Jumays Kinder von -Izumi- (Part 1: Kinder der Erde - Land des Anfangs) ================================================================================ Kapitel 43: Leben und Überleben ------------------------------- „Für dich gibt es keinen Grund, nervös zu sein.“ Moconi zuckte kurz unter den ernst gemeinten Worten Keweras, während der ihn mit äußerst gekonnten Handbewegungen bemalte. Natürlich, in seinem Stamm übte sich das, dennoch half er dem Jüngeren in diesem Fall bei einer etwas überarbeiteten Version der traditionellen Muster seines eigenen Stammes – dass Schlangen- und Kojotenstamm getrennt lebten, wollte einen Grund haben. Sie waren allein in der Hütte des Jüngeren. Kewera hatte seit er hier war immerzu das Gefühl, sich etwas um Moconi kümmern zu müssen, er war noch so jung und unerfahren – und hatte seinen Stamm dennoch bereits eine ganze Weile gut geführt, er bemühte sich, sich dies vor Augen zu halten, um ihn nicht unnötig zu entehren. Er war zu unsicher, dabei hatte er das nicht nötig... vielleicht war es gut, wenn er ein Auge auf ihn hatte, so lange es ihm denn möglich war. Saltec hatte sicherlich gewusst, was er tat, als er seinen Sohn zu seinem Nachfolger erwählt hatte – er würde mit Kurapi definitiv eines Tages dasselbe tun, egal, wie alt er dann war, denn er vertraute seinem Sohn, der jedoch ein ähnliches Problem wie das Oberhaupt des Schlangenstammes zu haben schien. Unsicherheit... dabei erhielten beide doch mehr Respekt, als ihnen gut tun konnte. Sich darüber Gedanken zu machen war nun nicht angebracht. Er half Moconi dabei, sich zurecht zu machen, denn heute würde ein wichtiger Tag sein. Er selbst war schon fertig – seine Erscheinung fiel etwas weniger imposant aus, als sie hätte sein können, aber wie konnte er den Jungen denn stärken, wenn er sich nun als Häuptling der vereinigten Stämme präsentierte? Nein, das wollte er nicht sein, zumindest nicht in erster Linie. Moconi seinerseits ließ sich nicht ernsthaft von seinen Sorgen ablenken. Er sah betreten aus, während der Ältere ihm sorgfältig sein Gesicht bemalte... er musste viel Farbe auftragen, seine Haut war wirklich ziemlich dunkel, dabei hatte er Kurapi bereits für ziemlich braun gehalten. So lernte man dazu... „Wie soll ich nicht nervös sein, mein Bruder? Shirans Worte klangen nicht unbedingt positiv, nicht? Und dass deine Himmelsblüter ihn soweit es ihnen möglich war bestätigt haben, macht es nicht besser. Auch wenn ich nichts verstehe... von Flüchen und Umstürzen. Was meint er mit Umsturz? Wie kann es sein, dass irgendjemand aus dem Stamm plötzlich, einfach so, an Macht gelangt und alles noch viel schlimmer macht? Langsam... wird es mir zu viel.“ Er seufzte. Kewera hielt in seiner Arbeit inne uns schenkte ihm einen sehr ernsten Blick. „Es darf dir nicht zu viel werden, Moconi, niemals, alle zählen auf dich.“, belehrte er ihn, „Wie das sein kann, erfahren wir dann vielleicht demnächst, wenn es denn von Belang ist für uns – sonst hätte der Seher es wohl erklärt, er wird es ja wissen. Du verlangst viel zu viel Kontrolle, Junge, du bist kein Gott. Lass es auf dich zukommen, dann denke nach und handle. Nicht zuerst denken, dann handeln, und dann bemerken, dass die Tat nicht zu dem, was geschieht, passt...“ Vermutlich errötete er... der Raum war nur von einer Talglampe beleuchtet und gegen Moconis Hautfarbe hatte die Röte an sich kaum eine Chance. „Aber es macht mich krank, wenn ich nicht im Voraus weiß, wie ich reagieren soll. Bei Mahrran damals war das etwas anderes, es war eine Schlacht, ich musste gegen ihn kämpfen. Aber was soll ich mit dieser Nade... Nadeshda? So hieß sie. Was soll ich bitte mit der anfangen? Sie hat uns mondelang gequält und jetzt verlangt sie von uns Schutz, sagt Shiran, das ist doch paradox.“ Kewera grinste, als er seine Finger abermals in die Farbe tauchte, um sein Werk zu perfektionieren. „Sehen, denken, handeln, Moconi. Sieh sie dir an und warte ab, was sie sagt.“ Er stöhnte gequält. „Ja, aber die können alle gut sprechen, die Kalenao! Sie wird mich sicher umgarnen, wenn sie nicht unglaublich hässlich ist, sollte ihr das bei mir leicht gelingen. Und dann? Frauen können einem ganz schön die Gedanken vernebeln...“ „Kurapi auch.“, Kewera hob kurz wichtigtuerisch die Brauen und sein Gegenüber blickte ertappt neben sich, „Geh etwas in dich, ihre Worte mögen zwar eine Erklärung sein, aber entscheiden muss dein Gefühl ganz allein. Und jetzt entspanne dich endlich, so wird das nichts. Die Welt geht nicht unter.“ „Aber bald mit Sicherheit...“ Shirans Augen lagen missbilligend auf dem regen Treiben im Lager. „Es wäre nicht nötig.“, brummte der Mann und Sanan, der neben ihm stand und gerade seine Speere zusammenband, um sie ordentlich verstauen zu können, hob fragend seine Brauen. Aus irgendwelchen Gründen war sein Bruder seit über einem Tag außergewöhnlich schlecht gelaunt... er wagte nicht, sich danach zu erkundigen, weshalb, allem Anschein nach lag es wohl an der Ankunft dieser seltsamen Kalenao, die er angekündigt hatte. Ihn verängstigte das mehr... nebenbei fiel ihm auf, dass er noch nie einen weiblichen Magier gesehen hatte – er war gespannt. „Was wäre nicht nötig?“, wollte er dann doch kleinlaut wissen und der Seher schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust. „Diese Mühe. Egal, wie sehr alle aufräumen und sich bemühen, dass alles hier gut aussieht, sie werden es trotzdem schrecklich finden...“ Als er zu dem Jüngeren sah, fing er sich einen zerknirschten Blick. Man wollte sich keine Blöße vor den eher unerwünschten Gästen geben, also hatten beide Häuptlinge die Menschen dazu aufgefordert, dafür zu sorgen, dass sich ihr Lager im allerbesten Licht präsentieren konnte. Sanan mochte es nicht, wenn man auf die angebliche Primitivität dieser Leute anspielte. „Noch etwas anderes.“, riss ihn Shiran aus den Gedanken, „Zieh dir ein Stirnband an. Sie müssen dein Todesmal nicht unbedingt sehen.“ Er nickte stumm. Was sie wohl mit ihm tun würden, wenn sie es erkannten? Nachträglich versuchen, ihn umzubringen? Aber das würde der Stamm nicht zulassen... das war es, es würde ihn an den Stamm verraten. Moconi wusste es definitiv. Kurapi, der die seltsame Fähigkeit besaß zu spüren, mit wem er es gerade zu tun hatte, hatte es nicht böse gemeint, als er ihn an seinen Häuptling verraten gehabt hatte, da war er sich mittlerweile sicher... und ebenso sicher war er sich, dass Moconi ihm geglaubt hatte. Aber es war ihm scheinbar egal, er ließ es auf sich beruhen... er dankte ihm von ganzem Herzen dafür; dafür, dass er ein einziges Mal über alle möglichen irrsinnigen Traditionen hinweg gesehen hatte. Aber ob das auch für alle anderen so gelten würde? „Irrsinnige Traditionen sind letztendlich der Grund, warum du mir entrissen wurdest.“, brummte Shiran da und beobachtete wieder die eifrig aufräumenden anderen. Sanan senkte den Blick. „Ich hasse sie. Ich... bin glücklich, dass ich dich kennen lernen durfte.“ Darauf zuckte einer der Mundwinkel des Älteren kurz und er zeigte den Hauch eines Lächelns. Semliya strauchelte. Novaya befürchtete, er würde umkippen, und so legte er einen Arm um ihn und hielt ihn fest. Er übertrieb es... seine äußere Wunde war zwar gut am heilen, aber er hätte es trotzdem noch etwas langsamer angehen müssen. Aber das hatte er nicht zu entscheiden. Sie waren allein, etwas außerhalb des Lagers, weil sie keine Lust gehabt hatten, bei der ganzen Aufräumaktion zu helfen, außerdem hatten sie Roya und Zima eine Weile entgehen wollen. Zwar waren die beiden auf ihre Weise allerliebst, aber irgendetwas stimmte auch nicht ganz mit ihnen; so wild war doch kein normales Kind. Semliya rührte sich nicht und Novaya erschauderte. „Wer... erlaubt dir, mich zu berühren?“, fragte der Ältere da dumpf und sein Bruder wich von ihm, ihn gequält ansehend. „Verzeih mir.“ „Niemals, Verräter.“ Und er ging weiter, ohne ihm zuvor verraten zu haben, was er vorhatte – ob er überhaupt etwas vorhatte. Novaya folgte ihm mit gesenktem Haupt. Verräter. Er nannte ihn Verräter... sein eigener Zwillingsbruder nannte ihn Verräter. „Du hast mich im Stich gelassen, du bist einfach gerannt... du solltest dich geehrt fühlen, dass ich dich überhaupt noch ansehe. Und wenn du in nächster Zeit etwas tust, was mir nicht gefällt, dann werde ich dich auch nicht mehr ansehen...