Jumays Kinder von -Izumi- (Part 1: Kinder der Erde - Land des Anfangs) ================================================================================ Kapitel 3: Nacht ---------------- Ein leichter Dunst lag über der morgendlichen Savanne. Einige Vögel zwitscherten ein unheilvolles Lied, so erschien es dem jungen Häuptling, als er zu ihnen an den durch den Sonnenaufgang violett erscheinenden Himmel sah. Es würde ein schwerer Tag werden, er grämte sich vor dem, was gleich geschehen müsste. Ein leichter Windhauch brachte Schritte mit sich, die im mittelhohen Gras leise raschelten. Moconi war etwas abseits des Lagers... wie es die Tradition verlangte. Denn auch an diesem Morgen war die Sonne dabei, wieder aufzugehen... sie bestärkte den Mann in seinem Handeln, jeden Tag aufs Neue. Und dennoch... „Bist du dir deiner Entscheidung sicher?“ Er sah zu Karem auf, der neben ihn getreten war. Sein Sohn Joru hatte etwas weiter hinten inne gehalten. Er zitterte, obwohl die Temperaturen mild waren... und er war müde nach der schlaflosen Nacht unter seinem schweren Gepäck. Er hatte es sich nicht selbst zusammengestellt... das hatte er nicht gedurft. Im Sinne der Ahnen durften Ausgestoßene nichts mitnehmen, was andere Stammesmitglieder ihnen nicht ausdrücklich geschenkt hatten. Scheinbar traf sein Schicksal auf großes Mitleid, doch wirklich etwas davon hatte er ja nicht... „Vollkommen.“, erwiderte sein Vater da emotionslos, „Eine solche Schande verdient keine... gutmütige Chance. Er muss verschwinden, ich will ihn nicht mehr sehen.“ Moconi senkte sein Haupt minimal, als sein Nebenmann die Arme schnaubend vor der Brust verschränkte. Was er nun tat, war nicht ganz sein Recht, aber... „Karem... er ist dein erster Sohn. Bist du...?!“ „Bin ich!“, der Ältere zischte und einen Augenblick lang war der Häuptling sich nicht sicher, ob er geschlagen werde würde, als sein Gegenüber sich ihm grob zuwandte. Das war grausam... „Tu nun endlich deine Pflicht!Es ist schließlich... Tradition!“ Damit drehte er sich um und verschwand. An sein Kind verlor er kein einziges weiteres Wort mehr, nicht einmal einen Blick schenkte er ihm... In Moconi zog sich etwas zusammen, als er zu dem noch immer Jungen schritt und seufzend vor ihm inne hielt. „Es ist soweit...“ „Spare dir deine Worte, Häuptling.“ Joru bedachte ihn eines seltsamen Blickes. Sein Gegenüber erkannte in seinem Gesicht nichts, womit es gerechnet hätte. Weder Trauer noch Angst, nicht einmal Wut... es war pure Resignation. Das Stammesoberhaupt war jung, es tat ihm weh, tatsächlich so etwas zuzulassen. Aber er musste... es musste sein. „Nun gut, dann...“ „Lass es!“, der Jüngere schnaubte kurz, „Höre mir bloß zu, ein letztes Mal.“ Moconi nickte. Mit einem Mal wirkte der ansonsten schwächliche, weinerliche Kerl so dermaßen erwachsen, dass der Häuptling ihm sich auf gewisse Weise unterlegen fühlte. Er zog leise die Morgenluft durch die Zähne ein, als er nickte. Joru senkte sein Haupt leicht... „Die Geschichte, wie Rhik sein Leben verlor... die habe ich mir nicht ausgedacht. Ehrlich nicht. Spätestens jetzt hätte ich da ja nichts mehr von. Also...“, er sah wieder auf, eindringlicher denn je, „Diese elenden Missgeburten sind über den kompletten Pass gerannt, bis sie unser Land gesehen haben und... sie schienen nicht abgeneigt. Ich habe mich etwas oberhalb versteckt... sie waren völlig euphorisch und... dann sind sie umgekehrt. Ich habe ein schlechtes Gefühl... ich glaube, da kommt noch etwas auf uns... euch zu. Pass auf deinen Stamm auf! Und... ich danke dir für dein Angebot, das mein Vater abgelehnt hat...“ Ohne eine Reaktion abzuwarten schritt er an seinem Gegenüber vorbei in den Sonnenaufgang, ließ ihm keine Chance, die Worte des Abschiedes ordnungsgemäß sprechen zu lassen. „Wir wissen, dass wir an sich noch nichts an diesem Feuer zu suchen haben...“ „Und wir wollen auch nicht stören...“ „Aber wir hatten Sehnsucht nach dir!“ „Und du verstehst uns kein Wort...“ Die Zwillinge Novaya und Semilya seufzten synchron, als Mefasa dumm zwischen beiden her sah. Sie säugte gerade ihren kleinen Sohn, den sie noch von Rhik hatte und die beiden Jungen hatte es einfach überkommen, zu ihr zu gehen. „An sich ist es doch perfekt, dass wir sie zu zweit genommen haben, nicht wahr? Dann können wir später wenigstens miteinander reden und werden es nicht verlernen...“ Novaya setzte sich neben die Rothaarige und sah zu seinem Bruder auf, der es ihm nun auf der anderen Seite gleich tat. „Wohl wahr.