Kill von Natsuki13 ================================================================================ Kapitel 11: Memories -------------------- Am Tag nach dem Anruf der mysteriösen Frau sass Takuro an seinem Bürotisch und drehte gedankenverloren einen Bleistift in den Fingern. Nach langen Überlegungen war ihm gestern klar geworden, was dieses Rätsel bedeutete. Nämlich, dass Zero die gesammelte Information aufteilte und unter verschiedenen Personen verteilte. Irgendwann werden diese Personen auf den Gedanken kommen, das erhaltene Material plus ihre eigenen Überlegungen ihm, Takuro, zu bringen. Der Untersuchungsführer legte den Bleistift zur Seite. Ja, es würden Leute zu ihm kommen, aber es würden nicht alle sein. Eine Person würde fehlen, das falsche Glied der Kette. Jemand, der Zero vernichten wollte, der an zwei Fronten arbeitete. Der Verräter. Er nahm ein Blatt Papier und schrieb alle möglichen Namen der Personen, zu denen der Ermittler Osa hätte gehen können. Minako Tajiya. Sechsundzwanzig Jahre alt, arbeitete seit fünf Jahren zusammen mit Zero in der gleichen Abteilung. Hatte zuvor die Polizeiakademie mit Zack Houshi besucht. Zack Houshi. Ein neuer in der Abteilung für schwere körperliche Verbrechen. Er war siebenundzwanzig Jahre alt und war nach dem Abschluss der Akademie im Shinjuku-Bezirk stationiert. Kyo Kamara, dreissig Jahre alt. Arbeitete seit nunmehr zehn Jahren in der gleichen Abteilung und hatte es bis zum Major-Titel geschafft. Seine Schwester war die Ex-Freundin des Ermittlers Osa. Die beiden Männer selbst kannten sich schon seit Kindertagen und hatten auch dieselbe Schule besucht. Rokuro Kamui. Er war der Leiter der Abteilung für schwere körperliche Verbrechen. Noch in der Akademie hatte er ein Auge auf Osa geworfen und hatte Zero, sobald dieser mit der Akademie fertig war, in seine Abteilung geschleppt. Genau ein Jahr lang wurde über den Abteilungsleiter gelacht, bis der Frischling einen Fall gelöst hatte, der landesweit für Furor gesorgt hatte. Genauer genommen, er hatte einen Serienmörder gefasst, der es auf schwangere Frauen abgesehen hatte. Takuro hielt inne. Ja, diesen Fall würde er niemals vergessen können… Vor sieben Jahren… "Sagara ist nicht unser Mann, Inuyo-san." Ein zweiundzwanzigjähriger Mann mit wild in alle Seite stehendem schwarzem Haar presste seine Hände auf die Oberfläche eines Bürotisches und sah den frisch gewordenen Inspektor energisch an. Die dunklen Augen glänzten vor Überzeugung, trotz der etwas gräulicher Hautfarbe und den tiefen Augenringen, was von wenig bis überhaupt keinem Schlaf zeugte. Takuro faltete die Hände zusammen und sah den jungen Beamten an. "So? Und was macht dich denn so sicher?" "Bitte versprechen Sie mir zuerst, dass Sie darüber meinem Chef nichts sagen werden." "So jung und stellst schon Forderungen? Mein Junge, du bewegst dich auf dünnem Eis. Du bist zehn Jahre zu jung, um mir Forderungen zu stellen.", erwiderte der Untersuchungsführer kalt. Der Zweiundzwanzigjährige seufzte. "Das weiss ich. Aber ich liebe meinen Job und ich will diesen nicht wegen solch einer Kleinigkeit verlieren.", sagte er aufrichtig. Wie in Zeitlupentempo richtete sich der ältere der beiden Männer auf und öffnete genau so langsam seinen Mund. Der Blick Zeros erinnerte ihn an einen Hund, der etwas Schlimmes getan hatte und nun sein Herrchen voller Reue ansah. Dieser Blick bestätigte den Inspektor in seiner Vermutung. "Du Unglückshund, was hast du angestellt?", fragte Takuro sein Gegenüber langsam. Osa verzog etwas genervt das Gesicht, wurde er doch praktisch all seine Kindergarten- und Schuljahre als "Inu" – "Hund" – bezeichnet, auch wenn er nie den Grund dafür verstanden hatte. Doch schnell legte er das gewohnte Gehabe zur Seite und widmete sich voll und ganz seiner Aufgabe. In diesem Falle der Erzählung seines halsbrecherischen Einzelganges. Je länger Herr Inuyo dem Ermittler zuhörte, desto ungläubiger wurde sein Gesichtsausdruck. Der Typ war doch wahnsinnig… wahnsinnig und zur gleichen Zeit teuflisch genial! Grob zusammengefasst sah die ganze Geschichte ungefähr so aus: Bei der Verhaftung des mutmasslichen Serienmörder Jakotsu Sagara fiel Zero der Blick des Mannes auf, welchen dieser dem Ermittler hin und wieder warf. Nachdem der Beamte sich dies mehrere Male durch den Kopf gehen gelassen und sich einige Hypothesen zusammengereimt hatte, ging er wieder zum Haus des Verhafteten. Am Zielort angekommen sah der junge Mann eine verdächtige Gestallt, die einige Zeit lang bei dem Eingang verbracht hatte und sich dann schlendernd von dannen machte. Da es Zero äusserst