Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil 2 von Izaya-kun (Zwischen Gott und Teufel) ================================================================================ Kapitel 33: Vivere militare est – Zu leben heißt zu kämpfen ----------------------------------------------------------- Selbst nach zwei Wochen schaffte ich es nicht, mich an mein neues Leben zu gewöhnen. Weder mochte ich mein Zimmer, noch mein Bett, geschweige denn das Essen, wenn man dieses überhaupt so nennen konnte. Das einzige, was mir sympathisch war, war das Flechten der Körbe, zumindest am Anfang. Ich hatte so etwas noch nie zuvor gemacht und ich stellte mich als sehr geschickt heraus, wenn es darum ging, die dünnen Zweige ineinander zu verhaken. Ich lernte, wie man welche Muster entstehen lassen konnte und auch, woher man solches Holzwerk bekam, wie man es am besten auswählte und welches Material für welchen Korb am Besten geeignet war. Zwar wurde die Arbeit mit der Zeit langweilig und man schnitt sich sehr häufig in die Finger und Handflächen, dennoch mochte ich sie. Das Flechten war monoton und ruhig, man konnte seinen Gedanken nachgehen oder sich unterhalten. Letzteres tat ich oft mit Theodor, meinem Zimmernachbarn. Der etwa dreißigjährige Mann mit den dunklen Augen, dem schwarzen, lockigen Haar und dem leichten, südlichen Akzent war ein sehr nachdenklicher Mensch. Er sprach von sich aus eher selten, aber wenn man sich mit ihm zusammensetzte und ein Gespräch begann, stellte er sich als sehr intelligent und ruhig heraus. Er kam aus einem kleinen Dorf im Norden und war der Sohn eines Bauern. Er war in die Stadt gezogen, um etwas Besseres aus seinem Leben zu machen, aber wirklich funktioniert hatte es nicht. Aus Angst davor, seinen Vater zu enttäuschen, lebte er nun seit bereits drei Jahren in Brehms und hatte auch nicht vor, zu ihm zurückzukehren. Theodor war der Meinung, dass seine zwei Brüder sicherlich genug für ihn sorgen würden und es wäre nur eine Entlastung, wenn er nicht Heim kam. Stattdessen hatte er eine Zeit lang als Lehrling in einem Gemüseladen gearbeitet, die Sache dann aber nach gut einem Jahr abgebrochen und sein Glück in einer Schmiede versucht. Da er auch dort nicht wirklich eine Zukunft fand, die er sich vorstellen konnte, wandte er sich irgendwann an die Deo Volente. Diese hatte ihn hier einquartiert, das war nun drei Monate her und man hörte deutlich, dass Theodor seine Lage missfiel. Wann immer wir alleine waren und darüber sprachen, machte er mir deutlich, dass er alles tun würde, aber nicht sein restliches Leben lang Körbe flechten. Sein Problem lag allerdings darin, dass er schlichtweg keine Alternative fand, wohin er sonst gehen könnte. Ein wenig Leid tat er mir schon, aber ich versuchte, mich von seinen Problemen zu distanzieren. Natürlich könnte ich mit ihm zusammen nach Arbeit suchen oder ihm etwas beibringen, um seine Chancen zu verbessern, dafür hatte ich allerdings keine Zeit. Ich hatte eigene Probleme und vor allem: Pläne. Wir arbeiteten von Morgens bis zum Mittag, dann bekamen wir einige Stunden frei und wann immer es mir gelang, suchte ich das Weite. Manchmal suchte ich Francesco auf, um zu fragen, ob es etwas Neues von Nevar gab oder aber ich kaufte mir