Schuldschein von 7Nine ================================================================================ Kapitel 1: Pfand ---------------- Achtung Dieser Oneshot ist nicht lieb. Die Geschichte hier ist hart und wird wohl einigen etwas sauer aufstoßen. Denkt immer dran: Ich habe euch gewarnt! Diese Geschichte ist erfunden und alle Ähnlichkeiten mit irgendwelchen real existierenden Personen oder Begebenheiten sind unbeabsichtigt und gruslig. Oo Hintergrundmusik: Evanescence - Tourniquet , jede menge russische Tatu Songs (so schön Klischeehaft :D) Schuldschein Pfand Er war nervös. Alle waren nervös. Wie sie dastanden, neben ihnen ein Rallyeoldtimer, irgendwo am Waldrand. Irgendwie nicht Klischeegerecht, dachte sich Sven. Aber sie waren nicht hier um Klischees auf den Grund zu gehen. Nein, sie alle, die ganze kleine, ungewöhnliche Familie war hier, weil die letzten Jahre hart waren. Nichts lief wie es sollte und nun standen sie da. Sie, die "kleine, ungewöhnliche Familie", waren -oder besser sind- ein kleines Rallyeteam. Peter, der zweiundvierzigjährige Kfz-Mechaniker, der vor drei Jahren seinen Job verlor. Bettina, die dreißigjährige Managerin, die eigentlich nur eine Verkäuferin war und zwei Kinder durchzubringen hatte. Tobias, der Beifahrer und er, Sven, der Fahrer. Beide auf der Suche nach einer Ausbildungsstelle und beide fünfundzwanzig Jahre alt. Nun, dann war da noch Tobias Bruder Jan, aber der gehörte -wie Bettinas Kinder- nicht zum Rallyeteam. Auch wenn er in regelmäßigen Abständen darum bat, endlich auch eine Funktion als Ersatzfahrer zu bekommen oder als Ersatzbeifahrer. Allerdings waren alle der Meinung, dass er mit seinen sechszehn Jahren erst einmal die Schule beenden sollte. Sie wohnten alle in einem Mietshaus, das einst Svens Vater gehörte. Im Erdgeschoss wurde extra eine Werkstadt eingerichtet. In dieser stand auch der Oldtimer von Tobias Großvater. Ja, sie alle stammten mehr oder weniger aus Rallyefamilien. Es war ihr Leben. Asphalt und Reifen. Vor fünf Jahren, begann dann alles in Trümmer zu zerfallen. Damals musste das Haus grundsaniert werden, wenn sie nicht alle den Kältetod hätten sterben wollen. Das fehlende Geld hatten sie sich von einer Bank geliehen. Ironischerweise mussten sie dafür eine Hypothek aufnehmen. Da sie jedoch zum Monte-Carlo Rennen zugelassen wurden, vergaßen sie alle Sorge darum. Den Sieg, nach langer Anstrengung endlich vor Augen, wollten sie vorerst an nichts anderes denken. Und Monte-Carlo blieb für sie unvergesslich. Ein Wagen vor ihnen hatte die Kontrolle verloren. Sven und Tobias lagen drei Monate im Krankenhaus, das Auto war ausgebrannt. Und wie sie später erfuhren, war es ihre Versicherung auch. Sie war Zahlungsunfähig. Somit blieben sie auf den Kosten ihres Autowracks sitzen. Die Bank bewilligte keine weiteren Kredit mehr, drängte dagegen den Alten endlich abzuzahlen. Sie suchten andere Banken, bekamen die gleiche Ablehnung. Die Verkäufe des unsinnigen Hausrates gaben Geld das nicht blieb und das große Loch nicht zu stopfen vermochte. Sie schufteten, schoben Nachtschichten und arbeiteten schwarz und dennoch kamen sie keinen Schritt weiter. Sie standen so knapp vor dem Nichts und keiner von ihnen wusste wie es weitergehen sollte. Das war der Moment in dem sie eine Entscheidung fällten die immer unumgänglicher wurde. Peter, Tobias und Sven konnten sich noch gut an das helle und freundliche Büro, des Mannes der weder hell noch