“ Das hatte er gesagt. Der junge Mann erschauderte unglücklich. Ihn nicht mehr ansehen? Wie sollte er das denn bitte aushalten?! Semliya war nicht mehr in Ordnung. Niemand bemerkte es, nicht einmal er selbst, nur sein Zwilling konnte es spüren. Und Sanan irgendwie... aber er konnte nicht darüber mit ihm sprechen. Dann wäre er ja schon wieder zum Verräter geworden... Die Frage war nicht, ob er wirklich ein Verräter war. Eigentlich wäre es belanglos gewesen, er hatte bereits ein zu genüge schlechtes Gewissen wegen dieser ganzen dummen Sache, aber Semliya, so, wie er früher gewesen war, hätte es ihm niemals vorgehalten. Es ist geschehen. Es war meine Schuld. Sorge dich doch nicht. Die Worte hallten so deutlich in seinen Ohren, dass er hätte schwören können, sein Bruder hätte sie wirklich gesprochen. Doch er schwieg, ihm den Rücken kehrend vor ihm her stapfend. Wenn er schon nicht mehr den alten Semmi wieder haben konnte, dann wenigstens den, der etwas dumm gewesen war. Das war zwar anstrengend gewesen, aber wenn er in seine Augen geblickt hatte, hatte er dort seine Seele gesehen... die war nun verschwunden. Semliya gab es nicht mehr. Der Junge, der dort vor ihm ging, liebte ihn nicht. Er kommandierte ihn herum, wenn es niemand bemerkte, und benutzte ihn für alle unschönen Aufgaben, die so anfielen, mehr auch nicht. Und trotzdem konnte er sich nicht von ihm lösen... es tat weh. Sie waren doch ihr ganzes Leben lang zusammen gewesen, unzertrennlich. Unzertrennlich sind wir schon lange nicht mehr., dachte er schließlich bitter bei sich, Wir wurden voneinander getrennt an dem Tag, an dem er den Stein abbekam... vermutlich für immer. Er wollte sich befreien. Es wurde Abend und es wurde Nacht. „Du Irrsinniger hältst uns hier alle für nichts und wieder nichts auf!“, schimpfte Tejet, als sich alle am großen Feuer versammelt hatten, während Moconi sich von Kurapi bestätigen ließ, dass seine Bemalung noch optimal aussah, ebenso wie die aller anderen. „Sie werden bald kommen.“, entgegnete Shiran dem Himmelsblüter düster und als der verächtlich schnaubte, fletschte der Seher kurz seine abstrusen Zahnreihen. Sanan rückte unterdessen sein Stirnband richtig; er trug selten welche, seiner seltsamen Tätowierung zum Trotz. „Wir sollten sie am Rand des Lagers abholen, wir können wohl kaum erwarten, dass sie sich ohne ausdrücklich Erlaubnis einfach so zu uns ans Feuer gesellen.“, gab ein Mann aus dem Kojotenstamm zu bedenken und Kewera rollte mit den Augen. „Wir haben doch Männer aufgestellt. Lausche, wenn wir etwas mitzuteilen haben, du Narr!“ Der Mann sank in sich zusammen und alle murmelten. Es herrschte eine angespannte Stimmung im Lager, die Erwartung von Unheil lag in der Luft und die Last davon lag auf Shirans Schultern, auch wenn Moconi sie ebenfalls zu spüren glaubte. Der Seher saß ruhig da, aber Sanan bemerkte seine Anspannung. Er erkannte ihn inzwischen. Er beobachtete seinen Bruder einen scheinbar endlosen Augenblick und zuckte dann zusammen, als er plötzlich laut zu sprechen begann, ohne auf ihn einzugehen. „Sie kommen. Sie sind da. Entscheide weise, Moconi... wir werden das Ziel ohnehin erreichen, es liegt an deiner Großherzigkeit.“ Der Häuptling nickte. Die Menschen murmelten wieder leise unter sich und es machte den jungen Mann nervös. Verdiente Nadeshda Großherzigkeit? Sie hatte sie so lange gequält, dieses verdammte Biest. Vielleicht hatte sie ein interessantes Angebot, überlegte er sich – er hoffte es, denn wenn es das gab, dann konnte er sie und ihre Meute einfach ohne weiteres aufnehmen. Wenn nicht... ach Himmel. Der Rat hatte die Entscheidung auf ihn abgeschoben... diese elenden. Vielleicht sollte er es sich einfach machen. Er erhob sich und verkündete seine Gedanken. „Dich kennen wir noch.“ Dherac hob seine sichtbare Braue – die andere war unter dem Band, das sein nicht mehr vorhandenes Auge verdeckte – skeptisch und Zerit nickte. Diese Gruppe war irgendwie anders, als er sie sich vorgestellt hatte... das fand Porit auch, wie er an seinem Blick, den er kurz auf ihn schweifen ließ, bemerkte. Der Magier nickte. „Sehr wohl. Ich nehme an, wir waren angekündigt.“ Dherac nickte, irritiert zu der Gruppe an Mädchen, die ihm folgte, schielend. Wer von denen war denn nun jene Herrin? Am ehesten noch die Schwangere mit der seltsamen Kopfbedeckung... oder? Die schaute so ängstlich. Vielleicht ja die Pummlige? Immerhin schien die keine Scheu zu besitzen und lächelte einfach, als sie sich beobachtet fühlte. „Wohl wahr. Folgt mir – das Urteil fällt der Häuptling.“ „Moconi?“, fragte eines der kleinen Mädchen ihn lauernd und drückte einen Säugling – zu wem auch immer der gehören mochte – an sich. Scheinbar hatte man ihr noch keinen Respekt vor Männern beigebracht; oder bei den Kalenao hatte man das einfach nicht. Der Mann entschloss sich großherzig dazu, sie nicht zurecht zu weisen und nickte. „Genau der.“ Und sie folgten ihm. Mit erstaunlichem Selbstbewusstsein traten die Fremden – bis auf die Schwangere, die sich sichtlich unwohl zu fühlen schien – vor allen Menschen der vereinigten Stämme im hell erleuchteten Zentrum des großen Lagers vor den Häuptling. Moconi erhob sich mit den anderen wichtigsten Jägern und scheinbar herrschte auch unter den Magiern etwas Verwirrung, wer denn nun hier wirklich der war, auf dessen Urteil sie hoffen mussten, nachdem Nadeshda, wer auch immer das nun sein mochte, ihre Situation erklärt hatte. Einzig das Knacken des mächtigen Feuers war zu vernehmen, ansonsten herrschte Ruhe. Die Schwangere hob vorsichtig ihr Haupt und ließ ihre Augen, die die Farbe von Spätsommerblumen hatten, durch die Reihen schweifen, als suche sie jemanden. Dann murmelte sie etwas leise und unverständlich. Moconi wollte nicht darauf eingehen – gerade, als er zum sprechen ansetzen wollte, riss ein unverständlicher Freudenschrei alle Aufmerksamkeit auf sich. Von irgendwo kam der vor Ewigkeiten entführte und nie wieder frei gelassene Magierjunge ohne die empörten Rufe der Menschen zu achten einfach zu den Neuankömmlingen und warf sich einem der kleinen Mädchen an den Hals, es dabei beinahe umwerfend; er war zwar weder groß, noch kräftig, aber besonders die beiden Mädchen mit dem hellblauen Haar, das irritierenderweise dem Mahrrans glich, schienen mehr lebendig gewordene Puppen zu sein als wirkliche Kinder. Er redete wild und in atemberaubender Geschwindigkeit auf sie ein, lachte und weinte dabei gleichzeitig, begann zu zittern und drückte sie immer fester und besitzergreifender an sich. Das Mädchen war zunächst wie erstarrt, dann schnappte es heftig nach Luft und begann ebenfalls zu weinen... es weinte einfach nur und klammerte sich an ihn. „Sie... sind verlobt. Und haben sich vermisst.“, erklärte Zerit schließlich unberührt der verwirrten Meute und durch die Reihen der Frauen gingen Geräusche der Rührung. Auch Zerits Gefährtinnen schenkten der Szene ein Lächeln, dann sprach das Mädchen mit dem Baby zu dem Paar, ebenfalls unverständlich, denn in ihrer Sprache. Kajira sah kurz zu ihr, schnaubte dann empört und schimpfte etwas und seine augenscheinliche Verlobte presste sich noch mehr an ihn, als dachte sie nicht daran, ihn je wieder los zu lassen. „Sie hat sich dafür entschuldigt, es nicht geschafft zu haben, ihn zu befreien.“, erklärte Shiran von seinem Platz aus mehr beiläufig. Sanan bemerkte, dass er zitterte. „Und er beschwert sich und sagt, eine ordentliche Entschuldigung sei mehr als nur angebracht... sie sieht das ein.“ Sie sprach abermals etwas und der Junge nickte... dann räusperte sich Moconi und gewann so endgültig die Aufmerksamkeit. Verdammt, diese ganze Verzögerung hatte ihn doch nur noch nervöser gemacht... Er musterte die Gruppe. Eine Schwangere, ein Baby und lauter kleine Mädchen, von Zerit abgesehen; er hatte von seinen Männern verlangt, sie einfach dann, wenn es sich anbot, abzustechen, aber das widersprach so ziemlich jeder ihm bekannten Regel. Man durfte weder Kinder noch Schwangere töten! Und wo bei allem, was heilig war, war Nadeshda, diese feige Bergziege? Schickte die tatsächlich einen so schwächlichen Haufen vor? Erbärmlich. „Euer Bekannter Shiran hat euch bereits angekündigt – ich weiß nicht genau, wer ihr seid, aber ihr gehört zu unseren Feinden, um das vorweg zu klären, achtet auf eure Worte.