The Luck of the Draw von -shiyuu (Wie der Zufall so will) ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Eigentlich war Satoshi ein Mensch, der mit Veränderungen umgehen konnte, auch wenn sie unvorhergesehen kamen. Als seine Eltern mit ihm damals vom Land nach Chiba gezogen waren und er alle seine Freunde hatte zurücklassen müssen, hatte er es verkraftet. Als seine Eltern sich kurz darauf getrennt hatten, war er zwar verstört gewesen, aber das nicht unbedingt aufgrund der Trennung, sondern weil er plötzlich mit seiner Mutter allein sein sollte, dabei hatte er doch zu seinem Vater ein viel besseres Verhältnis gehabt, aber er hatte es akzeptiert und damit gelebt. Als seine erste große Liebe ihn verlassen hatte, weil sie nach der Mittelstufe auf eine andere Schule als er gehen sollte, hatte er es gefasst getragen. Er hatte viele einschneidende Erlebnisse hinter sich und war mit fast allem problemlos klargekommen; nur der Tod seiner Großmutter hatte ihn gehörig aus der Bahn geworfen und dafür gesorgt, dass er wochenlang vollkommen neben sich stand – diese Frau hatte er einfach abgöttisch geliebt – aber auch damit hatte er sich irgendwann arrangiert. Nie wieder war etwas passiert, dass ihn so fertig gemacht hatte – und dann erwischte er Ryo mit einem anderen Mann im Bett und war plötzlich verstört wie nie zuvor. Dabei hatte er nicht einmal etwas gegen Schwule. Es war nur die Tatsache, dass es Ryo war. Er kam zwar auch mit Shuu und Nii super klar und hatte auch andere gute Freunde, aber eigentlich war Ryo doch sein bester Freund. Und er hatte nichts gemerkt. War er so blind gewesen? Oder hatte Ryo es wirklich nur gut versteckt? In seiner Vorstellung benahmen schwule Männer sich anders, femininer… aber wenn es nur danach ging, mussten fast alle Japaner in der Visual-Szene schwul sein und das war mehr als unwahrscheinlich! Er war wohl einfach nur dumm und naiv gewesen. Natürlich sah man Menschen ihre sexuelle Gesinnung nicht an, zumindest nicht zwingend. Ausnahmen bestätigten ja bekanntlich die Regel. Ihm war zwar klar, dass es ziemlich dumm war, aber trotzdem beobachtete er Ryo in den nächsten Tagen ein wenig genauer und tatsächlich benahm er sich wie ein ganz normaler Mann. Das erleichterte ihn ungemein. Tagelang grübelte er darüber nach, was passiert sein musste, dass Ryo jetzt so war, wie er war. War er einfach neugierig gewesen? Hatte er sich in ein Mädchen mit kurzen Haaren verliebt und dann festgestellt, dass es ein Junge war? Ob Ryo wohl schon früh damit angefangen hatte mehr auf das gleiche Geschlecht zu achten als auf Frauen, die größtenteils ja offensichtlich ansprechendere Reize vorzuweisen hatten? Ihm fiel gerade auf, dass er eigentlich gar nichts über Ryos Vergangenheit wusste. Sicher, er wusste wo er aufgewachsen war, wann und wie er zur Musik gekommen war, und noch einiges mehr, aber das war alles nur unwichtiges Blabla. Die wirklich wichtigen Dinge hatte Ryo ihm nie erzählt und wenn er ehrlich war, er hatte nie gefragt. Hätte er es getan, hätte Ryo ihn ja vielleicht wirklich früher eingeweiht. Vielleicht auch nicht. Er wusste ja nicht über was der Drummer mit Shuu oder Nii sprach, wenn sie allein waren, aber das wussten sie nicht, davon war er überzeugt. Es interessierte ihn brennend, was geschehen