Secret Society von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 14: Unruhen ------------------- Hi Leute :D Viel Spaß mit dem neuen Kapitel. Kapitel 14: Unruhen Mit unsicheren Schritten folgte Gabriel dem dunklen Vampir. Dabei fiel sein Blick immer wieder auf Bilder von hoch herrschaftlichen Leuten. Blutsauger allesamt. Ihre starrenden und stechenden Augen spürte er in seinem Nacken, als seien sie ebenso wie er aus lebendigem Fleisch. Dies machte es ihm nicht leichter, seine halbwegs unterdrückte Furcht abzuschütteln. Doch neben dieser Furcht, existierte auch noch etwas anderes. Ein flaues Gefühl, ähnlich einer verschütteten Erinnerung. So klebte es an ihm, seitdem er das Bild- seit dem er Lilia erblickt hatte. Warum bekam er sie nicht mehr aus seinem Kopf? Frustriert legte Gabriel sich die Hände auf die Stirn. Es hatte doch alles keinen Zweck. So angestrengt er auch noch nachdachte, er würde ohnehin zu keiner Lösung kommen. „Alles in Ordnung?“, fragte Ephra mit erhobener Augenbraue und riss den jungen Mann aus seinen Gedanken. Verwirrt schaute Gabriel auf und bemerkte das sie bereits vor der geöffneten Fahrstuhltür standen. „Wie, was? Nein es ist alles in Ordnung...“, haspelte er und schlüpfte an dem schwarzhaarigen Lamia vorbei. „Vielleicht sollte ich dir fairerweise noch sagen, dass der Durchgang oben ebenfalls von einem Draugr bewacht wird. Also sei so gut und achte darauf, dass sich der arme Kerl an dir nicht den Magen verdirbt.“, sagte Ephra lächelnd, als Gabriel den kleinen Knopf für das Dachgeschoss betätigte. Er warf dem Vampir einen funkelnden Blick über die Schulter zu und streckte ihm die Zunge entgegen. ♠~♣~♠~♣~♠~♣~♠~♣~♠~♣ Mit einer sanften Erschütterung kam der Fahrstuhl zum Stehen und durch einen kleinen Vorraum trat Gabriel ins Freie. Trotz seelischer Vorbereitung zuckte er bei dem Anblick des Draugrs heftig zusammen. Er würde sich definitiv nie an die Viecher gewöhnen, dennoch trotz des kleinen Schrecks behielt er Ephras Worte im Kopf, straffte seine Schultern und tigerte, ohne dem Draugr noch eines Blickes zu würdigen, davon. Doch seine sture Haltung bröckelte genauso schnell wieder und machte der Bewunderung Platz, als er sicher der Gartenanlage bewusst wurde. Vor ihm erhob sich eine große saftige Grünfläche, wie es sie seit der Präsidentenära vor hundert Jahren nicht mehr gab. Das fahle Licht des Mondes reichte zwar kaum hinab und alles wurde mehr oder weniger von dem Schein der Stadt erhellt, doch trug es unmittelbar zu einem märchenhaften Anblick bei. Vor ihm lag ein ausgeblichener Klinkersteinweg, der sich nach ein paar Metern aufteilte und in andere Areale führte. Dieser private Bereich wurde von einer hohen alten Natursteinmauer abgeschirmt und war nur über diverse Fahrstühle erreichbar. Ohne Zweifel lag hinter der Mauer der öffentliche Teil und Gabriel konnte sogar Stimmen herüber schallen hören. Er erinnerte sich an Jeromes Aufklärung über die Vampirgesellschaft. Welpen von hohen, viel beschäftigten Vampiren wurden hier zusammen mit zukünftigen Rekruten der Styx Society mit ihren gewandelten Körpern vertraut gemacht. Hundeschule, dachte Gabriel schmunzelnd und kümmerte sich nicht weiter darum. Ephra hatte mit seiner Vermutung recht behalten. Diese Gartenanlage hatte etwas äußerst Beruhigendes an sich. Vermutlich lag es an der Optik, die an einen alten Schlosspark erinnerte. Gabriel interessierte sich nicht wirklich für Geschichte, aber alte Schlösser hatten es ihm ziemlich angetan. Er ging weiter seines Weges und fand einen Platz, der wie geschaffen für ihn war. Zwei Trauerweiden standen dort an einem künstlich angelegten Teich. Umsäumt war dieser Ort von einer hohen kunstvoll geschnittenen Hecke, die als Blickschutz diente. Die Hecke endete an einer relativ niedrigen Balustrade, über die man hinüber auf die Dächer anderer Hochhäuser sehen konnte. Ja, dies war der