freundlich war, erinnern. Eigentlich wollte Sven alleine gehen, immerhin sei es sein Haus, seine Schulden und ... seine Schuld. Er hätte ausweichen müssen. Die anderen jedoch straften ihn mit einem bösen Blick. Entweder alle, oder keiner, waren Peters Worte gewesen. Nun saßen sie fast alle in diesem Büro. Bettina war nicht mitgegangen. So sehr sie es wollte, die Männer waren der Meinung sie und ihre Kinder sollten sich besser da raus halten. In dieses Geschäft sollten ihre Kinder nicht hineinwachsen. Die Tür schwang auf und ein stilvoll gekleideter Mann trat herein. Abel Peterson. In Begleitung zweier, sehr grimmig aussehender Leibwächter. Er war jünger als sie es erwartet hatten, vielleicht Mitte dreißig. Ihre Nervosität jedoch verflog nicht im geringsten, sie waren dabei sich mit der Mafia einzulassen. Zumindest waren sie dabei sich Geld von selbiger zu leihen. Abel hörte ihnen zu, nickte hier und da verständlich und erklärte ihnen dann, dass sie sich soviel Geld leihen konnten wie sie wollten. Dafür wollte er allerdings ein Pfand. Nach der Auszahlung hatten sie ein Jahr Zeit, dass Geld zurückzubringen. Die Verzinsung begann mit der Aushändigung des Geldes. Sollten sie es nicht schaffen, ginge das Pfand in seinen Besitz über und er verfahre damit wie er wolle. Auf die verunsicherten Blicke der Drei lächelte er nur. Sie hätten gar nichts zu verpfänden, hatte Peter gebrummt. "Keine Sorge, meine Herren." War die kühle und dennoch freundlich Antwort. "Ich nehme einfach das Wertvollste was sie haben." Tobias verzog etwas den Mund, der Oldtimer seines Großvaters war nun wirklich fällig. Drei Unterschriften später hatten sie alles geregelt. Auch wann und wo die Übergabe stattfinden sollte. Und nun standen sie da, am Waldrand. Der Oldtimer hinter ihnen, ihr wertvollstes Stück. Bettina war mit dabei, sie wollte die Jungs nicht alleine gehen lassen und stand nun, nervös an ihren blonden Haar zupfend, neben dem Oldtimer. Sie blickte wie alle anderen gebannt auf den Feldweg. Dort kroch eine Staubwolke entlang, die unmissverständlich klar machte, dass es nun kein Zurück mehr gab... dass es nie ein Zurück gegeben hatte. Peter trat nervös von einem Fuß auf den anderen. "Worauf haben wir uns da nur eingelassen!", stöhnte er frustriert während er sich durch sein schwarzes Haar fuhr. "Ich weiß es nicht.", flüsterte Tobias heiser und mit jedem Millimeter, den die Autos näher kamen, schnürte sich sein Hals immer weiter unangenehm zusammen. Irgendwie fand er es passend, dass langsam die Dämmerung hereinbrach und den Himmel Stück für Stück verdunkelte. Es dauerte keine zehn Minuten, da fuhren auch schon zwei Autos vor. Aus dem Kleineren stiegen drei, mit Waffen bestückte, Bodyguards. Die Vier schlucken unwillkürlich. Dann stieg aus dem zweiten schwarzen Auto Abel und ein weiterer Bodyguard. Er lächelte kühl. "Oh, wie ich sehe haben wir einen weiteren Gast.", wandte er sich an Bettina und grüße sie höflich mit einer leichten Verbeugung. "Wie dem auch sei. Meine Herren, ich denke darauf haben sie gewartet." Einer der Leibwächterschränke holte einen schwarzen, sündhaft teuren Lederkoffer aus dem kleinen Auto und drückte ihn Peter in die Hände. Dieser jedoch war von einem weiteren Auto abgelenkt, dass sich gerade zu dem kleinen Grüppchen gesellte und aus dem zwei weitere in schicke Anzüge gekleidete Männer stiegen. "Haben sie Angst, dass wir das Geld nehmen und weg rennen?", fragte er schließlich