Blood Deal von -Amber- (Even if saving you sends me to heaven) ================================================================================ Kapitel 46: Veilchen -------------------- Antonin Langsam begann Antonin sich zu fragen, wie er seine Augen überhaupt noch offen halten konnte. Er hatte nach seiner Sitzung die gesamte Nacht in seinem Labor verbracht um genügend CI-4 herzustellen, um seinen Ausfall eine Woche zu decken. Und das war hart. Es war sogar so hart, dass er eine ganze Produktionsreihe gegen vier Uhr morgens vernichten musste, weil ihm ein Fehler unterlaufen war. Ein dämlicher, kleiner Fehler und zack... weg ging das ganze Zeug. Simon würde sich schön bedanken, wenn er ihm nächste Woche eine doppelt so große Beschaffungslisten erhalten würde. An jenen hatte er sich inzwischen recht gut gewöhnt und der wohl auch an ihn. Letztes Mal hatten sie am Übergabeort sogar ein Bierchen getrunken und sich über Football unterhalten. Etwas, bei dem man immer Pluspunkte bei ihm sammeln konnte, denn Football war so etwas wie seine geheime Leidenschaft. Zum Superbowl durfte man ihn nicht mit irgendetwas anderem beschäftigen, wenn man nicht über den Haufen geschossen werden wollte. Da kannte Antonin keine Gnade an diesem Tag. Aber wie dem auch war, momentan war es 6 Uhr morgens und er betrachtete den Jeep mit ein wenig Misstrauen. Nicht vor dem Fahrzeug, sondern vor seinen eigenen Fähigkeiten, jenes jetzt noch zu lenken. Vielleicht sollte er sich einen kleinen Kick verabreichen? Hm... das war kein falscher Gedanke und so zuppelte er sein Handy aus dem weißen Labormantel, den er einfach angelassen hatte, und machte sich daran eine SMS zu schreiben. Weißt du, was der wirklich gravierende, alles entscheidende Unterschied zwischen uns ist? Dass mein Doc mir stressbedingten Urlaub verschreibt, während deiner vermutlich schon lange aufgegeben hat. Ich gehe jetzt erst einmal schlafen und wollte dir eigentlich nur sagen, dass ich gerade an dich denken musste. Gruß Antonin Wunderbares Zeitalter der langen SMS. Er grinste und tatsächlich schlug sein Herz ein wenig schneller, was darin resultierte, dass er es wagte sich hinter das Steuer zu setzen und leise zu lachen. Cole - das neue perfekte Aufputschmittel mit noch unbekannten Nebenwirkungen. Ob das ein Kassenschlager werden würde? Antonin wusste es nicht, hoffte jedoch, dass jenes Mittel nicht mehr für jeden frei zugänglich wäre. Das war sein Aufputschmittel und früher oder später würde das auch der Gegenpart begreifen. Glaubte er. Hoffte er. Wollte er. Wieder etwas bedrückter lenkte er seinen Jeep bis in seine Tiefgarage und torkelte dann in sein Bett, um sich den dringend benötigten Schlaf abzuholen. Später würde er eine neue Übergabe mit Ragnar ausmachen und ihm davon berichten, dass er ihm jetzt mal eine Woche gestohlen bleiben konnte. Vielleicht in etwas höflicheren Worten, schließlich mochte er den Kerl. Und danach würde er vielleicht mal wieder ein paar Schießübungen machen. Oder eine Stadtrundfahrt. Hm... ja das klang alles gar nicht so übel. Cole Als Cole sein Handy läuten hörte, hatte er das Gefühl eben erst eingeschlafen zu sein, müde drehte er sich, um den vermeintlichen Wecker auszuschalten, als er sah, dass es eine SMS war, die er erhalten hatte. Nur mit Mühe konnte er die Augen öffnen, stellte fest, dass er tatsächlich erst seit einer Stunde schlief, und las die Nachricht, die ihn zum Schmunzeln brachte. Aber ihm fehlte gänzlich die Kraft gleich zurückzuschreiben. Und so schlief er weiter, bis drei Stunden später sein Handy ihn tatsächlich als Wecker weckte. Nachdem er geduscht und eine Tasse Kaffee getrunken hatte griff er zum Handy und antwortete. Ich denke, der Unterschied ist, dass du überhaupt zu einem Doc gehst ;) Aber vielleicht verschreibt mir mein Nächte lang arbeitender Küchenchef ja bald einmal Zwangsurlaub, zumindest, wenn er mich bis dahin nicht aufgegeben hat. Allerdings befürchte ich, dass mich mein Küchenchef vorher lyncht, weil ich mal wieder einer Gefahr nicht aus dem Weg gegangen bin. Es ist aber nichts passiert. Also keine Sorge... Vielleicht beschwichtigt ja die Tatsache, dass ich auch an ihn denke, seinen Zorn Cole las es noch einmal durch, dann drückte er auf senden, bevor er es sich anders überlegen würde. Er hatte irgendwie ein schlechtes Gewissen, weil er Antonin nichts gesagt hatte. Es war mittlerweile 10 Uhr, Zeit, weiter zu machen, wo er vor 5 Stunden aufgehört hatte… Vier Stunden später war er im Lady-Dream. Nur kurz, um Ragnar zu verständigen, dass Hunter, wie er ihn wohl nur nennen würde, an diesem Abend kommen würde, dass er aber vorsichtig sein solle und ihm vorerst nur kleine Jobs geben sollte. Noch war sein Misstrauen nicht gänzlich weg. Denn wenn jener für eine andere Organisation schon einmal gearbeitet hatte, konnte das auch zu Stress führen. Anschließend fuhr er durch New York. Er hatte einige Leute zu besuchen, Verbindungen wieder aufzubauen, Dinge zu organisieren und verschiedene 'Verladestellen' zu inspizieren. Ob er Antonin fragen sollte, ob er ihm bei dem Autodeal helfen würde? Aber offensichtlich würde jener Urlaub nehmen, er sollte ihn nicht stören, sondern ihn seinen Erholungsurlaub wirklich genießen lassen. Antonin Es war 15 Uhr als endlich wieder Leben in ihm erwachte. Und der ganze Vorgang wäre wohl wie immer unendlich in die Länge gezogen worden, wenn er nicht noch schlaftrunken nach seinem Handy gegriffen und die SMS gelesen hätte. Von einer Sekunde zur nächsten saß er aufrecht im Bett und las die kurzen Zeilen wieder und wieder, bis sie sich ihm ins Hirn eingebrannten wie Schwefelsäure. Die Augen verengend, warf er die Decke zurück und das Handy achtlos aufs Bett. Schlafgewohnheiten hin, Schlafgewohnheiten her. Da bräuchte jemand mal eine Erinnerung, was Antonin in erste Linie darstellte. Kannte Cole den Spruch nicht: Was einer nicht weiß, macht einen nicht heiß? Wollte Cole ihn verhöhnen? Hatte jener sich nicht bereit erklärt, ihm Bescheid zu sagen, wenn etwas potentiell Gefährliches anstand? Wie ein Hund vor sich hin knurrend stellte er sich unter die Dusche und versuchte seinen Zorn und auch seine Angst wieder unter Kontrolle zu bekommen. Würde das jetzt so weiterlaufen, ja? Lag das daran, dass sie sich näher kamen, oder daran, dass Cole die ganze Sache mit dem Guard nicht so ernst nahm? Müsste er wirklich auf Observation zurückgreifen, um auf diesen elendigen Sturkopf aufzupassen? Na, der sollte sich nicht wundern! Tropfnass, nur mit einem Handtuch um die Hüften ging er in die Küche und zog seinen Laptop unter all dem Papier hervor und gleich darauf im Internet nach einem passenden Bild zu suchen. Nein, nach zwei passenden Bildern. Und so kam die erste SMS an Cole zusammen mit einem dazu passendem Bild an. Eine eindeutig als Koch zu identifizierende Comicfigur hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte zwischen lachen und weinen schwankend, auf einen brennenden Herd, während nebendran sein Lehrling stand und die Hände wie zum Schulterzucken erhoben hatte. In dessen Sprechblase stand: "Ich hab‘s immerhin versucht." Dein Küchenchef lässt sich damit tatsächlich beschwichtigen. Denkt jetzt jedoch genauer über den erwähnten Zwangsurlaub nach… Während das zweite ein Fantasybild war, das einen ziemlich bösartigen Drachen zeigte, der gerade eine ganze Feuerglut auf einen Ritter losließ. Welches er in seiner zweiten Nachricht mitschickte. Dein Guard ist tierisch angepisst! Und das ist noch eine Untertreibung! Wenn ich dich in eine Ritterrüstung stecken soll, damit du mir keine halben Schlaganfälle mehr verpasst, dann sag mir das. Ich habe kein Problem damit! Schieb das kommende Veilchen nicht mir in die Schuhe, du hast es verdient für die Panikwelle, die mich gerade aus dem Bett gehoben hat! Und sich langsam hineinsteigernd schob er sogar noch eine dritte SMS nach. Und halte das jetzt bloß nicht für einen Witz. Ich scherze nicht wenn es um dein Leben geht! Gruß, dein mehr als feuerspuckender Guard, dem seine Arbeit nicht erleichtert wird! Das alles erledigt wissend pfefferte er den nächstbesten Ordner in die Ecke und stierte vor sich hin. Jetzt hatte er miese Laune und nicht einmal ein Ventil um das rauszulassen. Ob er Ragnar ein wenig auf die Nerven gehen sollte? Oder Nicholas? Aber dafür war die demütigende Erfahrung als Pferd noch zu vordergründig in seinem Kopf. Oh... wie er angepisst war! Und wenn er es sich recht überlegte, hatte Cole ihn noch gar nie wirklich sauer erlebt. Naja... das ließe sich ja nun nachholen. Cole Als sein Handy dreimal hintereinander signalisierte, dass eine SMS eingetroffen war, fuhr Cole doch an den Straßenrand und griff zum Handy, um zu lesen. Mit jeder SMS verdüsterte