Simiramis von Pairo (Die Zeit der Industrialisierung) ================================================================================ Kapitel 1: Manchmal... ---------------------- Manchmal weiß ich wirklich nicht, wie es weitergehen soll. Es ist noch früh, die Kinder schlafen noch. Ich stehe oft hier am Fenster und schaue hinaus auf die dunkle Stadt. Es ist lange her, dass ich den Sonnenaufgang gesehen habe...oder den Sonnenuntergang. Das letzte Mal war es wohl im Sommer, letztes Jahr. Es wird langsam Zeit, ich sollte die Kinder wecken und zur Arbeit. Wir alle müssen arbeiten gehen. Alle außer Conrad. Sein Arm geriet vor einem halben Jahr in die Walzmaschine. Nun können nur noch ich und die Kinder arbeiten, aber wir verdienen viel weniger als er, denn er ist doch ein Mann. Er ist wirklich nutzlos, seit er nicht mehr arbeitet säuft er nur noch. Grade letzten Samstag hab ich ihn voll gekotzt vor der Kneipe an der Ecke aufgesammelt. Aber ich sollte nicht so viel jammern, es wird Zeit. Insgesamt habe ich 5 Kinder und alle müssen geweckt werden. Für freundliche Worte fehlt es mir in diesen Zeiten aber an Kraft und Geduld. „Aufstehen ihr Schlafmützen!“, meine ich nur matt und versuche immerhin gut gelaunt zu klingen. Nach wenigen Minuten ist es geschafft. Die Kinder wissen, wo etwas zu essen ist. Ein Stück Brot für jeden, hab extra auf mein eigenes verzichtet. Mein Lohn reichte wieder vorne und hinten nicht. Es wird Zeit, ich gehe. Und wie jeden morgen ist es dunkel. Es ist mir sehr wichtig pünktlich zu kommen, komme ich zu spät gibt es Lohnabzug. Unser Chef legt großen Wert auf Disziplin und Ordnung, wiedersetzen tu ich mich nie. Ich bin Näherin in einer Großfabrik, manchmal putze ich auch das Lager. Es ist immer jemand anders dran, der Chef will kein Geld für zusätzliche Putzfrauen ausgeben. Ich mag ihn nicht, obwohl ich ihn niemals gesehen hab. Niemand von uns einfachen Leuten hat ihn je zu Gesicht bekommen. Ich bin da, man sieht es an dem Auflauf vor der Fabrik. Diese ganzen Leuten hier…Sie sind das um einen Vorsitzenden um Arbeit an zu betteln. Es ist immer das Selbe, ich schiebe mich durch die Menge. Ein Bettler begrabbelt mich und verlangt Almosen. Ich habe keinen Nerv für so was. Mit einem Tritt ist das Ganze erledigt. Mitleid ist hier nicht angebracht. Der Arbeitsalltag ist wie immer. Trist und kalt. Mit kalt meine ich nicht den Wind, der durch die unverdichteten Wände weht. Viel eher die Menschen. Es ist unpersönlich hier. Wir alle sind eine graue Masse. Ich weiß noch früher, früher…Großmutter hat mir oft davon erzählt. „Simiramis“, hat sie gesagt, „Simiramis mein Mädchen. Früher, früher war es besser. Wir haben auf dem Land gelebt. Die Arbeit war hart, aber man kannte sich.“ Oft erzählte sie mir so was. Ich war damals 7, es ist nun also 15 Jahre her. Meine Großmutter war sehr gläubig, dass weiß ich noch genau. Ich halte nichts von Gott. Wenn es ihn gäbe, würde er das Elend hier beenden. Und wenn es ihn doch gibt und er aber nicht eingreift, dann will ich so einen Gott nicht anbeten. Der Staat hilft uns nicht. Ich weiß, grade letzte Woche, es war Dienstag glaub ich, da hat die Polizei den Aufstand vor dem großen Eisenwerk nieder geschlagen. Ich glaube mein Bruder wurde verletzt. Er war schon immer ein Rebell, ein Querdenker. Ich habe aber keinen Kontakt mehr zu ihm. Bald ist der Tag rum, es dauert immer lang. 17 Stunden oder mehr. Ich bin mit den Gedanken oft nicht hier… Ich wär gerne eine reiche, feine Dame. Ich würde gut aussehen und lächeln. Aber so…habe ich keinen Antrieb dazu. Irgendwas stimmt mit meiner Brust nicht, mit meiner Lunge. Ich huste manchmal Blut aus. Die Nachbarn munkeln schon es sei die Schwindsucht. Ich gehe durch die Dunkelheit wieder nach Hause. Conrad ist nicht da. Marietta hat sich den Arm gebrochen. Aber das macht alles nichts…Es wird irgendwie gehen, es geht immer irgendwie. Mit diesem Gedanken gehe ich an den Schrank und genehmige mir einen Schluck. Die Kinder….die Kinder machen schon anfällige Arbeit, ganz bestimmt. Mit diesem Gedanken im Kopf wird mir schwarz vor Augen, ich sinke auf die Knie und huste heftig. Und dann wird es wie soft richtig dunkel um mich herum. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)