murrend, den Blick weiterhin auf die zwei neuen Bodyguards gerichtet. Abel lachte amüsiert. "Wer weiß, wer weiß. Wollen sie sich nicht lieber von der Echtheit des Geldes überzeugen?" Peter blickte noch kurz skeptisch zu den Neuankömmlingen, bevor er näher zu den anderen ging und den Koffer auf der Motorhaube des Oldtimers öffnete. Sie sogen alle zischend die Luft ein. Bettina bekam sogar leicht tränennasse Augen. Was sie sahen war viel Geld. Sehr viel Geld, dass sie bitter nötig hatten. "Ist alles zu ihrer Zufriedenheit?", erkundigte sich Abel geschäftsmäßig freundlich. "Ja!", rief Tobias euphorisch. Der ganze Mist hatte endlich ein Ende. "Dann nehmen sie das Geld an?" "Selbstverständlich!", murmelte Peter und konnte seinen Blick einfach nicht von den Scheinen abwenden. "Wenn sie, - wenn sie wollen, können sie das Auto auch gleich als Pfand mitnehmen.", flüsterte Bettina glücklich. "Nein danke.", lehnte Abel geschäftsmäßig ab. "Ich habe mir bereits etwas anderes genommen." "Was?", fragte Tobias irritiert. "Wissen sie, ich bin kein Autofan.", erläuterte der Mafioso im Plauderton. "Sie können diesen Oldtimer also behalten. Ich hab mir bereits etwas ausgesucht." In diesen Moment fiel Tobias ein zentnerschwerer Stein vom Herzen. Das er das Geschenk und das "Ein-und-Alles" seines Großvaters hätte eintauschen sollen, war ihm kein leichter Gedanke gewesen. Diese Erleichterung viel jedoch in dem Moment von ihm ab, als Abel seinem neu angekommenen Leibwächter zunickte und seine anderen Lakaien darauf die Hände an die Waffe legten. Irgendwas stimmte nicht... ganz und gar nicht. Kaum das er diesen Gedanken beendet hatte, krallte sich seine Hand fest um die Scheine in seiner Hand. Stolpernd aus dem Kofferraum gezogen, trafen sich auch schon ihre Blicke. Blaue verweinte Augen zuckten von den vier Rallyefreunden zu dem Mafioso und seinem Gefolge. "Was soll das?", zischte Peter irgendwo zwischen Irritation, Wut und Angst. Keiner der Vier konnte den Blick von dem Jungen nehmen. Bettina klappte ihren Mund auf, doch ihr wollte einfach kein Ton entweichen. "Was wollen sie von meinem Bruder!?", schrie Tobias hingegen furchtlos. Wut war in ihm aufgestiegen, kalte Wut. Jan, er hatte Jan. Seine Augen waren gerötet, die Haare zerzaust, auf seinen Armen prangten blaue Flecken. Seine Hände waren hinter seinem Rücken gefesselt und Panzertape verhinderte, dass er auch nur ein Wort sagen konnte. "Das war Teil unseres Geschäftes.", erwiderte Abel kalt. "Das Wertvollste was ihr habt, gegen mein Geld. Das ist das Pfand." "Pfand?", hauchte Tobias entsetzt. "Das kann nur ein schlechter Scherz sein.", erwiderte Bettina ungläubig. "Ich beliebe nicht zu scherzen meine Teuerste." Mit kalt blitzenden Augen musterte er den blonden Junge. "Steckt ihn in mein Auto." "Das können sie nicht tun!", schaltete sich jetzt auch Sven ein. "Glauben sie ernsthaft, es wird in der Schule nicht auffallen, wenn er fehlt?" Ein humorloses Lachen entfuhr Abel. "Bisher hat sich niemand daran gestört, dass der Junge seit einem Jahr nicht mehr zur Schule geht." Ein entschuldigender Blick aus verweint roten Augen traf Tobias. Dieser fuhr sich zittern durch das Haar und beobachtete, wie sich die Autotür vor seinem Bruder schloss. "Damit werden sie nicht durchkommen.", hauchte er bitter. Das Ganze konnte nur ein Alptraum sein. Er würde jeden Moment erwachen. Sein Blick wanderte starr zum Koffer in dem sich die Scheine immer noch