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MurdocX2-D
von

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Kapitel 1

Kapitel 1
 

Das Weib -er hatte es nicht nach seinem Namen gefragt- hauchte ihm noch einen kurzen Kuss auf die Lippen, den er nur äußerst widerwillig über sich ergehen ließ, ehe es sich seine hässliche Handtasche schnappte und aus seinem Winnebago verschwand. Der Sex war schlecht gewesen.

Murdoc warf einen mürrischen Blick auf den zerkratzten Radiowecker in der Ecke und stellte erstaunt fest, dass es sich eigentlich nicht mehr lohnte, einzuschlafen. Wie hatte ein so schrecklich mieser Fick nur so lange dauern können? Er warf die graue Decke zur Seite, setzte beide Füße fest auf den Boden und stand auf. Er war vollkommen nackt und wollte ehrlich gesagt nicht genau wissen, was für absonderliche Flüssigkeiten da an seinem Körper klebten. Die Frau war wirklich ungewöhnlich schlecht gewesen. Wie fast jede, die er in letzter Zeit erwischte.

Ausnahmsweise einmal benötigte Murdoc nur wenige Sekunden, um den Beschluss zu fassen, sich rasch unter die Dusche zu stellen. Das eiskalte Wasser half ihm, die grauenvolle Nacht zu vergessen und sich auf den bevorstehenden Tag zu konzentrieren. Er gab es nur ungern zu, aber Duschen war für ihn wie eine Beruhigungstablette. An ganz besonders schlimmen Tagen sogar wie eine Wiedergeburt.
 

Murdoc gab ein leises Grummeln als Antwort auf das fröhliche "Guten Morgen", das 2-D ihm entgegen spie, sobald er die Küche betrat. Noodle war ebenfalls bereits anwesend, wie immer einen ihrer unzähligen Gameboys in der Hand. Nur Russel musste noch pennen, was auch kein Wunder war, schließlich hatte niemand für Frühstück gesorgt, und anders war der Drummer vor zwölf Uhr mittags nicht aus den Federn zu kriegen. Wieder einmal fiel Murdoc auf, was für ein unorganisierter Haufen sie doch waren und wieder einmal beschloss er, dieses Problem ein anderes Mal anzusprechen.

Sein Magen knurrte. Wann hatte er das letzte Mal etwas gegessen? Er konnte sich nicht mehr daran erinnern.

"Hast du Hunger?", fragte 2-D überflüssigerweise und warf einen besorgten Blick auf Murdocs Bauch. Der war, das war auch durch das weite T-Shirt nicht zu übersehen, in den letzten Wochen merklich geschrumpft. Es würde ihn nicht wundern, würde sein Arzt in nächster Zeit die Magersucht bei ihm feststellen, so dünn war er geworden.

"Natürlich hab' ich Hunger, du Schwachkopf", fauchte Murdoc ohne sich groß Gedanken darüber zu machen. Das Beschimpfen von 2-D geschah fast schon automatisch. "Mein Magen knurrt nicht aus Spaß, Idiot!"

2-D senkte eingeschüchtert den Blick und fragte dann mit dünner Stimme, ob er ihm etwas aus dem Kühlschrank holen sollte. Murdoc blickte ihn überrascht und auch mit einer Spur Argwohn in den Augen an, selbst Noodle wagte für einen kurzen Augenblick von ihrem Hirnverblöder aufzuschauen. Seit wann mimte Face-Ache denn bitte schön das Hausmädchen? Zwar war es allgemein bekannt, dass 2-D der mit Abstand freundlichste und hilfsbereiteste von ihnen war, doch soweit ging für gewöhnlich nicht einmal er.

Was soll's, dachte sich Murdoc. Sollte die Schwuchtel doch machen, was sie wollte. Außerdem kam ihm das ganz gelegen, da er nicht wirklich den Wunsch verspürte, sich unnötig zu bewegen. Er nannte 2-D die Nahrungsmittel, die er zu bekommen verlangte, während er nach der Zeitung griff, die auf dem Tisch lag.

Vor ein paar Jahren noch hätte er es sich niemals vorstellen können, die Zeitung regelmäßig zu lesen, aber seit ihm das Herumblättern in einer Zeitung einmal das Leben gerettet hatte, tat er es fast täglich. Noch dazu stieß man ab und an auf einen Artikel über ihre Band. Seit ihrer Tournee, die sie erst vor kurzem beendet hatten, war die Zahl ihrer Fans weiter gestiegen und die Presse stürzte sich auf alles von ihnen, was sie kriegen konnte. Ärgerlich waren nur diese nervigen Gerüchte, die oft kursierten und nicht selten sogar abgedruckt wurden. Er hatte bereits einige Male versucht, etwas dagegen zu unternehmen -fast immer in Form einen Auftrittes in der Öffentlichkeit-, musste dann jedoch leider feststellen, dass dies die Gerüchteküche erst recht noch ankurbelte; und darum ließ er es nun bleiben.

In dieser Ausgabe befand sich ein Interview über "Murdoc Niccals und seine übermenschliche Fähigkeit in die Zukunft zu sehen", das er sich nicht erinnerte gegeben zu haben. Das war nicht ganz so schlimm, zumindest war es nichts Peinliches oder Privates. Und so sehr er sie auch hasste, diese Gerüchte -sie taten ihrer Berühmtheit nur gut. Die Gorillaz waren dank dieser beschissenen Lügen immer und überall in aller Munde!

"Bitteschön!" 2-D stellte den Teller, auf dem sich sein Frühstück stapelte und dazu ein Getränk, das er nicht bestellt hatte, mit einem komischen Klack-Geräusch breit lächelnd vor ihm auf den Küchentisch ab. Murdoc vermied es, die Lücken in 2-Ds Zahnreihe all zu genau in Augenschein zu nehmen und widmete sich stattdessen lieber dem Essen.

"Ich versuche mal Russ wach zu kriegen, ja?", meldete sich Noodle ab, als der Teller nicht einmal zu einem Viertel leer war. Mehr würde Murdoc nicht runterkriegen, das wussten sie alle. Mit einem Gefühl, als hätte er tonnenschwere Steine im Magen, schob er den Teller von sich weg.

Jetzt waren er und 2-D allein im Raum.

"Was glotzt du so?"

"Oh, nichts. Sorry", nuschelte 2-D betreten und wandte sofort den Blick ab. Was war heute nur mit dem Kerl los? Da stimmte doch etwas nicht, da spürte er ganz genau! Murdoc machte sich eigentlich nicht sehr viel aus dem Wohlergehen seiner Bandmitglieder, solange diese nur weiterhin gute Musik produzierten, doch aus irgendeinem Grund kamen ihm die Worte dann doch über die Lippen: "Rück' schon raus mit der Sprache! Was hast du, Zahnlücke?"

2-D schaute ihm nicht ins Gesicht -Murdoc nahm an, dass er das "Was glotzt du so?" von eben zu ernst nahm- als er mit tonloser Stimme antwortet: "Nichts."

Murdoc glaubte 2-D nicht, doch er bohrte nicht weiter nach. Er hatte das ungute Gefühl, dass es sich hier um eine dieser Angelegenheiten handelte, in die man sich lieber nicht einmischte, wenn man keinen Ärger haben wollte.

Die Türe öffnete sich wieder, Noodle und direkt hinter ihr Russel betraten die Küche. "Na?", rief ihr Drummer ausgeschlafen und darum ungewohnt gut gelaunt in die Runde. "Wie geht's euch, Leute?"
 

*
 

"Also, hat jemand einen Vorschlag?", sprach Murdoc ohne viel Hoffnung auf Rückmeldungen in die Stille hinein, die sich über den Raum gelegt hatte. Die enge, weiß gekachelte Küche war eine Art Aufenthaltsraum für sie geworden. Wenn man nicht gerade probte oder einzeln in seinem Zimmer hockte, befand man sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit hier.

Das Besondere war heute jedoch, dass sie sich dazu entschlossen hatten, ein neues Lied zu kreieren und darum Ideen sammelten. Wie es schien, hatte niemand eine. Murdoc begann sich langsam zu fragen, wie sie die vorherigen Songs überhaupt zustande gebracht hatten. Automatisch richtete Murdoc seinen Blick auf 2-D, was die anderen dazu veranlasste, es ihm gleichzutun. "Hey, Face-Ache!" "J-ja, Muds?" 2-Ds Stimme klang nervös und piepsig, es schien ihm nicht zu gefallen, plötzlich alle Aufmerksamkeit bei sich zu haben. "Du schreibst doch ständig an irgendwelchen unfertigen Songs rum und so, oder? Dir muss doch wohl was Ordentliches einfallen!"

Es war ungerecht, auf diese Weise die gesamte Verantwortung auf 2-D und sein Hobby zu schieben, doch Murdoc hielt diese Stille nicht mehr aus. Eine derart unkreative und ideenlose Band hatte es auf diesem Planeten garantiert noch nicht gegeben!

Zum Glück erklärte 2-D eilig, dass er zwei fast fertige Songtexte in seinem Zimmer liegen hätte. In einer bemerkenswerten Geschwindigkeit rasselte er eine sehr kurze Inhaltsangabe der beiden Songs herunter. Am Ende hatte Murdoc nur so viel mitbekommen, dass eines der Lieder irgendetwas mit einer von der Gesellschaft nicht geduldeten Liebe zu tun hatte und das andere von einem Geisteskranken, der unter schrecklichen Halluzinationen litt, handelte. Das klang in seinen Ohren nicht sonderlich viel versprechend, doch es war immer noch besser als gar nichts, also schickte er 2-D los, um die beiden Songtexte zu holen.

Den einen Zettel zerknüllte er, kaum hatte er die ersten paar Zeilen gelesen, und war den Papierball hinter sich. Er verfehlte den Papierkorb um einige Zentimeter, aber niemand machte sich die Mühe, ihn aufzuheben. Der zweite Text war um einiges besser. Zwar wies er noch einige Schwachstellen auf -das konnte selbst Murdoc, der nicht viel vom Schreiben verstand, erkennen-, doch sah im Großen und Ganzen sehr brauchbar aus. Murdoc begann sich unwillkürlich zu fragen, wieso 2-D den Song nicht sofort vorgestellt hatte, sondern gewartet hatte, bis man ihn in den Hintern trat.

2-D wurde von ihm dazu abkommandiert, an der Verbesserung des Songtextes zu arbeiten, während er mit den anderen beiden derzeit überlegte, wie der Song instrumentalisch dargestellt werden sollte. Auf ein Gitarren- oder Basssolo hatte man sich bereits geeinigt, doch alles Restliche stand noch offen.

Nun, da es etwas Konkretes zu tun gab, sprudelten die Ideen aus den Mündern nur so heraus. Die Stille hatte der Konzentration Platz gemacht, wie bei einer Schulklasse, die eine schwierige Mathe-Klausur schrieb.

Murdoc fühlte sich besser.
 

*
 

"Die Zeitung liegt auf dem Tisch", waren 2-Ds erste Worte, als Murdoc die Küche betrat. Langsam ließ dieser sich auf seinen Stammplatz fallen und griff erst nach seiner Zeitung und dann nach der Tasse Kaffee, die 2-D ihm sogleich hinhielt. Wenige Augenblicke später folgte sein Frühstück. Es war wieder viel zu viel, doch Murdoc beschwerte sich nicht.

