Shadows of the NewMoon von Darklover ================================================================================ Kapitel 49: 50. Kapitel ----------------------- Lautes Klopfen an der Tür weckte Amanda und ließ sie sofort in die Höhe fahren. Sie war erschrocken und verspannte sich nur noch mehr, als sie auf die Uhr sah, die seit ihrem Einschlafen nur drei Stunden vorgeschritten war. Es war mitten in der Nacht. Wenn jetzt jemand etwas von ihr wollte, dann musste es verdammt wichtig sein. "Moment." So flink sie konnte, stieg Amanda über Nataniel hinweg aus dem Bett, zog sich sein Shirt und einen Slip über und öffnete die Tür einen Spalt, um hinaus zu linsen. "Tut mir leid, euch zu wecken, aber es gibt Probleme." Man sah auch Eric an, dass er wenig Schlaf bekommen hatte. Wahrscheinlich kaum eine Stunde, seit er seinen Wachdienst beendet hatte. Die blonden Haare standen in allen Himmelsrichtungen von seinem Kopf ab und seine Augen mussten brennen, so rot wie sie waren. "Was ist denn…?" "Eine Wagenkolonne. Direkt auf dem Weg hierher zum Containerhafen. Moonleague – Kennzeichen." Mehr brauchte er nicht zu sagen. Ohne ein weiteres Wort drehte Amanda sich um und suchte wirbelnd ihre Klamotten vom Vortag zusammen. Kaum, dass sie in ihre Schuhe geschlüpft war, rannte sie mit Nataniel zusammen hinter Eric her. Zuerst zu Clea, die über verschiedene Satelliten die Umgebung im Blick hatte. Vielleicht war es einfach nur falscher Alarm. Amanda hoffte es so sehr! Er schien erst seit wenigen Minuten zu schlafen, ehe es in seinem Kopf zu hämmern anfing. Es war dann aber doch Amanda, die über ihn hinweg kletterte und ihm somit deutlich machte, dass das Hämmern nicht in seinem Kopf sondern eigentlich ein Klopfen an der Tür war. Aber in dieser Umgebung hallte alles so seltsam nach, dass es seine Sinne leicht verwirrte. Erst recht, wenn er so schnell aus dem Schlaf gerissen wurde. Nataniel brauchte nur das Wort ‚Moonleague‘ zu hören und er war aus dem Bett, um sich seine Jeans anzuziehen. Als Amanda die Tür wieder geschlossen hatte, tauschte sie sein Shirt mit dem Oberteil, dass er ihr hin hielt, damit sie sich fertig anziehen konnten. Ein letzter Sprung in die Schuhe, noch einmal durch die Haare gestrichen und das Adrenalin übernahm erbarmungslos den Rest. Sein ganzer Körper war so angespannt, dass er schon befürchtete, sich gleich wieder zu verwandeln. Aber seine Konzentration reichte aus, sich zu beherrschen und stattdessen lautlos hinter dem Geschwisterpaar herzulaufen. Sein Gehör war geschärft, seine Nase sog alles in sich auf, was er kriegen konnte und der Rest seiner Sinne arbeitete auf Hochtouren. Bei Clea angekommen, war er so aufgepuscht, dass er sich sofort in einen Kampf hätte stürzen können. Aber gerade jetzt wurde ihm wieder einmal bewusst, wie wenig er hierher gehörte. Amanda kannte sich aus. Sie wusste was zu tun war. Genauso wie Clea und Eric. Er war bei alle dem ziemlich überfragt. Denn mit so was hatte er nicht gerechnet und Nataniel hatte auch keine Ahnung, was es genau bedeutete, dass eine Wagenkolonne von der Moonleague auf sie zukam. Vor allem in welchem Umfang. Kolonne war nicht gleich Kolonne. War es reiner Zufall, oder wussten sie genau, dass der Untergrund sich hier versteckte? In Cleas Reich herrschte das immer währende flackernde Licht der Bildschirme, während die Meisterin mit einem pinken, flauschigen Pyjama vor der Tastatur saß und wie wild darauf einhämmerte. "Clea, wie sieht's…" "Ich weiß nicht, der Empfang ist schlecht. Scheiße!" Eric klappte sofort den Mund zu, als Cleas Gefühlsausbruch ihn traf. Er warf einen ernsten Blick zu Amanda hinüber, die sich über die Schulter der Freundin beugte und versuchte in dem wirren Pixeldurcheinander auf dem Monitor etwas zu erkennen. Keine Chance. Es waren zwar Bewegungen auszumachen und mit Phantasie konnte man den Streifen, der das Bild durchzog als die Zufahrtsbrücke zum Hafen erkennen, aber das brachte einfach nichts. Es brauchte nur ein winziges Nicken von Amanda, damit Eric sich straffte, einen Schlüsselbund klimpernd aus der Hosentasche zog und im nächsten Moment aus der Tür verschwunden war. "Amanda, es tut mir leid, die Verbindung zum Satelliten ist bescheiden. Wenn Francy die Autos nicht spanisch vorgekommen wären, wüssten wir gar nicht, dass sie auf dem Weg hierher sind." Voller Scham sah Clea zu Amanda auf, die ihre Augen endlich von dem Ameisenkrieg auf dem Bildschirm löste. "Es ist nicht deine Schuld. Außerdem wissen wir noch nicht sicher, dass sie es sind. Und dass sie zu uns wollen." "Aber was sollen sie sonst…" Clea schien in Panik ausbrechen zu wollen, was Amanda nur noch mehr dazu brachte, ihre alte Rolle als Sammlerin anzunehmen. Sie war die Vorgesetzte vieler gewesen und hatte unzählige Einsätze geleitet. Wenn Amanda für etwas Talent hatte, dann für Ruhe in so einer Situation zu sorgen. "Versuch einfach weiter ein klares Bild zu bekommen. Wir werden rausgehen und uns die Sache ansehen. Sollte die Zentrale in Gefahr sein, sorg bitte dafür, dass alle geweckt werden und gegebenenfalls von hier verschwinden." Es war wichtig, Aufgaben zu verteilen. Gerade Clea musste beschäftigt sein, um in dieser ungewohnten Situation nicht durchzudrehen. Sie war noch nie bei einem Außeneinsatz dabei gewesen und im Bauch der Moonleague Zentrale war so etwas wie ein Angriff auf die Organisation nie zu ihr durchgedrungen. Es war nur allzu verständlich, dass sie nicht wusste, wo ihr der Kopf stand. Trotzdem nahm sie Amandas Befehle entgegen und tippte mit ernsten und bis zum Zerreißen konzentrierten Gesichtszügen weiter auf die PC-Tastatur ein. "Wir melden uns, sobald wir was sehen." Damit drehte Amanda sich um und verließ den Raum, gefolgt von Nataniel, der sich bis jetzt noch gar nicht geäußert hatte. Auch er war so was nicht gewohnt und Amanda