unschuldig stapelten. Es war wertlos. Ein Haufen Papier, nicht mehr, nicht weniger. "Ich wünsche noch einen schönen Tag.", wandte sich Abel erneut mit einem kalten, dünnen Lächeln den Anderen zu. Unüberlegt schmiss Tobias das Bündel Geld auf den Boden und rannte mit einen Fluch auf den Lippen los. Und wenn er den Mafioso nur ein Haar aus seinen wertvollen Schopf reißen konnte, das war es ihm wert. Allerdings gelangte er nicht mal auf drei Schritte an ihn heran, ehe ihn ein harter Schlag auf den feuchten Waldboden beförderte. Abel öffnete ungerührt die Autotür und blickte noch einmal zu den verstörten Haufen. "Ich habe die nächsten vier Stunden keine Lust auf Familiendramen", wandte er sich sachlich an seine Lakaien. "Seht zu, dass sie mich nicht stören!" Damit verschwand er ins innere des Autos, wo ihn bereits ein verunsicherter, blonder Junge erwartete. Die Autotür schloss sich mit einen dumpfen Schlag und alles was Jan übrig blieb war durch die getönten Scheiben zu beobachten, wie sein Bruder und die anderen versuchten die Leibwächterbarrikade zu durchbrechen. Als das Bild seines Bruders immer weiter in die Ferne rückte, traute er sich endlich den Verursacher des Ganzen anzusehen. Ein Mittdreißiger, mit kurzen dunkelblonden Haaren musterte ihn unverhohlen. Jan ließ seinen Blick auf die schwarzen Ledersessel sinken, seine Augen brannten und in seiner Kehle bildete sich ein großer Kloß. Sein Hände waren immer noch auf seinen Rücken gebunden und das Panzertape hinterließ einen unangenehmen Geschmack im Mund. Die plötzliche Bewegung seines Gegenübers ließ ihn angstvoll zusammenfahren. "Keine Sorge", hauchte der Fremde. "Ich will dich nur von deinen Fesseln befreien." Jan hätte sich gern gewehrt, getreten, wäre ihm am liebsten ausgewichen, doch es war besser so. Seit ihm diese Typen einfach in einer Seitengasse überfallen hatten, war einige Zeit vergangen und so langsam wurden seine Finger taub. Der Fremde beugte sich über ihn. Jan konnte sein Minzaftershave riechen, es war unangenehm. Ein erleichterndes Gefühl überschwemmte ihn, als er endlich seine schmerzenden Arme nach vorne nehmen konnte. Schließlich zog ihm der Fremde auch noch das Klebeband ab. Gleißender Schmerz durchzuckte ihn und er spürte wie sich warme Bluttropfen auf seinen Lippen bildeten. Abel murrte leise. Er hatte seinen Männern extra noch gesagt sie sollen vorsichtig sein. Er betrachtete den Jungen vor sich eingehend. Verunsicherung und Angst war in seinem Gesicht zu lesen, dass war auch besser so. "Wer sind sie? Was wollen sie von mir?", brachte er schließlich über seine Lippen. "Ich heiße Abel Peterson und was ich von dir will?" Er lächelte kalt. "Momentan noch nicht sehr viel." "Warum bin ich dann hier?" Langsam nahm die Stimme einen erstickenden Klang an. "Dein Bruder hat sich Geld geliehen und du bist das Pfand." "Pfand?", hauchte er den Tränen nahe. In diesem Moment fiel Abel auf, dass sich die Brüder wohl doch nicht so unähnlich waren. "Pfand. Sollte er mir in einem Jahr nicht mein Geld zurück bezahlen gehörst du mir.", erläuterte Abel kurz. Der Blick der ihn traf war starr und die erste Träne stahl sich aus dem Augenwinkel. "Ich gehöre ihnen?", schluchzte Jan erstickend tonlos. "Aber was haben sie denn mit mir vor?" Das kalte Lächeln, welches Jan traf sorgte dafür, dass sich alles in ihm zusammenzog. Er hatte Angst. Diese Augen ließen keinen Zweifel daran, wie mit ihm Geld gemacht werden sollte. Abel