Halloween in Japan von Wieldy (Wichtel-FF für Bell-chan) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Im Januar hatte Stefan sich mit der verrückten Sophia zu Halloween verabredet. Sie wollten zusammen um die Häuser ziehen und prächtig Süßigkeiten absahnen. Sophia wollte sich ein Video aus der Horrorfilmsammlung ihres großen Bruders ausleihen. Ab 16. Vielleicht sogar ab 18. Den würden sie sich zusammen ansehen und danach würde er bei Sophia übernachten. Der Ferienplanung ihrer Eltern zufolge sollte sie da sturmfreie Bude haben. Stefan freute sich riesig. Er hatte eine Freundin und ein neun Monate im Voraus geplantes Date. Nur mit dem Horrorfilm konnte er sich insgeheim noch nicht so wirklich anfreunden. Er wollte nicht, dass Sophia herausfand, was für ein Angsthase er manchmal sein konnte. Dann hatten seine Eltern ihm eröffnet, dass sein Vater ein unschlagbares Jobangebot aus Japan hatte. Umzug in den Sommerferien. Bis vor kurzem hatte Stefan noch nicht einmal den Unterschied zwischen Japan und China gekannt. Was ihm ebenfalls sehr peinlich war. Sophia war schließlich so ein richtiger Japanfreak. Las in jeder Hofpause mindestens einen Manga, konnte fast besser Japanisch als Französisch (obwohl das bei ihren grausligen Französischkenntnissen fast nicht so schwer war), war öfters Sushi essen als bei McDonalds. Sophia hatte dann auch den denkwürdigsten Gesichtsausdruck der Weltgeschichte hingelegt, als er ihr von seinen erzwungenen Umzugsplänen Bericht erstattete. Einerseits war das Leben ohne Stefan ganz schrecklich. Andererseits war sie neidisch, dass sie nicht nach Japan durfte. Er sollte ihr doch bitte Pakete mit Manga und japanischen Süßigkeiten schicken. Und dann auch alles ganz genau aufschreiben, was er so erlebte. Bald erzählte Sophia ihrem ganzen nicht ungroßen Bekanntenkreis, dass ihr Freund bald ins gelobte Land der Mangafreaks fahren würde. Stefan erlangte so etwas wie Berühmtheit unter sämtlichen Otakus der siebten bis neunten Klasse seiner Schule. Worauf er liebend gerne verzichtet hätte, wenn er dafür bloß Halloween mit Sophia hätte verbringen können. Sehr viel mehr wollte er doch gar nicht. Das Leben war ungerecht. Irgendwann im Laufe des Sommers wurde Sophia immer aufgedrehter und Stefan immer unglücklicher. Er weinte seinen gesammelten Freundschaften schon mal im voraus hinterher, während sie um ihn herumtänzelte und in immer höheren Tönen von all den tollen Dingen schwärmte, die er in Japan unbedingt unternehmen sollte. Schließlich war Stefan so deprimiert und Sophia so abgedreht, dass er es einfach nicht mehr aushielt. Er entschied sich, Schluss zu machen. So also hatte Japan Stefans erste Liebesbeziehung zerstört. In Japan angekommen gab es ungefähr gar nichts, was Stefan gefiel. Er verstand diese seltsame Sprache nicht. Das Schriftsystem hatte ihm definitiv zu viele Zeichen. In der neuen Schule sollte er eine Schuluniform tragen, die er nicht mochte. Niemand schien zu Halloween die Absicht zu hegen, um die Häuser zu ziehen. Kein Feuerwerk zu Sylvester, so weit er das richtig verstanden hatte. Kein richtiges Weihnachten mit Weihnachtsmarkt und allem. Stattdessen ekliges Essen. Ganz viel fisch und Reis, der so schleimig aussah. Algen würde er mit Sicherheit niemals zur Kategorie Nahrung zählen. Immer, wenn er in der Öffentlichkeit war, fühlte er sich beobachtet. Er war schließlich der einzige mit roten haaren weit und breit. Wenn er aus der Toilette kam und vergaß die Schlappen zu wechseln, brachen alle Anwesenden in Heiterkeit aus. Mehrmals wurde er gezwungen Natto zu probieren. Es gab weit mehr Höflichkeitsfloskeln als er sich in diesem Leben merken konnte. Als er sich im Mangalesen probieren wollte, fand er sich bei der erdrückenden Auswahl im Laden nicht zurecht und zog einen aus dem Regal, bei dem sich gleich auf der ersten Seite, die er aufschlug zwei Jungs küssten, was ganz und gar nicht sein Geschmack war. Wenn er in eine Bäckerei ging, fand er fast nur süße Dinge und alles Brot war irgendwo weich und labberig. Dafür gab es bemerkenswert viel Baumkuchen zu kaufen, aber den hatte er schon in Deutschland noch nie gemocht. Dann kam Halloween. Vor nicht ganz einem Jahr noch hätte es der Tag sein können, an dem er mit Sophia um die Häuser zog. Stattdessen wurde es der Tag, an dem ihm die süße, unscheinbare Reina aus der letzten Reihe in der Mittagspause ein selbstgemachtes Bento überreichte. Als er die edle schwarze Dose öffnete, grinsten essbare Geister, Kürbisse und Vampire nur so um die Wette. Reina setzte sich neben ihn und erzählte ihm irgendetwas, was er noch nicht so recht verstand. Das war ihm dann aber auch wieder egal. Er schaute ihr auch so ganz gerne beim Reden zu und zum allerersten Mal schmeckte ihm das Essen. Auch wenn die kunstvollen Dekorationen in Wahrheit bloß Reis, Fisch und Algen waren. Als er von der Schule nach Hause kam, war ein Briefumschlag für ihn eingetroffen. Darin befand sich ein Halloweenbild im Mangastil, extra für ihn gezeichnet, von Sophia. Er wollte zwar nicht noch einmal mit ihr zusammen kommen, aber verziehen hatte er ihr gründlich und er besann sich auf sein Versprechen, ihr alles ganz genau zu beschreiben, was er in diesem wunderlichen Land so tolles erleben würde. Sein erster Brief handelte von Bento. Viele darauffolgende auch, denn er entdeckte die Kunst des Bentomachens für sich, schließlich konnte nicht jeden Tag eine nette Klassenkameradin extra früher für ihn aufstehen! Jahre später, als er längst wieder nach Deutschland zurückgekehrt war, hatte er schon so manche Frau mit seinen japanischen Kochkünsten um die Finger gewickelt. Doch, die, die er schließlich heiratete hieß Reina. So hatte das Land der aufgehenden Sonne, in das er ihr letztendlich zurückfolgte, es tatsächlich noch geschafft unter anderem eine heiße Hochzeitsnacht, eine ganze Reihe von Bentos mit außergewöhnlichen Zutaten wie Sauerkraut und Würstchen, die eine vielbeschäftigte Geschäftsfrau morgens von ihrem Mann bekam, einen original deutschen Biergarten in Tokyo und zwei zu Halloween an alle Türen klopfende, rothaarige Halbjapanerinnen zu erschaffen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)