Shadows of the NewMoon von Darklover ================================================================================ Kapitel 27: 27. Kapitel ----------------------- Amanda wusch sich kurz die Hände, öffnete ihre Haare und nahm sie dann zu einem weniger strengen Pferdeschwanz zusammen, bevor sie zu ihrem Tisch zurückging. Von den Pancakes war noch ein Großteil übrig, auch wenn ihre Gabel in Nataniels Hand gerade wie eine drohende Wespe darüber schwebte. Mrs. Cauley fiel ihr wieder ein und das, worüber sie letzte Nacht vor dem Schlafen nachgedacht hatte. Sie würde mit ihm darüber sprechen müssen. Aber nicht jetzt. Das hatte auch noch bis nach dem Frühstück Zeit. Amanda schnappte Nataniel die Gabel aus der Hand und winkte den Kellner zum Tisch, der sich seltsam steif und widerwillig bewegte. Ganz anders als zuvor, was ihr ein Stirnrunzeln entlockte, das sie aber aufgab, als der junge Mann doch an den Tisch kam und fragte, ob er noch etwas bringen könne. Amanda bestellte eine zweite Portion Pancakes und sah dann Nataniel erwartungsvoll an. Sobald er mit Bestellen beschäftigt war, probierte sie von den Pancakes, die mit Sirup und Früchten beinahe überladen waren – sie waren einfach göttlich. Während sie genüsslich kaute und noch einen Schluck Milchkaffee trank, lehnte sie sich endlich entspannt zurück. „Kennst du Nele?“, fragte sie unvermittelt, weil ihr das Mädchen seit ihrer Abreise nicht mehr aus dem Kopf gegangen war. „Sie ist etwa sechs und in deinem Rudel. Ich hab sie bei dem Fest kennengelernt. Bestimmt ist sie ziemlich sauer auf mich. Ich hab ihr nämlich was versprochen und bin dann abgehauen, ohne ihr Bescheid zu sagen.“ Vielleicht hatten sie Zeit, ein Geschenk für das Mädchen zu besorgen. Hoffentlich würde sie Amanda ihr Verschwinden irgendwann verzeihen. „Ich weiß nicht mal, welche Katze sie in sich trägt.“   Der Gestank des Mannes hatte sich in eine angstvolle Duftnote verwandelt. Also bestellte Nataniel nun schon etwas freundlicher noch eine große Portion Spiegeleier mit Speck und eine weitere heiße Schokolade. Nachdem der Typ abgerauscht war, begann Amanda bereits mit dem nächsten Gesprächsthema, was ihn sich versteifen ließ. Gerade hatte er seine leere Tasse zur Seite schieben wollen, blieb aber mitten in der Bewegung hängen. „Ich kenne jedes Mitglied unseres Rudels.“ Sein Tonfall war sachlich und machte klar, dass es sich hierbei um keine Behauptung, sondern eine Tatsache handelte. Er wusste es wirklich. Aber gerade Nele im Speziellen war ihm natürlich nicht aus dem Kopf gegangen. Wie hätte sie auch? Es hatte dem kleinen Mädchen statt seiner das Herz gebrochen, als Amanda fortging. Eine Last, die er der Kleinen zu gerne abgenommen hätte, aber damals war er nicht dazu im Stande gewesen. Nataniel wusste nicht einmal, ob er es jetzt könnte. „Sie ist nicht sauer auf dich.“ Sondern traurig und enttäuscht, aber sicherlich nicht so, dass sie ihre Meinung nicht wieder ändern könnte. Das Mädchen hat eine verbissene Hartnäckigkeit, von der er sich noch eine Scheibe abschneiden konnte. „Sie vermisst dich sehr und hat jeden Tag nach dir gefragt, seit du weggegangen bist.“ Wie sehr es die Kleine getroffen hatte, konnte er Amanda nicht sagen. Er wollte ihr kein schlechtes Gewissen einreden. „Sie und ihre Mutter gehören im Übrigen zur Familie der Ozelot. Eine der schwächsten Mitglieder unseres Clans und deshalb besonders behütet. Aber es sind wirklich wunderschöne Tiere. Wie große Katzen.“ Da die Küche heute nicht viel zu tun hatte, war das Essen schneller fertig, als zu erwarten und der Kellner legte eine beachtliche Leistung an Unauffälligkeit an den Tag, die man nur bewundern konnte. Verdammt hungrig, aber immer noch halbwegs gesittet, stürzte sich Nataniel auf den Speck. „Was war es denn, was du ihr zeigen wolltest? Sie hat so etwas in der Art nie wirklich erwähnt“, fragte er neugierig, nachdem er den ersten Bissen hinunter geschluckt hatte.   Nele hatte wirklich jeden Tag nach ihr gefragt? Amandas Augen wurden groß und ein mehr als überraschter Ausdruck legte sich über ihre Züge. Hätte sie gewusst, dass es der Kleinen so wichtig war, wäre sie niemals wortlos verschwunden. Das hätte sie so oder so nicht tun sollen. Dafür gab es wahrscheinlich keine Entschuldigung. Amanda würde sich die größte Mühe geben, es wieder gutzumachen. Auf Nataniels Frage hin, und weil er endlich begeistert aß, musste Amanda schmunzeln. „Ich weiß nicht, ob ich dir das verraten darf.“ Nele hatte ihm auch nichts erzählt. „Es ist unser Geheimnis, also Nele und meins.“ Noch immer war sich Amanda nicht sicher, ob sie der Kleinen ihre Fähigkeiten zeigen sollte. Bestimmt würde es ihr Angst machen. Aber nachdem das Mädchen jeden Tag bei Nataniel gewesen war, um sich nach ihr zu erkundigen, konnte Amanda es ihr genauso wenig abschlagen. Ozelots also. Amanda wusste, wie sie aussahen und es waren, wie Nataniel gesagt hatte, wunderschöne Tiere. „Wo sind deine Leute denn jetzt?“ Ihr war aufgefallen, dass er von 'unserem Rudel' gesprochen hatte, aber noch wollte sich Amanda einfach nicht so weit aus dem Fenster lehnen. Immerhin war zu erwarten, dass die Mitglieder Amanda verdächtigen würden, sie an die Organisation verraten zu haben. Das konnte sie ihnen keinesfalls verübeln. Es war die logischste Erklärung, auch wenn sie nicht richtig war. Vielleicht würde sie sich innerlich darauf vorbereiten müssen, auf Ablehnung zu stoßen, bis die Sache vollkommen geklärt war. „Sind sie denn in alle Winde zerstreut oder konnten sie irgendwohin zusammen fliehen?“ Es wäre einfach zu schön gewesen, wenn sie einen annähernd genauso gemütlichen Ort, wie ihr Refugium im Wald zur Verfügung hätten. Aber daran glaubte Amanda nicht. Selbst wenn es einen Ausweichort gab, an dem sie sich alle aufhalten konnten, war er sicher nicht so luxuriös, wie das alte Lager.   Nataniel nickte nur und schob sich dann eine weitere Gabel voll Ei in den Mund. Geheimnisse zwischen einer Sechsjährigen und Amanda wirkten zwar sehr interessant auf ihn, aber es konnte nichts sein, worüber er sich Sorgen machen müsste. Was das anging, vertraute er Amanda voll und ganz. „Während du weg warst, habe ich viele organisatorische Dinge erledigt. Weshalb ich rechtzeitig Notfallpläne zur Hand hatte, als ich das mit der Moonleague herausfand. So konnte ich Palia das Kommando übertragen, damit sie alle in Sicherheit bringt. Zwar hatten wir das alles noch nicht für den Ernstfall geübt, aber ich bin mir sicher, dass es trotzdem geklappt hat. Immerhin sagtest du, dass niemand gefangen genommen wurde. Sie dürften also in Sicherheit sein.“ Er hoffte es wirklich. Denn auch wenn ihm dank Amanda auch einmal andere Gedanken durch den Kopf gingen, vergaß er dennoch nie seine unzähligen anderen Sorgen. „Das Versteck ist leider nur darauf ausgerichtet, ein längeres Überleben zu sichern, wenn alle in ihrer Tiergestalt bleiben und Wild jagen.“ Dass es sich hierbei um Höhlen handelte, die er bei einem seiner ersten Streifzüge entdeckt hatte, verschwieg er ihr für den Moment. Sie waren hier an einem öffentlichen Ort, weshalb er nicht näher ins Detail gehen wollte, bis er sich wirklich sicher war, dass niemand ihnen zuhörte, selbst wenn derjenige ohnehin glauben musste, sie gehörten in die Psychiatrie. Nataniel legte sein Besteck auf den leer gegessenen Teller, schob ihn beiseite und zog sich wieder die volle Tasse mit heißer Schokolade heran. „Wenn du wirklich mitkommen willst …“ Was er natürlich mit jeder Faser seines Körpers hoffte. „… wirst du Wanderklamotten brauchen. Es ist ein weiter Weg und eventuell könnte ein Schlafsack nicht schaden. Solltest du nichts gegen frisch gefangene Kost haben, brauchst du dir wegen Vorräte keine Sorgen zu machen. Es führen einige Flüsse mit großen Fischbeständen durch die Region und ich bin ein hervorragender Angler.“ Selbst ohne Angelrute. Während er einen großen Schluck von dem heißen Getränk nahm, sah er Amanda erwartungsvoll an. Würde sie sich nun entscheiden? Wollte sie überhaupt einen so beschwerlichen Weg auf sich nehmen, wenn sie gar nicht vorhatte, etwas länger zu bleiben? Vielleicht setzte sie ihn auch einfach nur am Waldrand ab und fuhr zu Eric. Wenigstens war ihr Bruder in Sicherheit.   “Okay, das ist kein Problem. Wanderschuhe und einen Schlafsack habe ich im Auto.“ Bei ihren Einsätzen und den Verfolgungen von Gestaltwandlern musste sie öfter irgendwo im Freien weite Strecken zurücklegen oder übernachten. Sie war also vorbereitet. Ein Glitzern legte sich in Nataniels Augen, das Amanda ein Lächeln entlockte. „Allerdings würde ich gern noch ein paar Kleinigkeiten besorgen, bevor wir uns in die Wildnis schlagen.“ Wenn sie hörte, dass die Anderen wahrscheinlich alle als Katzen herumliefen, war an Luxus wohl nicht zu denken. Amanda wollte zumindest noch ein paar Dinge besorgen, wie das Geschenk für Nele und etwas, das Abwechslung zum Fleisch auf den Speiseplan brachte, wenn sie unterwegs zum Lager waren.   ***   Sie einigten sich schnell darauf, dass Amanda noch von einem Münztelefon in der Stadt ihren Bruder anrief, der sich vor Sorgen schon fast die Haare ausgerauft haben musste. Amanda teilte ihm mit, dass sie erstmal mit Nataniel gehen würde. Warum, sagte sie ihm allerdings nicht. Sie wusste es selbst noch nicht und wollte das zerbrechliche Gebilde, das sie beide zwischen sich aufgerichtet hatten, auch nicht damit belasten, dass sie irgendjemandem davon erzählte. Nach dem Einkauf war die Autofahrt immer noch lang. Sie folgten der Autobahn bis zu einer Ausfahrt, die Amanda noch nie gehört hatte und deren Name ihr auch circa zwei Minuten später wieder entfallen war. Je weiter sie fuhren, desto mehr nahm die Besiedlung ab und die Straßen wurden zunächst enger und dann auch holpriger. Schließlich hopste der Wagen nur noch über einen Kiesweg dahin, der sie später völlig im dichten Wald verlor. Ob hier jemals jemand vorbei kommen würde, war fraglich. Aber Amanda wollte kein Risiko eingehen und fuhr das Auto eine sanfte Böschung hinunter, wo es einem zufällig Vorbeikommenden sicher nicht ins Auge fiel.   Während Amanda ihre Besorgungen machte, blieb Nataniel im Auto und überlegte sich derweil, welche Rute wohl die Beste wäre, um zu den Höhlen zu gelangen. Es gab mehrere Wege, aber nur ganz wenige davon, waren auch für Menschen zugänglich. Manchmal leichter, manchmal schwerer. Das Gebiet lag weitab jeglicher Zivilisation, weshalb es für Nicolais Clan wohl nicht sehr begehrt gewesen war. Denn offenbar hatte er trotz allem wert auf etwas Luxus gelegt. Hätte es sich sonst dieser Leopard im Haus der Luchse gemütlich gemacht? Die meisten Gestaltwandler waren dazu in der Lage, lange Zeit in der Wildnis zu überleben, aber trotzdem zogen sie die menschlichen Annehmlichkeiten vor. Eben weil nicht alles an ihnen Tier war. Die lange Fahrt verlief relativ still. Nur ab und zu gab Nataniel Amanda ein paar Richtungsangaben, ehe wieder jeder seinen eigenen Gedanken nach hing. Es war zwar noch immer keine harmonische Stille, doch wenigstens nicht unangenehm aufgeladen. Fragen hingen noch deutlich in der Luft, aber es schienen wohl beide zu ahnen, dass sie diese entweder gar nicht stellen würden, oder noch dazu kamen, sie auszusprechen. So oder so, während der Fahrt bestand kein sehr großes Redebedürfnis beider Seiten.   Als sie endlich nicht mehr mit dem Auto weiter kamen, war Nataniel innerlich schon ganz aufgeregt. Er war seinem Rudel so nahe, wie seit seiner Gefangennahme nicht mehr, was ihn etwas ungeduldig machte. Aber das zeigte er nicht, da er Amanda nicht hetzen wollte. Sie würden beide zu Fuß gehen, und da es schon bald regnen würde, mussten sie besonders vorsichtig sein. Wenn der Wald nass und mit leichten Nebelschwaden behangen war, konnte man rasch irgendwo ausrutschen und sich ernsthaft verletzen. Selbst wenn man als Tier unterwegs war. Während Amanda ihren Rucksack aus dem Kofferraum holte und sich die Wanderstiefel anzog, schlüpfte Nataniel aus seinen Turnschuhen und den Socken. Er krempelte sich auch die Jeansbeine bis unters Knie hoch, um möglichst nirgends mit dem Saum seiner Hose hängen zu bleiben. Außerdem brauchte er das Gefühl der feuchten Erde auf seinen nackten Fußsohlen. Zum einen gab es ihm mehr Informationen über den Untergrund und seine Umgebung, als es mit Schuhen möglich gewesen wäre, zum anderen hatte er die Natur in ihrer Fülle schmerzlich vermisst und war daher umso froher, wieder frische und unbelastete Luft atmen zu können, während er sie zugleich auf seiner Haut spürte.   Amanda zerrte den Rucksack, in dem sie auch den Schlafsack verstaut hatte, aus dem Kofferraum, zog sich die Wanderstiefel an und blickte Nataniel erwartungsvoll in die Augen. Leider hatte es schon die ganze Zeit, während sie hierher gefahren waren, nach Regen ausgesehen, der wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Aber Amanda hatte sich auch eine Wanderhose und Regenjacke besorgt. Es konnte also nicht so schlimm werden. „Du bist der Kompass, wo geht’s lang?“, fragte sie enthusiastisch. Hier draußen fühlte sie sich sehr viel freier und unbelasteter, als in den Städten die sie durchquert und hinter sich gelassen hatten. Es mochte trügerisch sein, aber hier kam sich Amanda so vor, als könne sie der Arm der Moonleague zumindest nicht so leicht erreichen.   „Amanda, ich werde nicht nur der Kompass sein, sondern auch der Gepäckträger“, meinte er in einem Tonfall, der jegliche Diskussionsbasis über dieses Thema von vornherein ausschloss, wobei er die Hand nach ihrem Rucksack ausstreckte. „Es wird so schon anstrengend genug für dich werden. Aber vor allem wäre mir wohler, wenn du nicht auch noch das Gewicht des Rucksacks tragen musst, während du über relativ schlüpfriges Gelände marschierst.“ Dass er selbst weder Regenschutz, noch Schuhe, noch eine Jacke brauchte, war nur zu deutlich. Selbst als Mensch würde ihm die Witterung kaum etwas ausmachen. Dazu müsste es schon arktische Schneestürme geben. Weshalb er auch keinen Schlafsack benötigte. So etwas hatte er noch nie gebraucht. In diesem Sinne war es also praktisch, dass sie nur einen Rucksack brauchten und ER diesen an sich nahm. Amanda würde wirklich noch merken, dass das kein Spaziergang werden würde. Selbst für ihn war es keine leicht zu nehmende Strecke. „Wir haben noch etwa vier Stunden, bis die Sonne untergeht. Bis dahin können wir nur hoffen, dass uns der Regen verschont und wir gut vorankommen.“ Nachdem er seine Schuhe und die Socken ebenfalls noch in den prall gefüllten Rucksack verstaut hatte, schnallte er ihn sich mit allen Riemen um und deutete in Richtung Südwesten.   Zuerst hatte Amanda noch protestieren wollen, aber bereits nach einer Weile war sie froh darüber, dass Nataniel ihr den Rucksack abgenommen hatte. Er kam trotz seiner bloßen Füße sehr viel schneller voran als sie selbst. Das lag bestimmt auch daran, dass er genau wusste, wo er hinwollte. Sie folgte ihm nur, so gut es ging und konzentrierte sich darauf seinen Spuren zu folgen, da er sich immer einen stabilen Tritt suchte. So wanderten sie stundenlang durch den Wald und sprachen eigentlich kein Wort. Nur ab und zu fragte Nataniel, ob Amanda mitkam oder es ihr zu steil wurde. Er half ihr auch über besonders schwierige oder schlüpfrige Abhänge und sie ließ sich nach einiger Zeit sogar gelassen von ihm hochziehen. Der Regenguss machte ihr offensichtlich etwas mehr aus als Nataniel. Hauptsächlich deshalb, weil ihr die dicken Regentropfen oftmals die Sicht nahmen und sie immer wieder auf dem schlammigen Boden anfing zu rutschen. Amanda konnte es nicht leiden keinen festen Tritt zu haben und nur zu erahnen, wo sie entlang lief. Eine Verletzung wollte sie nicht riskieren, und als auch noch der Himmel derart dunkel zuzog, war sie erleichtert zu hören, dass Nataniel einen Ort zum Unterstellen suchen wollte.   Der Anfang der Strecke war gnädigerweise noch leicht zu bewältigen. Hier und da kreuzten umgestürzte Bäume, kleine Felsbrocken und dichte Büsche ihren Weg, aber alles lag relativ eben. Weshalb sie bis zum Regenguss gut vorankamen. Als der Himmel allerdings seine Schleusen öffnete, sah die Sache plötzlich ganz anders aus. Das Wasser kam literweise vom Himmel, weshalb Nataniel schon nach wenigen Minuten vollkommen nass war. Sein schwarzes Shirt klebte ihm ebenso eng am Leib, als wäre es seine Haut und die Jeans wurde durch die Nässe spürbar enger. Aber alles in allem liebte er es, wie ihm der Regen teilweise ins Gesicht klatschte, wenn die Bäume weiter auseinander standen und das Gefühl der mit Feuchtigkeit geschwängerten Erde zu seinen Füßen. Amandas Regenschutz war ausgesprochen gut, weshalb sie hoffentlich darunter nicht frieren würde. Komplett trocken würden nämlich auch sie nicht bleiben. Da Nataniel genau spürte, wann der Boden zu unberechenbar wurde, verlangsamte er rechtzeitig das Tempo, während es ihm nicht mehr darum ging, die Richtung zu halten, sondern einen geschützten Platz zu finden, an dem sie ausharren konnten, bis der Regen nach ließ, oder gezwungenermaßen sogar übernachten mussten, da es schon relativ dämmrig war, durch die schwarzen Wolken am Himmel. Sein Sehvermögen war gut, aber Amanda würde schon bald große Probleme bekommen, um keine glitschige Wurzel oder einen nassen Stein zu übersehen. Schließlich fand Nataniel, was er suchte, weshalb er Amanda bat, einen Moment unter einem Baum mit weit ausladender Krone zu warten, während er nachsehen ging, ob der Platz wirklich genügen würde, um Schutz zu finden. Es handelte sich hierbei um einen großen Hang, der teilweise mit Gras und Erde bedeckt war, aber auch mit bloßem Stein. Bei dem Gestein lagen mehrere Felsen so geschlichtet, dass sie von drei Seiten Schutz vor Wind und Wetter boten. Über der kleinen Nische wirkte der Felsen fest und robust, weshalb sie keinen Hangrutsch fürchten mussten, während sie dort Schutz suchten. Noch während er sich auf den Weg zurück zu Amanda machte, riss er große Zweige von Tannen ab, um in Windeseile ein provisorisches Dach über ihren Köpfen zu gewährleisten. Absolut Regenfest war es nicht, aber sie standen auch nicht mehr im vollen Guss. Da der Boden nun auch für ihn merklich rutschig wurde, nahm er Amanda bei der Hand, um sie zu führen. Einen Moment lang musste sie noch im Regen stehen bleiben, ehe er die Zweige geschickt miteinander verwoben und solide über ihren Wetterschutz aufgebaut hatte. „Es ist zwar nicht das Hilton, aber ich denke, für den Augenblick wird es das tun“, gab er recht gelassen von sich, während er Amanda ein paar Felsvorsprüngen hoch half und sich dann neben ihr in die Nische schob. Für sie beide war es noch gerade so ausreichend. Sie würden aber trotzdem nur knapp Schulter an Schulter sitzen.   