Jumays Kinder von -Izumi- (Part 1: Kinder der Erde - Land des Anfangs) ================================================================================ Kapitel 13: Emotionen --------------------- Calyri war verwirrt. Die ganze Welt verwirrte sie. Moconi, der sie scheinbar wirklich nicht wollte, obwohl sie sich eine solche Mühe gab, sich als gute Frau zu präsentieren und Teco bereits so lange weg war, ebenso wie ihr Vater, der heute ohne zu zögern jemanden getötet hatte. Es war kein Mensch gewesen, versuchte sie sich einzureden, aber irgendwie half es wenig... der Junge hatte bis auf sein extrem rotes Haar und den ungewöhnlicherweise ebenso roten Augen fast genau so ausgesehen wie alle anderen. Er hatte gesprochen und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, dann verstand sie, warum er so durchgedreht war. Sie hatten ein kleines Zwischenlager aufgebaut, wo sie einige Tage rasten würden. Es war nicht gut, weil man in der Nähe keine Spuren von Beutetieren gefunden hatte, aber nötig, nicht nur wegen des vorangegangenen Ereignisses, sondern auch weil Kinashi, Calyris Mutter, bald ein Kind gebären würde. Auf den Schock hatten bei der armen Frau doch glatt die Wehen eingesetzt, jetzt saß ihre älteste Tochter in der Nähe des Zeltes, in dem sie das Baby zur Welt bringen würde, und passte auf ihre übrigen Geschwister auf. Die Männer hielten Rat, irgendwer kümmerte sich auch tatsächlich um den übriggebliebenen Magier, der kurz nach dem Tod seines Begleiters sein Bewusstsein verloren hatte. Eigentlich hätte sie ihrer Mutter gern beigestanden... Sie seufzte leise und stützte den Kopf auf ihre Hände, während sie die Zwillinge beobachtete, die ihr gegenüber vor einem anderen Zelt saßen. Semliya hielt Novaya in den Armen, verstört ins Leere starrend, während der angeschlagene Bruder sich nur müde an ihn lehnte, wobei ihm immer wieder die Augen zufielen. Es war überraschend, wie harmlos sie wirken konnten, fand das Mädchen. Mädchen... eigentlich junge Frau, aber so fühlte sie sich nicht, solange sie sich nicht mit Moconi das Lager teilte. „Keine Wolken am Himmel.“ Sie schreckte aus ihren Gedanken, als ihre jüngere Schwester Niray sprach. Niray war tatsächlich noch ein kleines Mädchen, auch wenn der Älteren mit einem Mal auffiel, wie groß sie mittlerweile war. Sie lebte bereits ihr zehntes Jahr... „Das ist ein gutes Zeichen. Sonst wäre es auch schlecht, wir haben schließlich kein Zelt.“ Calyri beobachtete, wie sie ihre Knie anzog und weiterhin in den Himmel starrte. Ja, man hielt sie dank ihrer älteren Zwillingsbrüder für verrückt, denn die hatten ihr in einer stürmischen Nacht in ihrer frühen Kindheit einmal sehr eindringlich erzählt, die Wolken wären Dämonen, die auf die Welt hinab kommen und einen auffressen könnten wie Raubtiere. Seitdem litt die Kleine an einer Wolkenphobie und versteckte sich an jedem bewölkten Tag in ihrer Hütte oder wenn sie reisten, wenn es möglich war, in einem der Zelte. Weil dringend Rat hatte gehalten werden müssen, hatte ihr Vater nur auf die Schnelle eines für ihre Mutter errichten können, so mussten seine Kinder zunächst zwischen den Heimen der anderen im Staub sitzen, bis Dherac zurückkehren und aus den restlichen Materialien eine Unterkunft für seine Familie bauen konnte. Normalerweise hätten die Zwillinge das auch können müssen, aber die waren offenbar mehr als verstört und nicht ernsthaft in der Lage, irgendetwas Sinnvolles zu tun – nicht, dass sie das sonst jemals getan hätten... „Ich finde, die rothaarige Bestie hat Recht getan...“ Die beiden Mädchen wandten zeitgleich den Kopf zu Calyris Linken, wo Ranisin, ein weiterer Bruder, hockte. Er hielt den Blick tief gesenkt und starrte seinen Schoß an, sprach aber so mutig, wie er es wirklich nur dann tat, wenn er sicher war, dass seine älteren Brüder keine ernsthafte Gefahr darstellten. Ranisin hatte es wahrlich nicht leicht... „Sowas darfst du nicht sagen!“, hielt seine älteste Schwester ihn dennoch an, obwohl sie ihm gedanklich zustimmte. Iradu, der jüngste Bruder, der noch keinen Verstand besaß und gegenüber bei den Zwillingsjungen hockte, zupfte Semliya darauf entsetzt am Oberteil. „Ranisin hat gesagt, es war gut, also, dass es gut war, dass das Monster fast Novaya tot gemacht hätte!“ Er starrte den Älteren empört an, der den Kopf nur langsam zu ihm wandte und noch langsamer zu verstehen schien, worum es ging. „Was...?“ „Ranisin fand es gut, dass... dass das Monsterding Novaya fast tot gemacht hätte, genau!“, wiederholte der Jüngste, und jener Ranisin vergrub seine Hände genervt in seinem Haar und ärgerte sich über die Dummheit des kleinen Jungen. Calyri seufzte laut und Niray lehnte unbeeindruckt ihren Kopf an die Schulter ihrer älteren Schwester. Semliyas Brauen zuckten kurz, während Novaya weiter döste. Es war seltsam, die beiden in einer nicht vollkommen identischen Situation zu sehen, fiel der Ältesten dabei auf, während sie beobachtete, wie der unbemerkt ältere Zwilling den Jüngeren sachte neben sich ablegte, worauf der etwas murrte, sich aber nicht ernsthaft wehren wollte. Der andere erhob sich und überwand das kleine Stück, das ihn von seinen anderen Geschwistern trennte, ehe er sich vor Ranisin hockte und ihn gleichgültig ansah. Dieser hob den Blick und schnaubte leise. „Was denn?!