Das Portal von Rubinfuchs88 (Die Welt in dir) ================================================================================ Kapitel 7: Feuer und Flamme --------------------------- Die einsamen Tage daheim zogen sich wie ein zähes Kaugummi. Immer mal wieder inspizierte ich den Pass, der hinter unserem Haus den Hang hinauf führte aber ich konnte keinmal Spuren feststellen. Manchmal glaubte ich bereits, ich hätte mir das ganze eingebildet. Überspannte Nerven, ein ausgelaugter Körper, da sah man schon mal Dinge, die nicht da waren. Die Tatsache, dass ich mich selber bereits als so psychisch instabil betrachtete, gefiel mir keinesfalls aber ermöglichte mir wenigstens, einen Lösungsansatz für die ganzen Ereignisse zu finden. Der Gang zur Schule fiel mir unglaublich schwer. Zwei Wochen war ich nicht dort gewesen und hatte nur kurze Reporte von Grace erhalten. Man witzelte bereits ich sei magersüchtig, weil ich Model werden wollte. Unglaublich komisch. Eisiger Wind zerrte an meiner Kapuze und wollte sie mir vom Kopf reißen, um mir die kalte Luft durch die Haare zu treiben. Zitternd hielt ich den Stoff und ging ein wenig schneller. Durch das Knirschen des Schnees unter meinen Füßen hindurch, vernahm ich plötzlich ein leises Summen. Die Melodie erschien sanft und orientalisch, obwohl sie durch die Luftwirbel stark verzerrt wurde. Ich hatte das Gefühl, sie nach und nach so deutlich wahrzunehmen, als würde sie jemand direkt neben mir Summen. Fast als sei sie nur für mich bestimmt. Ich blieb stehen. Nach dem Verursacher suchend, schaute ich mich um. Es war niemand auf den Straßen zu sehen. Die Lichter in den Fenstern der Häuser waren dunkel. Alles wirkte so verlassen. Es schien, als hätte der Schnee über Nacht alles unter einer kalten Decke begraben und das Dorf zur Ruhe gemahnt. Das Summen wurde deutlich hörbarer. In einer kleinen Nebengasse auf der anderen Straßenseite, im Schatten zwischen den Häusern, stand jemand. Locker an die Wand gelehnt, die Hände in den Hosentaschen. Ich konnte kaum mehr erkennen. Die Schatten hielten ihn verdeckt. Fast wie eine schützende Wolke. Ich schüttelte leicht den Kopf. Jetzt gingen diese Spinnereien wieder los. Das musste endlich ein Ende haben. Geistig und auch körperlich angeschlagen oder nicht. Keinesfalls durfte jeder Tag mit einem neuen Hirngespinst beginnen. Zähneknirschend wand ich mit ab. Beinahe musste ich die Hand vor mein Sichtfeld schieben, um nicht doch noch mal einen Blick auf die Gestalt zu werfen. Das Summen wurde lauter, eindringlicher. Es bahnte sich seinen Weg durch den tosenden Wind an mein Ohr und drang in mein Bewusstsein ein, als würde es eine Art Befehl übermitteln. Meine Schritte wurden schneller. Ich hoffte mich so dem Wirkungsfeld zu entziehen und tatsächlich verlor der penetrante Klang nach und nach an Stärke. „Beth! Da bist du ja. Ich dachte für einen Moment wirklich schon du würdest nicht kommen“, sagte Grace, die neben dem Haupteingang auf mich gewartet hatte. Irgendwie fühlte ich mich wärmer, fast elektrisiert. Hoffentlich brach jetzt nicht auch noch Fieber aus. „Sei nicht albern. Natürlich komme ich.“, raunte ich und schob die schwere Glastür auf. „Ich bin froh endlich aus dem Haus raus zu können. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie lange ich da nun schon allein vor mich hin vegetiere“ Genau aus diesem Grund durfte ich nicht schon wieder krank werden. Das würde ich keinen Tag länger ertragen. Zu Hause sitzen, nichts tun, warten das etwas geschah, was nicht passieren würde. Tiefe grüne Augen huschten durch meine Gedankengänge. Am liebsten würde ich mich auch dafür Ohrfeigen. Zu lange schon beherrschte er meine Erinnerungen und doch war ich mir sicher, ihn hinter mir lassen zu wollen. In mir drin fühlte es sich mittlerweile brütend heiß an und ich spürte, wie sich etwas Schweiß auf meiner Stirn sammelte und sie zum Glänzen brachte. Die summende Melodie sprang in meinem Kopf wieder an, als hätte jemand eine Nadel auf einer Platte abgesetzt und sie damit wieder in Gang gesetzt. Wenn auch nur irgendjemand je erfahren würde, was wirklich in mir vor sich ging, würden man mich vermutlich sofort einweisen lassen. Vehement versuchte ich die Töne in die hinterste Ecke meines Hirns zu verdammen. „Naja. Ich meine… so ganz einfach war es ja nun nicht die letzte Zeit.“, sagte Grace und ihr Stimme wurde immer leiser, als würde sie befürchten eine laute Stimme könne mir mehr weh tun. Ich wusste was sie meinte. Launisch und angeschlagen erwies ich mich als keine gute Freundin und schon gar nicht als leicht zu pflegender Krankheitsfall. Immer zu weigerte ich mich, irgendwelche Chemie Cocktails in mich hinein zu spülen und darauf zu hoffen, dass etwas mich gesund machen würde, dessen Name ich noch nicht einmal wirklich aussprechen konnte. Und tatsächlich schien nichts geholfen zu haben. Laut ausatmend strich ich mir über die Stirn und wischte den nassen Film ab. Mühsam schob ich mich hinter Grace durch die Menschenmenge auf dem Gang und visierte unsere Klassentür an. Es war länger her, als es sich für mich anfühlte. Weit würden sie wohl mittlerweile mit dem Lernstoff sein? Würde man mich unterstützen; mir helfen wieder in das alte Schema hinein zu finden? War ich überhaupt noch dazu in der Lage? „Ja, kann sein aber ich bin ja hier.