Nach einer Weile kam er auch, offensichtlich fündig geworden, wieder zu dem Baum zurück, unter dem Amanda Schutz vor der Nässe gesucht hatte und sie folgte ihm zu einem Abhang. Zuerst konnte sie nicht wirklich erkennen, auf was er sie hinweisen wollte. Für sie sah das alles nur nach herumliegenden Felsen und einem glitschigen Hügel aus, aber nachdem Nataniel eine Art Dach errichtet hatte, konnte sie die Nische als Unterstand erkennen. Das würde ziemlich eng werden, aber auf jeden Fall besser, als noch lange im Dunkeln im Wald herumzutappen. Amanda lehnte sich an die felsige Wand in ihrem Rücken, als Nataniel sich noch einigermaßen neben sie quetschte, ohne sie zu stark zu berühren. Die Landschaft vor ihnen war unter dem Schleier des Regens kaum noch zu sehen. Wäre ihr ein wenig wärmer gewesen und hätten sie mehr Platz gehabt, hätte Amanda das Ganze gefallen. So war es einfach nur ziemlich ungemütlich. Sie hoffte stark darauf, dass es sich nur um einen Platzregen handelte. Aber Feuer würden sie auch nicht machen können, wenn es aufhören sollte, so zu schütten. Sie würden kein annähernd trockenes Holz finden. Das hieß wohl, frierend einzuschlafen. Wenn denn überhaupt. Da konnte man fast neidisch werden, dass Nataniel sozusagen immer seinen eigenen Pelzmantel dabei hatte. Amanda griff sich den Rucksack und zerrte ihn sich auf den Schoss. Geschickterweise hatte sie die Essenssachen ganz obenauf verstaut, um nicht alles herauskramen zu müssen, um daran zu kommen. Nacheinander zog sie Müsliriegel, eingeschweißte Minisalami, Schokolade, Äpfel und belegte Brote aus der Tasche und legte sie fein säuberlich auf Nataniels Oberschenkel aus, als wäre er eine lebende Warentheke. „Such dir was aus. Ich werde dich bei dem Sauwetter nicht raus zum Jagen schicken. Und außerdem steh ich nur auf rohen Fisch, wenn er in Reis und Algen gewickelt ist.“ Sie grinste ihn an und schnappte sich ein belegtes Brot. Es war ein wenig durchgeweicht, schmeckte aber lecker nach der Anstrengung der Wanderung.   Nataniel hatte eigentlich nicht vor, jetzt schon wieder etwas zu essen, auch wenn sein Hunger bei weitem noch nicht gestillt worden war, so hielt er ihn doch längere Zeit lang aus. Meistens jedoch, wurde er umso gereizter, je länger er hungrig bleiben musste, weshalb er sich schließlich ein belegtes Brot von seinem Oberschenkel fischte, da Amanda ihn interessanterweise als Ablage verwendete. Es störte ihn keine Sekunde lang. Da es heute ohnehin nicht mehr weiter ging, aß er zufrieden das Brot, da er wusste, dass sie Morgen nach einer Weile einen Fluss erreichen würden. Denn auch wenn Amanda keinen Fisch zu mögen schien, zumindest nicht den, den er ihr bieten konnte, so war er dem nicht abgeneigt und umso weniger er sich von ihren Vorräten bediente, umso länger kam sie selbst damit aus. Wenn er also noch nicht einmal einen Fisch für sie braten musste, würde das alles kein großer Zeitaufwand werden. Als Tier konnte er rohes Fleisch, Blut und Knochen genüsslich fressen, während ihm als Mensch dabei schon eher der wohlmeinende Geschmack abhandenkam. Es lag einfach an den veränderten Geschmacksknospen. Während sie schweigend aßen, blickte Nataniel wachsam durch den Regenschleier, um nach möglichen Gefahren Ausschau zu halten. Seine Sinne zeigten ihm nichts an, was aber in seiner menschlichen Form nicht immer etwas bedeuten musste.   Was hätte Amanda jetzt für heißen Tee gegeben. Aber Wasser hatten sie dabei. Während sie ihren Hunger und Durst stillte, sah Amanda weiter in den Regen hinaus und überlegte. Sie dachte über nichts Bestimmtes nach, sondern ließ ihre Gedanken ein wenig wandern, bis ihr auffiel, dass sie das Bedürfnis hatte, sich an ihren Begleiter anzulehnen. Es hätte einfach so wahnsinnig gut zur ganzen Stimmung gepasst. Sie saßen hier mitten im Wald, außerhalb ihres kleinen Schutzraumes schüttete es immer noch wie aus Kübeln, sie hatten zu Essen und Amanda wusste einfach, welche Wärme Nataniels Körper ausstrahlte. Wer hätte sich nicht an einen lebenden Heizkörper anlehnen wollen? Aber das war nicht der einzige Grund. Sie kam sich ziemlich kindisch dabei vor, aber kaum, dass sie ihr Brot aufgegessen hatte, wagte Amanda es, sich ein wenig zu Nataniel hinüber zu lehnen und ihren Kopf an seiner Schulter abzulegen. Selbst auf ihrer Wange spürte sie den Temperaturunterschied deutlich. „Was glaubst du, wie sie es aufnehmen werden, dass ich mit dir zurückkomme?“ Sie löste sich nicht von ihm, sah aber immer noch geradeaus. „Ich würde mich an ihrer Stelle für die Schuldige halten. Wahrscheinlich werde ich kein warmes Willkommen zu erwarten haben, hm? Irgendwie macht mir das ein bisschen Sorgen. Vor allem, weil ich ihnen nicht beweisen kann, dass ich es nicht getan habe.“   Gerade, als er zu dem Schluss kam, dass kein Wahnsinniger bei diesem Wetter draußen herumlief, um ihnen nachzustellen, lehnte sich Amanda an seine Schulter. Seine verletzte Schulter. Aber er zuckte nicht einmal zusammen, weil es ihn einerseits ziemlich überraschte und ihn andererseits verdammt zufrieden machte. Außerdem konnte er so genauer wahrnehmen, dass ihr Körper kaum spürbar bebte. Sie musste wohl frieren. Während er sich ihre Bedenken anhörte und von dem restlichen Essen auf seinem Schoß befreit wurde, überlegte er sich eine passende Antwort. Doch bevor es zu dieser kam, schob er seine Schulter von ihrem Kopf weg, so dass sie kurz von ihm ablassen musste. Vermutlich glaubte sie, er hätte etwas gegen diese Berührung. Weswegen er sich mit seinem Vorhaben beeilte. Nataniel schlang seinen Arm um Amanda, zog sie auf seinen Schoß und umarmte sie dann vollkommen, während sie mit dem Rücken gegen seine Brust gepresst wurde. „Du frierst.“, war alles, was er zu dieser Aktion sagte, immerhin hatte er keine Hintergedanken dabei. Aber wenn sie weiterhin auf dem kalten Stein hockte, könnte sie gleich eine Einladung für alle möglichen gesundheitlichen Beschwerden einreichen. Von einer Erkältung angefangen bis hin zu einer Blasenentzündung. Was das anging, waren Menschen wirklich nicht sehr robust. Um jegliche aufkommenden Proteste von Amandas Seite nachdrücklich im Keim zu ersticken, tat er einfach so, als würde sie nicht gerade gegen ihn da gelehnt liegen, um von seiner Hitze umfangen zu werden. „Nele wird sich sehr freuen, dich wieder zu sehen. Mir schien auch, dass Palia sich gut mit Eric verstand. Ich bin mir sicher, sie denkt ebenfalls nichts Schlechtes über dich oder deinen Bruder. Was den Rest angeht, weiß ich nicht genau, wie sie es auffassen werden. Aber da ich dich persönlich mitgebracht habe, werden sie meine Entscheidung akzeptieren oder gehen müssen.“ Nataniel zog ihr das Haarband heraus, um Amandas feuchte Locken zu befreien. Bei dieser Bewegung stieg ihm ihr Duft direkt durch die Nase intensiv ins Gehirn. Es war so unglaublich beruhigend, sie wieder bei sich zu wissen. Während er ihr eine Strähne nach der anderen mit den Fingern glättete, redete er weiter. „Auch wenn ich für die Stimmung keine Garantie abgeben kann, so verspreche ich dir jedoch, dass man dir nichts tun wird. Keiner würde es wagen, dich auch nur offen anzupöbeln. Außerdem muss ich ohnehin noch herausfinden, wer sie alle nun wirklich verraten hat. Ich weiß es einfach nicht, aber es könnten genauso welche innerhalb unserer eigenen bunten Familie sein. Ein für mich sehr beunruhigender Gedanke.“   Amanda war innerlich zusammengezuckt, als Nataniel sie dazu gebracht hatte, ihre Haltung aufzugeben. Sie war schon fast dabei gewesen, sich für ihre Aufdringlichkeit zu entschuldigen, als er sie völlig überraschte. Leicht perplex ließ sie sich auf seinen Schoss ziehen und versuchte es sich einigermaßen gemütlich zu machen. Das war allerdings alles andere als leicht. Das letzte Mal, als sie sich körperlich wirklich nahe gewesen waren, hatten sie wild geknutscht und waren noch dazu nackt gewesen. Sie hatten sich beide gar nicht die Zeit genommen, sich einmal harmlos zu berühren oder ihre Gegenwart tatsächlich zu genießen. Es fühlte sich schon jetzt wahnsinnig schön an, das nachzuholen. Amanda legte ihre Hand auf die von Nataniel, die nicht damit beschäftigt war, mit ihren Haaren zu spielen. Still saß sie da und entspannte sich immer mehr, während ihr durch seine Körperwärme immer gemütlicher zumute wurde. „Es geht mir eigentlich gar nicht darum, dass ich Angst habe, angepöbelt oder sogar angegriffen zu werden. Wie gesagt, das würde ich sogar verstehen. Aber ich hoffe, dass ich dieses Misstrauen zerstreuen kann, bevor es sich zu sehr festigt. Immerhin will ich mit ihnen allen auskommen.“ Amanda hatte nun mal vor, eine Weile zu bleiben – auch wenn sie das Nataniel immer noch nicht so gesagt hatte – und wollte sicher nicht, dass jemand sie mied oder hinter ihrem Rücken böse Blicke hin und hergeworfen wurden. „Hast du darüber nachgedacht, wer es gewesen sein könnte? Vor deinen Rudelmitgliedern fallen mir ja noch hunderte andere Personen ein, die mehr davon hätten.“ Ohne, dass es ihr wirklich bewusst war, streichelten ihre Finger sanft über Nataniels Handrücken, der sehr viel rauer war, als ihr eigener.   