“ Er schielte zu jenen, die er dazu auserkoren hatte, die Ermordung durchzuführen und schüttelte den Kopf – sie schienen darauf erleichtert; ihnen waren jene Regeln auch bekannt. „Warum hast du ihm nicht gesagt, dass er sie nicht töten kann?“, erkundigte sich Sanan dumpf bei seinem Bruder, der wie versteinert auf die Gruppe Kalenao starrte. Er erwartete nicht ernsthaft eine Antwort, erhielt sie dann jedoch dennoch. „Überflüssig, er sieht es ja selbst.“ Die Magier lauschten aufmerksam, von einigen erhielt der Häuptling jedoch nur verwirrte Gesichter, das Mädchen mit dem Baby verengte die Augen und die andere schmiegte sich noch immer etwas abwesend an Kajira. „Die verloben sich aber ganz schön jung.“, bemerkte Kinashi nebenbei leise und Tanest nickte. „Da Zerit scheinbar eingeschlafen ist, übernehme ich es.“, sprach Shiran da plötzlich laut in der Sprache der Menschen, dann redete er an die Gruppe gewandt seine eigene Sprache und Sanan bemerkte, dass er Moconis Worte wiederholte. Zerit zuckte mit den Schultern, aber irgendwie merkte man ihm dennoch an, dass es ihm unangenehm war. Die Magierinnen tauschten daraufhin betroffene, verängstigte oder wütende Blicke aus, es war eine seltsame Sache. Bloß Kajiras Verlobte schien rundherum glücklich und störte sich überhaupt nicht mehr an dem, was um sie herum geschah. „Danke, Shiran.“, sprach daraufhin überraschend das Mädchen mit dem Baby, das daraufhin zu quengeln begann. Es wiegte es darauf in gewohnter Manier und das Kind beruhigte sich wieder. Dann sagte sie etwas in ihrer Sprache an den Seher gewandt und dieser antwortete grinsend; dann errötete sie und wandte den Blick wieder von ihm ab. „Seid ihr so weit?“, brummte Moconi und baute sich vor den eher unerwünschten Gästen auf, „Mein Name ist Moconi, Sohn Saltecs und ich bin der Häuptling des Schlangenstammes; zu meiner rechten haben wir Kewera, den Häuptling des Kojotenstammes.“ Der Mann rührte sich nicht, starrte bloß ernst geradeaus und der Jüngere dachte sich, dass er dabei wohl viel imposanter wirken musste als er selbst. Keine Zweifel, verdammt... „Dann... du bist das.“, entgegnete das Mädchen mit dem Baby und erst jetzt bemerkte man, das ihre Sprachkenntnis wohl auch eher lückenhaft war, denn ihr Akzent war von ihrem abenteuerlichen Satzbau einmal abgesehen noch viel stärker ausgeprägt als der von Shiran, „Bist... ein anders Mann als is... ich denkte. Sieht mehr... anders aus.“ Sie musterte ihn eingehend und Moconi hob missbilligend über ihre maßlose Art eine Braue. „Ich hätte sie doch zügeln sollen...“, brummte Dherac neben Porit missgelaunt, nicht ahnend, dass sein Häuptling momentan nicht im Entferntesten daran dachte, ihm einen Vorwurf deswegen zu machen. „Das mag sein. Ist das von Bedeutung? Wo ist deine Herrin?“ Sie schien einen Moment lang darüber nachzudenken und Zerit hob seine Brauen und wandte den Blick etwas verlegen ab. Sie verstand die Logik seiner Frage mit ihren schlechten Sprachkenntnissen nicht und irgendwie hatte er nicht das Bedürfnis, sie ihr zu erklären. Sie ignorierte zunächst seine Frage. „Is... äh, ich... Zerit soll sagen was ich sage... ich nicht gut mit deine Sprache, hörst du. Und müde von... äh... bekommen das.“ Sie deutete auf den Säugling in ihren Armen und ein Raunen ging durch die Reihen. Moconi hob die Brauen. Was war das bitte für ein absolut abstruses Volk?! Er hatte genug davon, er wollte das endlich hinter sich bringen... „Wo ist Nadeshda?“, fragte er dieses Mal deutlicher und Zerit war sich sicher, dass sie das nun verstanden hatte. Zunächst schaute sie ihn verblüfft an, dann verengte sie ihre Augen und zischte. „Ich... bin Nadeshda, Moconi.“ Abermals herrschte Schweigen und das im kompletten Lager. Irgendwie schien auch das Feuer einen Moment lang keinen Laut von sich zu geben. Der Häuptling war froh, sich nicht selbst zu sehen... er hüstelte, als sich das Gesicht seines winzigen Gegenübers zuerst hochrot und dann violett verfärbte. „Werat Tèv raschari, quiadt tanjet mece?!“ Sanan hüstelte... das war aber dumm gelaufen. Ja, er war irgendwie wirklich ein Hornochse, sie hatte schon recht... Zerit hielt es nicht für nötig, das zu übersetzen. Die Schwangere legte der kindlichen Herrin – die so kindlich gar nicht sein konnte, sie hatte bereits ein Baby, wie man sehen konnte – behutsam eine Hand auf die Schulter und Nadeshda schnappte nach Luft, um sich zu beruhigen. Moconi errötete beschämt. Sie war klein, wirklich klein und hatte nicht das Gesicht einer Frau. Als er sie nun eingehender musterte, bemerkte er, dass sie tatsächlich leicht ausgeprägte Rundungen besaß; sie konnte unmöglich so jung sein, wie sie schien. „Verzeihung.“, brachte er so schließlich hervor und die Magierin schluckte erschaudernd und ziemlich offensichtlich ihren Ärger herunter und sprach gekonnt ruhig in ihrer eigenen Sprache weiter. „Sie sagt, ihr wüsstet dank Shiran, dem absoluten... nun ja, also ihr wüsstet dank Shiran ja ohnehin Bescheid und worum es geht. Sie kann sich denken, dass ihr wohl einen ernsthaften Grund braucht, weshalb ihr uns hier aufnehmen solltet und den haben wir auch für euch.“ Sie machte eine Spannungspause und lächelte dann auf eine seltsam berechnende Weise. Ja, sie war definitiv älter, als ihre Körpergröße es vermuten ließ... „Ihr Bruder Mahrran hat deine Schwester, Moconi, zu seiner Frau genommen.“, übersetzte Zerit schließlich weiter, als sie ihre Rede fortsetzte, „Er hat ihr die Sterne vom Himmel geholt, sagt sie, er hat ihr neues Leben eingepflanzt, es wird bald geboren. Aber Mahrrans Gedanken sind nun nicht mehr frei und Kili wäre es ab nun schlecht bei ihm ergangen... also haben wir sie mitgebracht, sie wartet vor dem Lager... irgendwo.“ Sie konnten beide nicht weiter sprechen, denn von überall erklang wildes Gemurmel über diese wahrlich überraschende Nachricht. Moconi selbst hatte die Augen geweitet und schien seine Worte zunächst einmal verdauen zu müssen. Dann wandte er sich langsam an Shiran. „Spricht sie die Wahrheit?“ „Mit jedem Wort.“, bestätigte er nahezu starr und der Häuptling erschauderte entgegen seines Vorhabens, stark zu wirken. „Soll ich diese Tatsache als Anlass nehmen... ihnen den Aufenthalt zu gestatten?“ „Damit locken sie dich nur.“, fuhr ihm Kewera ins Wort, „Aber du kannst vielleicht mit ihnen verhandeln... wenn die Kleine ihr Volk wieder im Griff hat, soll sie euch Ruhe gönnen. Das klingt vernünftig.“ Shiran nickte bestätigend. Moconi wandte sich wieder an Nadeshda. „So sei es. Bring mir meine Schwester her, auf der Stelle. Und schwöre mir, dass ihr uns in Ruhe lasst, wenn du wieder die Herrin über dein wahnsinniges Volk geworden bist, Tirafasa.“ Zerit übersetzte seine Worte und die Magierin hob eine Braue; ob es nun wegen seiner Forderung oder des fremden Namens war, ließ sie nicht erkennen. Vor seinem Volk hatte Moconi damit ein Zeichen gesetzt, er hatte ihr einen anderen Rufnahmen gegeben, Tirafasa – kleines blaues Mädchen, und es fand es sehr passend – damit hatte er sie mehr oder weniger entmündigt; in seinem Stamm war sie ihm damit bedingungslos unterworfen und die einzige Möglichkeit, dem zu entgehen, wäre gewesen, wieder zu verschwinden. Sie protestierte auch nicht dagegen, sondern schien kurz nachzudenken und nickte dann langsam. Ein gewisses Unbehagen stand in ihrem kleinen Gesicht, während sie ihr Baby an sich drückte und Zerit scheinbar dazu anwies, des Häuptlings Schwester zu holen. Er machte sich sofort auf. Als er aus dem Sichtfeld der versammelten Gruppe verschwunden war, trat Shiran hervor, sich ohne sie eines Blickes zu würdigen neben seine Herrin stellend. „Sie haben noch etwas, womit sie deinem Stamm dienen können.“, erklärte er an Moconi gewandt und der hob seine Brauen. „Ich höre?“ Der Seher deutete auf die schüchterne Schwangere. „Diese Frau, Alaji, ist Heilerin. Eine außergewöhnliche Heilerin, sie kann nahezu alles heilen, wenn der Betroffene nicht unbedingt zum sterben verdammt ist. Sie sollte sich Tecos Bein ansehen.“ Die Frau mit der seltsamen Kopfbedeckung zuckte merklich zusammen und Nadeshda schielte den Mann von der Seite an, aus irgendwelchen Gründen versuchend, ihr Kind vor ihm zu verbergen. Tanest erhob sich augenblicklich aus den Reihen der Frauen und trat hervor. „Ist dem so?!