perfekte Ort für ihn... Lächelnd setzte sich Gabriel ins Gras. Es sah so aus, als könnte er hier endlich seine Ruhe finden. Einfach ungestört sein ohne irgendwelche Vampire oder Zombies. Seufzend ließ er sich auf den Rücken kippen und gab sich behaglich den Geräuschen seiner Umgebung hin. Das leise Murmeln des Windes in den langen Ästen der Weide über ihm. Das Plätschern eines Miniaturspringbrunnens in der Nähe und das gedämpfte Motorengeheul des Verkehrs weit unten in den Straßen der Stadt. Langsam trieb er in einem leichten Schlaf ab und vergaß alles um sich herum. Der Dachgarten wurde in seinem Traum zu einer weiten grünen Fläche. Die Baluster lösten sich um ihn herum auf, einen nach dem anderen. Er hätte einfach nur aufstehen brauchen und fortlaufen können. Er wäre frei gewesen... Ein schöner Traum, der allerdings schnell wieder zerrissen wurde. Hinter sich hörte Gabriel schwere Schritte, gefolgt von einem Poltern und Fluchen. Der Jüngling fuhr hoch, blickte über seine Schulter und starrte in das verdutzte Gesicht seines Bruders, der zwischen zwei beschnittenen Sträuchern hing. „Verdammte Scheiße auch!“, fluchte der dunkelblonde Raphael ungehalten und befreite sich mit einem kräftigen Ruck. Dabei stolperte er und fiel vorne über. Das hatte Gabriel gerade noch gefehlt und er fühlte wie sich sein Magen mit einem knotigen Gefühl zusammenzog. „Raphael! Was zum Teufel machst du hier!?“ Der muskulöse Welpe richtete sich resigniert auf und strich sich durch das Haar. „Mist... also ich... Ach verdammt! Mit diesem ungeschickten Trottel im Nacken kann man seinen Job auch nicht richtig machen“, murrte er und zog sich mit einer flüssigen Handbewegung eine Zigarette aus der Schachtel in seiner Hosentasche. „Trottel?“, wiederholte Gabriel verwirrt, verstand aber, als er die Hälfte eines schweren Draugrkopfes hinter der Hecke hervorscheinen sah. Der Draugr stand einfach nur mit gestrecktem Hals da. Schnüffelnd hielt er seine Nase in die Luft und der eingebeulte Stoff über der Nasengegend blähte sich. „Moment-Stopp-halt! Du kriechst zusammen mit dem Draugr durch die Büsche um mich zu stalken? Versteh ich das richtig? Sollte der nicht den Lift bewachen?“ Glucksend zündete Raphael sich die Zigarette an und sog tief den Rauch ein. „Dieser Kerl hier läuft Wache. Aber frag mich nicht, was er hat. Stand plötzlich hinter mir. Was meinst du, was ich mich verjagt habe? Manchmal sind die Biester recht neugierig und rennen einem hinter her, aber was soll's?“ Grunzend ließ Raphael sich ungefragt neben Gabriel nieder. Dabei wedelte er dem Draugr abfällig mit der Hand zu. „Los! Kusch! Verzieh dich! Du wirst hier nicht gebraucht!“ Der Draugr senkte langsam den Kopf, stierte kurz die Brüder mit glühenden Augen an und trotte dann brummend davon. „Da du mich eh entdeckt hast, kann ich dir auch ein bisschen Gesellschaft leisten. Eine kleine Pause kann eh nicht schaden. Nicht wahr, Bruderherz?“, sagte Raphael grinsend und stieß eine weiße Wolke durch seine Nase aus. Ärgerlich und leicht hustend schob Gabriel sich einige Zentimeter von seinem Bruder weg und die Wut in seinem Magen schwoll vor sich hin. „Was hast du überhaupt hier zu suchen?“, knurrte er und räusperte sich den kratzenden Hals. „Du hast vielleicht heute wieder eine Laune, Gabby. Dich stalken, wie du schon sagtest. Meister Ephra wollte, dass ich nach dem Rechten sehe. Ist bei einem Katastrophentier wie dir aber auch kein Wunder. Du ziehst Schwierigkeiten an wie Scheiße die Fliegen.“, plauderte der Welpe lächelnd vor sich hin. Gabriel gab ein leises Schnauben von sich. Bildete er sich das nur ein oder tat sein Bruder tatsächlich so als wären sie ein Herz und eine Seele? Nach allem, was passiert war? Das konnte doch nicht sein ernst sein! Trotzig erhob er sich, ging zu der Balustrade und stützte auf ihr seine verschränkten Arme ab. Er richtete seinen Blick in die Tiefe, hinunter auf die Calister Street, welche von hier oben aussah wie eine beleuchtete Armeisenstraße. „Findest du es nicht extrem dreist, mir so einfach wieder unter die Augen zu treten? Du hast echt Mumm. Verschwinde lieber, das ist besser für uns beide.