Nataniel spreizte seine Finger, dort wo Amandas auf seinen lagen, damit er sie auf diese Weise von unten herauf umschlingen konnte, während sein Arm um ihren Bauch herum, auf ihrer anderen Seite lag und dort die Bewegung ihrer Atmung verfolgte. Sie wurde deutlich wärmer unter dem Einfluss seines Körpers. Was ihn erleichterte. Er wollte nicht, dass sie frieren musste, selbst wenn es in ihrer Lage fast unmöglich gewesen wäre, es trocken und warm zu haben. Es goss noch immer in Strömen, weshalb er dicht an ihrem Ohr sprach, damit er seine Stimme nicht gegen den Regenguss anheben musste. Nataniel selbst verstand Amanda auch ohne, dass sie lauter reden musste. „Misstrauen wird immer in einer Weise da sein. Du bist ein Mensch und mein Volk vertraut diesen Geschöpfen nicht. Aber das darfst du nicht persönlich nehmen, denn es richtet sich nicht gegen dich speziell.“ Besänftigend streichelte sein Daumen über die zarte Haut über den ersten Wirbeln in ihrem Nacken, während seine Fingerspitzen immer noch über die inzwischen trocknenden Locken glitten. „Was das Andere angeht, so wird sich das gewiss legen, wenn sich erst einmal alles aufgeklärt hat. Ich hoffe, dass es bald geschieht, weil ich diesen Zustand der Flucht und der ständigen Angst nicht noch länger an unserem Rudel mit ansehen kann. Sie haben es verdient, sich wieder in ihrer engsten Familie geschützt zu fühlen und ihr Leben weiter zu führen. Die Kinder sollten wieder zur Schule gehen und etwas lernen können. Die Erwachsenen sollen ihren Berufen nachgehen und sich wieder so frei wie möglich unter den Menschen bewegen können. Wir sind Tiere, aber auch so sehr Mensch, dass wir uns ebenfalls ein normales, zivilisiertes Leben wünschen. So wie ich es bei meinen Pflegeeltern auf der Ranch hatte. Es würde dir gefallen …“ Mit etwas traurigem Tonfall, der sein Heimweh ausdrückte, legte Nataniel seine Wange an die von Amanda und zog sie etwas enger an seine Brust. Seine Hand in ihrem Nacken drückte sich in schützender Absicht um ihren Brustkorb und blieb auf ihrer Schulter liegen. Es musste sich anfühlen, als säße sie im Käfig, für ihn selbst war es einfach nur ein gutes Gefühl, sie so halten zu können und dabei zu wissen, dass in diesem Augenblick ihr nichts anhaben konnte. Nicht einmal er selbst, denn der Panther lag entspannt auf der Seite, schnurrte zufrieden, hatte die Augen geschlossen und räkelte sich ab und zu, als würde er vor einem flauschig warmen Kaminfeuer liegen und die Hitze auf jeden Zentimeter seiner Haut genießen. Er war vollkommen zufrieden und Nataniel somit auch. Zumindest größtenteils, bis es ihm gelingen würde, seine besorgten Gedanken für eine Weile ganz von sich zu schieben. Aber noch war es nicht so weit.   „Ich musste letzte Nacht an Mrs. Cauley denken. Ihr würde ich das mit Sicherheit zutrauen. Und sie arbeitet in jedem Fall für diesen Nicolai.“ Amanda seufzte etwas angestrengt, als sie an den Kampf auf dem Hügel dachte, bei dem sie von dem Geparden gebissen worden war. Sollte ihr diese Frau noch mal in die Hände kommen, würde Amanda sicher keine freundlichen Worte mit ihr wechseln. „Seltsamer Weise konnte ich fast überhaupt nichts über Nicolai in Erfahrung bringen. Er ist auf jeden Fall nicht bei der Moonleague registriert. Aber irgendwie müssen sie doch mit ihm zu tun haben. Es gab ein paar Daten, denen ich entnehmen konnte, dass er ein Tiger ist und ein Bild habe ich auch gesehen. Aber nicht wirklich viel mehr.“ Sie gab ein frustriertes Grummeln von sich und sah in den grauen Regentag hinaus. Es musste gegen sechs Uhr abends sein. Vielleicht etwas später. Wenn das Wetter so weiterspielte, würden sie heute nicht mehr weiterkommen. So von Nataniels Wärme umfangen, hätte Amanda beinahe schläfrig werden können, aber zum Schlafen war es doch auch noch viel zu früh.   „Ehrlich gesagt, mir kam der Gedanke noch gar nicht, dass Nicolai etwas damit zu tun haben könnte. Er ist wie ein Phantom. Zwar habe ich haufenweise Ärger wegen ihm und dennoch habe ich ihn noch nie zu Gesicht bekommen. Würden wir uns einfach gegenüber stehen und die Angelegenheiten unter uns ausmachen, wüsste ich wenigstens, was mich erwartet. Aber so spinnt er ein Netz aus Intrigen, Angst und Unsicherheit, das nicht nur mich bedroht, sondern alle die ich zu beschützen versuche.“ Nataniel war in diesem Augenblick erst richtig bewusst geworden, dass er, obwohl er kein Anführer hatte sein und auch nicht diese große Verantwortung tragen wollen, es trotzdem tat. Ohne es zu wissen, war dieses Gefühl schleichend über ihn gekommen. Erst verwirrend, doch inzwischen wusste er, was zu tun war und hatte keine Zweifel mehr an seiner Rolle. Natürlich musste er noch sehr viel lernen und erst richtig in diese Position hinein wachsen, aber sein Drang all jene zu beschützen und in Sicherheit zu wissen, war so groß, als gehörten sie alle zu seiner engsten Familie. Vermutlich war dem auch so, selbst wenn sie unterschiedlicher Art waren. In gewisser Weise verband sie immer noch ihr wandlerisches Wesen. Wie nebenbei bemerkte Nataniel, dass der Regen inzwischen in ein sanftes Nieseln übergegangen war. Die Luftfeuchtigkeit erhöhte sich noch mehr, wodurch die Nässe nun in jede noch so kleine Ritze und Falte kroch. Zum Glück machte ihm das nichts aus. Er war ohnehin schon von oben bis unten Nass, wobei seine Kleider an seinem überdurchschnittlich warmen Körper rascher trockneten. Er seufzte leise gegen Amandas Ohr. „Ich werde noch etwas über diese Angelegenheit in Ruhe nachdenken müssen, aber eines steht fest, sobald ich mich versichert habe, dass es unseren Leuten gut geht, werde ich mich aufmachen und nach diesem Nicolai suchen. Ich habe diese schleichenden Angriffe satt. Wenn er wirklich so taff ist, wie er tut, dann wird er sich mir auch offen stellen müssen. Kein Versteckspiel mehr.“ Dann wäre die Sache hoffentlich bald geklärt. Aber Nataniel musste über noch etwas nachdenken. Er musste seine Angelegenheiten regeln, für den Fall, dass er nicht zurückkam. Seine Leute mussten von einer anderen Person geführt und in Sicherheit gebracht werden. Wenn es sein musste, sogar weit über die Grenzen dieses Landes hinaus. Denn eines war klar, Nataniel würde nicht den Fehler machen und sich selbst überschätzen. „Ich hab dir vorhin nicht erzählt, warum ich die Moonleague mit meiner Familie vergleiche …“, warf Amanda schließlich ein, nachdem er schon eine Weile geschwiegen hatte. Wie froh er in diesem Augenblick doch war, dass Amanda das Thema wechselte, auch wenn er nicht abschätzen konnte, wie gewichtig dieses war. Immerhin hielt er selbst es nicht für sehr bedeutend, aber würde sie noch einmal davon anfangen, wenn nicht mehr dahinter stecken würde? Während seine Fingerkuppen über ihre Seite streichelten und er mit geschlossenen Augen seinen Kopf an ihrer Schulter ablegte, sagte er sanft mit einem leisen schnurrenden Laut des Wohlbefindens: „Du warst so lange bei der Organisation. Ich dachte mir, das wäre nur normal. Vor allem, da ich dich für einen Menschen jener Sorte einschätze, die für ihren Beruf leben.“ Ob ihr Privatleben dabei zu kurz gekommen war, fragte er wohlweißlich nicht, weil es ihn nichts anging, aber er könnte es sich denken. „Aber sag du mir, wieso du sie als deine Familie ansiehst. Ist es eine so enge Bindung, wie ich es mir denke? Wenn ja, dann war das sicher verdammt hart für dich, ihnen in den Rücken zu fallen. Selbst wenn es das Richtige war.“ Er schmiegte seinen Kopf tröstend gegen ihren, ließ sie mit seinen Gesten wissen, dass sie nicht alleine und er für sie da war. Nataniel war nicht aufdringlich. Ganz und gar nicht, selbst wenn er ihr so nahe war, wie schon seit Wochen nicht mehr. Aber das war nun einmal eine ganz andere Seite in ihm. Eine, die bisher nur seine engste Familie zu Gesicht bekommen hatte. Seine bedingungslose Fürsorglichkeit galt in diesem Moment Amanda alleine.   „Du siehst das mehr oder weniger richtig, ich habe für meinen Job gelebt, aber nicht aus den Gründen, die du vielleicht denkst …“ Amanda spürte seine Haare an ihrem Hals, seine Arme um ihren Oberkörper. Kurz überlegte sie, ob sie Nataniel die Geschichte wirklich erzählen sollte. Aber sie hatten schon so viel miteinander durchgemacht. Selbst wenn es mit ihnen beiden nichts werden sollte, würden sie Freunde sein. Und er hatte ihr von seiner Familie erzählt. Davon, dass sein Bruder getötet worden war. Er sollte tatsächlich wissen, warum Amanda sich so stark mit der Organisation verbunden gefühlt hatte, dass es ihr das Herz zerriss, zu hören, welche Grausamkeiten die Moonleague begangen hatte. „Ich weiß nicht mehr genau, wann es gewesen ist. Irgendwann im Herbst. Ich war zehn und Eric war sieben. Den ganzen Tag war es recht schön, ich kann mich erinnern, dass die Sonne schien. In der Dämmerung habe ich mit meiner Mutter Schattengehen geübt. Sie war wie ich, bloß dass sie die Schatten des Tages besser nutzen konnte. Das hat etwas damit zu tun, ob man nachts oder am Tage geboren ist.“ Es war so, als würde sie Nataniel eine Geschichte erzählen, die sie irgendwo gelesen hatte, vielleicht im Radio davon gehört. Aber auf jeden Fall nicht selbst erlebt. Es schien nur noch zum Reich ihrer Träume zu gehören und nicht zu ihrem Leben. Und doch tat es genau das. Amanda war, was sie war, weil es dieses Ereignis in ihrem Leben gegeben hatte. „Wir haben geübt. Ich glaube, inzwischen bin ich nicht sehr viel besser geworden, als ich damals war. Ich hatte nie mehr jemanden, der es mir richtig beibringen konnte.