“, zischte er mutig und mit aufgesetztem Trotz, der seine Schwestern überraschte. Semliya traf das nicht ernsthaft, der hob nur kurz eine Braue. „Du hast dir den richtigen Augenblick ausgesucht, um Abfall zu speien, kleiner Nichtsnutz. Aber wir... ich merke mir jedes deiner Worte... es wird wieder zurück kommen, verlasse dich darauf. Also halte deine Zunge lieber etwas fest... wir haben uns vor nicht all zu langer Zeit überlegt, dass wir ja einmal versuchen könnten, sie dir zu tätowieren, das wäre sicher... hübsch.“ Er erhob sich wieder und trottete langsam zu seinem Zwilling zurück, der sich zeitgleich erschöpft aufrichtete und sich den langsam in lustigen Farben leuchtenden Hals rieb. Sie schenkten sich einen kurzen Blick, als der Unverletzte sich wieder hinsetzte und Novaya sich wie selbstverständlich wieder an ihn kuschelte wie ein kleines Kind an seine Mutter, wenn es Schutz wollte. Iradu legte etwas enttäuscht den Kopf schief und Ranisin senkte seinen wieder, versuchend, sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Niray blinzelte und setzte sich gerade auf, als sie ihre Mutter erstickt schreien hörten. Calyri hatte das schon so oft erlebt, sie machte sich keine Sorgen mehr... zumindest keine, die sie wirklich fertig gemacht hätten, etwas nervös war sie natürlich schon. Aber auch zuversichtlich, denn ihre Mutter war gut im Kinder bekommen und hatte nicht einmal bei der schwierigen Zwillingsgeburt ernsthafte Probleme gehabt. „Keine Sorge.“, seufzte sie so leise, als sich auch Novaya plötzlich aufsetzte, offenbar aus irgendwelchen Gründen erwacht. Semliya musterte ihn, ohne dass man ihm einen einzigen Gedanken ansehen konnte, wie er sich abermals über den Hals rieb, auf dem sich die Hände des Magiers in Form von Blutergüssen abzeichneten. „Au.“, kam dann intelligent. „Au.“, erwiderte der Zwilling stirnrunzelnd und rieb seinem Bruder ebenfalls kurz über den Hals, bis dieser augenscheinlich keinen Bedarf mehr hatte und sich umsah. Vermutlich hatte er noch nicht viel von dem Zwischenlager mitbekommen... „Das Kind kommt.“, stellte er dann fest, als die Mutter abermals schrie. Calyri nickte ihm zu. „Ja. Und Vater hält mit den anderen Männern Rat. Wie geht es dir?“ Und dann war alles wie vorher, als sich die Mienen der Gleichaltrigen wieder einander anpassten und beide ihre Brauen etwas senkten. „Wunderbar.“, zischte Novaya. „Siehst du doch, Weib.“, ergänzte Semliya und beide erhoben sich, Ranisin einen vernichtenden Blick zuwerfend. Ihre Schwester verdrehte die Augen. „Eigentlich soll ich auf euch aufpassen, aber da ihr ja eh nicht auf mich hört, könntet ihr mir wenigstens sagen, wohin ihr geht, damit ich euch im Notfall finde.“ Niray kauerte sich etwas zusammen, als der Wind einige kleine Wolken aufziehen ließ und die Mutter ein weiteres Mal aufschrie. Wo waren nur alle anderen...? „Nicht weit weg.“, erklärte Semliya knapp und Novaya fügte an: „Kinashi bekommt doch ihr Kind. Das wollen wir doch nicht verpassen...“ Das wollte ihr Vater ebenso wenig, aber er dachte im Traum nicht daran, die wichtige Versammlung zu verlassen. Auch das Zelt des Häuptlings war nur notdürftig errichtet und müsste für die Nacht unbedingt noch ausgebessert werden; so hatte man nur auf die Schnelle einen Ort errichtet, an dem sich die Männer des Stammes ungestört beraten konnten. Und zu beraten gab es an sich einiges, auch wenn das Zusammenfinden zunächst doch etwas kindisch wirkte, als Moconi überdramatisch auf seinen besten Freund Karem zeigte und ihn beschuldigte, abermals an allem Schuld zu sein. „Du hast die beiden hier angeschleppt, niemand wollte die hier haben! Ich verstehe bis jetzt nicht, was du dir dabei gedacht hast... wolltest du damit unsere nicht vorhandene Überlegenheit demonstrieren?!“ Der Mann zischte, sichtlich verärgert. Wenn das so weiter ging, gab man ihm demnächst auch noch die Schuld an schlechtem Wetter oder ausbleibendem Wild – obwohl, letzteres war sogar bereits geschehen. Ich glaube, sein törichtes Verhalten hat die Götter verärgert, Sanan hat so unsicher gewirkt. Wenn wir nicht auf Wild stoßen, kennen wir den Verantwortlichen... Karem ballte die Hände zu Fäusten, dass seine Knöchel hell hervor traten. Nicht einmal direkt in sein Gesicht gesagt hatte man es ihm, aber das hatte Tecos nutzlosem jüngeren Bruder Tinash auch in keinster Weise zugestanden. Er hatte es eines Abends am kleinen Feuer seiner Familie zu Wort gebracht und sein Vater Porit hatte ihm stumm zugenickt; Karem hatte es mehr zufällig mitbekommen. Er schielte kurz zu dem jungen Mann, der ihn hinter seinem Rücken, so fand er, beleidigt hatte. Neuerdings durfte er trotz seines geringen Alters und seiner bescheidenen Jagderfolge an den Versammlungen teilnehmen – er ersetzte seinen Bruder. Immerhin war er nicht ganz so großmäulig, aber er stand bei Jorus Vater trotzdem unter einem sehr schlechten Stern. „Wir sind doch überlegen!“, verteidigte er sich so, „Dherac hat diese Missgeburt schließlich mit Leichtigkeit töten können, was will man denn mehr?“ „Es hätte nicht sein müssen.“, stellte der Genannte sich auf des Häuptlings Seite, „Was denkst du, wie das bei denen ankommen wird, wenn das nächste Mal einer von ihnen hier auftaucht? Die sind uns so überlegen wie wir den Impalas; es ist zwar nicht unbedingt ein Leichtes, eines zu erlegen, aber definitiv machbar.