Heroes von Tricksy ================================================================================ Kapitel 13: Thirteen -------------------- „FUSHIMASU!“, brüllte Tsukasa durch das Foyer. Der kam sogleich angehechtet, und als er vor ihm zum Stehen kam, sah man ihm an, dass er kurz mit dem Gedanken spielte, zu salutieren. „Was kann ich für Sie tun, Doktor Oota?“ „Wo ist Doktor Katashi? Ich kann ihn nirgends finden.“ „Er hat sich beurlaubt, Doktor. Für genau eine Woche.“ Tsukasa, der Fushimasu am Arm gegriffen hatte und weiter gegangen war, hielt inne. Er blickte noch eine Weile in die Leere, bevor er sich zu seinem Kollegen umwandte und ihn mit bohrenden Blicken taxierte. „Seit wann?“ „Seit gestern.“ Fushimasu’ Stimme schwang irgendwo zwischen Verwirrt- und Unsicherheit, wusste er doch nicht, warum Tsukasa das so brennend interessierte. Der hatte seinen Weg schon wieder fortgesetzt, und seine Körpersprache ließ nicht gerade auf Entspannung deuten. Fushimasu schloss zu ihm auf. „Dann rufen Sie ihn an, oder fahren Sie zu ihm nach Hause. Machen Sie sonst was, aber erreichen Sie ihn! Halt – nein! Ich glaub es ist sicherer, wenn Sie das lassen.“ „Sicherer?“, war die perplexe Antwort. „Rufen Sie mir stattdessen ein Taxi – aber schnell!“ Zwar schwächelten Karyus Widerstände bereits, aber sie waren noch nicht ganz erloschen. Man hatte ihn ins Gefängnis gefahren, wo bereits eine Reihe von Vorgesetzten auf ihn wartete. Ihn beschlich der böse Gedanke, dass sie keine Überraschungsparty für ihn schmeißen würden. Beim Anblick dieser Männer ließ sein Kampf gegen die festen Griffe nach. Er fixierte einen großen, beleibten Mann mit Glatze. Der Polizeipräsident. Für einen Moment fragte er sich, was an ihm denn so höllisch wichtig war, dass sogar der Mann, der im kleinen Finger so viel Autorität besaß wie der Kaiser, dabei zusehen wollte wie er, Karyu, eingebuchtet wurde. Links neben dem Präsidenten stand Karyus Vorgesetzter, auch glatzköpfig, aber nicht annähernd fettleibig. Man sah ihm an, dass es ihm ziemlich leid tun musste, was hier geschah. Aber Karyu wusste, dass er nichts zu sagen hatte, wenn der Präsident anwesend war – das hatte ja niemand. Die Stille, die Karyu zu zerreißen drohte, nahm kein Ende. Nach einer halben Ewigkeit zückte der Präsident einen schmalen, schwarzen Ordner. „Eintritt in den Polizeidienst mit 19 Jahren. Absolvierung des Bereitschaftsdienstes: 2 Jahre. Anschließender Aufstieg in das Spezialkommando. Eintritt in die Führung des Spezialkommandos mit gerade einmal 22 Jahren.“ Der Präsident hielt inne und sah zu Karyu auf, der seinen Blick nüchtern erwiderte. „Eine beeindruckende Laufbahn, das muss man Ihnen lassen. Nicht jeder Polizist zeigt solche Einsatzbereitschaft wie Sie.“ Er hatte vollkommen unbeeindruckt geredet und reichte den Ordner nun an einen Polizisten weiter, der damit verschwand. Allem Anschein nach hatte er Karyu für seine Leistungen nur gerühmt, damit seine vermeintliche Straftat umso tragischer wirkte. „Schade nur, dass Sie sich einen gewaltigen Stein in den Weg gelegt haben, was ihre Karriere betrifft.