“, er musterte die Ältere, wie sie verwirrt lächelte und ihr noch immer trinkendes Baby leicht wiegte, „Sie hat schöne Brüste, oder?“ Der Jüngere grinste amüsiert über die Gedanken seines Zwillings. „Das ist richtig...“, einen Moment zögerte er, dann wagte er sich, sie anzufassen. Mefasa blinzelte bei der ungeübten, neugierigen Berührung und der andere Junge legte interessiert den Kopf schief. „Ha?“ Semliya lächelte ihr errötend ins Gesicht und nach einigen Sekunden erwiderte sie es und kicherte dann amüsiert, ihn gewähren lassend. „Sie war eine gute Wahl, glaube ich.“ Novaya nickte zufrieden. „Also echt!“ Die Zwillinge zuckten unter der empörten Stimme ihrer älteren Schwester zusammen, als dieser auf die Feuerstelle zutrampelte und Semliya zog seine Hand wieder zurück. Mefasa seufzte leise. „Ihr seid echt unverschämt! Mutter schickt nach euch, sie sorgt sich, dass ihr zu dieser Zeit schon weg seid und wo finde ich euch? Bei dieser armen Frau!“ „Ja, diese Frau, die bald unsere Frau sein wird.“, schnappte der jüngste Bruder errötend und der Andere ergänzte, „Um die wir uns so bald wie möglich anständig kümmern wollen!“ Calyri schüttelte verständnislos den Kopf, während ihre taube Freundin sich unbeeindruckt mit ihrem Sohn in ihre Hütte zurückzog, vermutlich, um ihn frisch zu machen. „Ich weiß ja nicht, was unseren traditionsbewussten Häuptling dazu getrieben hat, das zuzulassen, aber noch seid ihr zwölf und auch wenn ihr beinahe so ausseht noch längst keine Männer! Sie hat gestern erst von Rhiks Tod erfahren, da kannst du sie doch heute noch nicht anfassen, Semliya, das ist unsensibel!“ Der Angesprochene erhob sich, finster auf die ältere Schwester hinabsehend. Sie mischte sich zu sehr ein, immer tat sie das. Dabei war sie selbst eine reine Versagerin, so lange er denken konnte... schaffte es nicht einmal, dass ein Mann zu ihr ans Feuer kam und um sie bat, lachhaft! Für seinen Geschmack war sie aber auch etwas hässlich, wen wunderte es da bei dem momentanen Angebot an besseren Frauen im Stamm... „Törichte Gans!“, nannte er sie, „Ich wäre sicher nicht vor allen Leuten während sie ihr Kind stillt über sie hergefallen!“ „Das gehörte zum Kennenlernen...“, bestätigte Novaya, der sich nun ebenso feindselig erhob. Die Schwester schüttelte nur den Kopf. Warum waren Männer auch nur so töricht? Sie musste unbedingt auf die arme Mefasa einreden, dass sie diese beiden Idioten wieder von ihrem Feuer vertrieb, sonst würde sie in ihrem Leben nie wieder auch nur eine einzige ruhige Minute haben... „Kennenlernen! Nur weil ihr keine Möglichkeit habt, etwas über ihren Charakter zu erfahren, könnt ihr das doch nicht durch... Fummeln ersetzen! Abartig ist das!“ „Abartig bist nur du, alte Frau, die noch immer auf Vaters Verderb lebt, weil kein Mann sie will!“, schnarrte der Ältere der Jungen verächtlich und spuckte vor ihr auf den Boden, „Du hast kein Recht, dich in unser Leben einzumischen!“ „Also verschwinde!“ Semliya hatte miteingestimmt und sie unsanft einen Schritt zurück gestoßen. Sie starrte nur entsetzt. Moconi hatte Recht. Zwillinge, die das selbe Antlitz teilten, konnten keine guten Menschen sein. Irgendetwas böses verbarg sich in den Beiden, das nur sie selbst kannten. Je ältere die Jungen wurden, desto mehr fürchtete sie es... Sie wandte den Blick bitter ab. „Tut euch einfach den Gefallen und... seid wenigstens gut zu ihr...“ Dann rannte sie weg. Als sie das Lager verließ, rannte sie Moconi buchstäblich in die Arme. Die Entwicklung ihrer Familie hatte sie verletzt, die Tatsache, ihren eigenen Brüdern nicht trauen zu können war schmerzlich und so hatte sie mit zusammengekniffenen Augen versucht die Tränen zurückzuhalten, um wenigstens eine starke Frau zu sein, als sie in ihren Häuptling hineingerannt war, der sie überrascht aufgefangen hatte. „Nicht so stürmisch!“ , belehrte er sie etwas überrumpelt, als er sie wieder los gelassen hatte und sie drehte beschämt ihr Gesicht weg. Calyri musste kurz nachdenken, ehe ihr einfiel, von wo er zu dieser Zeit kam. Ja... sie wusste es wieder. „Du hast Joru verabschiedet, nicht?“, lenkte sie von sich ab und er pfiff durch die Zähne. Und da hatte er selbst auf etwas Ablenkung gehofft... einen Moment lange senkte auch er sein Haupt. In der Zeit, in der er Häuptling war, war das bisher nie vorgekommen. Obgleich er sehr an Traditionen hing, hatte er Probleme noch immer anders gelöst – jemanden auszustoßen glich einem Todesurteil, so etwas war gar nicht in Frage gekommen. Ja, bisher hatte es immer eine Möglichkeit gegeben, die weder die Ahnen verärgert, noch den Betroffenen gefährdet hatte. Und das hätte es auch dieses Mal, wenn Karem nicht gewesen wäre... Karem. Moment, warum hatte er auf ihn gehört? „Nein!