“ Noch ehe Karem etwas erwidern konnte, sprach Porit weiter. „Der Tod des Jungen war doch sinnlos, Dheracs gestörte Zwillinge – verzeih mir, mein Freund – haben den Kerl doch gereizt bis auf das Äußerste, jeder hätte so reagiert. Und weißt du, was das Schlimmste ist? Es sind magische Wesen, diese Bestien sind dem Himmel viel näher als wir es je sein werden. Vielleicht wissen sie, was geschehen ist? Und was ist mit Kili? Und Teco? Ich denke, ihre Rache kann grausam sein...“ Moconi erschauderte vor Gram und schnappte nach Luft bei dem Gedanken an seine geliebte Schwester. Kili war keine geeignete Frau gewesen, denn obgleich sie bildschön war, war sie eigensinnig und stur und verstand sich auf kaum ein Handwerk wirklich gut, doch sie war das einzige Geschwisterkind, das dem Häuptling verblieben war, und er liebte sie von ganzem Herzen. Früher einmal hatten sie einen Bruder gehabt, aber der war krank geworden und gestorben, noch ehe sie ihn wirklich gern hätten haben können – wäre dies nicht geschehen, so wäre der an diesem Tage an Moconis Stelle gewesen, da war dieser sich sicher. Tinash hatte ihm unterdessen beschwichtigend eine Hand auf die Schulter gelegt und nach einem Blick in dessen beruhigend lächelndes Gesicht atmete das junge Stammesoberhaupt gezwungen gefasst einmal tief ein und wieder aus. Sein Gegenüber hatte verstanden, dass es nichts mehr brachte, irgendetwas zu entgegnen, es starrte ihn nur noch aus verengten Augenschlitzen an, innerlich kochend vor Wut über diese weitere Bloßstellung vor allen wichtigen Mitgliedern ihrer Gemeinschaft. Karem war ein guter Freund Saltecs gewesen, kam dessen Sohn mit einem Mal in den Sinn – was er hier in seinem Wahn aus Wut und Verzweiflung tat, war systematisches seelisches Hinrichten, langsam verlor wirklich jeder den Respekt vor dem mutigen Jäger, dabei war er einst ganz vorn gewesen. Das hätte sein Vater nicht gewollt... Moconi senkte kurz den Blick. Aber irgendwer musste die Schuld tragen, wer, wenn nicht Karem? Wenn nicht einer zu seinen Fehlern stand, würden die Götter den ganzen Stamm bestrafen... aber wer nahm diese Schmach schon freiwillig auf sich? Er zögerte. „Dherac.“, kam dann, „Porit sprach klug, Karem hätte in dem Moment, indem er zu seiner sinnlosen Reise aufbrach, niemals ahnen können, was an diesem Tage geschehen würde – Karem, verzeih mir bitte.“ Er neigte leicht den Kopf vor dem Älteren, der darauf bloß geräuschvoll Luft durch die Zähne blies und sich stolz zu seiner vollen Größe aufrichtete. So war es recht, der kleine Spinner hatte es scheinbar endlich erkannt. Tinash schenkte er ein flüchtiges, aber triumphierendes Grinsen, was der sehr junge Mann nicht wirklich verstand und bloß verwirrt errötete, kurz zu dem Häuptling schielend. „Ich ahne es ja, jetzt bin ich wohl dran.“, schnappte Dherac da und riss so auch die Aufmerksamkeit auf sich, „Bevor du weitersprichst, Sohn von Saltec, will ich dich daran erinnern, was du zu mir gesagt hast, als wir gemeinsam vor dem kleinen Monster standen...“ Er machte eine kurze Spannungspause, in der einzig Karem nicht bei der Sache war, weil er sich fragte, weshalb Tinash sich so höchst verlegen hinter Moconi versteckte und es nicht einmal mehr wagte, auch nur in seine Richtung zu sehen. Calyris Vater fuhr fort. „Mache mit ihm, was du für richtig hältst. Und ich hielt für richtig, was jeder Vater in dieser Situation für richtig halten sollte – Moconi, Rache hin oder her, dieses Monster hätte beinahe meinen Sohn getötet!“ Ein Raunen ging durch das Zelt. Der Häuptling hatte keine Gelegenheit, etwas zu erwidern, da sprach bereits ein anderer Mann. „Hast du, Dherac, schon einmal daran gedacht, dass dein Sohn vielleicht selbst daran Schuld war?“ „Besonders bei den Zwillingen kommt es doch auf den einen nicht an!“, stimmte ein anderer ihm zu und der Vater zischte empört und hätte sich beinahe auf die beiden gestürzt, wenn Porit und Karem, die ihm am nächsten waren, ihn nicht im letzten Moment gepackt und zurück gehalten hätten. „Reiß dich zusammen!“, schnaubte das Stammesoberhaupt an den ärgerlichen Mann gewandt, schielte dann aber auch zu dem verlegenen Tinash, „Du auch, hör auf, deine Hände in meiner Kleidung zu verstecken, du... Irrer.“ Einige der Anwesenden hüstelten, doch Moconi ließ ihnen nicht viel Zeit dazu, sich weitere Gedanken zu machen. „Weitsicht ist etwas wichtiges, Dhreac, aber das muss ich dir wohl nicht erklären. Du bist ein guter Mann, ich weiß das...“, er senkte den Blick etwas, „Ich habe noch keine Kinder, ich kann nicht nachvollziehen, was du gedacht hast, als Novaya da am Boden lag und fast gestorben wäre... und ich glaube, ich möchte es auch nicht wirklich wissen. Letztendlich hatte er aber auch selbst Schuld. Ich glaube, wir sollten uns so wie so noch einmal über die Zwillinge unterhalten... aber nicht jetzt.“ „Nicht jetzt, ja.“, stimmte der erboste Mann zähneknirschend zu und riss sich gewaltsam los, griff die anderen beiden jedoch nicht an, „Meine ach so bösen Söhne...“ Der Häuptling seufzte. Er war so sauer, aber das musste nun sein... „In dem Falle, dass dem Stamm etwas zustößt, wirst du für deine... Schuld einstehen?“ „Wirst du es?!“, zischte Dhreac zurück und der Jüngere nickte, „Dann werde ich es auch.