lehnte sich zurück, er genoss diese Momente sehr. Beobachte mikroskopisch genau wie der Junge seinen starren Blick von ihm auf seine Hände richtete und immer mehr leise Tränen auf das Leder der Rücksitze tropften. Er hatte es wieder geschafft. Dieses Geschäft war eines der besten die er je abgeschlossen hatte. Wie er erwartetet hatte, hatte sich dieses Grüppchen viel zu viele Schulden gemacht. Mehr als sie in einem Jahr hätten tilgen können. Er musste zugeben für kurze Zeit hatte er wirklich damit gerechnet diese Ruine und das Auto zu pfänden, doch dann flatterte ihm dieses Bild zu. Der Kleine war perfekt. Letztendlich würde er mit ihm mehr Geld machen, als er verliehen hatte. Allein deshalb, weil er ihn nicht auf einen dreckigen Straßenstrich schicken würde. Dort geriete er nur an Drogen, die den Körper des Kleinen, somit dessen Kapital und dadurch SEINER Geldzufuhr schaden würden. Die Dinge liefen wirklich gut. Die Ledersitze hypnotisierend anstarrend überlegte Jan fieberhaft was er jetzt tun konnte. Konnte er fliehen? Irgendwem Bescheid geben? Tobias Bescheid geben? Gab es überhaupt ein Ausweg? Den Druck hinter den Augen weg blinzelnd, stellte er sich immer wieder die selben Fragen. Bekam nur sporadisch mit wie sie ankamen, verfolgte uninteressiert die dumpfen wie durch Watte gepackten Gespräche mit, die Abel hier und da auf russisch führte und beobachtete Teilnahmslos wie die Fahrstuhllichter ihn immer weiter nach oben und gleichzeitig nach unten brachte. Es musste eine Lösung geben, für alle Probleme. Es musste einfach eine geben! "Geh die Treppe rauf und warte im Zimmer auf mich. Die zweite Tür rechts.", erschrocken fuhr Jan zusammen. Die Stimme war so deutlich, so klar... So angst einflößend wie sie über die Lippen Abels rollten und den wirklich kurzen Weg in sein Ohr fanden, während Abels kaum sichtbaren Barthärrchen seine Ohrmuschel streiften. Jan wurde schlecht. "Ach, und falls du es dir ein bisschen angenehm machen möchtest." Damit drückte er dem Jungen eine Tablette in die Hand und seine Lippen nun vollends auf dessen Ohr. Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen, als die Lippen des Älteren nicht von seinen Ohr wichen. "Versuch nicht zu fliehen", wisperte es ihm dunkel entgegen und erneut stiegen die Tränen in ihm auf. Er wollte aber fliehen, jetzt und hier. Zurück in sein altes Leben, dass so chaotisch und schön war. Dann war sein Ohr frei und zurück blieb ein unangenehmes Brennen. "Solltest du es doch versuchen sehe ich mich gezwungen deine Leute zu erschießen.", erklärte Abel teilnahmslos, ehe er in einen Raum verschwand. Jan blickte starr zu Boden. Nicht weinen! Nur nicht weinen, murmelte er immer wieder in Gedanklich. Die Tablette lag immer noch in seinem verschwitzten, krampfhaften Griff. Flüchtig blickte er sich um. Von den bulligen Leibwächtern war nichts mehr zu sehen. Er befand sich in einer Maisonettwohnung in einem großen Eingansbereich, stilvoll eingerichtet zu dem Preis von Blut und Tränen. Zögern und langsam setzte sich Jan in Bewegung. Es war so falsch hier zu sein und dennoch begann er mit zitternden Füßen die Treppenstufen zu erklimmen. Das Zimmer das er betrat, war ein genauso stilvoll eingerichtetes Schlafzimmer. Er lachte kurz humorlos auf. Was hatte er auch erwartet? Er wanderte nur kurz unruhig und starr hin und her, ehe er sich steif auf das akkurat gemacht Bett setzte und durch das Panoramafenster auf die lichterhelle