Melok Nafalem vs. Nuima Mornedhel von -Bastet- (Richmond) ================================================================================ Kapitel 1: The Night of Bakaresh -------------------------------- The Night Of Bakaresh Die Hufe des haselnussbraunen Pferdes bohrten sich in den harten Untergrund, als es über die Felder preschte. Gera-de erst hatte es ein Waldstück hinter sich gelassen und hielt auf das Nächste zu. Es machte einen Satz und überquerte einen Wassergraben, der zwei brachliegende Felder voneinander trennte. Das Tier schnaubte und Schaum stand vor seinem Maul, als sein Reiter es erneut antrieb. Es war ein junger Mann mit dunklen Haaren, der seinen Kopf immer wieder nach hinten wandte. Erdbrocken wurden durch die Hufe hoch geschleudert und landeten erst wenig später wieder auf dem Boden. Plötzlich brach weit hinter ihnen aus dem Wald ein schwarzes Pferd. Es lief in gestrecktem Galopp über die Ebene. Ein Reiter beugte sich dicht über seinen Hals. Erschrocken bemerkte der Erste seinen Ver-folger und trieb sein Tier weiter an. Die Sonne stand hoch am Himmel. Sie schien aus einem kühlen Mittagshimmel und beleuchtete die frostige Land-schaft. Das schwarze Gespann schob sich unaufhaltsam näher. Nichts vermochte sich ihnen in den Weg zu stellen. Wild flatterten die Mähne des Pferdes sowie der Mantel der schwarzen Gestalt. Fast unmerklich setzten auch sie über den Wassergraben und preschten weiter voran. Der erste Reiter trieb sein Pferd in das nächste Waldstück. Die Pfade waren verschlungen und zum Teil recht eng. Er nahm sein Tier etwas zurück und dirigierte es zwischen den Baumstämmen und Büschen hindurch. Einige dünne Zweige schlugen dem jungen Mann ins Gesicht und zerkratzten es. Er ritt, als wäre der Teufel hinter ihm her. Schon hörte er die Hufschläge des anderen Pferdes, das sich ihnen unwillkürlich näherte. Sie brachen aus dem kurzen Waldstück heraus und hielten auf einem breiteren Weg auf eine Stadt zu. Einige Händler machten ihnen panisch mit ihren kleinen Karren Platz. Schon preschte das zweite Pferd heran. Ein Esel hatte sich nach dem ersten Pferd erschrocken quer gestellt und versperrte mit seinem Gefährt den Weg. Der verzweifelte Bauer versuchte das Tier, das sich bockig stellte, von der Stelle zu bewegen. Schon war der Rappe bei ihnen und setzte mit einem gewaltigen Sprung über das Fuhrwerk. Im wilden Jagdgalopp ging es weiter. Der erste Reiter versuchte die Stadt zu erreichen, als würde sein Leben davon abhängen. Die Leute sahen ihnen verwirrt und ängstlich zugleich nach. Eine lange Grade kam, die beide Reiter ausnutzten. Das schwarze Tier schob sich immer näher heran. Als der erste Reiter sich noch einmal umsah, jagte das zweite Pferd an ihm vorbei und erreichte noch vor ihm die Stadtgrenzen, wo es in Trab fiel und schließlich im Schritt kehrt machte. „Erster.“, grinste Nuima mit blitzenden Augen und schlug die Kapuze zurück, als Rowen bei ihr angelangt war. „Und dabei habe ich dir einen riesigen Vorsprung gelassen.“, sie zog spöttisch eine Augenbraue hoch und klopfte ihrem Pferd den Hals. Rowens Pferd schnaubte. Seine Flanken hoben und senkten sich sichtbar. „Steig lieber ab, sonst bricht dein Klepper gleich noch zusammen.“, spottete sie. „Ich weiß, wann ich verloren habe, also gebe ich mich geschlagen. Du hast gewonnen.“, lächelte er. „Was? Das ist alles? Du regst dich kein bisschen auf? Nicht ein winziges Bisschen?“, enttäuscht schaute die Söldnerin ihren Widersacher an. Sie wandten ihre Pferde in Richtung Stadt. Der Erzmagier schmunzelte, als er das schmollende Gesicht Nuimas erblickte, mit dem sie dennoch hinrei-ßend aussah. Ihr schwarzes Haar glänzte im winterlichen Sonnenschein und ein rosiger Schimmer hatte sich auf ihre Wangen gelegt. Er beobachtete, wie der Atem vor ihrem Mund in der kalten Luft kristallisierte. Die ersten Leute kamen ihnen entgegen mit Handelswaren auf dem Weg in die nächste Stadt. Beide Reiter nahmen die Zügel wieder auf und ritten in das Stadtinnere. Zielstrebig hielt die Dunkelhaarige auf ein Anschlagbrett zu. Einige Zettel flatterten in der winterlichen Brise. Nuima stieg ab und las sich die Nachrichten durch. Rowen wartete geduldig. Es schien Wochen seit dem Vorfall her zu sein – dem Tag, an dem sie diesen Mann getötet hatte, als Erfüllung der Bedingung der Hexen von Sankh Honorfor. Und dennoch war es erst wenige Tage zuvor geschehen. Der junge Erzmagier spür-te, dass die Dunkelhaarige überspielte, wie sie sich momentan fühlte. Er machte sich Sorgen. Wie sollte das nur weitergehen? Unterdessen studierte die junge Frau noch immer die Nachrichten. Unterwasserwesen greifen Palfing-ton an, Vampirversammlung in Kathedrale von Spyth geendet, große Trollwanderung durch Gebiet von Emerald: Bewohner werden vorübergehend zur Evakuierung gebeten. Anscheinend nichts Neues. „Wie wärs, sollen wir etwas hier bleiben? Dann suche ich uns schon mal eine Unterkunft.“, bot Rowen an. Gedankenverloren nickte Nuima, die weitere Artikel studierte. „Wir treffen uns um 3 auf dem Kirchvorplatz.“, sagte er. „Ja, ist ok.“, kurz hatte sie sich an ihn gewandt. Etwas enttäuscht, dass seiner Person so wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde, wendete Rowen sein Pferd und ritt weiter in Richtung Innenstadt. Schon bald war er aus der Gasse verschwunden. Kurz darauf wurde es unruhig, als aus der entgegengesetzten Richtung ein Mann gelaufen kam. Die Leute folgten ihm so schnell sie konn-ten. Die Dunkelhaarige wandte sich um. Der Bärtige hielt genau auf sie zu. In seiner hochgehaltenen Hand flatterte ein Zettel. „Neuigkeiten vom Dämon! Der Dämon hat erneut angegriffen!“, rief er und immer mehr Menschen ka-men, um die Meldung zu hören. Schnaufend kam er an dem Anschlagbrett an und befestigte den ersten Zettel. Sofort waren alle Leute darum versammelt. Alagos schnaubte unruhig, als die Menschenmassen sich um ihn drängten. Fast unauffällig schnappte die Söldnerin sich einen der Zettel aus der Tasche des Mannes und drängte sich zu ihrem Rap-pen durch. Dann stieg sie auf und bahnte sich einen Weg durch die Bewohner der Stadt. Unterdessen las sie die Nachricht. „Dämon schlägt erneut zu!“, stand in großen Lettern als Überschrift da. Sie überflog die Zeilen: „… sechstes Opfer innerhalb von einem Monat… grausam zugerichtete Leiche… Angriff überraschend und unvorher-sehbar… Versteck des Dämons unbekannt… Wachen konnten nichts ausrichten…“ Nuima schüttelte ärgerlich den Kopf. Diese Dummköpfe. Wenn sie mit ihrem Problem nicht klar kamen, warum fragten sie dann nicht Leute wie sie, ob sie ihnen helfen konnten? Nun, dann würde sie sich wohl des Falles annehmen müssen. Nur wäre es hilfreich, wenn sie mehr Informationen über das Wesen hätte, was die Menschen hier bedrohte. Es klopfte an der hölzernen Tür. „Ja, bitte?“, eine mollige Frau mit lockigen Haaren öffnete, doch ihr blieben die Worte fast im Halse stecken, als sie die Gestalt ihr gegenüber ausmachte. „Was wollt Ihr?“, fragte sie ängstlich und linste durch den Türspalt. „Ich möchte bitte mit dem Bürgermeister sprechen. Es geht um Ihr Dämonenproblem.“, erklärte die Dunkelhaarige der Frau geduldig. „Einen Moment bitte.“, wisperte sie und schloss die Tür etwas zu schnell für Nuimas Geschmack. Ihre guten Ohren verrieten ihr, dass die Angestellte in das nächste Zimmer gehuscht war und dort mit erregten Worten auf einen Mann einredete. Ja, ihr Ruf eilte ihr wieder einmal voraus, stellte die Söldnerin mit einem schiefen Grinsen fest. Kurz darauf wurde ihr die Tür von einem Mann mit weißer Perücke ge-öffnet. „Bitte, tretet doch ein.“, lächelte er und trat zur Seite. „Danke sehr.“, die junge Frau sah sich in der Emp-fangshalle unauffällig um. Der Mann ging ihr voraus und trat in ein Hinterzimmer. Anscheinend war dieser Raum für Besucher wie sie hergerichtet. Keine extravagante Dekoration. Lediglich eine schlichte Sitzecke mit einem klei-nen Tischchen. „Nehmt doch Platz.“, bot er ihr an. Nuima nickte und setzte sich. „Ich bin Bürgermeister Geoffrey. Man sagte mir, Ihr wäret hier, wegen unseres Dämonenproblems.“ „Eigentlich bin ich rein zufällig in diese Stadt gekommen, aber als ich von dem Fall hörte, dachte ich mir, Ihr benötigt eventuell Hilfe.“, sie lächelte. „Ja, seit eini-ger Zeit sucht uns immer wieder ein unbekanntes Wesen heim und tötet jemanden. Niemand hat es bis jetzt wirklich gesehen. Nur schemenhaft, um ehrlich zu sein. Aber diejenigen, die die Vorfälle mitbekommen haben, reden von grausigen Geräuschen. Nichts Menschliches. Zudem sind die Leichen grausam zugerichtet. Sie wurden regelrecht zerfetzt.“, er hielt kurz inne und schauderte. „Wo hat der Dämon zugeschlagen? Habt ihr eventuell eine Karte der Stadt, wo ihr mir die Punkte einzeichnen könntet?“, fragte Nuima. Der Bürgermeister nickte. „Ich werde sie Euch holen.“, er stand auf und verließ den Raum. Die junge Söldnerin hörte, wie die Schritte des Mannes sich leise ent-fernten und eine Treppe hinaufgingen. Im Haus war es totenstill. Sie lehnte sich zurück und entspannte einen kurzen Moment. Die Tür öffnete sich erneut und die Angestellte stand mit einem Tablett in Händen dar. Sie näherte sich dem Tischchen und stellte es darauf ab. „Bürgermeister Geoffrey sagte mir, sie wollten vielleicht etwas trinken.“, dann machte sie einen leichten Knicks, der ihr sichtliches Unbehagen bereitete, und verschwand wieder. „Danke.“, entgegnete Nuima noch, bevor die Tür sich wieder schloss. Sie schaute auf das Tablett. Eine Kanne Tee und zwei einfache Teetassen befanden sich darauf. Warum nicht? Bei diesem Wetter konnte man froh sein, wenn man etwas Warmes zu sich nehmen konnte. Gerade, als sie die Kanne wieder abstellte, öffnete sich die Tür wieder und der Bürgermeister trat ein. Er trug eine zusammengerollte Karte unter seinem Arm und ging damit an die Wand, die Nuima gegenüber lag. Dort war ein Haken angebracht, an dem er die Karte aufhängte und sich entrollen ließ. Ein großer Plan der Stadt zeigte sich ihr. An einigen Stellen waren rote Markierungen eingezeichnet. Sie stand mit ihrer Tasse Tee auf und stellte sich neben Geoffrey. „Hier sind wir.“, er zeigte auf einen Punkt der Stadt, der fast im Zent-rum lag. „Und die roten Markierungen sind die Tatorte. Dort ist es geschehen.“ Nun nahm er einen roten Stift und malte erneut einen Punkt auf die Karte. „Dies ist der letzte Tatort, an dem es zugeschlagen hat.“ Die junge Frau betrachtete einen Augenblick lang den Plan, der sich ihr darbot. „Momentan kann ich noch keine Zusammenhänge zwischen den Punkten erkennen.“, erklärte sie nach einiger Zeit. „Zusammenhänge? Sie meinen, diese Viecher ge-hen logisch vor? Das ist doch nicht Ihr ernst.“, entrüstet und etwas enttäuscht, ob ihrer anscheinenden Dummheit, sah der Bürgermeister sie an. „Seien Sie sich da nicht so sicher. Ich habe lange Zeit damit verbracht Dämonen zu jagen und kann deshalb auf langjährige Erfahrung zurückgreifen. So gut wie jedes Mal ergibt sich ein gewisses Schema, nachdem man beurteilen konnte, wo und warum der Dämon angreift.“, selbstsicher sah sie ihn an. „Kann ich mir deshalb den Ort des letzten Vorfalls einmal näher ansehen?“, fragte Nuima und trank ihre Tasse Tee in ei-nem Zug halb leer. Der Bürgermeister nickte, auch wenn ihm bei dem Gedanken nicht ganz wohl war, dass er selbst an den Tatort musste. Kurz darauf verließen die beiden das Haus. Alagos hatte geduldig auf sie gewartet und schnaubte erfreut, als er seine Reiterin wieder sah. Sie klopfte ihm den Hals und führte ihn an den Zügeln hinter sich her durch das eiserne Tor. Der Bürgermeister ging schweigend neben ihr her. Die Leute auf der Straße wirkten alle still, als wenn die Kälte ihnen den Mut zum Sprechen geraubt hätte. Wahrscheinlicher war jedoch die Angst vor den unkalkulierbaren An-griffen des unbekannten Wesens. „Hier hat es auch einen der Angriffe gegeben. Es war einer der ersten vor rund zwei Monaten.“ Nuima blieb stehen und sah sich das kleine Haus an. „Wo genau hat der Angriff stattgefunden?“, fragte sie. „Im zweiten Stock.“, er hielt kurz inne, als wenn ihn die Erkenntnis getroffen hätte. „Eigentlich haben die Angriffe immer im zweiten Stock stattgefunden.“, stellte er fest. Die junge Frau sah sich um. Normale Gegend. Sie betrachtete die Häuser, die Gassen und Menschen. Ihr fiel nichts Auffälliges auf. „Lassen Sie uns weitergehen. Wahrscheinlich kann ich am Tatort mehr herausfinden.