sich seine Miene. Er hätte es Antonin nicht sagen sollen. Er hätte es ihm definitiv nicht sagen sollen. Was hatte ihn eigentlich geritten, es zu tun? In ihm machte sich ein Gefühl von Trotz breit. Sicher, er hätte ihm Bescheid geben können, vielleicht auch müssen. Aber hätte er ahnen können, dass es gefährlich wird? Schon, aber so gefährlich war es doch gar nicht. Hatte Antonin überhaupt das Recht somit ihm zu schimpfen? Verärgert nahm er das Handy und tippte: Komm runter, es war nicht wirklich schlimm. Habe schon ganz andere Dinge erlebt. Und es ist ja nichts passiert... Ich hoffe ich muss in Zukunft nicht jeden Morgen ein Briefing mit dir machen, und die Erlaubnis einholen, mich frei bewegen zu dürfen… Ohne darüber nachzudenken, ob er das alles, was er da hineingepatzt hatte, ernst meinte, schickte er die SMS los. Und keine zwei Minuten später ärgerte er sich schon darüber. Eigentlich war so ein Handy vollkommen bescheuert. So schön eine SMS auch sein konnte, aber man konnte sie auch immer falsch verstehen, weil man keine Mimik dabei hatte. Man konnte in eine SMS wirklich alles hineininterpretieren. Und in diesem konkreten Fall hatte er die einfache Sorge des anderen um ihn überlesen und durch seine SMS mit Füßen getreten. Sein Handy läutete. Erschrocken blickte er auf den Bildschirm. Kurz blitzte der feuerspruckende Drache vor seinen Augen auf, der sicher gleich wie eine Furie durch das Telefon ihm an die Gurgel springen würde. Aber es war nur ein Geschäftspartner, der ihn fragte, wo er bliebe. "Rush Hour", murmelte er und legte auf, um weiter zu fahren. Es würde sich sicher zu einem anderen Zeitpunkt die Gelegenheit ergeben, sich zu entschuldigen. Jetzt musste er erst einmal arbeiten. Und wofür sollte er sich überhaupt entschuldigen? Dafür, dass er Antonin klar machen wollte, dass er schon auf sich aufpassen konnte? Cole griff zu seinem Handy und stellte es auf lautlos. Er hatte keine Zeit, sich damit zu beschäftigen. Stur und trotzig, ja so hatte seine Mutter ihn schon kennengelernt, aber er selbst würde sich nie so beschreiben. +++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ Gawain Sich die Zigarette schmecken lassend, lehnte er an der Motorhaube des dunkelblauen BMWs und blickte zum Himmel. Abermals den gestrigen Abend Revue passieren lassend. Zum einen wusste er noch immer nicht, wer jener Mann gewesen war, der ihn da recht offensichtlich getestet hatte und zum anderen schien er bestanden zu haben. Etwas, das er wohl seiner gut durchdachten Hintergrundgeschichte verdankte und nicht seinen schauspielerischen Fähigkeiten. Doch das störte Gawain nicht sonderlich. Es kam selten auf das 'wie' an, sondern viel häufiger auf das 'das'. Und dass er eine Chance erhalten sollte, machte der in kürze anstehende nächste Termin klar. Diesmal besaß er immerhin einen Namen, nach dem er fragen sollte und konnte. Trotzdem hoffte er, nicht gleich wieder in so eine Situation wie gestern geworfen zu werden, denn sein schlechtes Gewissen den toten Mann dort so zurück zu lassen, obwohl er der Polizei eine perfekte Beschreibung des Mörders geben konnte, war nicht unbehaglich. Aber auch davor waren sie alle gewarnt worden. Und man sollte dieses schlechte Gewissen nicht beiseite drücken, sondern es vielmehr mit offenen Armen willkommen heißen. Es war die Bestätigung, noch nicht selbst den Weg im Sumpf der Kriminalität verloren zu haben. Es war der Beweis dafür, dass man noch auf der richtigen Seite stand. Nur war das leichter gesagt als getan. Für den heutigen Abend hatte er sich für eine Jeansjacke zum ärmellosen, dunklen Shirt entschieden und für eine ganz normale dunkelblaue Jeans. Er mochte die ärmellosen Shirts, da sie ihm jede Menge Bewegungsfreiheit gaben und zum anderen war es in Atlanta nicht falsch gewesen, sein Tattoo in bestimmten Kreisen zu zeigen. Und damit auch sein Gesicht. Hier wäre das natürlich anders, aber es war weiterhin ein Teil seiner Hintergrundgeschichte und damit müsste es diesem Gawain Hunter wichtig sein. Wichtig, um den Unterschied zwischen dem Vater und dem Sohn darzustellen, ebenso wie die Dinge, die sie doch wieder gleich machten. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er nun genug Zeit vertrödelt hatte und damit dauerte es kaum zwanzig Minuten, bis er auf dem großen Parkplates des Lady-Dreams hielt. Ein Club für alle und jeden, wenn auch im Besonderen für diejenigen mit den dicken Taschen. Doch davon war um diese Uhrzeit eher wenig bis gar nichts zu sehen, weshalb sich die Parkplatzsuche auch als sehr einfach erwies. Noch einmal prüfend ob seine beiden Waffen in Ordnung und geladen waren, stieg er schließlich aus und hielt auf das im Tageslicht doch eher unspektakuläre Gebäude zu. Wo er den erstbesten Kerl auch direkt nach diesem Ragnar fragte, woraufhin ihm mitgeteilt wurde, dass er hier zu warten hätte, während ein anderer losmarschierte. Vermutlich um diesem Ragnar von seinem Eintreffen zu informieren. Und nicht zum ersten Mal spürte er wieder dieses eisige Gefühl im Magen, das ihn immer dann überfiel, wenn er sich nicht genügend vorbereitet fühlte. Aber was hätte er tun sollen? Es gab hier schlichtweg nichts, um sich darauf vorzubereiten, und er würde sich abermals überraschen lassen müssen. So sehr er Überraschungen auch sonst aus dem Weg ging und sie mit einer absolut tiefen Verachtung hasste. Doch dann erweckte eine Bewegung wieder seine Aufmerksamkeit und er sah einen neuen Mann auf sich zukommen und bei diesem wusste er zum ersten Mal nicht so recht, was er von ihm halten sollte. Bei dem Kerl gestern waren gleich einige Dinge deutlich hervor gestochen. Dinge, an denen man sich orientieren konnte. Dinge, die einem einen Anhaltspunkt gaben. Doch jener hier sah so furchtbar normal aus. Kein Bodybuildertyp, keiner der Sorte 'Killer im Tageslicht' und auch keine Eisaura, die einen sofort einfrieren ließ. War er hier bei Jekyll und Hyde gelandet? Der nächste Test? Es war ja total in Ordnung in Seminaren zu sitzen und sich erklären zu lassen, wie man sich zu verhalten hatte. Und in Atlanta waren die Verbrecher auch noch mehr verbrechermäßig. Man konnte sich orientieren und wusste wer zu den bösen Buben gehörte. Dem Kerl da, hätte er in einer U-Bahn keinen zweiten, misstrauischen Blick mehr zugeworfen. New York war wirklich eine Stadt für sich… Ragnar Also hatten sie einen neuen Mitarbeiter. Den würden sie auch wirklich gut gebrauchen können. Und bis jener sich bewiesen hätte, würde er ihn wohl erst einmal auf Abstand halten müssen. Cole hatte die Idee ausgesprochen, ihn in die Autogeschichte mit reinzuziehen. Mal sehen. Ragnar versprach, gleich zu kommen, als er geholt wurde. Die Arbeit, die momentan anfiel, war mehr als gedacht. Besonders seit sie gestern zwei große Fische an Land gezogen hatten. In nächster Zeit würden wirklich viele Mitarbeiter gebraucht, fähige Mitarbeiter benötigt. Er trat auf Gawain zu und reichte ihm die Hand. "Ich bin Ragnar, und bin in Zukunft dein Ansprechpartner", erklärte er und blickte sich kurz suchend um. "Lass uns uns setzen." Ragnar ging zu einem der Tische, die eher versteckt standen und setzte sich, den Mann vor sich musternd. Von Cole wusste er, weshalb jemand aus Atlanta hier war. Und die Geschichte, die der andere von sich zu erzählen hatte, war interessant. Doch darum würde es heute nicht gehen. Kaum hatte sich Gawain gesetzt schob er ihm einen Arbeitsvertrag herüber. "Du bekommst hier eine normale Anstellung als Sicherheitskraft. Über die Bezahlung wirst du dich nicht beschweren könne. Offiziell läuft das alles hier über den Laden und viele Dinge wirst du auch hier für den Laden zu erledigen haben. Du hast feste Arbeitszeiten, wirst unter Umständen hier nachts mal länger bleiben müssen. Alles andere ergibt sich." Er beobachtete wie Gawain den Vertrag betrachtete. "Wir werden hier sehr häufig von der Polizei besucht. Sei es, dass sie vor dem Gebäude auf der Straße stehen und beobachten, sei es, weil sie hier selbst Kunden sind. Jeder, der hier zu oft ein und aus geht, ohne ersichtlichen Grund ist auffällig. Durch den Vertrag gehörst du hier offiziell rein, bis berechtigt hier zu sein." Ragnar faltete die Hände ineinander. "Du wirst erst einmal als Bote eingesetzt. Das heißt du bekommst Adressen, die du besuchst, etwas abgibst oder abholst und dann kommst du wieder zurück. Es werden erst einmal immer die gleichen Adressen sein. Wenn wir sehen, dass alles gut läuft, folgt mehr. Unter Umständen können wir dich auch im Bereich 'Autos' einsetzen. Und da wären wir auch schon beim nächsten Punkt, der geklärt werden muss. Deinen Fähigkeiten." Er griff nach einem Zettel, den er immer hernahm, um nichts zu vergessen, und einen Stift. "Antworte