Er hatte nur wenige Tage gebraucht, um sich daran zu gewöhnen, dass 2-D seinen Spaß daran hatte, die Hausfrau zu spielen. Seine Meinung dazu hatte sich währenddessen nicht geändert: Für ihn konnte das nur von Vorteil sein.

Nachdem Murdoc versorgt war, setzte sich 2-D auf den Platz neben ihn und kümmerte sich um sein eigenes Frühstück, das heute aus zwei blauen Pillen und einem Glas Wasser bestand. Wahrscheinlich litt er wieder unter seiner Migräne. Murdoc konnte es nicht verhindern, dass er ein wenig Mitleid mit dem Jungen bekam. Es musste aber auch wirklich beschissenen sein, ständig befürchten zu müssen, dass höllische Kopfschmerzen und Schwindelanfälle einem in mehr als unpassenden Gelegenheiten überraschten.

Murdoc blätterte in seiner Tageszeitung herum; bis jetzt hatte er glücklicherweise noch kein neues, dämliches Gerücht gefunden, aber das konnte sich sehr schnell ändern, wie er wusste. Und das tat es dann auch.

Der Artikel nahm fast die halbe Seite ein, und auf dem großen Foto in der Mitte konnte er ohne weiteres sich selbst und 2-D identifizieren. Sie befanden sich beide in der Küche: 2-D reichte dem ausgehungerten Murdoc gerade mit einem schrecklich fürsorglichen Blick den Teller mit seinem Frühstück. Die fette Überschrift lautete: Murdoc und 2-D: Ein geheimes Liebespaar?. Murdoc entglitt die Zeitung, die auf dem gefliesten Küchenfußboden landete und -wie hätte es anders sein können?- prompt von 2-D aufgehoben wurde. Zuerst schien es, als als wollte er sie Murdoc zurückgeben, doch dann fiel sein Blick auf die aufgeschlagene Seite. Murdoc konnte genau erkennen, wie 2-Ds nachtschwarze Augen sich vor Schock weiteten und seine sowieso schon unnatürlich helle Haut noch bleicher wurde.

"Gib' das her, Arschloch!", brüllte Murdoc, bis eben noch versteinert, und riss die Zeitung mit einem Ruck wieder an sich. Oh, diese scheißverdammten Hurensöhne von Zeitungsfritzen! Zerhackstückeln, verbrennen und drauf rotzen würde er! Wie konnten es diese beschissenen Arschgeigen es nur wagen…!

"Murdoc…?"

Murdoc in diesem absoluten Ausnahmezustand anzusprechen, war der größte und dümmste Fehler, den 2-D derzeit begehen konnte. Ehe er wusste, wie ihm geschah, hatte Murdoc bereits wutschnaubend ausgeholt und seine Faust in 2-Ds Magengrube gerammt. Mit grausamer Genugtuung beobachtete er, wie ihm dessen Inhalt wieder hochkam. Um ihn nicht anzuspucken, drehte 2-D sich schnell zur Seite und erbrach sich schließlich auf den Boden. Murdoc konnte genau die bleichen, unverdauten Pillen in dem eklig grün-braunen Erbrochenem erspähen. Sie grinsten ihn frech an, wie es einst zwei Schneidezähne an ihrer Stelle getan hatten.

Murdoc zeigte in seinem Wutanfall keinen Anflug von Gnade. Er schubste 2-D, der sich gerade verzweifelt den Mund abwischte, auf den Boden und setzte sich auf dessen Oberschenkel, während er seinen Oberkörper und Kopf mit Schlägen bombardierte.
 

"Das. Ist. Alles. Nur. Deine. Schuld. Blindschleiche!" knurrte Murdoc, während er erschöpft ein- und ausatmete. Er hatte mindestens eine Viertelstunde auf den wehrlosen 2-D eingeschlagen, und sein schrecklicher Zorn war noch immer nicht verraucht. Doch die Haut, die sich seinetwegen verfärbte, das Blut, das seinetwegen durch die Luft spritzte und der goldene Backenzahn, der auf dem gefliesten Küchenfußboden gelandet war -das alles verschaffte ihm Genugtuung. Sein Ruf war geschädigt, doch zumindest bezahlte der Kerl, der dafür verantwortlich war, auch ordentlich. "Wärst du nicht auf die Scheiß-Idee gekommen, hier die Hausfrau raushängen zu lassen, dann wäre das nie passiert! Du gottverdammte Schwuchtel! Ich sollte dir deine nicht vorhandenen Eier rausreißen, Hurensohn!"

Murdoc beugte sich bedrohlich weit zu 2-D nach unten, sodass nur noch wenige Millimeter fehlten, dann hätten sich ihre Nasenspitzen berühren können. 2-Ds Gesicht zuckte und zitterte jämmerlich vor Angst, als er Murdocs herben Atem darauf fühlen konnte. "Ich warne dich, Schwuchtel", flüsterte Murdoc leise, "wenn so etwas noch einmal geschieht, dann bist du tot. Und das meine ich ernst!"

Klack.
 

*
 

"Habt ihr's nun mal langsam?"

Russel, der als einziger von ihnen sein Instrument, das Schlagzeug, nicht jedes Mal neu einzustellen brauchte, legte ständig eine unglaubliche Ungeduld an den Tag, wenn die anderen Drei damit beschäftigt waren.

"Jaja…"

"Jaja heißt Leck mich am Arsch!", grinste er und nahm seine beiden Drummsticks in die massigen Hände.

"Genau das hatte ich auch gemeint."

"Hey, du…!"

"Lasst den Mist jetzt!", funkte Noodle genervt dazwischen, die sich auf den Weg zu ihrem angestammten Platz im riesigen Proberaum machte. "Ihr benehmt euch ja wie die Kleinkinder!"

"Okay. Auf drei, alle kapiert?" Russel, Noodle und schlussendlich auch 2-D nickten, alle Drei wirkten hochkonzentriert und warteten nur noch voller Anspannung auf das Zeichen. "Drei!"

Das Intro, das sie tausende Male abgeändert und verbessert hatten, funktionierte reibungslos und klang so verdammt gut, dass Murdoc ein gewinnendes Grinsen kaum mehr unterdrücken konnte. Dann begann 2-D zu singen. Und wie er sang! Immer, wenn 2-D etwas extrem Idiotisches angestellt hatte und Murdoc tatsächlich nur noch eine Haaresbreite davon entfernt war, ihn umzubringen, besann er sich auf dieses atemberaubende Talent, das ihnen dadurch verloren ginge. Und das war zumeist auch der einzige Grund, der Murdoc davon abhielt. Auf rosa T-Shirts, Katzenbabys und sulzige Kommentare konnte er ohne Probleme verzichten…

Mit einem Mal wurde es ganz still im Proberaum und Murdoc schaute sich erstaunt und wütend nach dem Urheber dafür um. Bestimmt hatte diese Ratte 2-D wieder etwas angestellt!

"Muds…", stöhnte Noodle genervt auf. "Du hast deinen Einsatz verpasst!"

Er hatte was!? War er tatsächlich so in Gedanken versunken gewesen? Das würde ihm auf keinen Fall ein zweites Mal passieren! Noch eine Blamage heute konnte er sich beim besten Willen nicht mehr leisten. Er dankte Satan nur dafür, dass weder Russel noch Noodle großartige Zeitungsleser waren…
 

"Alter, was ist nur los mit dir?" Russel hatte gesprochen und musterte Murdoc mit einem äußerst unangenehmen Blick aus seinen milchig weißen Augen. Seine geliebten Drummsticks lagen nun achtlos auf einer der vielen Trommeln, die gemeinsam sein Schlagzeug bildeten. "Du benimmst dich in letzter Zeit so komisch!" Er benahm sich komisch? Was war denn das bitteschön für ein Blödsinn? Er verhielt sich genauso, wie er es immer getan hatte: Rüpelhaft, egoistisch, leicht reizbar und unhöflich. Und so blieb das gefälligst auch!

"Er hat recht!", schaltete sich nun auch wieder Noodle ein, und Murdoc würde sie am liebsten für die Tatsache erwürgen, dass sie ein kleines Kind war und es wagte, ihm Vorwürfe zu machen. Doch Noodle sprach, ohne Rücksicht auf den Todesblick, den er ihr zuwarf, weiter: "Du isst so gut wie gar nichts, du sprichst kaum noch mit uns und holst dir für so gut wie jede Nacht eine Schnecke in deinen Winnebago, nur um hier morgens schlecht gelaunt anzutanzen. Was ist nur los mit dir? Wir machen uns Sorgen, weißt du das eigentlich?"

Na und, war das sein Problem? Er konnte doch machen, was er wollte! Da hatten sich diese Idioten überhaupt nicht einzumischen! Murdoc wusste, dass er an dieser Stelle eigentlich wütend losbrüllen und um sich schlagen müsste, doch irgendwie fehlte ihm die Kraft dazu. Der Zorn war nicht da. Er fühlte sich einfach nur leer, verzweifelt und schrecklich müde.

"Siehst du?", murmelte Noodle leise und traurig als Erwiderung auf die Antwort von Murdoc, die sie nicht bekommen hatte.

"Ach, lasst mich doch in Ruhe, ihr Idioten", murmelte Murdoc leise und war in Begriff, den Raum zu verlassen, um in seinen Winnebago zu verschwinden und die Türe hinter sich abzuschließen, als er am Arm festgehalten wurde. 2-Ds Finger waren dünn und kalt, doch er schlug sie nicht weg. "Hey", begann er mit einer sorgenvollen Stimme, die überhaupt nicht zu ihm passte, "wenn etwas ist, kannst du immer mit uns reden." Murdoc riss sich augenblicklich los und spürte, dass die Wut zurückgekehrt war. Wie heiße Lava pulsierte sie in seinen Venen. Wofür hielten sich diese Affen? Er konnte noch genau spüren, wo 2-D ihn berührt hatte. "Mir geht es saugut, nur damit ihr's wisst! Ich brauche weder euch noch eure beschissene Fürsorge, ist das klar?!" Und mit diesen Worten stapfte er aus dem Proberaum.
 

*
 

Eigentlich hatte er tatsächlich vorgehabt, sich in seinen Winnebago für eine Weile hinzulegen, doch nun entschied er sich um. Stattdessen machte er sich auf den Weg in die Küche. Dem fast leeren Kühlschrank konnte er glücklicherweise noch ein eisgekühltes Sixpack Bier entlocken, was Murdoc ein wenig beruhigte. Mit einer geübten Bewegung schälte er eine der Flaschen aus der blöden Verpackung, öffnete sie und setzte sie sich, so schnell es ihm möglich war, an die Lippen. Der Alkohol dämpfte das, was von seiner Wut noch übrig war.

Einige Zeit stand er nur da und genoss das Bier, ehe er sich die Zeitung schnappte, die noch auf dem Tisch lag. Ausnahmsweise einmal hatte er sie sich für den Nachmittag aufheben wollen. Er nahm sie in seine freie Hand und machte sich so beladen schnellsten auf zu seinem wunderbaren Winnebago. Schließlich konnte er kaum damit rechnen, dass die drei Vollidioten sich so leicht abschreiben ließen. Einen kurzen Augenblick lang zögerte Murdoc und warf einen raschen Blick zur Küchentüre. Es war schon sehr ungewöhnlich, dass sie ihm nicht gefolgt waren und weiter mit ihren verrückten Theorien auf ihn eingeredet hatten. Ob sie die Probe seinetwegen wohl abgebrochen hatten, oder spielten sie unbekümmert von dem Szenario eben weiter?