“ Geschockte Leute, einer von ihnen mit dem Blut des Opfers beschmiert. Wahrscheinlich der Ehemann. Der Bürger-meister und Nuima betraten das Haus. Es stank schon am Eingang nach Blut. Links ging eine Treppe nach oben, der sie bis in den zweiten Stock folgten. Der Gestank wurde für Geoffrey mittlerweile unerträglich, sodass er am Absatz stehen blieb und sie bat weiterzugehen. Nuima folgte einfach einigen Stadtwachen und betrat hinter ihnen einen Raum. In der Mitte stand ein Bett, das von Blut getränkt war. Darauf eine zerfleischte Gestalt – herausquellende Organe – ein zerdrückter Schädel. Wer oder was es mal gewesen war, konnte man nicht mehr sagen. Überall blutige Fußspuren des Dämons an den zerkratzten Wänden. Einige der Männer drängten sich an ihr vorbei aus dem Raum heraus. Sie würgten und übergaben sich noch im Flur. Es war sehr kalt in dem Zimmer, da das Fenster zersplittert war. Anscheinend war die Kreatur hinaufgeklettert oder geflogen. Die Söldnerin sah sich die Fußspuren genauer an, die an der Wand war. Schließlich ging sie zum Fenster hinüber und sah an der Hauswand hinab. Dort gab es keine Spuren. Der Dämon war also gesprungen oder geflogen. Daran bestand kein Zweifel. Im Hintergrund hörte sie bei-läufig die Turmuhr schlagen. Drei Uhr. Sie wandte sich wieder ab und verließ das Zimmer. Zusammen mit Geoffrey stieg sie die Treppenstufen wieder hinab. Erst draußen sprachen sie wieder. „Und? Konntet Ihr etwas herausfin-den?“, fragte er hoffnungsvoll. „Ja, ich kann mir jetzt ungefähr vorstellen, um was für einen Dämon es sich handelt. Von der Größenordnung nicht größer als wir. Vielleicht mit Flügeln oder ein guter Springer. Aber ich frage mich, wo es sich versteckt.“, erklärte sie. Ihr fiel plötzlich etwas ein. Moment mal, hatte es nicht gerade drei Uhr geschla-gen? Etwas verlegen sah sie zur Seite. „Ähm, ich werde mich wieder bei Ihnen melden, wenn sich etwas neues er-gibt. Ich muss noch etwas Wichtiges erledigen. Entschuldigen Sie mich.“, ohne auf eine Antwort des verdutzten Bürgermeisters zu warten, stieg sie auf und wendete Alagos. Vom zweiten Stock aus hatte sie beiläufig die Turmuhr der Kirche gesehen, doch nicht weiter darauf geachtet. Sicherlich würde Rowen schon auf sie warten. Sie würde ihm von dem Fall erzählen. Vielleicht konnte er ihr sogar helfen. Alagos trabte durch die Gassen, während sie sich dem Stadtzentrum näherten. Händler boten, zitternd vor Kälte, ihre Waren an. Die wenigen Leute, die an diesem Tag nach draußen gingen, liefen jedoch weiter. Die Sonne strahlte noch immer aus einem klaren Himmel, als sie auf dem Kirchvorplatz ankam. Rowen saß ungeduldig auf seinem Pferd. Er sah sie auf sich zukommen und seine Miene hell-te sich ein wenig auf. „Hallo. Wo bist du gewesen?“, fragte er. „Ich war beim Bürgermeister. Es gibt hier einen Dä-mon in der Stadt, der Leute abschlachtet. Ich werde mich darum kümmern.“, erklärte sie. „Ja, tu das.“, er klang etwas säuerlich. „Ich habe uns unterdessen eine Unterkunft besorgt im Gasthaus „Seemann“. Nur falls es dich interessiert. Ich will dich natürlich nicht von den wesentlichen Dingen ablenken.“, sagte er und schaute sich fast beiläufig etwas um. Nuima zog eine Augenbraue hoch. „Wo ist dein Problem? Ich mache nur mei-nen Job.“ „Ja, eben. Ich dachte, wir hätten nach der Sache mit Sankh Honorfor etwas mehr Zeit für uns. Doch mo-mentan fühle ich mich einfach nur als Anhängsel, dass dir überall hin folgt, ohne, dass du es wirklich bemerkst.“ „So denkst du darüber? Ich helfe den Leuten hier, Rowen. Du bist kein Anhängsel für mich. So weit ich mich zurück erinnern kann, haben wir stets zusammen entschieden, wohin wir reisen. Und du müsstest am Besten wissen, wie meine Gefühle für dich sind.“, wütend sah sie ihn an. Gerade wollte sie Alagos wenden, als seine Hand hervor schoss und ihr Handgelenk umfasste. „Es… tut mir leid. Ehrlich.“, um Vergebung bittend sah er sie an. „Kann ich dir vielleicht bei dem Dämon helfen?“, seine Hand löste sich von ihr. Forsch sah Nuima ihn an, dann entspannten sich ihre Gesichtszüge. „Also gut. Vielleicht kannst du ein wenig recherchieren, während ich mich ein wenig in der Stadt umsehe. Es handelt sich um einen Dämon, der ein guter Springer oder Flieger ist. Er ist ungefähr so groß wie ein Mensch. Seine Füße haben zwei Zehen und eine verlängerte Ferse. Die Hände haben fünf Finger mit scharfen Krallen. Konzentrier dich, wenn möglich, auf die Flieger.“ Rowen nickte. Dann beugte er sich zu ihr herüber. Nuima ahnte, was er vorhatte und lehnte sich zurück. Doch er packte ihren Mantelkragen, zog sie zu sich heran und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. „Horius Wirzelbraun, du bist ein verdammter Idiot.“, grinste sie, als er sie wieder frei ließ. „Immer wieder gerne.“, erwiderte er und trieb sein Pferd an. „Wenn du mich suchst, ich bin in der Stadtbüche-rei.“ „Den Teufel werd ich tun.“, dann trieb auch sie ihren Rappen an und verschwand in einer der Gassen, verfolgt von einigen empörten Blicken der Anwohner. Es vergingen einige Stunden, in denen sie durch die Gassen und Straßen ritt, um sich mit dem neuen Umfeld vertraut zu machen. Halb in Gedanken versunken, überlegte sie, wo sich ein Dämon verstecken würde. Natürlich gab es einige leer stehende Häuser, doch sie konnte sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass in einem solchen Haus ein Dämon leben würde. Zudem passte es nicht mit den Orten des Angriffs zusammen. Wenn er sich irgendwo nie-dergelassen hätte, wären die Angriffe in einem bestimmten Umkreis zu finden gewesen. Doch in diesem Fall waren sie weit über die Stadt verstreut gewesen. Geradezu zufällig ausgewählt. Ihr Magen knurrte. Vielleicht sollte sie sich bald wieder auf den Rückweg machen und etwas essen? Rowen war sicherlich auch hungrig. Sie wählte eine der kleineren Gassen, in denen bereits die Laternen angingen und ritt in Richtung Zentrum. Einmal hielt sie kurz inne. War da ein Geräusch gewesen? Sie sah sich um. Die Sonne ging jetzt schon unter, auch wenn es gerade erst sieben Uhr war. Einige Frauen liefen durch die Kälte und betraten ein Haus. Nein, da war nichts Außergewöhnliches gewe-sen. So ritt sie weiter und fand auch die Stadtbücherei relativ schnell. Durch die Fensterscheiben leuchtete sanft das Licht. „Ich bin gleich wieder da.“, flüsterte sie ihrem Pferd zu, als sie abgestiegen war und betrat das Gebäude. Es war hier wesentlich wärmer, als draußen. Und es roch nach Büchern; nach vielen alten Büchern; Ledereinbänden und Holz der Regale; und viel Staub. Sie sah Rowen an einem der hinteren Tische sitzen. Er war anscheinend in eines der Bücher vertieft, während sich neben ihm ein Bücherstapel türmte. An den Seiten des Raumes standen zahl-reiche Bücherregale. Nuima näherte sich ihm, die anderen Leser ignorierend, die ihr ungläubig hinterher sahen. Ro-wen zuckte zusammen, als ein paar Stiefel neben ihm auf dem Lesepult landeten. Er sah auf und sah in Nuimas grin-sendes Gesicht. Sie hatte sich auf einen der Stühle gesetzt und ihre Beine auf den kleinen Tisch gelegt. „Hallo.“, lächelte er und schob ihre Beine von dem Holz. Schmollend sah ihn seine Begleitung an. Dann zog sie den Stuhl heran und verschränkte ihre Arme auf dem Pult bevor sie ihren Kopf darauf legte. „Hast du was gefunden?“, fragte sie und schaute auf das Buch. „Noch nicht. Aber ich arbeite daran. Viele dieser Schriften hier sind in alt-kromatisch. Das dauert eine Weile bis ich es übersetzt habe.“ Nuima nickte. „Lass uns morgen weitermachen. Ich würd gern was essen und mich ausruhen. Bis morgen wird der Dämon wohl Zeit haben. „Na gut. Dann lass uns los. Ich habe mein Pferd schon im Gasthaus untergebracht. Lass uns dorthin gehen.“ Nuima hatte ihren Rappen dem Stallburschen überlassen und war mit Rowen in das warme Haus gegangen, in dem sie über Nacht bleiben sollten. Es sah recht ordentlich aus und war rustikal eingerichtet. Der Wirt begrüßte sie, nahm ihnen die Mäntel ab und brachte anschließend eine warme Suppe an den Tisch. Es war viel los in der Gaststube. Die meisten Leute wollten bei der eisigen Kälte nicht nach draußen gehen und genossen jetzt bei der Wärme eines Ka-mins ihre Mahlzeit. Prüfend schaute Nuima sich einmal um. Sie bemerkte Rowens spöttisches Grinsen und sah ihn an. „Was denn?“, fragte sie. „Das erste, was du machst, wenn du einen Raum betrittst, ist, dass du dich umschaust und die Situation erfasst.“ „Es gehört zu meinem Job immer wachsam zu sein. Ich mache es schon fast beiläufig.“, erklärte sie ein wenig verlegen und lächelte. Dann löffelte sie ihre Suppe weiter. Rowen seufzte leise. Er genoss ihre Gegenwart in vollen Zügen und war froh, dass sie nicht mehr vor ihm davonlief. Doch er wusste auch, was ihr Zu-sammensein für sie bedeutete. Es hieß, dass sie vermehrt aufpasste, wer sich um sie herum befand und welche Ab-sichten vermeintlich freundliche Leute verfolgten. Ob sie es wohl bereute ihn jemals kennen gelernt bzw. an sich heran gelassen zu haben? Wieder einmal konnte er an der geheimnisvollen Mimik seiner Begleiterin nichts ablesen. Auch später nicht, als sie auf ihr Zimmer gingen. Oft fragte er sich, was sie gerade dachte. Oder wie sie über ihn dachte. Doch jedes Mal, wenn sie sich wärmesuchend an ihn schmiegte, wenn sie im Bett lagen, jedes Mal, wenn sie ihn morgens mit einem zärtlichen Kuss weckte, wusste er, dass sie jeden Augenblick genoss. Der nächste Morgen brach früh für Nuima an. Irgendetwas hatte sie geweckt. Sie wusste noch nicht, was es war, aber sie war sich sicher, dass sie es bald erfahren würde. Neben ihr ertönte wieder dieses eigenartige Geräusch, das sie aus ihren süßen Träumen geweckt hatte. Verschmitzt lächelnd drehte sie sich zu Rowen, der mit jedem Atemzug ein leises Schnarchen vernehmen ließ. Anscheinend hatte er sich erkältet. Fürsorglich deckte sie ihn noch ein wenig mehr zu und legte ihren Arm auf seinen warmen Bauch. Dann schloss sie die Augen, um noch ein wenig zu schlummern – vergebens. Rowens leises Schnarchen hielt sie weiterhin wach. Seufzend öffnete sie erneute die Au-gen und knuffte ihn in die Seite, woraufhin er sich auf die Seite, zu ihr hingewandt, legte. Also schön, dann eben nicht, Herr von und zu, dachte Nuima und setzte sich auf. Dann steh ich eben auf. Sie zog ihre Sachen an und mach-te sich bereit, um ein erstes Frühstück zu sich zu nehmen. Gerade hatte sie ihren zweiten Stiefel fertig geschnürt, als ein Arm sich um ihren Bauch legte und sie nach hinten zog. Leise lachend lag sie auf Rowen’ s Schoß, der sich hin-ter ihr im Schneidersitz hingesetzt hatte. „Guten morgen.“, hauchte er ihr zwischen zwei Küssen ins Ohr. „Wir sind aber früh wach.“, grinste er und betrachtete den vollkommenen, weiblichen Körper, der vor ihm lag. „Daran bist du schuld. Du schnarchst, weil du dich erkältet hast.“, entgegnete sie unverhohlen spöttisch. „Das kann gar nicht sein.“, erwiderte er und nieste kurz darauf. „Gesu…“, begann die Dunkelhaarige. „Verkneif es dir, ich habe mich nicht erkältet.“, behauptete er steif und fest. „Wenn du meinst.“, sie richtete sich wieder auf und entwand sich somit sei-nem Griff, was er als Anlass nahm, um ein wenig zu schmollen. „Bekomme ich denn keinen Kuss von meiner aller-liebsten Begleiterin?“ Sie wandte lächelnd ihren Kopf zu ihm um und strich sich spielerisch das Haar aus dem Ge-sicht. Dann drehte sie sich zu ihm herum und küsste ihn. Zu Rowen’ s Missgefallen löste sie sich jedoch schon wie-der viel zu schnell von ihm. „Besteht die Chance auf mehr?“, hoffnungsvoll sah er sie an, als plötzlich ein Schrei ertönte. Nuima wirbelte herum und sprang auf. Mit einem Satz war sie an der Zimmertür. „Warte!“, rief Rowen und lief ihr, im Bettdeck eingewickelt, hinterher. Er sah gerade noch, wie sie die Treppe hinunter sprang und blieb ste-hen. Keine Chance, dass er sie jetzt noch einholte. Ein leises Räuspern ließ ihn sich umsehen. „Ja, ja. Die Frauen von heute.“, erwiderte ein alter Gentleman mit Ehefrau wissend, die ihm dafür mit der behandschuhten Hand einen Klaps versetzte. Errötend zog der Erzmagier sich wieder in das Zimmer zurück. Nuima hallte der Schrei noch immer in den Ohren. Wieder waren erstickende Schreie zu hören. Im Haus nebenan brach Tumult aus, als sie aus dem Gasthaus lief. Einige Passanten blieben stehen und sahen erschrocken hinauf in den zweiten Stock, in dem eines der Fenster zerbrochen war. Noch während die Dunkelhaarige zu der Eingangstür lief, sah sie den geöffneten Kanaldeckel. Klar, warum war sie da nicht gleich drauf gekommen? „Schließt den De-ckel, macht schon!“, rief sie den Umstehenden zu und riss die Tür auf, um gleich darauf die Treppe hinaufzustür-men. Die Schreie waren verstummt und grauenerregende Geräusche drangen zu ihr durch. Sie lief durch einen Flur im zweiten Stock und riss die letzte der Türen auf der linken Seite auf. Der metallene Gestank von Blut schlug ihr entgegen. Das Wesen hockte auf dem Nachtlager und starrte sie mit seinen großen, gelben Augen an. Es kreischte schrill. „Du bist so was von tot.