war, was Ryo so geprägt hatte. Vielleicht war er ja auch von Anfang an auf Jungen abgefahren und hatte es noch nie einem seiner Freunde gesagt. Er wollte das alles wissen, unbedingt. Noch vor ein paar Tagen waren ihm diese Themen vollkommen egal gewesen, aber langsam hatte er den Schock überwunden und wollte mehr darüber wissen – einfach, weil Ryo sein Freund war. Da war es doch nur natürlich sich auch für so etwas zu interessieren, oder? Ein Seufzen kam über seine Lippen und er winkte nur ab als Shuu fragend von seinem Laptop zu ihm aufsah. Der Bassist widmete sich wieder seinem Spielzeug, auf dessen Tasten er angestrengt einhackte. Er sah sehr konzentriert aus, also arbeitete er wohl an irgendetwas; genauso gut konnte er aber auch im Internet rumspielen und seine ganze Aufmerksamkeit den Monstern zu widmen, die er abknallen musste. Er hätte einfach aufstehen und nachsehen können, aber dazu war er viel zu faul. Er gähnte herzhaft und machte sich auf der Couch lang. Er hatte noch nie begriffen, warum er dabei sein musste, wenn sie im Studio die Instrumente einspielten. Der Gesang war immer zum Schluss dran, da konnte er doch ruhig die paar Tage frei haben und auf seiner Couch rumliegen. Einmal hatte er es gewagt Shuu danach zu fragen und das war in eine endlose Diskussion über die Verantwortung, die sie alle der Band gegenüber hatten, geendet und das hatte ihn so sehr genervt, dass er es nach dieser Predigt nie wieder angesprochen hatte. Seither war er immer da und fläzte sich auf der Couch herum, tat meistens gar nichts. Bisher war er sehr beschäftigt damit gewesen über Ryo nachzudenken, aber das war ihm zu anstrengend geworden, also lag er jetzt einfach da und machte die Augen zu. Wie gut, dass er überall und immer schlafen konnte, wenn sich die Gelegenheit dazu bot; das war bei seinem stressigen Musikerleben natürlich von Vorteil, vor allem auf Tour, da war er immer schön ausgeschlafen und ausgeruht, auch wenn die Nacht oft schon nach ein paar Stunden Schlaf wieder endete. Es dauerte nicht lange, bis er tatsächlich einschlief. Als er die Augen wieder aufschlug, saß ein nackter verschwitzter Ryo auf ihm und grinste ihn an. Er sah sehr befriedigt aus. Satoshi riss die Augen auf und ihm klappte der Mund auf. Was zur Hölle war hier los? Aber noch ehe er Panik schieben konnte, begann Ryo zu lachen und schnipste ihm gegen die Stirn, dann stand er auf und Satoshi bemerkte, dass er gar nicht nackt war, zumindest nicht ganz. Er hatte nur sein T-Shirt ausgezogen und so durchgeschwitzt war er wahrscheinlich, weil er sich stundenlang an den Drums verausgabt hatte. Ja, so war das bestimmt. Er boxte Ryo in die Seite, das heißt er wollte ihm in die Seite boxen, aber irgendwie kam er da nicht an und Ryo bewegte sich gerade ungünstig, sodass seine Hand auf seinem Hintern landete und dafür sorgte, dass beide kurz erstarrten. Ryo drehte den Kopf zu ihm und Satoshi senkte den seinen, boxte den Drummer dann aber tatsächlich in die Seite und versuchte sich nichts anmerken zu lassen. „Idiot!“ Er war nicht sicher, ob Ryo das gehört hatte, aber der Drummer drehte sich ganz um und grinste ihn an, also ging er einfach mal davon aus. „Du hättest dein Gesicht sehen sollen!“ Er lachte so sehr, dass er sich den Bauch halten musste. „Das war zu herrlich! Schade, dass die anderen alle schon weg sind.“ Satoshi runzelte die Stirn. „Wo sind die denn hin?“ „Die wollten bei Shuu noch einen trinken.“ „Und warum sind die ohne uns los?“ Ryo legte den Kopf schief. „Ohne uns?“ Satoshi schluckte hart. So hatte er das doch gar nicht gemeint! Das war auch Ryo klar, denn der grinste einfach nur und zuckte mit den Schultern. „Du kannst ja gerne noch dazu stoßen.“ Sein Grinsen wurde breiter; es schien ihm großen Spaß zu machen den Sänger zu ärgern. „Ich wollte vorher noch nach Hause und duschen. Und dann mal sehen ob ich noch Lust hab.“ „Geh doch bei Shuu duschen.“ Ryo musterte ihn einen Augenblick schweigend, dann schüttelte er den Kopf. „Ich hab keine Wechselklamotten dabei und ich will euch nicht zustinken.“ Er grinste wieder, wandte sich dann aber ab und suchte die paar Sachen, die er dabei hatte, zusammen. Satoshi raffte sich auch mal auf und streckte sich zu allererst herzhaft, wobei sein Shirt hochrutschte und ein Stück von seinem Bauch entblößte. Ryo bekam das natürlich mit und starrte ihn an. Als Satoshi zu ihm sah, leckte er sich über die Lippen und grinste. Satoshi wollte es locker nehmen und mit lachen, aber er schaffte es nicht; stattdessen verzog er das Gesicht und zog sich schleunigst den Stoff wieder über den Bauch, schnappte sich seine Jacke und verabschiedete sich dann flüchtig von Ryo. „Bis morgen dann.“ Und schon war er weg. Dass Ryo ihm hinterher sah und schon wieder grinste, bekam er zwar nicht mit, aber er konnte sich das gut denken. Er fand sein Verhalten ja selbst kindisch. Eigentlich hatte er keine Lust noch etwas zu trinken, aber nach Hause wollte er auch nicht. Allein sein mit seinen Gedanken war momentan etwas, das er gerne vermeiden würde, also ging er doch zu Shuu und gesellte sich zu den beiden ins Wohnzimmer, die vor der Spielekonsole saßen und irgendein Autospiel zockten. Auf sowas hatte Satoshi noch weniger Lust als aufs Trinken, aber da auf dem kleinen Couchtisch eine volle Flasche Sake stand, die ihn buchstäblich anlachte, setzte er sich auf das Sofa, nahm sich ein Glas und begann lustlos den Sake zu schlürfen. Dafür, dass er das eigentlich nicht vorhatte, trank er ziemlich viel ohne es wirklich zu merken. Der Alkohol floss wie von selbst in ihn hinein, während er mehr oder minder interessiert zusah, wie die beiden langhaarigen Idioten ein ums andere Mal ihre Karossen karambolierten und sich dann einen ablachten. Hatten die auch schon so viel getrunken? Wo kamen überhaupt die ganzen Bierflaschen her? Er merkte selbst, dass er schon ziemlich betrunken war, deshalb dachte er auch erst er fantasierte als Ryo plötzlich im Zimmer stand. Aber spätestens als der sich neben ihn auf die Couch schmiss und sich auch ein Glas Sake einschenkte, wurde ihm bewusst, dass der kleine Drummer wirklich da war. Er musste gucken wie ein Auto, denn Ryo grinste sich wieder nur einen. Hatten sie ihm die Mundwinkel an den Wangen festgetackert? „Hätt nich‘ ‘mit gerechnet, dass du noch kommst…“, sagte er und nippte erneut an seinem Glas. „Nicht? … Na ich musste doch kommen, so viel Spaß wie ich heute mit dir hab!“ Er lachte. Eigentlich brauchte er keinen Alkohol, er war auch so schon gut genug drauf, aber man trank ja nicht nur um gute Laune zu bekommen. Wenn es danach ging, brauchte Ryo nie etwas trinken. „Du bist schon voll.