“, wich ich aus und blieb auf der Türschwelle stehen. Da war er wieder, der leere Platz. Ein Platz den ich anders in Erinnerung hatte. Himmel wie ich ihn vermisste und ihn nicht mehr vermissen wollte. Die grünen Augen strahlten mich wieder vor meinem geistigen Augen, mit einer ruhigen und sanften Zuversicht, an. Stattdessen setzte sich dort in diesem Moment nun Matthew Hunt. Vorlaut, arrogant, selbstgefällig und einfach unglaublich anziehend. Himmel wie ich ihn dafür hasste. „Alles in Ordnung?“, fragte Grace und schaute mir irritiert über die Schulter. Sie war nicht die Einzige, dir mir einen fragenden Blick zuwarf. Mehrere Mitschüler hatten ihre Gespräche kurzzeitig eingestellt und mich gemustert, ehe sie noch etwas enger zusammenrutschten und ihr Getuschel intensiver fortführten. Manchmal fühlte ich mich, wie in einem schlechten Film. Musste denn immer alles so Klischee behaftet ablaufen. „Bestens.“, brummte ich leise und schwenkte nach links, die Stufen bis zur letzten Sitzreihe hinauf. Mir war nicht wirklich danach zumute, mich mit diesem Kerl auseinander setzen zu müssen aber mir würde wohl kaum eine Wahl bleiben. Grace schien meine Gedanken lesen zu können und ließ mich in Ruhe in die Schlacht ziehen. Leise seufzend, schob sie sich durch die Reihe unter meinem Platz und setzte sich kommentarlos. Meine Schritte wurden langsamer, je näher ich Matt kam. Irgendetwas hatte dieser Kerl; irgendetwas was mir einerseits nicht ganz geheuer war, aber andererseits ihn auch schrecklich interessant machte. Eine grausame Kombination, wie ich fand. Die Hitze in mir nahm zu und ich befürchtete fast, das es nicht mehr nur aufkeimende Fieberschübe waren. Das Atmen fiel mir von den paar Stufen schon etwas schwerer als zuvor und ich hatte tatsächlich das erste Mal Bedenken, dass meine lange Krankheitsphase an meiner so oder so schon nicht vorhandenen Kondition gezehrt hatte. „Von den Toten auferstanden?“, fragte er trocken, ohne den Blick von seinen Unterlagen abzuwenden. „Sind wir wieder ausgesprochen charmant heute.“, witzelte ich und knirschte unmerklich mit den Zähnen. Plump ließ ich mich auf meinen Stuhl fallen und starrte in die Klasse hinunter, dankbar sitzen zu dürfen. Grace seufzte einmal tief und blickte reglos auf die Tafel. Marie war wie immer inmitten ihrer Hühnerbande und tuschelte aufgeregt. Vermutlich machte sie sich über mich lustig, was sollte sie auch sonst tun. War ausnahmsweise nicht ich das Ziel, dann ein beliebiges anderes armes Geschöpf, was ihr nicht in den Kram passte, weil eine Haarsträhne an der falschen Stelle lag. Man wusste nie bei ihr, was für ein unverzeihliches Trendfettnäpfchen man wieder mitgenommen hatte. Ben und die Jungs standen unten am Lehrerpult und schwiegen mehr, als das sie sich über etwas austauschten. Gelegentlich warf Ben einen raschen Blick zu mir hinauf und schien sich selbst nicht sicher zu sein, ob er mich lieber in Ruhe lassen sollte oder ob es mir gut tun würde, sich mit ihm zu unterhalten. Um ehrlich zu sein, wusste ich selbst noch nicht einmal, was mir eher gefielen würde. „Verstehe. Das ist also dein Herzblatt was?“ Mit einem Mal hatte ich Matts volle Aufmerksamkeit. Schief grinsend, lehnte er sich ein wenig zu mir hinüber und hob eine Augenbraue. Dieser Umstand gefiel mir ohne jeden Zweifel gar nicht. „Keine Ahnung was du meinst. Aber wenn es um so was geht, sollst du ja die erste Ansprechstelle sein, nicht wahr.“, antwortete ich bissig, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. „Autsch“, murrte er gespielt verletzt und verzog seine zimtfarbene Haut zu einer Grimasse. „Der Punkt geht an dich, Eisprinzessin.“ „Komm schon. Was soll dieser Unsinn? Lass mich einfach in Ruhe. Du willst nicht mit mir ausgehen und willst auch nicht mit mir befreundet sein, also erspare uns beiden diese Farce und halt einfach die Klappe.“ Selbst überrascht, aus welchen Tiefen ich gerade diesen grantigen Satz gezaubert hatte, fixierte ich angespannt meine Tischplatte. Ein kleiner Teil in mir schrie mir jubelnd zu, es ihm so richtig gegeben zu haben aber ein erschreckend größerer Teil, bangte das ich vielleicht Recht haben könnte; das er tatsächlich nicht einen Funken Interesse an mir hatte. Was geschah aber, wenn er jetzt verneinte? Wenn er auf einmal zugab, mehr für mich zu empfinden? Ich schmetterte mir eine gedankliche Ohrfeige entgegen. Naivität war nie etwas gewesen, was ich geschätzt hatte und selbst nun dieser zu verfallen war mehr als purer Hohn. Irgendetwas in mir drin konnte doch nicht ernsthaft glauben, dass er mich mochte; schlimmer jedoch, dass ich ihn mochte. „Absurd.“, nuschelte ich mir zu und beendete damit meinen Gedankengang kopfschüttelnd. „Da ist tatsächlich was dran, so wie du das sagst.“ Er überlegte einen Moment, lehnte den Kopf zurück und blinzelte ein paar Mal nachdenklich. „Wie wäre es Freitagabend in der kleinen Bar unten am See?“ Völlig perplex rührte ich mich keinen Zentimeter und gefror regelrecht in meiner Position. Das meinte er jetzt nicht wirklich ernst? Ein Sturm aus unterschiedlichen Gefühlen, bahnte sich durch meine Hitzewellen einen Weg zu meinem Verstand. Einerseits begann mein Herz zu Pochen und trieb das Blut wild pulsierend durch meine Adern, während eine leise Stimme mir zu säuselte welches schicke Kleid ich anziehen sollte, um ihn von meinen Reizen überzeugen zu können. Ich hatte mich noch immer keinen Zentimeter bewegt und merkte nur aus den Augenwinkeln, wie er mich süffisant grinsend anstarrte und auf eine Antwort zu warten schien. Und dann kam die andere Gefühlswelle. Dunkler und lauter. Pure Verabscheuung zerschlug das pochende Herz und ließ mich gedanklich meine Klauen um seinen Hals legen. Was bildete er sich bloß ein? Das ich wie ein hechelnder Hund mich nun freuen