“ Die Jüngere schrie vor Schreck kurz auf, als er sie am Handgelenk packte und mit sich zog, zurück, in die Richtung, aus der er gekommen war. Vielleicht hatte er Glück. Vielleicht fand er ihn wieder in diesem weiten Land... er würde ihn finden! Er war das Oberhaupt des Stammes, nicht Karem! „Ich werde manipuliert!“, erklärte er Calyri im Rennen, die ihn dabei nur entsetzt anstarrte, „Das ist doch unnötig! Das geht verdammt noch mal anders! Niemand aus diesem Stamm soll sterben, bloß weil es ein kaltherziger Mann so will!“ Er erwartete nicht ernsthaft, dass sie verstand, wovon er sprach, er hatte es nur loswerden wollen. Und wieder einmal überraschte sie ihn mit ungewöhnlichem Scharfsinn, denn nach einigen Sekunden wusste sie, was in ihm vermutlich vorging. Die Federn verbinden uns doch...! „Karem ist eifersüchtig, das musst du ihm nachsehen!“, riet sie ihm und er stoppt abrupt und starrte sie mit einem Blick an, der sie zusammenzucken ließ. Eine kalte Schauer überkam sie passend mit einem Windstoß. „Ich werde es niemandem nachsehen, wenn er sein Kind aus einem nichtigen Grund tötet, Frau!“ Dann ließ er sie los und rannte weiter. Sie würde ihm von selbst folgen. Das tat sie. Das tat sie eine ganze Weile und je mehr sie dank der immer weiter voranschreitenden Erschöpfung nach Atem rang, desto klarer wurde ihr, dass ihr Häuptling kaum mehr als ein Kind sein konnte. Ein Mann musste zu seinem Wort stehen... er durfte er bereuen, aber doch nicht seinen Stamm Ewigkeiten allein lassen, um den vermeintlichen Fehler wieder rückgängig zu machen und so auch noch Menschen zu beschämen! Sie visierte seinen Rücken vor sich. Immer weiter rannte er in das weite Grasland, rief nach dem ausgestoßenen Jungen und schien sein törichtes Verhalten überhaupt nicht zu bemerken. Ob er überhaupt noch an seine Begleiterin dachte? Sie hielt inne und rang nach Luft, als ein starkes Schwindelgefühl sie überkam. „Moconi! Warte!“ Damit hatte sie tatsächlich mehr Tiere aufgescheucht als der Ältere ohnehin schon, der langsam zum Stehen kam und irritiert und mittlerweile ebenso außer Atem zu ihr blickte, dabei fast von irgendeiner verirrten und erschrockenen Antilope niedergerannt werdend. Wenn sie sein Handeln jetzt anzweifelte, beschämte sie ihn... aber er war unvernünftig! Müde stapfte sie ihm nach, bis sie seufzend wieder vor ihm zum stehen kam. „Wir müssen uns beeilen!“, schnappte er, „Hältst du denn auch deine Augen offen?“ Calyri strich sich ernüchtert ein paar Strähnen aus dem Gesicht. „Aber ja doch.“, beruhigte sie ihn, „Aber ich denke, wir müssen zurück! Ich glaube nicht, dass wir ihn noch finden, so weit wie wir jetzt sind, ist er bestimmt nicht gerannt, ich...“ Sie senkte ihr Haupt wieder. Er tat es ihr gleich, als er ihre Gedanken erriet. „Du glaubst, er hätte keine bekannte Strecke genommen, sondern es auf die Gefahr abgesehen... damit er es hinter sich hat?“ Einen Moment waren nur die über ihnen kreisenden Vögel und das Rauschen des Windes im Gras zu hören, dann stöhnte er gequält und setzte sich wo er war auf den Boden. Sie erwies ihm immerhin die Ehre, es ihm gleich zu tun, damit sie ihn nicht überragte. „Ich habe mich hinreißen lassen!“, klagte er, „Aber Karem hat mir Ärger bereitet!“ Er schüttelte den Kopf und strich sich durch das wirre braune Haar. In diesem Augenblick sah er tatsächlich aus wie ein kleiner, hilfloser Junge. „Was verlange ich schon? Das Achten der Traditionen und Gerechtigkeit, ist das ernsthaft zu viel? Oder sind einfach alle darauf aus, mir das Leben schwer zu machen, mich zu erniedrigen in meinen kaum vorhandenen Fähigkeiten?! Ach Calyri...“ Sie zögerte, als er sich einfach zurück fallen ließ und im Gras landete. Wie lange war es her? Wie viel Zeit war vergangen, dass sie als Kinder so nebeneinander gelegen, einfach nur den Wolken zugesehen hatten, wie sie über sie hinweg gezogen waren? Und nun, nach so langer Zeit, wo sie einmal wieder die Gelegenheit dazu gehabt hätten, fühlte sich Moconi so mies... Ihre Kindheit war eindeutig zu schnell verstrichen... und wieder einmal verstand sie ihre jüngeren Zwillingsbrüder nicht... wie konnten sie sich denn so früh für eine Frau entscheiden? So viel Verantwortung in ihrem zarten Alter auf sich nehmen? Es war ihr unbegreiflich... „Joru... hat gesagt, es seien Kalenao gewesen...