“ Karyu reagierte nicht. Sein Blick löste sich vom Präsidenten und er sah sich im Raum um. Normalerweise hätte man ihn in einen der Verhörräume sperren müssen. Er konnte sich keinen Reim darauf machen, wieso man ihn in einen Konferenzsaal gebracht hatte. Hilfesuchend sah er zu seinem Vorgesetzten, doch der zuckte nur hilflos mit den Schultern. „Was soll das?“, fragte Karyu unhöflich. „Wie kommen Sie auf die Idee, dass ich diesen Typen getötet haben soll?“ „Erst gestern haben wir eine Aussage erhalten. Und die spricht eindeutig gegen Sie.“ „Was? Ich wusste bis heute nicht einmal, dass er tot ist! Und wer macht bitte nach neun Jahren noch eine Aussage?!“ Karyus Vorgesetzter deutete mit einer Handbewegung an, dass er sein Temperament lieber etwas herunterschrauben sollte. Er ignorierte ihn. „Was ich jetzt sage, wird Ihnen vermutlich nicht gefallen“, begann der Präsident ernst. „Soll das ein Witz sein? Mir hat bis eben nichts von dem gefallen, was Sie gesagt haben!“ „Die Aussage stammt von Shimasa.“ Ein eisiges Schweigen legte sich über den Raum. Karyu wusste einen Moment lang nicht, ob er weinen oder lachen sollte. „Sie glauben nicht allen Ernstes, dass da was dran sein kann, oder? Es ist doch vollkommen natürlich, dass er mich im Gefängnis sehen will, nachdem ich ihm meine Hilfe verweigert habe!“ Der Präsident streckte seine Hand aus und eine Mappe wurde ihm gereicht. Er schlug sie auf und las vor: „Der Verdächtige war zum Zeitpunkt der Tat etwa siebzehn Jahre alt, und damit in der psychischen Verfassung eine Waffe mit vollem Bewusstsein zu verwenden. Darüber hinaus passt die äußerliche Beschreibung des Verdächtigen zu Bildern des gleichen aus dem Jahr in der die Tat stattfand. Zusätzlich hat der Verdächtige ein Motiv für seine Tat gehabt. Zwei Jahre nach der Tat trat der Verdächtige dem Polizeidienst bei, wo er bei diversen Schießübungen herausragende Leistungen erzielte...“ Karyu öffnete seinen Mund und schloss ihn zugleich wieder. „Sie wollen mich verarschen“, sagte er scharf und starrte auf die Mappe. Der Präsident zog ein Foto von ihm hervor und zeigte es ihm. Er fragte sich, wie er da herangekommen war. „Wollen Sie leugnen, dass Sie das sind?“ „Nein.“ „Oder vielleicht, dass Sie ein Motiv hatten?“ Karyus Mundwinkel zuckten. Das wollte er am allerwenigsten. „Nein.“ „In den Polizeidienst zu gehen ist eine oft angewandte Methode von Tätern.“ „Sie meinen also es ist gerechtfertigt, meinen Willen Anderen zu helfen als einen Beweis heranzuziehen?“ Der Präsident sah ihn finster an und reichte auch diese Mappe wieder weg. „Die Beschreibung passt genau auf Sie, Matsumura. Zu diesem Zeitpunkt hat Shimasa Sie noch nicht gekannt, und noch bevor wir uns um ein Bild gekümmert haben, hat er korrekte Angaben geliefert.“ Karyu wollte etwas erwidern, doch ihm fiel nichts ein. Shimasa hatte er erst bei der Polizei kennengelernt und ihm auch nie etwas aus seiner Vergangenheit erzählt. „Der Tod Ihres Bruders ist ohne Zweifel ein schwerer Verlust, aber Sie können nicht einfach einen Rachezug unternehmen.“ „Wie oft soll ich eigentlich noch sagen, dass ich unschuldig bin?!“ „Beweisen Sie es uns.“ Fieberhaft überlegte Karyu was in dieser Zeit alles geschehen war, doch er kam nur zu dem Schluss, dass er sein Leben so normal wie möglich geführt hatte. „Das kann ich nicht.