merkwürdig vorgekommen war – schliesslich war es schon nach zehn Uhr abends und es war Mittwoch -, folgte der Beamte der verdächtigen Gestalt. Einige Zeit später war die unbekannte Person in einer Gasse verschwunden und Osa stellte verblüfft fest, dass er sich im Rotlichtviertel befand. Während er noch überlegte, was er nun machen sollte, kam eine Nutte auf ihn zu und bot ihm mit einer verrauchten Stimme ihre Dienste an. Ohne gross nachzudenken nahm er diese auch an, allerdings nicht in dem Sinne, wie es die Prostituierte gedacht hatte. Nach einer Viertelstunde voller Flüchen und Beschimpfungen aller Art hatte der Ermittler herausgefunden, dass sich in der Gasse ein sadomasochistischer Schwulenclub befand. Zwar war er dabei auch sechstausend Yen losgeworden – tausend für die Info und der Rest dafür, dass die Frau über diese Unterhaltung schwieg -, aber das war es wert. Weiss der Teufel, wie der es geschafft hatte, die Wachgorillas davon zu überzeugen, ihn in den Schuppen reinzulassen. Tatsache war, dass er reingekommen war. Der Anblick des Geschehenen hatte dem jungen Mann beinahe für ein paar graue Haarsträhnen und einen ordentlichen Bruchreiz gesorgt, doch er hatte sich zusammenreisen können. Durch Lügen und Unwahrheiten hatte Zero es geschafft zum Boss dieses fragwürdigen Schuppens zu gelangen und von da an wurde es noch spassiger. Nach ein paar missglückten Verhandlungsversuchen zog der junge Osa seine Pistole und richtete diese dem fetten Besitzer direkt zwischen die Augen. Gegen dieses Argument konnte der Fettsack nicht ankommen und verriet schön brav alles, was er über Jakotsu Sagara wusste. "Dieser Typ ist ein schwuler Provinzjunge, der seit fünf Jahren illegal im Rotlichtviertel als Stripper arbeitet.", vervollständigte Zero seine Erzählung. "Er steht total auf Männer, bewundert aber die gewölbte weibliche Figur während der Schwangerschaft. Sein Chef erzählte mir, dass Sagara von jeder Bezahlung eine gewisse Summe zur Seite legte, um später mal eine OP zu machen." "Geschlechtsumwandlung?" "Genau." Takuro fasste sich an den Kopf. "Das ist alles schön und gut, aber weißt du eigentlich, was du dir da aufgehalst hast, Zero?" Keine Antwort. "Fassen wir doch alles zusammen. Du bist ohne Wissen deines Vorgesetzten an den Wohnort des mutmasslichen Täters gegangen, hast ohne einen Beschattungsbefehl eine unbekannte Person verfolgt, die dir merkwürdig vorgekommen ist, hast eine Person bestochen – Prostituierte hin oder her –, bist rechtwidrig ins Privatbesitz eingedrungen und hast mit deiner Dienstwaffe einen Mann bedroht. Junge, im besten Fall wirst du deine Marke ablegen, im Schlimmsten verbringst du zwei Jahre hinter Gitter. Ich hoffe doch schwer, dass dir das klar ist." Zero seufzte. "Das ist auch der Grund dafür, warum ich sie darum gebeten habe, meinem Chef nichts davon zu erzählen." Fassungslos sah der Untersuchungsführer den jungen Beamten vor sich an. Dieser Osa hatte doch wohl nicht alle Tassen dort oben auf dem Regal! Resignierend fuhr der Ältere über seine Haare. "Warten wir erst mal die Resultate der Spurensicherung ab. Die Experten sollten uns sagen können, ob aus der Pistole, die wir bei Sagara zu Hause gefunden haben, auch geschossen wurde." Zwei dunkle Augen sahen ihn so ernst an, dass er glaubte, an die Wand genagelt zu werden. "Sie werden dort keine Pulverspuren finden können. Ich wette, die Spurensicherung wird an der Pistole nicht einmal die Fingerabdrücke Sagaras finden. Darauf könnte ich nicht nur die Hand ins Feuer legen, sondern gar den Kopf unter die Guillotine platzieren." "Und was macht dich denn so sicher, wenn ich fragen darf?" "Die Tatsache, dass er Geld für eine Geschlechtsumwandlung spart. Er will sich umoperieren lassen, sprich zu einer Frau werden. Und es gibt nur einen einzigen Grund für deinen Homosexuellen, sich so unters Messer zu legen. Er will Kinder gebären können." Ein Schweigen erfüllte das Büro des Herrn Inuyo, bis dieser seine Stimme erhob. "Das ist die verrückteste Geschichte, die ich je gehört habe.", meinte er langsam. "Glauben Sie mir, Inuyo-san, ich konnte es anfangs auch nicht glauben. Ich habe die ganze Nacht damit verbracht, die errungenen Informationen zu verarbeiten, und je länger ich darüber nachgedacht habe, desto logischer erschien mir die ganze Geschichte." "Könnte der Wirt nicht vielleicht lügen?" Zero schüttelte den Kopf. "Nein, der nicht. Er ist nur ein Bauer auf dem Schachbrett. Sonst wäre ich gar nicht erst in den Schuppen reingekommen." Da musste Takuro dem Jüngling Recht geben. "Klingt logisch. Aber warten wir trotzdem mal ab, was die