war nicht klar, wie viel Rücksicht sie darauf nehmen sollte. Eric kam um eine Ecke geschossen, einen großen Metallkoffer in der Hand und eine umgedrehte Baseballkappe auf dem Kopf. Noch im Gehen reichte er Amanda ein Waffenholster, das vom Gewicht zweier Pistolen nach unten gezogen wurde. Mit automatisierten Bewegungen streifte Amanda die Gurte über und folgte Eric ein paar Gänge entlang. Schließlich erreichten sie die Motorräder und Amanda warf Nataniel einen der Helme zu. Da er mit ihnen gekommen war, nahm Amanda einfach an, dass er sie auch jetzt nicht allein gehen lassen wollte. An Eric gewandt, sagte sie: "Wir fahren nah an die Brücke ran. Wo willst du dich platzieren?" Überlegend runzelte Eric die Stirn. "Ich denke der Kran ist am besten. Von da oben hab ich freie Schussbahn für den Großteil des Containerplatzes." "Ok." Eric öffnete noch das Tor, damit Amanda mit Nataniel auf dem Sozius eines der Motorräder aus dem Container fahren konnte und war dann in Richtung des großen Containerkrans unterwegs. Sie würden etwa zur gleichen Zeit an der Brücke ankommen, zu der er in Position war und sein Präzisionsgewehr zusammengesetzt hatte. Verdammt gut, Rückendeckung von einem Scharfschützen zu haben. Es war die Untertreibung des Jahrhunderts, dass Nataniel sich nur schwer, auf die neue Situation einstellen konnte. Zuerst war da Clea mit der ganzen Technik, die er noch halbwegs nachvollziehen konnte. Offenbar gab es ein Problem auf einer Brücke und dank Francy waren sie gewarnt worden. Aber die garantierte Bestätigung würden wohl erst sie vor Ort einholen müssen, ob es sich hierbei wirklich um die Moonleague handelte. Ihm kam es zwar seltsam vor, dass die Organisation so auffällig vorgehen sollte, gab es doch auch noch so viele andere Möglichkeiten anzugreifen. Doch vielleicht stand hinter der ganzen Aktion auch eine bestimmte Absicht und nur er war nicht in der Lage, sie zu verstehen. Wie frustrierend es war, sich lediglich mitziehen zu lassen, ohne wirklich handeln zu können, konnte man sich kaum vorstellen. Trotzdem war das hier so anders, als alles was er bisher erlebt hatte. Kein Wunder, dass Nataniel Mühe hatte, seine Instinkte zu unterdrücken. Alleine wie Amanda sich den Waffengurt umschnallte, machte ihm deutlich, dass er es hier mit Spezialisten zu tun hatte. Keine feindlichen Wandler. Hier konnte man durchaus von einer Kugel getötet werden, als in einem fairen Kampf von Angesicht zu Angesicht. Was also hieß, körperliche Stärke war total für die Katz, es sei denn, man wertete es als positiv, dass er mit seiner Statur lediglich eine größere Zielscheibe abgab. Aber auch wenn Nataniel sich im Augenblick absolut nutzlos vorkam, so könnten seine Sinne vielleicht noch nützlich sein. Weshalb er den Helm auch nur ungern aufsetze, weil sofort alles von seiner Umgebung gedämpft wurde. Die Geräusche, Gerüche, sogar seine Sicht. Das machte ihn nur noch reizbarer. Trotzdem fügte er sich wortlos. Behinderungen waren hier nicht nützlich und er wollte deswegen nicht von Amandas Seite weichen müssen. Also folgte er ohne zu fragen, handelte, ohne zu widersprechen und verließ sich darauf, dass seine Gefährtin ihm sagen würde, wenn er etwas tun oder lassen sollte. Sie musste doch wissen, dass das hier vollkommenes Neuland für ihn war und dennoch würde er sie nicht alleine fahren lassen. Zur Not wäre er immerhin noch als lebender Kugelfang für sie gut. Nataniel war offensichtlich noch nie auf einem Motorrad mitgefahren. Er schien Schwierigkeiten zu haben sich mit Amanda in die doch recht engen Kurven zu legen und wenn er sich so halbherzig an ihr festhielt, würde sie ihn am Ende noch verlieren. Deshalb blieb Amanda auch nach zwei Biegungen stehen, drehte sich leicht um und klappte das Visier ihres Helmes hoch. Sie griff Nataniels Hände und legte sie um ihren Bauch, was ihn automatisch zwang sich weiter vorzulehnen und an sie heran zu rutschen. "Wir fahren nur ein kurzes Stück", sagte sie sanft aber bestimmt über das knatternde Geräusch des Einzylindermotors hinweg. "Folge einfach meinen Bewegungen, ich weiß was ich tue. Und wenn wir ankommen, dann versuch nicht auf einer Linie zwischen dem Kran und den Autos zu stehen." Energisch klappte sie das Visier wieder hinunter, drückte noch einmal Nataniels Hände an ihren Körper, damit er sich auch richtig festhielt und ließ dann den Motor aufheulen. Sein Körper wurde bei ihrem schnellen Start ein wenig nach hinten gerissen, aber er hielt sich nun entsprechend an Amanda fest. Erst jetzt kam ihr in den Sinn, dass seine Arme das kalte Metall der Waffen an ihrer Seite streifen mussten. Ein grimmiger Ausdruck trat auf ihr Gesicht, während sie in den nächsten Gang schaltete und noch mehr Gas gab. "Vertrau' mir." Kurz vor der letzten Containerreihe verlangsamte Amanda die Fahrt und stellte das Licht aus. Die Beleuchtung des Piers würde ausreichen, um genug erkennen zu können und noch dazu wollten sie ja nicht wie mit einem Leuchtpfeil über ihrem Kopf auf sich aufmerksam machen. Die Helme hängten sie griffbereit an den Lenker des Motorrads und Amanda kontrollierte die Waffen im Holster. Dann sah sie Nataniel an, der immer noch schweigend und wie fehl am Platze neben ihr stand. "Ich weiß nicht, was wir wirklich zu erwarten haben… Vielleicht ist es gar nichts." Ihr Blick wanderte über Nataniels Schulter zum Kran in der Nähe ihrer Zentrale. "Zur Sicherheit sitzt Eric da oben und hat uns, wie auch die ankommenden Wagen im Blick. Es ist wichtig, dass wir ihm nicht in die Schussbahn geraten." Jetzt legten sich ihre hellbraunen Augen wieder auf Nataniels Gesicht. "Was meinst du, sollen wir so im Team arbeiten oder wäre dir deine andere Gestalt lieber? Du kannst auch eine meiner Waffen haben." Auch wenn sie es lieber gesehen hätte, dass er sie gar nicht benutzen musste. "Es geht nur