ein wenig Brot, denn im Arbeitshaus essen tat ich nichts. Geld dafür zu bekommen war einfach. Oft flocht ich einen Korb mehr, als verlangt und diesen durfte ich dann behalten und verkaufen. Ich machte kleine Körbchen für Puppen oder Blumengestecke. Sie brachten nicht viel, aber genug, um mir ab und zu etwas Frisches zu gönnen. Am Nachmittag arbeiteten wir abermals ein wenig und anschließend, wenn ich abends erneut frei bekam, lief ich durch die Stadt. Nevar hatte mir gesagt, dass es wichtig wäre, in Bewegung zu bleiben. Er behauptete, dass der Körper sich daran gewöhnen würde und da ich ihm glaubte, zwang ich mich jeden Abend, zu rennen. Da es mir unsinnig erschien, um das Haus herum zu laufen, behauptete ich, ich hätte ein Treffen mit einem Weibsbild, das ich auf keinen Fall verpassen wollte. Theodor und Aaron lachten darüber, wenn ich los sprintete, sagten aber sonst nichts dazu. Alles in Allem konnte man sagen, dass ich meine Zeit sinnvoll nutzte, indem ich Geld beiseite legte, mich vorbereitete und meine Gedanken sortierte. Dass es von Nevar keine Spur gab, machte mich allerdings ein wenig nervös. Es war meine Aufgabe, ihn auszuspionieren, aber wieso schickte Domenico ihn nicht zu mir? Vielleicht war es auch auffällig, wenn er das tun würde, also wartete er, bis Nevar von selbst zu mir kam? Dieser Gedanke erschien mir zwar am logischsten, aber jene, dass ihm vielleicht etwas zugestoßen war oder er wusste, was ihn erwartete, weswegen er nicht mehr kam, kreisten ebenfalls in meinem Kopf herum. Was, wenn er nicht auftauchen würde, da er wusste, was ich tun sollte? Und was, wenn ich ihn nicht wieder sah? Noch immer hatte ich das Buch von Domenico, in denen die Fragen standen, die ich Nevar stellen sollte. Nach den gut zwei Wochen hatte ich mich an den neuen Rhythmus meines Lebens bereits so sehr gewöhnt, dass ich schon vor Aaron wach wurde und oft saß ich gebeugt auf dem Hocker im Erdgeschoss und war bereits dabei, die Körbe herzustellen, wenn er hinunter kam. Manchmal aber war das anders. Es gab Morgen, an denen es mich hinaustrieb und ich war oft so dreist, dass ich den Schlüssel nahm, die Tür aufschloss und Spaziergänge machte. Ich schlenderte dann durch Brehms oder ging in den Glockenturm der kleinen Kapelle etwas weiter, von wo aus man den Sonnenaufgang beobachten konnte. Es sah wunderschön aus. Etliche Häuser erstreckten sich vor mir, wie auf einem der Gemälde aus der Deo Volente. Einzelne Vögel kreisten über der Stadt, weit fort sah man die Silhouetten der Berge und die Sonne färbte alles in sanftes orange und rosa. Ein Bild, als wäre es gemalt. Stechend weiße Wolken mit gelblichen Bäuchen schwebten über den Himmel, es roch nach Frische und Stück für Stück wurden die Menschen unter mir wach. Die Verkäufer öffneten ihre Ladentüren und stellten ihre Waren aus, auf dem Marktplatz begann das Leben und man hörte Kinder. Weit über mir, hoch im Turm, schlug die Glocke und kündigte den Tagesbeginn an, dann wurde es wieder still. Der tiefe Ton hallte noch lange nach und der Wind wehte durch den kleinen Raum um mich herum, als würde er tanzen. Ich mochte das Gefühl, die Einsamkeit. Manchmal verschränkte ich die Arme auf dem Fenstersims und starrte fast eine Stunde lang einfach