Spurensicherung sagt." Einige Tage später bestätigte sich alles, was Zero gesagt hatte. Auf der Pistole wurden weder Schmausspuren noch Fingerabdrücke Sagaras gefunden. Bei den Fingerabdrücken war es noch nicht Endstation, konnte man doch Handschuhe in jedem beliebigen Geschäft kaufen, doch man konnte unmöglich aus einer Pistole schiessen, ohne dass sich wenigstens irgendwelche Rückstände gebildet hatten. "Da haben wir aber eine Bescherung.", seufzte Takuro und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Osa konnte nur mit den Schultern zucken. Er hatte ihn ja gewarnt, aber der Ermittler konnte das Verhalten des Inspektors gut nachvollziehen. Das Bauchgefühl eines Beamten interessierte den Richter genauso wenig, wie es einen Hund interessierte, wie viele Räder ein Wagen hatte. Das Gericht erforderte Fakten und handfeste Beweise. Der jüngere der beiden Männer wollte gerade etwas sagen, als die Tür zum Büro aufging und drei Frauen waren eingetreten. Die erste Frau, Fumio Suzuno, war Fotografin. Sie arbeitete für verschiedene Ausgaben beziehungsweise machte Fotos für mehrere Zeitungen und Zeitschriften, um so an ihr Lebensunterhalt zu kommen. Seit es diese Mordserie an Schwangere gab, wurde sie richtig berühmt, da sie die richtigen Fotos zum richtigen Zeitpunkt lieferte. Für die Polizei war sie ein wichtiger Zeuge. Die zweite war unter dem Namen Sayoko Inuyo bekannt und war mit dem nunmehrigen Inspektor verheiratet. Da sie sich zu dem Zeitpunkt kurz vor dem neunten Monat der Schwangerschaft befand, arbeitete sie nicht mehr, sondern verbrachte mehr Zeit zu Hause. Allerdings konnte ihr nicht einmal ihr Ehemann verbieten, das Haus zu verlassen und Takuro frisch zubereitetes Mittagessen direkt zum Arbeitsplatz zu bringen. Zu guter Letzt war da auch noch Yumi Narukawa. Sie war Sayokos jüngere Schwester und half dieser viel im Haushalt, seit Frau Inuyo's Schwangerschaft den siebten Monat erreicht hatte. Auch Yumi war eine Zeugin, denn eine ihrer Freundinnen war dem Serienmörder zum Opfer gefallen. "Na, wen haben wir denn da?", sagte Yumi fröhlich und strahlte auf das gesamte Büro. Man könnte meine, dieser Mensch konnte einfach nicht traurig sein. Immer versuchte sie alle mit ihrem Lächeln aufzumuntern. Eine faszinierende Person. "Zero Osa.", stellte Takuro den Beamten vor, ohne den Betreffenden auch nur anzusehen. "Hallo, Takuro.", gab Sayoko eher zurückhaltend von sich zu hören und gab dem Inspektor einen Kuss auf die Wange. "Hier, dein Bento." Sie legte die besagte Ladung auf den Arbeitstisch ihres Mannes. "Also dieses Mal hast du es echt übertrieben, Sayoko.", meinte der Untersuchungsführer, während er sein Mittagessen ansah. Es war so viel zubereitet worden, dass von dem Lunchpaket gleich zwei Personen hätten satt werden können… "Hey, Zero. Hast du Lust, mit mir zu essen? Die Ladies hier haben sich zu viel Mühe gegeben und gleich für zwei gekocht." "Nur wenn es Ihnen keine Umstände macht, Inuyo-san.", erwiderte der Angesprochene etwas schüchtern. "Auf keinen Fall.", konnte man unverzüglich Yumi's Stimme hören. "Es wäre viel zu schade, das Essen wegzuwerfen. Essen Sie nur ruhig, Osa-kun." Die junge Frau lächelte wieder ihr strahlendes Lächeln, so dass der Ermittler gar nicht drum herum kam, dieses Strahlen nicht zu erwidern. "Zero reicht mir vollkommen. Solch ein grosses Tier bin ich auch nicht." Doch dann wandte er sich zu der dritten weiblichen Person. "Suzuno-sama, wollten Sie etwas mit uns bereden, dass Sie hier sind?" Die Fotografin schüttelte den Kopf. "Nein, ich habe nur einen Spaziergang gemacht, als ich Yumi und ihre Schwester getroffen habe. Sie müssen wissen, ich und Yumi haben früher mal denselben Ekibana-Club besucht. Und da ich mich im Moment eh nirgendwo beeilen muss, habe ich eingewilligt, mit den beiden hierher zu kommen. Wer weiss, vielleicht hätten Sie noch Fragen an mich." °Solche Zeugen sollte man immer haben.