Murdoc schüttelte den Kopf und kam zu dem Schluss, dass das sowieso keine Rolle spielte. Wie kam er nur auf solche Gedanken? Er legte das Bier und die Zeitung eilig auf sein Bett, das so breit war, dass ohne Probleme vier Personen darauf liegen konnten, und kehrte dann gemächlich zur Türe des Winnebagos zurück, um diese zu schließen. Er wusste genau, dass keiner der Drei es wagen würde, sein Reich zu betreten. So weit er sich erinnern konnte, waren Russel oder Noodle noch niemals hier drin gewesen, und 2-D nur ganz zu Beginn, als die Sache mit der Band noch in den Kinderschuhen steckte, kaum mehr als eine waghalsige Idee war. Oder vielleicht noch ein- oder zweimal mehr. Denn 2-D hatte, so ungern er es auch zugab, irgendwie auch ein Recht auf den Winnebago. Nicht rechtlich gesehen, denn rechtlich gesehen gehörte der Kasten ja nicht einmal ihm selbst. Aber 2-D hatte für einige Zeit in diesem Winnebago gewohnt, genauso wie er, und darum gehörte dieser auch zu einem äußerst geringen Anteil auch dem Idioten. Jedenfalls sah Murdoc das so. Ob 2-D derselben Meinung war oder nicht, das wusste er nicht und es interessierte ihn auch nicht sonderlich, wenn er ehrlich war. Schließlich hatte er sie nie die Mühe gemacht, es dem Schwachkopf zu sagen. Denn dann würde 2-D ganz sicher ohne Unterbrechung hier rumhängen. Wie früher.

Murdoc bemerkte ein paar weiße Flecken auf dem Laken, die von der letzten Nacht stammen mussten. Auch dieser Sex -Lisa hatte das Weib geheißen, meinte er sich zu entsinnen- war miserabel gewesen. Es hatte Ewigkeiten gedauert, bis er zum Orgasmus gekommen war, und das war, für Murdoc jedenfalls, ein eindeutiges Zeichen. Guter Sex hatte einfach und schnell zu sein. Kein Vorspiel, kein Nachspiel, einfach nur einen hübschen Fick.

Murdoc verdeckte die Flecken durch seine graue Bettdecke; er sah keinen Sinn darin, das riesige Bett zu säubern. Spätestens morgen würden neue Flecken hinzukommen, und dann noch mehr. Und immer wieder würde er sich denken, dass der Sex schlecht war. Und immer wieder würde er sich eine Ausrede einfallen lassen. Das Weib hatte so kleine Titten gehabt, dass er nicht geil geworden war. Oder er war so gut im Bett, dass neben ihm alle anderen schrecklich schlecht waren. Den Weibern und Mädchen, die er sich angelte, gefiel es jedenfalls. So gut wie jede ließ ihm die Handynummer da. Er zerknüllte sie und warf sie in den Mülleimer, sobald die Person außer Sichtweite war.

Murdoc seufzte und setzte sich an das Kopfende des Bettes, die Zeitung auf den Knien. Hoffentlich waren heute eine Menge Leute auf schmerzhafte Art ums Leben gekommen. Hoffentlich. Er war gerade einmal bei seinem vierten Bier, als sein Körper -wie bereits einmal in seinem Leben- zu Stein wurde. Das war nicht wahr. Das konnte nicht wahr sein! Murdoc spuckte das Bier, das er in seiner Mundhöhle festgehalten hatte, laut prustend aus.

Dafür würde jemand büßen müssen und er wusste auch schon ganz genau wer!
 

"Du arschgefickte Arschgeige! Mach gefälligst diese beschissene Tür auf, sonst trete ich sie ein!" Zur Bekräftigung der Worte, die Murdoc laut kreischend von sich gegeben hatte, schlug er ein weiteres Mal mit der Faust gegen die stabile Metalltüre, die 2-Ds Leben vor ihm rettete. Er war sich noch nicht einmal sicher, ob dieser sich überhaupt wieder in seinem Zimmer befand; noch immer bestand die Option, dass er und die restliche Band im Proberaum weiter an dem Song arbeiteten. Doch er hatte keine zwei Sekunden gewartet, da konnte er genau hören, wie ein Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde und sofort schwang die Türe mit einem lauten, unangenehmen Quietschen auf.

Vor ihm stand 2-D. Nass. Und nackt, bis auf ein kleines, zartrosa Handtuch, das er sich anscheinend sehr eilig um die Hüften gewickelt hatte. Es löste sich bereits wieder, weswegen 2-D verzweifelt versuchte, es mit einer Hand festzuhalten. Seine sonst immer in alle Richtungen abstehenden, knallig blauen Haare hingen wie ein nasser Vorhang schlapp herunter. Sie hatten sich durch das Wasser dunkel verfärbt und wirkten nun beinahe schwarz. Murdoc beobachtete mit zurückgehaltener Faszination einen Wassertropfen, der sich aus 2-Ds Haar löste und dessen mit grünen und blauen Stellen nur so übersäten Oberkörper weiter hinabrutschte.

Murdocs Wut war mit einem Mal verraucht.

"Willst du… Willst du nicht reinkommen, Muds?" 2-D, sichtlich verunsichert durch Murdocs Schweigen, wo er doch eben noch so laut und aggressiv gewesen war, schaute schüchtern und demütig zu Boden. Murdoc nickte nur abwesend und trat ein.

Er war nur sehr selten jemals in 2-Ds Zimmer gewesen; es war für ihn eine Tabu-Zone, wie es für 2-D sein Winnebago war. Erstaunt stellte er fest, dass es sich seit seinem letzten Besuch sehr verändert hatte. Die vielen Poster von Tierbabys, die früher die Wand verzierten, waren verschwunden, 2-Ds Bett war anstelle des früheren Pink mit Schwarz bezogen und der Schrank bedeckt mit unleserlichen Kritzeleien. Tatsächlich schien der einzige freundliche Gebrauchsgegenstand hier in diesem Raum 2-Ds rosa Handtuch zu sein.

"Ich …ähm… habe ein wenig umgeräumt…", versuchte 2-D eine dürftige Erklärung abzugeben, als er Murdocs misstrauischen Blick auf sich spürte. Und die warfen ihm vor, er hätte sich verändert?

Murdoc blieb keine andere Wahl als sich auf 2-Ds Bett, die einzige Sitzgelegenheit im Zimmer, niederzulassen. Währenddessen suchte sich 2-D einige neue Kleidungsstücke aus dem verunstalteten Schrank und verschwand anschließend für wenige Sekunden im angrenzenden Badezimmer, um es dann vollständig angekleidet, doch noch immer mit klatschnassem Haar, wieder zu verlassen.

Er setzte sich, einen größeren Abstand als nötig haltend, neben Murdoc auf das Bett und betrachtete diesen mit einer ungleichen Mischung aus Neugierde, Erwartung und … Angst? "Also…", ergriff 2-D schließlich das Wort, als Murdoc weiterhin schwieg, "wieso bist du hier?"

Murdoc ließ sich ein wenig Zeit. Er wog ab, ob es ratsam war, die Wahrheit zu erzählen, oder ob er 2-D lieber eine Ausrede auftischen sollte. Er entschied sich schlussendlich für letzteres und brauchte nur wenige Augenblicke, um sich eine plausible Lüge auszudenken. 2-D war sowieso der leichtgläubigste Mensch, den er kannte. Der Junge fraß ihm fast schon aus der Hand!

Mit einem seltsamen Gefühl der Genugtuung dachte er an all die Ausreden, Lügen und Halbwahrheiten zurück, die ihm 2-D allesamt, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, geglaubt hatte.

"Weißt du, ich dachte daran, vielleicht ein öffentliches Interview zu geben."

"Wow!", war das erste, was 2-D von sich gab. Dann begann er zu fragen, wann und wo er das Interview geben würde, und wovon es überhaupt handelte, und, und, und. Das war das einzig nervige, wenn man ihn anlog: Man musste seine Fragen beantworten. Doch diese Unbequemlichkeit relativierte sich sofort wieder, wenn man bedachte, dass man auch hierbei einfach lügen konnte. Murdoc antwortet auf alle Fragen sehr ausweichend, wohl wissend, dass es dieses Interview niemals geben würde. Sollte 2-D jemals danach fragen, was bei dessen Gedächtnis mehr als unwahrscheinlich war, dann würde er ihm einfach irgendeinen Zeitungsartikel unter die Nase halten, den sich irgendwelche Presseleute zusammengebastelt hatten, weil ihre Zeitung sonst kein Schwein kaufte. So einfach war das!
 

"Ich muss jetzt gehen", sagte Murdoc nach einer Weile. Sie hatten sich lange unterhalten. Länger, als es nötig gewesen wäre. Das geschah sehr selten. Für gewöhnlich liefen ihre Gespräche so ab, dass 2-D entweder von Murdoc beschimpft oder wegen irgendwelchen Sachen, die mit ihrer Musik zu tun hatten, zu Rate gezogen wurde. Schade eigentlich.

"Okay", erwiderte 2-D leise. "Auf Wiedersehen dann, Muds."

"Ja, auf Wiedersehen", wiederholte Murdoc den Abschiedsgruß noch leiser, sodass er fast geflüstert klang, und verließ 2-Ds Zimmer.
 

So, ich hoffe sehr, dass dir das erste Kapitel gefallen hat! Über einen Kommentar von dir würde ich mich selbstverständlich sehr freuen! =)
 

bye

sb

Kapitel 2

Kapitel 2
 

"Wohin gehst du?"

Murdoc wusste genau, dass es 2-D gewesen sein musste, der diese Frage gestellt hatte, denn niemanden sonst in der Band interessierte es, was Murdoc tat oder wohin er ging. "Ich fahre nur in die Stadt", antwortete Murdoc, obwohl er im gleichen Augenblick dachte, dass er ihm eigentlich keine Rechenschaft schuldig war.

"Okay", erwiderte 2-D leise, und fügte dann etwas lauter an: "Ich hebe dir etwas vom Mittagessen auf!" Murdoc verdrehte die Augen. Bestimmt war 2-D schwul, eine andere Erklärung hatte er für das Hausfrauen-Verhalten, das dieser in letzter Zeit ständig an den Tag legte, nicht. Murdoc stieg in sein Auto und sofort wurde seine gute Laune noch besser. Er spürte das raue Leder des Lenkrades an seinen Handflächen und das Gaspedal unter seinem Fuß. Es gab doch wirklich nichts Schöneres auf der Welt, als mit ein paar hundert Kilometern pro Stunde und bei lauter Musik eine einsame Landstraße entlang zu fahren. Oder?

Murdoc parkte seinen Wagen ungewöhnlich langsam aus, wobei er noch einen letzten Blick auf 2-D durch den Rückspiegel erhaschen konnte. Wie ein schmerzhafter Schlag in der Magengrube fühlte sich die Gewissheit an, dass 2-D sich tatsächlich viel zu sehr verändert hatte. Anstelle des idiotisch-gutmütigen Grinsens, das 2-D für gewöhnlich jedem zeigte, der es sehen mochte, konnte er dieses Mal nur einen seltsam bekümmerten Ausdruck auf dessen Gesicht ausmachen. Irgendetwas stimmte mit dem Jungen nicht, das merkte man doch sofort!