einfach mit ja oder nein. Führerschein? Motorradschein? LKW-Schein? Ausbildung im Schießen? Welcher Waffentyp?" Bei diesen elementaren Fragen blickte er Gawain immer mal wieder an, musternd ruhten seine Augen dann auf dem anderen. Schließlich kamen die nicht ganz so einfachen Fragen. "Und zuletzt zwei Fragen, die für uns wichtig sind, die du wahrscheinlich seltsam findest, aber uns helfen, dir die richtigen Arbeiten zu geben. Was würdest du als deine Stärke, was als deine Schwäche ansehen?" Das waren meistens die Fragen, die am längsten in ihrer Beantwortung brauchten, aber Ragnar hatte ein wenig Zeit mitgebracht. "Und: Was wärst du niemals bereit zu tun?" Es war wichtig für sie zu sehen, dass die Menschen, mit denen sie zusammenarbeiteten ihre Fähigkeiten und ihre Grenzen kannten. Gleichzeitig erfuhr man anhand dessen, wie sie zögerten, um den heißen Brei herumredeten oder einfach zu schnell antworteten, wie ehrlich sie waren. Gawain Er nickte und erwiderte den kurzen Händedruck. "Angenehm, Gawain", stellte er sich vor und folgte dem seltsamen Mann dann zu einem der Tische, wo sie sich setzten. Ganz geheuer war ihm die Sache nicht, aber er würde jetzt wohl am besten einfach mal abwarten. War das hier so eine Art Koordinator, wenn er denn sein Ansprechpartner würde? Aber eigentlich dürfte ihn das Aussehen des anderen nicht noch mitnehmen, war er nicht selbst das beste wandelnde Beispiel dafür, dass die Fassade trügen konnte? Damit konzentrierte er sich auch darauf, was er hörte und überflog den Vertrag zuerst, bevor er näher auf das Geschriebene einging. Also würde er offiziell so eine Art Kerl für die Clubsicherheit darstellen, ja? Nicht die schlechteste aller Tarnungen, besonders wenn er hier wirklich hin und wieder ranmüsste, wie er gerade erklärt bekam. Sein Gehalt musterte er nur flüchtig. Er hatte dem anderen Kerl schon klargemacht, dass sein hauptsächliches Ziel die Erfahrung war und möglicherweise einige Schritte auf der Karriereleiter nach oben zu tätigen. Geld war für jemanden wie ihn kein Problem, schließlich war sein Daddy ja ein Drogenbaron, oder etwa nicht? Gawain nickte, um zu zeigen, dass er soweit verstanden hatte und lauschte auch den Ausführungen was die Polizei betraf. Ja, so gern man solche Läden von oben nach unten auf den Kopf stellte, mit normalen Einsätzen fand man kaum etwas. Und wenn, dann gab es genügend gewiefte überaus teure Anwälte, die die Jungs ganz schnell auf Kaution wieder auf freien Fuß hatten. Und das meistens wegen Formfehler bei der Durchsuchung oder in den folgenden Berichten. Es war schon ein Kreuz mit dieser Bürokratie. "Das mit den Botengängen geht schon in Ordnung", erklärte er ruhig und legte den Vertrag dann beiseite, um sich den Fragen nach seinen Fähigkeiten zu stellen. Und zuerst waren sie wirklich nicht weiter schwierig zu beantworten. "Ja, Ja, Nein, Ja, hauptsächlich mit Handfeuerwaffen, bevorzugt vom Typ PSM." Diese Waffe lag ihm wirklich und er hatte sie so bald wie möglich gegen seine eher unpraktische Polizeiwaffe ausgetauscht. Er mochte dieses zu kleinkalibrige Zeug nicht. Wenn das überhaupt ein Wort war? Bei den nächsten Worten und den folgenden Fragen hob er eine Augenbraue und erwiderte den Blick des anderen ein wenig skeptisch. Ein guter Lügner könnte einem hier das Blaue vom Himmel herunterlügen und wie wollten sie es nachprüfen? Sein Kopf ruckte einige Millimeter nach rechts und er hob die Hand um sich über die Stirn zu reiben. Das war ja schlimmer als jedes Vorstellungsgespräch. Seit wann war eigentlich das Verbrechen auch bürokratisch geworden? Oder gab es daher den Zusatz 'organisiertes' zum Verbrechen? Kurz blies er seine Wangen auf und verzog den Mundwinkel schließlich ein Stück. "Na schön. Eine meiner größten Stärken ist gleichzeitig auch eine meiner größten Schwächen. Ich kann es nicht leiden, unvorbereitet in etwas zu gehen, auf das man vorbereitet hätte sein können. Ich halte eine gute Planung für unabdinglich und kann es partout nicht leiden, kopflos in eine potentiell gefährliche Situation springen zu müssen. Ich kann Personen normalerweise ziemlich schnell recht gut einschätzen und passe mich so gut wie jeder Situation ohne große Probleme an. Dafür kann ich niemanden umbringen, ohne mir danach mein Essen nochmal durch den Kopf gehen zu lassen, und trotzdem habe ich den Finger manchmal zu schnell am Abzug. Wenn ich mich ungerechtfertigt provoziert fühle, schlage ich zu, bevor es der andere tut. Und ich verabscheue es, mehr zu sagen als ich muss, aber ob das eine Schwäche oder Stärke ist, kann ich nicht beurteilen", gab er schließlich die Antwort nachdem er eine Weile überlegt hatte. Soweit traf das alles auf den 'echten' Gawain zu, genauso wie auf den 'unechten' und trotzdem sagte es gleichen Moment alles und nichts über ihn aus. Er konnte seine Emotionen sehr gut im Griff halten, aber manchmal musste man beweisen, wer in bestimmten Momenten das Sagen hatte und daher war sein Waffenfinger häufig nervöser als er es sein müsste. Das hatte nichts mehr brodelnden Gefühlen, sondern mit zu viel Berechnung zu tun. Zur letzten Frage hatte er zuerst nur ein selbstsarkastisches Lächeln übrig. Was er niemals tun würde, huh? Wie oft er sich das eigentlich selbst fragte und die gesteckten Grenzen doch immer wieder überschreiten musste. Gawain mochte die Frage nicht. Kein Stück. Doch abermals entschied er sich für Teile der Wahrheit: "Kinder sind in absolut jeder Hinsicht tabu. Sei es um Drogen zu verkaufen, um sie von der Straße zu kidnapen oder um sie umzubringen." Es ließ sich schlecht sagen ob Ragnar diese Antworten für gut oder schlecht befand, aber dieser forderte noch seine Unterschrift auf dem Vertrag und seine Handynummer und meinte damit wäre er eingestellt und die ersten Botengänge könnten in Kürze erwartet werden. Sie verabschiedeten sich mit einem weiteren Händedruck und einer Uhrzeit wann er morgen wieder hier sein sollte und das war es für den Abend gewesen. Nun hatte Gawain den ersten Fuß in der Tür und er würde sie nicht mehr zufallen lassen. Dazu war er offensichtlich auf eine zu heiße Spur gestoßen. +++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ (Das passende Lied zu dieser Szene: http://www.youtube.com/watch?v=4sT54IEORII) Antonin Ungläubig starrte er auf die Antwort, die er erhalten hatte, bevor er den nächsten Ordner griff und auch diesen wutentbrannt an die Wand pfefferte. Sich dann so fest auf die Unterlippe beißend, dass die Haut unter dem Druck zerplatzte und er seinen eigenen metallenen Geschmack von Blut auf die Zunge bekam, rief er ein bestimmtes Programm auf und ließ Coles Fahrzeug lokalisieren. Stierte geraume Weile auf den roten Punkt auf der Karte und sah diesem zu, bis er sich nicht mehr rührte. Offensichtlich war dieses Arschloch gerade stehen geblieben. Wutentbrannt notierte er sich die Straße und sprang auf, ins Wohnzimmer gehend und dort ein ganz bestimmtes Buch ergreifend und öffnend. In die Seiten des Buches war ein Hohlraum herausgeschnitten worden, wo sich ganz spezielle Patronen befanden, die zu einer ganz besonderen Waffe gehörten. Eine, die nur dafür da war, Schmerzen zuzufügen. Doch ebenso schnell wie er das Ding geöffnet hatte, schloss er es wieder und atmete tief durch. Cole war nicht Andrej. Cole war ein Idiot, aber er war kein folternder Psycho. Weswegen er auch nicht anfangen durfte, ihn in die gleiche Schublade zu stecken, nur weil da ähnliche Anwallungen vorhanden waren. Nein, das wäre ein absoluter Overkill. Sein Ziel hätte ihm nicht davon berichtet, wenn er nicht das Gefühl gehabt hätte, es tun zu müssen. Das war dann wohl gut. Trotzdem war die Antwort beschissen und seine Unzufriedenheit und seine Wut auf den anderen waren keineswegs besänftigt, nur weil er sich selbst davon abhielt zu absolut unhaltbaren Methoden zu greifen. Das Buch zurückstellend ging er wieder in die Küche und musterte sein Handy eine Weile, bevor er ein weiteres Bild von seinem Laptop überspielte. Eines, das alles aussagen würde, was er jetzt besser nicht in Worte fassen sollte. http://jdra.mo-blog.jp/official/images/fuck_you.jpg Mach einfach wie du denkst, darin bist du sowieso am besten. Verreck doch nachts auf ner einsamen Straße. Na und? Und Cole.. FUCK YOU! Das erledigt wissend, formte sich langsam aber sicher ein Plan. Sollte dieses Arschloch ihm doch mal ganz gehörig den Buckel runter rutschen! Er hatte damals sehr offen dargelegt, was seinen Job ausmachte und Cole hatte akzeptiert. Verfluchte Scheiße! Cole hatte ihn bei sich behalten und sogar mehr zugelassen und jetzt wurde er so abgefertigt? "Es ist ja nichts passiert…", äffte er den Text der SMS wutentbrannt nach. "Soll ich das auf deinen verfickten Grabstein