Ein Leben im Todesrausch von Rayligh (Der Tod ist ihr Freund) ================================================================================ Kapitel 2: Ankunft ------------------ Wir ritten lange. Unterwegs trafen wir auf viele weitere Lastwagenkarawanen von Arbeitern, aber der Mann hielt keine mehr an. Wir ritten in striktem Tempo, Rast wurde keine gemacht. Gleich nachdem wir außer Sichtweite waren, hatte der Mann sein Rebhak neben das gelenkt, auf dem ich saß. Mit seinen eiskalten Augen hatte er mich angesehen und gesagt: „ Du wirst keine Schwierigkeiten machen. Solltest du versuchen zu fliehen, werden wir dich töten. Solltest du versuchen, uns irgendwie zu schaden, werden wir dich töten. Verstanden?“ Dies sagte er mit tödlich ruhiger Stimme. Ich nickte nur verängstigt, unfähig diesem eiskalten Blick auszuhalten. Zufrieden trieb er sein Reittier an und setzte sich wieder an die Spitze des Zuges. Ich saß auf dem Rebhak, hinter mir den unbekannten Mann, der einen Arm um meine Taille geschlungen hatte und mit dem anderen die Zügel führte und fühlte mich einsam und leer. Ich sah den Blick meiner Mutter immer noch vor mir, immer durchmischt mit den kalten Augen des fremden Mannes. Sie hatten den Tod versprochen. Ich schüttelte den Kopf um die Gedanken daran loszuwerden. Der Mann hinter mir schwieg ebenfalls, und ich hatte zuviel Angst um ihn anzusprechen. Er war relativ groß, mit roten Haaren, die wie Stacheln eines Igels vom Kopf abstanden. Durch sein Gesicht, über das Auge zog sich eine breite rote Narbe und seine grünen Augen sahen fast genauso leblos aus wie die des Mannes. Auf seinem Rücken trug er ein großes, sehr breites Schwert, das allerdings nur auf einer Seite geschliffen zu sein schien. Auch wenn ich ihn anstarrte, reagierte er in keinster Weise darauf sondern konzentrierte sich strikt auf das Lenken des Rebhaks und die Beobachtung der Umgebung. Nach einiger Zeit, die Sonne ging gerade unter, wobei sie rotglühende Streifen zog und den Himmel und die Erde in ein rosarotes Licht tauchte, kamen wir an den Toren einer großen grauen, aber verfallenden Stadt an. Ich war nichtsdestotrotz beeindruckt: die hohen Häuser und Bürogebäude wurden durch das Licht der untergehenden Sonne wie magisch verziert, hier und da erreichten ihre Strahlen auch den Boden und malten rote, glühende Tupfer auf den ansonsten dunklen Boden. Ich saß auf dem Rebhak und bestaunte dies alles mit offenem Mund. In diesem Moment war alles wie weggeblasen: Die Angst vor dem was kommen würde, die Enttäuschung von meiner Mutter verraten worden zu sein, meine Einsamkeit. Alles was ich sah war diese Stadt, die meiner Meinung nach in keinem Märchen schöner hätte sein können. Schließlich blieb mein Blick an den Toren selbst hängen: Sie wirkten nicht, als ob sie zur Verteidigung notwendig geworden wären. Eher wirkten sie wie eine Erinnerung an längst vergangene Zeiten, wie ein Mahnmal dessen, was einmal war. Sie waren wohl einmal aus Eisen gewesen, drei Meter hoch und jeder Flügel wohl so an die vier Meter breit. Nun lagen sie, halb in der Erde vergraben, auf dem Boden, die Ecken verbogen, die Platten selber mit Rostflecken überzogen. Auf ihnen saß je ein Wächter. Beide waren in schlichte graue Uniformen gekleidet, die aus einem Hemd und einer Hose bestanden. Als Waffen hatten sie große schwarze Pistolen, die ich zu gerne einmal näher inspiziert hätte. Ich hatte so etwas noch nie angefasst, und auch nur einmal in meinem Leben gesehen. Wir passierten die Tore nach einem kurzen Gespräch des Mannes mit den Wächtern und ritten in die Stadt ein. Es ging vorbei an großen Häusern mit leeren Fensteröffnungen, die wie Augen eines Toten auf uns herabstarrten, Von Zeit zu Zeit saßen in diesen Fenstern auch