Murdoc drückte das Gaspedal durch und verließ den Parkplatz mit einer Geschwindigkeit, die er selbst nach seinen Maßstäben als schnell bezeichnet hätte.
 

"Na, wie wär's mit uns beiden?"

Das Mädchen war bis auf die dicken Striche eines Kajal-Stiftes, die es um seine Augen gezogen hatte, nahezu umgeschminkt und hatte nur etwa schulterlange Haare, doch gerade diese beiden Eigenschaften machten den besonderen Reiz aus, fand Murdoc jedenfalls. Das konnte allerdings durchaus auch nur daran liegen, dass dieser, obwohl es noch nicht allzu spät war, bereits sein sechzehntes Bier in der rechten Hand hielt und in den ständig die Farbe wechselnden Lichtern eines Clubs so gut wie jedes Weib auf irgendeine verquerte Weise schön aussah. Murdoc nickte behäbig, nahm noch einen letzten, kräftigen Schluck des wohltuenden Alkohols und stellte dann die leere Bierflasche zurück auf den Tresen, damit er das junge Ding mit schlurfenden Schritten zu seinem Wagen führen konnte. Mit diesem würde er es jetzt zu seinem Winnebago fahren, es dort aufs heftigste durchvögeln, sich danach denken, dass der Sex wieder einmal schlecht gewesen war und sich von 2-D eine Kleinigkeit zu essen machen lassen.

Kaum hatte er sich auf seinen Sitz niedergelassen -das Mädchen hatte den Beifahrersitz neben ihm in Beschlag genommen- begannen einige Finger mit kirschrot lackierten Nägeln den Reißverschluss seiner Jacke zu öffnen. Sex im Auto?

Wieso eigentlich nicht, dachte Murdoc und ließ es zu, dass ihm das Mädchen auch noch das schwarze Shirt über den Kopf zog und es achtlos auf die hinteren Sitze warf. Es strich ihm mit den widerlich lackierten Fingernägeln in kleinen Kreisen über den Oberkörper und Murdoc fiel auf, dass die Berührungen ihn nicht anturnten, wie sie es früher immer getan hatten. Ob das am Alkohol lag?

Murdoc beschloss kurzerhand selbst die Initiative zu ergreifen. Ohne auf den überraschten, doch keinesfalls ablehnenden Blick des Mädchens Rücksicht zu nehmen, knöpfte er ihm geschwind die enge Seidenbluse auf und warf sie hinter sich auf die freien Sitze, wie sie es auch mit seinem Oberteil getan hatte.

Murdocs Hände begannen zu zittern, als er sich an dem Busenhalter zu schaffen machte. Das verunsicherte ihn. Für gewöhnlich ging er beim Ausziehen eines Weibes zielstrebig und selbstsicher vor, selbst wenn er sich hundertprozentig sicher war, dass der Geschlechtsverkehr mehr als unbefriedigend verlaufen würde. Aber vielleicht war das Zittern ja auch nur Zeichen seiner Erregung? Endlich -er hatte deutlich länger gebraucht als üblich- hatte er es geschafft und dieses beschissene Teil segelte auf den Boden. Das Mädchen hatte kleine Titten.

"Findest du mich geil?", säuselte es nichtsdestoweniger und strich sich langsam über den nicht vorhandenen Busen, wohl in der Annahme, dass Murdoc dies in irgendeiner Form erregend fände. Er antwortete auch nicht, sondern begann übergangslos an der engen Jeans herumzufummeln, die es trug. Das Mädchen kicherte furchtbar weibisch auf, als er sie ihm nach einiger Mühe über die Füße gezogen hatte. Satan, sogar die Fußnägel hatte es sich lackiert!

Nun fehlte nur noch der Slip.

Wieder das peinliche Zittern, als Murdoc bedächtig danach griff. Er konnte dieses kleine weiße Stückchen Stoff zwischen den Fingern fühlen und dem Drang, es sofort wieder loszulassen, kaum widerstehen. Worauf wartete er bloß? Er musste doch nur einmal kurz ziehen, und dann war dieses Weib hier nackt. Dann konnte er hemmungslos zustechen. Murdoc hielt es nicht mehr länger aus und ließ den Slip los. Wieso zur Hölle tat er das?

Das Mädchen schien sich dieselbe Frage zu stellen, denn nun wurde er mit einem Blick aus verwirrten, beleidigten Augen bestraft. Murdoc konnte das verstehen. Er hatte hier die ultimative Chance, und nahm sie einfach nicht wahr. Das musste für das Weib wie ein Schlag mitten ins Gesicht sein. "Was hast du?" Anstatt zu antworten blickte Murdoc an sich hinunter. Er trug noch immer seine Hose. Und diese Hose war absolut glatt. So sehr er sich auch anstrengte, er konnte keine verräterische Beule ausmachen.

Das Mädchen missverstand seinen Blick. "Achso!", rief es schrill aus und auf der Stelle bewegten sich die roten Fingernägel auf seinen Schritt zu. Murdoc packte sie, ehe sie ihn erwischen konnten. "Autsch! Hey, Alter, was ist 'n los mit dir?"

"Hast du ein Handy dabei? Oder eine Armbanduhr?"

Die Antwort auf diese Frage bestand aus einem inzwischen nicht mehr beleidigten, sondern wütenden Ausdruck in den Augen des Weibes und den beinahe geschrieenen Worten: "Sag mal, hast du 'se noch alle? Du bist doch echt ein Arschloch!" Murdoc bemerkte, wie es sicherheitshalber einen raschen Blick auf die Jeans zu seinen Füßen warf. Er konnte eine rechteckige Hervorhebung an der linken Tasche erkennen. Dort befand sich also das Handy. Noch ehe das Mädchen eingreifen konnte, hatte es Murdoc bereits blitzschnell der Hosentasche entnommen. Zwölf Uhr zweiundzwanzig.

"Alter, gib' mir mein Handy zurück! Sonst schreie ich!" Murdoc warf dem Mädchen das kleine Mobiltelefon zu und musste einige Augenblicke ausharren, die es damit verbrachte, ihr Handy, das es nicht hatte fangen können, vom Boden aufzuheben. Kaum hielt es das heiß geliebte Gerät wieder sicher in den Händen, beugte Murdoc sich zu ihm hin und öffnete mit einer schnellen Bewegung die Türe auf Seiten des Beifahrers, die sogleich weit aufschwang. Eisig kalte Nachtluft fand ihren Weg ins Innere des Wagens.

Murdoc gab dem Mädchen einen festen Schubs, sodass es mit dem Hintern voraus auf den harten Asphalt knallte. Es war anscheinend nicht in der Fassung irgendetwas dagegen zu unternehmen oder sich zumindest zu wehren, denn die einzige Reaktion, die er bei dem Mädchen ausmachen konnte, war ein überaus verständnisloser Gesichtsausdruck. Noch immer hatte er kein Schimpfwort oder schrilles Gekreische vernommen, als er dem Mädchen auch noch seine restliche Kleidung, die er eilig zusammengesucht hatte, zuwarf.

Erst als Murdoc in Begriff war, die Türe, durch die es hinausgeworfen worden war, zu schließen, fand das Mädchen seine schrecklich hohe Stimme wieder: "Du mieser Hurensohn! Wie kannst du's wagen!" Murdoc interessierte sich nicht für das riesige Vokabular an Schimpfwörtern, das ihm das Weib entgegenschleuderte, sondern knallte die Autotüre entschlossen zu. Das Innere des Autos kam ihm ohne das nervige Mädchen ungewöhnlich ruhig und friedlich vor. Das Gekreische des Frauenzimmers, das inzwischen einem verzweifelten Quietschen gleichen musste, konnte er nur noch äußerst schwach und fetzenhaft wahrnehmen. "… gottverdammt … Arsch … wird büßen … bestimmt schwul…"

Murdoc trat auf das Gaspedal ein, als wäre es allein seine Schuld, dass seine gegenwärtige Lage so unglaublich beschissenen war.
 

Der Parkplatz war dunkel und verlassen, als Murdoc eine knappe Dreiviertelstunde später dort mit seinem Auto eintraf. Er war konsequent Tempo zweihundert gefahren, hatte Musik gehört, die seine Trommelfelle beinahe zum Platzen gebracht hätte und sich dabei einen Dreck um die beiden Streifen geschert, die ihn einige Zeit lang verfolgt hatten.

Unbewusst machte Murdoc einen winzigen Schritt auf die metallene Türe zu, die 2-Ds Zimmer vom Parkplatz trennte, besann sich jedoch rechtzeitig. Was sollte er denn bitteschön um ein Uhr morgens von 2-D wollen? Murdoc schüttelte kaum merklich den Kopf und dachte an die Worte, die 2-D ihm noch zugerufen hatte, ehe er losgefahren war. Haha. Er hatte doch wohl nicht ernsthaft vor, mitten in der Nacht sein verpasstes Mittagessen nachzuholen?

Murdoc zog mit einem lauten, ekligen Geräusch die Nase hoch und machte sich schnellen Schrittes auf den Weg zu seinem Winnebago, der nur wenige Meter entfernt stand.
 

*
 

"Das ist sie." Russel warf ihm eine CD-Hülle zu, die Murdoc, der es sich auf einem der Stühle in der Küche gemütlich gemacht hatte, mit Leichtigkeit auffing und einer strengen Musterung unterzog. Das Cover war sehr dunkel gehalten, sodass das blutrote GoRiLLaZ-Symbol scharf ins Auge stach. Genau darunter befand sich in weißgrauer Schrift, die fast genauso auffällig war, der Titel ihres neuen Songs.

Change. Veränderung.

Ihre neue Single war erschienen. Und irgendwie war es zur Tradition geworden, dass Russel sich -wie zahllose Fans auch- in den nächsten Laden drängte, um besagten Tonträger ebenfalls zu erwerben. Dass er für diesen kleinen Einkauf oftmals Stunden benötigte, war nicht weiter verwunderlich, schließlich brannten hunderte Fans darauf, einen Blick auf den weltberühmten Drummer werfen zu können oder vielleicht sogar ein Autogramm zubekommen. Doch das war es wert, fand Murdoc. Eine einzige CD für vier Bandmitglieder.

"Hey, Noodle, schieb mal die CD hier in den Player!", rief Murdoc der kleinen Gitarristin zu, die sich in unmittelbarer Nähe des Gerätes befand, und warf sie in ihre Richtung. Wie eine kleine Frisbee-Scheibe segelte die CD durch die Luft, ehe Noodle sie mit einem akrobatischen Sprung abfing und wie ihr geheißen in den CD-Player einlegte. Der Song raubte ihm den Atem.

2-Ds Stimme klang traumhaft. Mit einer Begeisterung, die Murdoc von den anderen Liedern nicht kannte, sang er von den beiden Liebenden, die nicht zusammen sein durften, und seine Stimme klang wie ein großartiges Sommergewitter. Der Song war -was nicht unbedingt etwas war, womit ihre Band Werbung machte- romantisch, jedoch auf keinen Fall kitschig. Denn Murdoc hasste Kitsch und bevor seine Band einen kitschigen Song aufnahm, würde man ihn erhängt in seinem Winnebago auffinden!

Eine Tatsache, die Murdoc ein wenig überraschte, allerdings auch erfreute, war, dass 2-Ds Sommergewitter-Stimme an manchen Stellen sogar vor unbändiger Wut zu kochen schien. Solange noch immer ein klein wenig Ironie und Empörung in ihrem Song zu finden war, würde kein einziger Kritiker auf die dämliche Idee kommen, ihn als verweichlicht abzustempeln!
 