nur hinaus. Oder aber, ich setzte mich auf den Boden neben der Treppe, die nach unten führte und dachte nach. Der Raum war überschaubar, denn es gab keine Möbel. Es war nur eine Zwischenetage und eine Leiter führte höher in das Glockenzimmer. An einem Tag jedoch war etwas bedeutend anders. Wieder schlich ich mich einfach fort und suchte die Kapelle auf und als ich ihren Höhepunkt erreichte, war es noch immer dunkel. Zwar färbte der Himmel sich allmählich rot, allerdings würde die Sonne noch einige Zeit auf sich warten lassen. Auf leisen Sohlen verließ ich die Treppe, ging zu meinem Fenster und starrte hinaus. Es gab nur wenige Lichter. Einzelne Fenster waren beleuchtet, die meisten Laternen bereits wieder aus und Rauch stieg aus einem großen Schornstein in die Luft – Frankys Backstube. Ich konnte sehen, wie das Wasser der Flüsse spiegelte und glitzerte und auch, wie ein Hund durch die Straßen rannte. Als dann plötzlich jemand sprach, zuckte ich so sehr zusammen, dass ich fast hinunter gefallen wäre. Eine Stimme hinter mir sagte: „Was sind Ziele der Samariter?“ Ich fuhr herum und starrte Nevar entgegen. Der Mann hatte seine Kapuze heruntergeschlagen und saß auf dem Boden, am anderen Ende des Zimmers. Es dauerte, bis ich begriff. Er blätterte in einem Buch und erst, als ich an meinen Hosenbund griff und registrierte, dass es nicht mehr da war, verstand ich, in welchem: Es war jenes Buch, das Domenico mir gegeben hatte. Darin war Francescos Wegbeschreibung, aber auch die Dinge, die ich über die Samariter herausfinden sollte. Nevar las weitere Fragen vor, ein wenig spöttisch vielleicht: „Wer ist ihr Anführer? Wo ist ihr Hauptsitz? Wie lange dient er ihnen bereit?“, dann schlug er es zu, hielt es leicht hoch und zog amüsiert eine Augenbraue nach oben. „Ist das Euer Ernst?“ Ich fühlte mich ertappt und schlecht, obwohl es natürlich nicht ansatzweise meine Idee gewesen war. Unsicher stand ich mit dem Rücken am Fenster und suchte nach den passenden Worten, ehe ich stotterte: „Nevar, ich kann es Euch erklären. Es ist wirklich nicht so, wie es gerade aussieht! Ich versuche bereits seit Tagen, Euch zu erreichen. Das alles ist eine äußerst peinliche Angelegenheit!“ „Allerdings.“, unbeachtet ließ er das Buch neben sich auf den Boden fallen. „Ziemlich peinlich sogar. Offensichtlicher geht es nun wirklich nicht. Wieso schreibt der alte Narr nicht gleich drüber ‚Fragen zum Ausspionieren der Samariter’? Hat er nicht darüber nachgedacht, was passiert, wenn jemand das bei Euch findet?“ „Ach, Ihr wisst davon?“, erleichtert atmete ich auf und sah zu dem kleinen Schreibwerk, dann wieder den Mann an. Er sah aus wie immer, als wäre unser letztes Treffen noch gar nicht so lange her. „Ich war bei Francesco und er sagte mir, Ihr sucht mich. Auch sagte er mir, was Domenico vorhat. Ich muss sagen, es amüsiert mich. Wie lange hat der Mann gebraucht, zu verstehen, was hier vor sich geht? Sieben Jahre?“ Als er aufstand und das Buch wieder an sich nahm, starrte ich Nevar unsicher entgegen. Wie meistens wirkte er enorm gelassen auf mich und nicht so, als würde ihn die ganze Angelegenheit beunruhigen. Ich sollte ihn verraten, aber es schien ihm nichts auszumachen. Stattdessen lehnte er sich neben mir an die Wand, schlug das Buch erneut auf und blätterte gelangweilt wieder darin herum. „Und?