“, begann Gabriel leise und schloss die Augen. In seinem Rücken spürte er den Blick seines schweigenden Bruders. Minuten vergingen, bis Raphael endlich seine Worte fand. „Ich versteh nicht ganz, was du meinst, Gabby. Ist es wegen dem Zwanziger, den ich dir noch schulde?“ Hastig drehte Gabriel sich um. Das Gesicht Raphaels verriet, das er wirklich keine Ahnung hatte. Langsam hob Gabriel gestikulierend seine Hände und tat sich äußerst schwer seine Wut zu zügeln. „Hör endlich auf mich Gabby zu nennen! Du und Dad, ihr habt mich verkauft! Schon vergessen?! Einfach so! Ohne mit der Wimper zu zucken. Wegen euch bin ich jetzt die Schlampe von diesem- diesem...“ Die Stimme des Jünglings begann zu beben. Für einen Moment schloss er zusammennehmend die Augen und atmete leise tief ein. Dann sprach er weiter und machte mit jedem Wort einen Schritt auf seinen Bruder zu, bis er dicht vor ihm stand und mit funkelndem Blick auf ihn hinab sah. „Gegen meinen Willen habt ihr mich zum Spielball von diesem … Vampir gemacht! Denkst du allen Ernstes, das nehme ich einfach so hin!“ Das Lächeln auf Raphaels Zügen war verschwunden und er starrte unverwandt seinen Bruder an. Dann lehnte er sich leicht zurück. Aus seinem Mund quollen gelassen einige Rauchkringel, während er kühl in die Luft sah. „Weißt du, Kleiner, dein ständiges Gezeter kann einem wirklich auf den Schiss gehen. Wie oft sollen wir dir noch sagen, dass wir dich nicht verkauft haben? Dein Leben gehörte von Anfang an der Styx Society, genau wie meins. Bei jedem menschlichen Mitglied der Society ist es so. Die Nachkommen werden immer mit eingebunden.“ Empört schlug Gabriel sich die flache Hand gegen die Brust. „Aber doch nicht seine beiden einzigen Nachkommen! Dad hat doch immer davon geredet, dass einer seiner Söhne sein Werk weiterführen soll!“ Von Raphael kam nur ein trockenes Lachen. „Deine Blauäugigkeit ist manchmal echt faszinierend.“, sagte er und schaute zu seinem Bruder auf. „Unser alter Herr ist nicht ohne Grund Politiker. Er strebte schon seit seiner Jugend danach, an der Spitze von New Halen zu stehen. Und das kann man nur wirklich, wenn einem die anderen hohen Tiere nicht im Weg stehen. Meinst du, da wird er nur uns zwei in die Welt gesetzt haben?“ „W-wie bitte?“ Gabriel verstand nur Bahnhof und schaute verwirrt zum dunkelblonden jungen Mann herab, welcher nur seelenruhig an seinem Glimmstängel sog. „Du weißt schon, was ich meine. Vetternwirtschaft. Es war schon ein Plan unseres werten Grandpa. Allerdings war der Knacker nicht so potent wie unser Alter. Man könnte sagen, er habe seine Ambitionen an Dad weiter vererbt. Verstehst du, worauf ich hinaus will, Gab? Dads Plan ist es in New Halen zum Gouverneur aufzusteigen und alle wichtigen Ämter mit seinen Nachkommen zu besetzen. Ich sage nur Daniel Birmington, Alisha Norman und Keath Lamford. Die Styx Society hat immer dafür gesorgt, dass Dad mit den richtigen Frauen zusammenkam und wir beide sind da keine Ausnahme. Wir wurden als Tribut heranzüchtetet, verstehst du? Nur aus unerfindlichen Gründen versäumte Dad, dich auf dein Schicksal vorzubereiten.“ Ein sarkastisches Grinsen bildete sich auf Raphaels Lippen, als er genüsslich an seiner Zigarette zog. Ein taubes Gefühl breitete sich in Gabriel aus und er taumelte zurück. Fahrig suchte er an der Trauerweide Halt und starrte vor sich hin. Daniel Birmington... Alisha Norman... Keath Lamford... Alle zwischen fünfundzwanzig und dreißig Jahre alt und berühmte Größen in der Politik. Sie alle hätten gute Chancen gehabt trotz ihrer Jugend den Posten des Gouverneurs zu bekleiden, aber sie alle hatten sich zielstrebig für andere Ämter entschieden... und arbeiteten nun äußerst eng mit Senator Rougen zusammen. Das durfte doch alles nicht wahr sein! Und auch er sollte nur ein Produkt einer kranken Zucht sein? War das der Grund, warum sein Vater nie über seine Mutter geredet hatte? Es war alles so absurd! „Während ich gedrillt wurde, hat Dad dir fröhlich Zucker in den Arsch geblasen. Vielleicht weil deine Mutter eine besonders heiße Schnitte war.