meißeln lassen?!", grollte er seinen imaginären Gesprächspartner an und griff dann abermals zum Handy, um diesmal Ragnar die übliche SMS mit den beiden Zahlen zukommen zu lassen. Die Lieferung war deutlich zu früh, aber immerhin würde er auch eine Woche nicht mehr produzieren. Das hinter sich gebracht, tauschte er seine SIM-Karten mal wieder aus und sah sich um. Eigentlich müsste er nur ein paar der Lebensmittel entsorgen und sich sonst um nichts kümmern. Allerdings musste er Nicholas einen Besuch abstatten, vielleicht hatte der ja eine Idee, was Antonin eine Woche mit sich anstellen könnte. Sollte Cole doch mal sehen was er davon hatte. Vielleicht ging dem Penner dann mal ein kleiner Kronleuchter auf, warum er überhaupt einen Guard akzeptiert hatte. Und warum er nicht schon lange unter der Erde war. Nämlich weil Antonin auf ihn aufgepasst hatte, deshalb! Fluchend machte er sich daran zu packen und alles für seine Abreise vorzubereiten. Das Veilchen müsste warten, jetzt würde er sich erstmal um sich selbst kümmern. Was Cole konnte, das konnte er schon lange! Ha! Cole "Du langweilst mich", knurrte Cole und blickte den Mann feindselig an, der auch sofort zurückwich. Dann griff er nach seiner Bierflasche und kehrte aus dem Darkroom zurück auf die Tanzfläche des Savoy, bahnte sich seinen Weg durch die Massen zum Tresen. Auf dem Weg hatte er das Bier leergetrunken und bestellte sich sein 5. an diesem Abend. Was für eine beschissene Woche. Coles blick glitt über die Tanzfläche, über die Körper der Männer, die dort tanzten. Wann hatte diese Woche eigentlich beschlossen, so beschissen zu werden? Cole kannte die Antwort. Er kannte sie verdammt gut. Denn seit er die SMS des anderen gelesen hatte, war plötzlich alles nicht mehr so einfach gewesen. Als er die SMS spät abends, als er nach Hause gekommen war gelesen hatte, hatte er begonnen zu fluchen. Antonins Reaktion ärgerte ihn. Nun ja, wenn er sich gleich so angegriffen fühlte, konnte er ja nichts dafür. Er konnte, wie Antonin ja selbst treffend festgestellt hatte, alleine am besten. Und es war schon ganz schön dreist ihm den Tod an den Hals zu wünschen. Und da es Antonin ja offensichtlich egal war, ob er lebte oder starb, wusste er ja jetzt auch, was er generell von ihm zu erwarten hatte. Von wegen 'Weg' oder 'gemeinsam'. Sie waren so weit voneinander entfernt, wie noch nie zuvor. Aber das war doch besser so. Würde doch irgendwer sagen, dass es gut so war... Er ließ seine Wut über Antonin allerdings nicht ganz durch sich hindurchdringen, schaffte es wie schon so oft wunderbar, alles zu verdrängen. Er hatte so viel zu tun, dass er gar keine Zeit hatte, darüber nachzudenken, was geschehen war. Und dabei schob er auch alle Schuld wunderbar Antonin zu. Aber eigentlich war es ihm selbst zuzuschreiben, dass Antonin so reagiert hatte. Und in ihm meldete sich mit jedem Tag der verstrich, mit jeder Nacht, die er allein in seinem Bett verbrachte, eine Stimme lauter, dass dem so war, dass er der Idiot bei der ganzen Geschichte war. Aber noch schrie sie nicht laut genug, dass sie über den selbstgefälligen Wall, den Cole um sich gezogen hatte, herübertönen würde. und dennoch hatte es Auswirkungen auf ihn. Nicht, dass er seine Arbeit nicht gut machen würde, oder er unkonzentriert war. Es waren die Momente der Ruhe, in denen es ihm beschissen ging, in denen er voll von einem ihm doch eigentlich fremden Gefühl war. Das Gefühl von Einsamkeit. Heute Morgen war er bei der Post gewesen. Dort hatte er via Einschreiben seine Prüfung eingereicht. Nun hieß es warten. Er hatte sich den Abend frei genommen, um dieser Einsamkeit endlich einmal Abhilfe zu verschaffen. Nun und jetzt stand er im Savoy, hatte auf der Tanzfläche keinen der Typen gut gefunden, die ihn angetanzt hatten, und auch im Darkroom hatte er nicht gefunden, wonach er suchte. Er brauchte Entspannung. Er musste runterkommen, er brauchte dringend Ruhe - Seelenfrieden. Ob er wieder nach Hause gehen sollte? Hier fand er ja offensichtlich nicht, was er früher so leicht hier gefunden hatte. Und er wusste auch genau, woran es lag. Die Bilder von einem Tanz, hier auf dieser Tanzfläche... Doch ein anderer Club? Cole trank das Bier aus und beschloss nach Hause zu fahren. Er hatte das Ende seines Examens genug allein gefeiert. Zu Hause hätte er zumindest noch Corleone, dem es sicher nicht egal war, wenn er starb. Corleone war sicher nicht so kaltschnäuzig. Und morgen würde er viel zu tun haben. Denn die Autoschieberaktion stand bevor. Übermorgen würden seine Leute 3 LKW voll gestohlener Autos auf ein Schiff nach Mittelamerika fahren. Und am Ende der Woche würde der nächste Waffendeal über die Bühne gehen. Er hatte genug zu tun, als dass er sich jetzt hier die Birne wegsaufen durfte. Aber wieso eigentlich nicht? Vielleicht würde er ja heute gleich einsam auf der Straße verrecken. Who knows? Und vor allem: Who cares? Er bestellte sich einen Martini, wenige Minuten später war auch dieser wieder geleert. Dann ertappte er sich dabei, wie er sein Handy zückte. Einige Zeit starrte er es an. Ob er nicht doch einmal anrufen sollte? Sollte er nicht doch einmal auf Antonin zugehen? War er nicht eh der klügere? Sollte er sich nicht endlich eingestehen, dass diese Situation ihn wahnsinnig machte? Die letzten Tage war er auf dem Heimweg immer an Antonins Wohnung vorbeigefahren, aber nie hatte Licht gebrannt. Ob es ihm gut ging? Jener hatte von einem Urlaub gesprochen und auch Ragnar hat erwähnt, dass er eine Woche nicht da sein würde. Sicher war er verreist und ließ es sich gut gehen. Sicher dachte er gar nicht mehr an ihn. Und sicher würde er ihn nur stören. ‘Ich bin ein Idiot‘, tippte er und sah die Worte an, denen er leider nur zustimmen konnte. Offensichtlich habe ich meinen Chefkoch mit giftigen Worten vergrault, meinen Guard in seiner Ehre verletzt und dich ziemlich enttäuscht. Ich bin wirklich ein Idiot. Und noch bevor er es sich anders überlegen konnte veranlasste jene Stimme in ihm, die Nachricht abzuschicken. Selbsterkenntnis war der erste Weg zur Besserung. Wenn es überhaupt noch möglich war, etwas zu retten. Cole ging in Richtung Ausgang. Es war bereits 2 Uhr morgens. Er sollte nach Hause fahren, oder besser, sich nach Hause fahren lassen. Antonin Antonin wusste inzwischen schon gar nicht mehr, ob er über die gesamte Situation lachen oder weinen sollte. Anfangs hatte er vor Zorn, Wut und auch Enttäuschung geglüht und Cole auf den Mond und wieder zurück in die Hölle geflucht. Er war losgefahren, um Nicholas einen Besuch abzustatten und war stattdessen, auf Wegen, die ihm nicht mehr wirklich klar vor Augen standen, mitten in einer Kneipenschlägerei gelandet. In einer sehr brutalen Kneipenschlägerei, die ihm mehrere riesengroßer blaue Flecken an den Rippen, eine Platzwunde auf der Stirn, ein blaues Auge und eine verstauchtes Handgelenkt bescherte. Nicht dass er sich darüber beschweren würde, die zwei, die seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten, sahen noch viel schlimmer aus. Für einen war sogar ein Krankenwagen gekommen. Wirklich nervig war dann nur das mit der Polizei. Aber da niemand so genau sagen konnte, wer die Schlägerei - die noch deutlich mehr Personen beinhaltet hatte - wirklich anzettelte, war er mit einem sprichwörtlichen blauen Auge davon gekommen. Seine Akte mit dem Professorentitel blieb weiterhin blütenrein. Und wenn es ihm sonst nichts außer Schmerzen und dem kurzen Gefühl einer fast tierischen Befriedigung verschafft hatte, dann war er danach doch wieder runtergefahren. Seit wann rastete er eigentlich wegen so Kleinigkeiten so aus? Und die Antwort darauf war recht eindeutig: Seitdem Cole ihm so viel bedeutete. Nicht nur als zu beschützendes Ziel sondern als Mensch. Als Person, die ihm wichtig war, als Mann, für den er Gefühle hegte, die weit über etwas rein Freundschaftliches hinausgingen. Und obwohl er das wusste und benennen konnte, kam es gar nicht in Frage, jetzt wieder einen Schritt zurück zu machen. Cole würde immer weiter so handeln, bis er einmal nicht mehr Bescheid sagen könnte, dass es mal wieder gefährlich gewesen war. Und das war inakzeptabel. Durch und durch inakzeptabel. Das für sich geklärt habend, griff er tatsächlich auf jeden noch so kleinen und großen Kniff seiner Ausbildung zurück und observierte sein Ziel aus der Ferne. Ja, manchmal sogar ganz aus der Nähe und hin und wieder fragte er sich, ob er nur so gut, oder andere so schlecht waren. Oder ob Cole einfach nur wahnsinnig unvorsichtig wurde. Wollte dieser Spinner jetzt am Ende vielleicht umsetzen, was Antonin ihm in der SMS geschrieben hatte? Aber sorry Cole, das würde er gut zu verhindern wissen. Abermals bekam er die nächsten Tage kaum