“ Amanda schluckte hart, merkte aber gar nicht, wie sich ihre Stimme verändert hatte. Sie war leer, als würde sie genau das Gegenteil von dem darstellen wollen, was in Amanda vorging. „Es war eigentlich alles ganz normal. Dad kam nach Hause und wir haben zu Abend gegessen. Sie haben Eric und mich ins Bett gebracht. Danach fehlt ein bisschen was in meiner Erinnerung. Ich sehe mich nur noch auf unserem Rasen stehen, das Haus brennt und ich halte Eric fest, damit er sich nicht umdreht und nicht sehen kann, was passiert. Ein Wandler hat es getan.“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauchen, weil diese Tatsache in Nataniels Gegenwart so viel schwerer zu lasten schien als jemals zuvor. „Ich habe nie rausgefunden, warum er sich unser Haus ausgesucht hat. Vielleicht wollte er uns nur ausrauben und irgendetwas ist schief gegangen. … Er hat meinen Dad schwer verletzt … Meine Mom sah wohl keine andere Möglichkeit. Sie war in der Nacht so viel schwächer, als sie es am Tage gewesen wäre … Sie hat den Tiger mit in die Schatten genommen … und ist nie wieder zurückgekehrt. Dad ist vor unseren Augen verblutet.“ Ihre Finger bewegten sich fast mechanisch über Nataniels Hand, als könnte die Bewegung die Bilder auch nur ansatzweise lindern, die sich vor ihrem inneren Auge abspielten. „Die Moonleague hat den Vorfall untersucht, und da ich schon als Schattenwandlerin registriert war, haben sie ihren Arm über Eric und mich gehalten. Wir mussten nicht ins Waisenhaus. Die Organisation hat uns aufgenommen und wir sind in der Familie eines der Gründer aufgewachsen … Eric kann sich an den Vorfall kaum erinnern.“ Sie sprach nicht weiter, sondern sah in den Nieselregen hinaus, der sich wie ein dünner Film auf ihre Haut legte. Wäre Nataniel nicht da gewesen, hätte sie vor Kälte gezittert. So zitterte sie nur vor Anspannung und darum ringend, keine Träne zu vergießen.   Nataniel saß wie hypnotisiert da, rührte keinen Muskel und wagte kaum zu atmen, während er Amandas Geschichte lauschte. Ihr Tonfall war so hohl und leer, wie er es niemals in ihrer Lage zustande gebracht hätte, aber das Zittern ihres Körpers war ihm vertraut. Schweigend drängten sich ihm Bilder auf, die Amanda durch ihre Worte hervorrief. Ob er wollte oder nicht, er konnte es sich regelrecht vorstellen, wie sie als kleines Mädchen ihren Bruder beschützend im Arm hielt. Damals schon so stark, um den Tod ihrer Eltern zu überleben und mit anzusehen, wie ihr Zuhause niederbrannte. Was für unglaubliche Kraft und Schmerzen es sie gekostet hatte, konnte er sich nicht einmal im Traum vorstellen. Seine Familiengeschichte war genauso tragisch, doch er hatte sie nie am eigenen Leibe miterleben müssen. Stattdessen war er wohlbehütet und glücklich aufgewachsen. Etwas, das Amanda nicht vergönnt gewesen war. Als ihre Worte verstummten und das Zittern ihres Körpers noch etwas mehr zunahm, umschlang er Amanda von hinten, so allumfassend, als wäre er ein schützender Mantel. Sein Kopf ruhte an ihrer Halsbeuge und er wiegte sie kaum spürbar sanft hin und her. Lange war er nicht in der Lage etwas darauf zu erwidern, bis er schließlich doch etwas fand, was er hätte sagen können. Noch dazu meinte er es vollkommen ernst. „Die Moonleague wird immer mein Feind sein, aber jetzt, da ich das über sie weiß, hasse ich sie weniger.“ Sein Flüstern war so leise, als könne es alles zerstören, wenn er nur etwas lauter sprach. „Sie haben auf dich aufgepasst und dich beschützt, als … ich es noch nicht konnte …“, gestand er schließlich, sich dabei deutlich bewusst, dass er genauso ein Wandler war wie damals der Tiger. Was auch immer dieses Tier dazu veranlasst hatte, Amanda so etwas anzutun, Nataniel würde es nie verstehen können. Diese Art von Grausamkeit lag nicht in seinem Wesen, mochte er sich noch so sehr dem Panther hingeben. „Denn genau das ist es, was ich möchte, Amanda. Ich weiß, du kannst auf dich selbst aufpassen, aber wenn du es zulässt, wäre ich gerne für dich da, wenn dich deine Alpträume niederringen. Denn genau das ist doch in jener ersten Nacht im B&B passiert.“ Er wusste es. Etwas anderes hatte sicherlich nicht die gleiche Wirkung im Schlaf, wie Erinnerungen an schreckliche Dinge. Und genau wie in jener Nacht begann er sanft zu schnurren und küsste liebevoll die Haut an ihrem Hals, während er sie ein bisschen spürbarer in seinen Armen wiegte.   Zuerst wollte sich Amanda dagegen wehren, aber Nataniels Schnurren ließ es nicht zu, dass sie weiter die Augen offen hielt. Sie entspannte sich in seinen Armen und fühlte seinen leichten Kuss auf ihrem Hals. War das vielleicht gar nicht so schlecht? Sich von jemandem beschützen zu lassen? Amanda war in ihrem Leben, vor allem seit dem Tod ihrer Eltern, immer die Beschützerin gewesen. Diejenige, die für alle anderen stark sein musste und wollte. Es war wahrscheinlich genau das, was ihr an Nataniel so gefiel und sie gleichzeitig so oft auf die Palme brachte. Er akzeptierte, dass sie stark war, und würde es ihr auch nie absprechen. Aber bei ihm durfte es sich Amanda erlauben, auch mal schwach zu sein. Sich beschützen zu lassen, anstatt immer wachsam ihre Augen und Sinne überall zu haben. Ja, das hörte sich wirklich nicht schlecht an. Auch wenn es sie vor allem am Anfang bestimmt einige Überwindung kosten würde, das zuzulassen. „Sag mal ...“, ihre Stimme war immer noch leise, aber nicht mehr tonlos, wie zuvor. Sie klang so interessiert, wie sie war und es lag sogar schon wieder etwas Wärme in ihren Worten. „Dieses Schnurren … kommt das von dir oder dem Panther?“ Vorsichtig drehte sich Amanda auf Nataniels Schoß etwas herum, um ihm in die blauen Augen sehen zu können. „Ich habe, glaube ich, immer noch nicht ganz verstanden, ob er auch ein eigenständiges Wesen ist. Wenn ja, würde es mich interessieren, was er eigentlich von mir hält.“ Nataniel hatte gesagt, dass der schwarze Jaguar, den er mit sich herumtrug, anders war als er selbst. Dass er rücksichtslos sein konnte. Auch Amanda gegenüber. Konnten Nataniels Gefühle gespalten sein? Amanda hätte gern gewusst, ob sie sich vor ihm zurückziehen musste, wenn er in seiner tierischen Gestalt war.   Diese inzwischen wohlige Atmosphäre, selbst wenn noch ein Hauch von Trauer in der Luft lag, entspannte ihn so sehr, dass er selbst das Nieseln gar nicht mehr richtig wahrnahm. Sondern nur noch die Wärme zwischen ihren Körpern, das Vibrieren in seiner Brust und der zarte Duft ihres Haars und ihrer Haut dicht an seiner Nase. Trotzdem ließ Nataniel Amanda so viel Bewegungsfreiraum, wie sie brauchte, um sich zu ihm herumzudrehen. Wenn sie das Bedürfnis hatte, ihm in die Augen zu sehen, würde er sie daran nicht hindern, zumal er auch unendlich gerne in die ihren blickte. Ihre Frage kam etwas überraschend, war zugleich aber auch sehr gezielt gestellt und dem Moment durchaus angepasst. Immerhin hielt er sie im Arm, dicht bei sich, so eng wie schon seit langem nicht mehr. Was das letzte Mal passiert war, als sie sich so nahe gekommen waren, hatte er selbstverständlich noch nicht vergessen. Amanda musste ebenfalls daran gedacht haben. Während er sich in den karamellfarbenen Augen verlor, überdachte er seine Antwort sehr genau, denn die Frage war nicht sehr leicht zu erklären, für jemanden der so etwas nicht kannte. Und für gewöhnlich hatte sich Nataniel noch nie in dieser Hinsicht erklären müssen. Weil Amanda der erste Mensch war, mit dem er enger zu tun hatte. „Das Wesen eines Gestaltwandlers zu erklären, ist nicht sehr leicht, aber wenn ich es erklären müsste, würde ich es mit zwei Seelen in einem Körper vergleichen: Die eine in mir gehört der menschlichen Seite an. Ich fühle wie ein Mensch, denke wie einer, handle wie einer. Dabei kommt aber die zweite Seele – das Tier – ins Spiel. Der Panther hat im Grunde genommen kein aktives Bewusstsein, so wie ich, aber mit seinen Urinstinkten, den unbewussten aber starken Gefühlsregungen und seinen Trieben beeinflusst er mich deutlich in meiner Handlungs- und Denkweise.“ Wie sich das anhörte! Ob Amanda davon auch nur ein Wort verstand? Es war wirklich nicht leicht zu erklären, dennoch versuchte er weiter in Worte zu fassen, was sich eigentlich nicht beschreiben ließ. „Manchmal ist es für mich schwer zu unterscheiden, ob nun diese Urkraft in mir etwas will oder fühlt, oder ob es der zivilisierte Mensch ist. Für gewöhnlich, stört mich das nicht, weil sich meine Wünsche mit dem Verlangen des Tiers decken. Aber seit ich dich kenne, bin ich mir nicht immer einig mit dem Panther gewesen. Es ist, als ob mein Bewusstsein mit meinem Unterbewusstsein hadert.“ Während er das zugab, streichelte er mit seinen Fingerknöcheln zart über Amandas Wange und sah ihr noch tiefer in die Augen. „Du musst verstehen, dass der Panther, also diese wilde Urkraft in mir, kein Bewusstsein hat, das aktiv und logisch denken kann. Der schwarze Jaguar begreift es nicht, dass du ein Mensch bist und somit vorsichtiger zu behandeln bist, als meine eigene Spezies. Alles, was ihn vorantreibt, sind seine Triebe und Instinkte.“ Nataniels Blick schweifte einen Moment lang überlegend von Amandas Augen ab, fand sie aber rasch wieder. „Damals im Fluss hast du mir so viele heftige Emotionen beschert, dass mein kontrollierender Verstand die Urtriebe nicht mehr bändigen konnte. Du kennst das doch sicher auch, dass man im Rausch der Lust sich irgendwie eine Zeitlang selbst zu verlieren scheint und die Zeit für einen stillsteht. Man bekommt nichts mehr mit, außer das, was man fühlt. Das hat nichts mehr mit logischem Denken zu tun, denn Wesen wie ich können dabei nicht mehr klar denken.