“, riss ihr Häuptling sie da aus ihren Gedanken und sie krabbelte etwas auf ihn zu, um ihn besser ansehen zu können. Ja, davon hatte sie auch schon mitbekommen. „Das glaube ich aber nicht.“, gab sie zu, „Er hat an einem einzigen Tag so viel gesprochen wie die alten Frauen in einem Mond, das habe ich nie sonderlich ernst genommen...“ Soweit sie zurückdenken konnte, war Joru durchgehend ein komischer Kauz gewesen. Ein Angeber, Angsthase und Nichtskönner, niemand, den man wirklich gern haben konnte, so fand sie. Aber Moconi hatte schon Recht, dass man ihn ausstieß hatte er wirklich nicht verdient... Der Ältere schüttelte den Kopf. „Ich glaube, er hat die Wahrheit gesprochen. Er hat es mir heute morgen noch einmal gesagt... ich habe keine Lüge erkannt.“ Er schloss die Augen einen Moment und das Mädchen blinzelte. Wie... er glaubte ihm? Calyri selbst war sich Zeit ihres Lebens nicht einmal sicher gewesen, ob es die Kalenao, von denen man ab und an abends am Feuer zu hören bekam, überhaupt wirklich gab. Das Land am großen Wasser, wo sie angeblich lebten, war viel zu weit entfernt, um in der Gedankenwelt der jungen Frau Platz zu finden und Magier selbst hatte sie noch nie gesehen, und an solche Dinge konnte sie ohnehin nur schwer glauben. Eine Ausnahme bildete da der Glaube an ihre Götter, aber dass die da waren, war ja klar; wer sonst hätte die Welt erschaffen können? Und die Monde? Die Sonne? Die Sterne? Nein, die gab es natürlich, aber es fiel ihr schwer, sich Wesen vorzustellen, die Menschen überlegen waren. Das behauptete man zumindest... aber wie konnte es etwas ... besseres geben als den Menschen? Ihre Gattung war intelligent und kreativ, mehr war doch kaum möglich! Magie... nein, daran glaubte sie nicht. „Du sagst gar nichts mehr.“, riss der Ältere sie aus ihren Gedanken, „Dir kommt es immer noch komisch vor, denke ich... ja, mir auch.“ Moconi öffnete seine dunklen Augen wieder und starrte den Himmel an. Ein wunderschöner Morgen... vereinzelte Schönwetterwolken kündigten einen herrlichen Tag an. Er fühlte sich Joru gegenüber schuldig... hatte er sich seine seltsamen Worte deshalb so zu Herzen genommen? Da vermisste er seinen Vater wieder... „Vielleicht sollte man dem nachgehen.“, er schielte zu Calyri, die leise vor sich hin murmelte, während sie ihre Knie anstarrte, „Vielleicht... findet sich ja noch etwas von Rhik... dann würde man sicher erkennen, was ihn getötet hat! Falls wir bald aufbrechen, sonst ist wohl nicht mehr viel über von dem Armen...“ Ohnehin fand die junge Frau es sehr schlimm, einen so guten Mann so unwürdig der Natur und den Windgeistern zu überlassen... das würde ihn sicher selbst zu einem von letzteren werden lassen! Nein, wenn es nach ihr ging, musste man das, was von Rhik übrig war, unbedingt einsammeln und zum Land der Ruhe an den großen Fluss bringen, den heiligen Flecken Erde, wo alle ihre Ahnen ihre Körper zurück gelassen hatten, um in eine neue Welt aufzusteigen. Nur dort konnte man ihm die Ehre erweisen, die ihm auch zustand... Ihre Pläne wurden jäh unterbrochen, als Moconi sich empört aufsetzte. Beinahe hätte sie gekichert beim Anblick seiner Haare, die nun noch mehr von seinem Kopf abstanden als zuvor und voller Gras hingen, aber sein etwas säuerlicher Blick unterband es unverzüglich. „Sag mal, Calyri, wie alt bist du?“ „Vierzehn.“, war die artige Antwort und er fuhr sich einmal durchs Gesicht und dann durchs Haar, worauf Pflanzenreste und etwas Erde darauf rieselten. Wieder hätte sie beinahe gegluckst, aber er seufzte nur resigniert. „Du bist längst eine Frau. Du kennst unsere Geschichte sehr wohl... wir dürfen nicht in die Berge, wenn nicht zufällig ein Junge seine Prüfung hat... und im Moment ist außer Joru – der ja nun weg ist – keiner so alt wie du jetzt.“ Die Jüngere legte den Kopf schief. So alt wie sie? Aber dann... „Dann lass mich die Prüfung doch machen!“ Sie strahlte ihn an und er fiel vor Schreck glatt wieder rückwärts um. Sie?! „Aber mein Vater hat dich doch schon zu einer erwachsenen Frau gemacht!“, widersprach er verständnislos und Calyri ballte ihre Hände zu Fäusten. Sie taten etwas weh, sie hatte in den letzten Tagen viel gearbeitet... „Du hättest Joru auch mit dem Mädchen-Ritual erwachsen gemacht, warum also nicht auch umgekehrt?“ Der Häuptling schüttelte nur den Kopf, als er sich wieder aufsetzte. Sie schien ihm nicht wirklich zu lauschen, ebenso wie alle anderen im Lager. Hatte er nicht einen Moment zuvor noch angemerkt, dass sie durch das Ritual, das sein Vater ihr gegeben hatte, längst eine erwachsene Frau war? Noch erwachsener als erwachsen konnte man nicht werden, Himmel... „Das ist eine unsinnige Zeitverschwendung.