Schlaf ab, aber das war es ihm wert. Coles Leben war ihm noch deutlich mehr wert, etwas, dass dieser Sturkopf einfach nicht zu begreifen schien. Oder es nicht begreifen wollte. Tja, er hatte ihm einmal angeboten das auf die eher lockere Tour zu machen, etwas, das Cole mit Pauken und Trompeten vergeigt hatte. Dann eben so. Und wenn er seinen Job bei Chem-Dyne dafür kündigen müsste, dann wäre das eben so. Antonin hatte sich nie große Sprünge erlaubt und mehr als genug auf der hohen Kante, um sich das geraume Zeit leisten zu können. Aber soweit würde es wohl auch gar nicht kommen, denn auch als sein eigenes Stimmungsbarometer schon wieder in die Minusgrade gerutscht war, als er an diesem Abend merkte, wohin Coles Weg führte, so holte die plötzliche SMS das ganze wieder nach oben. Auch wenn er sich leider gar nicht wirklich lange überlegen konnte, ob und wie er darauf antworten sollte, da eben jener Mann gerade aus dem Club spazierte. Die folgende Reaktion war vielmehr ein Kurzschluss, als gut geplant, aber er hob die Finger zum Mund und gab einen lauten Pfiff von sich, während er aus dem Schatten der Wand trat und sich Cole damit zeigte. Gemächlich hielt er auf jenen zu und blieb ein paar Schritte entfernt von ihm stehen. Musterte ihn eine Weile, sich fragend, wie weit sein Gegenüber wohl da drinnen gerade gegangen war... Doch diese Gedanken versenkte er wieder tief in der schwärzesten Tiefe seiner Seele. Nicht jetzt. Einfach nicht jetzt. "Du bist tatsächlich ein Idiot", stimmte er Coles SMS zu, hob das Handy kurz hoch und schob die Hände dann in seine Manteltaschen. "Hat dir diese Woche besser gefallen? War es einfacher für dich zu atmen, wo du doch nicht für alles meine Erlaubnis gebraucht hast? Würde es dich erschrecken zu erfahren, dass niemand dir überhaupt nahe genug gekommen wäre, um dich umbringen zu können?", er hielt kurz inne. "Es ist ein wenig paradox oder? An einem Tag schreibe ich, dass es mir egal wäre, wenn du verreckst, nur um dann die nächsten Tage kaum ein Auge von dir zu lassen. Du hast mich nicht bemerkt und ich frage mich inzwischen, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist. Aber egal..." Er zuckte mit den Schultern. "Ist es dir tatsächlich lieber so? Ist es dir lieber, nicht zu wissen, ob sich dein Leben tatsächlich in Gefahr befindet? Nicht zu wissen, ob ich in diesem einem Moment wirklich da bin oder nicht?" Er warf einen Blick zurück zum Club, bevor er sich Cole wieder zuwandte. "Ich nehme meine Aufgabe ernst, Cole. Und du hast mich mit deiner SMS nur daran erinnert, dass jederzeit ein Irrer hervorspringen könnte, um dich beiseite zu räumen. Und es ist nicht so, dass ich dir nichts zutraue... ich traue dir ehrlich gesagt manchmal mehr zu als mir selbst, aber ich kann es nicht leiden, wenn du mir so eine Heidenangst einjagst. Ich kann dann, wie ich nun weiß, nicht mehr klar denken und handle irrational. Wenn du mir sagst, du hast eine Situation im Griff, dann vertraue ich dir. Aber sag mir nicht... verflucht nochmal, sag mir nicht hinterher so lapidar, was du wieder getan hast." Cole Cole schlug die kalte Nachtluft entgegen. Gedankenversunken mit dem Handy fest in der Hand, wartete er auf das Taxi, das er sich rufen hatte lassen. Er konnte nicht mehr fahren... Mit einem Mal hörte er eine ihm wohl bekannte Stimme und er drehte sich ruckartig um. Antonin? Hier? Seine Verwirrung war - sicher nicht zuletzt auch wegen des Alkohols - deutlich zu sehen. Er war mit einem Mal sehr angespannt. Antonin zu begegnen, damit hatte er nicht gerechnet. Und schon gar nicht so unvorbereitet, so plötzlich. Er fühlte sich irgendwie hilflos. Und diese Hilflosigkeit bewirkte, dass seine kühle Aura wie eine Front um ihn herum aufzog. Kühle Augen musterten den Mann vor ihm. Und diese Kühle verblasste auch nicht, als Antonin begann zu sprechen. Hatte Antonin ihn wirklich observiert? Hatte er ihn die ganzen verdammten Scheißtage verfolgt? Hatte ihm aufgelauert, ihn überprüft? Er schluckte bei dem Gedanken. Und in ihm schrie etwas auf, was ihn eben noch angetrieben hatte, dem anderen eine SMS zu schicken. Sein schlechtes Gewissen wurde von einer neuen Welle Wut gepackt und erdrückt. Seine Zähne knirschten, als sich der Kiefer aufeinander presste. "Du hast mich beobachtet? Mich die ganze Zeit verfolgt?", fragte er ungläubig. Das, was Antonin als seine Erklärung angab, bekam er schon gar nicht mehr richtig mit. "Wer gibt dir das Recht dazu, verdammte Scheiße." Cole musste an sich halten, um nicht auf den anderen zuzugehen, ihm eine Waffen an den Kopf zu halten. Aber das durfte er nicht. Ihm fiel auf, dass Antonin ohnehin ziemlich lädiert aussah. Und einen Moment befreite sich das kleine Etwas in ihm wieder aus seinen Fängen. "Ich begreife nicht, warum du so etwas getan hast? Was hast du dir..." Cole senkte den Blick. Langsam sickerte etwas durch. Dann sah er den anderen wieder an. Die Wut glomm noch immer in seinen Augen. "Nein, es gefällt mir nicht besser", zischte er. "Ganz und gar nicht. Vielleicht hätte ich dir wirklich nichts sagen sollen. Vielleicht sollte ich dir so etwas wirklich gar nicht mehr erzählen. Ich weiß es nicht, aber ich hätte gerade nicht übel Lust, auf dich einzuprügeln, dafür, dass du mich beschattet hast." Ihm wurde schlecht bei dem Gedanken, dass Antonin ihn so hintergangen hat. Und irgendwie fühlte sich das genauso an. Er spürte, wie ihm schwindelig wurde. Kurz schwankte er. Der Martini meldete sich zu Wort und gleichzeitig schien sein Magen ihm signalisieren zu wollen, dass er so viel Alkohol und seine Wut darin nicht gemeinsam bewältigen konnte. In sich verkrampfte sich alles noch mehr. Er lehnte sich an die Wand. "Aber leider geht es mir gerade nicht so gut, dass ich das umsetzen kann", funkelte er weiter. Er blickte den anderen an, als würde er dann sehen können, wohin dieses unsägliche Gespräch nun führen würde. Und langsam aber sicher setzte sich das durch, was er eigentlich dachte, was er eigentlich fühlte. Aber noch konnte er nicht aussprechen, dass das alles hier nicht dem entsprach, was er gerne wollte. Dafür war seine Trauer, die er eben noch im Club gefühlt hatte, im Moment zu sehr von dem Gefühl der Ohnmacht, zu sehr von Wut überdeckt. "Lass mich in Ruhe…", fauchte er dann und versuchte sich von der Wand zu lösen, zu dem Taxi zu gehen, das mittlerweile angehalten hatte. "Lass mich gefälligst in Ruhe." Irgendwie tat es in ihm so verdammt weh. Warum um alles in der Welt hatte Antonin ihn diese Woche, diese Tage verfolgt, hatte ihm aufgelauert, als sei er kein eigenständiger Mensch mehr. "Ich habe dir vertraut…" In dem Moment, in dem er die Worte ausgesprochen hatte, wusste er schon, dass diese Worte falsch waren. Hätte er Antonin wirklich vertraut, wäre es nie zu dieser Situation gekommen. Dann hätte er ihn einfach zu diesem Treffen dort mitgenommen. Aber das war doch jetzt schon eigentlich alles egal... Antonin Antonin beobachtete die Reaktion des anderen mit Argusaugen. Die Verwirrung, die plötzliche Kühle, die Wut, die ihn danach fast erschlug. Und vermutlich hätte das alles plus die Worte eine wirklich vernichtende Wirkung auf ihn gehabt, wenn er nicht selbst schon an einem Punkt angelangt wäre, an dem es ihm egal war. Wenn er nicht selbst schon so weit getrieben worden wäre, dass er sich seine Selbstsicherheit wie einen Schutzpanzer umlegte und einfach abwartete. In dem Gefühl, sich im Recht zu befinden. Mit dem Gefühl, dass ihn das alles gar nicht treffen konnte oder durfte. Und so stellte er sich diesen Augen das aller erste Mal mit der gleichen Kühle. Mit der gleichen nichts und allessagenden kühlen Aura, die nichts zu ihm durchließ. Es kam sehr selten vor, aber wenn man seine Hitzköpfigkeit lange genug niederbrannte, dann blieb nichts mehr zurück mit dem er arbeiten konnte. Nichts mehr, außer jenen selbstsicheren, von sich überzeugten Aura. Er sparte sich die Antwort auf die erste Frage, hob jedoch ein wenig spöttisch eine Augenbraue. "Wer, Cole? Du natürlich. Wer sonst hat es denn akzeptiert, mich als seinen Guard bei sich zu lassen?", fast ein wenig von sich losgelöste sah er dabei zu wie Cole scheinbar mit sich rang. Gar nicht so recht wusste, wie er mit der neuen Situation umgehen sollte. Dazu kam noch der Alkohol ins Spiel, den Antonin zwar nicht roch aber dennoch vermutete. Dafür waren die ganzen Reaktionen einfach zu untypisch, um nicht mitunter auf Alkohol zurückführend zu sein. "Was ich mir dabei gedacht habe?", echote er ein wenig belustigt. "Was hast du dir denn dabei gedacht, mich zu akzeptieren? Im Grunde glaube ich, dass du damals überfordert warst. Aber beim zweiten Mal warst du es nicht. Du hast es offen akzeptiert, also sehe ich keinen Grund jetzt an