darum herauszufinden, was los ist. Aber wenn es die Moonleague ist, dann will ich dir nichts vormachen. Dann haben wir keine Diskussionen zu erwarten." Oh ja, Nataniel wusste, wieso er Motorräder hasste und auch selber keins fahren konnte. Die Dinger waren viel zu schnell und man selbst hatte nur bedingt Kontrolle darüber. Zumindest war es ihm immer so vorgekommen. Mit einem Auto kam er klar. Das bot noch relativ guten Schutz, aber wenn man mit einem Motorrad bei mehr als zweihundert Sachen auf die Schnauze fiel, konnte man sich sein Fell vom Asphalt abkratzen lassen. Wenigstens half ihm Amanda dabei, so gut es ging, mit der verdammt angespannten Situation fertig zu werden. Ihren Körper enger an sich zu spüren, beruhigte ihn wie nichts anderes, auch wenn es nichts daran änderte, wie aufgekratzt er war. Ihm gelang es gerade noch mit Müh und Not seine eigenen Waffen zurück zu halten. Die von Amanda entgingen ihm auf jeden Fall nicht. Als sie endlich anhielten und er mit leicht zittrigen Beinen von der Höllenmaschine stieg, riss er sich förmlich den Helm vom Kopf und holte mehrmals tief Luft. Sofort analysierte sein Gehirn die Gerüche seiner Umgebung, aber es gab nichts Verdächtiges. „Nein, behalte die Waffen.“ Er könnte ohnehin nicht damit umgehen. Außerdem gingen ihm seine nächsten Worte zwar so derart gegen die Natur, dass er sich selbst dafür hasste, aber in dieser Lage war es einfach besser so. „Ich werde mich zurückziehen, Amanda.“ Nataniel sah seiner Gefährtin dabei tief in die Augen. Es tat weh, sie so ungeschützt stehen zu lassen. Aber er würde nicht weit weg sein. „Vielleicht, wenn es hart auf hart kommt, könnten wir sie überraschen, wenn sie zuerst nur mit dir rechnen.“ Außerdem sah er schon von weitem wie ein Gestaltwandler aus. Also wie der potentielle Feind, auch wenn Amanda das inzwischen ebenfalls geworden war. Aber die Typen hatten doch geglaubt, dass er oder das Rudel sie umgebracht hätten. Vielleicht rechneten sie nicht damit, dass sie im Gegenteil sogar sehr eng miteinander zusammen arbeiteten. In Nataniels und Amandas Fall sogar enger, als sie sich vorstellen konnten. „Ich werde in der Nähe bleiben.“ Und sich verwandeln. Denn er wollte alle seine Sinne und Kräfte vereint wissen. Als Mensch waren diese ganzen Dinge nur noch billiger Abklatsch von dem, was er eigentlich drauf hatte. So gut er das manchmal auch verbergen konnte. Da ihnen nicht mehr viel Zeit blieb, weil er schon die Wagen hören konnte. Zog er Amanda kurz und intensiv in die Arme, küsste ihre Lippen und flüsterte ihr ins Ohr, sie solle vorsichtig sein. Danach verschwand er zusammen mit seinem Helm, lautlos in den Schatten zwischen den Containern, um seine Kleider loszuwerden und sich zu verwandeln. Kaum, dass er mit dem Panther verschmolz hörte, roch und sah er um Vieles besser. Auch so eine Art sechster Sinn schaltete sich ein, was seine Reflexe deutlich verbesserte. Lautlos und vollkommen unsichtbar, da seine Fellfarbe mit den Schatten verschmolz, behielt er die Situation im Blick und war zugleich so nahe, dass er mit zwei großen Sätzen sofort an Amandas Seite wäre. Überrascht presste Amanda ihre Lippen aufeinander und versuchte nicht allzu viel ihrer Emotionen nach außen zu lassen. Nataniel wollte sich zurückziehen. Wenn sie mit irgendetwas nicht gerechnet hatte, dann damit. Eher hätte sie angenommen, dass er sie auf dem Motorrad festbinden und sich der kommenden Gefahr allein stellen wollte. Aber so war es besser. Dann musste sie sich immerhin nur um sich selbst Gedanken machen und nicht zusätzlich darauf achten, dass ihrem Partner nichts passierte. So schnell, wie er sie in seine Arme zog und sie küsste, so schnell war er hinter der nächsten Biegung verschwunden und Amanda stand allein im Schlagschatten einer der Container. Ein Atemzug, ein zweiter. Ihr Körper straffte sich, ein Blitzen trat in ihre Augen, als sie die Wagen kommen hörte. Sie wusste, was sie am Wahrscheinlichsten zu erwarten hatte. Das würde ziemlich ungemütlich werden. Der Wind riss an ihren Haaren, als sie aus dem Schutz des Containerstapels direkt in die Fahrbahn der Wagenkolonne trat. Das Scheinwerferlicht blendete und Amanda schirmte die Augen mit dem Unterarm ab. Einzelne Steinchen knirschten unter den Sohlen ihrer Schuhe, als sie sich sprungbereit hinstellte und bereits alle Muskeln in ihren Beinen anspannte. Vielleicht würde es dem Fahrer des ersten Wagens einfallen, dass es am einfachsten war, Amanda einfach umzufahren, anstatt sich auf eine direkte Auseinandersetzung einzulassen. Immerhin wussten viele Sammler aller Klassen in der Moonleague, wer und was sie war. Nur wenige Meter von ihr entfernt rollte der schwarze Wagen aus und blieb schließlich mit immer noch hell leuchtenden Scheinwerfern stehen. Amanda hörte den Motor, das Schlagen der Wellen gegen die Steinmauer unter ihr und ihren eigenen Atem, der konzentriert langsam ging. Der Arm, den sie nun herunternahm, da die Scheinwerfer nicht mehr in ihr Gesicht strahlten, legte sich instinktiv nur leicht an ihre Seite, um schnell an die Waffen im Holster heran zu kommen. Die Männer blieben hinter den geöffneten Türen stehen und hefteten nicht nur ihre Blicke drohend auf die Frau, die dort allein in ihrem Weg stand. Amanda hatte es nicht hören können, aber sie war sicher, dass die beiden Kerle in den dunklen Uniformen ihre Waffen bereits entsichert in den Händen hielten. Ein bedachter Schritt nach rechts, damit Eric freie Schussbahn auf den linken der beiden Sammler hatte. Den rechten würde sie erledigen können und war beim Auto, bevor die anderen beiden ihre Türen aufbekamen. Die Worte des Rädelführers bestätigten Amanda noch ihre minimale Erleichterung. "Hey, Süße! Du solltest hier nicht so allein am Hafen rumlaufen, mitten in der Nacht. Dir könnte was passieren." Sie hatten keine