“, stellte er fest und musterte Satoshi eindringlich, der daraufhin nur dümmlich grinste. „Wie kommsu denn darauf?“ Ryos Blick wanderte zu der noch halb vollen Flasche Sake und seine Mundwinkel bogen sich wieder nach oben. „Von dem bisschen bist du schon so drauf? Man, mit dir will ich mal tauschen. Dann bräuchte ich nicht immer so viel Geld auszugeben um mich zu betrinken.“ Satoshi streckte ihm die Zunge raus und trank demonstrativ sein Glas aus, dann sah er zu Shuu und Nii, oder zumindest dahin, wo die beiden eigentlich sein sollten, doch vor der Konsole saßen sie nicht mehr. Sein Blick wanderte durch das Zimmer und er sah Shuu gerade durch die Wohnzimmertür verschwinden. „EY! Wo geht ihr hin?!“ Der Bassist kam noch mal zurück und sah ihn an; er schwankte leicht. Auch schon voll. „Schlaf’n. Müde.“ Mehr sagte er nicht, ehe er sich wieder umdrehte und in sein Schlafzimmer verschwand. Satoshi sah ihm einige Zeit hinterher, dann wanderte sein Blick auf sein Glas und er seufzte. „Dann muss ich jetz‘ los.“ „Warum? Ich bin doch gerade erst gekommen.“ Ryo schob die Unterlippe vor. Erneut seufzte der Sänger. „Wenn ich jetzt nich‘ geh, muss ich hier schlaf’n. Ich renn nachher bestimmt nich‘ mehr los.“ Ryo zuckte mit den Schultern. „Und? Wo ist das Problem? Hier steht doch ‘n superbequemes ausziehbares Sofa!“ Da hatte er Recht. Und heute Nacht hier zu bleiben war wohl die einfachste Lösung. Aber wenn sie jetzt noch weiter tranken, würde Ryo bestimmt auch hier bleiben und das hieß, dass sie beide auf dem Sofa schlafen mussten, und das wiederum bedeutete, dass sie betrunken und halbnackt nebeneinander liegen würden. Nicht, dass Ryo auf dumme Gedanken kam. Gerade wollte er etwas sagen, da hielt der Drummer ihm ein volles Glas vor die Nase. „Los, hab dich nicht so!“, sagte er und drückte ihm das Glas in die Hand, schenkte sich selbst auch nach und stieß mit seinem Glas gegen das von Satoshi, dann kippte er den Inhalt in einem Zug runter. Satoshi sah ihn an, machte es ihm nach und verschluckte sich prompt. Er begann zu husten und Ryo konnte sich ein schallerndes Lachen nicht verkneifen, von dem die Nachbarn, sofern sie denn nachts um eins schon schliefen, bestimmt aus ihren Betten fielen. Und Nii und Shuu schliefen nebenan wie zwei Steine, die wahrscheinlich nicht einmal zum Leben erwacht wären, hätte man sie im Teich ersoffen. Als Satoshi sich wieder einigermaßen gefangen hatte, knuffte er Ryo gegen die Schulter und rieb sich dann den Hals, der immer noch ziemlich kratzte, aber er räusperte sich nur und riss sich dann zusammen. Ryo schenkte ihnen beiden nach und betrachtete dann Satoshi, der das zwar mitbekam, aber bewusst nicht zu ihm sah. Irgendwie herrschte eine komische Stimmung zwischen ihnen. Der Sänger konnte nur raten, was Ryo gerade dachte; vielleicht überlegte er sich was er tun sollte, damit er sich nicht mehr so anstellte, vielleicht dachte er darüber nach, wie er ihn weiter ärgern konnte, ja vielleicht wog er sogar ab, ob Satoshi schon voll genug war, dass er irgendetwas probieren konnte. Wer wusste das schon? Satoshi jedenfalls nicht, und wenn er ehrlich war, war es wohl auch besser, dass er es nicht wusste. Allein bei dem Gedanken daran, was