“, wollte er wissen, ganz nebenbei. „Wie viele der Fragen habt Ihr bereits beantwortet?“ Ich registrierte nur halb ein leises, kaum merkliches Geräusch, eine Art Klappern. Es verriet mir, dass er seine Waffen bei sich trug, irgendwo unter dem Umhang. Ob er einen Auftrag gehabt hatte? „Bisher keine. Ich wollte erst mit Euch reden.“ „Ich verstehe.“, bei der letzten Seite blieb er stehen und zog die Stirn etwas kraus. Ich hatte das Büchlein mehrmals gelesen und wusste, was dort geschrieben worden war. Es handelte sich um Vermutungen und Regeln, an die ich mich halten sollte. Keiner durfte wissen, was mein Auftrag war und das Buch durfte auf keinen Fall in die Hände eines Samariters gelangen. Tja, das hatte ja glorreich funktioniert! Nevar schmunzelte. Wahrscheinlich hatte er gerade genau diese Zeile gelesen und meine Wangen wurden etwas rot. „Nun.“, begann er dann leise. „Da Ihr so ein ausgezeichneter Spion seid, fangt mal an, mich unauffällig auszuhorchen.“, der Attentäter drückte mir das Buch gegen die Brust und unbeholfen ließ ich es unter meinem Umhang verschwinden. „Ach ja und denkt dran: Ich darf davon nichts wissen.“, er schien sich wirklich einen Spaß aus der ganzen Sache zu machen. „Dafür habt Ihr mich doch sehen wollen?“ „Ehrlich gesagt, nein.“, gab ich leise zur Antwort. „Anfangs habe ich überlegt, ob ich Euch verraten soll. Wir hatten bereits in der Deo Volente darüber gesprochen und Ihr sagtet, es wäre in Ordnung. Aber ich habe mich dagegen entschieden.“ „Das ist nicht das, wofür ich Euch zur Deo Volente gebracht habe.“, Nevar sprach sehr ernst, aber ruhig. Man merkte, dass er mich zu nichts drängen würde und meine Entscheidung akzeptieren, egal, wie sie ausfiel. „Ihr wolltet ein Leben auf religiösen Säulen. Wenn Ihr Domenicos Befehle verweigert und keine Informationen zu den Samaritern abliefert, wird Euch das viele Probleme einbringen.“ „Das ist mir gleich.“, ich sah, wie er abermals eine Augenbraue hochzog, doch da ich es ernst zu meinen schien, verschwand Nevars Spott. Er wollte mehr hören. Ich erklärte: „Ich habe mit Francesco gesprochen. Ich weiß jetzt, wer die Samariter sind und was sie tun. Ich weiß, wieso Domenico sie fürchtet und ich weiß, worin ihr Sinn besteht. Sie sind Kopisten, richtig? Und ich bin ebenfalls Kopist, Nevar. Ich habe eingesehen, dass Ihr Recht hattet. Es bringt nichts, darauf zu hoffen, dass der Herr einem hilft. Man muss selbst etwas tun, wenn man glücklich werden will.“ Während wir sprachen, wurde es allmählich heller. Ich registrierte nur halb, dass hinter uns die Sonne aufzugehen begann und ihr sanftes Licht warf unsere Schatten in den Raum. Anfangs nur schwach, aber bald würden sie härter und stärker werden, greifbarer. Nevar stieß sich von der Wand ab, stellte sich vor mich und stellte den Kopf etwas schief. Es war lange her, dass seine Augen so in mir forschten. „Und das bedeutet was? Ihr wollt den Samaritern beitreten?“, als ich nickte, stieß mein Gegenüber abfällig die Luft aus. „Ihr sagtet, dass Ihr Euch in diese Geschichte nicht einmischen wollt, schon vergessen?“ „Aber ich habe mich umentschieden.