würde? Nur darauf gewartet hätte von meinem uneingeschränkten Herrchen beachtet zu werden? Zorn brodelte in mir und vermischte sich wie so oft mit dem Missmut, dass das alles vermutlich nicht passiert wäre, wenn Nanuk noch da gewesen wäre. Ich wollte so eben zu einem heftigen Gegenschlag ausholen, drehte mich langsam und angespannt in seine Richtung, als die Klassentür zufiel und unser Mathelehrer den Raum betrat. Autorität machte sich in der Klasse breit, wie ein zäher Nebel, der nach und nach alle einhüllte und gefügig machte. Mein Zorn wurde noch im Halse erstickt, stellte ich bitter fest und versuchte mühsam meine Antwort hinunter zu schlucken. Es fiel mir unglaublich schwer. Die ganze Stunde über glaubte ich, er würde mich von der Seite fixieren und darauf warten, was ich sagen würde. Immer zu mit diesem Grinsen auf den Lippen, als würde er bereits wissen, was sich in mir abspielte. Der Gong kam unerwartet aber schrecklich erlösend. Ehe er auch nur ein Wort sagen konnte, riss ich meine Tasche in die Höhe und stürmte an ihm vorbei die Stufen hinunter auf den Flur hinaus. Hinter meiner Stirn pochte die Hitze und ich spürte, wie eine neue Welle Nässe meine Haut benetzte. Langsam ekelte ich mich vor mir selbst und wünschte mir, neue Sachen zum Wechseln bei mir zu haben. Der Flur war im Bruchteil einer Sekunde von Schülern belagert und ich rettete mich auf die Mädchentoilette. Etwas Wasser ins Gesicht klatschend, starrte ich mein Spiegelbild an. Kreidebleich und ausgemergelt sah ich aus wie Scheintod. Langsam wusste ich nicht mehr was ich noch machen sollte. Die Blutergebnisse beim Arzt waren völlig in Ordnung und die noch ausstehenden Untersuchungen waren nichts weiter als Routine. Jedes Mal bekam ich das Selbe Ergebnis vor die Nase gesetzt. Es war rein physiologisch alles in bester Ordnung mit mir. Den konnte ich keineswegs mit guten Gewissen so weiter laufen lassen. Meine Tasche wieder über die Schulter werfend quetschte ich mich auf den vollen Flur hinaus und steuerte direkt das Zimmer der Schulschwester an. Wenn der ganze Umstand auch nur einen guten Aspekt hatte dann der, dass ich immer todkrank aussah und jederzeit nach Hause geschickt wurde, wenn ich nur darum bat. „Hallo Beth. Wieder ein schlechter Tag heute?“, begrüßte mich die junge Schwester in ihrem weißen Kittel und schaute mich mitleidig an. „Nichts Neues mehr was, Ann.“, antwortete ich und lächelte etwas unglücklich. Ohne das sie groß etwas sagen musste, stellte ich meine Tasche auf dem Boden ab und setzte mich auf das Krankenbett. Alles in dem kleinen Raum war weiß und steril, so dass es mich zwangsweise an das Krankenhaus erinnerte, in dem ich noch vor kurzem eine gefühlte Ewigkeit verbracht hatte. Wieder drückte dieses reine weiß auf mein Gemüt und schien mir zuzuflüstern, was für ein fürchterlicher Mensch ich war. Wahrscheinlich war mein Denken übertrieben und unangebracht aber seit dem Nanuk fort war schien mein Leben völlig aus den Fugen geraten zu sein. Die schützende Hand über meinem chaotischen Alltag und meinen Selbstzweifeln war verschwunden. „Du siehst wirklich nicht gut aus meine Liebe. Zeig mir mal deinen Arm her.“, bat Ann und wollte meinen Blutdruck messen. Ohne Murren ließ ich alles über mich ergehen. Vielleicht war auch genau das das Problem. Ich hatte mich immer auf ihn verlassen und immer bei ihm Schutz und Rat gesucht. Für einen Moment musste ich mich anstrengen, mich daran zu erinnern, wann ich das letzte Mal alleine mit meinen Problemen klar gekommen war. „Ziemlich niedriger Blutdruck aber das ist ja eigentlich nichts Ungewohntes bei dir.“, sagte sie mehr zu sich selbst als zu mir und kritzelte etwas in ein Buch auf dem Tresen. „Geh man nach Hause heute. Ich hab es eingetragen. Und wegen morgen schaust du einfach wie es dir dann geht, sonst ruf kurz durch und ich verlängere den Eintrag.“ „Danke Ann. Ich hoffe morgen geht’s mir wieder etwas besser.“, log ich ihr offen ins Gesicht und wünschte mir eigentlich nie wieder in die Schule zu müssen. Meine Tasche wieder schulternd, schritt ich auf den leeren Flur hinaus. Die Pause war schnell um gewesen, so dass mir zum Glück keiner mehr über den Weg laufen konnte. So wie ich Grace kannte, würde sie vermutlich nach Schulschluss noch mal bei mir vorbei schauen. Manchmal glaubte ich, dass es sie so langsam aber sicher anfing zu nerven. Ständig war ich krank, ständig wurde sie nach mir gefragt. Aber wann fragte sie mal einer wie es ihr ging? Ein Gedanke den ich lieber beiseite schob. Mein Gewissen belastete ich allein schon sehr gut, da würde mir diese Erkenntnis auch nicht viel mehr weiter helfen. Die Luft draußen war kalt und klar und tat mir unglaublich gut. Langsam schritt ich nach Hause und überlegte mir, wie es weiter gehen sollte. So wie es war, war es definitiv kein Dauerzustand aber das war mir schon länger klar. Bis dahin hatte ich immer noch gehofft, dass sich das Problem mit der Zeit von alleine lösen würde, dass es einfach nur ein körperlicher Schwäche Zustand war, der sich wieder regulieren würde. Dem war nicht so. Wochen und Monate vergingen und nichts tat sich. Mikosch schnurrte freudig um meine Beine, als ich an der Haustür ankam. Lächelnd nahm ich den rot getigerten Kater auf den Arm und ging ins Haus hinein. Mein Vater war mal wieder nicht da. Irgendeine Sitzung in Bangladesch. Bangladesch! Wenn ich dort mal in den Urlaub fahren könnte, würde ich Freudensprünge machen und mein Vater fuhr da mal einen Tag hin um schnell was zu klären. Wir lebten zwar unter einem Haus aber