“ Semliya war fasziniert, auf eine angenehme Art und Weise. Dieser Tag war hart für ihn gewesen und hatte in ihm Ängste hervorgerufen, die er bis dahin nicht gekannt hatte. Und mit denen er nie wieder Bekanntschaft machen wollte. Nun stand er so da, ein wenig abseits der Zelte, und konnte nicht verhindern, dass seine Atmung begann, schneller zu gehen als normal, während er wortlos beobachtete, was vor seinen ungewöhnlich hellen Augen vorging. Novaya seufzte leise, den Kopf etwas in den Nacken lehnend, während Mefasa seinen angeschlagenen Hals über und über mit Küssen bedeckte – und es waren nicht die Küsse einer liebevollen Mutter. Das hätte der Junge dann auch sehr seltsam gefunden, vermutlich noch seltsamer als die Tatsache, dass sie das überhaupt tat, während sie mit der einen Hand durch sein Haar und mit der anderen über seinen Rücken strich. Ihr Baby, das sie in einer Bauchbinde trug, gluckste fröhlich. „Das tut gut...“, raunte der Zwilling mit dem malträtierten Hals, ebenfalls die Hände hebend und forschend um die hübsche Frau schlingend. Semliya schluckte. Zusehen reichte nicht... Er trat hinter seine Verlobte und umschlang ihre Taille, sich seinerseits durch den Vorhang an leuchtend rotem Haar bis zu ihrem Nacken küssend. Was sie hier taten, war absolut verboten... aber das war so vieles und es hatte die Jungs bisher noch nie gestört. Ihre gesamte Existenz war doch verboten, was sollte es also schon? Und in diesem Falle würde man die Schuld ausnahmsweise einmal nicht auf sie schieben, das wussten beide und das wusste Mefasa, denn Moconi hasste sie. Die Frau ließ von dem Hals ab und richtete sich leise seufzend auf, sich aus den Umklammerungen sanft lösend, aber nicht den Körperkontakt abbrechend; sie nahm beide bei der Hand und führte sie mit sich... Teco hatte das Gefühl, sich schämen zu müssen, aus allerlei Gründen. Zunächst einmal hatte er kein Bedürfnis, seinen Stamm zu finden – aber immerhin genügend Pflichtbewusstsein, um es dennoch zu versuchen. Allein in der Wildnis war es unsicher... hier gab es zwar bis auf die übergroßen Echsen mit den Monsterzähnen, die in dem kleinen Fluss geschwommen waren, keine größeren Raubtiere, die ihnen hätten gefährlich werden können, aber dafür jede Menge kleinere Übel. Der junge Mann hatte das Gebiet Giftland genannt, denn nirgendwo gab es so viele giftige Pflanzen und Pilze, vor denen er seine Begleiterin ständig retten musste, und aggressive Insekten, durch deren Stiche ganze Körperteile anschwollen wie hier. So führte er die junge Magierin tapfer weiter gen Norden – und das war der nächste Punkt, Alaji. Er sah sie als eine Frau, mit der er sich vergnügen konnte, mit einem liebenswürdigen Charakter, bemüht um ihn als Mann an ihrer Seite. Aber so einfach war das nicht – sie gehörte zum grausamen Volke der Kalenao, es war eine gewaltige Schande und eine unglaubliche Beleidigung gegen alle menschlichen Frauen, was er mit seiner Begleiterin so teilte, und passte wahrlich nicht zu so einem grandiosen Krieger, wie er es war. Und es nagte an ihm und seinem Selbstbewusstsein – zu wissen, dass man einen Fehler beging und trotzdem unfähig zu sein, etwas dagegen zu tun war wahrlich ein Fluch. Während er so nachdachte, dabei auf seine Füße starrend, bemerkte er nicht, dass Alaji plötzlich neben ihm zum Halten kam. „Teco!“ Er blinzelte. Was war los? Er folgte ihrem Fingerzeig geradeaus, wo man im Licht der Sonne das Glitzern von einer gewaltigen Menge Wasser erkennen konnte. Er pfiff durch die Zähne. Der große Strom... Die dank Shiran gar nicht so unverhoffte Erlaubnis, das Zimmer zu verlassen, war Kili nur zu Gute gekommen – das Dorf an diesem frühen Abend anzusehen war wahrlich interessant. Nicht, dass sie es vorher jemals richtig hätte ansehen können, weshalb es ohnehin interessant war, aber augenscheinlich wurde irgendetwas gefeiert. Man hatte ein großes Feuer auf dem Dorfplatz errichtet, um das einige Magier nun tanzten, während viele andere drum herum standen und im Takt der seltsamen Gesänge mitklatschten. Sie erkannte alles nur schemenhaft – ihr Haus war offenbar ein gutes Stück außerhalb – als sie überrascht wurde und vor Schreck beinahe die Klippe herab gestürzt wäre, die sich einige Fuß vor dem Eingang ihres momentanen Heims erstreckte. Sie schrie auf und kam ins Taumeln, konnte sich aber noch einmal halten und keuchte erschrocken auf bei dem Anblick der sehr schlecht gelaunt wirkenden Nadeshda, die plötzlich einfach um die Ecke gekommen war und in das Gebäude hatte humpeln wollen. Nun hielt sie sich, augenscheinlich etwas irritiert, am hölzernen Türrahmen fest, die Jüngere skeptisch musternd. „Muss... diese Frau ihr Name schreien damit weiß dass kommt und nicht runterspringt Berg?“, schnappte sie dann, eine Braue hebend und kurz leicht schwankend. Kili kicherte unbeholfen. „Bana che, Nadeshda.“, begann sie zunächst höflich, sich komplett zu der unglaublich kleinen Magierin wendend, dem Dorf den Rücken kehrend, „Nein... harc, natürlich nicht, ich... habe geträumt. Was feiert man da? Darf ich mitmachen? Ist Mahrran denn da?!“ Die Blauhaarige zischte über die ziemlich gute Laune der einstigen Gefangenen, die nun viel mehr das geliebte Spielzeug ihres Bruders geworden war. Oh ja, ihr Bruder – der einzige, der ihr helfen konnte, aber davon ahnte die Menschenfrau nichts. „Wird eine Mädchen zu Frau da.“, erklärte die Magierin dennoch gnädig, kurz das Gesicht über den flammenden Schmerz in ihren Beinen verziehend, „Wird... geehrt da. Macht Mahrran zu Frau sie ei... eigent... äh... sonst.