°, dachte Takuro unwillkürlich. "Vielen Dank, Suzuno-sama, aber momentan haben wir keine Fragen an Sie. Dennoch ist es sehr freundlich von Ihnen, uns so behilflich zu sein." Während dem Mittagessen wurde viel geredet und auch nicht gerade wenig gelacht. Als die beiden Männer mit dem Mahl fertig waren, nahmen Yumi und Sayoko das Geschirr mit. "So, jetzt können wir es ruhigen Herzens nach Hause gehen.", sagte die jüngere der beiden Schwestern. "Nun können wir uns sicher sein, dass ihr weder verhungert noch zweifelhaftes Zeug in euch reinstopft." Zero konnte man gut ansehen, dass er sich zurückhielt, nicht zu lachen. Zwar täuschte dieser dann einen Hustenanfall vor, doch Takuro war sofort klar, um was für ein Husten es sich dabei handelte. "Wir sollten jetzt gehen.", meinte Frau Suzuno. "Schliesslich wollen wir euch nicht ablenken." Fünf Minuten später waren die Frauen schon weg und die Polizisten machten sich an die Arbeit. "Also, gehen wir noch mal alles durch.", meinte der Inspektor wieder mit seinem ernsten Ton. "Alle neun Opfer waren mit einer automatischen M9 Beretta Pistole, 9mm erschossen. Wie uns die Bilder und auch der Autopsiebericht sagen, hat der Täter eher von der Seite geschossen, so dass sowohl der Embryo als auch die Leber der Mutter getroffen wurden. Unter diesen Umständen blieben die Frauen noch ungefähr zwanzig Minuten lang am Leben. Theoretisch hätten sie um Hilfe schreien können, doch auch das hat unter Mörder durchdacht, in dem er seinen Opfern den Mund zustopfte und die Arme hinter ihrem Rücken zusammenknebelte. Die Frauen müssten den Täter gekannt haben, denn es ist beinahe unmöglich, so präzise aus grosser Distanz zu schiessen. Nein, die Person musste an ihr Opfer nah genug rankommen." Gedankenversunken sah er sich die Fotos der Tatorte an. Etwas hatte er da übersehen, darauf konnte er wetten, nur was… Der Blick Takuros wich von den Bildern zur Seite, wo sich eine Ausgabe der Tageszeitung befand. Auf dem Titelblatt leuchtete in allen möglichen Farben das Bild eines der Tatorte, allerdings ohne Leiche. "Diese Suzuno ist wirklich immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort.", sagte er so dahin, den Blick immer noch auf die Zeitung gerichtet. Da geschah etwas, womit er nie im Leben gerechnet hätte. Zero, der sich gerade die Aufnahmen eines Opfers ansah, hielt inne und hob in Zeitlupe seinen Kopf, die Augen weit geöffnet. "Was haben Sie gesagt?", flüsterte er. "Diese Suzuno ist wirklich immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort.", wiederholte der Inspektor brav. "Und jetzt bitte noch das, was Sie vor diesem Satz gesagt haben.", forderte der junge Ermittler. "Der Täter schoss aus kurzer…", fing Takuro an, wurde aber unterbrochen: "Noch früher." Von der Frechheit sprachlos folgte der ältere der beiden Männer der Aufforderung. "Die Frauen müssten den Täter gekannt haben." Inspektor Inuyo wartete, dass Zero ihm endlich erklären würde, was die Fragerei sollte, doch dieser schien eine Weile lang zu überlegen, dann, als hätte er nun alle Gedanken beisammen, griff der junge Mann zum Telefon und wählte eine Nummer. Der Untersuchungsführer glaubte zum ersten Mal in seinem Leben einen so frechen Ermittler gesehen zu haben. "Ist das die Kaderabteilung?... Ich will alles wissen, was Sie auf diese Person haben: Fumio Suzuno. … Jetzt. … Ich weiss, wie kurzfristig es ist, aber es geht hier um Leben und Tod!", schrie der Beamte plötzlich auf, so dass Takuro fast auf seinem Stuhl aufgesprungen war. "Wenn Sie nicht sofort Ihren Arsch bewegen, werden Menschen sterben und das ist KEIN WITZ!!!" Einige Zeit lang war es totenstill im Büro des Untersuchungsführers. Zero lauschte gespannt dem, was man ihm auf der anderen Seite der Leitung erzählte, während der Inspektor verwirrt auf seinem Stuhl sass. Was war denn nur passiert, dass der so aufgeregt war? Egal, wie der Ältere es drehte und wendete, er wurde aus dem Jüngeren einfach nicht schlau. Nach scheinbar einer halben Ewigkeit gab Osa einen Laut von sich. "Ich verstehe. … Danke. Ah, und nichts für ungut, Jungs, ja?!" Die Antwort wurde gar nicht erst abgewartet, denn kurz nach dem letzten Satz wurde der Hörer abgelegt. Stattdessen packte der Ermittler seine Jacke und sprang wie von einer Tarantel gestochen auf. "Kommen Sie, Inuyo-san, wir müssen uns beeilen.", rief er erregt aus. Man hatte Wohl Takuros Gesicht vor den Augen gehabt, als man das Wort "Verblüffung" erfand. "Wieso?", fragte der Inspektor dumm, die Augen ganz rund. "Stellen Sie keine Fragen und kommen Sie mit! Ich werde Ihnen alles unterwegs erklären…" Dies erwies sich als überflüssig, denn die Tür ging auf und Yumi torkelte rein, sich am Türrahmen haltend. Auf ihrem Kopf war Blut zu sehen, die Wunde wurde von ihrer Hand gehalten. "Takuro.", sagte sie mit höherer Stimme als sonst. "Sayoko…" In diesem Moment war Zero zu ihr gekommen und hatte die junge Frau schon aufgefangen. Gerade noch rechtzeitig, denn sonst wäre sie auf dem Boden gelandet. "Was ist mit Sayoko?" Auch der Untersuchungsführer war gekommen. "Fumio… Sie hat sie ins Auto gezerrt…", brachte Yumi keuchend heraus. "Dann muss sie Yumi auf den Kopf geschlagen haben, damit diese ihr nicht folgte.", schlussfolgerte Zero, wobei die Worte eher dem Inspektor gegolten hatten. Der