“ Vielleicht fiel es ihm sogar noch schwerer, weil er ein Mann war. „Ich weiß nicht, ob das bei Menschen anders ist. Ob ihr euch dann auch noch zügeln und beherrschen könnt. Aber bei mir geht das auf jeden Fall nicht. Und da ich nun einmal unzertrennlich mit dem Panther verbunden bin und somit seine Gefühle, die meinen stark beherrschen, hätte ich in jenem Augenblick nicht anders reagieren können, als wie ich es tat. Ich sperrte zwar zugleich mit dem Tier auch meine Gefühle fort, weil sie den Großteil meines Wesens ausmachen, aber dafür musste ich nicht länger gegen dieses ganze Verlangen ankämpfen, das dich bedrohte.“ Allein bei dem Gedanken, dass er gleich aussprechen würde, was für Amanda sicher ziemlich verstörend sein musste, konnte er ihr nicht länger in die Augen blicken. Stattdessen beobachtete er seine Hand, wie sie weiterhin mit einer Strähne ihres Haars spielte. Nervös, zittrig und zugleich beruhigend. „Der Panther mag dich. Sehr sogar. Weshalb er damals auch den unbändigen Drang verspürte, dich als die Seine zu kennzeichnen. Was bedeutet hätte, dass er dich spielend gebissen, dich gekratzt und sich immer wieder an dir gerieben hätte. Natürlich nicht mit roher Gewalt, aber du bist zarter als unsere Frauen. Es hätte dir wehgetan. Denn das Endergebnis hätte für jedes männliche Wesen, ob nun Mensch oder Wandler, offensichtlich sein müssen. Jeder hätte sehen und riechen müssen, dass du schon jemandem gehörst und dass es bloß kein Mann wagen sollte, dich auch nur auf unzüchtige Weise anzusehen. Der Panther würde ihn zerfetzen. So stark ist seine Besitzgier.“ Es fühlte sich tatsächlich so schlimm an, wie vermutet, nun da er es ausgesprochen hatte. Nataniels Herz raste in seiner Brust, vollgepumpt mit Adrenalin stieg sogar seine Körpertemperatur um einen Grad an. Er seufzte zittrig, während hinter seinen Augen die Gefühle tobten. Denn er hatte bisher aus der Sicht des Panthers gesprochen, Amanda würde also auch sicher wissen wollen, wie er – die menschliche Seite – es gesehen hatte. Wäre ihm Ehrlichkeit nicht so wichtig, er hätte einfach geschwiegen oder sie gar angelogen. Aber er konnte keines von beidem. Es war ohnehin schon egal. „Ich muss gestehen, ich bin in vielen Punkten mit dem Panther einig, aber zugleich kann ich nicht leugnen, was du bist. Du bist ein Mensch und besitzt somit alle Freiheiten, die ihr habt. Ihr lebt zwar auch in Familien, aber ein Rudel ist doch noch etwas anderes. Du als Frau kannst jeden Mann wählen, den du möchtest und zugleich ihn auch wieder verlassen, wenn er dir nicht genügt. Auch unsere Frauen haben dieses Recht, aber meistens bleiben sie bei dem Mann, der sie als sein gekennzeichnet hat. Nicht, weil sie müssten, sondern weil sie sich genau ihrer Macht über ihre Männer bewusst sind und die damit verbundene Sicherheit für ihre zukünftige Familie. Wir würden sterben für unsere Gefährtin und die Jungen. Im Gegenzug sind sie in der Lage uns zu bändigen. Paarverbindungen wie diese kommen zwar eher seltener vor, als alle anderen üblichen Verbindungen, sind aber in ihrem Bestand so sehr gefestigt, dass sie meistens ein Leben lang halten und in dieser Zeit gehorchen wir unseren Frauen fast bedingungslos. Selbst der aufgebrachteste Gestaltwandler kann von seiner Gefährtin mit nur wenigen Worten wieder vollkommen beruhigt werden. Ein Privileg, das nur in diesen besonderen Verbindungen vorkommt.“ Warum erzählte er ihr das eigentlich alles? Immerhin maß er sich nicht an, zu glauben, sie beide wären zu so einer Verbindung fähig. Zwar gab es Gerüchte, dass es so etwas immer wieder einmal in den vergangenen Zeiten gegeben hatte, aber das hieß noch lange nicht, dass das auch auf sie beide zu traf. Zumal ihre Verbindung so zerbrechlich war, als könne man sie mit nur einem einzigen Wort zerstören. Aber dennoch war es genau das gewesen, was der Panther angestrebt hatte. Er hatte Amanda als seine einzige Gefährtin kennzeichnen wollen und Nataniel hatte es nur deshalb nicht zugelassen, weil er sie damit nicht nur verletzt, sondern auch unberechtigterweise eingesperrt hätte. So oder so, Amanda hatte die Freiheit, selbst zu wählen. Er konnte sich dieser Wahl nur unterwerfen. „Nun ja, was ich eigentlich damit sagen wollte, ist, dass du frei bist und selbst wählen kannst. Egal was geschieht, dieses Privileg wirst du bei mir immer besitzen.“   Amanda hatte nicht damit gerechnet, dass sie mit ihrer Frage so eine ausführliche Antwort heraufbeschwor. Oder so ein Geständnis. Denn nichts anderes schien es zu sein, was Nataniel da gerade aussprach. Der Panther hatte sie kennzeichnen wollen, weil er sie für immer bei sich haben wollte. Nataniel hatte sich selbst das nicht erlaubt, weil er sie nicht hatte verletzen wollen. So wie sie es verstanden hatte, war er sich über das, was diese Kennzeichnung bedeutet hätte, aber einig. Das hörte sich alles so endgültig und gefestigt an, dass es Amanda fast Angst machte. Ihr Herz schien lauter und eindringlicher in ihrer Brust zu schlagen, was vor allem auch daran lag, dass sie sehen konnte, wie Nataniel nervös wurde. Vor ihr. Sie hatte ihn noch nie nervös gesehen. Da waren viele Emotionen gewesen, sogar Unsicherheit, aber nie so etwas wie jetzt. Er mochte seine Gefühle mehr auf der Zunge tragen, als Amanda es tat, aber das hier hatte ein Gewicht, das sogar auf sie überging. „Ich ...“ Sie wusste gar nicht, wie sie anfange sollte. Immerhin konnte das, was sie sagen würde, Einiges entscheiden. Nataniel hatte ihr jede Freiheit gelassen, sich zu entscheiden, aber sie wusste nur zu gut, dass sie vorsichtig sein musste. Auch ihn konnte man verletzen. „Es war mir nicht bewusst, dass damals am Fluss so viel hinter der ganzen Sache steckte. Ich dachte, es wäre einfach nur Sex.“ Nataniels Augen veränderten sich leicht, was Amanda dazu brachte, so schnell wie möglich weiter zu sprechen. „Versteh mich bitte nicht falsch. Es ist auch damals nicht so gewesen, dass du mir nichts bedeutet hast. Aber ich hab es vor mir selbst nicht zugegeben und einfach angenommen, dass du nicht mehr wolltest, als ein bisschen ungezwungenen Spaß. Das war wahrscheinlich sogar der Grund, warum ich so überzogen reagiert habe, als du dich von mir abgewendet hast. Ich konnte doch gar nicht verstehen, was passierte, weil ich nicht wusste, dass du so viel ... von mir wolltest.“ Jetzt war es an ihr zu seufzen und sich kurz seinem Blick zu entziehen. Sie sah hinter Nataniel an die Felswand, an der kleine Rinnsale hinunter liefen und ein metallisch schimmernder Käfer ebenfalls Schutz vor dem Wetter suchte. „Es ist gut, zu wissen, dass du mir die Wahl und auch die Freiheit lassen willst, zu entscheiden. Denn was du mir erzählt hast, hört sich alles wirklich ... so endgültig an. Ich habe noch nie darüber nachgedacht, mich lange an jemanden zu binden.“ Wenn sie ehrlich war, musste sie sogar zugeben, dass sie angenommen hatte, dass sie vielleicht einmal allein und wenn es gut lief, mit einem unehelichen Kind enden würde. Anstatt Nataniel wieder in die eisblauen Augen zu sehen, die in diesem Moment zu fordernd auf sie gewirkt hätten, selbst wenn er es nicht so meinte, lehnte sie sich wieder an ihn und kuschelte sich in seine Arme. „Ich weiß, dass ich gern mit dir zusammen bin. So wie jetzt. Und ich würde mich freuen, wenn es mehr würde.“ Bei dem nächsten Satz wurde sie rot, was Nataniel glücklicherweise nicht sehen konnte. Es wäre ihr peinlich gewesen, auch noch ihre körperliche Reaktion vor ihm auf diese Weise offen gelegt zu wissen, wo ihre leicht zitternde Stimme doch bereits genug sagte. „Ich habe nichts dagegen, zu dir zu gehören. Auch nicht, dass es alle wissen.“ Sie drückte seine Hand und sah sich nun doch wieder um. „Aber über das mit dem Kennzeichnen müssen wir uns noch einigen. Ich steh nicht so auf Körperschmuck von dieser Art“, sagte sie schmunzelnd und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.   Nataniel erklärte Amanda nicht, dass er damals am Fluss eigentlich auch nur seinen Spaß hatte haben wollen und zugleich das Bedürfnis auch ihr ein unvergleichliches Erlebnis zu verschaffen. Da ihm der Panther damals aber unmissverständlich darauf hingewiesen hatte, dass es zwischen ihnen beiden niemals 'nur' Spaß geben würde, konnte er nicht leugnen, dass Amandas Worte ihn tief in sich drin freuten. Wäre er einfach nur irgendein Kerl für sie gewesen, der gerade als Lustbefriedigung zur Hand wäre, hätte ihm das garantiert einen bitteren Beigeschmack verpasst. So aber war da nur Wärme in seiner Brust, die sich wie schon in der Damentoilette glühend heiß anfühlte und trotzdem nicht von verbrennender Natur war. „Glaube mir, ich würde dir auch niemals freiwillig einen Körperschmuck verpassen, der dauerhaft bliebe.“ Zwar hatte Amanda diese Worte in einem auflockernden Tonfall gebracht, er nahm die Ernsthaftigkeit dahinter trotzdem wahr, und er meinte es auch ernst. Sie sollte niemals so von ihm verletzt werden, wie es der Gepard getan hatte. Selbst wenn er dafür den Panther kastrieren müsste, um sie davor zu bewahren. Er würde es tun. Da im Moment aber nicht die Gefahr dafür bestand, weil das Tier ohnehin gerade ruhig und entspannt war, brauchte er sich augenblicklich auch keine Sorgen deswegen zu machen. Stattdessen streichelte er Amanda wieder über die Wange und sah ihr tief in die Augen. Von diesen Bernsteinen würde er nie genug bekommen. „Ich weiß nicht, ob dich das beruhigt oder verletzt, aber ich muss trotzdem gestehen, dass ich im Moment kein Material für eine Dauerbindung bin“, flüsterte er ihr leise zu. „Was das angeht, sind mein Panther und ich uns nicht einig. Ich begehre dich, daran besteht kein Zweifel. Ich verspüre einen gewaltigen Drang, dich zu beschützen, auch da bin ich mir absolut sicher, aber ich habe im Augenblick schon eine große Verantwortung dem Rudel gegenüber übernommen, mit der ich noch nicht sehr gut klarkomme. Das kannst du vielleicht nicht nachvollziehen, aber die Verantwortung einer Gefährtin gegenüber, ist um Vieles gewaltiger. Ich denke nicht, dass ich dem gewachsen bin.