“, erkundigte sie sich in ihrer ungestümen Art und jene Alaji wich etwas vor ihr zurück; sie hörte nur den barschen Klang ihrer Stimme, verstand jedoch nicht ihre Worte. „Teco wollte sich nicht zeigen an diesem Abend, zu groß ist seine Scham. Er... wollte euch Bestien nicht die Genugtuung gönnen, seine Wunde zu sehen. Aber wenn du ihm helfen kannst... ich bringe dich sofort zu ihm, und seist du noch so sehr eine elende Magierin.“ Shiran sprach mit der Heilerin, übersetzte Tanests Worte und sprach noch mehr und die Frau schnappte errötend nach Luft, dann wandte sie sich an Tecos Mutter und nickte ihr zu. „Darf ich sie zu ihm bringen?“, freute die sich daraufhin und Moconi nickte ihr zu. In den Augen der Menschenfrau stand Hoffnung, aber auch eine gewisse Furcht, als sie sich wieder an Alaji wandte. „Und wage es nicht, ihm ein Leid anzutun.“ Der Seher hielt es nicht für nötig, ihre Worte zu übersetzen. Er grinste leicht. „Das... wird sicherlich das letzte sein, was sie jemals tun würde.“ „Schade, dass du mich nicht verstehst, Mädchen.“, seufzte Tanest, während sie sich mit der Heilerin im Schlepptau von der Versammlung entfernte, „Was bist du für ein komisches Ding, scheinst dich ja vor uns zu fürchten. Keine Angst, Teco ist ein guter... wo ist eigentlich dein Mann? Du wirst doch einen haben... hoffentlich nicht dieser komische Zerit, dem misstraue ich.“ Sie drehte sich kurz zu ihr um und sah, dass die Schwangere sie errötend anlächelte. Sie verstand kein Wort, aber sie bemühte sich, nett zu sein... ach, wer sagte denn, dass alle Bestien gleich waren? Welch interessanter Abend. Als sie anhielt, wäre sie beinahe in sie hinein gerannt und sie gluckste, während die Heilerin verzweifelt die Hände hob und sich irgendwie zu entschuldigen zu versuchte. „Nicht doch.“, sie deutete auf ihre Hütte, „Hier leben wir. Ich erzähle ihm von seinem Glück, einen Augenblick bitte.“ Sie kletterte in das Innere ihrer Behausung und ließ Alaji zunächst unschlüssig draußen warten. Teco saß missgelaunt am anderen Ende der Hütte und verbesserte die Speere seines Vaters. „Was machst du denn schon hier, ist die Versammlung bereits zu Ende?“, erkundigte er sich brummend bei seiner Mutter, die ihn bloß anlächelte. „Nein, noch nicht. Aber die haben jemanden dabei, jemanden, der sich mit Verletzungen auskennt oder so...“, der junge Mann hielt abrupt in der Bewegung inne, „Shiran hat gesagt, das Mädchen könnte die helfen. Ich denke, sie ist in Ordnung... möchtest du es auf einen Versuch ankommen lassen?“ Er hob langsam den Kopf zu ihr und Tanest hob auf seinen seltsamen Blick hin eine Braue. Dann legte er sein Werkzeug auf der Stelle bei Seite und faltete die Hände. „Hast du sie mitgebracht? Rufe sie herein, bitte.“ Die Frau lächelte zufrieden. „Ich wusste, das würde dir gefallen.“ Eine neue Hoffnung. Und Hoffnung war wichtig. Teco fühlte sich wie erstarrt, als seine Mutter aus dem Ausgang lugte und versuchte, jene Heilerin zu sich zu rufen. Sein Herz pochte so laut, dass er das Gefühl hatte, man konnte es hören. Sie ahnte ja nicht, dass sein Bein nebensächlich war in jenem Moment... es zählte etwas anderes. Alaji. Seine Alaji. Die seltsame Frau, die er ursprünglich hatte entführen wollen, mit der er sich dann verlaufen hatte und dann Ewigkeiten mit ihr zusammen gewesen war... und sich in sie verliebt hatte. Selbst mit funktionstüchtigem Bein hätte er Calyri nicht ohne schlechtes Gewissen an sein Feuer nehmen können, inzwischen war ihm das klar. Ein Grund mehr, sie zu Moconi zu schicken, der das aber irgendwie einfach nicht verstehen zu wollen schien. Nur kurz hatte er gewagt zu hoffen, dass sie mitkommen würde, als der Seher die Gruppe angekündigt hatte, aber er hatte nicht ernsthaft daran geglaubt... es nicht können. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sie plötzlich da war. Einfach so kam sie mit einem Mal hinter Tanest in die Hütte und tat sich schwer, zu ihm zu kommen, denn sie... war schwanger? Eigentlich wollte er das seinen Eltern anders erklären, aber er kam nicht umhin, seine Augen zu weiten bei ihrem Anblick... und sie tat es doch genau so. Oh Himmel... sie war so schön. Sie war so schön! Sie war noch viel schöner als in seiner Erinnerung! Sie hatte das bezauberndste Gesicht der Welt und sie strahlte eine solche Wärme aus und sie... lächelte ihn an. Er lächelte auch. Tanest hob ihre Brauen. „Alles in Ordnung?“, wollte sie wissen und ihr Sohn konnte seinen Blick nicht von der Magierin abwenden. „Ja... alles in Ordnung. Danke, dass du sie mir gebracht hast... gehe wieder zu der Versammlung, es ist nicht nötig, dass du alles wegen mir verpasst. Ich komme zurecht.“ Die Frau machte nicht den Eindruck, als hätte sie die Versammlung in jenem Moment interessanter gefunden; aber irgendwie ließ sie das Gefühl nicht los, dass ihr ältester Sohn mit der Magierin allein zu sein wünschte. Sie kam dem nickend nach. Sie küssten sich. Sie mussten nicht weiter darüber nachdenken, es war belanglos, was zuvor geschehen war, wie es kam, dass Alaji plötzlich hier, in seiner Hütte war oder weshalb er es auch war und nicht auf der Versammlung, es war einfach vollkommen gleich. Er zog sie zu sich und ließ sie nicht mehr los. Sie zu berühren, zu halten und zu küssen war eine Art Erlösung und einen Augenblick lang fühlte er sich einfach frei, seinem kaputten Bein zum Trotz. Letztendlich wusste er nicht, wie lange sie sich einfach so liebkost hatten, ohne, dass irgendetwas anderes von Bedeutung gewesen war; es war jedenfalls Alaji, die plötzlich auf etwas anderes „zu sprechen kam“. Sie nahm seine Hand und legte sie auf ihren deutlich gerundeten Bauch, ihn verliebt anlächelnd. „Tecos.“, erklärte sie alles in nur einem einzigen, leisen Wort und der Mann antwortete ihr mit einem weiteren Kuss, sanft über ihren Bauch streichelnd. „Tecos.“, bestätigte er, „Und Alajis. Wir werden offenbar zu Vater und Mutter... ich glaube, das Glück raubt mir die Luft zum Atmen.“ Er verschwendete keine Gedanken mehr daran, dass die Beziehung zwischen ihnen auf irgendeine Weise anstößig war, dass jemand etwas dagegen haben konnte... sie würde ihn heilen und er würde sie an sein Feuer nehmen und sie würden mit ihren vielen guten Kindern zusammen leben. Das musste einfach so sein, dass sie nun hier war, in seinen Armen, war ein gutes Zeichen. Und er wurde Vater... Vater! Er dankte den Göttern. Kili machte sich bereits bemerkbar, bevor sie da war. Sie schrie und lachte vor Freude, als sie, wie man sehr bald darauf bemerkte trotz ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft, durch das Lager rannte, zielstrebig in Richtung Zentrum, denn sie wusste, in welcher Ordnung sie ihre Hütten jedes Mal aufbauten. Sie war wieder zuhause... es hatte sich viel verändert, das bemerkte sie, als sie schlagartig stehen blieb, ringsherum umgeben von allen Menschen – vielen fremden Menschen – und alle starrten sie an. Sie starrte zurück, vollkommen außer Atem, nicht bemerkend, das auch Zerit plötzlich hinter ihr aufgetaucht war. Ihre Augen suchten nach ihrem Bruder... und fanden ihn schließlich. Da stand er, würdevoll, prachtvoll geschmückt... er war ein Bild von einem Mann. In jenem Moment war es, dass sie bemerkte, wie stolz sie auf ihn war... am liebsten hätte sie sich in seine Arme gestürzt und wäre so an ihm hängen geblieben wie Mabalysca es gerade mit Kajira tat – zumindest nahm sie an, dass jener junge Mann Kajira war. Aber jener Respekt, den sie mit einem Mal vor dem Mann, der ihr Bruder war, hatte, veranlasste sie dazu, einfach im Mittelpunkt des Platzes, in der Nähe des Feuers, stehen zu bleiben und die Hände lächelnd über ihrem Bauch zu falten, ihn einfach nur ansehen. Er erwiderte ihren Blick starr. Da stand sie, auf den ersten Blick kam sie ihm vor wie eine Fremde. Ja, Kili bekam ein Baby, einen kleinen Himmelsblüter... was konnte sie schon dafür? Trotzdem war es abstrus, sie schwanger zu sehen. Ihre Kleidung war die der Bestien, kein einziges Fell bedeckte ihren Körper. Dafür erkannte er im Licht des Feuers, dass sie tatsächlich noch blasser geworden war... beinahe hätte man sie selbst für eine Magierin halten können. Beinahe. In ihren Augen lag ihre Seele. Die Seele von Kili, seiner kleinen Schwester... wie hatte er sie nur mit Karem mitschicken können damals? Er erschauderte unmerklich... dann lächelte er sie an. Und sie strahlte, dann überwand sie die Distanz und warf sich in seine Arme. Die Stämme jubelten. Kili lachte. Ihr Herz hatte auf gewisse Weise geblutet, nachdem Mahrran verrückt geworden war – anders konnte sie es sich nicht erklären – sie waren lange zusammen gewesen und obgleich sie von ihrer Heimat getrennt gewesen war, konnte sie es nicht unbedingt als schlechte Zeit bezeichnen. Sie hatte sich mit dem Gedanken angefreundet, in seinem seltsamen Haus als seine Frau und Mutter seiner Kinder zu leben... dass es nun wieder ganz anders aussah, verwirrte sie mehr, als sie zugeben wollte. Aber es brachte auch Gutes mit sich... wie Moconi. „Ich bin da!