gerade alles in Ryos Kopf vorgehen konnte, wurde ihm schon komisch. Kurz riskierte er doch einen Seitenblick auf den Kleineren, der dasaß und ihn immer noch ansah. Satoshi überlegte. Jetzt waren sie allein, und er war ziemlich angetrunken. Das war doch eigentlich eine gute Gelegenheit, ein bisschen mehr von Ryo zu erfahren, oder? Sollte er später nach dem Grund dafür fragen, konnte er es immer noch auf den Alkohol schieben. Wahrscheinlich würde er das sogar machen. Das war doch mal ein guter Plan. „Ich will dich was fragen.“, sagte er ruhig und der Drummer sah ihn gespannt an. Satoshi zögerte; vielleicht war das doch nicht so eine gute Idee gewesen. Aber nun hatte er angefangen, jetzt konnte er ja wohl kaum noch einen Rückzieher machen. „… Wie hat das alles angefangen?“ Ryo schwieg. Er schwieg lange. Dachte er nach? Satoshi traute sich nicht ihn anzusehen. Und dann endlich tat Ryo etwas. Er seufzte. „Willst du das wirklich wissen?“ Wollte er das? Ja. Er nickte. „Sonst hätt‘ ich nich‘ gefragt.“ Wieder ließ Ryo sich Zeit mit seiner Antwort. „Und warum willst du das wissen? Kam mir bisher nicht so vor als würdest du dich sonderlich dafür begeistern, dass ich…“ Seine Worte verloren sich. Jetzt sah Satoshi ihn doch an. „Erzähl’s halt nich‘, wenn du nich‘ willst.“ Er griff nach seinem Glas und stellte fest, dass es leer war. Wann hatte er das denn schon wieder ausgetrunken? „Das ist es nicht.“, sagte Ryo leise und rutschte unruhig auf seinem Platz herum. Zumindest kam es Satoshi so vor. „Du bist nur der erste, den danach fragt. Da hat sich noch nie jemand ernsthaft für interessiert.“ „Kein Wunder.“ Ryo sah ihn fragend an. „Na wenn du’s niemandem sagst.“ Satoshi zuckte leicht mit den Schultern und sorgte dafür, dass sein Glas wieder voll wurde. Ryo sah ihn an. War er wirklich so überrascht, dass Satoshi von sich aus mit ihm über dieses Thema sprach? Schon möglich, so wie er sich seither anstellte, aber er konnte eben auch nicht aus seiner Haut. „Das hat auch ‘nen guten Grund.“, sagte er bestimmt. „Der wäre?“ Er seufzte. „Ich hab’s früher mal meiner besten Freundin erzählt. Die war davon alles andere als begeistert, hat’s rumerzählt, und schon stand ich allein da. Ich wollte sowas nicht noch mal.“ „Tolle Freunde. Und du glaubst, so sind wir auch?“ Ryo fuhr sich durch die Haare. Irgendwie wurde er gerade wirklich hibbelig. Er wirkte beinahe nervös und unruhig, ganz anders als Satoshi, der selbst erstaunlicherweise ruhig dasaß und auch ohne großartige Umschweife sagen konnte, was er wollte. Im Stillen dankte er dem Alkohol dafür, dass er seine Zunge so sehr lockerte. „Du solltest uns besser kennen.“, sagte Satoshi, der immer mal wieder ein paar Schlucken trank. „Ich weiß…“, kam es reumütig von Ryo und er leckte sich über die trockenen Lippen. „Aber deine Reaktion war ja auch nicht von schlechten Eltern. Das hat mich verunsichert…“ Ein trockenes Lachen kam über Satoshis Lippen. „Hätt ich nich‘ mit ansehen müssen, was du da getan hast, sondern es von dir gesagt bekomm‘, wär das bestimmt anders gewesen.“ „Jetzt fang doch nicht damit an! Glaubst du ich wollte, dass du’s so erfährst? Ich kann mir echt Besseres vorstellen als von dir auf ‘nem anderen Kerl erwischt zu werden!“ Satoshi schluckte. Hatte er sich gerade verhört? „Was?