“, fuhr Raphael fort. Es war offensichtlich das, Gabriel das Thema zusetzte, aber war das sein Problem? „Ich wette sie war ein notgeiles Flittchen, das all seine Laster an dich weiter vererbt hat. Das würde erklären, warum du dich so an den Lichtbringer ranschmeißt. Gib's ruhig zu. Du ziehst vor uns allen doch nur eine Show ab. Wie immer, wenn du nicht genug Aufmerksamkeit bekommst. Beim Bankett war es mehr als offensichtlich. Erst so tun, als wenn dir das alles nicht gefällt und dann... Es hat dich doch regelrecht aufgegeilt, wie dich der Gebieter vor allen Gästen berührt hat. Stimmt's, Gabby? Du bist der geborene Schoßhund. Streckst auf Befehl die Beinchen und kannst ebenso perfekt lecken!“ Mit geweiteten Augen sah Gabriel auf und sofort legte sich ein deutlicher Rotschimmer auf seine Wangen. Raphael indes erhob sich lachend und wollte sich an dem jämmerlichen Bild seines kleinen Bruders erfreuen. Er wollte sehen, wie sein Bruder vor Scham im Boden versank. Allerdings kam alles ganz anders. Die Hand Gabriels, die auf der rauen Rinde der Trauerweide ruhte, ballte sich zu einer Faust. Die Haare seines Ponys fielen ihm ins Gesicht, als er den Kopf senkte und er seine Zähne knurrend bleckte. Seine Wut hatte endgültig ihren Siedepunkt erreicht. Eine geladene Stille legte sich über die beiden Brüder, welche noch im selben Augenblick von einem wilden Aufschrei zerrissen wurde. Gabriel preschte mit erhobener Faust vor und stürzte sich brüllend auf Raphael. Der Angriff kam dermaßen unerwartet, dass der Welpe gar nicht erst reagieren konnte. Seine Bauchdecke wölbte sich nach innen, als Gabriel seine Fingerknöchel mit aller Kraft in seine Magengegend grub. Kommentieren tat Raphael das mit einem einzigen erstickten Würgen, dabei spuckte er seinen Glimmstängel aus. Gekrümmt taumelte er zwei Schritte zurück und umschlang seinen Bauch mit den Armen. „Halt deine dreckige Fresse, Sackgesicht!“, schrie Gabriel und hatte keineswegs vor von Raphael abzulassen. Verkniffen schaute dieser auf und sah seinen Bruder auf sich zu stürmen. Der Dunkelblonde hatte von klein auf ein hartes Training absolvieren müssen. So viele Techniken und Angriffe des Faustkampfes hatte man ihm von klein auf eingebläut, das es ihm in Mark und Blut übergegangen war. Kaum das sein unteres Augenlid einmal wütend aufzuckte, schnellte er vor und revanchierte sich, ohne nachzudenken mit einem Faustschlag. Ganz anders als sein älterer Bruder taumelte Gabriel nicht. Er flog regelrecht zurück und landete mit einem dumpfen Laut auf dem Rücken. Stöhnend packte er sich an die lädierte Wange, welche auch schon nach wenigen Minuten zu schwellen begann. Währenddessen war Raphael an Ort und Stelle erstarrt, denn er wurde sich bewusst, dass er gerade den Geliebten des verehrten Gebieters geschlagen hatte. Benommen stürmte er auf Gabriel zu und ließ sich neben ihm auf die Knie fallen. „Scheiße, Scheiße, Scheiße! Los! Zeig mir dein Gesicht! Ist noch alles dran?!“ Er packte seinen jüngeren Bruder unsanft am Kinn und zwang ihn in seine Augen zu schauen. Doch noch, bevor Raphael den Jüngling näher untersuchen konnte, vernahmen seine feinen Ohren ein beunruhigendes Geräusch. Die schwerfälligen Schritte des Draugrs. Knurrend stieß Gabriel seinen erstarrten Bruder von sich und stand auf. Breitbeinig baute er sich vor Raphael auf und hob provozierend die Arme. „Komm schon! War das alles?! Ich bin noch lange nicht fertig mit dir!