Pirateking von Vanadie (Das Ende eines langen Weges) ================================================================================ Kapitel 1: Leben und sterben ---------------------------- Leben und sterben Der Wind war unerlässlich. Zerrte an Kleidern, Sträuchern und Dächern. Unter ihm türmte sich die See zu einem dunklen Spielball seiner Macht. Tückisch. Gierig. Schäumend. Sie hatte vergessen warum sie hergekommen war. Der alles verschlingende Anblick ihres geliebten Meeres raubte ihr den Atem. So weit und ungeheuerlich. Lachen erklang in ihren Ohren und erst nach einer Weile erkannte sie den Laut als ihren eigenen. Für einen kurzen Augenblick war ihr Schwermut vergessen. Ihre Angst verflogen. Ihre Trauer versiegt. Hier, im Angesicht von Mutter Natur war jeder Gedanke unwirklich, jedes Gefühl unbedeutend. Wie ein Neugeborenes, dessen Augen sich zum ersten Mal öffneten. Wie eine erste Begegnung. Große Fenster. Helles Holz. Sonnenschein auf seinen Ohrringen. »Gibt es hier auch was ordentliches zu trinken?« »Steckrübe? Du wagst-, nein warte, von einem kleinen Mädchen mit Orangengesicht muss ich mir gar nichts sagen lassen!« »Meine Schwerter haben bestimmt schon mehr Schaden angerichtet als du mit deinen Kochküsten, Waschweib. Und das soll schon was heißen!« »Au! Wa- was soll das? Nimm deine Pfoten weg!« Wenn sie die Augen schließt, kann sie ihn spüren. Seinen desinteressierten Blick. Das wettergegerbte Gesicht zu ihr geneigt. Eine patzige Frage unglücklich gestellt. Eine patzige Antwort bereitwillig gegeben. Sie sieht den Unglauben der übrigen Dorfbewohner. Eine verängstigte Bewegung der Masse zum Ausgang ihrer Bar. Dann das Lachen der Mannschaft und ein Fest der Sinne für die restliche Dauer ihres Aufenthaltes. Zurück im Jetzt wandert ihr Blick über das sich ihr bietende Schauspiel. Trinken die salzige Luft und schmecken die Regenwolken am Horizont. Wenn sie sich umdrehen würde, könnte sie das rege Treiben der Bauern auf den Feldern beobachten. In geübten Bewegungen ihre Kühe einzutreiben versuchend. Der Sturm war lang erwartet. Die Zeitungen hatten bereits vor Wochen von ihm berichtet. Die halbe Welt war in Aufruhr. Und der Teil, der nichts von seiner Existenz wusste, lebte auch weiterhin in wärmender Ignoranz. So dumm und glücklich. Sie sieht die dunklen Felsen zu ihren Füßen und denkt an seine Augen. Ein Algenbestand zieht sich wie eine zweite Haut über den rauen Stein. Macht ihn zart und lebendig. So wie auch er es gewesen war. Wolkenloser Himmel. Süße Orangenbäume. Ein Grinsen auf seinen Lippen. »Na, hast du es immer noch nicht weiter gebracht?« »Kein Wunder, dass dich keiner heiraten will.« »Pah! Niemand kann mehr trinken als ich!« »Wetten?« Eine gehobene Augenbraue und das gehässige, schiefe Lächeln, das sie wahnsinnig macht und ihn wahnwitzig werden lässt. Er wird es ihr erst zwei Jahr später gestehen können. Dass er sich nach ihr verzehrt und sein Blut mit ihrer aufmüpfigen Art zum Kochen bringt. Dass seine Schritte leichter geworden sind, seitdem er sie als das Seine weiß. Was er ihr nie sagen wird ist, dass auch sein Herz ihr gehört. Mit ihr auf der Insel bleibt und erst dann wieder zu schlagen beginnt, wenn er ihr gegenüber steht. Sie spürt die Wärme, die das Meer ihr bei jedem Wiedersehen geschenkt hat. Tief in ihr findet sie einen Anker und verströmt ihr betäubendes Gift. Macht aus der frechen, jungen Frau, dass sich nie einem Mann hingeben wollte, ein weiches, verletzliches Wesen. Ein hoffendes, bangendes Wesen, dessen Frühling jedes Jahr mit einer schwarzen Flagge am Horizont beginnt und mit einem letzten Blickkontakt endet. Sie träumt von ihm und wagt es nicht ihren Gedanken den natürlichen Lauf zu lassen. Sie ist verängstigt und das macht ihr Angst. Teufelkreis. Plötzlich kann sie nicht mehr atmen ohne ihn neben ihr zu wissen. Nicht mehr schlafen ohne einen Traum von ihm. Dabei erscheint er ihr manchmal als genau das. Eine Traumgestalt, die sie einen Monat jeden Lebensjahres beraubt und sie umspinnt mit seinem herrlichen Lachen, sie einwebt in ein Netz flüsternder Beschwörungen. Wenige Worte, die ihr mehr bedeuten als alle anderen, die jemals zu ihr gesprochen wurden. Geschnatter der Hafenbesucher. Raue Hände. Wärme in seinen Augen. »Hast du mich schon vermisst?« »Boah, du kannst genauso schlecht küssen wie du aussiehst.« »W- Witz, das war ein Witz! Au! Man, musst du immer gleich zuschlagen? Das ist nicht gerade weiblich!« »Oh man, Nami, ich bin so scharf auf dich.