“, verkündete sie strahlend und er küsste sie auf Stirn und Wangen und umarmte sie noch einmal fest – aber nicht zu fest. „Ich sehe es. Ich bin unwürdig, dich um Verzeihung zu bitten, ich sollte demütig vor deinen Füßen kriechen, es... tut mir so leid.“ Er streichelte durch ihr länger gewordenes Haar und sie kicherte entgegen aller Vernunft nur. „Gräme dich nicht, mein Bruder. Alles ist... wird gut. Ich hoffe, du... nimmst mich und mein Kind noch hier auf...“ Er wusste, worauf sie anspielte, als sie ihr Gesicht in seiner Weste vergrub. Oh, wie sie den Geruch von Fellklamotten liebte! „Manchmal ist es angebracht, Traditionen zu brechen.“, entgegnete er darauf nach kurzem Zögern so leise, dass nur sie es hören konnte, und sie blickte verblüfft zu ihm auf. Nebenbei bemerkte sie, dass einer der fremden Männer, der zu Beginn neben Moconi gestanden hatte, sprach und viele sich daraufhin erhoben... es war einer der seltsamsten Momente ihres Lebens. Einen Mondzyklus zuvor war sie eine junge Frau aus dem Schlangenstamm gewesen, die Schwester des Häuptlings, die es geliebt hatte, sich schön zu machen und schöne Dinge zu erschaffen. Wenn sie sich dazu berufen gefühlt hatte, dann hatte sie Frauenarbeit verrichtet und niemals hatte sie sich vorgestellt, dass sich dies ändern würde – höchstens im Sinne davon, dass endlich ein Mann sie an sein Feuer nahm und sie von da an bei ihm lebte anstatt bei ihrem Bruder. Heute, ein Jahr später, stand sie nahezu als Fremde in ihrem eigenen Stamm, schwanger von einer Bestie, umgeben von vollkommen unbekannten Gesichtern und Magiern, die sie gar nicht hatte kennen wollen in einer Zeit, die von Unsicherheit nur so geplagt war – vielleicht würden sie bald alle sterben. Aber wenn es so kam, dann war sie bereit – nicht, weil sie nicht mehr leben wollte; auf abstruse Weise war für sie in jenem Augenblick einfach alles in Ordnung. Und es war besiegelt. Nadeshda war speiübel, als sie Rayada bat, sich etwas um Nocasi zu kümmern... Moconi hatte sie fest im Griff. Natürlich, sie hatte nichts anderes erwartet, aber trotzdem stieß es ihr sauer auf. Sie würden sich alle zusammen eine dieser muffigen Erdhütten teilen müssen... das würde ein Spaß werden. Und dennoch forderten ihre Götter sie zur Dankbarkeit auf. Auf ihr Lager freute sie sich an dieser Stelle tatsächlich, sie war absolut erschöpft, dabei hatte doch Zerit sie den halben Weg getragen – ihre Beine trugen sie so kurze Zeit nach der Geburt ihrer Tochter noch nicht besonders weit. Der arme Kerl. Jetzt, mitten in der Nacht, suchte sie zunächst einmal nach einem anderen Kerl. Ihre Sinne führten sie zielsicher durch das nach einem für sie an sich vollkommen undurchschaubaren Prinzip erbaute Lager zu einer unscheinbaren Hütte relativ weit außen – hier lebte Shiran, das wusste sie. Noch ehe sie ihn heraus bitten musste, stand er bereits vor ihr, gefolgt von einem schwarzhaarigen jungen Mann, der für einen Menschen ziemlich schmächtig wirkte. Es sollte ihr egal sein, ebenso wie die ganzen dämlichen Blicke, die diese Maden ihr schenkten. Ja, verdammt, sie war nun einmal klein, na und? Shiran wunderte sich darüber natürlich nicht. Sie hatte ihn lange nicht gesehen... sein Gesicht hatte sich nicht verändert, nur sein Haar war gewachsen. Und er trug diese elende Menschenkleidung... bald würde sie sie sicher auch tragen müssen; sie glaubte kaum, dass die Bäume, die die Früchte trugen, aus denen man Stoff herstellte konnte, in diesem Land überleben konnten. Das musste zunächst jedoch nebensächlich sein. „Es ist an sich nicht nötig, dass ich noch mit dir spreche.“, begrüßte sie den Seher uncharmant und der Schwarzhaarige hob seine Brauen. Shiran rührte sich nicht. „Chigaru hat schon mit dir gesprochen... du weißt, was du zu tun hast; was du tun musst. Schließlich ist es doch unser Volk, das du... beherrschen möchtest, nicht? Und nicht das der Menschen.“ Der Seher bedachte sie eines ungewohnt düsteren Blickes. „Ich werde nicht zurückgehen und mich selbst verfluchen lassen, Nadeshda. Es ist bereits zu spät dafür, wir müssen uns auf das, was unausweichlich ist, vorbereiten. Mehr können wir nicht tun.“ Sie starrte ihn einen Augenblick empört an, dann fuhr sie sich zischend durch ihr kurzes blaues Haar. „Kann ich dir das glauben?“ „Du hast mein eigenes Interesse erwähnt, was das betrifft...“ Sie schnaubte. Na, wenn das so war... dieser intrigante Mistkerl. Ihm ihre Macht zu überlassen war mit Sicherheit das letzte, was sie jemals tun würde. Wenn sie nicht selbst so versessen darauf gewesen wäre, selbst wieder Oberhaupt der Kalenao zu werden, dann hätte sie Chigaru, sobald das alles vorbei war, vor des Sehers Augen zum Dorfoberhaupt gemacht. Vielleicht tat sie es... oder sie fragte ihn, ob er vielleicht mit ihr zusammen regieren wollte. Er wünschte sich Ruhe, hatte er gesagt... aber wenn sie es zusammen täten... „... und ich werde ihm auch nicht Bescheid sagen oder ihn vor irgendetwas warnen, diesen wertlosen, widerlichen Wurm.“ Oh, ihn ärgerten ihre Gedanken. Sie grinste. Roch sie da so etwas wie Neid? „Abwarten. Ich vertraue Chigaru, er kommt sicherlich auch ohne dich klar. Und du... weißt das auch, nicht wahr?“ Sie kicherte mädchenhaft und obwohl vor der Hütte nur ein kleines Feuer brannte und es ansonsten stockdunkel war, sah Sanan seinen Bruder vor Wut erbleichen. Moconi ließ sich erschöpft auf sein Lager sinken, seine Bemalungen ignorierend. Er war einfach nur müde... und er fragte sich, was sowohl Kurapi als auch Tinash jetzt noch bei ihm wollten. „... geht heim, ich habe hier keinen Platz für euch, Kili ist wieder da.“, brummte er irritiert und im nächsten Moment betrat seine Schwester zum ersten Mal seit langer Zeit wieder die Hütte, die sie sich so lange mit ihrem Bruder geteilt gehabt hatte, und schenkte den beiden Gästen einen zunächst irritierten, dann amüsierten Blick, wandte sich jedoch sofort an Moconi. „Du hast mein Schlaflager ja bereits gemacht.“ „Seit du weg warst in jedem neuen Lager, Kili. Ich habe auf dich gewartet.“ Er sah nicht auf und sie lächelte gerührt, die beiden anderen schielten sich kurz an. „Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich heute trotzdem bei dir schlafe?“ Als Antwort klopfte er bloß auf sein Fell neben sich und sie kicherte und legte sich zu ihm, sich an ihn schmiegend. Tinash hob beide Brauen, das Geschehen monotonen Blickes verfolgend. „Darf ich dann so lange in deinem Lager schlafen, Kili?“ Kurapi sah ihn doof an, dann kratzte er sich am Kopf. „Eigentlich waren wir ja verab... ach, was soll es. Ich vergesse nichts, Moconi.“ Der Häuptling sah nicht auf, hob bloß eine Hand und bewegte sie beschwichtigend. „Tut mir leid, demnächst.“ „Jaja.“ Und er verschwand. Kili hatte das Gefühl, so einiges verpasst zu haben... „Warum möchtest du unbedingt hier sein? Du kannst gern in meinem Lager schlafen, aber mache es nicht schmutzig.“ Ihr Cousin machte es sich ohne ein weiteres Wort in ihrem Lager bequem. Moconi übernahm für ihn schläfrig das Antworten. „Es mag merkwürdig klingen für dich... aber Tinash hatte eine Frau an seinem Feuer, Lauy, Karems Tochter. Er mochte sie sehr, aber vor kurzem ist sie plötzlich gestorben... nun ja.“ „Ich mag nicht in dem Lager liegen, in dem sie neben mir gestorben ist!“, zischte der andere junge Mann bitter und Kili sah ihn durch die Dunkelheit betroffen an. „Oh nein... das tut mir sehr leid.“ Es wunderte ihn, dass sie sich nicht darüber lustig gemacht hatte, dass er sich ausgerechnet sie ausgewählt gehabt hatte... vielleicht war sie etwas erwachsener geworden. Er wollte nicht weiter darüber nachdenken. „Wir sollten schlafen.“, riss Moconi die Aufmerksamkeit wieder an sich, „Wir... haben vermutlich viel vor uns in nächster Zeit.