“ „Ihr könnt nicht an die Leute glauben, die Euch gerade am meisten voranbringen, Falcon. Sobald jemand Euch ein besseres Angebot macht, seid Ihr auf und davon, ist es nicht so? Es tut mir leid, aber in den Samaritern findet ihr genauso wenig Euer Ziel, wie in der Deo Volente. Nein, noch weniger. Außerdem: Ihr seid Christ oder nicht?“ „Natürlich bin ich Christ!“, da meine Antwort patziger klang, als sie gemeint war, versuchte ich besonders ernst auszusehen, während ich fortfuhr: „Aber die Samariter doch auch? Wieso sonst sollten sie die Heilige Schrift kopieren? Francesco hat mir alles erzählt, Nevar. Ich weiß jetzt, wer die Samariter sind, was sie tun und auch, was ihr Ziel ist. Sie wollen das Volk aufklären! Und was könnte wundervoller sein, als daran teilhaben zu können?“ „Ein freies Leben und die Chance, es so zu gestalten, wie Ihr wollt?“, noch immer war Nevars Stimme eher wenig begeistert. Er verschränkte die Arme, sah an mir vorbei hinaus und kurz schimmerte es in seinen dunklen Augen. „Das abgemachte Jahr bei Domenico ist bald vorbei, Ihr habt es fast geschafft. Wollt Ihr wirklich so kurz vor dem Ziel alles aufgeben, um Eurem Drang nach Rebellion nachzugehen?“, dann wechselte sein Blick wieder zu mir zurück. „Seid ehrlich zu Euch selbst, Falcon. Ihr habt das Leben eines Gesuchten satt gehabt und wolltet neu anfangen. Als Samariter wärt Ihr nicht nur erneut ein Gesuchter, nein, Ihr wärt obendrein auch noch ein Verräter. Wisst Ihr, was Domenico tut, wenn er erfährt, was Ihr treibt? Glaubt mir, Stewarts Folter damals ist nichts dagegen. Bleibt bei Eurem jetzigen Leben. Tut, was er will und dann seid ein freier Mensch. Sucht Euch ein kleines Schreibstübchen, kopiert Eure Bücher, seid zufrieden, zeugt Kinder, was weiß ich. Für das Leben als Samariter seid Ihr nicht geschaffen.“ Wahrscheinlich war es ein ernst gemeinter Rat, allerdings wirkte er nicht so, nicht auf mich zumindest. Ich wandte mich ab, drehte mich mit dem Rücken zu ihm und starrte zur Stadt hinunter. Es war so weit. Der helle Himmelskörper hatte sich erhoben und färbte nun alles mit seinem hellen Licht. Häuser und Bäume, Fenster, Dächer, alles wurde wie pures Gold und strahlte. Als würden Juwelen in den Flüssen schwimmen, funkelten sie vor sich hin und für einen kurzen Augenblick hatte Brehms wieder etwas Beeindruckendes. Brehms, die Stadt des Handels und des Reichtums, der Kultur und der Ordnung. Genau so hatte ich mir die Stadt immer vorgestellt, es war unvergleichlich. Es dauerte etwas, bis ich leise zischte: „Ihr traut mir das also nicht zu, ja?“, und obwohl ich es nicht wollte, gab ich mit meiner Stimme preis, dass ich enttäuscht war. Als Francesco mich aufklärte, hatte ich mich gefreut, dass Nevar mir so viel zutraute – aber das war wohl falsch gewesen. Gut, ich hatte viele Fehler gemacht und vieles vergeigt, aber war das wirklich so schlimm gewesen, dass ich in seinen Augen für Abenteuer nicht geschaffen war? Wofür hatte ich so vieles gelernt? Doch dann verstand ich. Ein Kopfschütteln meinerseits, anschließend hauchte ich: „Nein. Nein, Ihr glaubt an mich, richtig? Ihr habt mir so vieles beigebracht. Ich habe nachgedacht, Nevar. Sehr viel nachgedacht. Ich glaube, dass Ihr mich testet – jetzt, aber auch die ganze Zeit über, immer wieder. Die Bücher im Haus