“ „Was, was?“ Ryo sah ihn verständnislos an. Hatte er gar nicht mitbekommen, was er da gesagt hatte? Oder hatte Satoshi sich das einfach nur eingebildet? Ein genervtes Geräusch entkam dem Drummer. Er atmete tief durch und sah Satoshi dann ernst an. „Lass uns darüber bitte nicht mehr reden.“ „Okay.“ Damit war er mehr als einverstanden. Obwohl… irgendwie doch nicht. „Jetzt weiß ich’s ja eh. Also erzähl weiter.“ Ryo sah ihn unsicher an. Dass man den Drummer mal so zu Gesicht bekam, war schon eine Seltenheit. Doch so richtig schien er nicht zu wollen. Wunderte ihn aber auch nicht wirklich, wenn er das wirklich schon lange niemandem, der ihm wichtig war, mehr erzählt hatte. Wann war das wohl gewesen, als dieses Mädchen ihn vor allen bloßgestellt hatte? „Was soll ich denn da erzählen? Da gibt’s nicht viel…“ „Doch, gibt’s bestimmt… Wie alt warst du?“ Satoshi wunderte sich selbst darüber, wie locker er das gerade alles nehmen konnte. Und wieder einmal dankte er seinem Freund, dem Alkohol, für seine wunderbaren Taten. „Als ich gemerkt hab, dass ich anders bin?“ „Ja.“ Automatisch nickte Satoshi. Doch Moment! Gerade wollte er noch ein Nein hinterher schicken, da fing Ryo schon zu erzählen an. Er erzählte nicht einfach nur, er redete wie ein Wasserfall, die Worte sprudelten nur so aus ihm raus. Da hatte wohl einer wirklich Redebedarf. „Dass ich anders bin, hab ich schon früh gemerkt. Ich hab mich nie sonderlich für Mädchen interessiert, aber hatte trotzdem ein paar Freundinnen, weil es eben dazu gehörte. Alle hatten eine Freundin, und weil ich bei den Mädchen beliebt war, hatte ich auch immer eine. Und die waren immer total glücklich, auch wenn sie mich eher genervt haben. Ich hatte selbst noch ‘ne Freundin, als ich mich in den Mädchenschwarm der Schule verknallt hab, weil ich Angst hatte, dass es sonst auffällt. Du glaubst gar nicht, wie glücklich ich war, dass ich mich mit ihm so gut verstanden habe. Und einen Abend waren wir bei mir, haben heimlich Bier getrunken und uns einen Film angeschaut, den er mitgebracht hatte…“ Hier zögerte Ryo. Er sah auf seine Hände, mit denen er unruhig an seinem Glas herum hantierte. „Es war ein Porno.“, sagte er dann leise, starrte aber immer noch angestrengt auf seine Hände. „Und ich fand das nicht unbedingt toll, hab aber natürlich nichts gesagt. Dann hat er plötzlich seine Hose aufgemacht und mir total stolz seine Latte gezeigt. Er wollte, dass ich ihm meine auch zeig, aber ich wollte nicht, weil ich keine hatte. Gott, war mir das peinlich.“ Das könnte Satoshi sich vorstellen. Er selbst hatte so etwas nie erlebt und war darüber auch ganz froh. Plötzlich musste er sich vorstellen, dass Ryo hier und jetzt seine Hose aufmachte und sich vor ihm einen runter holte und bei dem Gedanken war ihm alles andere als wohl, aber er wusste, dass der Drummer das nie im Leben machen würde, also drängte er diesen Gedanken lieber ganz schnell in die dunkelste Ecke seiner Hirnwindungen, wo sie sich hoffentlich für lange lange Zeit verstecken würde. „Noch peinlicher war mir aber, dass ich nicht aufhören konnte, ihm zuzusehen, als er angefangen hat sich es sich zu machen, und dabei selbst scharf geworden bin. Er hat es gemerkt und mir die Hose ausgezogen, als ich nicht wollte. Naja, er wollte, ich aber nicht. Also haben wir gerangelt und sind schließlich neben dem Bett gelandet, aufeinander. Und ich hab seinen Schwanz gespürt und er meinen… Das war ganz komisch… Plötzlich lagen wir da und haben es uns gegenseitig gemacht. Er ist zum Glück gleich eingeschlafen. Und ich bin auf Klo gegangen und hab’s mir dirket nochmal gemacht.