“ Sie grinste ein eigenartiges Grinsen, die spitzen Zähne entblößend wie ein Raubtier vor seiner Beute. Kili erschauderte, versuchte sich jedoch nichts anmerken zu lassen. „Will Mahrran aber... nur noch seltsame Frau... seine. Macht Shiran so... werat Etay!“ Sie wandte sich schlecht gelaunt ab, die Tür mit der heimlich letzten Kraft, die sie an diesem Tag besaß, aufschiebend, als sie merkte, dass ihre Beine sie nicht mehr viel länger tragen würden. „Diese Frau... lacht Bruder aus... wenn bekommt Kili... ein Baby... diese Frau nicht sollte... lachen.“ Damit verschwand sie und ließ die Jüngere allein, die ihr irritiert nachsah, sich schließlich aber wieder abwandte und weiter dem Treiben im Dorf folgte. Ernsthaft geantwortet hatte die Kleine ihr nun nicht wirklich, stellte sie fest, als die See ihr einen sanften, salzigen Wind entgegen blies und ein paar der weißen Seevögel über ihr kreischten. Es war kein schönes Geräusch, aber die junge Frau mochte den Klang, weil er ihr in der vergangenen Zeit, die sie hier verbracht hatte, gezeigt hatte, dass es außerhalb von Mahrrans Zimmer noch Leben gab. Nun konnte sie die gefiederten Tiere sogar ansehen, wie sie so unendlich frei weit über ihrem Kopf kreisten. Und dennoch hoffte sie, dass ihr Entführer bald zurückkäme... oder dass Nadeshda sich mit ihr unterhielte. Kein so seltsam angehauchtes Gespräch wie das vorangegangene, nein, einfach nur ein kleiner Tratsch unter Frauen. In Kili zog sich etwas zusammen. Ihr fehlte die menschliche Nähe so sehr... Als einige Augenblicke später noch immer nichts von dem halbblinden Mann zu sehen war, wandte sie sich ab und betrat das Haus, das so lange ihr Gefängnis gewesen war. „Nadeshda?“ Im Lager war man verwirrt. Alle waren verwirrt und Dherac war sauer – das war er ohnehin noch gewesen, aber nun war er es noch mehr. Während vor seinem Zelt der Stamm so vor sich hin tuschelte, hockte er eingeengt mit seinen Kindern, mit Ausnahme der Zwillinge, am Schlaflager seiner Frau Kinashi, die ihre kleine Tochter in den Armen hielt und zum ersten Mal säugte. Es war ein kräftiges Baby. Tanest, die unter anderen bei der Geburt der Kleinen geholfen hatte, musterte das Kind mit in Falten gelegter Stirn. „Sprich!“, zischte der Mann da zu der erschöpften Vielfachmutter, „Mit wem hast du mich hintergangen, Kinashi?!“ „Mit niemandem!“, schnaubte diese darauf säuerlich und Calyri hob unbeholfen beide Brauen, nicht wissend, wem sie Glauben schenken sollte. Tanest mischte sich ein, obwohl es ihr nicht ernsthaft zustand – allerdings bekam sie mehr Gehör als alle anderen in dem Moment bekommen hätten. „Das Kind hat das Gesicht aller deiner Kinder, Dherac! Nicht die Farben, das stimmt... aber hat überhaupt irgendwer hier solches Haar? Oder solche Haut?!“ Der Vater musterte das Baby knurrend, den weißblonden, kaum zu erkennenden Haarflaum, die ebenso helle Haut und das Gesicht, das tatsächlich stark an das seiner älteren Kinder erinnerte. „Die Götter spielen komische Spiele... sie schenken uns gern seltsame Kinder...“, stellte Kinashi seufzend fest, dem Säugling jedoch wohlgesonnen streichelnd. Es war doch ein gutes Mädchen, es würde zu einer starken, hübschen Frau werden... „Vielleicht wird sie ja erst später dunkler?“, Niray legte den Kopf leicht schief. Jetzt war sie in Sicherheit, sollten die Wolkendämonen doch kommen. Mama und Papa konnten sie beschützen. „Habt ihr nicht einmal gesagt, als ich ein Baby gewesen bin, bin ich auch heller gewesen?“ Kinashi lächelte leicht. Niray war doch noch klein... „Aber nicht so hell. Das sehe ich zum ersten Mal, um ehrlich zu sein.“ Und wieder lagen alle Blicke auf dem Neugeborenen, das unbeeindruckt nuckelte und sich so gar keine Gedanken um seinen viel zu hellen Teint machte. Was in diesem Moment niemand so genau bedachte war die Tatsache, dass das Mädchen in seinem späteren Leben einige Probleme mit der intensiven Sonneneinstrahlung haben würde – ändern hätte es ohnehin niemand können. Die Gedanken der Anwesenden wurden unterbrochen, als es am Zelteingang raschelte und mit einem Mal die Zwillinge hinein schlüpften und sich dazu quetschten. Die beiden Jungen waren erschöpft und hochrot angelaufenen, als alle Blicke auf ihnen lagen. Novaya räusperte sich. „Entschuldigt, wir... wir waren noch beschäftigt. Es... tut uns Leid, das kleine Geschwisterchen nicht sofort begrüßt zu haben, Mutter.“ „Alles in Ordnung bei euch beiden?“, fügte Semliya an und strich sich seufzend durch sein dunkles Haar. Scheinbar waren beide gerannt... Dherac pfiff durch die Zähne, den Blick von seinen ältesten Söhnen abwendend. „Ihr macht so wie so nur Ärger!“, warf er ihnen vor und seine Frau schlug die Lider nieder, „Seht euch eure Schwester an und sagt, was ihr denkt.“ Offenbar tatsächlich von so etwas wie einem schlechten Gewissen geplagt beugten sich beide Jungen artig nach vorn, um das kleine Baby zu mustern. Calyri bemerkte verwundert, wie sich ihre Augen weiteten bei dem Anblick des hellen Kindes. Nicht, dass das seltsam gewesen wäre... zumindest nicht bei allen anderen, aber das waren Novaya und Semliya. „Was sagt ihr?