doch in zwei verschiedenen Welten. Träge schleppte ich mich die alte knarrende Treppe in mein Zimmer hinauf und warf mich frustriert aufs Bett. Maunzend rollte sich der Kater an meinen Beinen zusammen und schnurrte leise vor sich hin. Es war kalt im Haus, der Ofen schon seit mehreren Stunden ausgekühlt. Mürrisch legte ich mich auf die Seite und zog mir die Decke über die Beine. Eigentlich hätte ich so viel machen müssen aber meine Motivation saß noch im Keller und spielte anscheinend verstecken. In Gedanken strich ich mit dem Daumen über den dunklen Stein um meinen Hals, den mir Nanuk einst geschenkt hatte. Warm und weich schmiegte er sich in meine Hand und manchmal glaubte ich er würde sacht pulsieren. Das letzte was mir von ihm geblieben war und es musste ausgerechnet so ein Oma Schmuckstück sein, dachte ich bitter und starrte aus dem Fenster. Einzelne Schneeflocken schwebten an der Scheibe vorbei. Im sachten Licht der bald untergehenden Sonne schimmerten sie geheimnisvoll wie kleine Feen. Müdigkeit machte sich in mir breit. Was hatte ich vorhin noch gesagt? Ich musste eigenständiger werden? Vielleicht sollte ich dann damit anfangen, in dem ich endlich akzeptierte das Nanuk fort war. Schmückstück hin oder her aber jedes Mal wenn ich es in den Fingern hatte, kochten die Selben Gefühle in mir hoch. Gut erinnerte ich mich an seine Warnung, dass ich die Kette keinesfalls ablegen sollte, dass sie mir Glück bringen würde und mich beschützen sollte aber ich hatte eher das Gefühl, dass das Gegenteil eingetreten war. „Reiß dich zusammen Beth. Du musst anfangen einen Schlussstrich zu ziehen.“, redete ich mir ein und setzte mich auf. Langsam hob ich die Hände zum Nacken und öffnete den widerspenstigen Verschluss der Kette. Seufzend legte ich sie in die Schublade meines Nachtschrankes und lehnte mich wieder zurück. Irgendwie fühlte ich mich plötzlich noch träger aber auf der anderen Seite auch klarer in meinen Gedanken. Es dauerte nicht lange und ich glitt hinüber ins Land der Träume. Laut meckernd dröhnte ein Konzert von den unterschiedlichsten Vögeln über meinem Kopf. Durch meine geschlossenen Lieder strahlte die warme Sonne und zwang mich regelrecht dazu wach zu werden. Irritiert öffnete ich meine Augen und blinzelte ins Licht, ehe ich mich einigermaßen daran gewöhnt hatte. Benommen wollte ich mich aufrichten und griff mit der Hand in weiches grünes Moos, das sich warm und raschelnd unter mir erstreckte. Dichtes Blattwerk rauschte über meinem Kopf und der Vogelchor verstummte eine Sekunde. Hin und her hüpfend auf den dünnen Ästen wurde ich misstrauisch beäugt. Das Licht war hell und warm und glich in keiner Weise dem was ich von zu Hause kannte. Ich gönnte mir eine Sekunde und versuchte heraus zu finden wo ich war und vor allem, warum es sich irgendwie komisch anfühlte. Meine Hand suchte in dem Moos nach einem kleinen Stein, den ich in den Baum hinauf warf. Der Vogelschwarm schoss unter lautem Protest aus dem hintersten Ecken des Blattwerks empor und verschwand hoch über den Kronen. Endlich Ruhe. Ein seltsam vertrautes Gefühl beschlich mich und ich musste mich an den Traum erinnern, in dem ich fast ertrunken wäre. Beide Träume fühlten sich gleich an. Sofern sich Träume irgendwie anfühlen konnten. Sekundenlang saß ich einfach nur da. Ich beobachtete meine Umgebung und wusste nicht so recht etwas mit mir anzufangen. Um mich herum wirkte alles so bestechend klar, dass es mir schwer viel es für eine Illusion zu halten. Es erschien so natürlich und völlig selbstverständlich. Schwer ausatmend stand ich auf und schaute zwischen den Bäumen hindurch in die Ferne. Der Wald lichtete sich bald, daher beschloss ich mir erst einmal einen Überblick zu verschaffen. Meine Schritte wurden durch das Moos gedämpft, meine Bewegungen durch das Spiel von Licht und Schatten für die Augen Dritter nahezu verschluckt. So musste sich eine Raubkatze fühlen, die sich an ihre Beute pirschte. Ich näherte mich dem Waldrand und erkannte zwischen den dicken Baumstämmen Wiesen und Felder. Nichts Unbekanntes oder etwas was mich gewundert hätte. Was hatte ich auch erwartet. Eine rosa Wiese mit blauen Kaninchen vielleicht. Ich schüttelte den Kopf und musste über meine eigene Naivität grinsen. Rechts und Links am Waldrand entlang war nichts weiter zu sehen. Am Fuße des Hügels erkannte ich eine Gruppe von Rotwild mit einem mächtigen Hirsch als Anführer. Sein mehrastiges Geweih ragte über die Zipfel der Grashalme weit hinaus und ließ darauf schließen, dass das Tier ständig den Kopf hin und her bewegte, um sich nach Feinden umzuschauen. Wunderschöne und edle Tiere. Ihr Fell glänzte in der Sonne und sie sahen aus, als wären sie aus Bronze gegossen. Langsam kämpfte ich mich durch das hohe Gras und glaubte in einer Senke einen schmalen Pfad erhascht zu haben. Diesen ansteuernd kam ich nicht umhin die Gruppe von Rotwild aufzuscheuchen. Hastig galoppierten sie durch das Gras zurück in den Wald, während der Große sich immer wieder umschaute und mich genau im Blick behielt. Sie waren nicht die Einzigen die ich in ihrem Tun störte. Hier und dort hörte ich etwas durchs Gras huschen aber konnte nicht sehen was es war. Der Weg war mehr als schmal und glich eher einem Trampelpfad der durch die Tiere des Waldes angelegt worden war. Bewusst langsam schritt ich auf ihm entlang. Meine Hände strichen über die Spitzen der Gräser und Sträucher. Es fühlte sich weich und hart zu gleich an. Das Kribbeln wanderte durch meine Finger und zog sich durch meine Arme direkt zu meinem Herzen. Ich fühlte mich wohl, geborgen. Das erste Mal seit langem ging es mir gut. Wirklich gut. „Dies ist kein Jagdgebiet. Ihr befindet euch im königlichen Besitztum. Geht von dannen oder ich werde Euch einsperren lassen.