“, sagte Nuima leise und machte sich auf einen Kampf bereit. Doch anstatt einen Angriff gegen die junge Frau zu starten, sprang der Dämon zum Fenster und verschwand. „Verdammt.“, ohne zu zögern lief die Söldnerin ihm hinterher und sah, wie es knapp über dem Boden seine Flügel ausbreitete und an dem nun geschlossenen Kanaldeckel vorbeizischte. Schon kletterte sie die Hauswand in rasantem Tempo herunter und lief dem Wesen hinterher. Jetzt hatte sie eine reelle Chance es zu erwischen, bevor es wieder in der Kanalisation verschwand, was die Sache eindeutig erschweren, jedoch nicht unmöglich, machen würde. Es flog um eine Haus-ecke in eine der engeren Gassen, während Nuima versuchte, es einzuholen. Sie lief so schnell sie konnte, dennoch schaffte sie es nicht, die Distanz zwischen sich und dem Dämon zu verkürzen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es wieder im Dunkeln der stinkenden Kanalisationen verschwinden würde. Mehrere Leute liefen schreiend weg, als ihnen das unheimliche Wesen begegnete. Einige Händler bauten gerade ihre Stände auf und brachten sich in Sicher-heit. Im Vorbeilaufen schnappte die Dunkelhaarige sich eine der Holzstangen, die ein Tuchdach stützen sollte und holte im geeigneten Moment aus. Die zu einem Speer zweckentfremdete Stange sauste durch die Luft und bohrte sich durch einen der Flügel des Dämons, der just im Moment einen Schlenker gemacht hatte. Er wurde augenblick-lich zu Boden gerissen; ebenso wie Nuima, die in einen der Händler hineinrannte, die sich in Sicherheit bringen wollten und nicht damit rechneten, dass nach dem Dämon noch ein Verfolger kommen würde. „Verflucht!“, rief die junge Frau, die hart auf dem Boden aufgeschlagen war und anschließend feststellen musste, dass der Dämon sich hatte befreien können und verschwunden war. Sie rieb sich die schmerzenden Stellen und ging zu der im Boden steckenden Stange. Es klebte ein wenig Blut daran. Die dünne Spur war bis in eine Sackgasse zu verfolgen, wo ein Gitter neben einer Öffnung im Boden lag. Es hatte es also geschafft. Nun gut, dann würde sie ihm folgen müssen. Das letzte Stück springend, landete sie in der knöchelhohen, stinkenden Brühe. Angewidert schaute Nuima nach unten. Das war ja so widerwärtig. Sie sah sich um und verließ den Ablauf, der in der Mitte eingelassen war. An den Seiten konnte man gefahrlos und trockenen Fußes weitergehen, auch, wenn es ihr jetzt nicht mehr viel nützen würde. Nuima lauschte in die Dunkelheit vor sich hinein. Der Gang vor ihr erstreckte sich röhrenartig fast 40 oder 50 Meter weit. Tropfen platschten irgendwo ins Wasser; es hallte den Gang entlang und hatte etwas Gespenstisches an sich. Wo sollte sie jetzt lang? Waren hier irgendwelche Spuren? Sie zückte ihr Schwert. „Ruin Hathel.“, flüsterte sie. Schon erhellte das flammende Schwert ihre Umgebung. Im selben Augenblick verschwand die Kralle, die ihr die Kehle hatte aufschlitzen wollen und ein schrill kreischendes Fledermausähnliches Dämonenwesen entschwand in einem der nächsten Gänge. Nuima nahm die Verfolgung auf. Schon preschte sie hinterher. Doch wieder war es viel zu schnell. Immer wieder verlor sie seine Spur. Dann gab sie es auf. Hier unten hatte sie gegen die Geschwindigkeit des flinken Dämons keine Chance. Aber sie hatte einen Trick auf Lager. In völliger Dunkelheit ließ sie die Flamme ihres Schwertes verlöschen. Nun war es stockduster und die Söldnerin konnte nur noch alleine ihren Instinkten ver-trauen. Zunächst hörte sie nichts. Der Dämon schien selbst zu lauschen, was jetzt geschehen würde, doch die Dun-kelhaarige rührte sich kein Stück von der Stelle. Würde es zurückkehren? Sie beschloss ein wenig zu warten. Und sie wurde nicht enttäuscht. Leise, kratzende Geräusche auf dem Stein verrieten, dass sich ihr etwas näherte. Kurz war es wieder still. Dann glaubte Nuima, zwei gelbe Punkte auf sich zukommen zu sehen. Sie hörte es schnüffeln – leise, zischende Geräusche. Sie zwang sich dazu ihren Atem zu beruhigen und still zu sein. Das würde es nur zusätz-lich verwirren und dafür sorgen, dass es näher kam. Wieder verstummten alle Geräusche, bis auf das leise Platschen einiger Tropfen, um sie herum. Dann ertönte der kratzende Laut auf einmal neben ihrem Kopf. Sie wirbelte herum und noch während sie mit dem Schwung ihr Schwert schwang, rief sie „Ruin Hathel!“ Der Kopf des Dämons fiel zu Boden; sein Körper folgte ihm. Es zuckte nicht einmal mehr, während sein Blut in den Ablauf rann und sich mit der trüben Pampe vermischte. Der Gestank hier unten war und blieb einfach bestialisch. Sie bückte sich zu dem leblosen Körper und untersuchte den Dämon genauer. Plötzlich hallte ein ohrenbetäubend lautes, markerschütterndes Kreischen durch den Gang, in dem sie sich befand. Es klang wütend und aufgebracht. Nuima sprang auf. Irgendetwas Großes näherte sich ihr. Sie versuchte in der Dun-kelheit vor sich etwas zu erkennen. Und dann tauchte es auf. Es füllte den ganzen Gang aus, während es sich vor-wärts ziehend und schiebend fortbewegte. Eine wesentlich größere Version des Dämons, den sie gerade bezwungen hatte, bahnte sich seinen Weg auf sie zu – das Muttertier schien nicht erfreut über den Verlust eines seiner Jungen zu sein. Die junge Frau packte ihr Schwert fester und stellte sich dem neuen, übermächtig wirkenden Feind. „Na komm schon! Mit dir werde ich auch fertig!“, rief sie und ihre Stimme hallte den Gang entlang. Der Dämon bahnte sich seinen Weg zu ihr und starrte sie mit seinen großen, gelben Augen an. Wieder kreischte es wütend und schnappte nach ihr, als sie in Reichweite gelangte. Nuima schlug mit ihrem Schwert auf die Schnauze ein und bemerkte, dass ihr Gegner immer rasender vor Wut wurde. Immer wieder musste sie zurückspringen, um dem hervorschnellenden Kopf samt zähnebewehrtem Maul auszuweichen. Kurz hatte sie sich darauf konzentriert, wie hinter ihr der Gang verlaufen würde, als die Fangzähne sie auch schon knapp verfehlten und sich dafür in ihren Mantel bohrten. Trium-phierend quietschte das Wesen und schleppte seine Beute den Gang weiter entlang, während die Söldnerin hilflos vor seinem Maul baumelte, halb über den Boden schleifend, gefahrlaufend von den scharfen Krallen aufgerissen zu werden. Einige Meter weiter hörte der Gang plötzlich auf und der Dämon erhob sich in die Lüfte. Sie waren in einer der riesigen Kammern gelandet, in denen die Abwässer zusammenliefen, um einem größeren Abfluss zu folgen. Nuima betete, dass der Stoff ihres Mantels sie halten würde. Der Lichtschein ihres Schwertes erhellte ein wenig die gigantischen Ausmaße der Kammer und ließ sie erahnen, wie viele der Dämonen hier Platz haben könnten. Doch es schienen keine weiteren hier zu sein – leider hatte sie sich getäuscht. Zustimmendes Kreischen ertönte von der De-cke. Flügelschläge machten sich breit. Die Augen der jungen Frau weiteten sich, als sie nach oben blickte und ein Gewirr von Körpern und Gliedmaßen entdeckte. Viele Jungtiere waren hier. Vielleicht dreißig oder vierzig. Ok, es war Zeit sich auszuklinken. Im richtigen Augenblick löste sie ihren Mantel und fiel in einer scharfen Flugkurve des Muttertieres in Richtung Wand, wo sie rechtzeitig eine Leiter zu packen bekam. Diese rutschte sie bis zum Boden hinab, wo sie die Kälte erst richtig wahrnahm, als sie auch schon hörte, dass ihr Verschwinden bemerkt worden war. Wütendes Kreischen näherte sich ihr. Die Jungtiere stürzten sich auf sie. „Na toll. Mama hat Futter mitgebracht.“, murmelte sie und stellte sich kampfbereit auf. Schon schossen sie auf sie zu. Nuima wich den ersten aus und schlitzte ihre Körper im Vorbeifliegen auf. Manche stürzten verletzt, andere erhoben sich erneut in die Lüfte, wenn sie nur leicht angeschlagen waren. Es waren so viele. Die Söldnerin wich ihren An-greifern aus, schlug immer wieder zu, tötete, verletzte und trennte Gliedmaßen ab. Sie umkreisten sie, stürzten sich einer nach dem anderen auf sie. Viele gelbe Punkte, in der dunklen Luft. Lautes Flügelschlagen. Schrilles Kreischen. Doch es ging erst richtig los, als einer von ihnen mit seinen Krallen ihren rechten Oberschenkel aufriss und Nuima vor Schmerz unterdrückt aufschrie. Als der erste Tropfen Blut auf den Boden fiel, wurden sie wahnsinnig. Wie toll jagten sie durch die Kammer und zischten an ihr vorbei. Keine Zeit sich selbst zu heilen. Viel eher die Zeit dazu, ein letztes Gebet loszuschicken. Hier drinnen konnte sie ihre beste Attacke „Gramp il Nuru“ nicht einsetzen. Sie konnte es nicht riskieren. Wer wusste schon, ob die Kammer nicht einstürzen würde? Die Dunkelhaarige schlug um sich und versuchte ihre Widersacher loszuwerden. Dann riss eines der Tiere sie um und sie stürzte zu Boden. Der Dämon war über ihr und fletschte seine Zähne. Es biss ihr in den Arm, den sie schützend über sich gehoben hatte. Wie Na-delstiche bohrten sich die kleinen Reißzähne in ihr Fleisch und kosteten von ihrem Blut. Mit einem lauten Aufschrei durchbohrte Nuima das Wesen mit ihrem Schwert und rollte unter ihm weg, noch bevor es auf sie sacken und sie unter sich begraben konnte. Die Anderen stürzten sich erneut auf sie. Alle Vorsicht außer acht lassend, machte die angeschlagene, junge Frau sich bereit. Sie hob ihr Schwert und brüllte durch die Kammer „Gramp il Nuru!“. Die gleißenden Energieblitze jagten durch die Reihen ihrer Feinde und zerstörten sie. Die Kammer erbebte und erzitterte, doch sie hielt dem Angriff stand. Einige Gesteinsbrocken fielen aus der Decke zusammen mit etwas Staub. Doch leider hatte die junge Frau nicht all ihre Feinde getroffen. Einige krabbelten angeschlagen auf dem Boden rum und labten sich an den Körpern ihrer Geschwister, wieder andere flogen noch immer in der Luft und passten den nächs-ten Augenblick für ihren Angriff ab. Ihre Wunden schmerzten, doch sie versuchte sich auf den Kampf zu konzentrie-ren. In der Kälte zitternd, sah sie zu ihren Feinden. Rückzug kam für sie nicht in Frage. Vor allem waren alle mögli-chen Ausgänge durch Dämonen verwehrt. Was also machen? Kämpfen oder aufgeben? Was für eine Frage. Sie würde niemals in ihrem Leben aufgeben. Das hatte sie noch nie getan und würde es auch nie tun. Sie mobilisierte ihre Kräfte und rannte nach vorne, um auf ihre Gegner loszugehen. Erfreut darüber, dass ihre Beute ihnen entgegen-kam, quietschten sie auf und stürzten erneut auf sie zu. Plötzlich fielen einige Dämonen aus der Luft und krachten tot auf den Boden. Verwirrt schaute Nuima sich um und wurde wiederholt von einem der Angreifer von den Füßen gerissen. Wie schon zuvor hob sie ihren Arm zum Schutz und musste es erneut bereuen. Der Dämon biss fest in ihr Fleisch, sodass man die Knochen darunter knacken hörte. Die junge Frau schrie und schlug ihm, vor Wut und Schmerz schäumend, den Kopf ab. Sie rappelte sich auf und wurde sogleich von dem Muttertier angegriffen, während die Jungtiere sich um etwas anderes zu kümmern schienen. Immer noch fielen sie wie die Eintagsfliegen auf den Boden. Der große Dämon kroch auf sie zu und schlug mit seinen Fledermausartigen Armen nach ihr. Die Söldnerin hatte Anlauf genommen und passte den rechten Moment ab, um sich mit einem kräftigen Stoß in die Lüfte zu begeben und auf ihren Gegner zu springen. Wie von Sinnen kreischte dieser und versuchte sein Anhängsel loszuwerden. Nuima versuchte sich auf dem Rücken zu halten und kletterte wieder bis zum Kopf herauf. Wütend schüttelte der Dämon sich, dann hoben sie mit kräftigen Flügelschlägen vom Boden ab. Die Söldnerin erhob ihr Schwert und hieb damit auf den Schädel ihres Opfers ein. Es knackte laut, doch sie stiegen immer noch weiter, während das Wesen sich vor Schmerzen wand. Ein weiteres Mal traf Metall auf Knochen und letzteres musste nachgeben. Auf einmal ging es mit dem Kopf voran ra-sant abwärts. Dann prallten sie auf dem steinernen Boden auf. Nuima stürzte kopfüber vom Rücken des Tieres und traf ebenfalls ungebremst auf den harten Untergrund. Einen kurzen Augenblick verharrte sie einfach nur daliegend, alles drehte sich. Allmählich kehrte wieder Leben in sie zurück. Langsam richtete sie sich auf und schleppte sich an eine Wand, an die sie sich lehnen konnte. Ihr Blick fiel noch einmal auf den riesigen, toten Dämon, der dort wenige Meter vor ihr lag und kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Japsend und vor Schmerz und Kälte zitternd, lehnte sie sich an das kühle Gestein. Ihre Hiebwaffe fiel klirrend zu Boden als sie mit ihrem Schwertarm den verletzten Arm umfasste, die Augen zusammenkniff und keuchte. Sie spürte, wie ihr Körper schwächer wurde. Was war nur mit ihr los? „Spürst du es?