“ Er war wieder still. Und Satoshi, der bis vor ein paar Minuten dank Alkohol noch mehr als locker drauf gewesen war, saß nun total verkrampft da und er spürte, dass er puterrot angelaufen sein musste. So genau hatte er das nun wirklich nicht wissen wollen! Kurz schielte er zu Ryo, der es sich mittlerweile bequemer gemacht hatte und sich entspannt in das Sofa zurücklehnte. Er schien in Gedanken zu sein, so wie er mit seiner Haarsträhne spielte, sie immer und immer wieder um seinen Zeigefinger wickelte, nur um sie dann wieder glatt zu ziehen. Ein wehmütiges Seufzen kam von seinen Lippen. „ Da war alles noch in Ordnung gewesen. Am nächsten Morgen hatte er getan als wär‘ nichts gewesen, aber ich wusste, dass er es nicht vergessen hatte und dass es keinesfalls normal für ihn gewesen war so etwas zu tun. Für welchen 14-Jährigen ist sowas schon normal?“ Er sah Satoshi fragend an, wartete aber gar nicht auf eine Antwort, sondern fuhr in seinem Monolog fort. Und der Sänger wurde immer verkrampfter, versuchte aber sich nichts anmerken zu lassen – als hätte er irgendwie verbergen können, dass seine Knöchel schon weiß hervortraten, weil er seine Hände so angestrengt in das Sofa krallte. „Ich wollte das nochmal machen, hab mich aber nicht getraut ihn darauf anzusprechen, weil er mich seitdem immer so komisch angesehen hat. Irgendwann kam er mich dann zu Hause besuchen und da wusste ich dann auch warum. Es ging ihm genauso wie mir, hat er gesagt. Ich hab ihm geglaubt, und das noch ein paar Mal mit ihm gemacht. Es war schön, ich war glücklich, also hab ich ihm einen geblasen, als er danach gefragt hat. Und ich hab auch mit ihm geschlafen, als er es wollte. Und glaub mir, es war alles andere als schön. Wir hatten beide absolut keine Ahnung, wie das funktioniert. Er hat ihn einfach so reingesteckt und losgelegt, weil’s bei Mädchen ja auch so ging. Und als ich danach geheult hab vor Schmerz, hat er gesagt, dass es mit Mädchen mehr Spaß machte, weil die ja wenigstens stöhnten und sich nicht so egoistisch benahmen wie ich. Danach haben wir nie wieder ein Wort gewechselt.“ Satoshi holte tief Luft. Er konnte nicht glauben, dass Ryo ihm das gerade wirklich alles erzählte. Er wollte es nicht glauben. Noch weniger wollte er allerdings glauben, was er währenddessen tat. Er saß nämlich nicht nur da und hörte zu, er stellte sich das alles bildlich vor, er konnte einfach nicht anders! Hätte er den Alkohol vor Kurzem noch auf ewig Dankbarkeit schwören gewollt, hätte man ihn nur danach gefragt, so verfluchte er dieses Gesöff gerade zutiefst. Er wollte nicht an so etwas denken, keinesfalls! Und trotzdem konnte er nicht anders. Er schwor sich, nie wieder einen Tropfen Alkohol anzurühren, wenn er mit Ryo allein war. Das gerade reicht ihm auf Lebenszeit. Mehr brauchte er davon nicht. Ryo schien da aber anderer Meinung zu sein. „Danach hab ich mehrere Jahre niemanden an mich rangelassen, weder Mädchen noch Jungs. Schon gar nicht Jungs. Erst als ich 17 war, hab ich jemanden getroffen, dem ich vertrauen konnte. Das war dann meine erste richtige Beziehung. Die ging aber nicht solange, weil Yuri dann alles ausgeplaudert hat und das wurde ihm zu viel, also hat er Schluss gemacht.