Untersuchungsführer sagte nichts. Er eilte lediglich zum Telefon und rief einen Mitarbeiter zu sich. Er habe eine verletzte Zeugin bei sich, müsse aber dringend weg. "Wir müssen gehen, Yumi.", meinte er dann zu der jungen Frau. "Takagi kümmert sich um dich." Und schon waren die zwei weg. "Du hast gewusst, dass es Suzuno ist, oder?" Der Ältere drückte aufs Gaspedal, während über ihren Köpfen die Sirene aus ganzen Leibeskräften einer Maschine schrie. "Nein, Inuyo-san. Es ist mir erst in Ihrem Büro klar geworden. Der plötzliche Karriereschwung gleich nach der ersten Leiche. Ihre zufällige Anwesenheit an Tatorten kurz nach dem Eintreffen der Polizei. Und dann noch eine nette Tatsache, die ich dank der Kaderabteilung herausfinden konnte." Der Ermittler wandte sich dem Inspektor zu. "Suzuno kann nicht schwanger werden." Takuro hob eine Augenbraue. "Wie denn das?" "In ihrer Jugend war sie eher pummelig und hatte deshalb, ihrer Meinung nach, kein Glück bei den Männern. Dann fing sie an, stark abzunehmen. Nachdem sie ihre Kleider nur noch in der Kinderabteilung suchen musste, brachten sie ihre Eltern zum Arzt, der auch die Diagnose feststellte - Anorexie. Sie hatte Glück im Unglück, währe sie eine Woche später hospitalisiert worden, hätte man nichts mehr für sie machen können. Allerdings hatte die Erkrankung ihre Folgen. Die junge Frau konnte keine Kinder mehr kriegen." "Verstehe.", meinte der Untersuchungsführer. "Aus Mitleid zu sich selbst hatte der Gedanke der eigenen Kinderlosigkeit den gesamten Raum in ihrem Bewusstsein erobert. Und der Neid zu anderen Frauen liess eine hässliche Mischung an Gefühlen entstehen." "Daraus entstand die Idee, wenn ihr schon das Kinderglück untersagt wurde, warum sollten dann die anderen glücklich sein– Da sind sie!", rief er plötzlich aus und zeigte mit dem Finger auf einen grünen Subaru, der gerade abbog. Auf dem Fahrersitz war Fumio zu sehen. "Kontaktiere die Zentrale. Wir brauchen so viel Verstärkung, wie sie uns nur zur Verfügung stellen können!", kommandierte Takuro und riss am Lenkrad, um die Verfolgung aufzunehmen. Dass Zero sich dabei oben festhalten musste, bemerkte er gar nicht erst. "Zentrale? Hier ist Wagen 1.2.0.9. Wir verfolgen gerade einen Personenwagen, in dem sich eine Geisel befindet. Ich wiederhole, wir verfolgen einen Personenwagen, in dem sich eine Geisel befindet." "Was sind die Merkmale des Personenwagens?" "Ein grüner Subaru, Jahrgang achtundneunzig." "Wo seid ihr jetzt?" "Kreuzung Shinjuku-Strasse und Komaeba-Strasse. Die verdächtige Person hat in Richtung Shijukusanchôme abgebogen. Bei der Geisel handelt es sich um eine schwangere Frau. Die verdächtige Person könnte bewaffnet werden. Ich wiederhole, die verdächtige Person könnte bewaffnet werden." "Roger. Wir schicken euch alle Patrouillen, die sich gerade in der Region befinden." Kaum war der Satz fertig, schon war die Ansage zu hören. "An alle Patrouillen! In Richtung Shijukusanchôme bewegt sich ein grüner Subaru, achtundneunziger Jahrgang. Der Fahrer hat eine schwangere Frau als Geisel bei sich und könnte bewaffnet sein. Ich wiederhole, der Fahrer hat eine schwangere Frau als Geisel bei sich und könnte bewaffnet sein. Der Personenwagen muss gestoppt werden, ohne dass die Geisel gefährdet wird." "Hier Wagen 1.3.5.7. Habe den Wagen gesichtet. Nehme die Verfolgung auf. Roger.", kam unverzüglich eine Antwort und schon gesellte sich zu den waghalsigen Polizisten eine Patrouille. Es vergingen nicht einmal zehn Minuten, schon entwickelte sich eine Verfolgungsjagd, die man nur von den amerikanischen Filmen aus kannte. Erst in der Nähe der Docks konnte man es schaffen, dem flüchtenden Wagen den Weg abzuschneiden, die Fahrerin in die Enge treiben. Innerhalb von wenigen Sekunden waren alle Polizisten draussen, bereit ernsthaft einzugreifen. "Fumio Suzuno, Sie sind umstellt.", rief Takuro durch ein Megaphon. "Geben Sie auf und lassen Sie die Geisel frei." Vielleicht war sie vernünftig genug, aufzugeben und somit die ganze Situation von sich aus zu entschärfen… "Sie haben aber lange gebraucht, um es zu schnallen, Inuyo-san.", kam es wider Hoffnungen vom Wagen aus. Die Tür ging auf und Fumio stieg aus dem Fahrzeug aus, hinter der offenen Tür war Jammern zu hören. "Wo ist die Geisel?!", schrie der Untersuchungsführer, wobei er darauf verzichtet hatte, das Megaphon zum Mund zu führen. "Oh, die sitzt auf dem besten Platz. Nämlich in der ersten Reihe." Mit diesen Worten machte die Frau ein paar Schritte vom Subaru und zerrte die Schwangere an den Haaren aus dem Auto. Sayoko kam hart auf dem Boden auf, wurde aber schnell in die Höhe gezogen. Bei diesem Anblick wollte Takuro schon zu seiner Frau schnellen, als da etwas im Sonnenlicht aufblitzte. Dieses etwas veranlasste den Inspektor dazu, mitten in der Bewegung zu erstarren. "Nicht so schnell.", sagte die Täterin mit einer stahlharten Stimme. Ihr linker Arm hielt die zukünftige Mutter fest, während der rechte sich langsam erhob. Schwarzer Metal blitzte im Schein der untergehenden Sonne auf. "Einen Schritt weiter und ich puste ihr das Hirn raus." Der Polizist schluckte. Dies war keine Drohung – es war eine Feststellung der Tatsachen. Sie würde es wirklich machen, daran bestand kein Zweifel. °Die Frau ist wirklich verrückt.