“, brummte eine dunkle Stimme. Erschrocken zuckte Nuima zusammen und riss die Augen auf. Um sie herum standen fünf Gestalten mit Fackeln. „Verdammt, euch kenn ich doch.“, zischte sie und wollte zu ihrem Schwert greifen. Schon war einer der Vermummten bei ihr und hielt ihr einen Dolch an die Kehle. Die Schwäche kroch ihren Arm hinauf und wollte ihren Kopf vernebeln. „Was habt ihr mit mir gemacht?“, brachte sie hervor. „Du wirst gleich schlafen.“, erklärte er mit gedämpfter Stimme. „Was ihr auch vorhabt, es wird euch nicht gelingen. Das kann ich euch versprechen.“, ihre Augen blitzten wild. „Nehmt sie mit.“, sagte die Gestalt und wandte sich ohne weiteres ab. Plötzlich gab es eine Explosion zwischen den Männern, die erschrocken auseinander sprangen. Rauch verschleierte die Sicht und ließ die Vermummten husten. „Los! Nehmt sie und dann weg hier!“, befahl einer von ihnen und die Männer kamen wieder auf die angeschlagene Kämpferin zu, während die anderen nach der Ursache der Unruhe suchten. Plötzlich spürte Nuima, wie sich zwei Arme von hinten um sie schlangen und durch das Gestein der Mauer zogen, noch bevor die Angreifer etwas dagegen unternehmen konnten. Es war still auf der anderen Seite der Wand, während die Dunkelhaarige kurz darauf auf die Knie sackte. Die Arme lagen immer noch warm um ihren Oberkörper. „Hey, was ist passiert? Alles klar bei dir?“, Rowen ging neben ihr auf die Knie und fing sie auf, als sie nach hinten weg sank. „Was machst du denn hier?“, fragte sie ungläubig mit zugleich schmerzverzerrtem Gesicht. „Ich helfe dir. Anscheinend war es bitter nötig.“, sagte er und kam zufällig an ihren verletzten Arm. Sie zuckte zusammen und ließ ein brummiges Knurren ertönen. „Ach quatsch. Ich hatte alles unter Kontrolle.“, die Worte kamen immer schwerer über ihre Lippen, während ihre Sinne weiter schwanden. Um sie herum begann sich alles zu drehen. „Nuima? Was ist mit dir los?“, fragte Rowen besorgt. „Nichts… ich muss nur… kurz schlafen…“, murmelte sie und sank in wattige Dunkelheit hinab. Sanftes Licht dämmerte zu der jungen Kämpferin durch, als sie erwachte. Die Unterlage, auf der sie sich befand, war weich – wahrscheinlich ein Bett. Langsam regte sie sich wieder und knurrte unzufrieden. Die Schmerzen hatten bereits nachgelassen, dennoch waren sie da. Sie spürte den Stoff des Verbandes, der ihren Arm und ihren Ober-schenkel umwickelte. Blinzelnd rollte sie sich auf die Seite. Rowen saß mit dem Rücken zu ihr gewandt am Tisch in ihrem Zimmer und war in ein Buch vertieft. Er schien nicht bemerkt zu haben, dass seine geliebte Nuima wieder aufgewacht war. Die Vorhänge waren vor das Fenster gezogen, anscheinend war es schon wieder dunkel. Die Kerze auf dem Schreibtisch flackerte jedes Mal leicht, wenn Rowen ausatmete. Wie lange hatte sie geschlafen? Die junge Frau gähnte einmal. Warum nur war sie während des Kampfes auf einmal so schwach geworden und dann einfach weggenickt? Wie hatten „sie“ es nur geschafft? Aber eigentlich wirklich wichtig war die Frage, warum sie sie mit-nehmen wollten? Was hatten sie für ein Interesse an ihr? War es wegen Melok? Die Rache dafür, dass sie ihn ver-droschen hatte? Nein, solch niedere Beweggründe waren nicht ausschlaggebend für einen tätlichen Angriff gegen eine Person wie sie es war. Das Netz der Skorpione wollte sich erneut in ihr Leben einmischen. Jetzt hatten sie ver-sucht, sie zu entführen. Es war genug. Hatte es nicht gereicht, dass sie ihr das Gift in ihren Körper injiziert und damit jede Berührung mit einem anderen Menschen unmöglich gemacht hatten? Eigentlich hatte sie sich später um die Assassinen kümmern wollen, doch anscheinend waren sie ihr erneut auf der Fährte. Das war nicht gut, vor allem nicht für Rowen. Zudem hatten sie etwas, dass ihr gehörte. Sie hatte ihr Schwert in der Kammer zurücklassen müs-sen. Jetzt hatten sie es wahrscheinlich. Sie setzte sich leise auf und schaute ihn an. Dann stand Nuima auf, ging zu ihm hinüber und setzte sich auf seinen Schoß. Der junge Erzmagier war erleichtert, als er merkte, dass die Dunkel-haarige aus dem Reich der Träume zu ihm zurückgekehrt war. Sie lehnte sich an seinen Brustkorb und legte ihren Kopf an seine Halsbeuge. Er schlang seine Arme um sie. „Was war da unten los?“, fragte er. „Ich habe die Dämonen erledigt.“, sagte sie. „Die vermummten Gestalten, die dort waren, sahen nicht sehr dämonisch aus.“, hakte er nach. „Ach die. Sie haben nichts zu bedeuten. Wollten nur mal schauen, wie’s mir so geht.“, grinste sie. „Du wirst hoffent-lich verstehen, wenn ich sage, dass ich dir nicht glaube. Sonst hätten sie dir nicht umsonst einen Becher voll ihres Schlafgiftes verpasst.“, Rowen deutete auf das Trinkgefäß, das vor ihm auf dem Tisch stand und bis zum Rand mit einer dunklen Flüssigkeit gefüllt war. Nuima schwieg. „Damit hättest du ungefähr eine Woche schlafen sollen.“, setzte er nach. „Nuima, wer war das? Waren das Kopfgeldjäger?“ Überrascht schaute sie ihn an. „Warum sollten es Kopfgeldjäger sein? Auf mich ist kein Kopfgeld ausgesetzt.“, gab sie zurück. „In manchen Teilen von Richmond schon. Ich habe mich erkundigt.“ Die Dunkelhaarige wurde sauer. Er spürte es, als ihre Körperhaltung sich anspann-te. „Gut, es waren Kopfgeldjäger.“, log sie. Kurze Stille herrschte zwischen ihnen. „Du weißt, dass ich zu dir halte, egal was passiert.“, flüsterte er. Die junge Frau nickte mit niedergeschlagenem Blick. Sie war ihm dankbar dafür, dass er sie vor den Assassinen gerettet hatte. Doch jetzt konnte sie nicht herausfinden, was sie wirklich von ihr woll-ten. Es sei denn… Und in diesem Moment fasste die Söldnerin einen Plan. Wieder schmiegte sie sich an ihn. Rowen nahm sie schließlich auf den Arm und trug sie zum Bett zurück. „Schlaf jetzt ein wenig. Du musst wieder zu Kräften kommen.“, er küsste sie. „Bleib bei mir.“, bat sie. Rowen, der sich schon wieder zum Schreibtisch umgewandt hatte, drehte sich erneut zu ihr. Schließlich pustete er die Kerze aus und legte sich zu ihr. Er bemerkte, wie Nuima näher zu ihm rückte und sich an ihn schmiegte. Sie hatte heute eine Menge durchgemacht. Wer konnte es ihr da verübeln, wenn sie etwas Nähe suchte? Er legte seinen Arm um sie und spürte ihre Wärme, ihren Körper, wie sie lebte und einfach nur bei ihm war. Es tat ihm jedes Mal selber weh, wenn sie verletzt wurde. Doch sie würde nie aufhören zu kämpfen. Niemals. Selbst ihm zuliebe nicht. Bis sie eines Tages im Kampf fallen würde. Aber bis dahin würde er auf sie aufpassen. Die Sonne sickerte sanft durch die Vorhänge und erhellte das Zimmer. Nuima war gerade dabei ihre Wunden verhei-len zu lassen. Seit das Gift des Skorpions aus ihrem Körper heraus war, konnte sie diese praktische Fähigkeit wieder einsetzen. Es ging ihr schon fast wieder richtig gut. Rowen lag schlafend neben ihr. Sie lächelte. Er schnarchte nicht einmal mehr. Anscheinend hatte er sich doch nicht erkältet. Ein Brötchen und eine Tasse frischer Katee, eine Mi-schung aus Kaffee und Tee, standen auf dem Schreibtisch. Sie beobachtete, wie sich der Brustkorb des auf dem Rücken Liegenden leicht hob und senkte. Der Zeitpunkt war gekommen. Mit einem Seufzen setzte die Dunkelhaari-ge sich auf ihn, beugte sich vor und küsste ihn langgezogen. Sie spürte, wie er erwachte und ihren Kuss erwiderte. Seine Hände legten sich wie automatisch um sie und zogen sie noch näher an sich heran. „Guten Morgen.“, hauchte sie zwischen zwei Küssen. „Es ist in der Tat ein guter Morgen.“, lächelte er und seine Küsse wanderten ihren Hals hinab. Leise lachend setzte sie sich auf. „Herr Wirzelbraun, das Frühstück ist angerichtet.“, entgegnete sie gespielt ernst. „Ich glaube, ich fange mit dem Nachtisch an.“, grinste er und zog sie wieder zu sich herunter. „Nachtisch zum Frühstück, wo gibt’s das denn?“, fragte sie neckisch und rollte sich von ihm runter. Schon hatte sie die Tasse Katee in der Hand und reichte sie ihm. „Trink wenigstens deinen Katee aus. Noch ist er warm. Dann überleg ich mir das mit dem Nachtisch noch mal.“, ihr verspieltes Lächeln wurde zu einem schelmischen Grinsen. Rowen sah sie etwas verwirrt an, nahm aber dankend die Tasse. Das Heißgetränk war wirklich noch sehr warm und optimal zum Trinken. Er setzte an und trank die Tasse in wenigen Zügen leer. Ein triumphierendes Schmunzeln hatte sich auf die Züge der Söldnerin gelegt. „Brav.“, sie nahm ihm die Tasse aus den Händen und stellte sie auf den Tisch zurück. Nuima setzte sich wieder auf ihn und forderte ihn mit ihren Küssen heraus. „Weißt du, Liebster, ich werde verreisen.“, wisperte sie in sein Ohr, woraufhin er aufmerksam wurde. „Wohin?“, fragte er und sah sie an. Die Dunkelhaarige hörte auf ihn zu bearbeiten und sah ihm tief in die Augen. „Nach Bakaresh. Noch heute. Und du wirst hier bleiben.“ Rowen stützte sich auf seine Ellbogen und schaute sie verwirrt an. „Nein.“, sagte er. Doch die junge Frau sah bereits, wie er gegen die Müdigkeit ankämpfte. „Wenn ich wieder da bin, werden wir da weitermachen, wo wir aufgehört haben.“, grinste sie und küsste ihn erneut. Der junge Erzmagier sank in die Kissen zurück. „Was hast du getan?“, fragte er müde. „Bedank dich bei den Assassinen, die mir das Schlafmittel verpasst haben.“, sie merkte, wie er immer weni-ger fähig war, wach zu bleiben. Seine Lider senkten sich herab und noch bevor er vollkommen wegnicken konnte, flüsterte sie ihm ins Ohr. „Hab süße Träume.“ Ein wenig plagte sie schon das schlechte Gewissen, als sie mit Alagos am nächsten Morgen früh eines der Schiffe betrat, mit dem sie den großen Strom hinabfahren würden, um tief in das Land vorzudringen. Dann erwartete sie noch ein längerer Ritt durch die Wüste. Den Wirt hatte sie für eine Woche bezahlt. So lange würde Rowen unbehel-ligt schlafen können. Es war besser für ihn. Auch wenn sie ihn jetzt schon vermisste. Hoffentlich würde er ihr auch dies verzeihen. Die Seereise dauerte einen ganzen Tag. Viele hunderte Meilen legten sie an diesem Tag zurück und liefen schließ-lich im Hafen von Benec al Shurm ein. Es war das „Seetor“ zum Wüstenstaat Varant, dem auch Bakaresh angehörte. Die Temperaturen hatten sich während der Fahrt immer weiter erhöht. Jetzt lagen sie bei über 40 Grad. Nuima schwitzte und legte ihren leichten Reisemantel um, damit sie sich in der Sonne nicht die Haut verbrenne würde. Alagos hinter sich herführend, gingen sie die Landungsplanke hinab und verschwanden im allgemeinen Menschen-getümmel. Sie musste mit ihm nur bis nach Salmek kommen. Von da an würde sie auf einem Kamel weiterreisen. Erstens, weil sie ihr Pferd nicht länger den gnadenlosen Sonnenstrahlen aussetzen wollte und zweitens, weil es zu auffallend wäre, wenn sie mit ihm in der Stadt einreisen würde. Jeder kannte den stolzen Rappen, der die Söldnerin Nuima Mornedhel von Ort zu Ort brachte. Sie wäre sofort entdeckt. Und sie wollte das Überraschungsmoment nut-zen, so gut sie konnte. Wenn die Assassinen schon mit ihr rechneten, konnte es nicht schaden, wenn sie sie trotzdem etwas an der Nase herumführte. Der Ritt war hart und gnadenlos. Die Sonne brannte auf sie nieder und zehrte an ihren Wasservorräten. Die Wüste war so unendlich weit und die Luft flimmerte vor ihren Augen. Kein Lebewesen schien hier zu sein und kein Luft-zug rührte sich. Sich den Schweiß von der heißen Stirn wischend, ritten sie über eine weitere Düne. Nuima hatte die Kapuze tief bis über die Augen gezogen und sah nur gelegentlich auf, um die Umgebung abzusuchen. Ihr Mund war trocken und sie schluckte einmal hart. Ihre Gedanken kreisten um Rowen, der im kalten Norden war und schlief. Wie gerne wäre sie jetzt bei ihm gewesen. Wenige Meter von ihr entfernt, zogen einige schwarze Sandwale durch die Dünen. Immer wieder tauchten sie in den heißen Sand ein, um kurz darauf wieder an der Oberfläche aufzutau-chen. Sie stellten keine Gefahr für die Reisende dar. Es waren friedliebende Tiere, die bei Gefahr in den Tiefen der Wüste verschwanden. Nuima leckte sich einmal mehr über die trockenen Lippen. Dann öffnete sie den Wasserbeutel und nahm einen kleinen Schluck. Viel war nicht mehr übrig. Hoffentlich würde sie Salmek bald erreichen. Das Kamel grölte einmal, als es einen Klaps mit dem Stock auf den Hintern erhielt, und trabte erschrocken los. Der Beduine in seinem weißen Gewand schloss sich dem Strom von fahrenden Händlern an, die alle auf die Wüstenstadt Bakaresh zuhielten. Von seinem Gesicht sah man nur die dunklen Augen, die sich prüfend umsahen. Schon bald erreichten sie die hohen Mauern, die die Häuser, Kirchen und Türme von Bakaresh umgaben. Nuima schaute sich flüchtig um. Sie wusste, dass sie hier waren. Ihr Schwert spürte sie auch. Sie hatten es also doch mitgenommen. Ein weiteres Lockmittel. Ob sie schon von ihrer Anwesenheit wussten? Die Assassinen waren gut. Extrem gut. Sie ver-standen es, sich zu tarnen und aus dem Hinterhalt zuzuschlagen. Sie waren wie Geister. Wenn man Pech hatte, be-kam man nicht einmal mit, dass man angegriffen wurde. Erst, wenn die Lichter ausgingen und man sich über das Stechen im Rücken wunderte, konnte man sichergehen, dass es vorbei war. Deshalb musste die junge Kriegerin besonders acht geben. Im Flimmern der Mittagssonne war es schwerer, nach ihnen Ausschau zu halten. Es war einen Tag her, seitdem sie Salmek erreicht hatte. Und dennoch hatte sie sich noch immer nicht so recht an die heißen Temperaturen gewöhnen können. Sie hielt auf den großen Marktplatz zu, auf dem reges Treiben herrschte. Wahr-scheinlich würde sie dort eher fündig werden können, wenn sie die Augen genügend offen hielt. Zwei Augenpaare sahen durch Ferngläser hoch oben vom Turm herab auf den Markplatz, auf dem reges Treiben herrschte. Es war heiß, wie jeden Tag in Bakaresh – mal mehr, mal weniger unerträglich. Doch das störte die beiden Assassinen nicht. Sie waren in ihre typisch hellbraunen Kutten gehüllt und beobachteten das Geschehen. „Meinst du wirklich, dass sie auftauchen wird?