Ahnung, wer sie war. Ein Vorteil, den sie nutzen sollte, so lange sie ihn hatte. "Danke für den Hinweis. Was wollt ihr denn dann so spät in dieser gefährlichen Gegend?" Beinahe hätte Amanda gelächelt und entgeistert den Kopf geschüttelt. Brachte man der Klasse 5 denn gar nichts mehr über Deckung bei? Der Kerl kam hinter der Tür hervor und zielte, wie sein Kollege mit einer Großkaliberwaffe auf Amandas Brust. "Das geht dich gar nichts an. Und wenn du nicht gleich aus dem Weg gehst, werd ich dafür sorgen, dass du nie wieder am falschen Ort rumstehst." Sein Gesichtsausdruck veränderte sich mit einem Mal, als er bis auf zwanzig Meter an Amanda heran war. Sie hörte einen Fluch und sah den Sammler hektisch seinem Kollegen hinter der Wagentür Zeichen geben. "Das ist sie!" Der Knall des Schusses schnitt durch die Stille Nacht, wie es die Kugel tat, die sich aus der Waffe des Sammlers löste. Amanda sah den Kerl hinter der Wagentür noch zusammenbrechen, während sie sich zur Seite rettete und ihre eigene Waffe zog. Auch der Sprecher hatte nicht einmal kapiert, was passierte, als Erics zweiter Schuss ihn von den Füßen holte. Wieder ein perfekter Treffer. Jetzt schwärmten die Sammler aus den Autos, wie aufgebrachte Bienen. Und sie waren ebenso bereit sich auf das nächste Opfer zu stürzen, was ihnen unter die Finger kam. Was in diesem Fall Amanda war. Durch die Schatten ging sie auf einen Angreifer zu und stieß ihn einfach ins Meer. Als sie sich umdrehen wollte, um die Übersicht zu behalten, wurde sie am Arm herum und zu Boden gerissen, kurz bevor ein Kugelhagel an der Stelle, an der sie gerade noch gestanden hatte, die Beifahrertür des ersten Wagens durchlöcherte. Seth zerrte Amanda unter den Wagen. Entgeistert sah sie ihm in die schwarzen Augen, bevor sie ihre Gesichtszüge wieder unter Kontrolle hatte. Seine Anwesenheit veränderte die Situation. Amanda musste sich diesem Kugelhagel nicht aussetzen. "Wie viele brauchst du lebend?" "Nur einen." Im nächsten Augenblick war Seth verschwunden und an dem gurgelnden Geräusch, das ein stürzender Mann neben ihr verursachte, konnte sie ablesen, dass er ihre Antwort nur allzu ernst genommen hatte. Amanda konnte Entsetzen in den Gesichtern der Männer lesen, die sie aus dem Nichts heraus k.o. schlug oder einfach ins Meer beförderte, die weit über normale Furcht hinausging. Die meisten hatten noch nie einen Schattengänger gesehen, geschweige denn gegen gleich zwei von ihnen kämpfen müssen. Aber sie waren dennoch Kämpfer, die auf schlimme Situationen gedrillt worden waren. Als die ersten fünf tot am Boden lagen oder irgendwo im Wasser schwammen, lösten sich die anderen aus ihrer Starre und verfeuerten, was ihre Magazine hergaben. Nur Seths Training war es zu verdanken, dass die ein oder andere Kugel nicht durch Amandas Körper schnitt, sondern nur durch dünne Luft. Dennoch konnte sie den ein oder anderen Treffer einer Faust oder eines Beins nicht verhindern. Immerhin musste sie einen von diesen Kerlen gefangen nehmen. Seth schien nicht darauf aus, am Ende derjenige zu sein, der das Leben eines Sammlers schonte. Alles in Nataniel wehrte sich, im Schatten zu bleiben, während die Männer Amanda so offen mit Waffen bedrohten. Immer wieder zuckte er nach vor, hielt sich aber gerade noch so weit zurück, dass er nicht gesehen wurde. Dann war es nicht mehr länger nötig, Deckung zu bewahren. Die Hölle schien loszubrechen. Zumindest hatte er noch nie eine Schießerei am eigenen Leib erfahren. Denn kaum, dass man das Feuer auf Amanda eröffnete, nachdem Eric bereits mit dem Aufräumen begonnen hatte, sprintete er los. Seine Instinkte trieben ihn regelrecht zu seiner Gefährtin, um sie zu beschützen, doch er vertraute auf ihre Fähigkeiten. Musste einfach darauf vertrauen, um nicht einfach blind zu handeln. Weshalb ihn seine Beine trotz seines kreischenden Instinkts nicht zu Amanda brachten, sondern stattdessen sprang er mit einen Satz ins Wasser. Bei den ganzen Schüssen hörte man den Aufprall seines Körpers auf der Wasseroberfläche nicht. Außerdem war er nicht der Einzige, der hier badete, wie er mit grimmiger Genugtuung feststellte. Augenzeugen konnten sie doch sicherlich auch nicht gebrauchen, oder? Und nach den Todesgeräuschen auf der Brücke und dem Hafen zu urteilen, ging hier niemand zimperlich um. Hätte Nataniel diesen Seth nicht gerochen, er hätte sich noch mehr beeilt, um wieder ins Trockene zu kommen. Doch er wusste, er konnte in einer so offensichtlichen Auseinandersetzung nichts ausrichten. Amanda und dieser Kerl schon. Genauso wie Eric. Weshalb er sich zuerst damit aufhielt, die unfreiwilligen Schwimmer daran zu hindern, jemals wieder seine Gefährtin anzugreifen, oder auch nur irgendetwas von dem hier auszuplaudern. Es war leicht für ihn sie zu töten. Im schwarzen Wasser sahen sie ihn nicht kommen und weil sie damit beschäftigt waren, den Kopf an der Luft zu halten oder auf sicheres Land zu zuschwimmen, waren sie für seine kräftigen Kiefer keine Gegner. Als nur noch leblose Körper herum trieben, kletterte Nataniel einen der Träger der Brücke hoch, sprang von Verstrebung zu Verstrebung, bis er seinen massigen Körper endgültig auf die Straße hinter den Fahrzeugen gezogen hatte. Er holte noch nicht einmal Atem, nach der anstrengenden Kletterei, immerhin waren das keine Bäume, in die er Problemlos seine Krallen schlagen konnte. Stattdessen stürzte er sich aus dem Hinterhalt auf einen Typen, der ihm am Nächsten stand und aus vollen Rohren herum ballerte. Zwar konnte Nataniel nicht sehen, auf was er zielte, aber er musste es sich nicht einmal ausmalen, um es zu wissen. Die Wut alleine war sein Antrieb, die ihn mit einen Satz auf den Mann beförderte und noch ehe dieser ein überraschtes Keuchen von sich geben konnte, biss er ihm so fest in den Nacken, dass die Knochen unter seinen Zähnen