“, raunte eine Stimme hinter mir. Erschrocken fuhr ich herum. Laut schnaubte mir das riesige Pferd mit aufgeblähten Nüstern entgegen. Das Tier war tiefschwarz und sein Fell glänzte wie poliert in der strahlenden Sonne. Die schweren Hufe standen wie in den Boden eingeschlagen und rührten sich keinen Zentimeter. Der Hengst allein hätte mir schon Respekt eingeflößt aber sein Reiter verlieh dem Bild seine Vollendung. Erhaben und stark saß er tief im Ledersattel, die große Pranke auf dem Schaft seines Zweihänders abgelegt. Er wollte das Schwert nicht ziehen, es war viel mehr eine Geste von Autorität und Macht. Sein dunkler Metallharnisch funkelte und ließ mich ein paar Mal Blinzeln. Das Gesicht durch die Sonne gegerbt wirkte furchteinflößend und sehr männlich. Sein Alter war schwer zu schätzen aber ich vermutete, dass er jünger war als er aussah. Vielleicht sogar nicht viel älter als ich. Die Nuss braunen Augen bohrten sich in meine, so dass ich schon fast gezwungen war weg zu schauen. Langsam sah ich aus den Augenwinkeln, wie er die Hand vom Schwert nahm und langsam von seinem Schlachtross abstieg. Laut klappernd stampfte er auf den Boden. Die Rüstung musste unnatürlich schwer sein und konnte von einem normal gebauten Mann kaum mühelos getragen werden. Schritt für Schritt kam er auf mich zu. Ich war geneigt mich umzudrehen und weg zu laufen. Gruselig und undurchschaubar wusste ich nicht was er nun vor hatte. „Es tut mir Leid. Ich wollte nicht jagen oder so was. Ich hab auch gar keine Waffen dafür.“, versuchte ich ihm zu erklären. Er ging unbeirrt weiter. Angst kroch so langsam durch mich hindurch und ließ mich ein paar Schritte rückwärtsgehen. Mit jedem Schritt den er näher kam schien sein Gesicht sich zu verändern. Seine Augen öffneten sich, seine Mimik veränderte sich und erschien mir fast schon warmherzig. Ein sachtes Lächeln umspielte seine rauen Lippen. Verwirrt blieb ich stehen und beobachtete wie er unbeirrt näher kam. „Es ist lange her. Verzeih, dass ich dich nicht erkannt hab. Du hast dich verändert.“, seine Stimme war plötzlich unnatürlich weich und hatte einen liebevollen Klang angenommen. Er verwechselte mich. Aber mit wem? „Entschuldigt aber…“, begann ich doch ich wurde unterbrochen. Er hatte seinen Finger auf meine Lippen gelegt und die braunen Augen schauten mich erwartungsvoll an. Er stand nun dicht bei mir und überragte mich um einen gute Kopflänge. Ich roch den Schweiß und einen Hauch von Heu aus dem Stall. Sein Dienst schien noch nicht lange begonnen zu haben. Die kurzen braunen Haare erinnerten mich ein wenig an Ben. Peinlich berührt schob ich den schwer gepanzerten Arm beiseite und wollte zu einer Erklärung ansetzen. Ich kam nicht dazu. Der Mann lächelte und nahm ohne Vorwarnung meinen Kopf in seine Hände. Zärtlich strich er mir eine Haarsträhne aus de Augenwinkeln und sein kantiges Gesicht näherte sich dem meinen. Ich war so irritiert, dass ich nicht wusste ob ich mich wehren sollte oder nicht. Eingehüllt von seiner Ausstrahlung und seinen Gefühlen, die er mir entgegen brachte war ich unfähig etwas anderes zu tun als ihn gewähren zu lassen. Sanft legten sich seine Lippen auf meine. Sie fühlten sich warm und weich an. Plötzlich wusste ich, dass er nicht viel älter als ich sein konnte. Er benahm sich nicht wie jemand der bereits in einem gestanden Alter war. Plötzlich spürte ich ein jugendliches Feuer unter der metallenen Rüstung und glaubte sein ungestümes Herz pochen zu hören. Ich war so mitgerissen von seinem Begehren, dass ich entgegen meiner Erwartungen den Kuss erwiderte. Es fühlte sich so gut an. Nein. Er fühlte sich gut an. Meine erstarrte Haltung schlug ruckartig um. Weiche Knie und ein merkwürdiges Kribbeln im Bauch ließen mich schwer atmen. Je mehr ich mich in seiner Umarmung verlor umso mehr rebellierte jedoch etwas in mir, dass es falsch war. Ich war nicht die für die er mich hielt. Er war mir unbekannt. Ein Fremder. Sachte legte ich die Hände auf seine Brust und begann ihn vorsichtig weg zu schieben. Ohne sich zu wehren, ließ er mich gewähren und legte gleichzeitig den Kopf schief. „Hab ich etwas getan? Hab ich dich gekränkt?“, fragte er und erschien ehrlich betroffen. „Nein habt ihr nicht. Ich befürchte nur ich bin nicht die, für die ihr mich haltet.“, gestand ich und es machte mich traurig ihn aufklären zu müssen. Er schien für die Frau, die er glaubte vor sich zu haben, ehrliche Liebe zu empfinden. „Was meint ihr? Habt ihr mich vergessen?“, begann er aufzubegehren und machte wieder einen Schritt auf mich zu, um mich erneut zu küssen. Hastig wich ich zurück. „Nicht. Ich bin nicht sie. Mein Name ist Elizabeth. Für wen auch immer ihr mich haltet, ich bin es nicht. Verzeiht das ich nicht eher etwas gesagt habe.“ Für einen Moment musste ich mich beherrschen nicht zu weinen. Sein niedergeschmettertes Gesicht traf mich so hart, dass es mir schwer fiel ihm weiter in die Augen zu schauen. Er verstand nicht was gerade geschah. Viel schlimmer jedoch, er glaubte mir nicht. Sich sträubend schüttelte er den Kopf und schnaubte leise. „Es ist lange her, das weiß ich. Aber ihr… du musst dich doch erinnern. Ich bin es. Rahlan.