“ Der Präsident hob eine Augenbraue und winkte, damit er abgeführt wurde. Karyu stemmte sich gegen die zwei Männer die ihn wegziehen wollten. „Fragen Sie doch mal meine Eltern“, rief er und kam sich für einen Augenblick unheimlich dämlich vor. „Das haben wir bereits.“ Karyu wehrte sich noch immer und wartete darauf, dass er weiter redete. „Und?“, stieß er dann hervor. „Sie waren am Tag der Tat nicht zuhause.“ „Was? Aber sie müssen doch-“ Er kam nicht weiter, denn nun wurde er mit aller Kraft aus dem Raum gezerrt. Stolpernd wurde er den Gang entlang geschoben und an dessen Ende eine Treppe hinunter gedrängt. Er konnte nicht so schnell gucken, wie sie die Tür seiner Zelle hinter ihm zugeworfen und abgeschlossen hatten. Als sich Stille um ihn legte, rammte er vor Wut seine Fäuste auf die Pritsche. Nur wenige Minuten später wurde die Tür wieder aufgesperrt und die gleichen Männer traten zu ihm herein, offenkundig peinlich berührt, dass ihr filmreifer Auftritt von ihrem erneuten Erscheinen zunichte gemacht wurde. „Kommen Sie mit“, sagte der eine verklemmt. „Sie haben Besuch.“ Tsukasa saß vor der dicken Glasscheibe und starrte auf den Telefonhörer. Seit einer guten Stunde versuchte er sich in seinem Kopf zurechtzulegen, wie er Karyu dieses Ausmaß an Geschehen vermitteln sollte. Noch viel besser, wie er es überhaupt schaffen sollte, dass er mit ihm redete. Höchstwahrscheinlich würde er auf dem Absatz Kehrt machen, wenn er ihn entdeckte. Er hätte es vollkommen nachvollziehen können. Durch die Scheibe konnte er sehen, wie zwei Polizisten aufgetaucht waren, die Karyu zu ihrem Platz führen wollten. Als der Gefangene Tsukasa jedoch bemerkte begann er sofort heftig mit ihnen zu diskutieren. Allem Anschein nach hatte er kein Interesse an einem Gespräch mit ihm. Nach guten fünf Minuten schien Karyu sich geschlagen gegeben zu haben und setzte sich mit einem giftigen Gesichtsausdruck auf die andere Seite der Scheibe. Tsukasa schluckte und griff langsam zum Hörer, sein Gegenüber tat es ihm gleich. „Bist du eigentlich bescheuert?!“, brüllte er hinein, sodass Tsukasa zusammenzuckte. „Ich sitze hier im Knast, ist das nicht schon Strafe genug?!“ „Das ist wohl kaum meine Schuld“, bemerkte Tsukasa mit einem Anflug von Wut. „Aber wenn du nicht daran interessiert bist, hier auch wieder herauszukommen, dann bin ich sofort weg.“ Karyus Augen blitzten ob Tsukasas kühlen Tonfalls gefährlich auf, doch er schien zu zögern. Eine ganze Weile sagte keiner etwas und man konnte sehen, wie es hinter Karyus Kopf arbeitete. Sicherlich versuchte er eine Lösung zu finden, die erlaubte Tsukasas Hilfe anzunehmen ohne dabei seinen Stolz zu verlieren. „Dann sag schon“, bellte er. „Du bist unschuldig.“ „ACH WAS! Erzähl mir was Neues!“ „Du wirst sabotiert.“ „Wäre ich NIE drauf gekommen!“ Tsukasa hielt mit eisiger Geduld inne. „Dann scheinst du ja bestens informiert zu sein. Vielleicht sollte ich wirklich gehen.“ Natürlich wusste er, dass er das nicht machen würde. Und Karyu wusste es offensichtlich auch, denn seinem Blick nach zu urteilen hatte er nicht vor die Art und Weise, mit der er sprach, zu ändern. „Komm auf den Punkt!