Tauwetter von Pudel (Wunschstory für Science) ================================================================================ Kapitel 1: Fußabtreter ---------------------- Tauwetter Kapitel I Fußabtreter Jan ist nicht nervös. Nicht ein bisschen. Dass er an der Innenseite seiner Wange herumkaut, versonnen mit einem losen Faden seines Rucksacksträgers rumspielt, reiner Zufall. Schließlich ist er ja nicht nervös. Oder verunsichert. Ganz und gar nicht. Zum x-ten Mal verlagert Jan sein Gewicht von einem Bein auf das andere. Es sieht fast so wie Fußabtreten aus. Aber eben nur fast. Tritt sich doch kein Mensch der Welt eine Viertelstunde die Füße ab. Selbst in den entlegenen Winkeln nicht, die er selbst schon einmal besucht hat. Aber zu behaupten, dass die Situation ihn überfordert, in seinem Magen ICE Züge hin- und herrasen? Lachhaft! Immerhin ist das hier nix. Ein Klacks im Gegensatz zu… im Gegensatz zu… im Gegensatz zu Motorradfahren in der Wüste. Mit halbleerem Tank. Oder von der Klippe springen. Oder Konzerte vor Tausenden von Fans spielen. Genau aus diesem Grund ist er auch die Ruhe selbst. Ein Musterbeispiel an innerer Ausgeglichenheit. Um Jan herum hat sich schon eine Pfütze Schmelzwasser gebildet. Zwar schneit es reichlich, die dicke Wolkendecke lässt keinen einzigen Sonnenstrahl zu, doch ist es schon viel zu warm, als dass der Schnee liegen bleibt. Er holt noch einmal tief Luft. Er ist nicht nervös, er ist nicht nervös, er ist nicht nervös… So abrupt, wie sein Zeigefinger den Weg zur Türklingel findet, wird er auch wieder zurückgezogen. Ein wenig wie, als hätte er sich verbrannt. Gespannt lauscht er den Geräuschen hinter der Tür. Nichts. Kein Getrampel, kein Gerufe, komplette Stille. Der Drang, auf dem Absatz kehrt zu machen, einfach zu verschwinden, ist groß. Schier übermächtig. Allein das kleine Engelchen auf seiner Schulter hindert ihn daran. Redet ihm mahnend in sein, eigentlich schon lange nicht mehr vorhandenes, Gewissen. Darüber, dass es eine unheimliche Ähnlichkeit mit Rod hat, denkt Jan gar nicht erst nach. Ist der Chilene doch ohnehin an allem schuld. Vielleicht für seine nicht vorhandene Nervosität nicht, für die Situation an sich aber allemal. Hat der Bassist ihn doch, kaum dass Jan aus dem Urlaub gekommen war, geradezu mit Anrufen bombardiert, die stets und ständig nur ein Thema hatten. Und zwar genaues jenes, was sich nun gerade weigert, ihm die Tür zu öffnen. Frustriert verlagert Jan sein Gewicht ein weiteres Mal auf den anderen Fuß. Tritt, im wahrsten Sinne des Wortes, auf der Stelle. Es nützt alles nichts. Würde er jetzt gehen, würde er sich in spätestens fünf Stunden die größten Sorgen machen und wenn nicht er, dann wäre da noch immer Rod. Tollkühn legt er seinen Finger auf die Klingel, lässt ihn solange darauf liegen, bis sich dem schrillen Läuten andere Geräusche dazugesellen. Jan kann gar nicht so schnell reagieren, wie auf einmal die Tür aufgerissen wird, ein wirklich genervter Bela ihm gegenübersteht. Der scheint von seinem Besuch so überrascht, dass ihm erst mal die Worte fehlen. Genauso wie Jan. Bloß aus anderen Gründen. Sieht der Drummer doch tatsächlich… einfach nur scheiße aus. „Was tust du denn hier?“ Freude klingt anders. Aber es hätte auch schlimmer kommen können. Zum Beispiel, dass der Ältere ihm die Tür vor der Nase zuschlägt. Möglicherweise anschreit, zu verschwinden. Oder einfach nicht aufmacht. „Schauen, was du so treibst?“ Der Blick, der ihm geschenkt wird, sagt alles und nichts. Wahrscheinlich weiß Bela im Moment selbst nicht so genau, was er von der Szene halten soll. Jan kann es ihm nicht verübeln. Obwohl er sich über ein klein wenig mehr Begeisterung schon freuen würde. „Aha…“ So stehen sie hier. Fast wie zwei Torten. Das mentale Bild, was kurz darauf seinen Geist streift, entlockt dem Gitarristen ein so breites Grinsen, dass es fast schon unverschämt wirkt. Denselben Gedanken muss Bela auch haben. Wird seine Mimik doch deutlich düsterer, die ganze Körperhaltung abwehrend. „Tja, wie du siehst, tue ich nichts. Wenn du also bitte…“ Zwar hat Jan das mit dem Karate nur ganze zwei Monate durchgezogen und außer gelegentlichem Joggen hat er auch nicht sonderlich viel sportliche Tätigkeiten aufzuweisen, das heißt aber lange nicht, dass seine Reflexe ganz eingerostet sind. Blitzschnell, zumindest schneller als Bela, bringt er seinen Fuß zwischen die zufallende Tür und den Rahmen, ignoriert den stechenden Schmerz. „Reinkommen würdest? Mit Vergnügen. Ich hab schon gedacht, du fragst gar nicht mehr.