“ Leicht frustriert vergrub er sein Gesicht in ihrer Halsbeuge, damit sie nicht sah, wie schwer ihm seine Worte gefallen waren. Immerhin konnte er zwar logisch denken, aber seine Gefühle waren mehr als nur real. Selbst das Rudel würde er für Amanda vernachlässigen, wenn es sein müsste und das durfte er einfach nicht. Aber es zu wissen, half ihm auch nicht weiter. Das Einzige, was ihn wirklich zurückhalten konnte, eine solche Verbindung auch nur in Erwägung zu ziehen, war die Tatsache, dass er schon in den nächsten Tagen tot sein könnte. Wenn er die Auseinandersetzung mit Nicolai nicht überstand, wäre es Amanda gegenüber unfair, ihr auch nur die Möglichkeit auf eine Zukunft mit ihm vorzugaukeln. Er musste klare Grenzen ziehen, so sehr es ihm auch zuwider war. „Ich bin auch gerne mit dir zusammen, Amanda. Mehr wage ich gar nicht, zu verlangen. Das Desaster von letztem Mal werde ich nie vergessen, andererseits bin ich trotzdem bereit, es noch einmal zu versuchen, sofern du es willst. Ansonsten genügt es mir, dich einfach nur halten zu können, so wie jetzt.“ Seine Stimme wurde zu einem verschmusten Schnurren.   „Ich weiß auch nicht genau, ob mich das beruhigt oder verletzt.“ Amanda konnte ihm nicht in die Augen sehen, weil Nataniel sein Gesicht an ihrem Hals vergraben hatte, aber vielleicht war das auch ganz gut so. „Ich persönlich kann verstehen, dass du gerade ganz andere Sachen um die Ohren hast als eine Beziehung. Noch dazu eine derart komplizierte ...“ Sie hörte sich sogar in ihren Ohren überzeugend an. Aber vielleicht auch nur, weil sie sich in den letzten Wochen, die sie allein verbracht und unbewusst immer auf ein Lebenszeichen von ihm gewartet hatte, darauf gedrillt hatte, genau das zu empfinden. Es sollte ihr nichts ausmachen, dass er sich nicht ganz auf sie einlassen konnte. Im Moment wussten sie doch beide nicht, ob sie Morgen noch lebend überstehen würden. Und da war nun mal das Rudel, das er beschützen musste und vor allem wollte. Trotzdem hielt sich Amanda an diesem 'im Moment' fest. Noch konnte alles gut werden. Dass Nataniel sich diesem Nicolai irgendwann stellen würde, war nicht zu vermeiden. Aber dass er ihm gewachsen sein würde, daran bestand für Amanda kein Zweifel. Noch dazu, weil sie auf jeden Fall an seiner Seite sein würde. Er würde es nicht zulassen wollen, vielleicht sogar versuchen, sie dazu zu zwingen, nicht mit ihm zu gehen. Aber er würde es trotzdem nicht verhindern können. Selbst einen Freund hätte Amanda nicht allein in so eine Situation gehen lassen. Schon gar nicht den Mann, für den sie sehr viel mehr empfand als nur reine Freundschaft. „Wusstest du, dass ich ganz vernarrt in deinen Duft bin?“, gestand er ihr leise, mit einem zarten Lächeln auf den Lippen, das sie gegen ihren Hals spüren konnte. Dabei stellten sich Amanda die Nackenhärchen auf. Allerdings war es ein wohliger Schauer, der sie überlief, denn wieder war da sein leises Schnurren und sein neuerliches Geständnis machte die Angelegenheit nicht weniger angenehm. Amanda lächelte und fing wieder an, seine Hand und diesmal seinen Oberarm hinauf zu streicheln. „Tatsächlich? Ich mag deinen Geruch auch sehr. Das hört sich vielleicht nicht sonderlich wie ein Kompliment an, es ist aber ehrlich so gemeint. Für mich riechst du ... gemütlich. Nach Geborgenheit.“ Es hörte sich wirklich etwas seltsam an, aber es war zutreffend. Nataniels Geruch, der Duft seiner Haare brachte Amanda, genauso wie sein Schnurren, dazu, sich sicher und wohl zu fühlen. Auch wenn sie sich beide darüber nicht ganz im Klaren waren, bedeutete er ihr jetzt schon so viel mehr, als sie beschreiben konnte. Etwas neckisch, um die Stimmung nicht völlig in die absolute Ernsthaftigkeit abtauchen zu lassen, sagte Amanda: „Ich finde es übrigens hoch aufopferungsvoll, dass du nach unserem Desaster noch einmal bereit wärst, es zu versuchen.“ Sie zitierte ihn mit voller Absicht, um ihn ein wenig aus der Reserve zu locken. Diese selige Stimmung schien schon beinahe auf ihnen zu lasten. Ohne ein wenig Kabbelei war das Alleinsein mit Nataniel nicht das Gleiche. „Muss ich mich danach dann bei dir bedanken?“ Wieder drehte sie sich zu ihm um, diesmal sogar weiter als zuvor und grinste ihn frech und herausfordernd an.   „Bedanken? … Du wirst mich auf Händen und Füßen anflehen, das noch einmal mit dir zu machen!“ Wieder ließ er den gespielt nachdenklichen Ausdruck fallen und grinste breit. Er meinte natürlich nichts davon ernst, weil er hinter der leicht heiteren Fassade Angst hatte, er würde es niemals schaffen, es ganz durchzuziehen. Der Panther war nur allzu wankelmütig in seinen Emotionen. Jetzt gerade begann er aufmerksam den Kopf zu heben, als wolle er die Situation prüfen. Im nächsten Moment könnte er wieder das Bedürfnis haben, Amanda zu markieren. Die Frage war also nur, wie lange Nataniel ihn davon abhalten konnte. Da das für Amanda aber ohnehin kein sehr romantischer Ort oder dergleichen war, hielt er es ohnehin für unwahrscheinlich, gleich auf die Probe gestellt zu werden. Zwar hatte es inzwischen auch zu Nieseln aufgehört, aber es war überall feucht. Doch wenigstens hatten sie in der Felsnische so mehr Platz und Amanda musste nicht auf dem kalten Boden sitzen. Ihm persönlich diente der Felsen unter ihm als natürliche Kühlung und machte ihm somit nicht das Geringste aus. „Dich auf Händen und Füßen anflehen? Da lehnst du dich aber ganz schön weit aus dem Fenster, mein Lieber“, antwortete Amanda etwas verzögert und mit einem Lächeln auf den Lippen. Nataniel blickte sie noch einen Moment lang mehrdeutig schmunzelnd an, doch im Grunde wollte er gar nichts Witzelndes mehr hören oder von sich geben. Er wollte nur noch eines tun und das mit einem Gefühlsdefizit von einigen Wochen. Ein paar Sekunden konnte er dem Drang noch einmal widerstehen, doch da es vor allem seine menschlich bewusste Seite war, die es wollte, hielt er sich nicht mehr zurück. Seine Hand glitt in Amandas Nacken und zog sie zu sich heran. Kaum das sich ihre Lippen berührten, flammte in ihm ein Inferno an Verlangen hoch, das ihm fast den Atem raubte. Stöhnend kostete er in vollen Zügen ihren Geschmack aus, versuchte es für sich selbst in die Länge zu ziehen und sich dabei zusammenzureißen, bis er sich wieder losriss und mit gebrochener Stimme seufzte: „Das wird noch ein ganz schön hartes Stück Arbeit.“ Am besten sie kettete ihn irgendwo fest, ehe er wieder die Beherrschung verlieren konnte. Aber er musste eben einfach lernen, sich zu kontrollieren, so wie Amanda und viele andere Menschen es konnten, egal wie es in ihrem Inneren aussah. Das musste doch irgendwie zu schaffen sein.   Sie hatte fest damit gerechnet, dass es seltsam sein würde, Nataniel wieder zu küssen. Es war so viel vorgefallen und gerade das Gespräch von eben hatte ihre Gedanken wieder zum Rasen gebracht. Normalerweise war es für Amanda sehr schwer, ihr Denken abzustellen, selbst in Situationen, die – wie Nataniel sehr richtig bemerkt hatte – eigentlich absolut den Emotionen gehören sollten. Aber als er seine Hand auf ihren Nacken gelegt und sie geküsst hatte, waren alle zermürbenden Eventualitäten wie ausgelöscht. Es war nicht wichtig, was passieren würde. Darüber mussten sie sich jetzt noch keine Sorgen machen. Sie würden einfach Schritt für Schritt weiter machen und sehen, wohin sie das führte. Und vor allem würden sie jeden kleinen Schritt genießen! Das hatte zumindest Amanda vor. Sie hatten wohl eine ganze Weile aneinander gekuschelt dagesessen, denn es wurde langsam dunkel, was nicht nur an den Wolken lag, die immer noch über den Himmel zogen. Amanda war froh, dass es zumindest aufgehört hatte zu regnen. Alles war klamm und feucht, aber ihr Schlafsack war trocken geblieben, was zumindest eine einigermaßen angenehme Nacht versprach. Und wenn Nataniel es ihr erlaubte, würde sie nur zu gern nah bei ihm schlafen. Zugegeben auch deswegen, weil er so viel wohlige Wärme ausstrahlte, aber es gab auch noch ganz andere Gründe dafür, dass sie sich darauf freute, an ihn geschmiegt zu schlafen. Das hatten sie noch nie getan. Sie hatten sich geküsst und schon mehrere Nächte zusammen in einem Zimmer verbracht, eine davon sogar in einem Bett, aber sie waren sich trotzdem nie nahe gewesen. Amanda freute sich darauf, einfach in seinen Armen einzuschlafen. Selbst wenn er sich in den Panther verwandeln sollte, damit es für ihn bequemer war, auf dem harten Felsen zu übernachten, hätte sie nichts dagegen. Weiches Fell, an das sie sich schmiegen konnte, war nicht weniger gut als warme Haut unter einem Shirt. Bei dem Gedanken überkam sie sogar ein Gähnen, was sie nur minder hinter vorgehaltener Hand verstecken konnte. „Wann willst du denn morgen früh los? Was schätzt du, wie viele Stunden wir noch unterwegs sein werden?