die Decke zu springen." Immer noch glomm die Wut in Coles Augen und Antonin wusste, dass er bereits fleißig dabei war, jene noch mehr anzufächern. Sie zu einem Großbrand werden zu lassen. Aber er war momentan nicht bereit, sich zurück zu halten. Sollte Cole ruhig mal sehen wie das war, wenn man nur Rücksicht auf sich selbst nahm und den Rest als ganz selbstverständlich für sich einforderte. So, wie er das nun mit seinem Recht tat, das Leben des anderen zu schützen. Egal auf welche Art und Weise. Und so nickte er sogar zustimmend. "Richtig, du hättest es mir besser nicht gesagt. Und dabei fällt mir ein, warum hast du es denn getan? Komm schon Cole, ich warte ja soo gespannt auf die Antwort. Nur keine falsche Scheu. Ich bin hier und höre dir aufmerksam zu." Diesmal registrierte er Coles Schwanken und er ahnte, dass er diesen zu einer denkbar ungünstigen Situation konfrontierte. Aber interessierte ihn das gerade wirklich? Wenn er jetzt anfing sachlich nachzudenken, dann wäre dieser Augenblick herum und es würde alles so weiterlaufen wie bisher. Es durfte aber nicht so weiterlaufen wie bisher. Er war kein Hund, den man nur mal zu sich rief, wenn das Herrchen Lust dazu hatte. Definitiv nicht. "Auf mich einprügeln, huh?", wiederholte er ruhig und nickte dann. "Ja, dass du das gerade nicht kannst, sehe ich recht deutlich. Wo ist deine Selbstbeherrschung hin, Cole? Davon hast du doch sonst so viel." Oh ja, wie sehr er gerade mit dem Feuer spielte und er genoss es. Ja, er genoss es. Nicht weil er Cole in einer ungünstigen Verfassung sah, sondern weil es endlich einmal umgedreht war. Endlich einmal war nicht Cole derjenige, der alles im Griff behielt, der die Zügel in der Hand hielt. Diesmal war er derjenige, der seine Emotionen im Griff hatte und mal mit ein wenig Sarkasmus um sich pfeffern konnte. Doch schließlich verfinsterten sich seine Augen noch mehr und diesmal kam seine Kühle wirklich an Cole heran. Mit wenigen Schritten war er bei ihm und drückte ihn wieder gegen die Wand. "Ich soll dich in Ruhe lassen?! Du hast mir vertraut?!", raunte er giftig. "Ist das denn wirklich alles was du kannst? Davonlaufen wann immer es dir zu viel wird? Mich von dir schieben, wann immer du das Gefühl bekommst, nicht mehr Herr über die Lage zu sein?", er stieß sich von dem anderen ab und holte seine Eagle hervor, während er sich seitlich zu Cole drehte. Jener sollte nur nicht denken, dass er ihn jetzt abknallen würde. Mit schnellen Handgriffen holte er alle Kugeln bis auf eine aus dem Magazin und schob es wieder rein, um Cole die Waffe in die Hand zu drücken und dessen Hände dann so anzuheben, dass die Waffe auf Antonins Brust zeigte. "Jetzt bist du wieder Herr über die Lage, Cole. Bist du doch, oder etwa nicht?", zischte er wutentbrannt. "Es wäre doch so einfach mich wieder los zu werden. Einfach nur abdrücken, das wäre doch so viel befriedigender, als mir eine reinzuhauen, oder etwa nicht?", höhnte er und ließ den anderen nicht aus den Augen. "Das ist meine Art von Vertrauen, Cole. Ich vertraue dir mein Leben sogar in dieser Situation an. Ich lasse dir so viel Freiraum, dass ich manchmal Angst bekomme, dich aus den Augen zu verlieren. Und was ist der Dank?! Der Dank, den du mir zukommen lässt, besteht darin, mir eine SMS zu schicken, in der du schreibst, dass du in Lebensgefahr warst. Und jetzt? Jetzt, wo du schon wieder nicht mehr weiter weißt, willst du mich wieder loswerden?" Und dann plötzlich fiel seine gesamte kühle Aura von ihm ab und zurück blieben zwei leicht zitternde Hände, die jene Hand von Cole mit der Waffe zwischen sich hielten und damit auf sein eigenes Herz zielte. "Wenn du wirklich nicht mehr Mumm in den Knochen hast, als das, dann tu uns beiden den Gefallen und drück ab." Jene letzten Worte enthielten kein Gift mehr. Keine Kühle und auch keinen verletzenden Sarkasmus. Es war einfach nichts mehr da, mit dem Antonin das alles aufrecht erhalten konnte. Dazu hatte die Woche ihm zu viel abverlangt. Dazu verlangte Cole zu viel von ihm. Dazu war das ganze hier einfach zu viel. Cole Cole erschrak als er mit einem mal die Veränderung des anderen bemerkte, wie dieser zu einem Eisklotz mutierte, zu einem ähnlichen Eisberg, wie er ihn oft sah, wenn er sich selbst im Spiegel sah. Und diese Beobachtung erschütterte ihn bis zum Mark, denn er war dafür verantwortlich, oder? Er war dafür verantwortlich, dass Antonin sein Strahlen verlor, seine Herzlichkeit, seine Hitzköpfigkeit, oder? Er hatte es zu verantworten. Und hatte er sich nicht geschworen, dass er einen Schlussstrich zieht, wenn das passiert? Hatte er es sich nicht damals in dem Restaurant geschworen? Doch im Moment konnte er nichts tun, nichts sagen. Im Moment starrte er nur fassungslos in diese Augen, die ihn kalt musterten. Und dann spürte er, wie die Worte des anderen auf ihn einhämmerten, ihn tiefer und tiefer trafen. Er spürte, dass er keine, gar keine Kraft hatte, irgendeine Fassade, irgendeine Mauer aufrecht zu erhalten. Er war zu erschöpft, zu fertig mit sich und der Welt. Und ihm wurde mehr als deutlich bewusst, dass ihn die ganze Geschichte wesentlich mehr mitgenommen hatte, als er gedacht hätte. Und so blieb ihm nichts anderes übrig als drei Dinge zu akzeptieren. Erstens, dass er dafür verantwortlich war, dass das alles überhaupt so weit gekommen war, denn er hatte Antonin als Guard 'angestellt', zweitens, dass sein Egoismus den anderen an sich gebunden hatte, ohne darüber nachzudenken, dass er ihm damit eine schier unmögliche Aufgabe gegeben hatte und dass er damit Antonins Luft zum Atmen genommen hatte. Und drittens dass sein schlechtes Gewissen den anderen so dermaßen verletzt hatte, dass er zu diesem Eisberg mutiert war, der nun vor ihm stand. Er senkte den Blick, war nicht mehr in der Lage irgendetwas zu sagen. Eigentlich sollte er gehen, oder? Sollte er nicht einfach gehen, den anderen aus seinen Verpflichtungen entlassen, sich aus dessen Leben zurückziehen, ihn in Ruhe lassen und am besten nie wieder sehen? Sollte er das nicht tun, um ihn nie wieder so zu verletzen? Um ihn nie wieder so kalt sehen zu müssen? Um ihm nicht weiter sein Strahlen zu rauben, seine Wärme zu ersticken? Er sollte gehen, sich verabschieden, nie wieder kommen... Und mit diesem Gedanken blickte er wieder auf, entschlossener. Ja, er sollte seine Selbstbeherrschung wiederfinden und das endlich beenden. Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Und das bezog er nicht auf sich. Er selbst stand nicht mehr im Vordergrund. Er selbst durfte nicht auf die Schmerzen hören, die Verzweiflung in sich, die er spürte, wenn er nur darüber nachdachte, den anderen gehen zu lassen, nie wieder dessen Wärme neben sich im Bett zu spüren, nie wieder das Lächeln des anderen zu sehen. Diese Gedanken brachten Schmerzen, die er jetzt aber nicht in seiner Entscheidung einbeziehen durfte, denn sonst würde er Antonin wohl immer und immer wieder verletzen. Deshalb, weil er er war, weil er ein beschissenes Leben führte, weil er ein kaltes, egoistisches Arschloch war, das nicht aus seiner Haut konnte. Doch noch bevor er etwas sagen konnte, fühlte er wie Antonin ihn gegen die Wand drückte, sah, wie er ihn zornig anfunkelte. Und dann bekam er die Worte ab, die ihm vor Augen führten, dass es offensichtlich wirklich das einzige war, das er wirklich gut konnte: Davonlaufen, Probleme hinter sich zu lassen, indem er davon lief, sie verdrängte. Er schluckte, erstarrt in dieser Erkenntnis. Sein Gesicht war in eine Fratze der Verzweiflung verwandelt. Er war nicht fähig zu reagieren, nicht zu agieren, nicht zu sprechen. Was sollte er auch sagen? Dass es ihm leid tat? Antonin würde ihn verlachen. Sollte er sagen, dass er es wieder gut machen würde? Unmöglich. Sollte er sagen, dass er geht, damit er den anderen nicht weiter verletzt? Vielleicht. In diesen Gedanken gefangen starrte er auf Antonin, bis er plötzlich sah, wie jener seine Waffe zog. Würde er ihn erschießen? Hoffentlich. Denn in diesem Moment sah Cole absolut keinen Ausweg mehr, sah gar keinen Weg mehr, nichts, wohin er sich wenden sollte. Er war orientierungslos, hilflos, bewegungsunfähig. Und in dieser Situation kam es ihm als gute Möglichkeit vor, sich einfach erschießen zu lassen. Und der Gedanke, durch Antonin zu sterben, erschien ihm gar nicht so schlimm in diesem Moment. Ganz im Gegenteil. Und mit einem Mal fand er sich mit der Waffe des anderen in seiner Hand, sah, wie jener die Waffe an seiner Brust drückte. Was sollte das? Blankes Entsetzen packte ihn. Die Worte des anderen straften seine ganzen Gedanken von eben Lügen. Er war wirklich ein Feigling, war immer ein Feigling gewesen. Aber es war die Angst, die tief saß, die ihn irrational handeln ließ. Konnte