“ Seine Verzweifelung versetzte mir einen herben Stich. Vorsichtig hob ich die Hand und streichelte ihm über die Wange. Ich kam nicht umhin ihm zumindest einen Bruchteil an Zuneigung entgegen zu bringen. Seine Gefühle schienen so ehrlich und tief, dass es mir das Herz zerriss ihn enttäuschen zu müssen. „Glaub mir. Ich bin es nicht. Es tut mir Leid.“, flüsterte ich. Er bedachte mich mit einem langen durchdringenden Blick, ehe er den Kopf senkte und sich halbherzig einzureden versuchte, dass ich Recht hatte. Routiniert zog er seine ledernen Handschuhe wieder an. „Ich verstehe.“, sagte er kurz und seine Stimme war ungleich rauer und tiefer. Ruhig stand der schwarze Hengst hinter ihm und wartete geduldig auf seinen Herren, der sich nun umdrehte und wieder zu ihm zurück schritt. Ohne ein weiteres Wort zu mir zu sagen, schwang er sich in den Sattel zurück und streckte mir von weit oben die Hand entgegen. Unsicher schaute ich ihn an. „Ich weiß nicht wer du bist und was du hier möchtest aber mein Gefühl sagt mir, dass du keine Gefahr darstellst. Ich bring dich zum Schloss meines Herrn. Dort kannst du dich ausruhen und dich stärken. Vertrau mir.“, lächelte er sanft und nahm mit der anderen Hand die Zügel auf. Schnaubend begann der große Schwarze mit den Hufen zu scharren und schien nur darauf zu warten, seine schweren Eisen in den Boden zu graben, um im gestreckten Galopp über die Felder zu fliegen. Ohne zu überlegen nahm ich seine Hand und ließ mich von ihm mit einem Ruck in den Sattel ziehen. Ungeduldig schnaubte das Tier und ich spürte wie sich seine Muskeln spannten. Dem Hengst einen unsichtbaren Befehl gebend galoppierte er aus dem Stand los. Die Wucht seines Antritts drückte mich gegen den metallenen Harnisch von Rahlan. Hinter uns wirbelte Staub durch die Luft und hier und dort kamen ruckartig Köpfe von Hirschen und Rehen aus dem Gras. Die Erde unter uns musste beben. Wind trieb mir Tränen in die Augen und die wilde schwarze Mähne des Pferdes peitschte mir zusätzlich ins Gesicht. Der Weg unter uns wurde breiter und bereits nach wenigen Minuten säumten rechts und links Fahnenstangen mit immer demselben Wappen den Weg. Ein schwarzes Pferd mit Flügeln war darauf abgebildet, wie es umringt von blauen Flammen auf einem roten Hintergrund stieg. Ein Zeichen von Macht und Stärke. Genau das was Rahlan und sein Tier ausstrahlten. Vielleicht handelte es sich um ein Kriegervolk. Vielleicht taten sie nichts anderes als in die Schlacht zu ziehen und andere Völker auszulöschen. Vielleicht war es doch keine so gute Idee zum Schloss aufzubrechen. Meine Zweifel kamen leider zu spät. Bereits in ein paar hundert Metern erkannte ich eine Schlossanlage mit einer überragenden Burgmauer, welche übersät war mit den Bannern des Landes. Wachen mit denselben imposanten dunklen Rüstungen bewachten das Zugangstor. Vor den Burgmauern waren satte grüne Wiesen umzäunt und ich hörte als wir uns näherten lautes Poltern. Kurz bevor wir das Tor passierten kam eine Herde edler schwarzer und kräftiger Pferde heran galoppiert. Sie setzten ihren Weg am Zaun entlang fort und ich war nicht in der Lage abzuschätzen um wie viele es sich wohl handeln mochte. Ihre dunklen Mähnen wehten im Wind und ihre Eisen schlugen tiefe Furchen in die Erde. Von der unglaublichen Ausstrahlung der Tiere nahm ich an, dass es sich um eine reine Hengstherde handeln musste. Stuten und Wallache konnten nicht so muskulös sein. Die Männer am Tor nickten Rahlan nur kurz zu und beäugten mich mit einem undefinierbaren Blick. Der Innenhof des Schlosses war riesig und beherbergte ein eigenes kleines Dorf. Schneider, Bauern, Schmiede, Bäcker, Fleischer. Alles was man brauchte um autark zu leben. Um mich herum wirkte es so unnatürlich sauber. Ich hatte mir ein mittelalterliches Dorf immer dreckig und stinkend vorgestellt. Im Unterricht hieß es die Menschen früher hätten ihre Fäkalien einfach aus dem Fenster geschüttet. Hier mussten sie eine andere Lösung dafür gefunden haben. Die Bürger auf den Straßen waren auch nicht ärmlich gekleidet. Der Stoff den sie trugen wirkte zwar robust aber nicht grob. Keiner war in Lumpen oder Fetzen gehüllt, die an einen Bettler erinnern würden. Manche schauten kurz zu Rahlan hinauf und nickten freundlich. Sie schienen ihn zu kennen und zu achten. Meine Wenigkeit hingegen wurde zwar wahrgenommen aber nicht weiter beachtet. Der Hengst unter uns schnaubte laut mit jedem Schritt den er tat. Die Strecke musste ihn geschwächt haben. Ohne Rahlan zu fragen ließ ich mich aus dem Sattel gleiten und ging neben dem Tier her. Der Krieger musste erkannt haben, was ich damit bezwecken wollte und stoppte das Pferd, um selbst abzusteigen. „Du hast Recht. Zephal hat uns lange genug getragen.“, lächelte Rahlan und zog seine Handschuhe aus, um sie in den Satteltaschen zu verstauen. Zephal schritt schnaubend neben uns her, ohne dass man ihn führen musste. Das Tier schien zu wissen, dass er Rahlan zu folgen hatte. Egal wohin. Die Häuser um uns herum glichen alten Fachwerkgebäuden, wie ich sie schon öfter in kleinen Bauerndörfern gesehen hatte. Über unseren Köpfen hingen Wäscheleinen mit Bettlaken oder anderen Sachen. Reges Treiben beherrschte die Straßen und jeder Mensch schien einer wichtigen Aufgabe nachzugehen. Was ich bislang vermisste war der Anblick von Kindern. Man hörte kein Lachen und sah keinen Nachwuchs mit Hunden spielen oder zwischen den Leuten hindurch laufen. Ich wusste nicht wie spät es war daher nahm ich an, dass sie in der Schule waren. „Wohin bringst du mich?“, wollte ich wissen. Die Gasse in der wir uns bewegten wurde breiter und der sandige Boden ging in einen grob gepflasterten Weg über. „Ich bringe dich ins Schloss. Dort kannst du dich in einer Unterkunft für Reisende ausruhen und dich stärken, bevor du deinen Weg fortsetzt.