°, schnellte durch seinen Kopf. "Ich werde dir nichts tun, versprochen.", sagte er daher und hob die Hände auf. Dann liess er sie langsam zu seiner Dienstwaffe gleiten. "Lass die Finger von der Waffe.", ertöte es sofort, doch er unterbrach sein Vorhaben nicht. Ebenso langsam öffneten seine Finger den Waffengürtel, dann liess er den Revolver vor seinem Gesicht baumeln. "Ich werde nichts Verdächtiges tun, ich will nur mit dir reden." Der Untersuchungsführer warf seine Dienstwaffe zur Seite. Die Hände behielt er weiterhin oben. "Meinst du, ich werde auf diesen Trick reinfallen?" "Ich werde bis auf Weiteres hier bleiben.", lautete seine entschlossene Antwort. "Meine Hände wirst du immer sehen können. Falls nicht…" "…wird ihr hübscher Kopf eine weitere Öffnung haben.", vervollständigte Fumio den Satz. Takuro nickte, auch wenn in ihm sich alles zusammenzog. Ein falscher Wimpernschlag und Sayoko war tot… Nein! An so etwas dürfte er gar nicht erst denken. Er sah seine Frau an, die anscheinend ruhig dastand. Allerdings wusste er, dass dies nichts als ein verzweifelter Versuch war, sich einigermassen zusammenzureissen und nicht in Panik zu verfallen. "Warum machen Sie das, Suzuno-san?", redete er vorsichtig. "Glauben Sie mir, ich möchte Sie nur verstehen." "Was versteht schon ein Mann von einer Frau!", fauchte die Gefragte aggressiv zurück. "Nicht wirklich viel.", gab der Inspektor ehrlich zu. "Nichts." Dieses Wort schnitt in seinen Ohren wie eine Nähnadel. "Gar nichts versteht ihr von Frauen." "Dann erklären Sie es mir.", bat er sanft. "Wenn ein Mann schwangere Frauen tötet, kann man viele Hypothesen erstellen. In Ihrem Fall hingegen bin ich ratlos. Sie sind doch auch eine Frau. Irgendwann werden Sie bestimmt ein Kind gebären…" Da wurde er von einem hysterischen Schrei unterbrochen. "NEIN, WERDE ICH NICHT!!!" Tränen liefen unaufhaltsam die Wangen der Frau mit der Pistole runter. "UND DAS IST ALLES NUR EURE SCHULD!!!" Sie schluchzte. "Man gibt sich die Mühe, für den Liebsten die Schönste zu sein, erfüllt jede seiner Forderungen UND FÜR WAS???!!! DAMIT MAN SCHLUSSENDLICH WIE EIN STÜCK DRECK BEHANDELT WIRD?!!! DAMIT MAN VERLASSEN WIRD?!!!" Fumio schien vollkommen ihrer Hysterie verfallen zu sein. Sie schluchzte heftig, ihr Gesicht war vom Weinen mit roten Flecken übersäht. "Ich habe ihn geliebt… ich habe ihn wirklich geliebt…", gab sie überraschend kleinlaut von sich zu hören. "Ich habe alles getan, damit er bei mir blieb. Als ich schwanger wurde, hatte ich Angst davor, zuzunehmen, denn sonst hätte er mich verlassen. Ich wurde krank und verlor das Kind wegen der Unterernährung. Und als ich dann im Pflegeheim gelandet bin, ist er mit einer anderen aufgekreuzt." Der Gesichtsausdruck der Fotografin verdunkelte sich. "Er hat mir eine SMS geschrieben. Eine SMS!!! Das war das Letzte, was ich von ihm gehört hatte… bis ich ihn im Park gesehen habe. Mit dieser Schnepfe." Ihre Stimme triefte nur so vor Hass. "Mit ihrem überdimensionalen Bauch." Eine Weile lang war es still, doch dann hob Fumio ihren Kopf und sah Takuro aus wahnsinnigen Augen an. Bei dem Blick lief es dem Untersuchungsführer kalt den Rücken runter. Diese Frau war wirklich verrückt. "Dann habe ich die Tussi spät am Abend spazieren gesehen. Das war die Chance. Wie sie geweint, um ihr Baby geheult hat… Diesen Anblick werde ich nie vergessen." Sie leckte sich über die Lippen. "Ihretwegen kann ich nun keine Kinder mehr gebären. Warum sollte dann sie dieses Glück besitzen? Was hatte sie so Grossartiges gemacht, um ein Baby bekommen zu können, zu dürfen? Es ist doch nur gerecht, dass sie die Freude des Kinderhabens genauso wie ich nicht erleben darf, meinst du nicht, Inuyo-kun?" Die letzte Frage sagte sie ganz langsam und bei seinem Namen betonte sie sogar jede einzelne Silbe. Noch nie hatte der Inspektor es mit solch einer geisteskranken Person zu tun gehabt. Am liebsten hätte er eine Flasche