“, seufzte Kinashi, während ihre jüngste Tochter im selben Moment von ihr abließ und die ebenso extrem hellblauen Augen schwerfällig öffnete, um kurz die beiden großen Brüder zu mustern und sich dann der Erschöpfung hinzugeben. Die Mutter quiekte überrascht, als Semliya ihr den Säugling mit einem Mal aus den Armen nahm, extrem zärtlich, und sowohl er als auch sein Zwilling ihn mit strahlenden Augen betrachteten. „Sie ist wunderschön!“, stieß Novaya da hingebungsvoll aus und sein Bruder ergänzte: „Eine schneeweiße kleine Göttin.“ Das Baby ließ sich nicht beirren, auch nicht von der darauf äußerst dümmlich drein schauenden Gesellschaft um es herum. In Semliyas Armen lag es sich vermutlich genau so gut. Calyri legte den Kopf unterdessen leicht schief. Sie fand den Anblick ebenso abstrus wie auch rührend – nie hatten sich die Zwillinge für eines ihrer Geschwister begeistern können, dass ausgerechnet dieses seltsame kleine Mädchen ihre Herzen erweichte, erfreute die junge Frau. Sie wollte das Beste für ihre Familie... vielleicht brachte diese Zuneigung ja mehr Einheit? „Wie heißt sie?“, kam dann von einem der beiden und ihre ältere Schwester hüstelte überrascht; in Gedanken versunken hatte sie sie gar nicht unterscheiden können. Semliya wiegte den Säugling unterdessen liebevoll. Novaya war es, der aufsah und dann weitersprach. „Können wir sie Morny nennen? Der Name ist doch wundervoll.“ „Bitte.“, unterstützte sein Bruder und Kinashi blinzelte irritierter denn je. Es stand den Geschwistern nicht einmal im Ansatz zu, sich einen Namen für das Kind auszudenken... das hätten die Zwillinge eigentlich wissen sollen. Dherac, der ohnehin gereizt war, zog seine Konsequenzen, indem er Novaya in sein Gesicht schlug; der Junge zeigte bis auf ein kurzes Zucken keine weitere Reaktion darauf, in Semliyas Blick schlich sich dagegen etwas wütendes, als er seinen Vater ansah. „Dass ihr euch überhaupt wagt...! Ach, ihr macht nur Ärger, ich sollte euch verstoßen!“ Iradu erhob darauf überraschend schüchtern die Stimme; Ranisin fragte sich unterdessen, wie man so dämlich sein konnte. „Aber... ich finde den Namen auch schön... klingt doch hübsch?“ Er sah sich unbeholfen um und Niray verzog kurz das Gesicht über den offensichtlichen Unsinn. Dherac fuhr bereits grantig zu dem kleinen Jungen herum, ehe Calyri ihr Glück letztendlich ebenso versuchte. Ihre Worte entsprachen nicht der Wahrheit, aber sie musste die Jüngeren doch schützen als ihre Schwester... „Ich mag ihn auch! Seltsame Sitten für das seltsame Mädchen – Mutter, was sagst du?“ Kinashi mustere ihr Baby, das noch immer in den Armen seines ältesten Bruders lag, ehe sie für ihre Tochter zu ihrem Mann sprach – die junge Frau durfte zwar Dinge in den Raum werfen, aber niemals in diesem Ton zu einem Mann, ihrem Vater schon zwei Mal nicht, sprechen. Selbst die Mutter bewegte sich in unklarem Gebiet, aber besser sie als ihr ältestes Kind. Oder Tanest, der dazu ebenfalls noch etwas eingefallen wäre, die aber schlau genug war, sich heraus zu halten. „Ich finde, Morny ist ein schöner Name, die Kinder haben recht. Ich würde sie gern so nennen... was denkst du, mein Mann? Wie soll Moconi es dem Stamm vorstellen?“ Dherac zischte, dann erhob er sich schwerfällig in dem engen Zelt und drängte sich etwas ungestüm zum Ausgang. „Hier nimmt mich doch ohnehin niemand mehr ernst!“, grummelte er, als er beinahe draußen war, „Entmündigt von Kindern und Frau – macht doch, was ihr wollt, mich braucht ihr ja scheinbar nicht, ihr Unwürdigen!“ Teco seinerseits wusste nicht, ob er sich freuen oder – was viel logischer klang – in Verzweiflung ertrinken sollte. Ertrinken war ein gutes Stichwort, als er den Blick über den breiten Strom schweifen ließ, der in gewaltiger Geschwindigkeit an ihm vorbei rauschte. Das andere Ufer war kaum zu erkennen, so weit weg lag es – dabei war der Fluss noch gar nicht so weit von seiner Quelle entfernt... oder doch? Er wusste nicht genau, wie lange sie gegangen waren... eigentlich war er nicht schlecht darin, Entfernungen einzuschätzen, aber in diesem Land kannte er sich nicht aus und er musste sich eingestehen, dass Alaji ihn in dem ein oder anderen Moment auch etwas ablenkte... Letztere riss ihn auch dieses Mal aus seinen Gedanken, als sie neben ihm zu sprechen begann. Er verstand sie natürlich nicht, schenkte ihr aber den Respekt, sie dabei trotzdem anzusehen und versuchte währenddessen, aus ihrem Gesicht zu lesen, was sie wohl meinte. Es gelang ihm selten... aber sie war hübsch... Die blumige Farbe ihrer Augen hielt ihn davon ab, verstehen zu wollen, was sie mit ihrer Gestik bezweckte – und sie bemerkte nicht ernsthaft, dass er nicht bei der Sache war, so schloss sie ihre Rede lächelnd ab, drehte sich um und ging weiter, an dem Fluss entlang. Der Mann, nun aus seiner Starre gerissen, hüstelte. Aufmerksamkeit, ja. Natürlich würde er ihr nicht zeigen, dass er nicht auf das, was sie ihm hatte mitteilen wollen, geachtet hatte, dachte er sich, während er ihr unauffällig folgte, bemüht um eine Idee, wie sie es auf die andere Seite schaffen konnten. Die andere Seite des großen Stromes... wenn sie dort angelangten, war es nicht mehr schwer. Teco kannte sein Land, seinen Stamm und die Spuren, die er hinterließ; es würde nicht schwer sein, ihn zu finden. Und wenn er erst einmal wieder da war, würde es wieder so sein wie früher; zumindest wäre es zu hoffen, möglicherweise hatte man ihn ja auch schon vergessen und ersetzt... Tinash. Er erschauderte bei dem Gedanken daran, dass sein jüngerer Bruder ihn im