Das Lied war zu Ende. Eine ungewohnte Stille legte sich über den Raum, und für eine kurze Zeit wagte es niemand, ein Wort zu sprechen. Erst nach einigen Sekunden durchbrach 2-Ds Stimme, der Murdoc auch jetzt noch das Sommergewitter anhören konnte, das Schweigen: "Also… Ich finde den Song in Ordnung." In Ordnung? In Ordnung? War der Kerl jetzt völlig verrückt geworden?!

"Der Song ist total geil!", wurde er durch Murdoc korrigiert, der breit grinsend und mehr als zufrieden an all die Fans dachte, die in diesem Augenblick fasziniert 2-Ds Sommergewitter-Stimme, dem Talent, dass er entdeckt hatte, lauschen durften.

"Muds hat recht", schaltete sich nun auch Noodle ein, die nicht weniger begeistert und von sich überzeugt klang als Murdoc. "Der Song ist ein voller Erfolg! Von dem Geld, das wird dadurch verdienen, könnten wir uns locker 'nen Privatjet und dazu noch 'ne riesige Villa leisten."

"Was willst du mit einer Villa? Wir haben doch die Kong-Studios."

"Russel-chan, das war doch bloß ein Beispiel!"

"Einen persönlichen Koch fände ich viel besser!"

"Machst du dich etwa über mich lustig?"

"Wie kommst du nur darauf?"

Murdoc beteiligte sich nicht an dem halbherzigen Streit zwischen Noodle und Russel, sondern schaute unauffällig zu 2-D hinüber. Und für eine Sekunde, nein, den Bruchteil einer Sekunde, schien 2-D den Blick zu erwidern. Er lächelte.
 

*
 

Ausnahmsweise einmal hatte sich Murdoc dazu entschlossen, sich in dem für seinen Geschmack viel zu riesigem und prunkvoll eingerichtetem Wohnzimmer der Kong Studios auf der ausziehbaren Couch niederzulassen. Neben sich hatte er drei oder vier Flaschen Bier stehen und für einen sehr kurzen Augenblick fragte er sich, ob er sich wegen seiner ständigen Trinkerei Sorgen machen sollte. Doch Murdoc schob diesen Gedanken, kaum war er gedacht, ganz schnell wieder von sich, wie er es immer mit Gedanken tat, mit denen er sich nicht beschäftigen wollte und die er irgendwo vielleicht auch fürchtete (seit einiger Zeit tauchten ungewöhnlich viele solcher Gedanken auf) und beruhigte sich, indem er sich leise selbst zuflüsterte, dass man sich bei einem solch freudigen Ereignis ruhig das ein oder andere alkoholische Getränk gönnen durfte. Schließlich hatte seine Band ein neues Lied produziert, das innerhalb von wenigen Tagen auf die Spitze der Chartliste geklettert war und eine ganze Reihe Ladeninhaber in England und auch anderen Staaten äußerst glücklich gemacht hatte.

Murdoc sah sich in seiner Annahme bestätigt, als er endlich nach der Fernbedienung griff, um dafür zu sorgen, dass der dazugehörige gewaltige Flachbildschirm seiner Aufgabe tat. Er brauchte nur sehr kurz einmal durch die Programme zappen, da sah er den Videoclip von Change schon auf irgendeinem halbwegs populären Musiksender laufen. Das Video gefiel Murdoc fast genauso gut wie das Lied an sich, was eine außerordentliche Überraschung war. Er liebte es, neue Lieder aufzunehmen und gut besuchte Live-Konzerte zu geben, doch für Musikvideos hatte sich Murdoc nie sonderlich interessiert; er war auch nicht für sie verantwortlich.

Doch aus irgendeinem Grund, den er nicht verstand, war er nicht in der Lage, den Blick vom singenden 2-D abzuwenden. Er erwischte sich sogar bei dem Versuch zu zählen, wie viele Zähne 2-D noch besaß, nachdem er ihm eine nicht zu verachtende Anzahl selbst ausgeschlagen hatte, und sich auch sonst jedes einzelne Detail, das er zu sehen bekam, merkte.

Einen Moment mal! Halt!

Hatte er das gerade tatsächlich gesehen? Murdoc drückte eilig und aufgeregt mehrere Knöpfe auf der Fernbedienung zugleich, bis sich diese schließlich erbarmte und einige Sekunden zurückspulte. Er hatte sich definitiv nicht geirrt. Er war extrem schmal und kaum zu erkennen, wenn man nicht ganz genau hinschaute, wie Murdoc es getan hatte, doch nichtsdestoweniger existierte er: Dieser Kratzer, der sich wie eine fein geschwungen Linie 2-Ds linken Unterarm entlang zog.

Grenzenlose Wut kam urplötzlich in Murdoc hoch, je länger er diese hauchdünne Linie betrachtete, die fast von dem langärmligen Shirt, das 2-D trug, verdeckt wurde. Ihm, Murdoc, wurde also vorgeworfen, er hätte sich verändert, aber dass ihr Sänger sein Zimmer entsetzlich umgestaltete, sich immer mehr zurückzog und nun sogar damit begann, sich …. sich…. wehzutun, das schien Noodle und Russel überhaupt nicht aufzufallen. Und Murdoc hasste sie dafür!

Die Flasche Bier, die Murdoc fest umkrallt hielt, zerbrach. Die kalte Flüssigkeit, die ihm über die Hand und den Unterarm rann und sich zu vielgliedrigen Netzen zusammenfügte und der stechende Schmerz, den die Glasscherben, die er noch immer in seiner geschlossenen Faust zerdrückte, verursachten, ließen Murdoc erst wirklich begreifen, was 2-D -vielleicht sogar in dieser Sekunde- mit sich anstellte.

Keine Minute später stand er -wieder einmal- vor der Metalltüre, die 2-Ds Zimmer vom Parkplatz trennte, und hämmerte wutschnaubend auf sie ein, ohne den Schmerz, der sich darum pochend durch seinen ganze Arm zog, Beachtung zu schenken. Es vergingen Jahre, ehe er leise, langsame Schritte vernahm, das Türschloss klickte und eben diese wie in Zeitlupe aufschwang.

Und für einen ganz kleinen Moment wurde Murdocs Wut von der Enttäuschung verdrängt, weil 2-D nicht wie bei ihrem vorherigen Treffen nur mit einem extrem kurzen rosa Handtuch bekleidet vor ihm stand, sondern eine lange Hose und für die Jahreszeit unpassend dicken Pullover trug. Doch ehe Murdoc einen weiteren Gedanken fassen konnte, war die Wut auch bereits wieder zurückgekehrt und erinnerte ihn an den Grund, warum 2-D diesen Pullover anhatte.

"Ähm..." 2-D wirkte schrecklich klein und hilflos, wie er dastand mit zittrigen Beinen und Murdoc mit einem Blick, der ebenso Angst wie Freude ausdrücken konnte, fixierte. Ungebeten setzte Murdoc in einer gebieterischen und Würde ausstrahlenden Bewegung den entscheidenden Schritt über die Schwelle, zog die Türe mit einem unnötig lauten Geräusch hinter sich zu und wusste danach nicht mehr, was er weiter tun sollte. Er befand sich hier in einem Raum, allein mit 2-D, den er wegen seiner neuen Neigung zum Ritzen … zur Rede stellen wollte.

Okay. Und wie genau machte man so etwas? Mit einem Mal wurde Murdoc klar, dass er noch nie in seinem ganzen Leben versucht hatte, jemanden wieder auf die richtige Bahn zu lenken. Eigentlich interessierte es ihn recht wenig, was die Menschen in seinem Umfeld mit sich anstellten, sofern er selbst nicht betroffen war. Aus irgendeinem Grund war es bei 2-D anders.

Noch immer wurde er von diesem angestarrt, als sei er der einzige Mensch, den es auf dieser Welt gab, und Murdoc begann sich mit jeder Sekunde unwohler zu fühlen. Oh Mann, in was war er hier nur hineingeraten? Scheiße.

"Also… Ich…" Murdoc stockte und schluckte einmal heftig. "Ich… wollte mal… mit dir reden. Wegen ... wegen so 'ner Sache." Super gemacht, Murdoc. Häng' dir doch gleich ein Schild mit der Aufschrift Idiot um den Hals. "Du willst mir etwas sagen?" 2-D war hellhörig geworden und Murdoc hätte nur zu gerne gewusst, was in dem Jungen vorging, der ihn nun mit unverhohlener Neugierde im Gesicht anstarrte. Was er wohl erwartete?

Murdoc dachte an den Kratzer an 2-Ds Arm, verscheute eilig das komische Gefühl der Unsicherheit, das ihn übermannt hatte, und sprach so selbstbewusst und schnell, wie er nur konnte: "Im Musikvideo von Change kann man sehen, dass du einen Kratzer am Arm hast. Ich will nicht, dass du dich ritzt, 2-D. Kapiert?!"

2-Ds Gesichtsausdruck war mit jedem Wort transparenter geworden, und seine Stimme klang sonderbar dünn, aber noch immer hoffnungsvoll, als er sagte: "Das heißt… du hast dir Sorgen um mich gemacht?"

Ja, ganz genau das heißt es, dachte Murdoc und erschrak im selben Augenblick wegen dieses Gedankens. Seit wann zur Hölle kümmerte er sich denn bitte um… um diesen Deppen? Doch nicht etwa, weil er 2-D mochte oder er ihm wichtig war. Nein, mit Sicherheit nicht, es hatte einen völlig anderen Grund. Ganz sicher!

"Natürlich nicht!", fauchte Murdoc darum und klang sehr viel schärfer, als beabsichtigt, "ich will nur nicht, dass die Leute denken, der Sänger meiner Band sei nicht nur eklig schwul, sondern auch noch ein widerlicher kleiner Emo, der sich ritzt! Du bist mir doch völlig egal, Face-Ache!" Nach diesem Wortschwall musste Murdoc erst einmal tief Luft hohlen. So hatte er das eigentlich nicht ausdrücken wollen. Und so gemeint war es eigentlich auch nicht.

Vorsichtig schaute er auf und stellte geschockt fest, dass 2-D kurz davor war, zu heulen. Jedenfalls glänzten seine Augen verdächtig und noch dazu biss er sich mit den Eckzähnen -die Schneidezähne hatte er ihm höchstpersönlich ausgeschlagen, erinnerte sich Murdoc plötzlich schmerzlich- auf die Unterlippe, sodass Murdoc fürchtete, sie würde gleich anfangen zu bluten.

Einige Sekunden verharrten sie beide stumm und reglos, starrten einander einfach nur an, bis Murdoc diesen Anblick nicht mehr ertragen konnte. Er hatte es niemals ausstehen können, wenn Menschen weinten. Schmerzensschreie oder wüste Beschimpfungen waren okay, aber durchs Weinen machte man sich absolut wehrlos und kennzeichnete sich selbst als eine schwache, verletzte Person. Und dann kam sich Murdoc immer, so sehr er es auch verabscheute, furchtbar schlecht vor.

Darum wollte er hier unbedingt raus, ehe 2-D tatsächlich hier vor seinen Augen beginnen würde zu flennen. Also ertastete er vorsichtig die Türklinke hinter sich -er hatte sich während des gesamten Gesprächs, während des kleinen Weltuntergangs nicht weiter als einen Schritt vom Ausgang entfernt- und drückte sie, sobald er sie sicher in der Hand fühlte, mit aller Kraft hinunter.