« Hätte sie es gekonnt, sie wäre mit ihm gegangen. Hätte seine Hand nicht mehr aus der ihren genommen. Wäre an Bord gesprungen und an seiner Seite gestanden. Doch sie ist ein Teil ihrer Orangenbäume. Fest verwurzelt mit dem hiesigen Boden. Ihr Zuhause, ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Tragen in ihnen das Lebenselixier, dass es ihr ermöglicht auch weiterhin nach vorn zu blicken. Ohne Mutter. Und er weiß es. Weiß, dass sie ihn nie wird begleiten können. Stellt keine Fragen oder Forderungen. Als hätten seine übrigen Mitstreiter ihr nicht das ein- ums andere Mal auffordernd zugeredet. Sie ist eine Frau und er ein Pirat. Ein Räuber der sieben Ozeane und des Meeres in ihr. Sie denkt an seinen Freund und Kameraden. Den Scharfschützen, den sie nie kennenlernen würde, weil er die freie Zeit bei seiner Angebeteten verbringt und die Mannschaft allein die wenigen Seemeilen zwischen den beiden Inseln zurücklegen lässt. Sie fragt sich oft, wie es wohl seiner Geliebten ergehen mag. In den restlichen elf Monaten des Jahres, die sie voneinander trennen. Ob auch sie jeden Tag den Weg zur Küste aufsucht und die Wellen nach einem Hoffnungsschimmer absucht. Einer verfrühten Rückkehr. Einem Wiedersehen. Einer Umarmung. Sternenhimmel. Weiche Kissen. Seine Haut auf ihrer. »Ich will dich.« »Jeder Tag ohne dich ist grau und lang. Ich hab Lysop immer für verrückt erklärt und ihn für seine Launen verachtet, aber jetzt .. bin auch ich seekrank.« »Du fehlst mir so sehr.« »Danke.« Er hatte sie geliebt. Und sie liebte ihn. Ihr Körper erbebte bei der Erinnerung an jede seiner Berührungen. Die gemeinsamen Stunden, in denen sie zueinander fanden und sich bis zum Morgen gegenseitig festhielten. Das Geräusch seines ruhigen Atems während er schlief. Frei und ohne Bürde. Das Vertrauen, welches er ihr entgegenbrachte war vielleicht das größte Geschenk, dass er ihr machen konnte. Wenn sie so neben ihm lag, wünschte sie sich manchmal die Zeit möge anhalten und ihn für alle Ewigkeit an ihr ketten. Ihm diesen Moment friedvollen Glückes ergeben. Der Gedanke an all das Grauen, welches ihn auf seinen Reise verfolgte, begleitete und einholte, ließ sie erzittern und schaudern in der Ahnung sie könne ihn eines Tages verlieren. In solchen Augenblicken, in denen sich die Angst wie ein bitterer Nachgeschmack auf ihre Zunge legte, streckte sie eine Hand nach seiner Gestalt aus. Berührte sein Gesicht und ließ ihre Fingerspitzen seinen Körper liebkosen. Malte Formeln und Schwüre auf seine Haut, die ihn durch alles Unheil tragen sollten. Umhüllte ihn in einen Mantel aus Liebe und Zuneigung, die seine Gegner erblinden lassen würden. Ihnen keine Chance gaben seiner zu schaden. In diesen Stunden frühen Morgens wusste sie ihre Furcht zu bekämpfen und glaubte sich am Ende der Nacht in relativer Sicherheit. Was sie in all ihren Überlegungen jedoch nie zu berücksichtigen wusste, war eine noch viel nähere Bedrohung. Der Gegner, der ihm nicht gegenüber stand, sondern sich in seinem Herzen wiederfand. Ein Gegner mit dem Namen Loyalität. In seiner selbst nistend auf jenen Tag wartend, der das Ende des Piratenkönigs bedeuten würde. Und erst nun sollte sie erkennen, dass es nicht das ihre Leben war, welches sie mit seinem verknüpft geglaubt hatte, sondern das seiner Mitstreiter, seines Führers und stetigem Begleiters. Weder Hass noch Abscheu würden seinen Niedergang bedeuten, sondern Treue, Pflichtgefühl und Verantwortung. Legten ihn in Ketten und zerrten ihn in das ewige Meer. Keiner ihrer Schwüre würde ihm zu helfen fähig sein. Denn es war sein Herz selbst welches diesen Ausgang wählte und damit seinen Untergang. Ihre Liebe würde nicht stark genug sein. Salzige Luft. Unwetter über ihren Köpfen. Morgentau auf seinem Gesicht. »Ich werde nicht wiederkommen.« »Verdammt Nami, wieso verstehst du es nicht? Sie haben Ruffy, ich kann nicht hier bleiben. Ich hab’s dir doch schon mal gesagt. Einer für alle, alle für einen!« »Es ist nichts Nobles daran, ich weiß. Aber wenn er geht, gehe ich mit ihm, dass habe ich ihm geschworen. Er ist mein Kapitän.« »Du bist meins.« Der Abgrund tat sich auf. Sie wusste von Beginn an, wie es zu enden hatte. Die Welt möge sie trennen, aber sie ließ sich keine Vorschriften machen. Tauchte ein in die Gleichgültigkeit der Trauernden und umarmte die Leere wie einen lang vermissten Freund. Es gab nie eine Wahl. Nie auch nur eine Alternative. Ihre Füße sanken hinab. Ihr Wesen stürzte. Zurück zum Meer. Zurück zu ihm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)