Stadt blickte. Seine Gedanken drehten sich schneller. Er brauchte eine Lösung, für alles. Wie er hier raus kam. Wie es weiter gehen sollte. Was mit den anderen werden sollte. Dem Haus, den Schulden. Wie sollte die Zukunft aussehen? Was musste getan werden damit für die Familie Ruhe einkehrte? Es dauerte lang bis er zu einem Ergebnis kam und noch länger bis er zu dem Ergebnis kam, dass nur dieses Ergebnis die Lösung war. Als Abel den abgedunkelten Raum betrat, saß der Junge am Fenster und schien sein eintreten gekonnt zu ignorieren. Leises, hämisches Lachen erklang. "Was ist los?", fragte Abel süffisant. Während er seine Krawatte lockerte. "Eure Mutter hätte deinem Bruder eben sagen sollen, dass mit zwielichtigen Gesellen keine Geschäfte gemacht werden sollten." "Unsere Mutter ist abgehauen als ich ein Jahr alt war.", murmelte Jan emotionslos. "Dann eben euer Vater." Abel lachte kurz. "Nein, der starb ja vor sieben Jahren zusammen mit dem Vater von diesem Sven Nalus. Rallye ist eben ein gefährlicher Sport." Jan beobachtete die Lichter eines Flugzeuges, dass gerade still durch den Himmel glitt. "Sie wissen alles?" Keine Verwunderung, keine Emotion. Diese Frage war rein rhetorisch. "Natürlich.", war die raue Antwort, die daraufhin in sein Ohr gehaucht wurde. Ein unangebrachtes Kribbeln durchfuhr Jan. Er hatte nicht bemerkt, dass Abel nähergetreten war. Eine Hand landete neben ihm an der Fensterscheibe und er schluckte angestrengt, den Blick nicht vom blickenden Leuchten im Himmel abwendend. Erneut erklang leises Lachen, direkt neben seinem Ohr. "Du hast die Tablette wirklich genommen?" Amüsierter Unglaube schwang in seinen Worten mit. "Du und ich. Wir haben beide eine endgültige Entscheidungen zu treffen.", flüsterte Jan heißer und zuckte daraufhin zusammen als sich eine Hand von hinten unter sein Shirt schlängelte, sich sacht nach vorne arbeitete und kalte Finger seinen Bauchnabel umkreisten. Gedanklich ermahnte er sich zu Ruhe, je eher es begann, desto schneller war es vorbei. "Du bist ein sehr braver Junge." Flüsterte es schließlich an seiner Halsbeuge, ehe warme Lippen sacht darauf niedersanken. Seine Hand wurden feucht und ein unkontrolliertes Zittern begann, als sich die Lippen immer weiter arbeiteten. Er schloss die Augen, verdrängte den Druck hinter den Lidern. Es war bald vorbei. Er musste nur warten, dann würde es bald vorbei sein. Die Lippen arbeiteten sich denn Hals entlang nach oben, sie brannten auf seiner Haut. Heiß, sie waren viel zu heiß. Ein leiser Schluchzer stahl sich aus seiner Kehle. Danach verloren sich jedes Geräusch im Mund des Älteren. Abel war ein guter Küsser, aber der bittere Geschmack beschwor ihm Übelkeit. Es war alles so falsch und doch das einzig Richtige. Die einzige Lösung. Abel blickte routiniert auf seine Armbanduhr. Die Vorführung würde jeden Augenblick beginnen und er war gespannt, wer in diesem Familiendrama, welche Rolle spielte. Locker ließ er sein Hemd auf seine Schultern fallen, er musste sich beeilen rechtzeitig, seinen Platz in diesen Stück zu bekommen. Als er nach seiner Hose griff, fiel sein Blick auf den leicht gebräunten Rücken. "Zum Bad geht es durch die Tür gegenüber.", erklärte er kurz. "Ich bin unten in meinem Büro. Du solltest dich auch fertig machen, dein Bruder wird sicher bald hier sein." Jan fuhr sich mit seiner linken Hand über die Augen, er war erschöpft und seine Handgelenke brannten. Es war nicht so schlimm