Bloß weg hier! Um Gottes Willen, weg hier!
 

Den Weg zurück zum Winnebago konnte man fast schon als Flucht bezeichnen, so schnell lief Murdoc.

Erschöpft ließ er sich an der Wohnwagentür hinabgleiten, kaum war sie hinter ihm zugefallen. Sein Herz pochte, sein Atem ging schwer, seine Lungen brannten, obwohl sein Winnebago im Grunde nur wenige Meter von 2-Ds Zimmer entfernt war.

Ob der jetzt ernsthaft heulte? Bestimmt.

Murdoc fragte sich unweigerlich, wieso er überhaupt zu 2-D marschiert war. Sorgen um ihn gemacht hatte er sich ganz sicher nicht! Zumindest nicht wegen einer kleinen, hauchzarten Linie, die er sich unter Umständen vielleicht sogar bloß eingebildet hatte. Sollte 2-D einen richtig üblen Unfall gehabt haben, oder in einer Schlägerei verwickelt gewesen sein, oder von einem Häuserdach gesprungen sein, dann würde er sich eventuell ein ganz klein wenig sorgen. Vielleicht. Aber nicht wegen eines so blöden kleinen Kratzers! Jetzt, wo Murdoc darüber nachdachte, war er sich nicht einmal sicher, ob er ihn überhaupt wirklich gesehen hatte.

Es war genau so, wie er es 2-D, gesagt hatte: Das einzige, was für ihn von Bedeutung war, war seine Band. Und der damit verbundene Ruhm natürlich! Dennoch fand Murdoc den Gedanken, dass 2-D nur wenige Schritte von ihm entfernt heulte und mit seinem Körper sonst was anstellte, unerträglich.

Murdoc schüttelte den Kopf, um den Gedanken aus ihm zu vertreiben. Wie er es immer mit störenden Gedanken tat.
 

Ja, ich weiß: Das Kapitel ist extrem schlecht geworden... Ich entschuldige mich bei all meinen Lesern!
 

Über Kritik und Verbesserungsvorschläge freue ich mich natürlich trotzdem sehr! Und ich denke, an dieser Stelle ist ein großes Dankeschön an meine Kommi-Schreiber, die mir bereits einen lieben Kommentar zum ersten Kapitel hinterlassen haben, angebracht. Vielen herzlichen Dank, ihr seid wirklich die besten!
 

bye

sb

Kapitel 3

Kapitel 3
 

„Gehst du schon wieder feiern, Muds?“

Wieso schon wieder? Murdoc hatte keine Lust, mit 2-D, der die letzte halbe Stunde ihm gegenüber am Küchentisch gesessen und diese damit zugebracht hatte, an einem halbvollen Glas Wasser zu nippen, über irgendetwas auf dieser Welt zu diskutieren. Und schon gar nicht über ihn selbst! Er hatte gewaltig miese Laune, was auch die zwei Flaschen Bier, die er eben binnen einer extrem kurzen Zeitspanne leer getrunken hatte, nicht hatten ändern können. Darum zuckte er einfach nur ohne zu antworten genervt die Schultern, und schnappte sich beim Verlassen der Küche noch eine dritte Flasche.

Es dauerte nicht lange und Murdoc stand in seinem beschissen engen Winnebago, um sich für die Diskothek ein vernünftiges Oberteil anzuziehen. Er sah für einen kurzen Moment in den alten, zerkratzten Spiegel, der zur Außenverkleidung seines Kleiderschrankes gehörte, und sah eine dunkle, ausgemergelte Gestalt mit tiefen Ringen unter den Augen. Murdoc rümpfte abfällig die Nase, und konnte den Blick nicht abwenden. Eine Mischung aus fürchterlichen Gefühlen, für die er keine Worte fand, durchflutete seinen Körper. Die Mundwinkel des Wesens im Spiegel rutschten ein weiteres Stückchen nach unten.

Wieso denn ein neues T-Shirt anziehen? Ganz gleich, wie schick er sich machte, ganz gleich wie oft er sich duschte, ganz gleich wie viel Mühe er sich gab – Murdoc ahnte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass der Sex in dieser Nacht ebenso unbefriedigend und schlecht sein würde wie in allen davor. Was machte er bloß falsch?!

Mit einem weiteren Naserümpfen wandte er sich vom Spiegel ab, schnappte sich seinen Deoroller – den einzigen, den er besaß und den billigsten, den es im Laden gegeben hatte-, schmierte sich das Zeug eilig unter die Achseln, interessiere sich nicht für die so entstanden Deorückständen auf dem schwarzen Shirt mit dem 666-Aufdruck, und verließ eilig wieder seinen Wohnwagen.
 

*
 

Der schwarze BMW schnellte durch die Straßen der Stadt wie eine schöne, flinke Katze. Murdoc, der hinterm Steuer saß, hatte sich eine kleine, unscheinbare Disco ausgesucht, in der er höchstwahrscheinlich niemanden treffen würde, den er kannte oder der von Bedeutung gewesen wäre.

Relativ froh, einen Parkplatz gefunden zu haben, der nicht weit vom Eingangsbereich entfernt war, stieg Murdoc mit seinem fettigen Haar, dem alten, fleckigen T-Shirt und dem Geruch nach billigem Deodorant oder Aftershave aus dem Auto und ging eiligen Schrittes auf das kleine Lokal zu. Der Türsteher, ein nicht sonderlich großer, aber sehr kräftiger Mann mit hellblonder Mähne, ließ Murdoc gelangweilt passieren, ohne ihn vorher zu kontrollieren, einen Eintrittspreis zu verlangen oder auch nur nach dem Ausweis zu fragen. Keine zwanzig Sekunden später wurde Murdoc klar, weshalb. Die Disco war so gut wie leer. Etwa ein halbes Dutzend Leute mittleren Alters drängte sich wie eine Schar Motten ums Licht um den Tresen, ein weiteres halbes Dutzend stand ziemlich verstreut in dem kleinen Raum mit der hohen Decke und machte den Eindruck, nicht recht zu wissen, wozu es eigentlich hier war, und auf der Tanzfläche befanden sich exakt vier Menschen: Ein ziemlich junges Paar, das gemeinsam tanzte und sich dabei ohne Unterbrechung furchtbar verliebt in die Augen schaute, und zwei männliche Junggesellen, die sich nicht von der schlechten Stimmung beeinflussen ließen und leise für sich selbst vor sich hin feierten.

Murdocs Laune war an einem absoluten Tiefpunkt angelangt. Mit schweren, langsamen Schritten gesellte er sich zu dem Pulk an der Bar und bestellte sich einen Cocktail. Der Barkeeper nickte, schien froh zu sein, etwas zu tun zu haben, und es dauerte nicht lange, da hatte Murdoc einen auffällig buntes und fröhlich wirkendes Getränk in der Farbe eines überreifen Pfirsichs vor sich stehen. Gerade, als er mit der rechten Hand das kühle Glas ergriff, wurde er angesprochen.

„Hey, Mudsi! Ich glaub’s nicht, bist du’s wirklich?“

Murdoc nahm einen tiefen Zug von seinem Cocktail, ignorierte dabei, dass das flatternde kleine Deko-Schirmchen ihm fast das Auge ausgestochen hätte, und versuchte seine zitternde Stimme unter Kontrolle zu halten. „William“, kommentierte er trocken die freudige Begrüßung des dunkelhaarigen Mannes, der sich viel zu nahe neben ihn gestellt hatte. Was zum Teufel machte ausgerechnet der hier in diesem kleinen Drecksloch von Disco!? „Ja, ich hatte wirklich nicht gedacht, dass wir uns jemals wieder sehen würden.“ Murdoc ersetzte gedanklich das nicht gedacht durch ein gehofft und betete, dass William möglichst bald bemerken würde, dass er sich nicht mit ihm unterhalten wollte. Und auch keine anderen Dinge mit ihm tun wollte.

Bei diesem Gedanken musste Murdoc sich scharf auf die Zunge beißen und ein weiteres Mal einen großen Schluck seines Cocktails zu sich nehmen. Erinnerungen, von denen er gedacht hatte, dass sie für alle Zeit in den Tiefen seines Unterbewusstseins gut aufgehoben wären, drängten sich zurück an die Oberflächen. Er dachte an das Gefängnis in Mexiko, an die Ratten, den Dreck, die Drogen und seinen Bewährungshelfer. William Di Lauro.

William bestellte sich ebenfalls einen Cocktail und als Murdoc zufällig einen kurzen Blick auf die Karte warf, bemerkte er, dass es der teuerste und zugleich auch der mit dem meisten Alkoholanteil war. Er pustete sich eine dunkle Haarsträhne zur Seite, die ihm ins Gesicht gefallen war, und dachte sich irgendetwas in der Art, dass das ja sowas von klar gewesen war…Sie standen eine Weile nebeneinander und keiner schien recht zu wissen, was er jetzt sagen sollte. Oder sagen durfte.

Irgendwann bemerkte Murdoc, dass sein Glas (schon wieder) leer war, und machte dem Barkeeper ein Zeichen, der schnell zur Stelle war –in der Zwischenzeit war immer noch niemand Neues in die Diskothek gekommen- und ihm einen neuen Cocktail mixte.
 

Nach dem achten oder neunten Cocktail –oder war es schon der Zehnte? Murdoc versuchte sich zu erinnern, musste dann aber feststellen, dass dieser Versuch nur Schwindel und ein ziemlich ekliges Übelkeitsgefühl in ihm wachriefen. Er schwankte stark, umklammerte mit einer Hand zittrig den Rand des Tresens und versuchte sich gegen die Einsicht zu wehren, dass er doch besser auf 2-D hätte hören sollen. Ach, Scheiß auf 2-D! Was wusste denn der schon?

Murdoc atmete langsam ein und aus und versuchte mit aller Kraft seine Gedanken zu ordnen -dieses verdammte Schwindelgefühl! Es drehte sich alles…- und spürte, wie sich ein freundlicher, starker Arm um seinen Oberkörper schlang und ihn stützte. Winnebago. Er wollte einfach nur noch in sein Bett! „Bleib ganz ruhig, Muds. Ich kümmer’ mich um dich.“ Er kannte diese Stimme. Sie klang freundlich und vertraut. War William immer noch da? „Komm, ich fahre dich zurück, ja? Hier kannst du in deinem Zustand nicht bleiben.“ Das hörte sich gut an. Murdoc klammerte sich an alles, was er von William zu fassen bekam, stützte sich daran auf, während sie beide langsam, Schritt für Schritt die kleine, verlorene Diskothek verließen. Der Barkeeper schaute ihnen beide mürrisch nach. Sie waren diese Nacht wohl die Haupteinnahmequelle gewesen. Murdoc musste unweigerlich grinsen und stolperte fast über die Bordsteinkante, die unvermittelt in der Dunkelheit aufgetaucht war.

„Mein Wagen steht gleich da drüben. Ist nicht weit.“ Es war ein sehr schönes Auto. Das konnte er selbst in seinem stark alkoholisierten Zustand erkennen. William öffnete ihm die Beifahrertür und half ihm, sich auf den weichen Ledersitz zu setzen, und stieg selbst schnell auf der Fahrerseite ein.