“ Raphael starrte geradewegs zu ihm hoch aber noch, bevor er sagen konnte, beugte sich der Jüngere über ihn um packte ihm am Kragen. „Na los! Knall mir noch eine! Mir ist es egal! Mir ist alles egal! Du, Dad, die gesamte verdammte Styx Society und ganz besonders diese kranke Schwuchtel von einem Vampir! Wenn hier einer ein Flittchen ist, dann euer Lucion. Dieser gottverdammte Huren-“ Gabriel konnte seinen Satz nicht mehr beenden, denn Raphael rammte seine Hände förmlich in dessen Gesicht, um ihn den Mund zu zuhalten. „Bist du noch zu retten?! Wenn dich der Draugr hört, läuft der Amok!“ Keiner der beiden Brüder ahnte jedoch, das weit über ihnen ein weitaus gefährlicheres Wesen hockte. Ein Wesen, das auf Befehl seines alten Meisters schon seit dem großen Bankett hier ausharrte und die Vorgänge in der Styx Society beobachtete. Genau wie sein Herr fühlte es sich tief mit dem Lichtbringer verbunden und es gefiel ihm gar nicht, wie dieser vorlaute Bengel über den Gebieter sprach. Ein lautes Rascheln in den Ästen der Trauerweide und ein krächzender Schrei ertönten über den beiden jungen Männern. Verwirrt schauten sie auf und noch bevor sie sich bewusst wurden was geschah brüllte Gabriel schmerzverzerrt auf. Er fuhr sich mit der Hand in den Nacken und fühle das der Stoff seines Stehkragens und der restlichen Weste aufgerissen war! Eine dünne brennende Wunde zog sich quer im hohen Bogen von einer Schulter zur anderen und als er die Hand wieder zurückzog, war sie mit Blut benetzt. „Scheiße, was war das?!“ Der Welpe achtete nicht mehr auf seinen Bruder und richtete sich wachsam auf. Lauschend sondierte er die Umgebung, ohne was ausmachen zu können. Dennoch waren alle seine Sinne alarmiert. „Gabriel! Verschwinde hier! Lauf so schnell du kannst zum Lift!“, raunte er leise. Gabriel jedoch verstand nicht, was hier geschah und machte nur einen irritierten Schritt zurück. Genau in dem Augenblick, in dem er sich bewegte, blitzte in seinem Augenwinkel ein weißes Schema auf und das Etwas stürzte sich erneut auf ihn. Er konnte nur noch erstickt aufkeuchen, als sich eine Kralle dicht unter seinem linken Augen in seine geschwollene Wange grub. Sofort entfachte ein brennender Schmerz, der Gabriel abermals gellend aufschreien ließ. Raphael stellte sich schützend vor seinen kleinen Bruder und versuchte die Kreatur zu packen, allerdings war das mehr als nur ein unmögliches Unterfangen. Was immer dieses Wesen auch war, es war selbst für seine übermenschlichen Augen zu schnell. Der Draugr, welcher inzwischen eingetroffen war, war ihm auch keine große Hilfe. Leider war Schnelligkeit keine Stärke der untoten Giganten und dieses Exemplar war dazu verdammt, hilflos mit den Armen in der Luft herumzurudern. Raphael sah die, durch die Geschwindigkeit verzerrte weiße Silhouette gerade noch rechtzeitig auf seinen Bruder zustürzen. In einer abgehackten Bewegung stieß er Gabriel zur Seite, doch die Kreatur änderte genau so abrupt ihre Flugrichtung und attackierte Gabriel aufs Neue. Schützend hob er die Arme vor sein Gesicht, doch nützte dies wenig. Das Blut ran inzwischen in kleinen Rinnsalen an Gabriel herab und seine Weste war kaum mehr als ein großer schwarzer Lumpen. Die Angriffe kamen aus allen Richtungen und bald verlor der Jüngling jegliche Orientierung. Hastig stolperte er gebeugt rückwärts, als er plötzlich schwungvoll mit seiner Hüfte gegen die steinerne Balustrade stieß und das Gleichgewicht verlor. „NEIN GAB! Bleib stehen!