“ Porit entfachte extra die Talglampe, nur, um sicher zu gehen, dass seine Augen ihn nicht täuschten. Teco, der davon erwachte, blinzelte zunächst müde und verwirrt unter den perplexen Blicken seiner Eltern und seiner beiden jüngsten Geschwister, die sich um sein Lager versammelt hatten. Dann verstand er auch, weshalb. Die Tatsache, dass Alaji eng an ihn gekuschelt in seinen Armen schlief, ignorierend, hob er errötend grinsend sein Bein an. „Es geht ihm viel besser, ich... werde sicher bald wieder jagen können! Hehe...“ Porit legte vollkommen verwirrt den Kopf schief, während seine beiden jüngsten Kinder vielsagende Blicke miteinander austauschten. „Du... hast dir auch eine Frau genommen, die bereits schwanger war?!“ „Ach was.“, schnaubte Tanest errötend, „Die... ist von ihm schwanger. Oder?“ Der junge Mann wandte verlegen den Blick ab und die Frau in seinen Armen sprach irgendwelche unverständlichen Worte im Schlaf, erwachte aber nicht. „Sie war, als ich vom Stamm getrennt war, eine Weile bei mir... in der Zeit war sie meine Frau. Ich hätte sie gern bereits damals an mein Feuer genommen, aber ich hatte das Gefühl, das sei nicht möglich, also habe ich sie wieder zurück geschickt.“, gestand er ehrlich. „Du hast mit einer Magierin ein Baby gemacht?!“, platzte es aus seiner Schwester Bylema und sein Bruder Ubane schnaubte empört. „Also wirklich!“ Tanest hob ihre Brauen und schwieg. Porit kratzte sich verwirrt am Kopf. Eine Weile herrschte Schweigen. Dann wandte Ubane sich an seinen Vater. „Du, darf Teco das Mädchen behalten? Ich finde es nett.“ Bylema schlug ihm gegen den Kopf. „Es schläft doch nur, wie kannst du es nett finden?!“ Tanest schwieg, schielte jedoch auffordernd zu ihrem Mann. Teco streichelte nur sanft über den gerundeten Bauch der Magierin... das hätte er bedenken müssen. Aus ihm war ein Idiot geworden... aber er war sich wirklich sicher, bald wieder jagen zu können, davon einmal abgesehen. Porit räusperte sich. „Das... klärst du am besten mit Moconi. Wenn es denn wirklich dein Wunsch ist, dass sie... also, willst du wirklich, dass sie deine Frau wird?!“ Der Sohn kam nicht zum antworten; Tanest mischte sich schnaubend ein. „Sieh dir die beiden an, was denkst du?!“ Der Mann hüstelte. „Ich meine ja nur...“ Teco seufzte. „Ich... kümmere mich darum. Seid bitte nicht... enttäuscht von mir.“ Er brachte es gleich am Morgen des nächsten Tages hinter sich. Moconi war gerade erst vom Reinigen zurückgekehrt und starrte ihn perplex an, als er ihm von seinem Vorhaben, eine der Magierinnen an sein Feuer zu nehmen, berichtete. Sie standen vor der Häuptlingshütte, es war ein schöner Tag, doch das Stammesoberhaupt wirkte übernächtigt. Teco konnte es ihm nicht verdenken. „Langsam, bitte!“, bat sein Cousin ihn da, die Hände hebend und seine eigene Erschöpfung einen Moment vergessend, als er so vor ihm stand, „Du... du willst die Heilerin zur Frau nehmen? Meinst du nicht, das ist... nun ja, etwas übertrieben? Ist ja schön, dass sie dein Bein soweit wieder gerichtet hat... Augenblick, geh mal ein paar Schritte. Wo sind deine Stützen?!“ Teco grinste stolz, als er leicht humpelnd, aber in annehmbarer Geschwindigkeit einmal in einem großen Kreis um Moconi herum schritt und der ihn mit seinem Blick verblüfft verfolgte. „Wahrlich beeindruckend, wie... wie schön für dich!“, gestand er dann grinsend und Teco nickte und blieb wieder vor ihm stehen. Er spürte seinen Stolz zurückkehren... den Stolz eines wahren Jägers. Wenn er daran dachte, wie er wieder dem großen Wild nachstellte, machte ihn das beinahe euphorisch... er erlaubte sich zu träumen. Waren Träume von einer besseren Zeit nicht das, was sie alle am Leben erhielt? „Aber ich möchte Alaji nicht deswegen an mein Feuer nehmen.“, kam er zu seinem eigentlichen Anliegen zurück und bemühte sich, Haltung zu wahren. In jenem Augenblick kehrte auch Kili von der Reinigung zurück; anscheinend hatte sie seine letzten Worte auch gehört. „Oh, du nimmst sie an dein Feuer? Wie schön, sie hat dich sehr vermisst.“ Sie blieb neben Moconi stehen und lehnte sich glücklich an ihn; er legte perplex einen Arm um sie. „Vermisst?!“ „Ja.“, nahm Kili ihrem Cousin in der gewohnten Manier einer Häuptlingsschwester das Wort aus dem Mund, „Sie kennen sich schon länger, sie sind soweit ich das verstanden habe eine Weile gemeinsam herum gereist und ihr Baby ist Tecos Baby. Oder habe ich da etwas falsch verstanden?“ Sie wandte sich lächelnd an Teco, der daraufhin den Kopf schüttelte und ihr tatsächlich etwas dankbar war, dass sie die Erklärung an seiner Stelle übernommen hatte. Moconi sah eine Weile zwischen den beiden her. „Darüber... muss ich nachdenken.“, kündigte er dann an und senkte den Blick mit in Falten gelegter Stirn, wie er es bereits als Kind getan hatte, wenn er sich über irgendetwas ernsthafte Gedanken gemacht hatte. „Du siehst gut aus.“, sagte Teco unterdessen zu seiner Cousine und die lächelte. „Es geht mir auch erstaunlich gut. Ich freue mich, euch alle wieder zu haben... hier gehöre ich hin.“ Als der Häuptling sein Haupt mit geweiteten Augen wieder hob, wandten sich die beiden anderen ihm sofort wieder zu. Scheinbar hatte ihn die Erleuchtung des Tages gepackt, zumindest stand etwas in dieser Richtung daraufhin in seinem Blick geschrieben. „Ja.“, erlaubte er dann überraschend ohne weitere Einwände, „Du bist natürlich für das, was sie tut, verantwortlich und tu uns allen den Gefallen und bringe ihr Sprechen bei, aber ja, nimm sie an dein Feuer.“ Das Gesicht seines Gegenübers erhellte sich merklich. Noch ehe ihm passende Worte des Dankes einfielen, hatte Moconi beschwichtigend die Hände gehoben. „Lass gut sein und entschuldige mich, ich... habe noch etwas vor.“ Und er ließ seine Schwester los, drehte sich um und rannte los. Kili lachte, während Teco ihm verwirrt nachblickte. Es war ihm egal, was sie dachten, als er an ihnen vorbei rannte. Er rannte an allen vorbei, ohne auch nur einen einzigen eines Blickes zu würdigen – Moment, doch. Er bremste so abrupt, dass er Gras und Erde aufwirbelte und beinahe hingefallen wäre; Ranisin, neben dem er zum stehen kam, fuhr erschrocken zusammen, entspannte sich jedoch sofort wieder, als Moconi ihn fröhlich angrinste. Er lächelte stolz und präsentierte ihm einen äußerst gut gearbeiteten Kinderspeer. „Schau, ich habe ihn ganz allein gemacht, ist er nicht bezaubernd?“ „Ganz bezaubernd, sicher der beste Speer in deiner Altersgruppe.“, bestätigte er grinsend und der Junge kicherte fröhlich und sichtlich zufrieden mit seinem Werk, „Weißt du, ob Calyri bei euch ist? Oder wo sie ist?“ Ranisin kratzte sich nachdenklich an seiner Wange, zufällig an einer der Stellen, die noch blau waren von seiner berechtigten Prügel. „Ja... also eben war sie es noch. Hat mit Morny gespielt, glaube ich.“ Er lächelte und Moconi nickte ihm dankbar zu und rannte weiter. Ihr Bruder hatte nicht gelogen. Sie saß da im Gras, vor sich das kleine Mädchen, das mit ihrer Hilfe auch sitzen konnte, und beschäftigte die Kleine mit einer alten Lederpuppe. Moconi wusste, dass es sich für einen erwachsenen Mann nicht schickte, aber es war ihm vollkommen egal, als er auf ebenso unsanfte Art wie zuvor abbremste, sich vor ihr auf die Knie fallen ließ – und sie wild auf die Lippen küsste. Er sah sie an... er sah, wie sie ihre Augen perplex weitete und zunächst erstarrt war, aber er nahm sich vor, sie so lange zu küssen, bis sie den Kuss zu erwidern wusste... und das dauerte gar nicht so lang, wie er es sich vorgestellt hatte. Er ließ sich nicht stören, auch nicht, als Dherac aus der Hütte kam und die beiden mit seinem einen verbliebenen Auge überrumpelt anstarrte und auch von Kinashi nicht, die mit einem Mal hinter der Hütte erschien und sich verblüfft neben ihren Mann stellte. Er ließ erst von ihr ab, als ihm die Luft knapp wurde und grinste sie, heftig atmend, breit an. Sie lächelte etwas neben sich zurück – Morny rupfte etwas Gras und warf es auf Moconi, aber das bemerkte niemand. „W-was ist los...?!“, stammelte Calyri verwirrt und Dherac im Hintergrund schnaubte. Wie konnte er es wagen, seine geliebte Tochter so zu überfallen?! Er nahm ihre Hände in seine. Die junge Frau schnappte nach Luft und starrte ihn errötend an. „Teco hat sich erledigt, er wird glücklich sein, wir müssen nicht mehr an ihn denken.