Eigentlich mochte Murdoc Autos, die mit mindestens zweihundert Stundekilometer unterwegs waren, doch auf dieser Fahrt fühlte er sich so elendig und einsam und hilflos wie lange nicht mehr.
 

„Wir schind scha gar nisch bei misch.“

Die Fahrt hatte nicht lange gedauert, Murdocs Zustand und auch seine Laune hatten sich nicht im Mindestens gebessert, und nun stand er auch noch in einem zwar sehr stilvoll eingerichtetem, doch ihm völlig fremden Schlafzimmer.

Ein riesig wirkendes Doppelbett nahm die Mitte des Raumes ein und Murdoc fiel auf, dass die Bettwäsche sehr neu wirkte und farblich zu der restlichen Einrichtung passte. Es roch nach frischer Luft und auch ein bisschen nach Lavendel, und ganz gleich, in welche Richtung er auch schaute, er hatte immer in ihrer Farbe und Form perfekt aufeinander abgestimmte Möbel und einen Teil des Bettes im Blick. Alles schien hier ineinander zu fließen, alles war vollkommen, alles harmonierte miteinander und es gab keine Probleme.

Murdoc fühlte, wie sich der Stacheldraht, der sich um sein Herz und seine Lungen gewickelt hatte, langsam ein wenig löste. Er ließ sich rücklings mit ausgebreiteten Armen auf das schöne Bett fallen und lachte.

Er hörte, wie William mit einstimmte. Er stand noch immer im Türrahmen, drehte sich aber just in diesem Moment um, um die Tür zu schließen und zu verriegeln, und ging dann –ein triumphierendes Grinsen im Gesicht, das irgendwie gar nicht zu der freundlichen Stimme von eben passen wollte- eiligen Schrittes auf Murdoc zu, der verunsichert zu ihm hochschaute. William krabbelte aufs Bett und lehnte sich, auf allen Vieren stützend, über Murdoc, bis nur noch eine Haaresbreite gefehlt hätte, um den Raum zwischen ihren Mündern zu füllen.

Dann küsste er ihn.

Murdoc schmeckte den Rest Alkohol auf Williams und seinen Lippen, riss geschockt die Augen auf, verstand nicht, was vor sich ging und versuchte sich aus dem Gewühl von Körperteilen herauszuwinden, was von William nur mit heftigeren Küssen und einem stärkeren Griff quittiert wurde. Bald –der durch die Dutzend Cocktails hervorgerufene Rausch verlor nach und nach seine Wirkung- wehrte er sich nicht mehr.

Er lag zwischen diesen weichen Kissen, spürte die heißen Küsse und die schönen Bewegungen, und stöhnte leise und zufrieden vor sich hin.
 

*
 

Er war nicht schwul. Natürlich war er nicht schwul! Nur Leute wie 2-D waren schwul…

Murdoc saß gegen einen Grabstein gelehnt irgendwo in dem riesigen Grundstück, das noch zu den Kong Studios gehörte, aber weit außer Sichtweite war. Zu seiner Linken lagen einige leere Flaschen im Gras, die einmal Wodka enthalten hatten, und es war warm. Kein einziges, noch so kleines Wölkchen stand am Himmel, dafür eine freundliche Sonne. Murdoc fühlte sich vom Wetter und der ganzen Welt hintergangen. Das elendige Gefühl in seiner Brust hatte sich noch verstärkt, sein Herz schien zu zerreißen, und die Sonne lachte ihm ins Gesicht!

Am liebsten hätte er angefangen zu weinen, aber Murdoc war viel zu stolz und zu dickköpfig, um es tatsächlich zu tun, obwohl es ihm vielleicht nicht allzu sehr geschadet hätte.

Als wäre er schwul! Pah!

Murdoc erhob sich langsam und schirmte seine Augen vor der Sonne ab. Das gestern war… Das konnte doch mal passieren. Ein Ausrutscher. Ein richtig peinlicher und unverzeihbarer, aber eben nur ein Ausrutscher. Er war doch nicht schwul. Was für ein Schwachsinn!

Mit einem wehleidigen Blick betrachtete er die ausgetrunkenen Wodka-Flaschen und fragte sich, ob er neue besorgen sollte. Im Kühlschrank der Kongs hatte er nur Bier gefunden. Literweise Bier, aber er hatte Lust auf etwas Härteres gehabt. Wer wollte schon Bier, wenn er Wodka haben konnte? Hm?

Sollte er wirklich los und was Neues holen? Dafür müsste er mit dem Auto in die Stadt fahren. Denn in den Scheiß-Kongs hatten sie ja nur beschissenes, billiges, lasches Bier! Mit einem hässlichen Grunzen kickte Murdoc eine der Flaschen aus dem Weg und machte sich auf den Rückweg. Er schwankte ein bisschen, aber das bemerkte er nicht.
 

Den Autoschlüssel hatte er in der Küche liegen gelassen, auf dem Tisch. Noch immer war dieses furchtbar kleine, dreckige Zimmer eine Art Versammlungs- und Aufenthaltsraum für sie alle, und darum war er nicht sonderlich überrascht, als er 2-D und Noodle dort vorfand. Beide schienen eine Kleinigkeit gegessen zu haben, denn Teller, an denen noch winzige Reste von irgendwelchen Nahrungsmitteln –wahrscheinlich Spaghetti mit Soße- klebten, standen auf dem Tisch vor ihnen, nur wenige Zentimeter von seinem Autoschlüssel entfernt.

Als Murdoc einfiel, dass er 2-D ziemlich lange nichts mehr Warmes essen gesehen hatte, fühlte er sich ein wenig besser. Der Wunsch nach Wodka war ein Stückchen weiter nach hinten in den Teil seines Gehirns gerutscht, in dem er die weniger wichtigen Dinge verstaute. Stattdessen beschloss er, sich eine Weile zu ihnen zu setzen.

Es dauerte eine Weile –oh, Wodka!-, bis ihm auffiel, dass beide sehr schweigsam waren, und Noodle ihn gleichsam wütend und verwirrt fixierte, während 2-D konsequent den Augenkontakt mied und stumm auf seinen leeren Teller starrte. Was hatte er denn jetzt schon wieder falsch gemacht?! Der kleine schöne Funke, der sich in seinem Herzen für einen kurzen Moment eingenistet hatte, erlosch, und Murdocs Stirn legte sich in Falten. Er hatte keine Lust, sich eine Strafpredigt anzuhören oder sich zu streiten, aber noch weniger wollte er alles einfach auf sich beruhen lassen. Also ergriff er das Wort und wiederholte den Gedanken, den er eben gefasst hatte: „Und, was hab’ ich jetzt wieder falsch gemacht?“

Noodle sagte lange Zeit nichts, ehe sie sich von ihrem Stuhl erhob und mit langsamen, würdevollen Schritten und einem stolzen Gesichtsausdruck auf ihn zuging und sich –die Hände in die Hüften gestemmt- vor ihm aufbaute. Also doch eine Strafpredigt. Na super. Murdoc hatte bereits im Alter von fünf oder sechs Jahren damit aufgehört, sich um solche niedlichen Reden zu kümmern, und er sah überhaupt nicht ein, wieso er jetzt wieder damit anfangen sollte.

„Hast du eigentlich eine Ahnung, was du 2-D mit dieser beschissenen Nummer angetan hast!?“ Murdoc wollte bereits zu einer furchtbar viele Schimpfwörter enthaltene Gegenrede ansetzen, ehe ihm auffiel, dass er nicht im Geringsten wusste, wovon Noodle da eigentlich sprach. Was bitte schön sollte er 2-D denn angetan haben? Murdoc zermarterte sich das Gehirn, das sich vom Wodka noch immer nicht ganz erholt hatte, und suchte nach irgendwelchen Erinnerungen, doch im Zusammenhang mit 2-D fand er nicht allzu viel, und was er fand, war nicht negativer als sonst. Wenn er so darüber nachdachte, hatte er sich in letzter Zeit sogar relativ freundlich 2-D gegenüber verhalten: Verprügelt hatte er ihn ziemlich lange nicht mehr –er wusste selbst nicht mehr so ganz genau, wann das gewesen war- und neben einigen Beleidigungen und Beschimpfungen hatte es sogar das ein oder andere nette Gespräch mit ihm gegeben. Ging doch eigentlich, oder?

„Pah! Ich hab’ keine Ahnung, wovon du da redest, Kleine, und selbst wenn ich es wüsste: Was ich mit wem mache, ist doch wohl meine Sache, klar? Und wenn unser kleiner, süßer Loser 2-D mit irgendwas nicht klar kommt, ist das gefälligst sein Problem, verstanden!?“

Murdoc fand, dass das eine ziemlich gute und schlagfertige Antwort war, und mit einem Mal verspürte er den bestialischen Drang, zu grinsen und zu lachen.

Definitiv ein falscher Entschluss. Diese Reaktion auf ihre Worte, das brachte das Fass zum Überlaufen! Obwohl Murdoc genau wusste, dass Noodle extrem stark und mit Sicherheit auch nicht ungefährlich war, sah er immer ein kleines, zierliches Mädchen mit über die Augen fallendem Pony in seinen Gedanken, wenn sie einmal darin vorkam, was selten genug geschah. Doch hier und jetzt schien sie binnen weniger Sekunden um ganze Kopfesgrößen gewachsen und in die Breite gezogen worden zu sein; und mit den noch immer wütend in die Hüfte gestemmten Hände wirkte sie wie eine schrecklich strenge Mutter, die ihren einzigen Sohn beim Stehlen erwischt hatte.

„Bist du eigentlich vollkommen bescheuert, du gottverdammter Arsch?!“ Murdoc blickte Noodle absolut verdattert und überwältigt an, schien nicht zu wissen, was er auf diesen einen Satz erwidern sollte, stotterte und stammelte ein paar unzusammenhängende Worte vor sich hin und ließ die Flut an Anschuldigungen, Beschimpfungen und Sorgen, die nun seitens Noodle über ihn hereinbrach, über sich ergehen.

„Du kapierst wohl überhaupt nichts, oder? Wirklich gar nichts! Unser 2-D hier“ –sie deutete mit einer weit ausholenden Bewegung auf 2-D, der noch immer reglos und wie betäubt am Küchentisch saß und sich anscheinend von tiefstem Herzen wünschte, irgendwo, bloß nicht hier zu sein- „verlässt sich auf dich, er hängt an dir, du bist eine Art Gott für ihn.

Und was tust du?

Ganz genau: Du verschwindest seit Wochen jeden Abend in irgendeine Disco, Kneipe, Party oder in ein Bordell oder Kasino, und scherst dich einen verdammten Dreck um uns und ganz besonders um 2-D! Du bist ständig nur besoffen, ganz egal um welche Uhrzeit! Es würde mich nicht wundern, wenn du dir demnächst auch noch irgendwelche Drogen oder so was durch die Venen jagst! Denkst du eigentlich mal an uns? Nur einen winzigen Moment lang? Wir machen uns Sorgen um dich, Muds!“ Während diesem Teil ihrer Rede verwandelte sich Noodles Gesicht, das bisher durch die ganze Wut und Trauer furchtbar entstellt und verzerrt wirkte, in das einer besorgten Freundin. „Was soll nur aus dir werden, wenn du so weiter machst? Was soll aus den Gorillaz werden? Aus uns? Dein Zustand tut uns weh, Murdoc! Du machst uns völlig kaputt!