“ Tsukasas Augen wanderten kurz zu den beiden Polizisten, die hinter Karyu standen. In diesem Moment kam ihm der Gedanke, dass sie vielleicht belauscht wurden. Und er konnte bei bestem Willen nicht sagen, ob das gut oder schlecht wäre. Irgendwie hatte er das Gefühl, die Polizei würde die ganze Angelegenheit in den falschen Hals bekommen. „Es geht um Yagasumo“, fuhr Tsukasa nun etwas vorsichtiger fort. „Er war es nicht.“ „Was war er nicht?“ Tsukasa überlegte. „Im Prinzip alles.“ „Ach? Willst du mir jetzt sagen, dass dieser Verrückte mich damals doch nicht verrecken lassen wollte?“ „Nein“, räumte Tsukasa ein. „Es ist ja wohl offensichtlich, dass der Kerl ne Macke hat. Und überhaupt geht es hier nicht um Yagadingsbums, sondern darum WARUM zur Hölle ich hier bin!“ Die Polizisten kamen näher an Karyu heran und sagten etwas zu ihm. Er legte für einen Moment den Hörer auf und wechselte einige Worte, bis er ihn schließlich wieder aufnahm und Tsukasa zerknirscht ansah. „Meine Zeit ist vorüber. Vielen Dank, dass du sie verschwendet hast.“ „Es war Katashi.“ Karyus Augenbrauen zogen sich zusammen, als könnte er ihm nicht glauben, und das tat er wohl auch nicht. „Was?“ Noch ehe er hätte weiter reden können, wurde er von den Polizisten an den Armen gepackt und wieder abgeführt. Bevor sie um die Ecke verschwunden waren, drehte Karyu sich noch einmal mit einem fragenden Blick zu Tsukasa um, so als könne er auf diese Entfernung noch eine Antwort erfahren.Und Tsukasa wünschte sich, sie ihm so schnell wie möglich geben zu können. Doch er konnte sich selbst keinen Reim darauf machen. Tsukasa schüttelte den Kopf, blätterte durch die zahlreichen Seiten und ließ den Stapel wieder auf den Tisch plumpsen. Es war aussichtslos. Seit einer guten Woche versuchte er einen neuen Termin für einen Besuch zu kriegen, doch sie ließen niemanden an Karyu heran. Soweit er es mitbekommen hatte, bekam er nicht einmal einen Anwalt. Und sein Gerichtstermin war noch zwei Wochen hin. Tsukasa verstand nicht, wieso sich diese Leute so sicher in seiner Schuld waren. Hätte er auch nur ein paar Sekunden länger mit Karyu reden können, hätte er es vielleicht herausgefunden. „Kenji?“ Tsukasa blickte von seinem Tisch auf und sah sich in dem kleinen Café um. Direkt am Eingang sah er seinen Vater stehen, Hut und Mantel in den Händen. Anscheinend war er gerade erst hereingekommen. Ein Schauer lief Tsukasa über den Rücken. Seit der Sache mit seiner Verlobten hatte er ihn nicht mehr gesehen. Langsamen Schrittes kam sein Vater näher und ließ sich zögerlich auf den Stuhl gegenüber von Tsukasa nieder. Sie nickten sich gegenseitig zu. „Wie geht es dir?“ „Kann mich nicht beklagen.“ Sein Vater lächelte bedrückt und Tsukasa lächelte bedrückt zurück. „Und dir?“ Unweigerlich wanderten Tsukasas Augen zu den Unterlagen. „Es ist etwas stressig, aber ich komme klar.“ „Wirklich?“ Tsukasa sah wieder zu seinem Vater auf als wolle er sich vergewissern, dass er diese Frage tatsächlich gestellt hatte. Dann blickte er wieder hinab und nahm eines der Blätter in die Hand. Sein Vater beobachtete ihn. „Wie läuft es mit...naja. Mit Horiko?