junge Menschen mit bunten, wohl gefärbten Haaren und zerrissener Kleidung und sahen mit einer Mischung aus Abscheu, und, so kam es mir vor, bei meinem Anblick auch Mitleid auf uns herab. Inzwischen hatte sich wieder das Gefühl des Verlorenseins eingestellt und mit ihm war die Angst vor dem was kommen würde zurückgekehrt. Nichtsdestotrotz beeindruckte mich diese riesige, stille Stadt doch sehr. Ich sah mich mit großen Augen um, überall entdeckte ich neue und interessante Sachen, die ich zu gerne näher erkundet hätte. Aber der Arm des Soldaten hinter mir hinderte mich an allzu großen Bewegungen, absteigen kam daher überhaupt nicht in Frage. Deswegen beschränkte ich mich auf das bloße Schauen. Und dazu gab es genug: Hunde, die sich um ein dreckiges Stück irgendwas stritten, Gruppen schwarz gekleideter Menschen, die wohl dafür sorgten, das es nicht allzu viel Ärger gab, interessant verbogene Metallstangen die scheinbar ohne Sinn in den Himmel ragten und an deren oberen Enden man im schwächer werdenden Licht gerade noch so einige Glasscherben erkennen konnte und die Vielfalt der Kleidung der wenigen Menschen, die noch unterwegs waren. Die Rebhaks trugen uns in ihrem typischen schaukelnden Hüpfgang auf eine breite Straße zu, die bald in eine enge Kurve mündete. Das, was hinter der Kurve liegen mochte, war durch ein großes dunkles Gebäude verdeckt. Neugierde kämpfte in meinem inneren mit Angst: Die ganze Stadt wirkte auf mich wie ein riesengroßer Abenteuerspielplatz, aber ich wusste von den Experimenten der Firma und hatte keine Ahnung, was wohl mit mir geschehen würde. Zudem fehlte mir meine Mutter sehr; die Erinnerung an den letzten Blick, den sie mir zugeworfen hatte, saß tief und ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich ihn irgendwann vergessen würde. Als wir in die Kurve einbogen, stockte mir der Atem: Wir hielten direkt auf einen riesigen Gebäudekomplex zu, dessen Fensteröffnungen komplett mit gläsernen Scheiben geschlossen waren und dessen Spitze weit in den Himmel ragte. Er war um einiges breiter als das größte Landhaus das ich je gesehen hatte: Sicherlich so an die 200 oder sogar 300 Meter. Außerdem war es komplett in weiß gehalten, welches die letzten Strahlen der sterbenden Sonne, die das Zwielicht noch erhellten, reflektierte sodass es in den Augen wehtat, wenn man es zulange ansah. Ich mochte mir nicht vorstellen, wie sich diese Eigenschaft wohl bei hellem Sonnenschein auf den Betrachter auswirken würde. Kurz bevor wir das Gebäude erreichten, gab der Mann das Zeichen abzusitzen. Der Mann hinter mir schwang sich elegant vom Rücken des stehenden Rebhaks, packte mich kraftvoll an der Hüfte und hob mich mit einem schnellen Schwung runter. Kaum da ich auf dem Boden stand, spürte ich, wie er meine Schulter packte um mich am Fliehen zu hindern. Nicht das ich das vorgehabt hätte: Ich war zu überwältigt von dem Neuen und gleichzeitig zu durcheinander von dem Verrat meiner Mutter, um irgendeinen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn überhaupt über so etwas wie eine Flucht nachzudenken. Der Mann musterte mich mit seinen kalten Augen. Selbst auf die Entfernung konnte ich sehen, dass er keinerlei Gefühl darin hatte. Sie hatten die gleiche Wirkung auf mich wie schon vorher: Sie zwangen mich hinein zu sehen und nagelten mich hilflos da fest, wo ich stand. Ich dachte kurz darüber nach, dass er ein furchtbarer Gegner sein musste, aber kaum da ich diesen Gedanken gefasst hatte, war er auch schon wieder weg. Mit dunkler, ruhiger aber dennoch autoritärer Stimme befahl er dem Mann hinter mir: „Bringen Sie unseren Gast zum Doktor. Er erwünschte sich weitere Objekte, er wird wissen was zu tun ist.