Rat der Jäger vertrat... er hatte nichts gegen seinen Bruder. Sie waren von klein auf grundverschieden gewesen und hatten nie viel miteinander anzufangen gewusst, aber sie waren immer gut miteinander ausgekommen. Aber ihn mit Tinash zu ersetzen passte ihm nicht in den Kram; er war viel besser als Tinash! Wie auch immer es war, er würde seinen rechtmäßigen Platz schon wieder zurückerlangen, das wusste er. Es musste einfach so sein nach all seinen Strapazen... hoffentlich nahmen sie ihn mit seinem halb verkrüppelten Bein überhaupt noch ernst. Er erschauderte, als ein leichter Wind in seinem Rücken ihm unter die Weste fuhr. Er kam aus den Bergen... Alaji war ein viel größeres Problem. Wie hätte er es verantworten können, sie seinem Stamm einfach zu überlassen? Nein, das ging nicht mehr. Er verabscheute sich in gewisser Weise dafür, sie nicht mehr als einfache Gefangene ansehen zu können, seit sie als Frau unter ihm gelegen hatte; gleichermaßen abstrus kam es ihm vor, sie überhaupt als Gefangene ansehen zu wollen. Sie waren ein Stamm von Jägern, nicht von Kriegern – was hatte Karem da nur angestellt, dass er seine Weltanschauung so verdreht hatte? Ihm fiel auf, dass er viel verpasst haben musste. Vielleicht war Karem gar nicht mehr? Moconi hätte, so sehr Teco seinen Cousin auch verachtete, Recht daran getan, ihn wie Joru auszustoßen. Was wohl aus Joru geworden war? Alaji sprach abermals, stehen bleibend und die Hände in die Hüften stemmend. Den Fluss visierte sie etwas säuerlich an, dann deutete sie auf das entfernte andere Ufer und schimpfte darüber, vermutlich, weil es so weit fort war. Ihr Begleiter hatte keine Ahnung, was sie vorhatte – letztendlich kam ihm dann aber dieselbe Idee wie auch ihr; einfach dem Lauf folgen und nach einer flachen Stelle suchen, an der man das Gewässer durchqueren konnte. Er fasste sie am Arm und zog sie sanft weiter, sie verschmitzt angrinsend, weil er seine Idee so intelligent fand. „Hat deine Mutter die Geburt gut überstanden?“ Calyri schreckte aus ihren Gedanken. Die Sonne war beinahe untergegangen und die junge Frau hatte sich etwas von dem provisorischen Lager entfernt, um nach Feuerholz zu suchen. Sie hatte bemerkt, dass hier in der Nähe viel herum lag, was sich gut zum Verbrennen eignete; sie hatten zwar auch immer vorrätig etwas mit, aber wenn man schon eine gute Stelle fand, sollte man es auch ausnutzen. Leider war sie etwas spät dran, was es ein wenig gefährlich machen konnte, allein den Stamm hinter sich zu lassen, aber den Nachmittag hatte sie nun einmal damit verbracht, für ihre jüngeren Geschwister zu sorgen und hatte dabei nicht so weit gedacht, dass es ganz sinnvoll wäre, etwas von dem Holz zu sammeln. Ihr Vater war nicht da, er war später mit den Zwillingen irgendwohin verschwunden und eigentlich war es ihr auch ganz recht; sie konnte weder die schlechte Laune Dheracs noch den abartigen Charakter der beiden Jungen gut gebrauchen. Sie hatte gewartet, bis ihre Mutter eingeschlafen war, dann war sie gegangen und hatte die übrigen Kinder Ranisin überlassen – der war zuverlässig und würde sie auch nicht verraten. An sich war es einer Frau schließlich verboten, ohne den Schutz eines Mannes das Lager zu verlassen – so war sie umso erschrockener, als plötzlich eine bekannte Stimme hinter ihr erklang. Sie wandte sich errötend um. „Moconi!“ Er stand da wie jeder andere Jäger in seinem Alter; bloß bekleidet mit einer einfachen ledernen Hose sah man ihm nicht an, dass er der Häuptling war. „Ich... ja, alles gut. Mein Vater nimmt das Mädchen an... morgen musst du entscheiden, ob du das auch willst.“ Sie blinzelte ihn verschüchtert an. So lange hatte er sich nicht mehr um sie geschert – hatte er etwa endlich eingesehen, dass es keinen Sinn hatte, länger auf Teco zu warten? Er kam etwas auf sie zu und bückte sich, ehe er ebenfalls begann, im Gras nach trockenem Gehölz zu suchen. „Gibt es etwa einen Grund, weshalb ich deine Schwester nicht annehmen sollte?“ Er sah sie nicht an, als sie sich ebenso wieder herab beugte und ihre Arbeit fortsetzte. Obwohl sie sich seit ihrer frühesten Kindheit kannten, machte er sie nervös. „Ich weiß nicht...“, gab sie zu, „Sie sieht seltsam aus, aber ist gesund. Sie ist ganz weiß.“ „Ihr Aussehen soll sie nicht am Leben hindern...“, er hielt inne und suchte endlich ihren Blick, „Du bist töricht, Calyri, wie kannst du zu dieser Zeit allein das Lager verlassen?“ Sie schmollte schuldbewusst. Ja, darauf hatte sie gewartet. „Ich kenne mich aus, ich hätte ein Raubtier bemerkt, wenn eines in der Nähe gewesen wäre...“ Er schnaubte, die aufgesammelten Stöcke neben sich ablegend und sich ihr endgültig zuwendend. Er hatte zugesehen, wie sie das Lager verlassen hatte... er war sehr besorgt gewesen, dabei hatte er sich doch eigentlich noch mit Porit treffen und beraten wollen. Er mochte seinen Onkel, es tat ihm Leid, ihn versetzt haben zu müssen. „Ja, und was nützt es, ein Raubtier zu bemerken? Wenn ich umzingelt von Löwinnen bin, bemerke ich das auch, aber ich werde trotzdem sterben!“ Sie legte ihr Holz ebenfalls ab, zerknirscht die Brauen senkend über seinen Tadel. Na, so fing das aber gar nicht gut an... ihr fiel etwas auf. „Und wie magst du mich beschützen? Du hast nicht einmal einen Speer dabei...