“, brüllte Raphael auf. Doch es war zu spät. Ein letzter Angriff reichte, um den Jüngling komplett aus dem Gleichgewicht zu bringen und hinten überfallen zu lassen. Gabriel riss die Augen auf und die, durch einen blutigen Schleier rot verfärbte Welt, kippte. Panisch suchten Füße und Hände nach Halt, doch fanden sie nur leere Luft. Er fiel. Das Adrenalin pumpte in jeder Ader seines Körpers und der Schmerz seiner Wunden schien zu verstummen. In Gabriels Kopf herrschte nur ein allmächtiger Gedanke. Er würde sterben. Doch plötzlich, wie durch ein Wunder, stoppte sein Fall und ein schmerzhafter Ruck ging durch seinen gesamten Körper. Er biss die Zähne zusammen, um nicht laut loszubrüllen und schaute mit aufgerissenen Augen hoch. Unbewusst hatte er es geschafft, sich an einer Verzierung festzuhalten. Ungläubig blinzelnd starrte Gabriel vor sich hin, bis ihm klar wurde, dass die Prunksucht der Vampire ihm erstmals das Leben gerettet hatte. Ein gigantisches Relief zog sich mit etlichen Schnörkeln und Windungen meterweise um die oberen Etagen der Styx Society. Er hätte heulen können vor Glück. Ohne noch weiter darüber nachzudenken, griff Gabriel mit der zweiten Hand zu, suchte mit seinen Füßen halt und wollte sich hochziehen. Doch seine Gliedmaßen versagten ihren Dienst und schienen sich in zitterndes Gummi verwandelt zu haben. „Scheiße!“, fluchte Gabriel und spürte wie ihm frustriert die Tränen in die Augen stiegen. Aber er biss die Zähne zusammen und blinzelte sie weg. Verdammt, es war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt zum Flennen! „Gabriel! Komm schon, du Pfeife! Stell dich nicht so an!“, hörte er die Stimme seines Bruders brüllen. Weit hatte Raphael sich über die Balustrade hinweg gebeugt und einzig der Draugr verhinderte mit festem Griff, dass er ebenfalls in die Tiefe stürzte. Suggestiv hielt er seinem jüngeren Bruder die Hand entgegen, obwohl diese noch viel zu weit entfernt war, um sie zu ergreifen. Vergewissernd schaute Gabriel sich nach der Kreatur um, die seit seinem Sturz verschwunden war. Er hoffte innigst, dass sich das Mistvieh nicht wieder blicken ließ. Mit einem missmutigen Grunzen stierte er resolut nach oben. „Na mach schon, Schwächling! Zeig das du nicht komplett zum Weib mutiert bist!“, rief Raphael provozierend, aber was hätte er anderes auch tun können? Fieberhaft überlegte er, Gabriel durch die Schatten zu ziehen, doch diese Idee verwarf er so gleich wieder. Damit ein Vampir durch die Schatten wandeln konnte, musste er selbst zu einem Schatten werden. Auf sich selbst bezogen war das gar kein Problem, aber jemand anderes, ein Wesen aus Fleisch und Blut, in einen Schatten zu verwandeln, war sogar für einen noch so mächtigen Vampir unmöglich. Die groben Worte Raphaels verfehlten ihre Wirkung bei Gabriel jedenfalls nicht. In dessen azurblauen Augen funkelte es grimmig und er biss die Zähne zusammen. Bis zum Bersten spannte er seine Muskeln an und packte den ersten Vorsprung. So quälte er sich Stück für Stück hinauf und spürte schon nach wenigen Metern, wie ihm die Puste ausging. In Gedanken ermahnte er sich immer wieder nicht nach unten zu sehen, denn das Letzte was er jetzt gebrauchen konnte war ein Schwindelanfall. Nach einigen Minuten trennte nur noch ein einziger Meter die beiden Brüder und Gabriel war gerade im Begriff über eine größere Einbuchtung hinweg zu klettern, als plötzlich ein prägnantes Krächzen ertönte. Kreidebleich erstarrte Gabriel in all seinen Bewegungen und richtete seinen Blick mechanisch in die große Nische. Direkt vor seiner Nase saß ein riesiger Vogel, der bis auf das weiße Gefieder und die eisblauen Augen definitiv als Rabe erkennbar war. Der Vogel gab erneut ein Krächzen von sich. Dieses Mal bedrohlich leise und lang gezogen, sodass dessen Kehlfedern nur so vibrierten. „Fuck!“, stieß Gabriel heiser aus und wollte sich panisch höher hangeln, doch im selben Moment schoss der Rabe hervor und stob über den Jüngling hinweg. „Gabriel! Nein! Was machst du denn!? Halt dich fest!