“, tat er es dann ab und erhob sich wieder, sie tat es ihm gleich, „Es... wäre wieder etwas, das gegen unsere Traditionen verstößt.“ Er stapfte bereits los, wieder in die Richtung, aus der sie gekommen waren, als die Jüngere ihn noch einmal zurück hielt. „Moconi... wenn die Sonne eines Tages... nicht mehr scheinen würde... würdest du die Traditionen dann brechen?“ Sie merkte, wie er sich ihr noch einmal zuwandte. Einige Augenblicke schwieg er, während ein leichter Wind aufkam und sich das Gras darin wog. „Behutsam.“, antwortete er dann, „Behutsam würde ich es wagen... wenn es sich denn alle so furchtbar wünschen...“ „Und du sitzt hier und hast nichts zu tun.“ Teco schnaubte, als er Sanan allein gegen einen Stein gelehnt dösend fand. Der war auch so ein Kandidat... der Gleichaltrige fragte sich gelegentlich, woran es lag, dass er noch allein war. War er am Ende auch in...? Himmel, irgendwann schlugen sich noch einmal alle gegenseitig tot der Frauen Willens. Der Schwarzhaarige blinzelte unterdessen erschrocken und schaute sich erst einen Moment doof um, ehe er etwas erwiderte. „Oh... ja... aber es ist ja auch noch früher morgen! Dann schlafe ich gelegentlich auch gern außerhalb der Hütte noch etwas... ja...“ Er rappelte sich auf und klopfte sich den Sand von der Hose. Teco zischte nur. „Wir brechen das Lager wohl ab.“, erklärte er, „Ich denke mal, du willst nicht allein mit deinen Habseligkeiten hier bleiben, oder?“ All zu viele waren das ja nicht, seit er nicht mehr in der Hütte seiner Ziehfamilie lebte. Sanan war ein zierlicher Mann, der zierlichste im ganzen Stamm, sein Rücken war schmal und seine Arme, egal, wie sehr man sie durch Belastung zu trainieren versuchte, immer noch recht schwächlich, er musste sich auf das Nötigste beschränken, um weite Wege überhaupt zu schaffen. Ob die Leute aus dem fremden Stamm am Horizont ihn deshalb ausgesetzt hatten? Vielleicht hatte sein Vater erkannt, dass er ein schwächliches Baby gewesen war und ihn deshalb aussetzen lassen... etwas besseres fiel Teco jedenfalls nicht ein. „Nein, natürlich nicht... ähm...“, Sanan legte den Kopf schief. Da war doch etwas falsch, „Wer sagt denn, dass wir es abbrechen?“ Moconi beriet sich immer mit ihm, ehe sie weiter zogen. Der junge Mann hatte ein gewisses Gespür dafür, wann es gut war, in welche Richtung weiter zu ziehen... sie hatten noch immer genügend zu essen gehabt. Bereits Saltec hatte immer ihn um Rat gebeten, wenn das Wild in der Umgebung knapp geworden war und er war sich als kleiner Junge immer unheimlich wichtig vorgekommen, weil er so ein guter Fährtenleser war. So hatte er natürlich auch immer mit als erster gewusst, wann es weiter ging, dass jemand ihm hatte Bescheid sagen müssen, hatte er selten erlebt. „Karem!“, bekam er da zur Antwort und er stutzte, als Teco sich unbeeindruckt von ihm abwandte, „Er hat eine gute Stelle gefunden, meint er, weiter östlich in der Nähe des Flusses.“ Er wollte schon weg gehen, um seiner eigenen Familie beim Abbau zu helfen, da hielt der Gleichaltrige ihn empört noch einmal auf. „An den Fluss? Im Osten?! Das ist Irrsinn, das ist gefährlich, da sind wir noch nie gewesen!“ „Eben darum.“ Sie drehten synchron ihre Köpfe in die Richtung, aus der Karems Stimme gekommen war. Der Mann trat erhobenen Hauptes aus dem Schatten einer Erdhütte hervor und wirkte unheimlich seriös in seiner besten Kleidung. Sogar sein rot-blondes Haar war ordentlich gekämmt... das war nicht typisch. „Du bist nicht... genial, Sanan, kleiner Junge. Du bist nur schlau genug, uns immer zur selben Zeit im Jahr in die selben Richtungen zu schicken... du kennst die Tiere eben gut... zumindest manche.“ Er trat etwas näher und grinste breit. „Dabei entgeht uns so viel gutes Fleisch, das ist eine Schande.“ „Hast du das eigentlich mit Moconi abgeklärt?“ Nicht, dass Teco sein Cousin nicht vollkommen egal gewesen wäre, aber irgendwie traute er diesem komischen Kerl nicht. Er hatte seinen eigenen Sohn aus dem Stamm verstoßen, das war doch traurig... so etwas hätte Porit nie getan. Und dessen Kind war wirklich vorlaut... Joru war das zwar auch gewesen, aber in den Augen aller amüsanter als Teco. Das war nun nicht mehr. Er misstraute diesem Mann; mehr denn je, als er ein seltsames, zähnefletschendes Grinsen zeigte. Karems Zähne waren überraschend gut erhalten und hell für das Alter des Mannes, ein klares Zeichen der Stärke. Und Schönheit, nebenbei, den Frauen gefielen hübsche Gebisse anscheinend... „Moconi ist nicht da.