“ Galant schlängelt er sich, vorbei an einem sichtlich genervten Bela, in die Wohnung. Wenn der Ältere nicht will, muss Jan ihn eben zu seinem Glück zwingen. Nicht, dass er das nicht schon oft genug gemacht hätte. Ob das nun das Zurückfahren seines Alkoholkonsums, das Aufnehmen eines Songs beim neuen Album oder die Reunion der Band ist. Nur, dass die Lage ein klein wenig anders ist. Unbekannter. Gefährlicher. Gefährlich ist es auch in der Wohnung. Türmen sich doch die Flaschen geradezu bis unter die Decke, verstecken sich Pizzakartons unter Zeitungen, sind so echte Rutschgefahren. Irgendwie schafft es Jan aber unverletzt bis ins Wohnzimmer, räumt sich einfach ein Fleckchen auf der vermüllten Couch frei, indem er die Sachen runter schmeißt, dem Chaos auf dem Boden hinzufügt. Mit den Beinen übereinander geschlagen und freundlich lächelnd, könnte er glatt aus einer Kaffeewerbung entsprungen sein. Fehlt nur das besagte Heißgetränk. „Und?“ „Was und?“ Eis. Pures Eis. Jan stört sich nicht dran. Zum einen ist in dem Moment, in dem er die Wohnung betreten hat, jegliche Anspannung von ihm abgefallen, fühlt er sich, trotz Belas schlechter Laune, wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser. Zum anderen wird er den Drummer schon noch zum Schmelzen bringen. Auf die eine oder andere Weise. „Macht‘s Spaß, den Messi zu spielen?“ Ein kurzes Zusammenzucken der Augenbrauen des Kleineren. Dann ein Knurren. Das Grinsen, was sich schon wieder auf seine Lippen schleichen will, kann Jan dieses Mal unterdrücken. Wut ist nicht nur gut für Bela, der beste Antrieb, der ihn immer aus Liebeskummer herausbringen kann, sondern auch lustig für ihn selbst. Gibt es doch wenige Sachen, die soviel Spaß machen wie ein ordentlicher Streit mit dem Drummer. „Wenn du nur hier bist, um mich zu beleidigen, kannst du gleich wieder gehen, Jan. Obwohl, wenn ich es mir richtig überlege, du kannst gleich gehen.“ Gentleman-like deutet Bela zur Tür und Jan ist sich eigentlich sicher, dass er ihm sogar den Mantel reichen würde, gesetzt dem Fall er hätte einen dabei, wenn er dann nur gehen würde. Fast findet er es niedlich, wie sehr Bela sich bemüht, ihn los zu werden. Doch sollte der ihn eigentlich besser kennen. Gemütlich lehnt sich Jan zurück, macht es sich so bequem wie möglich. „Also wirklich, Bela, hast du dir jetzt noch den letzten Rest Anstand weggesoffen? Zuallererst heißt das, schön dass du da bist. Dann kommt ein; kann ich dir irgendwas anbieten, hintendran. Und wenn du schon fragst: ein Tee wäre ganz nett. Pfefferminz, wenn du da hast. Mit drei Stück Kandiszucker. So wie immer.“ Das Gesichtsspiel Belas zu beobachten, ist besser als jeder Kinofilm. Das teuflische Kichern steckt in seiner Kehle, wird aber mit einem Hüsteln vehement heruntergeschluckt. Jan amüsiert sich köstlich. „Jetzt hackt es wohl wirklich. Du sollst verschwinden. Ne Fliege machen. Up, up and away. “ “Auf dass du weiter hier sitzen kannst, die Wände anstarrst und darüber grübelst, wie ungerecht dein Leben und die holde Weiblichkeit im Allgemeinen zu dir ist? Dich weiter mit irgendwelchen Fusel besäufst und in mitternächtlichen Selbstmitleidanfällen Rod anrufst und ihn von seinem wohlverdienten Schlaf abhältst. Und somit mich irgendwann auch, weil er, drei Mal darfst du raten, wen, anruft, um sich zu beschweren? Und das alles in dem Wissen, dass sie dich verlassen hat aus eben jenen Grund, weil du eine absolute Flasche bist und in bestimmten Lebenslagen zu nichts zu gebrauchen? Wenn das dein Wunsch ist, dein wirklicher Wunsch; bitte, ich werde dich nicht daran hindern. Aber komm dann nicht, wie immer, später zu mir angekrochen und heul mir die Ohren voll, dass du kostbare Zeit deines Lebens damit verbracht hast, irgendeiner Ische hinterzutrauern, der du später irgendwelche Hasslieder andichtest.“ Jan hat mit vielem gerechnet. Verbalen Ausfällen, Schreien, fliegenden Sachen. Mit wirklich vielem. Und vieles wäre auch in Ordnung gewesen. Eine Teedusche zum Beispiel. Oder stinkenden Socken im Gesicht. Womit er aber nicht gerechnet hat, ganz und gar nicht, und was auch überhaupt nicht in Ordnung ist, ist dass der Drummer sich auf ihn stürzt, die geballten Fäuste kräftig in seine Seite schlägt. Und gleich wenn Jan sich eigentlich über andere Dinge Sorgen machen sollte, seine Verteidigung und körperliche Gesundheit wären da ein guter Anfang, ist es doch nur ein Gedanke, der zu präsent in seinem Kopf ist, alle anderen verdrängt: Gott, hat Bela zugenommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)