sich das schon einbildete. Er wollte es hören, darum hörte er es. Eigentlich war es ja egal, ob es echt war oder nicht. Er wusste, dass Satoshi sich auf der anderen Seite dieser Tür befand und er musste ja unweigerlich atmen. „Du hast mein… du hast…“ Weiter kam er nicht. Aber Ryo wusste auch so, was er meinte. Satoshi brauchte es gar nicht auszusprechen. „Ich hab Mist gebaut.“, sagte Ryo leise. „Das weiß ich … Bist… bist du sauer?“ Dumme Frage. Und je länger er keine Antwort darauf bekam, desto dümmer kam er sich selbst vor. Dann endlich: „Ja.“ Mehr nicht. Er hatte es auch so gewusst, und trotzdem hatte er fragen müssen. Es war wieder eine Weile still. „Kommst du da raus?“, fragte Ryo leise. Er wollte nicht, dass Satoshi sich seinetwegen auf dem Klo verbarrikadierte. „Nein.“ „Und wenn ich weg geh? „Nein.“ Ryo seufzte. Er wusste nicht, was er noch sagen sollte. Eigentlich konnte er froh sein, dass Satoshi überhaupt mit ihm redete. Aber sie hatten die Tür zwischen sich, sie konnten sich nicht ansehen. Sie mussten sich nicht ansehen. Vielleicht war das so doch ganz gut. „Was machst du?“, fragte Ryo, einfach weil ihm nichts anderes einfiel, er aber Satoshis Stimme weiterhin hören wollte. „Sitzen … Und du?“ „Sitzen.“ Wäre es eine andere Situation gewesen, hätten sie jetzt gelacht, aber seine Mundwinkel zuckten nicht einmal. „Soll ich gehen? Oder darf ich hier bleiben?“ „Mach was du willst, aber ich komm hier nicht raus.“ Das war mal ‘ne klare Ansage. Aber damit gab er sich schon zufrieden, auch wenn der Boden kalt war und er viel lieber geschlafen hätte, er blieb hier sitzen. Satoshi sagte eine ganze Weile lang nichts mehr, aber auch das war ihm mehr oder weniger egal. Hauptsache er durfte hier bleiben. Das war gerade das Wichtigste. Das und… „Ich glaub, ich muss dir was sagen.“ Satoshi gab keinen Ton von sich, aber er wusste, dass er zuhörte. Er musste einfach zuhören. „Seit du mich…“ Er schüttelte den Kopf und begann erneut. „Seit du weißt, dass ich nicht auf Frauen stehe, hab ich mich dir gegenüber anders verhalten…“ Er stellte sich vor, wie Satoshi da saß und ihm gebannt lauschte. Natürlich hatte er das bemerkt, er hatte auch gesagt, wenn es ihm zu viel wurde. Jetzt war aber das erste Mal, dass Ryo darüber ernsthaft sprechen wollte. „Das alles hatte einen Grund. Ich dachte… jetzt, da du weißt, wie ich bin, würdest du das vielleicht verstehen…“ Was verstehen?, fragte Satoshi sich bestimmt gerade. Aber der Sänger blieb still. „Ich hab dir das bisher nicht gesagt, aber…“ Er schluckte den Kloß, der sich in seinem Hals bildete, hinunter. Scheiße. Er hatte es ihm nie sagen wollen. Sicher hatte er sich das oft vorgestellt, aber dann war es anders gewesen, romantischer. Wie so eine Liebeserklärung eben sein sollte. Und das hier war so was von unpassend! Aber er wollte es endlich loswerden. Er wollte, dass Satoshi wusste, dass er das alles nicht machte um ihn zu trietzen, sondern ganz einfach weil er Gefühle für ihn hatte. „Es gibt da jemanden, den ich mag. Sehr mag…“ Er konnte die Anspannung des anderen spüren. Vielleicht war es auch seine eigene und er bildete sich das bloß wieder ein, aber es war doch besser, wenn er sich vorstellte, dass Satoshi ihm jetzt gebannt lauschte und mit jeder weiteren Sekunde, die er verstreichen ließ ohne etwas zu sagen, nur noch angespannter würde. „Dieser jemand bist du.“ Es blieb still. Er wusste nicht, womit er gerechnet hatte, aber Schweigen war es definitiv nicht gewesen. Er war enttäuscht. Wütend und enttäuscht, aber nicht von Satoshi, sondern von dieser Situation. Es hätte alles so schön sein können… So etwas sollte schön sein, aber das hier war einfach nur grotesk. Und es wurde ihm zu viel. Ihm wurde klar, dass er keine Chance hatte. Er hatte keine Chance auf eine Beziehung mit Satoshi. Aber nicht nur das, nein, durch seine Dummheit hatte er jetzt seinen besten Freund verloren. In seinen Träumen war alles so viel schöner gewesen. In seinen Träumen hatte Satoshi gesagt, dass es ihm genauso ging. Sie hatten sich geküsst. Und jetzt, jetzt hatte er gar nichts. Er fühlte sich noch elender als vorher. So leise wie möglich stand er auf und ging, ohne noch ein Wort zu sagen. Er wusste, wann er verloren hatte und das war jetzt definitiv der Fall. Das leise „Ryo?“, das genau in diesem Moment leise durch die Tür gekrochen kam, nahm er gar nicht für wahr. Es war Wunschdenken, dass Satoshi Gefühle für ihn hatte. Er musste lernen damit klar zu kommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)