splitterten und der Körper leblos zusammen sackte. Das Geräusch ließ seinen Kollegen herum fahren, aber noch ehe er die Waffe in Position bringen konnte, hatte Nataniel schon dessen Handgelenk zwischen seinen Kiefern und biss erbarmungslos zu. Gerne hätte er dem Typen das schmerzerfüllte Schreien aus der Kehle gerissen, aber dazu war er nicht in der Lage gewesen. Selbst als er schon wenige Momente später den Kerl für immer mit einem Prankenhieb mitten ins Gesicht zum Schweigen brachte. Etwas stob neben ihm in den Asphalt, woraufhin eine Sekunde später seine Schulter schmerzhaft brannte, doch er wich der nächsten Kugel aus, die an ihm vorbei zischte, in dem er sich mit einem Satz hinter den letzten Wagen in der Kolonne in Sicherheit brachte. So hatte Nataniel auch die Möglichkeit einen schnellen Blick in die Runde zu werfen, um das Gehörte auch visuell zu überprüfen. Immer wieder sah er schattenhafte Gestalten halb auftauchen, wieder verschwinden, wo anders wieder auftauchen und dabei dezimierten sich immer mehr ihre Feinde. Beinahe hätte ihn ein Querschläger getroffen, wenn er nicht von dem Geräusch aufgeschreckt zur Seite gesprungen wäre. Was ihn wieder ungeschützt den richtig zielenden Kugeln aussetzte. Mit einem Satz sprang er auf das Dach des Wagens, machte eine paar schöne ordentliche Dellen rein, wo seine Pranken aufkamen und stürzte sich auf sein nächstes Ziel. Nataniel schaffte es, ihm die Pistole aus der Hand zu schlagen, musste aber noch ein zweites Mal ansetzen, um den breitschultrigen Kerl zu fassen zu kriegen. Hätte er im Augenwinkel nicht ein verdächtiges Aufblitzen vernommen, hätte sich der gezogene Dolch direkt in seine Seite gebohrt und vermutlich lebenswichtige Organe getroffen. So aber konnte er gerade noch einen Schlenker zur Seite machen, so dass die Klinge lediglich seine Haut auf seiner Seite aufschlitzte. Trotzdem konnte er ein schmerzerfülltes Fauchen nicht verhindern. Der erste Ton, den er seit dem Angriff überhaupt von sich gegeben hatte. Jetzt war er allerdings so richtig sauer. Da ohnehin niemand mehr in seiner Nähe herum ballerte und der Rest mit anderem beschäftigt war, als auf einen Panther und dessen Beute zu achten, warf sich die Raubkatze nun vollends erzürnt mit einem markerschütternden Brüllen auf den Kerl, der ihm vermutlich eine weitere Narbe verpasst hatte. Es war Nataniel egal, dass sich das Messer noch ein bisschen tiefer in sein Fleisch bohrte, weil der Kerl es immer noch in der Hand hielt, als könne es ihn retten. Dafür revanchierte er sich bei dem Typen, als er dessen Arm vom Handgelenk bis zu den Schultern mit den Krallen auffetzen, während er sich in dessen andere Schulter verbiss und das Brechen der Knochen sich wie Musik in seinen Ohren anhörte. Genauso wie der Schrei aus der Kehle dieses elendigen Bastards. Zu leicht. Menschen waren so schwach. Es war wirklich viel zu leicht. Der Panther übernahm immer mehr die Kontrolle über ihn, weshalb er auch nicht losließ, als er ein paar saftige Tritte in seine Seite, den Bauch und an der Hüfte kassierte. Viel mehr, warf er sein ganzes Gewicht auf den Typen, um ihn am Boden festzunageln, während seine Kiefer sich von dessen Schulter lösten, um erneut zuzuschnappen. Dieses Mal mit direktem Ziel auf die Kehle dieses elendigen Wichsers, der einfach nicht zu schreien aufhörte. Ein röchelndes Gurgeln war schließlich alles, was er noch zu Stande bekam, bis er an seinem eigenen Blut erstickte und an der Tatsache, keine funktionierende Luftröhre mehr zu haben. Erst als der Körper nur noch im längst sicheren Todeskampf unwillkürlich zuckte, ließ Nataniel von ihm ab und erhob sich schwer keuchend. Der Drang, noch mehr ihrer Feinde zu töten, sie zu zerfetzen, zuzubeißen, seine Krallen in sie zu schlagen, war so enorm, dass er sich entsetzt zurückzog. Der Kampf war ohnehin so gut wie vorbei. Blut troff ihm von der Schnauze, lief seine Seite entlang und blieb auch deutlich in Form von Pfotenabdrücken zurück, wenn er einen Schritt tat. Er zog sich weiter zurück, schüttelte den Kopf, versuchte das ungebändigte Raubtier wieder zurückzudrängen, das hier nach noch mehr Blut gierte. Aber der Hass auf diese Männer war so gewaltig, dass es ihm nur schwer gelang. Nicht nur, dass sie auf seine Gefährtin geschossen hatten, er würde auch niemals die grausamen Taten vergessen. Sein Bruder, Niela und all die anderen Unschuldigen. Ja, sie sollten alle dafür bluten! Denn auch sie konnte nicht mehr mit dem Blutvergießen aufhören. Noch mehr wollten sie von seiner Art töten. Als hätten sie nicht schon genug Schaden angerichtet. Das Tier in ihm wollte weiter kämpfen. Wollte all jene die er liebte beschützen und sich für die unschuldigen Opfer rächen. Auch wenn der Mann im Raubtier genau wusste, dass diese blutrünstigen Gedanken falsch waren. Gewalt erzeugte nur noch mehr Gewalt und das konnte nicht gut sein. Trotzdem wand er sich regelrecht bei dem ganzen Blutgeruch in seiner Nase. Er wollte nicht fressen. Er wollte töten! Und das war nicht mehr mit seinem Gewissen zu vereinbaren. Nataniel zog sich noch weiter von dem Massaker zurück. Inzwischen fielen keine Schüsse mehr. Trotzdem gab die Bestie in ihm keine Ruhe. Weshalb er sich schließlich außerhalb eines Lichtkegels der Laternen in den Schatten eng an den Boden drückte und sich nur noch auf seine Atemzüge konzentrierte. In dieser Raserei konnte er sich unmöglich verwandeln. Er musste von dem ganzen Hass und Blutrausch erst einmal wieder runter kommen. Trotzdem. So etwas hatte er noch nie erlebt. Nicht mal im Kampf mit Nicolai. Aber da waren es auch keine Menschen gewesen, die er getötet hatte. Das war irgendwie etwas anderes gewesen. Amandas Hände steckten aufgelöst bis zu den Händen in der Brust eines Angreifers und zerfetzten alles, was ihnen an inneren Organen in die Quere kam. Der Typ hatte ihr die Waffe aus der Hand geschlagen und ihr mit einem Handkantenschlag auf die Schläfe beinahe das Bewusstsein genommen. Durch das Training war Amanda schnell geworden, aber die Gänge waren trotzdem immer noch schmerzhaft und zehrten an ihren Kräften genauso, als hätte sie jedes Mal Schläge einstecken müssen. Es waren auch mehr die Schmerzen in jedem zerreißenden Element ihrer Finger, als der letzte, blutig gurgelnde Atemzug des Sammlers, der sie dazu brachte, sich für einen Moment vollständig wieder zusammen zu setzen und Atem zu holen. Ein Fehler, der mit einer Ablenkung zusammen fiel, mit der Amanda nicht gerechnet hatte. Ein Brüllen irgendwo hinter ihrem Rücken ließ sie erschrocken zusammen fahren. Mit zitternden Fingern zerrte Amanda an der zweiten Waffe, die allerdings für die Sekunde am Holster festhing, die einer der Sammler brauchte, um sie anzuspringen und auf den Boden zu werfen. Scheppernd flog Amandas Waffe nun über den Beton und landete wahrscheinlich im dunklen Wasser. Sie wusste, welche Griffe der Mann anwenden würde, um sie am Boden festzuhalten und doch kam sie einen Moment nicht gegen seine massige Körperkraft an. Mit einem gezielten Kniestoß in Amandas Seite ließ er sie Sterne sehen und trieb ihr sämtliche Luft aus den Lungen, was sie zumindest im Augenblick daran hinderte unter ihm in die Schatten abzutauchen. Die breiten Hände des Mannes legten sich um ihren Hals und zogen sich zu wie Schraubstöcke. Amanda spürte, wie ihr Gesicht rot anlief und ihre Lungen anfingen zu brennen. Ihre Hände suchten nach irgendeiner Möglichkeit dem Mann Schmerzen zu bereiten und ihn damit zu bewegen loszulassen. Doch dann tat er es ganz von selbst. Warmes, klebriges Blut spritzte Amanda ins Gesicht und sie wagte nicht zu dem nun leblosen Körper auf ihr hochzusehen, als sie irgendetwas dumpf neben sich auf dem Boden aufschlagen hörte. Ihr wurde schlecht und wahrscheinlich hätte sie sich übergeben müssen, wenn Seth sein Opfer nicht von ihr herunter gestoßen und Amanda auf die Füße gezerrt hätte. Mit seinem Körper als Kugelschutz drückte er sie in der Hocke gegen den letzten Wagen der Kolonne und sah sich gehetzt nach allen Seiten um. Es war bis auf wenige Schmerzenslaute völlig still, doch Amanda war sich nahezu sicher, dass derjenige, der eben gestorben war, nicht der letzte Sammler war, der hier herumschlich. Ihr Atem ging raspelnd und als ihre Fingerspitzen ihren Hals berührten, konnte sie die Blutergüsse sich beinahe schon jetzt ausbreiten spüren. Seths Blick war durchdringend, auch wenn er nur für Sekunden auf Amanda ruhte. Er streckte einen Zeigefinger vor ihrem Gesicht in die Höhe. Sie hatte also Recht gehabt. Kurzatmig und mit Adrenalin, das schmerzhaft durch ihre Adern pulsierte, sah Amanda sich so ruhig und konzentriert sie es eben vermochte, hinter Seths Rücken um. Eine Bewegung im Schatten ließ sie aufschrecken und ihre Augen weiteten sich vor Schreck. "Seth!" Es war leicht ihn mit sich in die Schatten zu ziehen, aber Amandas Form bog sich vor Schmerzen, die sie in ihrem angeschlagenen Zustand fast nicht ertragen konnte. Sie spürte Seths Anwesenheit schwinden und wusste, dass er bei dem Sammler war, dessen Waffe sie im Lichtschein eines Scheinwerfers hatte aufblitzen sehen. Unter zerreißendem Druck wurde Amanda in den Schatten herumgewirbelt, bis sie die Orientierung verlor. Keine Panik. Sie konnte immer noch ihre alte Technik anwenden. Die hatte sie noch nie im Stich gelassen. Aber wo war sie nur? Und wo würde sie herauskommen, wenn sie einfach den nächsten Lichtfleck ergriff? Amanda musste einsehen, dass es ihre einzige Chance war. Mit zusammen gebissenen Zähnen – wenn man in ihrem Zustand davon sprechen konnte – zog sie sich auf eine Lichtquelle in der Größe einer Tür zu und schließlich hindurch. Die Schatten schienen in ihren Ohren zu kreischen, weil sie Amandas Körper wieder frei geben mussten. Sie wurde ohnmächtig, bevor sie von der Kante des Containers, auf dem sie gelandet war, abrutschte und mit einem lauten Schlag auf das Dach eines der geparkten Wagen der Sammler fiel. Amanda! Nataniels Brüllen zerriss die totengleiche Stille der Nacht, als er sie auf einem der Wagen landen sah. Sofort war er auf den Beinen, setzte über die Leichen hinweg und war schon bei ihr, noch ehe ihr Körper ganz zum Erliegen kam. Als er nach ihr fassen wollte, sah er seine blutige Pranke, mit den noch immer ausgefahrenen Krallen, was ihn zurückschrecken ließ. Doch allein ihr ramponierter Anblick reichte dazu aus, sich innerhalb einer Sekunde zu verwandeln, was vorher selbst die beste Konzentration nicht mehr geschafft hatte. Kaum dass er wieder richtige Hände besaß, hob er vorsichtig ihren Kopf an, fühlte ihren noch immer rasenden Puls und checkte so gut er konnte, ob sie sich irgendetwas bei dem Aufprall gebrochen hatte. Aber auch wenn er nichts fand, so sah sie für seine Augen absolut schlecht aus. Dunkelrote Male zeichneten sich deutlich auf ihrer erbleichten Haut am Hals ab, als hätte jemand sie fest gewürgt und auch sie war über und über voller Blut, auch wenn es hauptsächlich nicht ihr eigenes war. Das konnte er riechen, aber es beruhigte ihn kein bisschen. Ganz im Gegenteil. Er stand kurz vorm Durchdrehen. Obwohl er gerade nur so vor unterdrückter Mordlust zitterte, hob er Amanda ganz vorsichtig hoch. Beschützend zog er sie sanft an seine Brust, schlang seine Arme abschirmend um sie und stieg mit ihr zusammen von dem Wagendach. Der Gestank der Schatten reizte ihn zusätzlich so sehr, dass er glaubte, ihm müsste bald eine Ader im Gehirn platzen, so angespannt war sein ganzer Körper. Von klar denken war kaum noch etwas zu sehen. Weshalb er auch mit gefletschten Zähnen und bedrohlicher Haltung herumfuhr, als er ein Geräusch neben sich wahrnahm. Und obwohl es nur der andere Schattengänger war, gab er seine Haltung nicht auf. Ganz im Gegenteil, er zog Amanda nur noch beschützender an sich. Obwohl er vollkommen nackt und blutüberströmt war, machte er sicher einen ganz schön gefährlichen Eindruck. Kein Wunder. Sein Mund und seine Zähne waren immer noch Blutverschmiert, als würde er einen auf blutrünstigen Vampir machen. Nur ohne die Reißzähne. „Bleib weg!