“, antwortete er und grüßte mit einem kurzen Nicken weitere Wachen, die uns begegneten. „Woher kommst du überhaupt? Ist das eine religiöse Kleidung die du da trägst?“ „Das hört sich gut an. Ein wenig Wasser würde mich sicherlich erfrischen.“, antwortete ich und musterte weitere Wachen, die an einem pompösen Torbogen standen. Erst jetzt fiel mir auf, dass all die Männer in den Rüstungen jung waren. Keiner von ihnen erschien mir älter als dreißig. Die gesamte Bevölkerung des Schlosses bewegte sich in einer Alterspanne vom Jugendlichen bis hin zu einem reifen Erwachsenen. Keine Kinder und keine Alten. „Nein. Das sind ganz gewöhnliche Sachen.“, antwortete ich in Gedanken und versuchte eine plausible Antwort darauf zu finden, wo diese Menschen waren. Der Torbogen zur Eingangshalle wurde ebenfalls von steigenden Pferden eingerahmt, die in den dunklen Stein gemeißelt waren. Über ihren Köpfen thronten schwere metallene Buchstaben aber ihre Bedeutung konnte ich nicht entziffern, denn die Sprache war mir fremd. Die Eingangshalle war riesig und zu beiden Seiten stützen Säulen die Decke. Malereien zogen sich an der Decke entlang. Eine Armee schwarzer Pferde und ihrer Reiter zogen in den Krieg gegen eine Horde von Männern die auf Greifen ritten und mit Flammen um sich schlugen. Die schwarzen Tiere galoppierten auf einer Welle blauen Feuers und die roten Umhänge der Soldaten schimmerten als würden auch sie in züngelndes Feuer übergehen. Meine erste Vermutung, dass es sich um ein Volk von Soldaten handeln musste schien der Realität nahe zu kommen. An den Seitenwänden thronten die unterschiedlichsten Wappen über denen sich eine Waffe und eine Fahne kreuzten. Völker die bereits gefallen waren, dachte ich instinktiv. Rahlan schritt zielsicher voran und bog hinter einer Säule in einen schmalen Gang ab. Fackeln an den Wänden erhellten den Weg. Die schwere Rüstung Rahlans klirrte leise und das Geräusch brach sich an den Wänden. Unnatürlich lang hallte es nach und ließ mich keinen klaren Gedanken fassen. Nach mehreren Ecken kamen wir auf einen Durchgang zu der durch einen schweren samtenen Umhang verschlossen wurde. Rahlan schob ihn beiseite und wies mir den Raum dahinter zu betreten. Ein großes rundes Fenster brachte Licht in die Kammer. In einer hinteren Ecke prasselte ein Feuer im Kamin und verbreitete eine wohlige Wärme. Auf einem kleinen Tisch vor den Flammen waren Getränke, Brot und andere Leckereien ausgebreitet und luden zu einer Mahlzeit ein. „Leistest du mir Gesellschaft?“, fragte ich, denn der Gedanke alleine in diesem Gemäuer zu bleiben missfiel mir. „Natürlich. Wenn du das möchtest.“, lächelte er und ließ den Vorhang hinter sich zu fallen. Routiniert begann er die Schnallen an seinem Harnisch zu öffnen und das schwere Metall abzulegen. An einer Schale mit Wasser entfernte er den Schweiß und den Dreck des Ritts und fuhr sich mit den nassen Händen durch die kurzen kastanienbraunen Haare. Jede Bewegung und jede Geste wirkten erhaben und stolz. Jetzt war es deutlich zu sehen, dass er noch jungen Blutes war. Seine Augen waren ungleich wacher und seine Erscheinung aufrechter. Er war ein Bild von einem Mann. Selbst unter dem weiten Leinenhemd waren die breiten muskulösen Schultern deutlich zu erkennen. Ich konnte mir nur in meinen Träumen ausmalen, wie es wohl darunter aussehen mochte. „Was ist das hier für ein Königreich?“, fragte ich und versuchte meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken, anstatt seine Muskeln anzuschmachten. „Was genau meinst du?“ Er schenkte uns beiden Saft in zwei Zinnbecher ein und stellte sie auf den kleinen Tisch vor den Kamin. Für einen Moment musste ich überlegen, was an meiner Frage missverständlich war, bis ich sie neu formulierte. „Wie lebt ihr hier? Habt ihr unterschiedliche Schichten? So etwas wie den Adel und die einfachen Bürger?“ Mit jeder Frage kam ich mir dümmer vor und bereute überhaupt danach gefragt zu haben. Missmutig rutschte ich auf dem runden Kissen vor der Feuerstelle hin und her. Beiläufig schob er die Ärmel seines Gewandes hoch und ließ sich neben mir auf einem weiteren Kissen nieder. Für einen Moment zuckte ich unmerklich zusammen, als mein Blick auf seine Unterarme fiel. Nicht nur an den Armen, sondern auch auf den Handrücken waren teils dünne Narben aber teils auch wulstige schlecht geheilte Verletzungen zu erkennen. Vermutlich stammten sie von den unterschiedlichsten Arten von Klingen. Dünne Einhänder, mit einer flach geschliffenen Klinge oder einem langen Bihänder, mit klauenartigen Spitzen an den Klingenseiten, die nur dazu gemacht waren um Haut und Innereien zu zerreißen, wenn man das Schwert erst einmal ins Fleisch gejagt hatte und es mit Kraft wieder zurück zog. Ein Schauer fuhr mir über den Rücken. Ich konnte mir nicht vorstellen wie es sein musste in den Krieg zu ziehen. Schon allein der Gedanke sich auf eine Schlacht vorbereiten zu müssen, völlig unwissend, sich mit Metallpanzern und Klingen zu bestücken, ohne die Gewissheit, dass man den nächsten Morgen erleben würde. Ob man in solch eine Rolle hineinwachsen musste? Vielleicht gab es auch einfach Menschen, die so etwas konnte und welche die eben nicht dafür geschaffen waren. Das Knistern des Feuers im Hintergrund war wie eine Melodie der Natur, sanft und zerstörerisch zugleich. Eine beruhigende Wärme flutete den Raum und schuf eine wohlige Atmosphäre. Ich wusste dass auch dieser Schein trug. Das Feuer vor mir war durch Menschhand gebändigt und gefügig gemacht. Fast so wie Rahlan, schoss es mir ungewollt durch den Kopf. In diesem Moment war er vertrauenserweckend und liebevoll aber wie mochte es in einer Schlacht um seinen Gemütszustand stehen. Wie die Flammen vermochte er ebenso aufzulodern und alles um ihn herum zu vernichten. Ungebändigt, zerstörerisch und schlichtweg tödlich. Versunken in meinen Gedanken musste ich unbewusst ein Stück weg gerückt sein. Irritiert legte Rahlan den Kopf ein wenig schräg und schaute mich aus den warmen braunen Augen an. Sie wirkten ungebrochen wach und freundlich. Ich konnte mir einfach nicht eingestehen, dass Rahlan mit Sicherheit nicht nur Verletzungen erduldet hatte, sondern ebenso welche zufügte. „Alles in Ordnung? Hab ich dich irgendwie verstört?