“, kam dann die Antwort, „Er ist nicht zurückgekehrt, nachdem er Joru verabschieden hat sollen... vielleicht ist er mit ihm gezogen, wer weiß es schon? Vielleicht mag er zurückkehren... aber so lange muss der Stamm geführt werden. Wir werden aufbrechen.“ Damit wandte er sich wieder ab und ließ die Jüngeren stehen. „Das ist tödlich.“ Sanan schüttelte verwirrt den Kopf. Dabei wehte sein dunkles Haar amüsant im Wind. Genial war er vielleicht nicht, er machte auch Fehler, aber er brachte den Stamm niemals in Gefahr, nur um die eigene Neugierde zu stillen! Karem konnte Saltecs Sohn nicht würdig vertreten. Moconi mochte zwar etwas seltsam sein mit seiner Versessenheit auf Traditionen, aber wo er Recht hatte, hatte er Recht; da war schon etwas gutes dran. Er vertraute ihm. „Und wenn es da wirklich gutes Fleisch gibt?“, überlegte Teco da laut und der Andere schnaubte nur. „Gutes Fleisch? Was findest du an unserem Fleisch denn schlecht? Das Land da unten in schlecht, da gibt es besten Falls Ziegen oder Kamele...“ Gut, das hatten sie hier nicht oft, aber gut geschmeckt hatte es Sanan ohnehin noch nie. Nein, er war vollkommen dagegen... und zwei Mal, wenn sie ihren Häuptling zurücklassen sollten! „Was sagt eigentlich Kili dazu?“ Teco zuckte nur mit den Schultern. Ihm war es egal, wo sie lebten und jagten, Hauptsache, er hatte genug zu essen. Lust mit diesem komischen Kerl zu diskutieren deswegen hatte er überhaupt nicht... wobei es so lange nicht hatte helfen müssen, die Hütte abzubauen, das war wohl auch etwas. Vielleicht sollte er doch etwas Interesse zeigen... „Wenn du möchtest, können wir sie ja fragen.“ Sanan war dankbar für diesen unerwarteten Vorschlag gewesen und wie er es erwartet hatte, war die junge Frau allerschlechtester Laune. Und das nicht einmal wegen Karem selbst... „Es ist eine Frechheit!“, schimpfte sie und die beiden Männer, die im Eingang der Häuptlingshütte standen, warfen sich vielsagende Blicke zu, während die Jüngere ihre Rückentrage bereit machte, „Wo bei Himmel und Göttern ist mein Bruder?! Jetzt muss ich alles allein zusammenpacken! Bah! Dabei bin ich nicht einmal eine richtige Frau!“ Teco hob eine Braue. „Ich dachte, er hätte dich schon zu einer gemacht?“ Das war zwar noch nicht all zu lange her, aber der Cousin glaubte sich noch an die kleine Feierlichkeit zu erinnern. Außerdem sah Kili auch schon sehr erwachsen aus, stellte er fest, als er seinen Blick über ihre sehr deutlichen Kurven schweifen ließ. Natürlich war sie eine Frau! „Ich habe aber noch keinen Mann, also bin ich noch nicht richtig erwachsen!“, sie wickelte grob ein paar Vorräte ein, „Starr mich nicht so an! Wenn du mich willst, halt um meine Hand an!“ Solch eine Klappe konnte sich auch nicht jede leisten – genau genommen auch nur die kleine Schwester des Häuptlings. Der Angesprochene errötete ertappt und Sanan verkniff sich ein Kichern, als Kili sich ihnen zuwandte. „Ich kann dich haben wann ich will und so oft ich will... und wozu ich will! Das ist nämlich auch Tradition, so lange du nicht in festen Händen bist... und ich glaube, darauf komme ich demnächst auch zurück als Strafe für dein freches Mundwerk!“ Er fuhr sich vor Verlegenheit ganz nervös wieder und wieder durch sein rot-braunes Haar, bis es beinahe so weg stand wie das von Moconi. Dessen Schwester erhob sich nun und trat vor ihre Besucher, Teco absichtlich etwas tiefere Einblicke gewährend, als es sonst für sie üblich war. Sie hatte einen schönen, üppigen Busen, stellte er verärgert fest. „Tu es ruhig.“, erwiderte sie, ihn eines düsteren Blickes bedenkend, „Ich habe damit keine Probleme.“ Sanan räusperte sich. Es gab Gespräche, denen er nicht unbedingt beiwohnen wollte... außerdem hatten sie ohnehin andere Probleme. Oder zumindest war er der Meinung, dass sie Probleme hatten. „Findest du es denn in Ordnung, dass Karem einfach so über unsere Köpfe – über Moconis Kopf – hinweg entscheidet? Ich meine... ich finde das ehrlich gesagt nicht besonders gut...“ Kili kam nicht zum antworten. „Ich... finde das auch nicht gut.“ Die junge Frau hob eine Braue und ihre Gäste drehten sich um, um ihrem Häuptling, der nun vor seiner Hütte stand, anzusehen. In seinem Haar hing Gras und er war etwas verstaubt, aber völlig gesund und munter, so schien es. Hinter ihm stand Calyri und musterte ihn beunruhigt. „Warum werden die Hütten abgebaut? Was geht hier vor?!“ Sein Blick galt besonders Sanan, der zunächst gar nicht verstand, weshalb. Teco klärte es auf. „Karem meinte, es wäre ganz sinnvoll, das Lager abzubrechen, weil das Wild am abziehen ist. Er wollte in den Süd-Osten.