“ „Gut“, sagte Tsukasa steif. Das war natürlich glatt gelogen. Er hatte sich erst zwei mal mit ihr getroffen, um sie besser kennen zu lernen, und beide Verabredungen waren eine Bestätigung dafür, dass er sich mit jeder Zelle seines Körpers gegen die Hochzeit sträuben würde. Tsukasa war nicht einer von der Sorte Mensch, die andere voreilig beurteilte. Aber diese Frau war durch und durch schrecklich. „Sie ist... sehr speziell.“ Sein Vater nickte hastig. „Ja, das ist sie in der Tat.“ Zwei Beispiele für speziell sind zum Einen, dass sie nie, aber auch wirklich NIE den Mund halten konnte, zum Anderen, dass sie Tsukasa am laufenden Band erklärte, was er alles falsch machte. Sogar atmen konnte er anscheinend nicht richtig. „Und wie geht es deinem Freund?“ Tsukasa sah wieder auf. In den Augen seines Vaters blitzte es nervös. „Bitte was?“ „Naja, ich meine den jungen Mann den wir in deiner Wohnung kennen gelernt haben.“ Bei der schieren Erinnerung an diese peinliche Episode stieg Tsukasa die Röte ins Gesicht. „Ich weiß nicht“, antwortete er knapp. „Oh. Habt ihr Streit?“ „Kann man so sagen.“ Tsukasa widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Papierhaufen vor sich und versuchte verbissen, seinen Vater zu ignorieren. Er bemerkte allerdings nicht, wie sich dieser nach vorne beugte und einen Blick auf die Unterlagen warf. Ihm schien etwas zu dämmern. „Ist er das? Er ist im Gefängnis?“ Blitzschnell klappte Tsukasa den Deckel des Ordners zu, lehnte sich zurück und musterte seinen Vater mit einer Mischung aus Zorn und Beklommenheit. „Ja. Und weißt du was? Es ist mir egal, wir sind keine Freunde mehr.“ „Und warum dann dieser ganze Kram?“ Sein Vater unternahm eine ausschweifende Geste über Tsukasas Habe, die aus dem Ordner hervorquoll, auf die Stifte die wild verstreut herumlagen und mit denen er wichtige Stellen in den Texten markiert oder Randnotizen gemacht hatte. Tsukasa schnaufte „Er sollte zur Zeit in unserem Krankenhaus arbeiten. Aber da er nicht mehr da ist, versuche ich einen geeigneten Ersatz zu finden.“ „Er ist also Polizist?“ „Kannst du vielleicht bitte damit aufhören, mir nervtötende Fragen zu stellen?“ Tsukasas Vater lehnte sich zurück und für einen Moment sah es so aus, als wolle er etwas sagen. Doch es blieb still. Stattdessen musterte er seinen Sohn und auf seiner Stirne bildeten sich Sorgenfalten. „Eigentlich bin ich nicht nur hier, um mit dir zu plaudern.“ „Und weshalb dann?“ „Um dir einen Rat zu geben.“ Tsukasa verstand nicht und zog seine Augenbrauen hoch. Sein Vater zog ein Foto aus der Tasche, ein älteres, vielleicht dreißig Jahre alt. Ohne Worte legte er es auf den Tisch und schob es Tsukasa entgegen. Der sah es sich unsicher an, wusste er doch nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Zu sehen waren sein Vater in jüngeren Jahren, er schätzte ihn auf Ende der Zwanziger, und ein anderer Mann im gleichen Altersspektrum. Beide lachten in die Kamera und hatten sich einen Arm um die Schulter gelegt. Tsukasa verstand nicht. „Ein Jugendfreund von dir?“ „Nicht ganz.“ Stille kehrte ein, da Tsukasa damit rechnete, dass sein Vater ihm die Umstände erklären würde. Doch es folgte keine Reaktion. „Was dann?“ Ihm dämmerte doch bereits etwas. „Dieses Foto entstand ungefähr zwei Wochen bevor man mich deiner Mutter vorstellte. Der Mann neben mir heißt Suto. Ich habe ihn seit diesem Tag nicht mehr gesehen. Und ich weiß nicht, ob ich mir wünschen sollte, dass ich mich damals anders entschieden hätte.