“, fragte der eine. „Glaub mir, sie wird kommen. Vielleicht nicht heute, vielleicht auch nicht morgen. Aber kommen wird sie, Melok.“ Der Jüngere grinste zufrieden. Sein ehemaliger Ausbilder beo-bachtete ihn kurz wachsam. „Denk dran, was der Orden gesagt hat. Sie soll leben.“, Rasul wusste, dass sein Schüler noch eine Rechnung mit der dunkelhaarigen Kämpferin offen hatte. Sie hatten ihn ja nicht umsonst aus dem Gefäng-nis freikaufen müssen, wo er zusammengeschlagen auf einer Matratze gelegen hatte. „Ja.“, knurrte Melok und ließ seinen Blick weiter über den Marktplatz wandern. Er spürte den Dolch, der an seiner Hüfte befestigt war und freute sich darauf, ihn mit dem Blut dieser Hexe benetzen zu dürfen. Was für ein triumphierendes Gefühl würde es sein, durch ihr Fleisch zu schneiden und sie leiden zu sehen. Hoffentlich würde er sie zuerst finden. Wenn ein anderer sie vor ihm entdeckte, konnte er nicht mehr seine Rache nehmen. Ein komisches Gefühl machte sich in ihm breit. Viele Assassinen waren wieder nach Bakaresh zurückgerufen worden, nachdem klar war, dass eine Frau wie Nuima Mor-nedhel sich auf den Weg hierher machen würde. Ob sie Angst hatten? Nein. Nur die junge Söldnerin würde die Stadt auf den Kopf stellen, um sie zu finden und deshalb mussten sie ihr zuvorkommen, um das Geheimnis des Ordens zu bewahren. Meloks Blick fiel auf einen Beduinen im weißen Gewand und dunklen Augen, der ziellos über den Marktplatz zu reiten schien und sich immer wieder umsah. Es waren mehr unauffälligen Bewegungen und Gesten, doch der junge Assassine wusste sie genau zu deuten. Als Rasul erneut zu seinem Schüler sah, war dieser ver-schwunden. „Verdammt.“, sein Blick schweifte über den Marktplatz. Auch er sah den weiß gekleideten Beduinen und vermutete sofort, was Melok schon wusste und verließ ebenfalls seinen Posten. Der junge Assassine zog die Kapuze bis über die Augen und drängte sich durch die Massen. Wo waren das Kamel und sein Reiter nur hin verschwunden? Unauffällig blickte er sich um. Hoffentlich kamen ihm die anderen nicht zuvor. Er sah den Beduinen in einer der Seitengassen verschwinden. Mit schnellen Schritten bahnte er sich einen Weg durch die Menschen und folgte ihm. Nach einigen Abzweigen in einem ruhigeren Stadtteil holte er auf. Der Reiter stieg von seinem Kamel ab und band es an einem dafür vorgesehenen Metallring an einer Hauswand fest. Anscheinend wollte sie es sich in einem Hotel gemütlich machen. Melok ballte vor freudiger Erregung seine Fäuste und marschierte auf den Beduinen zu. Wie sie wohl reagieren würde? „Hey, Nuima.“, sagte er laut und ließ seine Faust in das Gesicht des Reiters krachen, als dieser sich umdrehte. Taumelnd ging er zu Boden. „Willkommen in Bakaresh.“, grinste der junge Assassine triumphierend und rieb sich die Hand. Dann zog er den Turban vom Kopf des Beduinen. Nuima gähnte einmal. Bakaresh war eine Stadt wie jede andere. Auch wenn die Häuser gänzlich anders aussahen. Ihr Kamel brummte unzufrieden, als es sich durch die Massen der Menschen auf dem Marktplatz drängte. Vor ihr schob sich ein Vermummter vorbei und verschwand in einer der Seitengassen. „Wir haben’s aber eilig.“, kommen-tierte die Dunkelhaarige leise murmelnd und sah sich weiter um. Wo konnten sie nur sein? Ihr Blick fiel auf einen hohen Turm, der den Marktplatz überragte. Von dort aus hatte man wahrscheinlich eine perfekte Aussicht auf das Geschehen hier unten. Doch er schien unbesetzt zu sein. Nuima dirigierte ihr Kamel an einen Stand, wo bereits meh-rere Kamele lagen und ließ es sich herabsenken. Dann stieg sie ab und band es fest. Das Reittier senkte seinen Kopf in einen Trog, der vor ihm stand und begann das Wasser auszutrinken. Einige Beamte der Miliz gingen an ihr vorbei und beobachteten das rege Treiben. Ob sie überhaupt jemals etwas von dem Netz der Skorpione mitbekamen? Rasul tauchte hinter Melok in der kleinen Gasse auf und war schon drauf und dran seinen ehemaligen Schüler vor einem Fehler zu bewahren. Doch der junge Mann stand einfach nur da und starrte auf die am Boden liegende Ges-talt. Leise fing er an zu lachen und wandte sich Rasul zu. „Sie ist es nicht.“, und deutete auf den Mann, den er kurz zuvor niedergeschlagen hatte. „Du hast viel zu vorschnell gehandelt, Melok. Was, wenn sie uns beobachtet hat und uns mit diesem Trick aus der Reserve locken wollte?“, herrschte der Ältere ihn an. Das Lachen des Dunkelhaarigen verstummte. „Entschuldige, es wird nicht wieder vorkommen.“ Nuima füllte ihren Wasserbeutel auf und nahm sogleich einige Schlucke, wobei sie darauf achtete, nicht zu viel von ihrem Gesicht zu zeigen. Wer wusste schon, wer sie so alles beobachtete? Es würde ein interessantes Katz-und-Maus-Spiel werden, das war ihr bewusst. Wer würde wen zuerst entdecken? Wie würde die jeweils andere Seite reagieren, wenn es soweit war? Ein leichtes Kribbeln durchzog ihren Körper und pumpte das nötige Adrenalin in ihre Venen, das sie aufmerksam genug machte, um alles im Blick zu behalten. Sie sah, wie zwei der Vermummten wieder aus der Gasse herauskamen, in der zuvor einer von ihnen verschwunden war. Interessant, schoss der jungen Frau durch den Kopf und folgte den Beiden unauffällig – nicht wissend, dass sie längst beobachtet wurde. Ihre Augen fixierten die beiden Gestalten vor sich. Wo wollten sie wohl hin? Würden sie sie zu ihrem Versteck führen? Wahrscheinlich war das zu einfach. Sie würden kaum so leichtfertig vor ihr herschlendern, wenn sie nicht noch etwas vorhatten. Was haben sie wohl vor? Nuima überlegte. War es eine Falle? Sie musste vorsichtig sein, aber war sie den Beiden nicht schon zu achtlos gefolgt? Ihr Blick fiel auf eines der umstehenden Häuser. Da stand jemand halb verdeckt. Dennoch sah sie ihn, auch wenn er nicht einfach zu entdecken war. Sie ließ sich nichts anmerken. Was würden sie tun? Wussten die Beiden vor ihr schon von ihrer Anwesenheit? So langsam war sich die Dunkelhaa-rige nicht mehr sicher, ob sie das Richtige tat. Sollte sie sich besser zurückziehen? Ihre Schritte stoppten. Sie war sich von Anfang an bewusst gewesen, dass sie sich hier auf gefährlichem Pflaster befand. Dennoch wollte sie das Risiko eingehen – endlich mehr über den Orden erfahren. Sie blickte wieder auf und merkte, dass die beiden Ver-mummten schon ein gutes Stück weitergegangen waren. Nuima folgte ihnen und versuchte, sie nicht aus den Augen zu lassen. Die Gestalten verschwanden in einer Gasse. Kurz darauf folgte auch sie. Zunächst schaute sie unauffällig in die schmale Gasse, wo die Beiden immer noch gingen. Dann bog auch sie vom Hauptweg ab und schlenderte unauffällig hinterher. Wieder bogen sie ab und die Söldnerin folgte ihnen. Leer. Die Gasse war leer. Abrupt hielt die Dunkelhaarige an und sah sich um. Verdammt, das roch nach einer Falle. Es roch nicht, es stank. Und zwar gewaltig. Vor ihr erschien einer der beiden Männer. „Willkommen in Bakaresh, Mrs Mornedhel.“, sagte er. Nuima zuckte zusammen. Verdammt. Sie war aufgeflogen. „Hat es Euch etwa die Spra-che verschlagen?“, sie konnte sein Grinsen förmlich spüren. Er verspottete sie. Versuchte er gar sie von etwas abzu-lenken? Die Söldnerin wirbelte herum und fing den Faustschlag ab, der sie hatte treffen sollen. „Ihr wollt kämpfen? Könnt ihr haben!“, fluchte sie und schlug zurück. Doch der geschickte Angreifer wich ihr aus und ging wieder auf Abstand. „Ich will nur zwei Dinge.“, erklärte sie. „Und das wäre?“, fragte der Erste wieder. „Mein Schwert, und, dass ihr euch aus meinem Leben raushaltet.“ „Das geht nicht.“, erklärte er und der Zweite ging wieder in Angriffs-position. Sie machte sich bereit. Doch anstatt sofort loszulegen, zog er seine Kapuze vom Kopf. Sie tat es ihm gleich und ihr schwarzes Haar legte sich auf ihren Rücken. „Was machst du denn?“, zischte ihm der Andere zu. „Hallo Melok. Lange nicht gesehen. Gut siehst du wieder aus.“, grinste Nuima und beobachtete das freudige Blitzen in den Augen des jungen Assassinen. „Endlich ist der Tag meiner Rache gekommen.“, lächelte er bitterböse. „Freu dich nicht zu früh.“, sie ging auf ihn los. Der Schwarzhaarige stellte sich ihr und wehrte ihre Angriffe ab. Sie war stark und gut. Er durfte sie nicht unterschätzen. Das hatte ihm letztes Mal fast eine Gefängnisstrafe und jede Menge Prel-lungen eingebrockt. Er wirbelte herum und versuchte sie mit einem Tritt zu Fall zu bringen. Sie wich aus und stürzte sich erneut auf ihn. Der zweite Mann stand da und sah ihnen zu. Rasul würde eingreifen, wenn es nötig war. Jetzt erstmal sollte der Jüngere seinen Dampf ablassen. Solange er das Ziel dabei nicht tötete oder sie entkam, war alles in Ordnung. Gleichzeitig konnte er sie so gut analysieren. Ihr Stil war gut, ohne Zweifel. Sie war gnadenlos. Das hatte er schon einmal mitbekommen. Als einige Kämpfer von dem Auftrag zurückgekehrt waren, die junge Frau mit dem Gift zu versehen. Nicht alle waren wiedergekommen. Und diejenigen, die es taten, hatten Wunden von Schwert und Faust. Just im Moment kassierte Melok einen Faustschlag ins Gesicht und knallte fast zeitgleich mit dem Hinterkopf gegen die Wand. Nuima schaute noch einmal zu Rasul und wischte sich das Blut von ihrer aufgeplatzten Lippe. Was würde er jetzt tun? Der junge Assassine war benommen zu Boden gesunken und hielt sich seine Nase, die stark blu-tete und wahrscheinlich gebrochen war. Der andere Kämpfer ging auf sie zu. „Er ist noch jung und unerfahren. Warum versuchst du es nicht mit mir?“, brummte er. „Gerne.“, entgegnete die Dunkelhaarige hitzig und stellte sich auf den neuen Kampfpartner ein. Ihr war so unheimlich warm und sie schwitzte. Wäre es doch nicht so tierisch heiß. Letztendlich würden die beiden Kämpfer den längeren Atem haben, auch wenn ihre Ausdauer gut war. Doch diese Temperaturen war sie einfach nicht ge-wohnt. Rasul ging auf sie los. Er war unglaublich schnell. Noch flinker als Melok und verlangte der jungen Frau alles ab. Sie wehrte sich, so gut sie konnte und fing einige seiner Schläge ab. Immer weiter drängte er sie zurück. Auch seine Verteidigung war sehr gut. Sie sah seinen festen Blick, den Willen eines Kriegers und die Ruhe eines Assassinen. Haarscharf flog seine Faust an ihrem Gesicht vorbei, als sie kurz darauf einen Satz nach hinten machte. Schon war er wieder bei ihr und packte sie, um ihr eine Kopfnuss zu verpassen. Nuima wankte zurück. Alles drehte sich. Sie bemerkte, wie Rasul wieder auf sie zukam. Doch schon wurde sie von hinten umklammert, sodass sie ihre Arme nicht mehr bewegen konnte. Sie hatte Melok vergessen. Aber die junge Kämpferin kannte noch einige Tricks. So stützte sie sich bei ihrem Widersacher ab, lief die Wand hinauf, sodass er sie loslassen musste und landete hinter ihm. Im selben Augenblick verpasste sie ihm einen Tritt, der ihn und den anderen Kämpfer zusammenkrachen ließ. Kampflustig sahen die beiden Männer sie an. „Melok, warum stellst du mir nicht deinen netten Freund vor?