“, erklärte er mit dem schelmischen Lächeln eines kleinen Jungen – ja, das war Moconi, wie sie ihn kannte. Kinashi schlug sich die Hände vor den Mund. „Oh – oh mein Himmel! Dherac, unser kleines Baby geht endlich an das Lager eines Mannes!“ Der Mann schielte sie irritiert an. „Ich glaube, er hat Calyri gemeint, Kinashi...“ Moconi blickte ihr bis in die tiefsten Abgründe ihrer Seele, hatte die junge Frau das Gefühl, während seine Hände sanft über ihre streichelten. „Also...“, sprach er dann behutsam, „... möchtest du an meine Feuerstelle kommen, Tochter Kinashis?“ Einen Moment starrte sie ihn nur an. Sie hatte die Hoffnung verloren gehabt... niemals hätte sie damit gerechnet, dass er sie diese Worte jemals fragen würde. Nun war es doch geschehen, auch wenn sie noch nicht so genau begriff, weshalb eigentlich. Sie konnte bloß nicken. Ihre Antwort kam stimmlos, denn ihr traten Tränen in die Augen. „Ja, das möchte ich...“ Semliya starrte ihn mit offenem Mund an. Dieses Mal war es Novaya, der darauf bestanden hatte, dass sie das Lager verließen – er musste mit ihm reden. Dringend. Sein Herz tat weh... es tat so weh, er hatte das Gefühl, als würde er gleich an den Schmerzen sterben. Dennoch bemühte er sich, sich nichts anmerken zu lassen. „Wovon... wagst du da zu sprechen?!“, fauchte sein Zwilling ihn da an und sah ihm gezwungen ruhig in die hellblauen Augen, die seinen so ähnlich waren. „Du hast mich schon verstanden. Halte dich fern von mir. Du bist nicht Semliya, Semliya ist gestorben, Semliya lebt nur noch in meinem Herzen. Du bist nur ein böser Windgeist, der seinen Körper entehrt... und wenn du das schon tun musst, dann reiße dich dabei wenigstens zusammen und hör auf, ständig zu versuchen, Ranisins Essen zu vergiften, er hat seine Strafe längst. Und Mefasa hat ja wohl alles recht dazu, dich nicht mehr ran zu lassen, sie ist nicht dumm.“ Er sah sein Gegenüber vor Zorn beben und einen Moment befürchtete er, es würde sich auf ihn stürzen. Doch nichts geschah. Schließlich schlich sich ein ganz und gar grausames Lächeln in sein Gesicht. „Nun gut. Deine Sache. Ich komme klar. Du auch? Glaube ich nicht. Aber sei dir gewiss...“, er schritt langsam auf ihn zu und Novaya bemerkte, dass er zitterte, als er mit ihm auf gleicher Höhe stand, „Ich werde dir das Leben zur Hölle machen, verlass dich darauf.“ Dann ging er und ließ seinen Zwilling stehen. Novaya sank ins Gras. Ihm war egal, welche Tiere darin lauern konnten... am liebsten wäre er gestorben. Er vermisste ihn... er vermisste ihn so sehr, er vermisste seine Umarmungen und seine Wärme in kalten Nächten, er vermisste seine Worte, die nur er gehört hatte, er vermisste sein Lächeln, seine Art und die Gewissheit, immer verstanden zu werden, er vermisste... seinen Gefährten, seinen Seelenverwandten. Es hatte niemals jemanden gegeben, den er mehr geliebt hatte, und dem Jungen kamen die Tränen... er hatte auch keine Lust, sie zurück zu halten, dann weinte er halt. Er keuchte erschrocken, als sich das Gras neben ihm plötzlich bewegte und mit einem Mal eine Person neben ihm saß. „Dein Bruder... ist geworden verrückt... nicht? Meiner auch.“ Er wischte sich über die Augen und setzte sich auf. Neben ihm im Gras saß die kleine Herrin der Kalenao und sah ihn aufmerksam an, sich scheinbar überhaupt nicht an seinen verheulten Augen störend. „Wurden bekommen... zusammen. Wie du und Bruder.“ Er beschloss tapfer, sich seine Irritation nicht anmerken zu lassen; vermutlich war sie die ganze Zeit in der Nähe gewesen, vielleicht hatte sie sich erleichtert, man sah sie ja nicht. „Tirafasa und ihr Bruder sind Zwillinge?“, ging er auf ihre Worte ein und sie dachte kurz nach, dann nickte sie. „Glaubt. Zwillinge... Frau bekommt zwei Babys?“ „Ja, genau.“ Novaya dachte kurz nach. Ja, Shiran hatte so etwas schon einmal erwähnt... er hatte es ganz vergessen. Vielleicht war sie deshalb gekommen... „Er hat einen Stein abbekommen. Der hat ihn verrückt gemacht.“ Sie nickte und musterte ihn in ihrer gleichermaßen natürlichen, als auch respektlosen Art. „Er hat... Fluch bekommen. Hat ihn verrückt macht.“ Sie zog die Beine an und er tat es ihr gleich. Faszinierend, eine so kleine erwachsene Frau... „Kannst du den Fluch nicht weg machen?“, wollte er wissen und sie zuckte mit ihren zierlichen Schultern und wandte den Blick ab. „Zu schwierig, denkt. Zu lange dauert... wäre schlimm für anderen... Kalenao-Dorf, versteht?“ Er sah sie nachdenklich an. Sie wollte ihren Bruder für ihr Volk opfern, wenn er das richtig verstand... eine tapfere Herrscherin, aber eine schlechte Schwester. Dabei ging das Blut doch über alles... besonders, wenn man ein Zwilling war. „Du solltest Mahrran nicht aufgeben, Tirafasa... wenn ich nicht alles versucht hätte, ich würde Semliya niemals... opfern. Eure Mutter hat euch gemeinsam geboren, ihr wart immer zusammen, bereits in ihrem Leib! Du spürst das doch... diese Verbundenheit, die du sicher mit Mahrran hast... oder nicht?“ Er war sich weder sicher, ob er sich nicht zufällig in etwas verrannte, noch, ob sie ihn wirklich verstand, aber er hatte das Gefühl gehabt, sie darauf hinweisen zu müssen. Sie sah nachdenklich zu ihm auf. „Habe ich.“, bestätigte sie, „Aber... ich muss aufpassen auf Dorf, verstehst?“ Als sie sprach, hatte sie nichts mehr vom vergangenen Abend an sich, sie wirkte zerbrechlich, nicht herrisch... es passte besser zu ihrer winzigen Gestalt. Auf abstruse Weise machte es sie fast schon niedlich. „Ja, aber er ist doch dein Zwillingsbruder – glaube mir, du wirst im Leben nicht mehr froh, wenn du ihn verlierst!“ Im nächsten Moment tat es ihm leid, dass er sie sie angefahren hatte und seufzte entschuldigend. Sie sah ihn bestürzt an. „Im Leben nicht mehr... versteht. Aber... hab ich Wahl?“ Er schielte sie verschwörerisch an. „Man... hat immer eine Wahl, Tirafasa.“ Darauf schwieg sie, stumm auf ihre in seltsames Schuhwerk gepackten Füße starrend. Sie war insgesamt eher seltsam gekleidet... was sie trug, bestand nicht aus Fell. Aber es war schön, es schmeichelte ihrem kleinen, zierlichen Körper. Es faszinierte ihn... und er ließ es gern zu – er wollte von Semliya abgelenkt sein. Kurz ging ihm ein unwirklicher Gedanke durch den Kopf und aus Gründen, die es später nicht mehr benennen konnte, ließ er ihn zu und hob eine Hand, um ihr eigenartiges Oberteil zu berühren. Den Ärmel... ihre Schulter... ihren Kragen – ach, was sollte es schon? Neugierig legte er seine Hand auf ihren kleinen, von Milch prallen Busen und sie schnaubte. „Freches Junge, was tut?!“ „Neugierde.“, verteidigte er sich schulterzuckend und kniete sich vor sie. Sie hob ihre Brauen und sah ihn an, während er begann, sie zu streicheln, ihr selbst in ihr Gesicht starrend, um all ihre Regungen mitverfolgen zu können. „Blute ich noch.“, er hielt abrupt inne. Moment, sie hatte ihm gerade erzählt, dass sie von der Geburt ihres Babys noch blutete... wie weit hatte die denn gerade gedacht, bloß weil er ihr an die Brüste fasste?! Er errötete... irgendwie reizte ihn der Gedanke an das, was sie sich ausmalte, mit einem Mal ungemein, und er grinste. „... das ist mir egal.“ Er war gespannt, wie sie darauf reagierte und wagte es, vorsichtig mit der Hand unter ihr Oberteil zu fahren und ihre Haut zu berühren, worauf sie eine Gänsehaut bekam. Kurz schien sie über etwas nachzudenken, dann grinste sie leicht. „Na gut... seltsames Junge.“ Er schnappte nach Luft, als sie das Kleidungsstück einfach aufband und es sich auszog. Letztendlich geschah es einfach und unmittelbar danach fragte Nadeshda sich, welcher Windgeist wohl plötzlich in ihrem Hirn Einzug gehalten hatte, dass sie mit einem minderwertigen Menschenjungen geschlafen hatte. Nicht, dass es schlecht gewesen wäre, aber was hatte sie sich dabei bitte gedacht?! Sie zog sich hastig und verlegen wieder an – und er tat es ihr gleich, sein vorangegangener Enthusiasmus hatte ihn augenscheinlich auch verlassen. Er hieß Novaya... sein Name machte nur in Kombination mit dem seines Zwillingsbruders einen Sinn. Seine Worte hallten ebenso in ihrem Kopf wie die auf abstruse Weise niedlichen Geräusche, die er danach so von sich gegeben hatte... „Muss... etwas tun.