“, bellte Raphael und musste hilflos mit ansehen, wie Gabriel abrutschte und wieder einige Meter zurückfiel. Energisch verkrallte sich der Jüngling so gut es ging in der Fassade. Einen kurzen Moment riskierte er doch einen Blick in die Tiefe und schluckte schwer. Ein weiteres Mal abzurutschen konnte er sich nicht leisten. Einige Zentimeter unter ihm verlor sich die steinerne Fassade in einem letzten eindrucksvollen Relief. Alles was darunter lag, war eine sterile gläserne Verkleidung, welche tief unten bei einer gefühlten Ameisenstraße endete. Keuchend blickte er auf und sein Blick trübte sich. Langsam, aber sicher gingen seine ohnehin schon geringen Kraftreserven zur Neige. Seine Muskeln bebten vor Anstrengung und der Schweiß ran ihm in Strömen über das blutverschmierte Gesicht. Dennoch wollte er einfach nicht aufgeben und zwang sich nach der nächsten Kante über sich zu greifen, aber der Rabe zog mit einer scharfen Klaue eine tiefe Wunde in die Oberseite von Gabriels Hand. Gellend schrie er auf und presste seine Wange fest gegen das kalte Gestein, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Wütend starrte er zu dem Biest auf, das sich flatternd auf einen Vorsprung niederließ und höhnisch vor sich hin gackerte. „Scheiß Mistvieh! Verpiss dich endlich!“, fauchte Gabriel. Spottend und mit hoch erhobenem Kopf blickte die Kreatur auf den Menschenjungen herab und sprach plötzlich mit einer klaren verärgerten Männerstimme: „Verpiss dich doch selbst!“ Gabriels Gesichtsfarbe bleichte sich um etliche Nuancen. Der Vogel gluckste vergnügt und neigte langsam seinen Kopf hinunter, lehnte sich etwas vor und flüsterte leise: „Ich kenne dich noch vom großen Bankett und schon da hätte ich dir am Liebsten die Augen ausgekratzt. Der verehrte Lichtbringer hätte dich wie alle anderen zu einem stinkenden Draugr machen sollen, aber eventuell könnte ich das Nachholen... Deine unreine Zunge soll Seinen Namen nicht mehr nennen, nein, niemals nicht, nimmermehr!“ Ein kalter Schauer lief Gabriel über den Rücken und er blickte stumm in die starren Augen des Tiers. Drohend richtete sich der Rabe auf und breitete seine riesigen Schwingen aus, sodass der Jüngling ganz in seinen Schatten verschlungen wurde. Er legte den Kopf zurück, stieß einen entsetzlichen Schrei aus und wollte seinen schwarzen Schnabel niedersausen lassen. Währenddessen biss Raphael seine scharfen Fänge zusammen, denn er hatte erkannt, um was für eine Kreatur es sich hier handelte. Es war ein Kalyht in seiner Rabengestalt. Aber was in drei Teufels Namen tat er hier und warum griff er Gabriel an? Frustriert schlug er die Hände über dem Kopf zusammen. Scheiße, die Situation wurde immer vertrackter und er konnte hier nur nutzlos rum stehen. Alle seine Fähigkeiten waren auf einen direkten Einzelkampf ausgelegt, aber doch nicht auf Rettungsaktionen. Er sah es schon kommen. Meister Ephra würde in zerstückeln. Wimmernd wurde ihm klar, dass er seinen Herrn sofort hätte holen sollen. Aber nun war es zu spät... Plötzlich stieß der Draugr ein scharfes Brüllen aus und zog Raphael von der Balustrade fort. „Hey! Was soll das, du-“, wollte der dunkelblonde Welpe sich beschweren, doch als sein Blick für einen Moment zur Seite glitt, blieben ihm die Worte im Halse stecken. Der Lichtbringer löste sich aus dem Schatten der Trauerweide und hielt zielstrebig auf sie zu. Sofort ließ Raphael sich mit panisch hämmernden Herzen auf die Knie fallen. Dies war das Schlimmste, was passieren konnte. Er hatte seinen Auftrag versaut und durch die Augen des Draugrs hatte der Gebieter wahrscheinlich alles live miterlebt. Lucions Gesicht gab aber nicht für einen Augenblick seinen derzeitigen Gemütszustand preis. Ohne den Welpen auch nur wirklich eines Blickes zu würdigen, streifte er seine seidene Robe ab und ließ sie einfach auf ihn drauf fallen. „Ich schätze keine Falten.