wie er es erwartete hatte. Abel war verhältnismäßig nett gewesen und dieses Aphrodisiakum hat den Rest getan. Er starrte an die Decke. Es war nicht schlimm gewesen. Er hatte sich sein erstes Mal nur anders vorgestellt, ruhig, sanft und schön. Schön war es nicht. Es war ein Theaterstück in dem er seine Rolle spielte. Perfekt, mit gelernter Mimik und vorbereitetem Text. Platt, leer und gefühllos. Es war ekelerregend, aber nicht schlimm. Ruckartig setzte er sich auf, fiel daraufhin schmerzhaft stöhnend in die Kissen zurück. Er musste duschen. Der Schweiß klebte überall und außerdem war da noch dieser seltsame Dreck. Es dauerte bis er sich aufgerafft hatte und langsam zum Bad schlurfen konnte. Mit einem wohligen Seufzer ließ er das Wasser auf sich niederprasseln. Wieder stahl sich das Brennen hinter seine Augen und wieder versuchte er es zurückzudrängen wie er es in der letzten Stunde die ganze Zeit getan hatte. Es war nicht schlimm gewesen. Seine Augen brannten. "Es war nicht schlimm!", murmelte er und wischte sich über die Augen obwohl sich die ersten Tränen schon längst mit dem Wasser vermischten. Ein heißeres Schluchzen stahl sich aus seiner Kehle und seine Nägel bohrten sich schmerzhaft unbeachtet in seine Oberarm. "Scheiße.", schluchzte er leise, während er an der kalten Duschwand hinunterglitt. Er war frisch geduscht, ausgeweint und neu eingekleidet, als er die Treppe mühevoll hinunterging und die Stimme seines Bruders vernahm. Sie schimpfte, schrie und hier und da hörte er die anderen einstimmen. Er überprüfte sein Spiegelbild in der Fensterscheibe, ehe er sich dazu zwang, sich ruhig und besonnen der Szenerie zu stellen. Als er die Tür öffnete blickten ihn vier Augenpaare überrascht und ein Augenpaar amüsiert an. Abel saß an einem teuren Eichholzschreibtisch. Bettina hielt Peter am Arm fest, während Tobias von Sven umklammert wurde um nichts Dummes zu tun. Überall verstreut lagen die Geldscheine, die Tobias in seinem berserkerähnlichen Zustand wohl vom Tisch gefegt hatte. "Was ist den hier los?", fragte Jan gespielt verwundert und lehnte sich an die Wand. Abel lachte hämisch, das Theaterstück hatte begonnen. Tobias klappte ungläubig der Mund auf, doch er brachte einfach kein Ton heraus. "Ich denke, ich lasse die Herrschaften das unter sich ausmachen.", erklärte Abel höflich und erhob sich gemütlich um den Raum zu verlassen. Kaum das die Tür hinter ihm mit einem leisen Klick schloss stürmte auch schon Bettina auf ihn zu. "Oh Gott, Jan! Geht es dir gut?", erfragte sie zitternd, während ihre Augen verdächtig glänzten und ihre Hände fahrig vorsichtig über sein Gesicht strichen auf der Suche nach Wunden oder ähnlichem. Sanft fing Jan ihre Hände ein und blickte sie beruhigend an. "Es ist alles okay. Ich hab bis jetzt geschlafen." Lügen war so einfach. Immer schon. Sie glaubten ihm alles, denn das war seine Kunst, lügen und Schauspielern. "Wir nehmen dich wieder mit!", entschied Tobias resolut und schüttelte Sven ab, der vor Verwunderung ganz vergessen hatte loszulassen. "Und dann?", fragte Jan herausfordernd. "Überlassen wir der Bank das Haus? Ziehen in Wohnungen die wir uns nicht leisten können? Oder wollen wir alle ein Nomadenleben führen?" "Jan.", brummte Peter versöhnlich. "Du willst doch nicht hier bleiben?" "Nein." Ein Seufzen. "Aber was bleibt übrig? Die Option, dass wir alle Obdachlos werden oder in einer zu kleinen Wohnung unser Dasein fristen und den