“, grinste Nuima und wischte erneut mit ihrem Handrücken über ihre aufgeplatzte Lippe. Sie versuchte etwas Zeit zu gewin-nen. Die Hitze setzte ihr zusehends zu. Die beiden Männer reagierten nicht auf die Frage, sondern rannten wieder auf sie zu. Nun musste die Dunkelhaarige doppelt so vielen Schlägen und Tritten ausweichen, wie noch zuvor. Sie wusste längst, dass mehr Assassinen ge-kommen waren, um ihren Kampf und deren Ausgang zu beobachten. Noch zeigten sie sich nicht, aber sie würden eingreifen, würde sie gewinnen. Ihr Schädel dröhnte noch immer von der Kopfnuss des älteren Kriegers. Sie musste durchhalten. Rasul ließ wieder Melok den Vortritt und hielt sich etwas im Hintergrund. Doch schon machte der Jüngere einen unvorsichtigen Schritt, Nuima packte ihn am Kragen und schleuderte ihn zur Seite, um gleich darauf Rasul einen Tritt gegen den Brustkorb zu verpassen, der ihn zurückfliegen ließ. Die junge Frau holte neuen Atem. Gleich würde es weitergehen. Entkommen würde sie ihnen nicht, aber sie würde sie verdreschen, dass es sich gewa-schen hätte. So einfach bekamen sie sie nicht. Rasul stand wieder auf und hielt sich die schmerzende Stelle an sei-nem Brustkorb, wo sie ihn getroffen hatte. Er hatte zunächst noch Probleme beim Luft holen. Nuima stürzte sich auf ihn und verpasste ihm weitere Schläge. Der Assassine wehrte sie wieder ab, konnte aber nicht verhindern, dass sie ihn wieder an derselben Stelle mit ihren Fäusten traf. Er machte einige wankende Schritte zurück, um atmen zu kön-nen. Sie widmete sich wieder Melok, der förmlich angeflogen kam. Sie wich ihm aus und ging gleich wieder zum Angriff über. Doch schon flog ihr sein Dolch entgegen, der sich in ihre Kutte und in die Wand dahinter bohrte. Sie saß fest. Schon kam er auf sie zugerannt. Nuima öffnete rechtzeitig den Verschluss und glitt hinaus, noch bevor er sie erreichen konnte. Jetzt brannte die Sonne knallhart auf sie nieder. Es war so unmenschlich heiß. Rasul brachte auch sich wieder in Kampfstellung und war fest entschlossen, nicht zu verlieren. Die Söldnerin wurde von beiden Seiten gleichzeitig angegriffen. Schnelle Abwehr, dann austeilen. Wieder musste sie einstecken, als ein Tritt Rasuls sie traf und gegen Melok schleudert, der sie sogleich zu Boden rang. Wie eine wilde Löwin kämpfend, wehrte sie sich gegen seinen festen Griff und konnte ihn von sich bewegen. Gerade richtete sie sich auf, als ein flinker Schatten auf sie zugeflogen kam und Rasuls Faust in ihr Gesicht krachte. Augenblicklich gingen alle Lichter aus und sie ging zu Boden, wo sie ohnmächtig liegen blieb. „Verdammte Hexe.“, fluchte Melok leise und spuckte etwas Blut auf den staubigen Boden. Schon wieder verloren. Es war das erste, an das Nuima dachte, als sie wieder wach wurde. Aber was hatte sie sich auch dabei gedacht, was sonst passieren würde, wenn sie einfach in die Hochburg der Assassinen marschieren wür-de? Dass sie sie freundlich zu einer Tasse Tee einluden, ihren Bedingungen zustimmten und sie anschließend mit einem Amen wieder gehen lassen würden? Sie schluckte einmal trocken und schmeckte ihr eigenes Blut. Diese Kopfschmerzen – ihr Schädel dröhnte, als wäre er unter eine Horde Trolle bei ihrer alljährlichen Wanderung geraten. Übelkeit machte sich in ihr breit. Langsam kehrte ihr Gefühl für ihren Körper wieder zurück. Sie erinnerte sich dar-an, dass Rasul sie niedergeschlagen hatte. Die Dunkelhaarige versuchte sich auf ihre Umgebung zu konzentrieren. Wo war sie? Langsam öffnete sie die Augen und richtete ihren Kopf auf, der bis dahin von hinten durch die hohe Lehne gestützt worden war. Alles drehte sich und ihr wurde noch schlechter. Zumindest wusste sie jetzt, dass sie an einen Stuhl gefesselt in irgendeinem dunklen Raum saß. Nur durch den Eingang, der keine Tür besaß, fiel etwas Licht herein. Das Karussell, in dem sie sich gerade befand, drehte sich etwas langsamer. Sie spürte die Fesseln an ihren Armen und Beinen, die ihr fast das Blut abschnürten. Wo war sie nur? Hoffentlich würde sie jetzt erfahren, was das Netz der Skorpione mit ihr vorhatte. Das Blut an ihrer Lippe war getrocknet. Ihr Körper schmerzte. Sie versuchte ihre Hände so zu drehen, dass die Handflächen sich berührten. Doch da jeder ihrer Arme an ein Stuhlbein gefesselt war, gestaltete sich dies als äußerst schwierig. Sie hielt inne, als sie den Dolch an ihrer Kehle spürte. „Wir haben den Befehl, dir die Hände abzuhacken, falls du vorhast dich selber zu heilen. Also lass es besser.“, hörte sie die Stimme einer Frau an ihrem Ohr. Ihre Stimme war kalt und voller Abscheu. „Was wollt ihr von mir?“, fragte sie, als das scharfe Metall wieder verschwunden war. „Du warst doch so dämlich hier aufzutauchen. Sag du es mir.“ „Verdammt, ihr mischt euch doch ständig in mein Leben ein und außerdem habt ihr etwas, was mir gehört.“, fauchte Nuima aufgebracht. „Meint Ihr etwa das hier?“, fragte eine dunkle Stimme von der Tür her. Die junge Frau sah ihr Schwert in dem Halbdunkel glänzen. „Gebt es mir zurück!“, forderte sie lautstark und wehrte sich gegen ihre Fes-seln. Wütend starrte sie die Gestalt an, die es prüfend in ihrer Hand wog und es einmal kreisen ließ. „Schöne Klinge, gut zu handhaben. Und dennoch völlig nutzlos.“ Nuima hielt inne in ihren Bemühungen sich loszureißen. Ein Grin-sen legte sich auf ihre Züge. „Jedes Schwert sucht sich seinen Meister. Nicht umgekehrt.“ „Wir werden es wohl einschmelzen müssen.“, erklärte er. „Wagt es…“, drohend erhob die junge Frau ihre Stimme. Zorn keimte in ihr auf. „Aber vielleicht sollte ich Euch vorher damit Euren hübschen Kopf abschlagen?“, fragte er und ging zu ihr. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, da es im Dunkeln seiner Kapuze lag. „Wozu dann all die Mühe?“, lächelte sie selbstsicher und schaute dorthin, wo sie die Augen ihres Feindes vermutete. Ihre Miene gefror, als der Mann mit der Schwertspitze an ihrer Kehle entlang strich. „Ihr habt Recht. Doch beantwortet mir eine Frage. Wie habt Ihr es ge-schafft, das Gift des Skorpionen loszuwerden?“ „Ich hatte Hilfe, zugegeben. Aber auch ihr werdet keine Chance gegen die Hexen von Sankh Honorfor haben.“ Die Klinge verschwand. „Natürlich. Die Hexen.“, flüsterte er, als wäre es ihm eben selber eingefallen. „Nun beantwortet ihr mir eine Frage. Was wollt ihr von mir?“, forderte sie. „Alles zu seiner Zeit. Doch jetzt entschuldigt uns.“ Er drehte sich um und zwei weitere Gestalten, die bis dahin hin-ter Nuima gewesen waren, folgten ihm. „Hey! Bleibt gefälligst hier und beantwortet meine Frage!“, rief die Kämpfe-rin aufgebracht. Doch die Schritte ihrer Bewacher verklangen. Wieder riss sie an ihren Fesseln, die ihre Haut auf-scheuerten. „Verdammt!“, fluchte sie. Stunden vergingen, nichts rührte sich. Die junge Kriegerin war wütend. Was sollte das ganze Theater denn? Immer wieder hatte sie versucht sich von ihren Fesseln zu befreien. Vergebens. Sie scheuerte sich lediglich ihre Handgelen-ke blutig. Ihre Kopfschmerzen ließen allmählich nach – oder sie gewöhnte sich einfach daran. Eine der Gestalten erschien wieder im Türrahmen. Sie hielt etwas in einer Hand und näherte sich der Dunkelhaarigen. Aufmerksam sah sie ihm entgegen. Sie hörte, wie ein Wasserbeutel geöffnet wurde. Nuima, deren Kehle vor Durst brannte, hatte schwer mit sich zu kämpfen, das Angebot nicht doch anzunehmen. Sie drehte ihren Kopf weg. „Lassen wir die Förmlichkeiten. Mach mich los.“, forderte sie. „Stur wie immer.“, entgegnete Rasul. „Du solltest wirklich etwas trinken. Sonst machst du bald schlapp.“, erklärte er. „Dann sag mir, was ihr von mir wollt.“, verlangte die Jüngere. „Das geht nicht. Befehl von oben.“ „Natürlich.“, entgegnete sie leise. Ein wenig wandte sie ihm den Kopf zu. „Wollt ihr mich vergiften?“ Rasul lachte belustigt. „Nein. Wenn wir dich hätten töten wollen, hätten wir es längst getan. Also, was ist jetzt?“, er hielt ihr noch einmal des Wasserbeutel hin. „Vergisst du jetzt einmal deinen Stolz und trinkst etwas?“ Nuima seufzte genervt. „Also schön.“ Seitdem Rasul verschwunden war, waren wieder einige Stunden vergangen, in denen sich nichts getan hatte. Was ging hier bloß vor? Was in Dreiteufelsnamen wollten sie von ihr? Die Dunkelhaarige war verwirrt. Auf dem Gang wurde eine Fackel entzündet. Sanft sickerte das Licht herein, ließ sie jedoch immer noch im Dunkeln. Es war wohl bereits Nacht geworden. Verdammt, wie kam sie hier nur raus? Die Fesseln saßen fest, wie zu beginn und hatten bereits in ihr Fleisch geschnitten. Das Adrenalin pumpte nicht mehr durch ihre Adern und so begann sie allmählich müde zu werden. Dennoch war an Einschlafen lange noch nicht zu denken. Hier auf feindlichem Gebiet sollte sie wachsam sein. „Einen wunderschönen guten Abend.“, sagte eine dunkle, lauernde Stimme. Nuima sah auf. Ein schlanker Mann mit fahler Haut stand am Eingang und sah zu ihr hinüber. Normalerweise dürfte er sie in dem Dunkel gar nicht sehen. Sein langes Haar fiel ihm auf den Rücken. Aber am Außergewöhnlichsten war wohl seine Kleidung, die so gar nicht in diese Zeitepoche zu passen schien. „Ihr seid keiner von denen.“, erwiderte die junge Frau und beobachtete ihn. „Nein, das ist wohl war. Ich bin ihr Gefangener schon seit langer Zeit.“ „Wie kommt es dann, dass ihr hier frei her-umspaziert?“, fragte sie. „Ich bin nicht so frei, wie ihr denkt. Wäre ich es, wäre ich längst nicht mehr hier.“, erwider-te er und deutete auf ein kleines, rundes Metallteil, das an seinem Hals zu kleben schien. „Es hat sich in meinen Hals gebohrt. Wenn ich versuche zu fliehen, schneidet es mir den Kopf ab. Und dann stecken sie mich wieder in die Zel-le. Das tun sie immer, wenn sie mich bestrafen.“, sein Blick verdüsterte sich. „Aber sie haben nicht gesagt, dass ich kein Blut saugen darf.“, er grinste. Die Dunkelhaarige verstand; er war ein Vampir, ein verdammter Blutsauger, der ihren Lebenssaft kosten wollte. „Ich warne dich, wenn ich hier rauskomme, mach ich dich kalt. Rühr mich ja nicht an!“, ihre Stimme wurde lauter. Ein Flimmern in der Luft, dann stand er hinter ihr. „Pscht. Wir wollen doch nicht, dass sie uns hören.“, und legte seine kalte Hand auf ihren Mund. Nuima ruckelte an ihren Fesseln und versuchte sich zu befreien. Noch nie hatte sie sich so hilflos gefühlt. Sie spürte, wie er mit der anderen Hand ihr Haar aus dem Nacken strich. Ihr Puls beschleunigte sich vor Wut und unfassbarem Hass. Wieso konnte ihr jetzt, gerade jetzt, kei-ner helfen? Schon spürte sie seine Zähne an ihrer Halsschlagader. Dann kam der Schmerz. Es war fast so schlimm, wie damals mit Loki, der seine Hauer in ihre Halsbeuge geschlagen hatte. Die Söldnerin kniff die Augen zusammen. Sie spürte wie ihr Blut lief und er es gierig trank, spürte, wie er immer mehr verlangte, spürte, wie ihr Körper ver-suchte sich zu wehren. Ihr Kreislauf würde versagen. Vielleicht würde er sie töten, wenn er nicht genug kriegen konnte. Er ließ seine Hand, die er zuvor auf ihren Mund gepresst hatte, nach einer Weile langsam sinken. Er wusste, sie hatte nicht mehr die Kraft, um zu schreien. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, versuchte den Verlust des Blutes auszugleichen. Wann war es vorüber? Ihre Sinne schwanden. Seine Hand legte sich in ihren Nacken und stützte ihren Kopf, als dieser nach hinten wegsacken wollte. Nuima konnte es nicht verhindern, dass ihr schwarz vor Augen wurde. Als sie kurz wieder zu sich kam, war ein Mordslärm losgebrochen. Schemenhafte Gestalten. Sie hörte Stimmen. Seine Zähne waren nicht mehr in ihrem Hals. „Warum konntet ihr nicht einfach auf ihn aufpassen?“, hörte sie einen Mann rufen. Jemand kam zu ihr und lehnte ihren Kopf auf die andere Seite. Sie spürte, wie eine Hand auf die Wunde gelegt wurde und sie zudrückte. Blut war zuvor ihren Hals hinab gelaufen. Ein Enthaupteter lag neben ihr auf dem Boden. „Sie lebt noch.“, stellte der Mann bei ihr fest, bevor sie erneut ohnmächtig wurde. Warum passierte ihr so etwas eigentlich ständig? Nuima wurde langsam wieder wach und merkte gleich, dass ir-gendetwas anders war. Sie war nicht mehr an diesen Stuhl gefesselt, sondern lag auf einem spartanischen Lager in einer kleinen Zelle. Ihre Handgelenke waren von Metallschellen umschlossen. Ebenso wie ihre Füße, die jedoch mit einer Kette an der Wand befestigt waren. Die junge Frau drehte sich auf die Seite. Ihrem Kreislauf ging es besser, als zunächst angenommen. „Sie haben dir eine Bluttransfusion gegeben.“, ertönte eine Stimme neben ihr. Sie sah auf. In der Zelle, die mit Gitterstreben von der ihren abgetrennt war, saß der Vampir. Auch er war angekettet und sah nicht besonders gesund aus. Er vertrug es wohl nicht so gut, wenn man ihm seinen Kopf abriss. „Du.“, zischte sie leise. „Beruhig dich, ich habe meine Strafe erhalten.“, seine Stimme klang kalt und hohl, wie schon zuvor. Seine Wangen waren eingefallen, die Haut war aschfahl. „Aber nicht von mir.