Antonin das nicht sehen? "Hör auf...", wisperte er tonlos. Antonin sollte aufhören damit, sollte aufhören, so etwas von ihm zu verlangen, sollte aufhören ihm den Spiegel vorzuzeigen, in dem er ein egoistisches, feiges Arschloch sah. "Hör auf...", murmelte er ein wenig lauter. Sein Blick, der auf die Waffe gestarrt hatte, hob sich und plötzlich sah er nicht mehr jenen kühlen Mann, der ihm eben so viel Angst eingejagt hatte, sondern er sah Antonin, der ihn verzweifelt ansah, der zitterte, der ihn vollkommen entkräftet anblickte, der ihn bat ihn zu töten. "Hör auf...", er wurde lauter. Cole schüttelte den Kopf, erst langsam, dann heftiger. "Hör auf...", schrie er nun schon fast. Sein ganzer Körper drückte sich gegen die Wand, er konnte nicht fliehen. Und mit einem Mal war ihm klar, was der einzige Ausweg war. Cole ließ die Waffe sinken. "Du begreifst etwas nicht", sagte er mit einem mal ohne Zittern, ohne Hilflosigkeit, sondern voll Entschlossenheit. Ja, er sah klar, vollkommen klar. "Ich könnte dir niemals etwas antun, niemals. Ich wollte dich nicht verletzen, ich wollte dich nie verletzten. Ich wollte dich strahlen sehen, wollte dass du hell leuchtest, dass du lachst und dein Leben genießt, aber das kannst du nicht, solange ich in deinem Leben bin. Ich bringe dir nur Unglück. Ich bin dein Verderben. Ich verletze dich unbewusst mit allem, was ich tue. Dass ich dir diese SMS geschickt habe, diese unsägliche SMS, war nur ein Produkt meines Egoismus, ein Produkt meines schlechten Gewissens dir gegenüber. Ich habe Angst vor meinen Gefühlen für dich. Ich habe eine unglaubliche Angst. Es war purer Egoismus, dich an mich zu binden, denn du bist der einzige Mensch, bei dem ich zur Ruhe kommen kann, der einzige, der mich zum Lachen bringt, der meine Seele berührt, der einzige, der mir das Gefühl gibt, lebendig zu sein, der einzige Mensch, dem ich mein Leben anvertraue, der mir so nahe war, wie kein Mensch vorher. Aber ich kann nicht damit umgehen, mit diesem Wissen, mit diesen ‚Gefühlen‘. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Diese Gefühle erschlagen mich, sie machen mir Angst, sie machen mich schwach und halten mir einen Spiegel vor, in den ich mit Schrecken schaue, weil ich darin ein egoistisches Arschloch sehe. Und das alles nur, weil ich in eine Haut gegossen wurde, die mich zwar schützt, aber die ich nicht ausziehen kann. Ich bin zu einem Leben gezwungen, in das das alles nicht hineinpasst. Ich habe furchtbare Angst davor, dich an diesem Leben teilhaben zu lassen, wie es einem Guard eigentlich zukommen müsste. Aber ich kann das nicht, denn das bedeutet Gefahr für dich. Als ich bei Klinger dachte, dass er dich erwischt haben muss, dass du wahrscheinlich auf dem Balkon liegst, tot, weil ich dich in diese Situation gebracht habe... Ich habe mich gefühlt, als würde ich selbst sterben bei diesem Gedanken. Und im Moment merke ich, dass es weder ein vor noch ein zurück gibt. Denn wenn du wirklich als mein Guard arbeitest, setzte ich dich einer Gefahr aus, die ich nicht ertrage. Und wenn ich dich aus meinem Leben heraushalte, dann verletze ich dich..." Er sprach mit einer Ruhe, die ihm selbst neu war. Er sah endlich einen Ausweg aus der Sackgasse. "Ich kann nur davonlaufen, Antonin. Das ist das einzige, was mich immer am Leben gehalten hat. Ich habe nie etwas anderes gelernt. Verdrängen und davonlaufen sind meine beiden besten Freunde. Sie sind die einzigen, die mich davon abhalten, völlig zu verzweifeln, die mich davor schützen, verrückt zu werden, den Verstand zu verlieren. Und noch nie war mein Verlangen so groß, davonzulaufen, wie in dem Moment, als ich gesehen habe, wie unglaublich schön dein Strahlen ist. Denn bei mir gibt es nur Dunkelheit. Mein Leben ist ein Schattendasein. Ich möchte dich nicht mehr davon abhalten, zu leuchten. Ich bringe dir nur Verderben." Der einzige Weg aus dieser Sackgasse war nicht, sich Antonin zu entledigen, der ein Leben führen konnte, das von Helligkeit gezeichnet war. Der einzige Weg aus dieser Sackgasse war sein eigener Tod. Und so hob er die Waffe wieder und hielt sie sich an die Schläfe. Sicher war es wieder eine Art des Davonlaufens, aber darin war er nun einmal gut. Antonin Und jetzt tat es plötzlich doch weh. Es schmerzte mit einer Inbrunst die ihm vollkommen neu war. Eine völlig neue Art von Schmerz, der sich durch sein ganzes System zu pressen schien bis er tief in die Seele. Aber es war nicht weil Coles Worte ihn verletzten, es war vielmehr weil er den anderen in einem solchen Zustand sah. Weil er sich dafür verantwortlich fühlte. Weil Antonin selbst das blöde Arschloch hier war. Eines, das keine Geduld hatte, sich nicht auf den anderen einstellen konnte. Ein saublödes Arschloch das offensichtlich zu viel verlangte... nicht mit dem zufrieden war was es bekam. Und der Dank dafür bestand darin, einem normalerweise so beständigen, starken Mann dabei zuhören zu müssen, wie er ihn bat aufzuhören. Aufzuhören damit ihn zu verletzen. Aufzuhören damit, ihn gerade in so einer Situation in eine Ecke zu drängen. Aufzuhören damit, sich wie der letzte Mensch auf Erden aufzuführen. Und jedes Mal wenn Cole diese beiden Wörter aussprach, traf es ihn tiefer. Führte ihm vor Augen was für ein unsozialer Mensch er doch war. Was für ein kaputter Typ Antonin eigentlich sein musste, um Coles momentane Schwäche so auszunutzen. Auszunutzen, um Dinge auszusprechen, von denen er sich geschworen hatte, es nicht zu tun, da er doch im rationalen Teil seines Gehirns genau wusste, dass man manchmal gar nicht anders konnte, als sich so zu schützen. Doch aus dieser Art von schmerzhaftem Innehalten wurde er von den plötzlich wieder ruhig klingenden Worten gerissen. Statt ins Nichts zu blicken, fokussierten sich seine Augen, wie von einem Magnet angezogen wieder an Coles Gesicht, nur um sich dann halb entsetzt, halb erstaunt zu weiten. Oh Gott... oh lieber Gott. Es war ihm kaum möglich etwas anderes zu denken, etwas anderes zuzulassen. Nein.. nein, nein, nein! Das war so nicht geplant. Das war so nicht gewollt. Solche Worte sollte man sich nicht sagen, weil man nicht mehr anders konnte. Und mit jedem weiteren Wort von Cole war ihm mehr nach Heulen zumute. Immer größer wurde der Drang sich zurück zu ziehen, sich eine Decke über den Kopf zu ziehen und die Welt einmal Welt sein zu lassen. Aber es gab da auch noch die andere Seite, die unglaublich glücklich über diese Worte war. Die Cole packen und von allem bösen dieser Welt beschützen wollte. Die solche Ausbrüche niemals mehr zulassen wollte. Die Seite, die nicht glauben wollte, dass es da wirklich nur Schwärze geben sollte. Und hatte Antonin selbst denn nicht auch etwas anderes gesehen? War er nicht selbst der festen Überzeugung, dass Cole selbst so strahlend schön war, wenn er lachte? Wenn die ganze Fassade mal aus dem Gesicht gefallen war? Fand er Cole nicht atemberaubend, als jener zu seinem Orgasmus gekommen war? Ja, ja und hundertmal ja! Und dann, von einer Sekunde auf die andere bewies ihm sein Körper, dass er immer in der Lage wäre Adrenalin auszuschütten, wenn es um Cole ging. Dass dieser Körper niemals erschöpft genug wäre, um nicht auf Cole aufpassen zu können. Aber er bewies ihm auch, was Angst war. Denn nichts anderes als Angst durchströmte ihn, als er mit weit aufgerissenen Augen dabei zusah, wie Cole sich plötzlich die Waffe aus Antonins Händen befreite und sich selbst an die Schläfen hob. NEIN! In einer Geschwindigkeit, die er sich selbst nicht mehr zugetraut hätte, holte er aus und verpasste Cole das lange versprochene Veilchen. Den Schmerz darüber, den sein angestauchtes Handgelenkt ausströmte bemerkte er nicht. Ihm kam es wieder so vor, als wäre die Welt in einen Zeitlupenmodus zusammengeschrumpft und noch während Coles Kopf beiseite flog, griff er nach dessen Hand und presste sie nach hinten an die Wand, bis er ihm die Waffe aus der wohl durch den Schlag gelockerten Hand riss und sie achtlos neben sie warf. Und irgendwo, ganz in den Tiefen seiner selbst, bemerkte ein kleiner Teil, den er wohl seiner Guardausbildung zuzuschreiben hatte, dass es gut war, dass sie sich im Schatten der Wand befanden. Doch solche Gedanken waren jetzt unglaublich nebensächlich und so dauerte es nach dem wegwerfen der Waffe kaum ein paar Sekunden, bis er Cole an sich gerissen und in eine Bärenumarmung gezogen hatte. "Du Idiot! Du unglaublich, unsäglicher, dämlicher Idiot!", fauchte er dem anderen Mann ins Ohr ohne seine Arme auch nur eine Sekunde zu lockern. "Oh Gott.. oh Gott.. oh Gott. Du kannst dir doch nicht einfach die Scheiß Waffe an den Kopf halten! Cole! Begreif es endlich! Ich lasse dich nicht mehr weglaufen. Ich lasse dich nicht mehr