“, warnte er diesen Seth mit einer Stimme, die nicht zu ihm zu gehören schien. Tief, grollend und so bestialisch, dass alleine der Tonfall jegliche Drohung überflüssig machte. Seth war bei Amandas Aufschlag herumgewirbelt und hatte den bewusstlosen Sammler einfach vor seinen Füßen zusammen sacken lassen. Er würde erst in ein paar Stunden wieder zu sich kommen, daher mussten sie sich keine Sorgen machen, dass er ihnen davon lief. Gerade wollten sich seine Beine in Bewegung setzen, als Seth aus den Augenwinkeln sah, wie sich eine Gestalt aus den Schatten an der Hafenkante löste und mit gefederten Sprüngen auf Amanda zusteuerte. Natürlich war Seth das Brüllen und auch die Beteiligung der Raubkatze an diesem Kampf nicht entgangen. Trotzdem zogen sich seine Augenlider zu Schlitzen zusammen, durch die allerdings schwarze, elektrische Funken zu blitzen schienen. Das Tier war schnell bei Amandas leblos erscheinendem Körper und erst als ein silberner Schimmer den Panther einhüllte, begriff Seth endlich, was los war. Um keine wertvolle Sekunde zu verlieren, ging er noch einmal durch die Schatten und unterdrückte mit zusammen gebissenen Zähnen die schwere Atmung, als er sich dem Kerl gegenübersah. Seth selbst sah wahrscheinlich nicht weniger angsteinflößend aus. Blutbeschmiert und immer noch mit Mordlust in den Augen. Allerdings machte das Lächeln, das seinen Mundwinkel überheblich kräuselte, seinen Ausdruck beinahe grausam. Er sollte wegbleiben? Natürlich würde er das tun. Aber nur, solange die Gefahr bestand, Amanda durch eine unbedachte Handlung zu gefährden. "Dir sollte klar sein, dass ich ihr nichts tun will." Ob sich mit diesem Typen überhaupt diskutieren ließ? Bei der Besprechung war das ja nicht allzu gut gelaufen. Aber verdammt, Seth würde es schon irgendwie zustande bringen, dass der Idiot Amanda mit seinem Verhalten nicht noch mehr verletzte. "Ich könnte ihr helfen. Die Schatten bereiten ihr Schmerzen." „Ach ja? Tut es das?“, knurrte Nataniel bissig. Nein, ihm war nicht klar, ob der Typ ihr schaden wollte oder nicht. Es hatte für ihn auch überhaupt keine Bedeutung. Denn alleine die Vorstellung, wie dieser Kerl sie anfasste, ließ bei ihm alle Sicherungen durchbrennen. Ruhig… Ganz ruhig..., sagte er sich selbst in Gedanken. Denn er war noch nicht so blind, um nicht zu erkennen, dass die Schatten immer noch an Amanda klebten und in seiner empfindlichen Nase brannte, als inhaliere er pures Höllenfeuer. Doch das war nichts im Vergleich zu den tobenden Gefühlen in seinem Körper. Dass er aus seiner Seite blutete und er einen Streifschuss am Arm abbekommen hatte, spürte er noch nicht einmal. Da war lediglich etwas, dass ihn innerlich auffraß. Er wollte angreifen. Er wollte seine Gefährtin in Sicherheit bringen. Er wollte das alles hier ungeschehen machen. Doch nichts davon konnte er so ohne weiteres tun. Aber auch wenn er nicht wie dieser Seth oder Amanda war, so war er doch nicht dumm. Amanda brauchte Licht. So viel Licht, wie sie bekommen konnte, um die Schatten zu vertreiben. Das Mondlicht reichte nicht aus. Hoffentlich würde es wenigstens die Straßenlaterne tun. Nataniel trat mit Amanda im Arm zurück. Fixierte dabei unablässig den blonden Kerl, der bloß nicht zu nahe kommen sollte. „Fass sie nicht an.“, fauchte er daher noch einmal leise, aber nachdrücklich. Ehe er in den Lichtkegel der Laterne trat und Amanda ganz vorsichtig, als wäre sie aus zerbrechlichen Glas, auf den Boden legte, um sie auch von den Schatten seines eigenen Körpers zu befreien. Dabei ließ er Seth noch immer nicht aus den Augen, während seine ganzen Sinne so angestrengt arbeiteten, dass sie fast an die von seiner tierischen Gestalt heran kamen. Der beißende Geruch bohrte sich blitzartig tief in seinen Schädel. Wäre das hier nicht seine Gefährtin, er hätte dieses Gefühl keinen Moment länger ertragen. Es war regelrecht schmerzhaft und trotzdem wich er nicht zurück. „Du solltest besser jemanden rufen, der diese Schweinerei hier wegmacht.“ Er nickte nur mit seinem Kopf in Richtung der Wagen und Leichen. Vielleicht würde das diesen Kerl dazu bringen, zu verschwinden. Alleine dessen Nähe reizte Nataniel unerklärlicherweise bis aufs Blut. Nun ja, eigentlich nicht ganz so unerklärlicherweise. Er wusste tief in sich drin genau, warum er ihn nicht mochte. Der Dunkelhaarige schien mehr Intelligenz zu besitzen, als Seth es ihm zugetraut hätte. Oder es war Amanda zu verdanken, dass er sich nach hinten bewegte und ihren Körper im Lichtkegel der Straßenlaterne ablegte. Seth konnte es nicht sehen, aber da ihm selbst noch das schwarze Wabern anhaftete, konnte er genau spüren, wie das Licht Amanda half. Die Schatten verflüchtigten sich. Wenn auch nur quälend langsam. Normalerweise war Seth immer stark beeindruckt, wie schnell Amanda auch das letzte Bisschen der klebrigen Schattensubstanz von ihrem Körper wischen konnte, doch jetzt schien sie wirklich einiges abbekommen zu haben. Und wahrscheinlich war es seine Schuld. Amanda hatte seinen Namen gehaucht, bevor sie sich mit ihm zusammen in die Schatten geworfen hatte. Ihre Stimme war ganz leise und kratzig gewesen und hätte wohl kaum ausgereicht, Seth rechtzeitig zu warnen. In Amandas Augen war sie gezwungen gewesen, trotz ihrer Schwäche so zu handeln, wie sie es getan hatte. Tiefe Besorgnis zeichnete sich auf seinem Gesicht ab und obwohl es kaum möglich schien, wurden seine Augen noch dunkler. Jede Drohung des Gestaltwandlers in den