“ Bei diesen Worten lächelte er, aber anstatt eines warmen oder aufmunternden Lächelns war es ein eiskaltes Lächeln, das von einer großen Grausamkeit zeugte. Ich zitterte plötzlich wie Espenlaub, Das Wort ´Doktor´ wiederholte sich ständig in meinem Kopf, wie ein Mantra oder eine Beschwörung, Nur war dieses eine Beschwörung der Angst. Doktor. Das bedeutete Versuche. Und das bedeutete den Tod. Objekt. Nicht Mensch. Ich war nichts, kein Mensch. Ich war ein Objekt. Ein etwas ohne irgendwen, der es vermissen würde. In diesem Moment stieg zum ersten Mal so etwas wie Hass auf meine Mutter in mir auf. Der Soldat hinter mir nickte nur und, als ich mich nicht sofort bewegte, drückte er mir die Finger fast schmerzhaft in die Schulter. Mit einem tauben Gefühl im ganzen Körper bewegte ich mich mechanisch vorwärts, weg von den scharrenden Rebhaks und den kalten Gesichtern der Männer hinter mir, auf das Gebäude zu. Und damit auf meinen Tod, so dachte ich. Der Soldat schob mich durch eine gläserne Tür, in einen hell erleuchteten, weißen Eingangsbereich. Es waren nirgends Menschen zu sehen, aber hinter einer angelehnten Tür, die sich am anderen Ende des Bereiches befand, konnte ich Stimmen hören. Nicht das mich das interessiert hätte. Der Soldat schob mich unterdessen auf einen Aufzug zu, dessen kalte Stahltüren nicht einladender als ein großes Jaucheloch wirkten, von denen es in den Prärien einige gegeben hatte. Ratet mal, wo ich in diesem Moment lieber durchgegangen wäre. Leider war mir diese Möglichkeit nicht gegeben, die harte Hand des Soldaten zeigte mir unmissverständlich den Weg, den ich zu gehen hatte. Wir fuhren nach unten. Die Türen öffneten sich, ich wurde unsanft hindurch geschoben, Richtung einer großen gläsernen Doppeltür, in die das Wort „Entwicklung“ eingeätzt war. Hinter dieser Doppeltür befand sich eine Sicherheitsschleuse, die der Soldat ohne Probleme passierte. Ich hatte diesbezüglich keine Wahl. Wieso ich mich nicht wehrte? Selbst wenn mir dieser Gedanke auch nur im Entferntesten gekommen wäre: Er hatte ein Schwert, ich nicht. Er war sicherlich an die zwei Meter groß. Ich grade mal etwas über 1, 50. Er hatte sicherlich 30 Jahre Erfahrung, ich beeindruckende Null. Um es mit einem tierischen Vergleich auszudrücken: Er war der Löwe, ich das Antilopenbaby. Jedenfalls machte ich ihm keinerlei Schwierigkeiten, sondern ließ mich wie betäubt von ihm überall hinschieben, wie eine Schachfigur. Als wir die die Schleuse passiert haben, kam uns ein Mann entgegen, der zur Hälfte aus Metall zu bestehen schien: Seine Arme und Beine waren durch silbern glänzende Prothesen ersetzt. Seinen Torso konnte man nicht erkennen, da dieser von einem weißen Kittel verdeckt wurde. Er lächelte erfreut, als er den Soldaten sah. „Das Objekt?“ fragte er mit einem gierigen Unterton in der Stimme. „Das Objekt.“, bestätigte der Soldat. Der Metallmann, ich hielt ihn für den Doktor, ging um mich herum und begutachtete mich genau. „Sie ist in guter Verfassung.“, bemerkte er schließlich. Ich bewegte mich nicht, auch wenn mir der genaue Blick des Doktors unangenehm war. Ich fühlte mich wie ein Pferd auf dem Markt, es hätte mich nicht gewundert hätte er mir in den Mund geschaut oder meinen Fuß angehoben. Schließlich schien er zufrieden zu sein, denn er winkte den Soldaten mit einer knappen Handbewegung weg und zog eine Spritze aus seiner Tasche. Sie war lang, die Flüssigkeit in ihr schimmerte violett. Zitternd starrte ich sie wie ein Kaninchen die Schlange an. Immer noch konnte ich keinen genauen Gedanken fassen. Das letzte, an das ich mich erinnerte war das Grinsen des Doktors und den leichten Piekser, mit dem er die Spitze durch die Haut in mein Brustbein stach. Das war das Ende des Menschen Silvana. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)