Mineralwasser aus seinem Wagen geholt, doch dies konnte er sich abschminken, war die Situation doch viel zu angespannt. Doch schon einen Augenblick darauf hatte sich das Szenario schlagartig geändert… Ein Arm tauchte wie aus dem Nichts auf und wickelte sich um den von Fumio, schlug ihr so die Pistole aus der Hand aus. Im nächsten Moment wurde derselbe Arm hinter dem Rücken der Mörderin verdreht, sodass diese vor Schmerz aufschrie. Die Geisel war frei. "Zero…", flüsterte Takuro den Namen des Beamten. Dann verstand er es. Während er sich mit der Wahnsinnigen unterhalten hatte, wurde die Situation vom jungen Polizisten ausnutzte, indem der sich vorsichtig hinter den grünen Subaru geschlichen hatte und den richtigen Moment abgewartet hatte. Die Chance bat sich recht schnell an, denn die Fotografin war dermassen in ihrer Hysterie gefangen gewesen, dass sie nichts mehr um sich herum bemerkt hatte. "Takuro." Mit einem erleichterten Ruf fiel Sayoko ihm in die Arme, während die anderen Polizisten sich auf die Verhaftete stürzten. "Geht es dir gut?", erkundigte er sich, während er seine Frau so fest es mit ihrem Bauch ging umarmte. "Ja, mir ist nichts passiert." Der Inspektor spürte ihr Gesicht in seiner Halsbeuge und verspürte ein noch nie gekanntes Gefühl der Erleichterung. Als hätte jemand eine ganze Ladung Steine von ihm runtergenommen. "Komm, ich bringe dich zum Krankenwagen. Die Ärzte müssen dich noch untersuchen.", meinte er dann, worauf die Schwangere nickte. So ging das Ehepaar zu einem der in der Nähe stehenden Krankenwagen. Dann geschah alles sehr schnell. Fumio stiess einen wilden, hysterischen Schrei aus, wand sich aus den Umklammerungen der Beamten und lief auf Zero zu. Sie stoss ihn und zog währenddessen seine Dienstwaffe aus dem Gürtel raus. Im nächsten Augenblick war der Revolver auf Sayoko gerichtet. "STIRB, DU LUDER!!!!", kreischte sie mit schriller Stimme und drückte ab. Die Kugel durchstoss den Bauch der Frau und blieb anschliessend in der Seite im Fleisch stecken. Die Schwangere brach zusammen, während die Polizisten die Mörderin knebelten und ihr die Handschellen anlegten. Takuro hielt Sayoko in den Armen und versuchte mit zitternden Fingern die Blutung zu stoppen. Dann waren auch schon die Ärzte da… "Wie geht es ihr?" Total aufgelöst stürmte Yumi auf Takuro zu und packte diesen an dessen Hemd. Ihre Augen waren voller Sorge, die junge Frau selbst war den Tränen nahe. "Ich weiss noch nichts. Die Ärzte kümmern sich momentan um sie.", antwortete er ernst und besorgt zugleich. Sein Blick fiel auf Zero, der auf dem Sitz aussah wie ein Häufchen Elend. °Er macht sich Vorwürfe.°, schlussfolgerte der Inspektor. °Wahrscheinlich denkt er, all dies wäre nicht passiert, hätte er Fumio nur fester gehalten.° Er ging zum jungen Mann und setzte sich neben diesen. "Quäl dich nicht. Es hätte jeden treffen können." Unsicher hob der junge Beamte den Kopf. "Wie können Sie nur so ruhig bleiben? Das Leben Ihrer Frau ist in Gefahr und Sie sagen noch, ich solle mich nicht quälen?" Der Ältere legte eine Hand auf die Schulter des Jüngeren – eine fast väterliche Geste. "Es ist nicht deine Schuld.", wiederholte er sich. Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, kam schon der Arzt aus. Sofort sahen alle Anwesenden zu ihm, warteten gespannt darauf, was er zusagen hatte. "Wir können ihr nicht helfen." Der Neuankömmling schüttelte den Kopf. "Nani?", hauchte Takuro fassungslos. "Und das Kind?", wollte Zero genauso geschockt wie die anderen. Der Arzt presste die Lippen zusammen. "Sie hatte eine Fehlgeburt." Er machte eine Pause und wandte sich dann dem Ranghöherem zu. "Sie können sich von ihr verabschieden." Nach diesen Worten trat er zur Seite und liess somit den Weg frei. Der Inspektor schluckte trocken und sah seitlich, wo sich Yumi befand. Grosse Augen, gefüllt mit Tränen, sahen ihn verzweifelt an. "Geh du zuerst.", meinte er dann. "Und du?" "Ich werde nach dir gehen." "Meinst du… meinst du, dass wir genug Zeit haben?" Ihre zweifelhafte, aufgelöste Stimme war voller Trauer. Er nickte, dann ging sie rein. Einige Zeit später kam die junge Frau wieder raus, total aufgelöst, unfähig, die Tränen zurückzuhalten. "Du sollst mit Zero zu ihr kommen.", hatte Yumi es geschafft ruhig zu sagen, ehe sie sich and die Wand anlehnte und langsam runterrutschte. Takuro war nicht fähig, irgendwas zu erwidern, daher betrat er schweigend das Zimmer, gefolgt vom jungen Beamten. Sayoko lag bleich und krankhaft dünn in ihrem Bett. Von ihren Armen zogen verschiedene Schläuche und Kabel zu allerlei möglichen Geräten, die ihr leider nicht