“, Nuima setzte sich auf und lehnte sich an die Wand. Sie spürte den Verband, der um ihren Hals lag. Er beobachtete, wie sie ihn herunterzerrte und ihre Hand auf die geschwollene Wunde legte. Der Duft ihres süßen Blutes sickerte kurz zu ihm herüber und brachte ihn fast um den Verstand. Es setzte ein Leuchten ein und er schirmte seine Augen ab. Kurz darauf nahm sie die Hand weg. Die Bissmale und die Schwellung waren verschwunden. „Praktisch.“, kommentierte er. Wütend funkelte sie ihn an. Dann legte sie ihre Hände auf das jeweils andere Handgelenk. Wieder setzte das Leuchten ein und die Scheuerwun-den verschwanden. Dasselbe passierte bei ihrem Kopf, dessen Schläfe durch Rasul’s Schlag angeschwollen war. Die junge Frau dachte nach. Es war alles so verwirrend. Sie hatte immer noch keine Antwort auf ihre Fragen. Was zum Henker wollten sie von ihr? Warum war Rasul auf einmal so freundlich zu ihr gewesen? Was kümmerte es sie, ob sie lebte oder starb? „Ich weiß, worüber du nachdenkst.“, ertönte es aus der Nebenzelle. „Kennst du denn die Ant-wort auf meine Fragen?“, entgegnete sie spitz. Er nickte. „Ich weiß alles. Ich höre viel, auch wenn sie es nicht wis-sen. Hier unten habe ich eh niemanden, dem ich es anvertrauen könnte.“ „Du weißt, warum ich hier bin?“, hakte sie ungläubig nach. „Ja, und ich sage dir auch warum.“, er schwieg. Nuima begriff. „Was willst du dafür haben?“ Der Vampir grinste. Sie hatte ein helles Köpfchen, das musste man ihr lassen. „Was kannst du mir anbieten?“, fragte er. „Die Freiheit.“ „Die Freiheit! Klar.“, er lachte. „Ich komme hier schon irgendwie raus. Bis jetzt konnte mich noch kein Gefängnis aufhalten. Und allein du entscheidest, ob du deinen Kopf behältst und mit mir fliehst oder nicht.“, sie lächelte süffisant. „Schwörst du es auf dein Blut?“, fragte er und seine Miene wurde ernst. „Ich schwöre es auf mein Blut.“ Ein leises Lächeln hatte sich auf seine kalten Lippen gelegt. „Einverstanden. Mein Name ist Kartess, wenn ich mich kurz vorstellen darf.“ „Meinen Namen kennst du ja sicher.“ Er nickte. „Also. Ich verstehe wirklich nicht, warum du nicht von selbst darauf gekommen bist. Dabei ist es eigentlich ganz simpel. Das Netz der Skorpione ist schon seit Jahrhunderten mit dem Orden der Wolfsbrüder zerstritten.“ Nuima unterbrach ihn. „Warte, was ist bitte der Orden der Wolfsbrüder?“ „Ein Orden, der genauso geheim ist, wie das Netz der Skorpione. Viele berühmte Persönlichkeiten gehören ihm an. Politiker, Zauberer, Elfen, um nur einige wenige Gruppen aufzuzählen. Sie kämpfen schon seit langer Zeit gegeneinander.“ „Was hat das mit mir zu tun?“ „Habe etwas Geduld. Also, wie gesagt, sie sind schon seit langer Zeit zerstritten, aus einem Grund, den ich dir selber nicht nennen kann. Jede Seite schart schon seit Jahren viele Krieger um sich, da es bald zum alles ent-scheidenden Kampf kommt. Und da kommst du ins Spiel. Du bist nicht einfach ein Mensch, der gut kämpft. Du bist ein Statussymbol. Wenn du dich für eine der beiden Seiten entscheiden solltest, wird diese den alles entscheidenden Vorteil für sich haben. Kriegsmacht, gestiegene Mentalität und Zuversicht in den eigenen Reihen, Angst bei den Feinden. Das allein könnte schon den Sieg für diese Seite bedeuten. Deshalb sind sie so wild entschlossen hinter dir her. Ihre Angriffe waren Prüfungen, denen du dich unterziehen musstest.“ „Aber ich habe noch nie etwas von dem Orden der Wolfsbrüder gehört, noch mit ihm etwas auf irgendeine Art und Weise zu tun gehabt.“, verteidigte Nuima sich. „Außerdem werde ich mich für keine Seite entscheiden. Nie. Ich bin ein freier Mensch, der sich keinem Heerführer unterwirft, um an einer sinnlosen Schlacht teilzunehmen. Der Vampir lächelte. „Ja, aber jede Seite hat Angst, dass du dich trotzdem auf die gegnerische Seite schlägst. Ent-weder du entscheidest dich, stirbst, oder buddelst dich, bis die Schlacht vorüber ist, in irgendein Erdloch ein.“ „Vergiss es, ich werde das auf meine Art lösen. Du wirst schon sehen. Aber bitte verrate mir, wer alles bei dem Orden der Wolfsbrüder ist.“, bat sie. Eine Tür schwang einige Stunden später quietschend auf. Nuima hörte ihn zunächst nicht; sie war in ihren Gedanken versunken. Selbst Kartess’ Anmerkungen hatte sie ignoriert. Erst als der Fremde direkt vor ihrer Zelle stand, wurde sie auf ihn aufmerksam. Er winkte sie zu sich heran und ging in die Hocke. Neugierig geworden, aber auch ein we-nig argwöhnisch, rutschte die Dunkelhaarige so weit wie möglich nach vorne. Nur noch ein knapper Meter trennte sie von den Gittern. „Was ist?“, fragte sie, doch er legte den Zeigefinger auf seine Lippen und bedeutete ihr, ruhig zu sein. „Ich will dir helfen. Wenn der Augenblick gekommen ist, musst du mir vertrauen, dann lass ich dich hier raus.“, wisperte er. „Bitte glaube mir. Ich bin ein Agent der Regierung. Du musst hier raus.“, erklärte er. „Er kommt mit.“, flüsterte sie zurück und deutete auf den Vampir, der anfing zu grinsen. Anscheinend hielt sie sich an ihre Ab-machung. „Also schön, vielleicht ist er noch hilfreich. Aber halte dich bereit. Ich komme wieder.“, schnellen Schrit-tes verschwand er. Nuima rutschte wieder zu ihrem Lager zurück. „Ich habe dir ja gesagt, ich komme überall her-aus.“, sagte sie mit leiser Stimme an Kartess gewandt. Der Vampir verdrehte genervt die Augen. „Das zählt nicht. Du hast einfach nur Glück gehabt.“ „Aber ich komme hier raus und du auch.“, erwiderte sie. „Ach, und hast du dir schon was wegen meinem kleinen Kopf-ab-Problem überlegt?“, gab er bissig zurück. „Vielleicht kann ich da was machen.“ „Sei aber vorsichtig. Es kann jederzeit von alleine losgehen, wenn man damit nicht richtig umgeht.“, bat er sie und schob sich an die Gitterstäbe heran. Nuima sah sich das kleine Gerät an. „Abnehmen kann ich es nicht, aber ich denke, ich kann es deaktivieren.“ Prüfend schaute der Vampir in ihr ungewöhnlich blasses Gesicht. „Sei bloß vorsichtig.“, warnte er sie. Die junge Frau untersuchte den Gegenstand genauer. An einigen Stellen befanden sich kleine Tasten, die man hinein drücken konnte. Ein Code, sie brauchte einen Code. Kleine Schriftzeichen hatte sie bereits entdeckt. Jetzt musste sie sie nur noch entschlüsseln. „Und? Was ist?“, riss er sie ungeduldig aus ihren Ge-danken. „Lass mich doch mal einen Augenblick nachdenken. Hier gibt es einen Code, den ich entschlüsseln muss.“ Nervös, ja, auch ein Vampir konnte nervös werden, klapperte er mit seinen Fingerkuppen auf den Fliesen. Er merkte es, als Nuima begann einige der Tasten einzudrücken. Ein Hoppla entwich der jungen Kämpferin, als der Kopf er-neut vom Rumpf getrennt wurde und der Körper zur Seite fiel. „Das tut mir aber leid.“, sagte sie ohne ein Lächeln und lehnte sich an die kühle Wand. Es dauerte wenige Stunden, dann hatte Kartess sich wieder zusammengesetzt. Und kaum konnte er sein Mundwerk wieder benutzen, tat er dies auch. „Verfluchtes Menschenweib! Ich habe dir gesagt, du sollst vorsichtig sein! Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich dich in meinen Händen zerfetzen!“, fluchte er. „Vorsicht, Herr Vampir. Immer-hin soll ich Euch hier raus bringen. Zudem war dies die Strafe für Euer Vergehen, mein Blut zu saugen. Und jetzt beweg deinen Hintern hierhin, damit ich das Ding deaktivieren kann.“, sagte sie. „Vergiss es!“, wütend hatte er sei-nen Rücken zu ihr gedreht. „Gut, dann nicht. Du musst es ja wissen. Wenn dir also das nächste Mal dein Schädel abgenommen wird, beschwer dich nicht bei mir.“, warf sie ihm wütend an den Kopf. Nach und nach rückte der Un-tote wieder zu ihr hin. Nuima machte sich an dem kleinen Gerät zu schaffen. Sie drückte ein paar Tasten. „So, das müsste es gewesen sein.“, erklärte sie. „Aber bis zu unserer Flucht verhältst du dich noch so, als wenn das Teil noch funktionieren würde.“ „Oh gut, aber du vergisst den Teil, bei dem mir der Kopf abfliegt.“ „Dann lass es eben nicht so weit kommen.“, entgegnete sie harsch. Wenige Stunden später war Nuima eingeschlafen. Sie wusste, ihr würde nichts geschehen. Kartess würde sie war-nen, wenn etwas Unvorhergesehenes passieren sollte. Außerdem wollte das Netz der Skorpione sie für ihre Sache gewinnen. Da würden sie ihr sicher nichts mehr antun. Unruhige Träume plagten sie. Warum nur hatte sie dem Vampir die eine, alles entscheidende Frage gestellt, die ihr Leben für immer verändern würde? Warum? Sie wälzte sich herum. Es durfte, konnte, nicht wahr sein. Die Wahrheit war zu grausam. Man ließ sie lange alleine. Die junge Frau bekam drei Mahlzeiten über Tag. Anscheinend wollten sie einiges wieder gut machen. Mehrmals kam Rasul zu ihr und versuchte mit ihr zu reden. Doch Nuimas abweisende Art ließ ihn schon bald aufgeben. Hätte die Dunkelhaarige es gekonnt, wäre sie jetzt dabei das Schloss ihres Gefängnisses zu knacken, aber die Kette, an der ihre Füße gefesselt waren, war zu kurz. Also machte sie sich an das kleinere Schloss an ihren Füßen. Ein Metallspan von einer der Gitterstreben diente ihr dazu, um darin herumzustochern. Bis jetzt war das Unterfangen jedoch noch nicht von viel Erfolg gekrönt gewesen. Wütend warf sie den Span weg. „Man!“, brüllte sie und ließ ihre Hand einmal durch ihr Haar fahren. „Jetzt beruhige dich mal wieder. Sonst machst du sie nur unnö-tig auf uns aufmerksam.“, kam es leise aus der Nachbarzelle. „Weißt du, wie egal mir das gerade ist?! Von mir aus, sollen sie doch kommen. Was sollen sie denn tun?! Mich zu Tode verhätscheln?“, wütend war sie aufgestanden. „Hey, verdammt noch mal! Ich will hier raus!“, rief sie und rüttelte an den Gitterstangen zu ihrer Rechten. Nach ein paar weiteren Stunden lag Nuima wieder resignierend auf ihrer Matratze. Sie hörte Kartess schon nicht mehr zu, der ihr seit mindestens einer geschlagenen Stunde versuchte von beiden Orden zu erzählen. Gott, wie egal ihr das gerade war. Bei allen existierenden Göttern, konnten sie ihr gerade jetzt nicht mal helfen? Wieder ging eine Tür quietschend auf. Der Vampir verstummte, während die junge Frau den Neuankömmling mit ihren Blicken tötete. „Hallo.“, sagte Melok und ging nah an das Gitter heran. „Vorsicht sie beißt.“, kommentierte Kartess spitz und fing sich einen wütenden Blick seitens Nuima ein. „Ich bin hier für einen Deal.“, erklärte er. Aufmerksam schaute die Söldnerin ihn an. „Was für einen Deal könnte mir ein Assassine schon unterbreiten?“, spottete sie. „Du kommst hier raus, bekommst dein Schwert wieder und kannst gehen wohin du willst.“, schlug er vor. „Und wo ist der Haken?“, fragte sie. „Kein Haken, nur eine kleine Nebenbedingung.“ „Oh, so nennen wir das jetzt.“, giftete sie. „Du arbeitest ab sofort für das Netz der Skorpione und tust, was wir dir sagen.“ Die Dunkelhaarige schnaubte einmal. „Jetzt mach ich dir mal einen Vorschlag. Erst darf ich dich noch einmal vermöbeln, dann lässt du mich gehen und zwar mit mei-nem Schwert und ihr lasst mich bis zum Ende aller Zeiten in Frieden.“ „Ein Duell von uns beiden wird unausweich-lich sein. Dann werde ich dir zeigen, dass ich dich genauso gut alleine wie einen kleinen Käfer zerquetschen kann.“ „Das sah letztes Mal aber noch ganz anders aus.“, gab Nuima sticheln zurück. Melok wandte sich um und ver-schwand. „Glückwunsch, du solltest Diplomatin werden.“, gab Kartess zum Besten. Wie lange sie schon hier war? Keine Ahnung. Die Mahlzeiten kamen in unregelmäßigen Abständen, manchmal gar nicht. Sie hatten es bereits jetzt geschafft, ihr das Zeitgefühl zu nehmen, um sie mürbe zu machen. Die junge Frau konnte es gar nicht leiden hier tagelang untätig in ihrer kleinen Zelle zu versauern. Anscheinend wussten die Assas-sinen dies genau. Der Vampir in der Zelle neben ihr sah von Tag zu Tag schlechter aus. Er brauchte Blut. Wann endlich würde der Agent sie nur befreien? Wenn die Anderen ihn entdeckt hatten, konnten sie lange auf ihn warten. Nuima wurde durch eine Detonation geweckt. Sand rieselte von der Decke, während der Donner noch immer nach-hallte. „Was war das?“, fragte sie. „Es geht los.“, sagte Kartess leise. „Was, was geht los?“ „Ich gebe zu, unerwartet früh, aber die Wolfsbrüder scheinen gerade anzugreifen.“, erklärte er. Eine Tür schwang quietschend auf, eilige Schritte näherten sich. „Der Augenblick ist gekommen. Ich werde euch befreien.“, erklärte der junge Mann, der sich als Agent zu erkennen gegeben hatte. Er schloss zuerst Nuimas Zellentür auf und löste ihre Fesseln. Froh über ihre neu gewonnene Freiheit verließ sie augenblicklich das kleine Gefängnis. Schon war der Vampir hinter ihr. Sie folg-ten dem jungen Mann die Treppe hinauf und schauten, ob die Luft rein war. „Es herrscht Ausnahmezustand in der Stadt. Ebenso in Ishtar. Weiß der Geier warum.