“ Es war nicht verwunderlich, dass Moconis Gesichtszüge ihm entgleisten. Karem... schon lange war er in gewisser Weise ein heimlicher Widersacher des jungen Mannes, aber nie hatte er es so offen gezeigt... und noch schlimmer, warum nahm der Stamm ihn an der Stelle des Oberhauptes ernst, wenn er einmal für kurze Zeit abhanden war? Das war erniedrigend! „Wir waren nie im Süd-Osten!“, fuhr er Sanan erschreckend laut an und packte den zierlichen Kerl am Fellkragen, worauf dieser geschockt aufkeuchte. Erst langsam dämmerte es ihm, was sein Häuptling dazu veranlasste, ausgerechnet ihn als Verantwortlichen zu sehen... „Er hat mich nicht gefragt!“, schnappte er entsetzt, „Er hat mir nicht einmal Bescheid gesagt, dass wir aufbrechen wollen! Ich habe ihn auch abbringen wollen, aber es war ihm gleich!“ „Ach!“ Der Ältere stieß ihn grob von sich, sodass er sein Gleichgewicht verlor und vor Kilis Füßen auf dem Hintern landete. Letztere zog die Stirn in Falten... sie mochte es nicht, wenn ihr Bruder so wütend war, aber sie konnte ihn durchaus verstehen. Karem war unverschämt, dabei hatte er sich damals mit ihrem Vater sehr gut verstanden. Sie glaubte sich sogar daran zu erinnern, dass er, Saltec und Rhik als Jungen Erzählungen nach gute Freunde gewesen waren. Demnach entehrte er seinen verstorbenen Häuptling mit seinem respektlosem Verhalten dessen Sohn gegenüber... Moconi sollte ihn bestrafen! Nun fuhr er zunächst aber seinen Cousin an. „Und warum hört ihr auf diesen Narren?! Warum wartet ihr nicht wenigstens, bis ich wieder hier bin?! Was sagt denn Porit dazu?! Ihr Untreuen!“ Porit, der jüngere Bruder Saltecs, war eigentlich ein guter Mann... zumindest hatte sein Neffe das immer gedacht, genau so wie er bisher immer stolz auf seinen etwas barbarischen, aber loyalen Stamm gewesen war. Teco fauchte nur. „Er fand die Idee in Ordnung! Wenn du einfach verschwindest ohne uns zu sagen, wohin, solltest du dich nicht wundern!“ „Aber das waren doch nur wenige Stunden!“, fiel Calyri ihm empört ins Wort und stemmte die Hände in die Hüften. Er schielte sie nur kurz an. Er wollte gar nicht wissen, was die beiden in diesen wenigen Stunden so getrieben hatten... „Mir scheint es so, als würde der nur darauf warten, dass ich hinter den nächsten Felsen zum pinkeln verschwinde, um mir den Rang zu stehlen, ich sollte ihn ausstoßen wie seinen armen Sohn! Dieser Hornochse, dem werde ich sein schönes Gebiss zertrümmern!“ Er drehte sich um, worauf ein paar trockene Grashalme von ihm abfielen und seine Schwester setze ihm augenblicklich nach und hielt ihn zunächst einmal mühevoll fest, ehe auch ihr Cousin ihr zur Hilfe kam. „Tu nichts unüberlegtes!“, riet sie ihm, während Sanan sich m Hintergrund verwirrt wieder aufrappelte. „Du lässt dich von deinem Zorn leiten!“, stimmte Teco mit ein, während er ihn weiter hielt, „Du bist wegen vieler Kleinigkeiten sauer auf Karem! Du würdest ihn heftiger bestrafen, als er es für den Moment verdient!“ Er hatte Recht. Moconi war kein Mann, der lange in Rage bleiben konnte... zumindest nicht wegen so etwas. Doch einfach auf sich sitzen ließ er diese Erniedrigung nicht, erst recht nicht, wenn er nicht einmal den Grund kannte, weshalb das Lager abgebrochen werden sollte. Das hätte noch Zeit gehabt. Und dann hätte man zu den Jagdgründen gehen können, die Sanan immer zuverlässig empfahl, das hätte sich zumindest etwas sicherer angefühlt... So war es natürlich selbstverständlich, dass er Karem auf sein inakzeptables Handeln ansprach. Entgegen seiner Hoffnung fand er ihn mitten im regen Treiben wieder, wo jeder ihnen zuhören konnte. Wobei, was machte er sich denn für Gedanken? Er war doch der Häuptling, er musste sich nicht verteidigen, er hatte schließlich nichts getan. Karem pfiff leise durch die Zähne, als er seinen Häuptling vor sich sah. Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn ihm etwas geschehen wäre... vielleicht hätte er ihm auch folgen sollen. Nein, das war nicht sein Niveau. „Willkommen zurück.“, schnarrte er so nur, ohne es ernst zu meinen, als Moconi sich vor ihm aufbaute wie eine Gewitterwolke. Sein jugendliches Gesicht ließ ihn gegenüber dem erwachsenen Mann jedoch nicht sonderlich angsteinflößend aussehen, was die Tatsache, dass er auch ein Stück kleiner war als sein Gegenüber unpraktisch unterstützte. „Ich bin... etwas erzürnt!