Und wunderbar angefangen hast du da mit 2-D!“ Und bei diesen Worten wurde ihr Gesicht wieder zu dieser wütenden Maske, die Murdoc in diesem Augenblick mehr fürchtete als alles andere auf der Welt. Wann nur war dieses Mädchen zu so einer Furie geworden? Er schluckte, klammerte sich mit einer Hand an die Lehne eines Stuhls und zog ihn ein Stück zurück, sodass er sich darauf niederlassen konnte. Wie ein nasser Sandsack oder ein Häufchen Elend hockte er auf seinem Platz und hoffte, dass Noodles Teufelsrede bald ein Ende finden würde. „Du hast es mit diesem komischen Typen getrieben. Letzte Nacht! Die ganze Welt weiß es, Murdoc, es stand in der Zeitung, ganz fett auf der Titelseite. Aber das ist nicht wichtig. Was die Welt von deinem beschissenen Seitensprung hält, ist egal.“ Wieso Seitensprung? „Aber auf diesem Weg hat es auch 2-D erfahren. Und du weißt ja gar nicht –nicht im Mindesten- wie verdammt weh du ihm damit getan hast! Wie konntest du ihm das nur antun?

Er liebt dich!“

Dieser Satz stand verlassen im Raum und verschwand nicht. Er liebt dich. Er liebt dich. Er liebt dich. Noodle wirkte selber erschrocken darüber, was sie da gesagt hatte und warf einen schuldbewussten Blick zu 2-D, der zum ersten Mal eine richtige Reaktion zeigte. Sie bestand darin, dass er seine mit Tränen gefüllten Augen weit aufriss, sich mit den Eckzähnen auf die Unterlippe biss, bis sie ganz blutig war, und dann so laut, dass es im gesamten Raum zu hören war, die Nase rümpfte, wohl als letzten Versuch, die Tränen doch noch zurückzuhalten. Es gelang ihm nicht.

Murdoc, der nach dieser langen Ansprache endlich wieder Worte fand und sie ausspuckte wie Gift, erhob die Stimme: „Na und? Was kann ich denn dafür, wenn unsere kleine Schwuchtel sich in mich verknallt wie ein Schulmädchen? Bin ich dafür verantwortlich? D weiß ganz genau, dass ich für eine Beziehung –ganz gleich wie abartig sie sein mag- nicht zu haben bin. Ich will mich um niemanden kümmern, außer um mich selbst. Ich hab keinen Bock auf unsere süße, niedliche, kleine Tunte hier!“ Er warf einen vernichtenden Blick in Richtung 2-D, der inzwischen an seinen Tränen zu ersticken schien und nicht in der Lage war, auch nur ein Wort von sich zu geben. Er schluchzte nur und schniefte und heulte, als sei die Apokalypse eingetreten. Was für seine kleine, eingeschränkte Welt ja vielleicht sogar zutraf.

„Abgesehen davon mal: Wie sollte ich bitte Rücksicht auf ihn nehmen –wenn ich es gewollt hätte-, wenn mir dieser kleine Feigling das nicht mal sagt, dass er auf mich steht. Auch wenn es vielleicht irgendwo in einer deiner beschissenen Zeitungen stehen mag: Ich kann immer noch nicht Gedanken lesen!“

Mit diesen Worten schnappte er sich seinen Autoschlüssel, verließ eilig die Küche mit der eingeschnappten Noodle und dem zerbochenen 2-D, und machte sich auf den Weg in die Stadt. Er brauchte dringend Wodka!
 

bye

sb
 

So, meine lieben Leser, nach der langen Wartezeit, für die ich mich wohl bei euch entschuldigen muss, ist Kapitel 3 nun endlich da. Ich hoffe, es gefällt euch und war es wert, gelesen zu werden. Über einen Kommentar freue ich mich immer! =)
 

William Di Lauro, Murdocs Bewährungshelfer, ist übrigens kein von mir geschaffener Charakter, sondern gehört der lieben Luna-Umbra, der ich sehr herzlich dafür danke, dass ich ihn in meiner Fanfic auftreten lassen durfte. Vielen Dank, Luna-Umbra! ♥

(Für alle, die sich ein wenig für Williams Aussehen interessieren: Schaut mal in Luna-Umbras FanArt-Galerie, da ist ein super Bild von ihm zu finden! ;P)



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Kommentare zu dieser Fanfic (31)
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Von:  angeli_2390_
2018-05-01T06:43:52+00:00 01.05.2018 08:43
Eine sehr schöne Geschichte. Schade das es ein offendes Ende hat, ich würde gern wissen wie es ausgeht :)
Von:  Seguchi
2017-04-06T23:02:00+00:00 07.04.2017 01:02
Wirklich geniale schreibweise. Deine Geschichte ist spannend und ergreifend. Man fühlt regelrecht mit den Charakteren. Ich hab sie trotz des datums und der unvollständigkeit gelesen da sie bereits in einer anderen FF hoch gelobt wurde, die leider auch abgebrochen wurde. Wirklich schade das so geniale Geschichten wie deine auf eisgelegt werden. Leider in nem Fandom wo es deutschsprachig sowieso wenig gibt. Ich wollte dir hier mein lob aussprechen und dich wissen lassen das ich mich freuen würde wenn du mal wieder lust hast das hier fortzusetzen auch jetzt passend zum Comeback der gorillaz diesen Monat :) auf jedenfall hat mir das was bisher hier steht sehr gut gefallen :3
Von:  LuziferAngel
2016-08-02T17:02:53+00:00 02.08.2016 19:02
Ich habe erst heute die Geschichte gelesen und muss 2-Blurillaz recht geben. Nicht nur das Murdoc wirklich ein arsch ist und Stu viel zu gut für den ist sondern das die Story auch echt spannend ist. (Hoffe trotzdem das Murdoc mal zur Besinnung kommt.)
Deshalb bitte ich dich das du bald weiter schreiben mögest den egal was (vielleicht irgendwann) noch kommt, ich werde es auf jedenfall lesen.

GLG LuziferAngel =^w^=
Von:  2-Blurillaz
2016-04-22T23:27:40+00:00 23.04.2016 01:27
Die Geschichte ist echt abgefahren ich hasse murdoc diesen hässlich arroganten Arsch der nichts liebt außer sich selbst (sorry das musste mal gesagt wehren ) und der arme stu der kann einem ja richtig Leit tun wenn man mal bedenkt das paula das Miststück in auch schon freilassen hat kann ich nur sagen der Arme hat jemanden besseren als murdoc ferdient ich hoffe du schreibst weiter denn die Geschichte ist echt spannend
Von:  2-Blurillaz
2016-04-22T22:51:44+00:00 23.04.2016 00:51
Also das Kapitel ist NICHT schlecht ich finde es gut aber ihrgend wie doof das Stu zum emo wir aber sonnst ist das Kapitel gut gelungen ich liebe deine Geschichten die sind echt cool und ich finde die Charaktere auch gut getroffen aber murdoc ist n Arsch aber das wahr er ja schon immer
Von:  2-Blurillaz
2016-04-22T22:15:56+00:00 23.04.2016 00:15
Wow das Kapitel ist voll cool ich finde es nur komisch weil du am Anfang geschrieben hast das er nicht nach dem Namen von der Tussi gefragt hat und später weiß er dann das die alte Lisa oder so hieß trotzdem eine coole Geschichte mach weiter so

Bye
Von: abgemeldet
2014-09-11T13:27:03+00:00 11.09.2014 15:27
Hui, ich äußere mich früh zu dieser FanFic :D

Jedenfalls finde ich sie einfach nur toll *-* Ich konnte einfach nicht aufhören, sie zu lesen...x3 Schade, dass es schon so lange kein weiteres Kapitel gibt ._. Ich hätte echt gerne mehr gelesen...hat diese "Schreibblockade" dich etwa befallen? :/
Na ja. Ich hoffe, dass es irgendwann weitergeht...ich habe diese FF echt gerne gelesen. Dein Stil lässt sich angenehm lesen, deine Worte wiederholen sich nicht und deine Handlung wird nie langweilig, selbst an ach so unbedeutenden Stellen.
So, dann habe ich mich auch mal geäußert...muss ja mal sein, hm? ;)

Viele Grüße~ x3
Von:  Murdoc
2010-08-31T13:04:19+00:00 31.08.2010 15:04
Waaaaaaaas!? Ich hab noch kein Kommi zu diesem GEILEN Kapitel geschrieben?!?!?!? o__o xD
Ich hab mir diese FF nochmal erneut durchgelesen, weil ich die so HAMMER finde! *0* ♥
*schwärm* Du triffst einfach jeden Charakter PERFEKT! x3
Deine Wortwahl ist wie immer super und in keinem Satz wird es langweilig! ^^
Du bringst die Gefühle der Charas sehr gut rüber und man kann alles bestens nachvollziehen. ^^
Schon alleine die Idee mit William. Klasse! *Daumen hoch* xD
Und der arme 2-D ... *schniefz* Q////Q Ich musste schlucken bei dem Abschnitt~ u///u
Ich find es super, dass du es so geschrieben hast, dass Noodle 2-D sozusagen outed. Hätte aber nicht gedacht, dass Murdoc doch so kalt reagiert. *die letzten Worte von Muds meint* xD
Aber trotzdem toll! Ich bin wirklich gespannt wie es weiter geht und ob die Worte von Noodle Murdoc zum Nachdenken bringen.
Also ich hoffe es mal. Ich liebe Drama (mit Happy End)! *___* xDDD
Aber wiederrum hoffe ich auch, dass 2-D was schönes mit Murdoc passiert. Q///Q Ahwww~ Ich könnt mir so viele Sachen bei dieser FF ausmalen. Sie ist einfach genial! >///w///<
Du gehst nicht zufällig auf Wünsche ein? x'DDDDDD *lieb guck* xD
Nein Quatsch, schon okay... Ich lass mich überraschen. x3
Ich hoffe so sehr, dass es schnell weiter geht. *////*
DIESE FF IST DER WAHNSINN! Nein, ich übertreibe nicht! Ich mein es wirklich so! x3 *ansporn* xD (Bitte brich niemals die FF ab... ;__; *mit untergehen würde* x'D)
Von: abgemeldet
2010-08-19T20:01:12+00:00 19.08.2010 22:01
Hey :)
Bin gestern auf deine Gorillaz Fanfics gestoßen und wollte jetzt endlich auch mal ein Kommi hinterlassen.
Also erstmal finde ich deinen Schreibstil total toll.
Die ganze Art wie du Situationen beschreibst und wie du Vergleiche einbaust.
Macht richtig Spaß das zu lesen.
Und wie du die Charaktere beschreibst und analysierst ist richtig gut gelungen.
Besonders bei den Gorillaz finde ich das total wichtig weil sie ja alle sehr eigene Persönlichkeiten sind.
Vor allem 2D und Muds. ;D Sind ja schon ein bisschen komplex die beiden..
Und die Storyline ist auch super.
Mal nicht diese klischeehaften Schnulzen sondern so wie man es bei Muds und 2D auch erwartet.

Also ganz großes Lob! Du hast auf jeden Fall einen neuen Leser dazubekommen :D
liebe Grüße, Nara

Von:  KyleBroflovski
2010-06-16T20:29:14+00:00 16.06.2010 22:29
Ow man, wenn ich mir da 2-D vorstelle, tut er mir sooo leid, ich würde ihn am liebsten knuddeln >3<
Das Kapitel ist wirklich toll, ich freue mcih bereits auf das nächste^^


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