mehr helfen konnten. Die dunkel umrandeten Augen sahen müde und doch mit Freude zu ihrem Mann. "Takuro…" Der Gerufene wollte etwas zu ihr sagen, doch seine Kehle war zu trocken, um auch nur den kleinsten Laut hervorzubringen. Er ging einfach zu ihrem Bett und setzte sich zu ihr, nahm ihre Hand. "Unser Kind ist tot.", sagte die Frau schwach und mit weinerlicher Stimme. "Es tut mir so leid." Er drückte ihre Hand etwas fester. "Nein, mir tut es leid. Ich hätte besser auf dich aufpassen sollen." "Falsch.", ertönte es im Hintergrund und das Ehepaar sah zum vergessenen Polizisten. "Ich hätte besser darauf aufpassen sollen, dass Fumio nicht ausbricht." "Quäl dich nicht, Zero. Es ist niemand schuld.", lächelte Sayoko den jungen Ermittler an. Dann sah sie wieder zu Takuro. "Die Schuld trifft niemanden, nicht wahr?" "Ja." Die Worte klangen erstickt. "Niemand ist schuld daran. Es ist nur… dumm gelaufen." °Dümmer konnte es gar nicht gehen.°, fügte er noch in Gedanken hinzu, insgeheim überrascht darüber, dass er immer noch so rational denken konnte. Doch sein Gesicht, rationales Denken hin oder her, zeigte nur Schmerz und Trauer. Trotz seiner Worte gab er sich die Schuld an der Situation. Wäre er doch früher auf die Idee gekommen, wer der Serienmörder war… Zero war ein guter Junge, er war froh darum, dass dieser knapp einen Jahr nach seinem Abschluss ein so geschickter Polizist war. Dennoch war es unverzeihlich, dass der Akademieabgänger früher auf den Mörder gekommen war als der Untersuchungsführer selbst. Wegen seiner, Takuros, Dummheit und Blindheit starb nun der wichtigste Mensch in seinem Leben… "Takuro…" Ihre Stimme war so schwach, dass ihm beinahe die Tränen hervorgekommen waren. "Ich hätte noch eine… nein, zwei Bitten an dich." "Alles, was du willst.", erwiderte der Genannte ohne zu überlegen. "Lass es nicht zu, dass dein Leben von diesem Fall beeinflusst wird. Werde glücklich." Die Sterbende lächelte leicht. "Ich werde dich von oben ganz genau beobachten, also denk erst gar nicht daran, mich zu belügen." Sayoko machte eine Pause. Man sah ihr richtig an, wie schwer es ihr fiel, zu sprechen. Der Inspektor wollte sie schon davon abhalten, weiter zu reden, stoppte aber sich selbst. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, sie zu retten. So war es nur noch fair, erhielte sie eine Chance, das letzte Wort zu sagen. "Und nun die zweite Bitte.", fing Frau Inuyo wieder an, schwach atmend. Ihre dunkel umrandeten Augen sahen ihn liebevoll, aber auch traurig an. "Ich möchte dein Lächeln sehen. Ein letztes Mal. Bitte." Das letzte Wort hauchte sie nur, dennoch hatte er es gehört. Takuro schluckte, um den Kloss in seinem Hals loszuwerden, was ihm aber nicht so gut gelang. Dennoch schenkte er ihr sein schönstes Lächeln, das Lächeln, welches er immer hatte, wenn sie sich an ihn gelehnt hatte. Oder, den Kopf auf seine Schulter gelegt, eingeschlafen hatte. Ein zartes, liebevolles Lächeln, welches von der liegenden Frau schwach erwidert wurde. "Arigato.", hauchte sie und schloss die Augen. Er schrie nicht und warf sich auch nicht auf seine Gemahlin. Er schloss lediglich die Augen, nur um diese ein paar Momente später wieder zu öffnen. Seine Hand drückte die ihre, das warme, sanfte Lächeln verzerrte sich immer mehr. Die Lippen zitterten. Schlussendlich durchnässten die Tränen seine Wangen. °Sayoko.°, rief er ihren Namen in Gedanken und küsste ihre Hand. Dann konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Zitternd rutschte er das Bett runter, bis er vor ihrer Liege kniete. Erste Schluchzer waren zu hören, doch diese konnten nicht mal einen Zehntel seiner Trauer und seiner Schmerzen zum Ausdruck bringen. Es war ihm egal, dass Zero beinahe direkt hinter ihm stand. Seine Frau war tot. Sieben Jahre später… Zero lehnte sich an die Wand des Kühlschranks und sah aus dem Fenster. Vor kurzem hatte Revi ihn angerufen und gesagt, dass Kyo nun seine Unterlagen erhalten hatte. Und auch Zack und Minako. Bis jetzt lief alles nach seinem Plan. Nach reichlichen Überlegungen musste er zum Entschluss kommen, dass zwischen es seinen Mitarbeitern eine Ratte gibt, einen Zwei-Richtungs-Läufer. Früher oder später würden sich die zerstreuten Informationen, die er den dreien verteilt hatte, bei Takuro Inuyo sammeln. Derjenige, der nichts sagen, die Beweise und gesammelten Informationen unterschlagen würde, war der Verräter. Er seufzte und nahm einen Schluck Kaffee, der ihm eigentlich untersagt war. Hoffentlich würden die anderen den Möchtegernpolizisten schnell ausfindig machen… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)