“, kam der junge Häuptling trotzdem gleich auf den Punkt und Karem hob beide Brauen. Teco, der seinem Cousin wie der Rest der vorherigen Versammlung an der Hütte gefolgt war, steckte unterdessen einen schmerzhaften Schlag ins Gesicht seitens seines Vaters ein, der ihn dafür bestrafen sollte, dass er sich immer zu vor dem Helfen drücken wollte. Kili lachte ihn aus. „Ich kann mir natürlich denken, weshalb.“, entgegnete man Moconi da und legte ihm überraschend verständnisvoll eine Hand auf die Schulter, „Aber du wirst sicher selbst bemerkt haben, dass dieser Ort nicht mehr lange gut für uns sein wird. Wir müssen gehen. Ich habe mir einfach die Freiheit genommen in meiner Position als rechtmäßiger Häuptling zu entscheiden, was wir tun werden.“ Einige Stammesmitglieder sahen von ihrer Arbeit auf nach diesem sehr eindeutigen Satz dem jungen Oberhaupt gegenüber. Karem wäre Häuptling geworden. Alle hatten damit gerechnet, dass bald es bald seine Zeit sein würde, als Saltec im sterben gelegen hatte. Und dann hatte letzterer den Namen seines Sohnes in den Raum gestellt. Und niemand würde einem guten Mann kurz vor seinem Ende einen Wunsch ausschlagen. Nicht einmal Karem, der so wütend gewesen war, dass er auf einen Felsen eingeschlagen und sich dabei die Hand gebrochen hatte. Seitdem konnte er sie nicht mehr so gut bewegen wie zuvor, aber es war ohnehin nicht seine Speerhand gewesen, was die Auswirkungen gering hatte bleiben lassen. Calyri schlug sich im Hintergrund die Hand vor den Mund. Wenn Moconi nun kein eindeutiges Machtwort spräche, würde das den Stamm entzweien. Dann würde Karem seinen begehrten Posten erlangen, allerdings dann bloß als Häuptling eines halben Stammes... wenn es denn gerecht laufen würde. Am Ende spannte er Moconi sein ganzes Volk aus. Mit einem Mal kam der jungen Frau dieser Kerl ganz furchtbar und abartig vor, mehr noch als an dem Abend, an dem er beschlossen hatte, seinen Sohn zu verstoßen, bloß, weil der seine Prüfung nicht bestanden hatte. Als das noch immer amtierende Stammesoberhaupt dann den Mund öffnete, war es bis auf das Rauschen des Grases im Wind und leises Vogelgezwitscher still. „Traditionen zu missachten und Traditionen zu brechen sind zwei verschiedene Dinge, Karem.“, sagte er ruhig, „Mein Vater hat immer zu ersteres getan... du bis im Begriff letzteres zu tun. Und so lange ich leben werde ich das nicht zu lassen.“ Er reckte sein Gesicht dem Himmel entgegen und einige taten es ihm gleich, um ihm auch angemessen folgen zu können. „Einzig die Sonne wird das je ändern können! In dem Moment, in dem die Sonne ihre Tradition verrät, in dem wird der Stamm mit dir als Anführer an der Spitze aufbrechen in das unbekannte Land im Süd-Osten. Nicht früher. Niemals.“ Karem atmete einmal laut aus und schnaubte, als er Sanans Grinsen auf sich ruhen sah. Saltec hatte auch gut sprechen können. Aber Saltec war erfahren gewesen. Irgendwann würde er Moconi schon in eine Schlucht ohne Ausweg gelockt bekommen... Porit wollte gerade zur Frage ansetzen, was sie nun tun sollten, wo einige der Hütten bereits komplett abgeschlagen waren, als die Welt verstummte. Die Vögel, der Wind, selbst die lästigen Fliegen. Von einem Moment auf den Nächsten schien das Leben um die Menschen herum eingefroren zu sein. Ein verwirrtes Murmeln ging durch die Menge, als sie sich verwirrt umsahen und nach dem nahenden Unheil suchten, dass sie irgendwie spüren konnten, ganz ohne Magie. Calyri erschreckte und hätte fast aufgeschrien, als sie eine kühle Hand auf ihrem Unterarm bemerkte. Als sie sich umwandte stellte sie dann jedoch fest, dass es sich nur um Mefasa handelte, die sie ernst ansah und ihr etwas mitteilen wollte. Als die Sonne es über die großen Berge geschafft hatte, wurde ihr Licht immer schwächer, obwohl sie immer höher stieg. Niemand hat darauf geachtet. Gleich ist Nacht. Die Jüngere keuchte geschockt auf das ratlose Gesicht ihrer Freundin hin, ehe sie einen Moment später geistesgegenwärtig zu Moconi hechtete, dem Karem mit einem Mal ziemlich gleich geworden war. Das würde nicht lange anhalten. Noch ehe sie zum sprechen ansetzen konnte, wusste er schon, was sie ihm sagen wollte, denn er hatte nach seinen Worten den Blick nicht mehr vom Himmel abgewandt. Als er zu ihr sprach und ihr damit das Wort abschnitt, klang seine Stimme beinahe weinerlich. „Sie verrät mich... sie verschwindet hinter dem Schatten der Windgeister, um uns alle ins Verderben zu stürzen... sie verrät mich!“ Wenige Augenblicke später wurde es dunkel. ----------------------------- Haha, Karem baut ja so eine Scheiße... XD Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)