weglaufen, verdammt!", fast versagte ihm die Stimme vor lauter Emotionen. Er war so furchtbar aufgewühlt, fand keinen richtigen Ansatzpunkt. Außer dass es so nicht mehr weitergehen konnte. Und so schob er Cole weit genug von sich um ihm wieder ins Gesicht sehen zu können, beide Hände fest an dessen Schultern liegend. Die ersten Anzeichen des Veilchens bereits erkennbar... er hatte sich nicht zurückgehalten. Scheiße! Verfluchte Scheiße! "Cole, bitte hör mir zu, ja? Bitte", er hatte sich selten so hilflos gefühlt, selten so sehr das Bedürfnis verspürt, einem anderen Menschen etwas mitteilen zu müssen. "Du bist nicht mein Verderben. Das darfst du keine Minute lang glauben. Nicht einmal eine Sekunde, hörst du? Ich verzeihe dir tausende von diesen SMS wenn es sein muss. Manchmal habe ich das Gefühl, ich könnte dir alles verzeihen, alles bis auf das hier. Du könntest mich gar nicht tiefer verletzen als damit, dich umzubringen. Andere Verletzungen heilen, Cole. Sie heilen! Aber die Wunde, die du schlagen würdest, wenn du dich umbringst, wenn du plötzlich weg wärst… sie würde immer offen bleiben. Verstehst du, was ich dir sagen will? Du bist mir so wichtig, dass alles andere nebensächlich ist. Und wenn ich strahle, dann liegt das nur an dir", er stockte, um wieder Luft in die Lungen zu bekommen. Um trocken zu schlucken und um Worte für all das zu finden was ihn bewegte. Und während Antonin darüber nachdachte beugte er sich vor und hauchte Cole sanfte Küsse auf die Stirn, Wangen und das Kinn. "Du kannst es nicht wissen, aber ich hatte fast zwei Jahre keinen Kontakt zu Nicholas. Für mich gab es nur das Labor und die Verwirklichung von CI-4. Ich hatte kein Leben nebenher. Es gab keine Gründe, zu lachen oder zu strahlen. Ich habe Leute zusammengeschlagen, weil ich dachte, sie könnten durch den Stoff auf meine Narben sehen und es war mir scheiß egal was andere von mir dachten. Passt das irgendwie mit dem Bild überein, das du von mir haben müsstest? Nein, oder?", er fragte leise, doch erwartete keine Antwort. Inzwischen war seine Stimme auch weniger durch seine Emotionen aufgeputscht, weniger hell, weniger verzweifelt. Cole war noch hier... Cole hörte zu. Hoffte er zumindest. "Wenn du denkst, deine Gefühle machen dich schwach, dann ist das so, aber vergisst du dabei nicht, dass du durch diese Gefühle jemanden gewinnst, auf den du dich stützen kannst? Und ich werde dich hiervor nicht davonlaufen lassen, Cole. Ich kann es gar nicht. Ich kann und will nicht mehr auf dich verzichten. Dann bin ich eben ein paar Mal verletzt. Das ist vollkommen in Ordnung, denn es ist menschlich. Vielleicht läuft das hier extremer ab, als woanders, aber es ist menschlich. Du bist keine Maschine und du bist auch nicht nur Schwärze. Ich habe da so viel mehr als Schwärze gesehen und selbst wenn du das selbst nicht sehen kannst, so kannst du mein angebliches Strahlen gar nicht zum erlischen bringen. Wo doch du der Grund dafür bist, dass es überhaupt vorhanden ist", er lehnte seine Stirn gegen die von Cole und atmete tief durch. "Angst ist in Ordnung, Cole. Ich habe auch Angst, aber ich lasse mich nicht mehr davon diktieren, da ich nicht mehr gewillt bin auf dich zu verzichten. Ich will und werde es nicht tun. Du sagst du willst mich nicht verletzen, du sagst, dass du mir nichts antun könntest und in meinen Augen ist das ein guter Punkt. Es ist ein Startpunkt." Cole Der Schmerz, der ihm unterhalb des linken Auges traf war enorm. Cole taumelte gegen die Wand, musste sich mit seiner freien Hand irgendwie wieder fangen. Sein Kopf war leicht gegen die Wand geknallt. Einen Moment war er nicht in der Lage irgendwie zu begreifen, was gerade geschehen war. Er hielt die Augen geschlossen, den pochenden Schmerz auf seinem Wangenknochen, an seinem Auge spürend. Dann spürte er auch schon, wie ihm die Waffe abgenommen wurde, wie er in die Arme des anderen gezogen wurde, wie Antonin auf ihn einredete. Aber noch immer war er nicht wirklich in der Lage zu begreifen, was gerade geschehen war. Das einzige, was er in dieser Situation konnte, war sich in diesen Armen fallen zu lassen. Und so lehnte er sich kraftlos gegen den anderen, versank in seinen Armen, in seiner Halsbeuge, und spürte, wie ein Brennen seine Augen füllte. Weinte er? Er wusste es nicht. Wahrscheinlich war es nur der Schmerz. Der physische oder der psychische? Er wusste es nicht... Und langsam, sehr langsam drangen die Worte des anderen zu ihm durch, spürte wie ihn Antonin wieder von sich weg drückte, sah wieder diese Augen des anderen, die ihn vorhin so entsetzt hatten, die nun aber wesentlich wärmer waren, genau so, wie er sie mochte, wie er sie schön fand. Nur seine eigenen Augen mochten nicht so recht und so hob er die Hände und strich die Tränen weg, die seine Sicht trübten. Die Berührung in seinem Gesicht war schmerzhaft. Antonin hatte ihn ordentlich getroffen. Er nickte träge, als Antonin ihn bat, ihm zuzuhören, doch die Worte drangen nur schwer zu ihm durch. Er war ihm wichtig? War er das wirklich? Hatte er das verdient? Cole merkte, dass er keinen wirklich klaren Gedanken mehr fassen konnte. Sein Schädel brummte, er meinte zu spüren, wie sein Auge zuschwoll. Antonin redete weiter, er spürte Küsse auf seinem Gesicht, spürte die Nähe des anderen, seine Aufgeregtheit, seine Sorge, spürte, wie jener nach Worten rang, und er merkte, wie jener mit der Zeit ruhiger wurde, seine Worte offenbar leichter fand, das ängstliche Zittern in der Stimme langsam sich legte. Er hörte die Worte, verstand sie, aber begriff sie nicht. Nicht im Moment. Im Moment war ihm einfach alles zu viel. Als Antonin seine Stirn an die seinige lehnte, kam er dieser gerne entgegen. Er hatte so dringend das Bedürfnis dem anderen nah zu sein, wollte gehalten werden. Es war seltsam. Eben hatte er sich doch noch geschworen damit aufzuhören, aber nun... Gut, es ging alles von Antonin aus. Antonin war der, der ihm Halt geben wollte, der ihn bei sich behalten wollte. Es war nicht mehr sein Egoismus, der den anderen an sich band. Und doch war es auch sein Egoismus, denn erhielt Antonin nicht mehr davon ab. Sollte er ihn nicht doch vor sich beschützen? Aber laut Antonins Worten, wollte dieser das nicht. Cole wusste nicht so recht, ob er sich freuen sollte. Doch, eigentlich freute es ihn, sehr sogar. Es war nur im Moment nicht richtig real. Er war der Auslöser seines Strahlens? War er das wirklich? Wie denn? Was tat er denn schon groß, außer den anderen zu verletzen? Aber wenn dieser es so sah, wer wäre er, wenn er widersprechen würde… Und Antonin war selbst in einer Dunkelheit gefangen gewesen, bevor er ihn kennengelernt hatte? Cole meinte zu ahnen, was ihr größtes Problem war: die Kommunikation. Sie kommunizierten nicht genug und nicht richtig miteinander. Und dazu trug wohl jeder seinen Teil bei, oder? Und dann lauschte er den Eingeständnissen, die Antonin ihm machte. Er wollte ihm eine Stütze sein, die die Schwäche seiner Gefühle kompensieren könnte? Er würde es akzeptieren, wenn er ihn noch einmal unbewusst so verletzen würde? Und das alles, weil er nicht auf ihn verzichten konnte? War er dem anderen so viel wert? Cole konnte nicht genau abschätzen, was die Worte des anderen alles für Ausmaße annahmen. Schließlich begann er langsam zu sprechen, zu reagieren, auf das, was der andere sagte. "Ich habe es dir doch gesagt...", murmelte er und schloss wieder die Augen, sich an den anderen lehnend. "Ich werde dich mehr oder weniger bewusst verletzen. Und deine Reaktion darauf war genauso unberechenbar, wie du es prophezeit hast. Aber jetzt haben wir zumindest schon einen großen Umweg hinter uns gebracht und sind damit wider erwartend doch ein Stück vorangekommen." Er begann langsam die Arme zu heben, und umarmte den anderen somit. "Ich hatte mir eigentlich geschworen, mich zurückzuziehen, wenn ich dich verletze, aber du siehst das anders und ich werde mich nicht dagegen wehren. Vielleicht sollten wir es wirklich als Startpunkt sehen. Aber ich fürchte so einfach ist es nicht. Ich.. wir müssen noch viel reden. Überhaupt glaube ich, dass wir in Zukunft mehr miteinander reden müssen. Und besser zuhören müssen, damit so etwas nicht wieder geschieht." Er löste sich leicht von Antonin. "Ich bin nur im Moment so fertig, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Und das einzige, was ich jetzt wirklich will, ist in deinen Armen zu liegen und zu schlafen. Erfüllst du mir den Wunsch? Ich kann einfach nicht mehr." Aus müden Augen blickte er den anderen an. "Bring mich bitte nach Hause." Im Moment war er so kaputt mit allem, dass er vollkommen schutzlos war. Cole zog aus seiner Jackentasche seinen Autoschlüssel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)