“ „Erklär mir das“, stellte Tsukasa sich dumm. „Mir ging es damals nicht anders als dir jetzt, Kenji. Ich habe diesen Mann geliebt. Und ich wurde zurück in die grausame Realität gezogen, als ich mich mit deiner Mutter verlobte.“ Tsukasa drückte sich in seinen Stuhl zurück und konnte seinem Vater nicht in die Augen sehen. Er wusste über alles Bescheid, was Karyu betraf. Und er war nicht anders als er selbst. „Aber du hattest die Wahl.“ „Wahl? Ich konnte meine Familie entweder in ewige Schande stürzen und von der Gesellschaft gemieden werden, oder ein normales, wenn auch aufgezwungenes Leben führen. Keine wirklich schönen Möglichkeiten, wenn du mich fragst.“ Das Gesicht seines Vaters war in Ernst und Erinnerungen an die Vergangenheit erstarrt, und Tsukasa hatte noch nie so viel Respekt vor ihm gehabt, wie in diesem Augenblick. „Das waren damals andere Zeiten als heute, Kenji. Ich hatte keine Wahl. Wenn ich mutig gewesen wäre, dann hätte ich sie vielleicht gehabt. Der Punkt der ganzen Sache ist aber, dass ich nicht sehen will, wie mein Sohn das Gleiche tut.“ Tsukasa suchte eine Weile nach Worten, wusste aber, dass er sich nicht mehr aus der Angelegenheit herausreden konnte. „Du fragst dich sicher, woher ich das alles weiß.“ Auf dem Gesicht seines Vaters lag der Anflug eines Lächelns, er nickte dem Park entgegen, den man durch die großen Scheiben des Cafés sehen konnte. „Ich habe euch dort gesehen. Die Sache war mehr als deutlich.“ Tsukasa stieg die Röte ins Gesicht und er sah mit verkniffenem Mund wieder auf das Foto. „Dich zu schämen ist genau das, was du nicht machen solltest. Du lebst in einer anderen Zeit als ich. Nutz diese Gelegenheit.“ „Ich wollte es euch sagen. Am gleichen Tag, an dem – du weißt schon. Und ich hatte nie Angst davor-“ Er hielt inne als ihm etwas bewusst wurde. Er hatte geglaubt, Karyu nur verlassen zu haben, um ihn zu beschützen. Jetzt fühlte er, dass ihn auch eine andere Angst dazu getrieben hatte. Nämlich die, dass seine Familie ihm den Rücken kehrte. Hass auf sich selbst stieg in ihm auf. „Das Leben ist ein Geschenk, Kenji. Wirf es nicht weg, für dich ist es noch nicht zu spät.“ Karyu stierte gegen die Wand seiner Zelle. Genau das tat er jeden Tag bevor man ihn zu einem Verhör holte. Die Verhöre waren monoton. Immer die gleichen Fragen, immer die gleichen Antworten. Er wusste nicht, ob diese Menschen stur, blöd oder naiv waren. Er war unschuldig, und nichts auf der Welt konnte ihn zu einem anderen Gedanken zwingen. Doch er wunderte sich. Eigentlich hätten sie ihn längst abholen sollen. Ein Genuschel näherte sich seiner Zelle, und er erwartete, dass gleich die zwei Männer auftauchten, die ihn zum Verhörsaal brachten, doch sie gingen vorüber. „Eigenartig, nicht wahr?“ „Kannst du laut sagen. Shimasas Zelle war bombensicher. Keine Ahnung, wie er da rausgekommen ist.“ „Kranker Mensch. Der sollte so schnell wie möglich wieder eingefangen werden.“ Karyu entgleisten seine Gesichtszüge. Langsam stand er auf. Shimasa war ausgebrochen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)