Wind schlagend, trat Seth ein paar Schritte auf Amanda zu. Um die Sauerei würde sich ohnehin jemand kümmern. Sie konnten wahrscheinlich froh sein, wenn nicht jede Sekunde eine Truppe aus den Containern gestürmt kam, um hier noch mehr Chaos auszulösen. War nicht Eric, Amandas Bruder, auf dem Kran gewesen? Er musste die anderen auf jeden Fall alarmiert haben. Außerdem interessierte es Seth einen Dreck, wie lange diese Leichen hier herumlagen. Lächerlich, wie sich der Wandler gebärdete. Als ob selbst die Reißzähne und Klauen des Tieres Seth abschrecken könnten. "Ich wäre verschwunden, bevor du mich angreifen könntest. Also lass' es gleich bleiben.", sagte er regelrecht im Plauderton, während seine Augen nur kurz zu dem anderen zuckten, bevor sie sich so besorgt wie zuvor auf Amanda legten. "Wenn du mich schon nicht an sie ranlassen willst, dann tu wenigstens was Nützliches und sieh dir ihre Augen an." Sie sah so schwach aus. Sollte Amanda ihre hellbraunen Augen und damit einiges mehr wegen ihm so endgültig wie er an die Schatten verlieren, dann könnte Seth sich das niemals verzeihen. Immerhin hatte sie es nur getan, um ihn zu retten. Müsste er nicht von Amandas Seite weichen, um diesen Bastard die Kehle durchzubeißen, er hätte keinen Moment gezögert, als der Blonde es wagte, näher zu kommen. Nataniels ganzer Körper ruckte bereits nach vor und seine Krallen schossen aus seinen Fingerspitzen, die sich jedoch ungesehen in seine geballten Fäuste gruben. Aber er hielt sich zurück. Nur wegen seiner Gefährtin und der bodenlosen Sorge um sie und auch wegen der Angst, die sich wie eine gezackte Klinge in sein Herz bohrte, es könnte dem Kind etwas passiert sein. „Das glaube ich dir aufs Wort. Aber du kannst nicht ewig verschwunden bleiben. Genauso wenig, wie Amanda es ertragen kann!“, zischte er ihm mehr als nur wütend entgegen. Denn Nataniel glaubte, dass nicht unbedingt der Aufprall es war, der seine Gefährtin in die Bewusstlosigkeit befördert hatte. Sondern die unzähligen Gänge in die Schatten. Sie mochte trainiert haben, aber er hatte sie sehr wohl noch genau in Erinnerung, wie sie damals im B&B mit den Schatten bei nur einem einzigen Gang gekämpft hatte. Um wie viel schlimmer, musste das jetzt hier sein? Als hätte dieser Typ seine Gedanken gelesen, forderte er ihn dazu auf, Amandas Augen zu betrachten. Dass die des Blonden vollkommen schwarz waren, selbst wenn er nicht gerade durch die Schatten gegangen war, wusste Nataniel. Mit zitternder Bewegung löste er seine verkrampften Fäuste, zwang sich mit aller Gewalt dazu, seine Krallen einzuziehen und schließlich zuerst eines von Amandas Augenlidern anzuheben und dann das andere. Ihre Iris war tief schwarz. Er konnte nicht einmal mehr die Pupillen erkennen. Mit einem mörderischen Blick fuhr Nataniel zu Seth hoch und sah ihn an, als wäre ohnehin schon das Ende der Welt, weshalb alles andere auch schon egal gewesen wäre. Er wollte ihn umbringen. Alleine für das was er war. Schatten. Überall diese verhassten Schatten und an dem Kerl klebten sie immer noch. Waren sogar am Tage stets auf eine deutlich wahrnehmbare Weise präsent, als könne er sie nie wieder abschütteln. Was, wenn das nun auch mit Amanda passiert war? Die Schatten um ihren Körper hatten sich dank des Lichts verflüchtigt, aber der Geruch lag ihm immer noch stechend scharf in der Nase. Selbst wenn das nur Nachwirkungen sein könnten oder es an diesem Typen lag, es machte Nataniel wahnsinnig! Er wollte sich die Seele aus dem Leib schreien, doch stattdessen hob er Amanda wieder hoch, strich ihr sanfte eine Strähne aus dem Gesicht und ging los. Den blonden Wichser, den er am liebsten um mehrere Kopf kürzer machen wollte, ignorierte er dieses Mal vollkommen. Einen falschen Mucks und Nataniel würde endgültig die Kontrolle verlieren. Ob Seth nun etwas für die tobende Bestie in ihm konnte oder nicht. Das machte keinen Unterschied mehr. Er war jetzt im Augenblick auch nicht mehr nur Nataniel. Und das war seiner Meinung nach, auch gut so. Der Schock des anderen schien sich fast körperlich auf Seth zu übertragen. Seine Nackenhaare standen ihm zu Berge. Und weil er nicht wusste, welcher Drange stärker war, der auf Amanda zuzugehen oder vor dem zurückzuschrecken, was der Wandler gerade gesehen hatte, blieb er einfach wie angewurzelt stehen. Aber es war doch immer so einfach für sie gewesen. Jedes Mal hatte Amanda es geschafft die Schatten restlos loszuwerden. Egal wie oft sie beim Training an ihr geklebt und wie lange sie in der Düsternis verharrt hatte. Ungläubig schüttelte Seth noch den Kopf, als der Dunkelhaarige Amanda hochhob und ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht schob. Am liebsten wäre Seth nach vorn gesprungen und hätte diesem grobschlächtigen Kerl ihren Körper entrissen. In dessen Händen sah sie noch zerbrechlicher aus, als im Lichtkegel auf dem Boden. Und es zerriss Seth beinahe das Herz, als der Gestaltwandler sie an sich drückte und mit Amanda davon gehen wollte. Es war nicht die Tatsache, dass er sie wegbrachte, die Seths Herz schmerzhaft schlagen ließ, sondern dass Amanda es wahrscheinlich auch im wachen Zustand zugelassen hätte. Ganz anders würde es bestimmt aussehen, wenn sie in Seths Armen erwachen würde. Wären sich auch noch so schützend und warm um sie geschlungen, um sie zu beschützen. Langsam drehte er sich um und sah dem Kerl nach. Eigentlich wollte er ihm hinterher brüllen, aber er würde hoffentlich so klug sein, sie nicht im Dunkeln schlafen zu lassen. Da es sowieso schon egal war und ihn im Moment niemand sehen konnte, ließ Seth sich noch einmal in die Schatten fallen. Bewegungslos schrie er gegen die Schmerzen an, die wenig mit körperlicher Pein zu tun hatten. Er hatte doch versprochen, dass er sie beschützen würde… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)