“ Ryo bekam einen traurigen Zug um die Mundwinkel herum. „Dachte er etwa, das wäre nur für ihn schlimm gewesen?“ Er seufzte und stellte sein Glas auf den Tisch, dann sah er Satoshi an. „Jetzt hab ich dich geschockt, was? Tut mir leid…“ Langsam drehte er seinen Kopf zu Ryo und schluckte alles, was ihm gerade auf der Zunge lag, herunter. Er hielt die Klappe, denn immerhin war er es gewesen, der gewollt hatte, dass Ryo darüber spricht. Er war also gewissermaßen selbst schuld daran, dass er nun noch mehr dieser… unschönen Dinge durch seinen Kopf spuken hatte. Aber woher hätte er auch ahnen sollen, dass Ryo ihm gleich so viel erzählte? Nach einigen Augenblicken hatte er sich soweit gefangen, dass er wenigstens den Kopf schütteln und ein „schon okay“ murmeln konnte, mehr brachte er aber echt nicht heraus. Das schien auch Ryo zu bemerken, warum sonst sah er ihn jetzt so komisch an? Der Kleinere lächelte leicht und stand dann auf, zog Shuus Couch aus und breitete die beiden Decken aus. Er wollte schlafen. Satoshi eher nicht. Er würde sicher wieder kein Auge zumachen können, aber auch das sagte er nicht. Stattdessen zog er sich wortlos seine Hose aus und schlüpfte dann unter eine der beiden Decken, die er sich bis zum Kinn hochzog. Er schloss die Augen, öffnete sie aber gleich wieder. Keine gute Idee. Als er hörte, wie etwas raschelte, sah er neben sich. Ryo zog sich auch gerade aus. Er musste schlucken. Es würde schon nichts passieren – hoffentlich. Als Ryo nur noch seine Shorts am Leib trug – mal wieder eine seiner heißgeliebten Mickey Mouse-Teile, von denen Satoshi sich schon immer gefragt hatte, wo er die überhaupt in seiner Größe herbekam, schließlich zogen so was doch nur Kinder an – krabbelte er auf die Couch, machte aber keine Anstalten sich hinzulegen. Er kam ganz dicht an Satoshi heran und hielt erst inne, als er mit dem Oberkörper leicht über den Sänger gebeugt war. Er sah ihn ernst an, dann lächelte er und beugte sich runter, um ihm einen Kuss zu geben. So plötzlich, wie das gekommen war, war es auch schon wieder vorbei. „Gute Nacht.“, sagte Ryo noch und hopste dann vom Bett, um eilig Badezimmer zu verschwinden. Satoshi starrte ihm nach. Was war da eben passiert? Hatte er sich das auch wieder nur eingebildet oder hatten sie sich eben geküsst? Nein, so war das falsch. Ryo hatte ihn geküsst. So und nicht anders. Und warum? Warum zum Teufel machte er sowas? Wollte er ihn wieder nur ärgern? Wenn ja, dann war ihm das durchaus gelungen. Satoshi glaubte nun die ganze Nacht lang wach neben Ryo liegen zu müssen, zuhören zu müssen, wie er schläft, sich vorstellen zu müssen, wie der kleine Drummer entjungfert wurde. Er hatte diesen Gedanken noch nicht einmal zu Ende geführt, da fielen ihm schon die Augen zu und er schlief selig ein. _ Das nächste Kapitel wird wohl nicht so schnell fertig sein, da ich demnächst umziehe und erstmal ziemlichen Stress habe. Wenn das geschafft ist, schreib ich aber bestimmt bald weiter =3 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)