“, erklärte er. „Wo ist mein Schwert?“, fragte Nuima ihn. „Einer der Generäle hat es. Keine Chance daran zu kommen.“, erklärte er. „Aber ich werde nicht ohne mein Schwert gehen.“, behauptete die junge Frau steif und fest. „Geht vor, ich komme schon klar.“, sagte sie und verschwand in der ande-ren Richtung. Es war eine herrschaftliche Villa, in der sie sich befunden hatte – fast schon eine Festung. Wieder eine Detonation. Die ganze Stadt erzitterte. Nuima lief zur Balustrade und sah hinab. Die Gassen und Straßen waren wie leergefegt. Vor den Mauern Bakareshs war eine gewaltige Armee dabei sich Zugang zu verschaffen. Das waren also die Wolfsbrüder. Die Dunkelhaarige griff aus einem Reflex heraus beim Herumdrehen nach dem Gegenstand, der auf sie zugeflogen kam und sie um ein Haar erwischt hätte. „Melok.“, wütend sah Nuima ihn in der vom Mond erhellten Nacht an. Es war ihr Dolch, den sie in Händen hielt. Er hatte den seinen gezückt. Sie lächelte. „Na endlich.“, langsam ging sie auf ihn zu. „Wird es heute ein Ende haben?“, fragte sie theatralisch. „Wenn es dein Wille ist.“, entgegnete er und sie gingen aufeinander los. Die Dolche prallten aufeinander. Metall knirschte. Sie sahen sich für einen kurzen atemlosen Moment in die Augen, bevor sie wieder auseinander sprangen. Erneut näherten sie sich. Eine weitere Detonation erklang, diesmal schon viel näher an der Villa. Melok machte einen Satz und stieß die Dunkelhaarige an die Wand. Doch bevor er sich ihr weiter nähern konnte, zog sie ihm das glatte Metall einmal über den Oberkörper. Seine hell-braune Kutte wurde glatt durchtrennt. Das Fleisch darunter wurde nur leicht angeritzt. Der Kriegslärm schwoll an. Anscheinend hatten die Wolfsbrüder es geschafft, sich Zugang zu verschaffen. Nuima sprang und hieb den jungen Assassinen um. Er landete unsanft auf dem Boden und rutschte einige Meter weit. Die junge Frau nahm die Chance und schwang sich auf das Flachdach. Wo waren die Generäle? Sie spürte, dass ihr Schwert nicht sehr weit von ihr entfernt war. Schon war Melok wieder bei ihr und sie kämpften auf dem Dach weiter. Immer wieder parierten sie die Hiebe des Anderen. Funken stieben. Die Söldnerin holte aus und noch bevor der junge Mann es sich versehen konn-te, hatte er einen Faustschlag verpasst bekommen. Er wirbelte herum und landete erneut auf dem staubigen Boden. „Du hast keine Chance gegen mich.“, stellte Nuima mit ernster Stimme fest. Doch schneller als erwartet, stand der Kämpfer wieder vor ihr und drängte sie mit seinen schnellen Angriffen immer weiter zurück. Wieder blockte Nuima ihn, als sie kurz vor dem Ende des Daches angelangt waren. Doch sie hatte diesmal nicht die Rechnung mit ihrem Kontrahenten gemacht. Der junge Mann fasste mit seiner freien Hand an sein Hosenbein und zückte ein weiteres Messer. Die Dunkelhaarige riss ihren Kopf zurück, spürte noch, wie das Metall seines ersten Dolches ihre Haut aufritzte und fiel, als Melok sie nach hinten stieß. Ihr Kopf schwebte jetzt über 10 Metern Luftlinie bis zum harten Boden. Noch bevor sie sich aufrichten konnte, war er über ihr und wollte ihr den Dolch in den Brustkorb rammen. Ihren Dolch loslassend, packte sie seine Arme und hielt den tödlichen Stoß auf. Das kalte Metall schwebte noch immer Unheil verkündend über ihr, während der junge Assassine sich mit beiden Händen gegen ihren Griff stemmte. Sie spürte, wie das Blut aus ihrer Wunde im Gesicht lief. „Stirb.“, knirschte er. Etwas fauchte. Im selben Augenblick sprang der Krieger von Nuima und ging auf Abstand. Sie rappelte sich auf und machte aus einem Reflex heraus einen Hechtsprung. Dann kam die Detonation. Ein gewaltiger Energieball riss die Vorderfront der Villa auseinander. Es dauerte eine Weile bis die Staubwolke sich gelegt hatte und Melok sich der Stelle erneut näherte. Wo war sie nur? Es hatte sie doch wohl etwa nicht dahingerafft? Wieder ging er ein Stück näher und sah ein paar Finger, die an dem Dachgiebel hingen, der über dem Nichts zu schweben schien. Es schien noch recht stabil zu sein. Er hörte ein Husten und schaute hinab. Dort hing sie. Über dem Nichts. Sie war wohl getroffen worden. Ihr Dolch glitzerte in der Dunkelheit unter ihr. Melok grinste. „So wird es nun ein Ende haben.“ Er hob sein Messer und sah in ihre vor Schreck geweiteten Augen. Doch er wurde plötzlich herumgerissen. Nuima erschrak. Aber sie nutzte den Augen-blick, um sich mit ihrer ganzen Willenskraft wieder hinaufzuziehen. Es dröhnte in ihrem Kopf. Sie konnte nichts hören. Die gewaltige Explosion hätte sie töten können. Sie sah hinüber zu Melok, der immer wieder auf Kartess einstach, der an seinem Hals hing. „Genug!“, rief sie und der Vampir entließ den jungen Mann von seinem tödlichen Spiel. „Er gehört mir! Verschwinde!“, befahl sie. Tatsächlich flimmerte es kurz und er war hinfort. Der Assassine hielt sich die Stelle am Hals. Er fluchte. Hätte Nuima es gehört, wäre es ihr wahrscheinlich auch egal gewesen. Sie hob ihre Fäuste. Der junge Mann tat es ihr gleich. Wieder gingen sie aufeinander los. Die junge Frau gab, was sie konnte. Immer wieder trafen sie sich gegenseitig. Blockten einander ab. Ein Schlag wirbelte sie herum und sie fiel vom Dach auf einen großen Balkon. Sie blickte nach oben und sah seinen Schatten, der auf sie nieder sprang. Der Dolch bohrte sich wie ein Reißzahn in ihre Schulter und in den Boden darunter; und Nuima schrie. Sie spürte, wie ihr Blut aus der Wunde sickerte, während Melok triumphierend lächelte. Sollte es so enden? Hier und jetzt? In den Kriegswirren einer Schlacht, mit der sie nichts zu tun hatte? Er erhob sich und stand wie ein dunkler Schatten über ihr. Sie legte ihre Hand an den Griff des Dolches. Ein paar Harpyien erschienen über ihnen am Himmel. Sie beo-bachteten Melok, der sie ebenfalls bemerkt hatte. Kundschafter. Es waren Kundschafter. Wütend zückte er erneut einige Dolche, doch ein plötzlicher Schmerz ließ ihn in sich zusammensacken. Nuima hatte mit all ihrer Kraft den Dolch aus ihrer Wunde gezogen und ihn dem jungen Assassinen in den Bauch gerammt. Er sackte zusammen, sie rollte ihn von sich herunter und stand etwas schwerfällig auf. „So soll es nun Enden, Melok Nafalem.“, sprach sie und beobachtete für einen kurzen Augenblick, wie das Blut aus seinem Körper rann. Sie legte ihre Hand auf die Wunde in ihrer Schulter und ließ sie so weit verheilen, dass kein Lebenssaft mehr entrinnen und sie weiterkämpfen konnte. Die Schlacht tobte in vollem Gange. Auch wenn die ganze Stadt dabei zerstört würde, kein normaler Sterblicher würde je erfahren, was hier wirklich geschah. Die junge Frau hatte sich ein Pferd und ein Schwert geschnappt und preschte damit durch die tobenden Gassen. Sie spürte ihr eigenes Schwert. Es war ihr so nah wie noch nie zuvor. Sie verließ die Stadt und ritt an den Kämpfenden vorbei. Die Schlacht fand vermehrt außerhalb der Mauern statt. Und dann sah sie sie. Auf einer großen Düne standen sie. Fünf von ihnen. Auf ihren Pferden. Nuima preschte auf sie zu, wehrte einige Angreifer ab. Sie sahen sie schon von weitem kommen. Wenige Meter vor ihnen bremste sie scharf ab. „Ihr wisst, warum ich hier bin! Gebt mir mein Schwert zurück!“, sie sah einen der Männer an. Sie wusste, dass er es hatte. Ein Grinsen legte sich auf seine Züge. Dann stieg er ab und kam auf sie zu. Nuima tat es ihm gleich. Er legte seine Kapuze ab und zog das Schwert. Sie machte sich bereit. Er würde es ihr kampflos nicht überlassen. Ihr war durchaus klar, dass sie sterben konnte. Jetzt war es egal, auf welcher Seite sie stand. Die Schlacht war bereits in vollem Gange. Magische Blitze zuckten über den Himmel, während sie sich umkreisten. Erneut Detonationen. Nui-mas Gehöhr kehrte allmählich zu ihr zurück. Es war Wahnsinn, was sie hier tat. Sie wusste selber, dass sie ganz schnell den Kürzeren ziehen konnte. Sie hatte vor gegen einen der Obersten der Assassinen zu kämpfen. Diesen Titel hatte er sicher nicht umsonst erworben. Melok und Rasul waren schon schwer zu knacken gewesen. Es ging los. Die beiden Schwerter prallten aufeinander. Seine Hiebe waren kräftig. Das Metall erzitterte. Sie bemerkten nicht einmal, wie die anderen Generäle sich selber in die Schlacht stürzten, um gegen die Gegner zu kämpfen. Wieder parierten sie ihre Schläge. Er war gnadenlos und schnell. Das spürte sie, als sie seinen Schwertgriff ins Gesicht gerammt be-kam. Halb benommen taumelte sie zurück und konnte gerade noch einen Streich seinerseits abwenden. Sie war ihm körperlich unterlegen, musste sie feststellen. Irgendwie musste sie das doch ausgleichen können. Würde sie in die-sem Mann ihren Meister finden? Seine Schwerttaktik war unglaublich. Immer weiter drängte er sie zurück. Nuimas Körper war erschöpft. Wieder mobilisierte sie all ihre Kräfte und sprang auf ihn zu. Er wehrte sie mit seinem Schwert ab und schleudert sie zur Seite. Sie fiel in den Sand und rollte die Düne hinab. Halb benommen verharrte sie einen kurzen Augenblick lang. Und da lag er. Glänzte leicht im Sand. Wie kam er dahin? Sie wusste es nicht. Ihre Hand umfasste den Griff ihres Dolches. Sie sah, wie er auf sie zukam mit erhobenem Schwert. Eine schnelle Bewe-gung und das Wurfgeschoss steckte in seiner Brust. Er krümmte sich vor Schmerz und ging in die Knie. Nuima ging auf ihn zu. „Gebt auf, dann verschone ich Euer Leben.“ Der General zog den Dolch aus seiner Wunde, aus der das Blut heraus quoll. „Nicht, wenn ich es verhindern kann.“, keuchte er und stand wankend auf. Sie bewunderte für einen kurzen Moment die Willensstärke des Mannes, bevor sie seinen Schwerthieben erneut ausweichen musste. Seine Kraft war noch immer da. Ebenso wie der unbändige Wille zu gewinnen. Sie parierte immer wieder seine Schläge und begann selber auszuteilen. Er schien nicht schwächer zu werden. Doch sie spürte die Schmerzen, die er hatte. Wieder trafen sie aufeinander. Schlugen aufeinander ein. Ihre Schwerter wirbelten durch die Luft und bohrten sich in den Sand. Beide machten einen Satz und griffen nach ihren Waffen. Der General wirbelte herum mit erhobe-nem Schwert. Und verlor im selben Augenblick seinen Kopf. Nuima landete unsanft auf dem Boden. Sie keuchte. Ihr eigenes Schwert hatte sich durch ihren Körper gebohrt, als sie genau hineingesprungen war. Mit zusammenge-presstem Kiefer zog sie es heraus und legte augenblicklich ihre Hand auf die Wunde. Ihre Kraft reichte noch aus, um die Wunde von beiden Seiten zu verschließen. Zu mehr nicht. Dann steckte sie ihr Schwert weg, zwang sich aufzu-stehen und stieg schwerfällig auf das Pferd auf, mit dem sie gekommen war. Sie trieb das Tier an, damit es sie von hier weg trug. Eine Stimme rief ihren Namen und ein Reiter galoppierte auf sie zu. Die junge Frau erkannte ihn wieder. Und sie zog ihr Schwert. Rowen stoppte kurz vor ihr. Er sah, dass sie es wusste. Flashback: Nuima sah Kartess neugierig an. „Ja, nun sag schon. Wer gehört zu ihnen? Welche wichtigen Leute sind Wolfsbrüder?“ Der Vampir grinste. „Tremor Kishstan, 2. Vorsitzender der Handelsflotte, König Samuel aus den entfernten Landen, um nur einige wenige wichtige Mitglieder zu nennen. Aber du kennst auch einen von ihnen.“, sein Gesicht war geheimnisvoll. Verwirrt schaute die junge Frau ihn an. „Sein Name…“ „Wag es ja nicht, noch ein Stück näher zu kommen.“, ihre Stimme war so unglaublich wütend. „… ist Horius Wirzelbraun.“ Sie fühlte sich, als müsste sie im nächsten Augenblick platzen. „Nuima, lass es mich erklären. Ich wollte es dir sa-gen.“, bat er. „Ein Wort mehr und es ergeht dir wie ihm.“, ihre Schwertspitze deutete auf den toten General. „Weißt du, ich habe dir vertraut. Ich dachte wirklich, du liebst mich. Aber du bist nur einer von ihnen; ein Wolfsbruder. Du hast mich ausgenutzt, um mich auf ihre Seite ziehen zu wollen. Jetzt weiß ich auch, warum Melok dich in Levitio angegriffen hat. Nicht, weil du meine verletzliche Stelle warst. Nein, weil du einer von ihnen bist!“, sie kochte inner-lich und spielte mit dem Gedanken, ihm nicht doch noch den Kopf abzuschlagen. „Du bist das Allerletzte. Ich hoffe, Saphiron bestraft dich für deine Schandtaten, du widerwärtiger Mistkerl. In der Hölle schmoren sollst du für immer. Wage es ja nicht, dich mir noch einmal auf mehr als hundert Meilen zu nähern. Sonst kannst du was erleben.“ Trä-nen rannen über ihre Wange, als sie das Pferd herumriss und davon preschte. Nie sollte ein Sterblicher erfahren, was sich jemals in dieser einen schicksalhaften Nacht zugetragen hatte. Doch Nuima würde sich wohl ewig daran erinnern. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)