“ Er errötete ertappt. Moment, Speer? Die lagen allesamt friedlich in seinem Zelt und warteten auf Benutzung, wie peinlich. Genau das war der Grund, weshalb er sich seit Ewigkeiten schon als ungeeignet für einen Häuptling hielt... er war doch viel zu verstreut. Er hatte seine Kindheitsfreundin gesehen und war ihr einfach blindlings gefolgt, wie dumm. „Eben, aus diesem Grund sollten wir schnell wieder zurückkehren!“ Er erhob sich und sie tat es ihm gleich, hielt ihn allerdings zunächst davon ab, sich nach dem gesammelten Brennholz zu bücken, indem sie ihn am Arm fasste, was ihr an sich nicht zustand. Sie musterte ihn unwillkürlich... er war so ein hübscher Mann. Schlank und stark und obwohl er es vermutlich nicht einmal wollte mit einem solchen Stolz in der Haltung, dass es bei ihr Herzrasen verursachte. Sie musste es endlich aussprechen. „Worauf wartest du?“, fragte sie ihn direkt, „Teco ist ewig weg! Er wird nicht wieder kommen und du kommst langsam wirklich in ein Alter, in dem ein Mann eine Frau braucht! Bin ich dir nicht gut genug?!“ Sie war hochrot angelaufen. Er senkte den Blick etwas, dann schnaubte er, ebenfalls mit einem unverkennbaren Rotschimmer auf dem gebräunten Gesicht. „Deine Zunge sitzt ganz schön locker, dafür, dass du nur ein junges Weib bist...“ „Ich darf das!“, behauptete sie trotzig und deutete auf die Krähenfeder an ihrem Ohr, offensichtlich etwas ärgerlich. Er verstand sie ja... er seufzte. „Es ist schwierig...“, begann er, sich dabei am Kopf kratzend und sein Haar noch mehr zerzausend als es ohnehin schon war, „Teco ist weg... ja. Aber das hat es noch schwieriger gemacht, ich meine, wie sieht denn das aus? Ich warte, dass er bei Seite geschafft ist, um mich über seine Braut herzumachen? Als Häuptling darf man sich auch nicht alles erlauben. Außerdem möchte ich Porit nicht verärgern... der übrigens auf mich wartet.“ Er sah sich verlegen um und bemerkte, dass die letzten Strahlen, die die Sonne ihnen an diesem Tag geschickt hatte, verschwunden waren. Sie sollten ernsthaft zurück... Calyri stampfte keuchend auf. „Teco! Immer nur Teco! Und ich? Ich wollte Teco nie, aber du hast mich einfach an ihn abgeschoben, nur damit der Stamm denkt, Ach, was haben wir einen rücksichtsvollen Häuptling, Saltecs Sohn ist wirklich ein guter Kerl, wir sollten uns alle ein Beispiel an ihm nehmen!, aber weißt du was, du bist in Wahrheit ganz furchtbar, weil du nur an dich denkst, nur an dein Ansehen! Einst waren wir Freunde, aber ich bin dir mittlerweile vollkommen egal! Und so jemandem wie dir renne ich nach, dabei hat mir meine Mutter den Stolz einer Frau eigentlich vererbt!“ Sie keuchte und fragte sich einen Augenblick, was sie da gerade angerichtet hatte. Ihr Mundwerk war viel zu groß gewesen... dafür hätte er sie gern ausstoßen können, das wäre sein Recht gewesen, oder sie einfach zu töten; sie zu erwürgen oder mit einem dicken Stück Holz zu erschlagen. Als sie ihm in die Augen sah, wusste sie jedoch, dass es nicht geschehen würde. Er war so stolz und trotzdem wehrlos wie ein Kind... „Ja.“, erwiderte er nur leise, „Da hast du wohl recht. Genau so wird es sein, immerhin verstehst du mein Motiv...“ Sie keuchte, ehe sie sich unbeholfen selbst durch das lange, braune Haar strich. Das konnte nicht sein Ernst sein...! „DU bist der Häuptling, setze dich doch über Teco hinweg, nimm dir, was du willst, du kannst tun, was du willst, mach es doch einfach, du machst dir dein Leben nur unnötig schwer! Nimm mich doch einfach zu deiner Frau! Oder eine andere, damit ich weiß, dass ich nicht mehr hoffen muss, aber tu doch etwas!“ Ja, sie war wahrlich Kinashis Tochter, sie konnte sich behaupten, wenn sie wollte. Und sie hatte Recht – und es ärgerte sie, dass er es wusste und nichts dagegen tat. Er senkte die Brauen, dann hob er das Brennholz auf und wandte sich ab. „Das widerspricht meiner Natur, Calyri. Ich will dich, aber ich will damit niemanden verärgern.“ Ihr wurde heiß und kalt gleichzeitig. Er wollte sie? Er wollte sie! „Ich nehme dich an, nimm meine Hand, niemand wird verärgert sein und wenn doch, es ist egal, du bist der Häuptling!“ Er blickte über die Schulter wieder zu ihr, wie sie ihm ihre Hand bereitwillig entgegenstreckte, und beinahe hätte er es getan, er hätte danach gegriffen und es damit besiegelt. Und dann sah er sie vor seinem inneren Auge, die Blicke, die Verachtung... sie würden ihn stürzen, wenn er einen Fehler beging, Teco war beliebt, obwohl er ein sehr großes Mundwerk hatte. Und seine eigene Familie verriet man schon zwei Mal nicht... „Lass das, Calyri.“, bat er so ruhig, „Es geht nicht.“ Moconi war überrascht, wie wütend die junge Frau, die er schon so lange kannte und mochte, werden konnte, als sie ihre riesigen Antilopenaugen zu schmalen Schlitzen verengt hatte und die Hand wieder sinken ließ. „Du bist kein Häuptling, du bist abgrundtief bedauerlich, du kleines Kind.“ Ihr eigenes Holz vollkommen vergessend schritt sie erhobenen Hauptes an ihm vorbei, wieder zurück in Richtung Lager. Sie wollte nichts mehr hören... sie wollte heulen. „Ich weiß, dass ich ein Versager bin!“, rief er ihr mit zitternder Stimme nach, „Danke, aber ich habe es mir nicht ausgesucht!“ ----------------------------------------- Nach langer Zeit mal ein neues Kapi, yai, ich kann weiter schreiben. ♥ Moconi und Calyri sind ja soooh Drama, ey... XD Ich liebe Naya und Semmi 33 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)