Aller Anfang ist schwer, wie ein Stein ... von 83 (... doch man kann lernen ihn zu halten.) ================================================================================ Kapitel 1: One Shot ------------------- „Wenn man auf eine neue Schule geht, sollte man sich nicht wundern, wenn man nicht gut aufgenommen wird“, sagte mir mein älterer Bruder, „Schon gar nicht, wenn man so aussieht, wie du.“ Das war gemein von ihm. Alle großen Brüder sind gemein. Also ist es mir egal. Ich nahm meine schwarze Tasche, die ich am Tag zuvor mit Aufnähern von „Nightmare before Christmas“ und einigen japanischen Rockern verziert hatte und machte mich auf den Weg zur Schule. Ich ging zu Fuß – es waren auch bloß 2 km. Mit jedem meiner Schritte war an mir irgendwo ein Glöckchen zu hören. Ich trug eines als einen meiner 5 Ohrringe am rechten Ohr, eines am linken Handgelenk, 5 an meiner schwarzen (absichtlich) zerrissenen Jacke, 2 an meiner verzierten Tasche und eines am rechten Fußgelenk. Vielen, denen ich unterwegs begegnete, schauten mich seltsam an. Das lag an meinem Aussehen, dies wusste ich. Für manche Menschen ist es eben nicht normal jemandem zu begegnen, der Strähnenweise abstehende Haare hat, wobei der Pony noch ins Gesicht ragt. Schon gar ist es seltsam, wenn die Haare an sich bunt sich, als wäre man in einen Farbeimer gefallen … Ich ignorierte die Blicke. Ich ignorierte die „Emo-Sprüche“ der Halbstarken 7.Klässler, an denen ich im Schulgebäude vorbei musste. Ich ignorierte die Tuscheleien der anderen 10.Klässler auf den Gängen. Langsam zog ich einen Zettel aus meiner Jackentasche. Ein Quieken brach bei einer Gruppe von Mädchen aus, die in meiner Nähe standen. Verständlich: schwarze Fingernägel und vernarbte Hände sind nicht gern gesehen. Doch das ist mir egal. Ich las den Zettel und sah auf ein Schild vor einer Tür. 203 – mein Klassenzimmer. Als ich versuchte die verschlossene Tür zu öffnen, wurde ich ausgelacht. „Sehr witzig“, dachte ich mir sarkastisch und setzte mich neben der Tür auf den Boden – die Beine angewinkelt und den Kopf gesenkt. Ich sah ein paar Füße vor mir und hob den Kopf. Mein Blick traf auf einen großen Typen, der scheinbar der King der Schule war. Vermutlich wollte er mir einen Spruch an den Kopf werfen, doch er ging wieder. Vielleicht habe ich ihn mit meinen dunkel geschminkten Augen und blassen Haut erschreckt. Bestimmt. Ein Lehrer kam und schloss die Tür auf. Ich stand auf und betrat die Klasse schweigend. Ich ging als Letzte rein und blieb neben dem Lehrer stehen. Mit einem zögernden Blick machte ich mir einen ersten Eindruck der Klasse. Alle starrten mich an. Wie im Zoo. Ich war hinter dem Gitter und das zur Schau gestellte Tier. Der Lehrer las meinen Namen zögernd vor: „Liebe Klasse, bitte begrüßt unseren neuen Mitschüler Saki … Ni … Nion?“ Er sah mich fragend an. „Saki Nihon“, korrigierte ich ihn. Die Klasse lachte. Sie konnten den Lehrer auslachen, der mich für einen Jungen hielt. Doch sie lachten mich aus. Meine Stimme. Meine „Mädchenhafte hohe Stimme“. Ich wollte nicht diskutieren und setzte mich auf einen freien Platz. Weit hinten. Nachdem dann der unterricht begann, zog ich einen Block hervor und begann damit zu zeichnen. Ich zeichnete einen meiner Lieblinge: Aini Kusakabe von der J-Rock Band „La Music“. Einige Jungs, die um mich rum saßen starrten erst mich an, dann auf meine Zeichnung. Sie drehten sich weg. Der Rest des Tages verlief genau so. Es war schlimm. Ich wurde nur angesehen. Keiner wollte mit mir reden. Oder meine Stimme hören. Meine „Mädchenhafte hohe Stimme“. In der letzten Stunde bekam ich von der Klassenlehrerin den Stundenplan für die gesamte Woche. Nickend nahm ich sie an und ging nach Hause. „Und?“, hörte ich es, gleich nachdem ich die Tür öffnete, „Wie war dein erster Tag?“ „Ach …“ – ich wollte mich grade beschweren, doch ich wusste, dass Shiro – mein großer Bruder, dies erwartete. Also setzte ich ein künstliches Lächeln auf, sah ihn lieb an und meinte: „Prima. Alle mögen mich. Es hätte nicht besser sein können.“ Dann ging ich auf mein Zimmer auf dem Dachboden, öffnete ein Fenster und kletterte aufs Dach, wo ich es mir mit einer Flasche Kakao gemütlich machte. Der Wind wehte ein wenig, doch dies störte mich nicht, immerhin hatte ich eine halbe Tube Haargel und dementsprechend viel Spray in den Haaren, sodass sich da oben nichts rührte. Ich sah dem Sonnenuntergang zu, wobei ich meinen Kakao trank. Es war ein ruhiger Abend. So wie es sein sollte: Auf dem Dach sein, Kakao trinken und mit dem MP3-Player J-Rock hören – das Leben könnte so schön sein. Doch das ist es nicht. Schon morgen würde mein Tag wieder zur Hölle werden. Ich erinnere mich noch an meinen 2. Schultag. Bis zur letzten Stunde passierte nichts neues, doch dann hatten wir Sport. Erst wollten mich die Mädchen aus der Kabine werfen – es dachten wohl wirklich alle, dass ich ein Junge wäre. Jetzt dachten sie wohl auch noch, dass ich pervers sei. Das Alles ist nun schon gut 4 Monate her. Es hat sich geklärt, dass ich ein Mädchen bin. Nun reden auch die Leute mit mir und finden mich und mein Auftreten gar nicht mal so schlecht. Okay – ich habe zwar keine richtigen Freunde gefunden, aber immerhin Leute zum Reden. Freunde kann ich auch auf andere Weise finden. Ich fahre nicht umsonst alle 2 Wochen eine Stunde mit dem Zug um Leute, wie mich, zu treffen. Das sind meine Freunde. Lyra, Anko und Dai habe ich am liebsten. Die 3 sind immer da. Ich telefoniere in der Woche auch mit ihnen, da sie weit weg von mir wohnen. Trotz alledem ist es nun ein schönes Leben. Abends sitzt sogar Shiro bei mir. Er trinkt ein kühles Bier – ich meinen Kakao. Wir erzählen uns, wie unser Tag war, bis Mum uns zum Essen ruft. Natürlich habe ich meinem großen Bruder alles von meinem ersten Schultag an der neuen Schule erzählt. Ein Neuanfang ist eben nicht ganz so leicht. Man muss nur wissen, wie man sich verhalten sollte. Sich nicht verändern, sich nicht verstellen sind einige von vielen Sachen. Man muss auch nicht immer auf das Beste hoffen – kleine Schritte reichen voll kommend aus. Ich wette, ich werde irgendwann auch Freunde innerhalb der Klasse (oder zumindest der Schule) haben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)