Schichtdienst danach einteilen, wer dran ist im Bett zu schlafen? Es gibt keine Lösung. Ihr wolltet Abel über den Tisch ziehen und nun zahlt er es euch heim." "Wir wollten Abel nicht über den Tisch ziehen.", widersprach Sven überrascht und leise. "Deswegen hab ihr im auch einen wertlosen Oldtimer angeboten.", fotzelte Jan böse. "Er ist nicht wertlos!", erwiderte Tobias mit ruhiger aber verärgerter Stimme. "Ist er. Wertvoll ist er nur aus sentimentaler Sicht. Er ist ausgeschlachtet, kein Motor, keine Sitze... nichts." Müde blickte er sich um. Zu sagen, dass es keinen Ausweg gab tat weh und machte ihm erst Recht bewusst, dass es wirklich keinen Ausweg gab. Betretendes Schweigen legte sich über den Raum. "Vielleicht solltet ihr jetzt gehen.", murmelte Jan müde und fuhr sich über die Augen. Tobias raufte sich die Haare und verließ wütend den Raum, Bettina folgte ihn schnell um Dummheiten zu vermeiden, aber nicht bevor sie Jans Hand kurz drückte und ihm aufmunternd zulächelte. Peter klopfte ihm nur kurz auf die Schulter, brummelte etwas von Tapfer und folgte den anderen beiden, wohlwissend das Bettina Tobias nicht aufhalten konnte. Sven sah Jan einfach nur an. Lange, ruhig und mit einen undefinierbaren Ausdruck in den Augen. Schließlich lachte er freudlos auf. "Du bist immer noch ein geschickter Lügner, Jan." Er kam langsam näher während Jan seinen Blick senkte. "Ja, das bin ich noch." "Schmerzt es sehr?" "Ja." "War es schlimm?" "Ja.", er schluckte trocken, blinzelte die Träne weg, während Sven Hand sacht seine Haar streichelte. "Wir holen dich hier raus.", flüsterte er zärtlich und leise in Jans Ohr, ehe er ihm wieder in die Augen blickte. Jan zuckte kurz zusammen, ein warmer Schmerz breitete sich in seiner Brust aus. Das was er so lang wollte würde jetzt passieren und er wusste, er würde es nicht zulassen. So war es auch als er den warmen Lippen auswich die sich auf seine legen wollten. Sven seufzte, strich ihm zärtlich durch das Haar und nahm schließlich Abstand. Schon erquoll ein Redefluss vom anderen Raum herein und beide machten sich betont langsam auf den Weg. "... und dann kannst du Gift drauf nehmen, dass ich meinen Bruder zurückhohle!" Abel saß unbeeindruckt auf der teuren Couch und blickte zu den Neuankömmlingen. "Jan.", wandte sich Peter dem Jungen zu. "Wir haben uns entschlossen das Geld in neue Autos und Rennen zu stecken um das Geld zurückzubezahlen." "Und dann bist du in vier Monaten hier draußen! Und gehst gefälligst wieder zur Schule.", fügte Tobias resolut hinzu. Jan lacht kurz. "Okay, dann sammelt die Scheine mal wieder ein.", sagte er amüsiert und beobachtete wie Bettina daraufhin wirklich zurück in das Büro ging. Nach einer kurzen Verabschiedung und dem üblichen viel Glück wünschen, blickte Jan noch lange die geschlossene Tür an, wissend so schnell nicht mehr die andere Seite zu sehen. "Du warst tapfer.", raunte es gefährlich nah an seinem Ohr. Die Tränen die er bis jetzt erfolgreich herunterschluckte brachen nun wie ein Platzregen hervor. Er kaute kurz auf seiner Unterlippe, ehe er zaghaft zu sprechen begann: "Du wirst sie nicht gewinnen lassen." Eine Feststellung. Gewissheit. "Du bist ein kluger Junge, Jan.", flüsterte es heiß an seinem Hals, während eine Hand die Seite forsch auf und ab fuhr. Eine Träne folgte der Nächsten, solange er konnte starrte er die Tür an. Er wird sie nie wieder sehen. ~*~ Ende? 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