“ Der Regen hatte ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sie waren bestimmt nicht so weit gekommen, wie es Nataniel geplant hatte. Aber weiter zu gehen, jetzt wo es dunkel wurde, würde überhaupt nichts bringen. Ausgeruht war eine sehr viel bessere Idee.   „Falls wir morgen nicht auf irgendein Problem treffen, dürften wir es bis zur Abenddämmerung schaffen. Selbst wenn wir in einem angenehmen Tempo vorgehen. Was höchstwahrscheinlich der Fall sein wird, denn morgen geht’s immer mal wieder steil bergauf und über felsiges Gelände.“ Langsam löste er sich von Amandas Körper, der inzwischen angenehm warm geworden war. Sanft setzte er sie neben sich ab, um selbst wieder auf die Beine zu kommen und sich unter dem Unterschlupf hinaus ins Freie zu ducken. „Wir können beim ersten Licht des morgigen Tages losziehen. Das Wetter wird gut sein und der Wald wird dir dann sicher gefallen.“ Nataniel war kein Wetterforscher, aber er wusste trotzdem, dass morgen den ganzen Tag lang die Sonne scheinen würde. „Richte dich schon einmal für die Nacht ein, ich werde noch schnell eine Runde drehen. Bin aber in wenigen Minuten wieder da.“ Er zog sich das Shirt über den Kopf und legte es neben Amandas Rucksack ab. Es war inzwischen fast vollkommen getrocknet. Seine Jeans gesellte sich ebenfalls dazu, ehe er auch schon in die aufkommende Dunkelheit verschwand. Mit seinem schwarzen Fell verschmolz er vollkommen mit den Schatten der Umgebung, während er geschickt über Felsen kletterte, Baumstämme entlang spazierte, als wäre er ein Hochseilakrobat und genauestens die Gegend überprüfte. Kein anderes Raubtier war inzwischen hier gewesen und auch nicht vor ihrer Ankunft hier vorbei gekommen. Die Tiere der Nacht begannen nach dem starken Regenguss wieder aktiv zu werden, doch mehr als das Schuhschuhen einer Eule und das entfernte Krächzen eines Kauzes war nicht zu hören. Die Wolken über ihnen verzogen sich langsam und ließen einen sternenklaren Blick auf den Nachthimmel frei. Überall glitzerte es hell zwischen den Baumkronen hindurch, da der Sternenhimmel so viel deutlicher zu sehen war, wenn keine Lichtquelle den Anblick störte.   Amanda nutzte Nataniels Abwesenheit, um eine winzige Abendtoilette durchzuführen, ihre Schlafgelegenheit vorzubereiten und sich in den Schlafsack zu mummeln. Bis jetzt war es nur ziemlich frisch, aber in der Nacht würde es empfindlich kalt werden. Schon jetzt hatte sich Amanda zwei Paar Socken übergezogen. Als sie so mehr schlecht als Recht auf dem felsigen Boden lag, überlegte sie sich, wie das wohl werden würde, wenn sie beim Rudel ankommen und dort eine Weile bleiben würde. Nataniel hatte gesagt, dass sie alle in ihrer Tiergestalt blieben, weil das in der gegebenen Situation praktischer war. Erst jetzt wurde Amanda bewusst, wie viel praktischer. Immerhin mussten sie sich nicht um Kleider oder warme Schlafplätze kümmern. Ein trockenes Plätzchen und ihr Fell reichten vollauf, aber bei Amanda sah das anders aus. Sie konnte sich nicht recht vorstellen, wie das Leben für sie im Rudel werden würde. Immerhin konnte sie noch nicht einmal mit den Wandlern kommunizieren, wenn sie sich in ihrer Katzengestalt befanden. Ein kleiner resignierender Seufzer kam über ihre Lippen. Das würde schon alles irgendwie werden. Sobald sie Nicolai los waren, könnten sie sich ein anderes Lager suchen, in ihr Altes zurückkehren oder noch besser, sich auf eigenen Farmen niederlassen, wie sie es mochten.   Nachdem Nataniel seine Runde gedreht hatte und sich sicher war, dass ihnen im Augenblick keine Gefahr drohte, kehrte er zu ihrem Unterschlupf zurück. Inzwischen hatte Amanda ihren Schlafsack samt wasserdichter Unterlage ausgebreitet und war auch schon wie eine Raupe in ihrem Kokon eingehüllt. Der Kopf und etwas vom Oberkörper sahen noch heraus, weil sie ihre Arme als Polster verwenden musste. Nataniel zögerte einen Moment lang, als er im Eingang erschien. Er hätte Amanda sein Shirt zum Unterlegen geben können, da es wohl die einzigen trockenen Sachen waren, die sie dafür zur Hand hatte, aber da war auch noch die Tatsache, dass sie ohne seine Körperwärme bestimmt wieder zu frieren anfangen würde, immerhin war es hier nachts schon unangenehm kühl. Er wusste nicht, ob es ihr recht war, wenn er als Panther zu ihr kam und sich neben sie legte. Denn als Mensch würde er diese Nacht niemals verbringen. Gerade im Freien war er auf seine geschärften Sinne angewiesen. Außerdem könnte er sie so leichter verteidigen, wenn sie tatsächlich angegriffen werden würden. Da Amanda schon in der letzten Nacht keinen Aufstand gemacht hatte, obwohl er neben ihr gelegen hatte und sie allen Grund dazu gehabt hätte, schnaubte er schließlich entschlossen und glitt lautlos über den Felsen zu ihr. Seine blauen Augen fixierten jede noch so kleine Bewegung ihrerseits. Bei dem geringsten Anzeichen von Abwehr hätte er sich vor der Felsnische zusammengerollt und dort die Nacht verbracht, doch sie sah ihn nur müde an. Aus diesem Grund gab er sich schließlich einen Ruck, stupste sie sanft mit dem Kopf gegen die Stirn an, damit sie sich halb aufsetzte und er sich so ausstrecken konnte, dass er den Eingang im Blick und Amanda genug Platz zum Schlafen hatte, während sie seinen warmen Bauch als Kopfkissen verwenden konnte. Oh ja, das gefiel ihm wirklich. Was sich auf der Stelle in ein lautes Schnurren äußerte. Eines, das viel besser war, als er es als Mensch zusammenbrachte. Wieder schnaubte er, doch dieses Mal zufrieden. Mit einem leise gurrenden Laut zuckte er mit seinem Kopf in Richtung Bauch, um Amanda darauf hinzuweisen, dass sie keine Scheu haben sollte, es sich an ihm bequem zu machen. Er versuchte sogar extra nicht seine Zähne zu zeigen und seine Krallen fest eingefahren zu behalten.   Auf seinen leisen Pfoten war er tatsächlich nicht zu hören und Amanda erschrak unmerklich, als sich Nataniels großer Schatten gegen die Umgebung abhebend auf sie zu bewegte. Erst, als sie seine Augen erkannte, beruhigte sie sich augenblicklich wieder. Nataniel machte ihr klar, dass er sich nicht zurückverwandeln würde, sondern vorhatte, als Panther neben ihr zu schlafen. Dagegen hatte sie nichts und auch nicht gegen sein Angebot, sie könne ihn als Kissen benutzen. Es war das erste Mal, dass sie den Panther richtig berührte. Sie hatte sich nicht gleich an ihn gelehnt, sondern sich sein Gesicht, mit den strahlend blauen Augen und auch seinen Bauch angesehen, der wirklich verführerisch weich aussah. Amanda streckte vorsichtig eine Hand aus und streichelte über das schwarze Fell, in dem man im Sonnenlicht noch die dunkleren Flecken erkennen konnte. Es war eine Mischung aus den beiden Varianten, die sie sich vorgestellt hatte. Nicht so weich wie eine kuschelige Hauskatze, aber auch nicht struppig. Es lag irgendwo dazwischen und fühlte sich für eine Raubkatze ... passend an. Trotz allem etwas zögerlich bettete Amanda ihren Kopf auf Nataniels Bauch und suchte sich eine bequeme Position im Schlafsack, in der sie so viel seiner Körperwärme wie möglich mitbekam. Von so viel warmem Fell umgeben, fühlte sie sich von seinem gemütlichen Duft völlig eingeschlossen und sein Schnurren dazu machte sie sofort schläfrig. Nataniel hatte seinen Kopf Richtung Ausgang gelegt, sah sie aber jetzt an. Seinen Gesichtsausdruck konnte sie nicht deuten, aber er würde ihr sicherlich nichts tun. Amandas Hand schwebte eine Weile in der Luft, nachdem sie sie vorsichtig aus dem Schlafsack gezogen hatte. Er war nun mal trotz seiner Größe eine Katze. Noch dazu eine, die einen Mann in sich barg, den sie sehr mochte. Wie hätte Amanda anders können, als ihm ihre Hand auf den Kopf zu legen und darüber zu streicheln. Sie fuhr auch zu seinen weichen Ohren hinüber, die unter ihrer Berührung leicht hin und her zuckten. Das entlockte Amanda ein breites Lächeln und sie kraulte ihn kurz hinter dem einen Ohr, bevor sie die Hand wegzog und neben ihrem Gesicht auf seinen Bauch legte. „Schlaf gut“, sagte sie leise, ohne eine Antwort zu erwarten.   Sein Schnurren verstärkte sich noch, als Amanda ihn tatsächlich am Kopf kraulte. Seine Barthaare zitterten, während er genießerisch die Augen schloss und sich etwas enger gegen die zarte Hand drückte. In diesem Augenblick fühlte er sich mehr als Panther als wie ein Mann, aber auch das musste er mit vollster Zufriedenheit einmal auskosten. Kein Wunder, dass Katzen den Menschen treu waren, die sie gut behandelten, es fühlte sich einfach herrlich an und war leider wieder viel zu schnell vorbei. Doch Amanda an seinem Bauch zu spüren, war ein willkommenes Trostpflaster. Nataniel genoss es in vollen Zügen. Auf ihr 'Schlaf gut' erwiderte er einen lockenden, vibrierenden Laut, der ihr zwar nichts sagen würde, aber vermutlich trotzdem als Erwiderung durchging. Nachdem sie die Augen geschlossen hatte, schnurrte er behaglich weiter. Er betrachtete sie noch eine ganze Weile, bis ihre Atmung regelmäßiger und tiefer wurde. Erst dann legte auch er seinen Kopf auf die Vorderpfoten und schloss die Augen. Dabei zuckten seine Ohren aufmerksam in alle Richtungen, um die Gegend auch weiterhin nach Feinden abzusuchen. Selbst als er schon döste, änderte sich seine wachsame Haltung nicht, weshalb er auch immer wieder aufwachte, wenn Amanda sich auch nur ein kleines Bisschen bewegte. Aber das störte ihn wenig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)