“, fragte er vorsichtig. Unsicher ob ich ehrlich antworten sollte, wich ich lieber aus: “Ich bin nur nicht mit solch Menschen wie dir vertraut.“ „Menschen wie mir?“ „Kriegern.“ „Ich verstehe.“, sagte er knapp und etwas in seiner Stimme hatte sich verändert. Er senkte den Kopf und schaute ins Feuer. Ich hatte ganz eindeutig einen wunden Nerv getroffen. Der Glanz in seinen Augen schien erloschen und wich einem wehmütigen Ausdruck, als habe er sich Anderes von dem Gespräch erhofft. „Ich wollte dich nicht verletzen. Ich denke einfach zu viel nach.“, gestand ich und ertappte mich dabei, wie ich abermals auf die mit Narben überzogenen Arme schaute. „Wir sind Söldner.“, begann er trocken und antwortete damit auf meine zuerst gestellt Frage. Anscheinend seine Methode der peinlichen Situation zu entfliehen. „Das Schloss beherbergt alle möglichen Menschen, die ein Leben abseits von anderen ermöglichen. Der Rest aller Anwohner sind bereits ausgebildete Söldner oder eben solche, die zu einem gemacht werden. Im Moment sind es nicht viele, die das Schloss bewohnen. Die meisten befinden sich in einer Schlacht am Rinnsalgebirge. Und bevor du fragst, nein wir machen keinen Unterschied darin für wen wir kämpfen. Bezahlt ist bezahlt und mit leeren Magen lebt man nicht lang.“ Jeder Satz der seinen Mund verließ trieb mir mehr Kälte in die Knochen. In meinem Kopf explodierten Bilder von Schlachten und wilden Auseinandersetzungen. Nur mit viel Mühe konnte ich vermeiden, mir Gedanken darüber zu machen ob er nur andere Krieger tötete oder nicht auch mal ein Kind oder dergleichen zu seinen Opfern zählte. Ich fühlte mich schäbig so über ihn zu urteilen. In meiner Welt gab es genauso Söldner. „Es muss ein hartes Leben sein.“, räumte ich ein. „Man sucht es sich nicht aus. Entweder entstammt man einer Söldnerfamilie und es ist vorbestimmt denselben Weg wie seine Ahnen einzuschlagen oder man wird von seinen Eltern an den König verkauft und zu einem Söldner ausgebildet. Viele Jugendliche kommen auch freiwillig und erhoffen sich Ruhm und Anerkennung. Es gibt viele Gründe warum dieses Leben für manche erstrebenswert ist und ebenso viele es zu verachten. Ich kann dich also auch sehr gut verstehen. Lass dir gesagt sein, dass ich diesen Weg nicht gewählt habe. Ich versuche nur das Beste daraus zu machen und meiner Familie keine Schande zu bringen.“, sagte er und immer mal wieder musste er sich zusammen nehmen, den vorwurfsvollen und zugleich verteidigenden Unterton aus seiner Stimme zu verbannen. Bemüht darum sein Gesicht nicht zu verlieren atmete er einmal tief durch. „Hast du noch andere Fragen?“ Überrumpelt starrte ich ihn an und wusste nicht was ich dazu sagen sollte. Irgendwie eingeschüchtert blickte ich zu Boden. Auf den matten Steinplatten spiegelte sich ein wenig der orangene Feuerschein wieder. Es war anstrengend dem Spiel von Licht und Schatten zu folgen aber genauso faszinierend. Zwischen uns hatte sich im Laufe der Begegnung eine Spannung aufgebaut, die ich nicht einzuordnen wusste. Manchmal war sie beängstigend und manchmal elektrisierend. Wäre es daher angebracht gewesen jetzt noch mehr über das Söldnertum zu erfragen. Wohl kaum. Stattdessen fragte ich: “Wie kam das Wappen des Schlosses zustande?“ Ein flüchtiges Grinsen huschte über seine Gesichtszüge. Er war nicht dumm. Wohlwissend, dass ich die Situation entschärfen wollte, nahm er dies dankend an. „Der König dieser Lande ist ein Magier. In jüngster Zeit verhexte er einen schwarzen Hengst und schenkte ihm die Macht sich selbst mit blauen Flammen zu schützen. Der Urhengst der Linie besaß zudem noch Flügel und war schon von sich aus ein seltenes und anmutiges Wesen. Immer mal wieder kommt das alte Urgen des Hengstes durch und es wird wieder ein Tier mit Flügeln und der Begabung der Feuerkontrolle geboren. Daher das Wappen.“, er stockte und blickte plötzlich zum samtenen Vorhang. „Er ist der Hexenkönig von Beriaskahn. Sein Name lautet Darjan Beriaskahn.“ Plötzlich wurde der Vorhang beiseite geschoben und Rahlans Gesicht verfinsterte sich. Ein junger Mann betrat den Raum und füllte ihn schlagartig mit einer machtvollen und autoritären Ausstrahlung. Jeder Gedanke auch nur den kleinsten Widerspruch gegen ihn zu leisten wurde allein durch seine Anwesenheit im Keim erstickt. Kühl und berechnend blickten eisblaue Augen auf uns nieder. Rahlans Muskeln spannten sich aber er rührte sich keinen Zentimeter als habe er Angst damit etwas Schlimmes herauf zu beschwören. Er ließ den Mann keine Sekunde aus den Augen. Erst jetzt verstand ich, was es mit seinem Verhalten auf sich hatte. Vor mir stand Darjan. Der Hexenkönig. Ein süffisantes Grinsen machte sich auf Darjans Gesicht breit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)