“, verabschiedete sie sich und ärgerte sich über die Schmerzen, die diese Spontanaktion ihr nun bereitet hatte. Er nickte und blickte ihr errötend nach. Sie war zwar schwach, aber um die Zurechtweisung einer verwirrten menschlichen Seele, einer Seele, an deren Irrsinn ihr Volk auch noch die Schuld trug, würde sie ihre Götter dennoch mit Leichtigkeit bitten können. Als sie, erschöpft wie sie war, in das Lager zurückkehrte, hatte sie ein schlechtes Gefühl. Die Götter zischten in ihrem Kopf und die Aufregung, die besonders unter den Frauen herrschte, schien dazu zu passen... Shiran kam auf sie zu und sie erwartete bereits einen Kommentar über ihren kleinen Ausrutscher mit dem Menschenjungen, doch sein Blick war ernst. „Alaji hat Wehen bekommen. Komm mit.“ Er führte sie schnellen Schrittes durch das Lager zu der Hütte, in der wohl ihr Teco leben musste – am vergangenen Abend war sie nicht mehr von ihm zurückgekehrt, aber die Götter hatten ihrer besten Freundin schnell klar gemacht, dass alles gut war, so hatte sie sich nicht gesorgt und sich stumm für sie gefreut. „Es ist noch zu früh!“, stellte sie im Laufen, was ihr im übrigen schwer fiel, fest und Shiran nickte. „Das ist weniger das Problem. Es ist ein starkes Baby. Und Alaji ist eine starke Frau.“ Nadeshda starrte ihn überrascht von hinten an. Wo war dann das Problem? Natürlich hieß sie es gut, dass er sie rief, aber irgendwie wirkte das Ganze mehr so, als sei etwas schlimmes im Gange. Vor der Hütte war eine ganze Menschenmenge; das war normal so, wenn es nicht gerade etwas wichtigeres gab. „Hat sie Hilfe da drin?“, erkundigte sich die kleine Frau, als sie so da standen bei dem Seher, und der nickte ernst. „Ja, aber du musst sie verscheuchen. Du musst ihr helfen.“, sie sah ihn entsetzt und verständnislos an. „Ich erkläre es dir.“ In der Hütte war es heiß und stickig, zumindest kam es Alaji so vor. Sie hatte keine besonders große Angst... sie spürte instinktiv, dass es ihrem Baby gut gehen würde, auch wenn es zu früh zur Welt kam. Und es ging ziemlich schnell, bestätigten ihr auch die Menschenfrauen, soweit sie es verstand. Zwei Stück waren da, um ihr beizustehen, Tecos Mutter und eine andere Frau mit braunem Haar. Es lief gut, hatte sie trotz der großen Anstrengung und der Schmerzen das Gefühl, bald würde man den Kopf des Kindes greifen können... und dann würde sie Mutter und ihr geliebter Teco Vater sein. Die Gedanken daran machten sie glücklich und gaben ihr Kraft, weiter zu machen. Ein kühler Lufthauch streifte ihr Gesicht und sie öffnete die Augen – zu ihrer Überraschung war es Nadeshda, die eingetreten war. Sie sagte etwas zu den Frauen in deren Sprache und Tecos Mutter erwiderte etwas, schien verwundert. Als die kleine Magierin weiter sprach, tauschten die Menschenfrauen einen Blick miteinander aus und zuckten dann mit den Schultern. Tecos Mutter, die sie die ganze Zeit bei der anstrengenden Haltung gestützt hatte, ließ sie sanft auf das Lager sinken, dann verschwand sie zusammen mit der anderen Frau. Die Heilerin sah zunächst beiden perplex nach, dann wandte sie sich an ihre beste Freundin. „Wa-warum hast du sie weg geschickt?“, fragte sie keuchend, aber Nadeshda konzentrierte sich bloß auf das Geschehen zwischen ihren Schenkeln. „Erkläre ich dir später. Gib dir Mühe, jetzt!“ Sie gehorchte natürlich, wenn auch mehr aus einem natürlichen Instinkt. Die Kleinere streckte die Hände nach dem Köpfchen aus... dabei hatte sie eigentlich Angst davor, das Baby an das Licht der grausamen Welt zu zerren und das nicht nur, weil sie zum ersten Mal einer Geburt beistand. Sie dachte an Shirans Worte. „Die Menschen handhaben einige Dinge anders als wir. Du musst dafür sorgen, dass in Alajis Fall nach dem Recht der Kalenao gehandelt wird und nicht nach dem der Menschen, sonst wird sie nie wieder glücklich, das schwöre ich dir.“ Das Köpfchen war greifbar. Sie zog das winzige Kind an die Welt und tat das, was der Seher ihr auf die Schnelle erklärt hatte; es von seiner Mutter trennen, es zum Schreien bringen... es ganz schnell in das nächstbeste Fell wickeln. Alaji, die sich noch ihrer Nachgeburt zu entledigen versuchte, lächelte bereits selig... sie würde ihr Baby gleich haben wollen. Nadeshda wandte ihr erschaudernd den Rücken zu, vorsichtig die Felldecke um den winzig kleinen, aber tatsächlich relativ kräftig schreienden Säugling wickelnd. „Was... was ist es? Ein Junge oder ein Mädchen? Gib es mir! Oh... oh hör wie es schreit! Es schreit wunderschön! Gib es mir!“ Man merkte Alaji an, dass ihre Geburt alles in allem einfacher verlaufen war als die von Nadeshda, dachte sich letztere und lächelte bitter. Sie war so enthusiastisch... voller Freude und Glück. Es tat ihr weh... „Bei den Menschen haben die Geburtshelferinnen das Recht, nein, sogar die Pflicht, der Mutter ihr Kind nicht einmal zu zeigen, sondern sofort damit zu verschwinden und es zu töten, wenn es nicht so ist, wie sie es für... gut befinden. Anders als bei uns, wo die Eltern eines solchen Kindes selbst frei entscheiden können, ob es sterben soll, oder ob sie es behalten möchten... Teco und Alaji sollten es behalten, etwas besseres als dieses Kind werden die beiden zusammen leider nicht zustande bringen. Wenn dir Alaji am Herzen liegt, Nadeshda, dann geh und rette ihren kleinen Krüppel.“ Sie schluckte tapfer ihre Tränen herunter, als sie sich umdrehte, die verbluteten Felle mit dem Fuß beiseite schiebend und ihre Freundin mit einem sauberen zudeckend. Alaji strahlte... sie spürte ihren Stolz und ihre Liebe. Verdammt... das war nicht gerecht. Sie konnte die Tränen letztendlich doch nicht zurückhalten, als sie ihr das Baby übergab. Die Heilerin starrte zunächst sie irritiert an, ehe ihr Blick auf das schreiende Neugeborene fiel. Sie lächelte kurz, ehe sie das Fell, in das das Baby gewickelt war, öffnete. Der kleine Junge war wunderschön. Auf seinem Kopf wuchs kaum Haar, aber er hatte ein wunderbares Gesicht und seine Haut hatte bereits ohne, dass sie jemals direkter Sonnenstrahlung ausgesetzt gewesen wäre, die schöne, dunkle Farbe seines Vaters. Er wäre ein absolut perfektes Baby gewesen, wie Alaji und vermutlich auch Teco es verdient hatten, aber aus ihm würde nie etwas werden. Die frisch gebackene Mutter sah zu ihrer weinenden Freundin auf, als wollte sie ihr vorwerfen, sie erlaube sich einen üblen Scherz mit ihr. Nadeshda schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, wie es weiter geht jetzt... aber sie hätten ihn getötet, sie erlauben solche Kinder nicht. Shiran schickt mich, er sagt, Teco und... du, ihr sollt euch hüten, ihr beiden, ihr... könnt keine gesunden Kinder miteinander bekommen.“ Sie weinte wirklich. Es war das erste Mal, das Alaji Nadeshda weinen sah... sie selbst wandte den Blick von ihrem seltsam wirkenden Gesicht ab und dem Baby, das sich allmählich in ihren Armen zu beruhigen begann, zu. „Sein Fuß...“, sprach sie leise, beinahe andächtig, „Er hat einen vollkommen verkrüppelten Fuß... warum hat er das?“ Sie senkte ihre Brauen und das Kind bewegte sich – für ein zu früh zur Welt gekommenes Baby war es sehr energiegeladen im übrigen. „Ich habe nichts falsch gemacht!“, fauchte sie, „Ich habe immer alles richtig gemacht, was man als Schwangere nur so richtig machen kann, warum ist mein Kind verkrüppelt?! Das ist nicht wahr, es kann nicht wahr sein, Nadeshda, es ist einfach nicht gerecht – verdammt, TU WAS!“ Sie bemerkte erst, dass sie geschrien hatte, als ihre Freundin, inzwischen nicht mehr weinend, von ihr zurückgewichen war. Sie war Götterkind... aber so etwas konnte sie nicht ändern, dazu war sie nicht in der Lage. Das konnte sie nicht verlangen. „Ich weiß... wie gesagt nicht, wie es nun weiter gehen soll... oder kann. Shiran spricht mit Teco. Ihr müsst zusammen entscheiden, was ihr tut... wenn ihr es behalten wollt, dann... dann bekommen wir das hin, denke ich. Es ist... ein wunderschöner Junge, du solltest ihn behalten.“ Das wusste sie, vor allen Dingen, wenn sie ansonsten keine brauchbaren Kinder mehr bekommen konnte. Sie erschauderte, den abstrus deformierten kleinen Fuß anstarrend. Würde er überhaupt jemals laufen lernen? Oder, was bei den Menschen hier doch so wichtig war, jagen können? Ihr Herz wollte, dass ihr Baby lebte... sie liebte es so sehr. Aber gerade deshalb fragte sie sich, ob sie ihm keinen Gefallen damit getan hätte, wenn sie ihm das Leben, das wahrscheinlich auf es zukam, erspart hätte... ------------------------- Ich wusste gar nicht mehr, dass dieses Kapitel so lang war... oô Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)