damals, sie lagen mit Absicht dort, habe ich Recht? Damit ich sie lese und damit Ihr erfahrt, wie ich dazu stehe. Ihr wolltet mich davon überzeugen, dass mein Glaube falsch ist – vergebens. Dann brachtet Ihr mich zu Domenico. Wahrscheinlich, weil ich es mir wünschte, ein Leben auf Gottes Säulen zu erbauen. Aber ich glaube auch, damit ich merke, dass ein Leben so nichts bringt. Immer wieder gabt Ihr mir Zeichen, nicht wahr? Zeichen, damit ich verstehe. Kleine Proben, um zu wissen, woran Ihr seid.“, langsam drehte ich mich zu ihm. Das Kappelenzimmer schien zu glühen, so sehr strahlte es durch die Sonne. Ich spürte ihre Wärme in meinem Kreuz, während ich flüsterte: „Und auch das jetzt ist ein Test. Ihr wollt wissen, ob ich zögere, aber das tue ich nicht. Es stimmt, dass ich sagte, ich kann Euch in Eurem Kampf nicht unterstützen und dabei bleibe ich. Mich gehen die Asahacia nichts an und für Euer Volk zu sterben wäre Dummheit, da mich nichts mit ihm verbindet. Aber dieser Krieg und jener gegen die Inquisition, das sind zwei verschiedene Dinge.“, kurz schwieg ich, doch Nevar ebenfalls. Er sah mich nur an und ich wünschte mir eine Reaktion, wenigstens einen kleinen Blick. Ein Zeichen, das mir sagte ‚Du hast Recht, Sullivan!’ oder ‚Ihr redet Unsinn!’, doch es blieb aus. Seine Augen ruhten seelenruhig in meinen und sein Mund verzog keinerlei Mine. Versucht, entschlossen zu wirken, erklärte ich: „Ich bin noch immer gläubig. Ganz gleich, wie viel die Inquisition in Gottes Namen anstellt, ich glaube noch immer an ihn. Aber nur, weil ich an den heiligen Vater glaube, muss ich nicht an die heilige Kirche glauben, an ihre Folter, ihre Scheiterhaufen, an Ablassbriefe oder an ihre Predigten. Ich glaube an die Gebote und ich glaube weiterhin ans Fegefeuer, daran wird sich wohl nie etwas ändern. Aber ich habe mich verändert. Woran ich aber nicht mehr glaube, Nevar, sind die Unterdrückung und die Furcht, die von Seiten der Kirche kommen. Und genau daran möchte ich etwas ändern. Das Volk hat lange genug gelitten und wenn ich die Samariter unterstütze, dann habe ich die Chance etwas zu tun, was mich erfüllt. Die Chance, etwas zu bewegen und etwas zu verändern. Solange Menschen wie O’Hagan über uns richten, werde ich niemals frei sein. Ich habe es begriffen. Also bitte lasst mich Euch unterstützen.“ Noch immer reagierte er nicht. Der Mann vor mir stand da, wie aus Eisen gegossen, seelenruhig und als ein Windhauch sich ins Zimmer verirrte, bewegte sich nicht einmal sein Umhang. Als er dann endlich etwas hauchte, lief es mir eiskalt den Rücken hinunter. Seine Stimme war leise, bedrohlich, vor allem, da er meinen Namen sagte. Nevar sprach außergewöhnlich langsam und jedes Wort schien seine eigene, schwere Wirkung auf mich zu haben und mich hinunter zu drücken: „Noch wandelt Ihr zwischen Abgrund und Himmel. Aber wenn Ihr Euch wirklich dazu entschließt, dann gibt es kein Zurück mehr, nie mehr. Man kann aus der Hölle nicht mehr fliehen, Sullivan.“ Ich hielt mich am Fensterbrett hinter mir fest, atmete tief durch und nickte. Anschließend flüsterte ich kaum hörbar zurück: „Ja, da mögt Ihr Recht haben... Aber aus einem falschen Himmel erst Recht nicht.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)