“ Zu mehr Worten ließ sich der Lichtbringer nicht herab und stieg über die steinerne Brüstung hinweg. Eilig erhob sich Raphael wieder und legte mechanisch die Robe zusammen. Fahrig ließ er seine Finger durch sein Haar wandern und stöhnte auf. Das Chaos war wohl nun komplett. Lucions sollte noch nicht auf die Kalyhten treffen. Nicht bevor es erforderlich war. Raphael reichte es. Meister Ephra musste her. Mit geschlossenen Augen und eingezogenem Kopf drückte Gabriel seinen zitternden Körper an die Wand und wartete das der Rabe mit seinem schwarzen Schnabel zu stieß. Aber es geschah nichts dergleichen. Nur ein heiseres Krächzen und plötzliches wildes Flügelschlagen war zu hören. Einige Federn rieselten noch auf ihn herab, als er sich endlich traute wieder die Augen zu öffnen. Kaum das er zögernd den Blick hob, traf er auch schon auf ein vertrautes verschiedenfarbiges Augenpaar. Smaragdgrün und Bernsteingold. Die langen silbernen Strähnen umsäumten herabfallend die scharf geschnittenen Gesichtszüge. Erschrocken würgte Gabriel einen überschlagenden Schrei heraus und verlor das Gleichgewicht, doch noch im selben Augenblick packte Lucion einen der rudernden Arme und zog ihn zurück. Gabriels Augen weiteten sich und mit ungläubig klimpernden Lidern starrte er zum Lichtbringer hinauf, der kopfüber förmlich an der Fassade zu kleben schien. Beim zweiten Hinsehen wurde Gabriel klar, das sich die Finger des Vampirs in den Putz gruben, wie in sprödes Styropor. Schweigend schaute der Silberhaarige mit nichtssagender Miene zu seinem Geliebten herab, worauf dieser schwer schluckte. Auch wenn Gabriel nichts aus Lucions Blick lesen konnte, bedeutete dieses eingehende Mustern nichts Gutes. Die Situation war geradezu ideal, um daraus eins dieser kranken Spielchen zu machen, welche der Lichtbringer so sehr liebte. Er, Gabriel.... Wie er zitternd, mit tauben Fingerkuppen um jedes bisschen Halt kämpfte, musste ein zu verlockendes Bild abgeben. Endlich schaffte er es, sich von dem intensiven Blick loszureißen. Stur starrte Gabriel finster auf seinen Handrücken und wartete darauf, dass die ersten spottenden Kommentare kamen. Doch stattdessen hob Lucion eine Hand nach der anderen und bewegte sich langsam vorwärts, direkt am Jüngling vorbei. Jedes Mal wenn die schlanken Finger tief in den Putz eindrangen, platzen klein Plättchen ab und hinterließen spinnennetzartige Risse. Ihm war es schon vorher klar gewesen, aber jetzt erstmals wurde Gabriel ernsthaft bewusst, welch rohe Kraft sich hinter der engelsgleichen Gestalt Lucions verbarg. Abermals schluckte er schwer und hoffte, dass das Spielchen nicht allzu lange andauern würde. Als er und der Lichtbringer auf einer Höhe waren, brachte dieser sich in eine aufrechte Position, ließ sich aber nicht auf den schmalen Vorsprung absinken, auf dem auch Gabriel stand. Der Jüngling schloss mit zitternden Lippen die Augen und lächelte schwach. Er kam sich in diesem Augenblick so unglaublich lächerlich vor. Während er bei dem Rabenbiest einfach nur verzweifelt und etwas panisch gewesen war, hatte er jetzt wirklich bestialische Angst. Bei dem Mistvieh war es klar gewesen, auf was das alles hinauslief... Auf seinen direkten Tod. Solch eine Gewissheit konnte im Vergleich zu jetzt, einem richtig wie Urlaub vorkommen. Lucion würde ihn nicht einfach umbringen, jedenfalls nicht jetzt... Gabriel spürte, wie sein Handgelenk wieder umfasst wurde, aber dieses Mal um einiges kräftiger. Kurz darauf folgte ein starker Ruck und er riss keuchend die Augen auf. Mit einer nicht gerade sanften Bewegung wuchtete Lucion ihn herum, zog ihn zu sich und noch bevor Gabriel richtig begriff was geschah, saß er schon mit den Rücken zur Wand gelehnt auf dem angewinkelten Oberschenkel des Silberhaarigen. Erschrocken gab er ein lautes Keuchen von sich, denn jetzt fehlte ihm absolut jede Sicherheit und sein Körper täuschte ihm das Gefühl vor, jeden Moment zu fallen. Seine Höhenangst überkam ihn nun vollends und aus reinem Reflex heraus umklammerte er Lucion, dabei presste er sein Gesicht hyperventilierend gegen dessen Brust. „Scheiße! Bist du wahnsinnig?!“, entwich es ihm ungehalten, doch erwiderte der Silberhaarige darauf nichts. Grob wurde Gabriel am Kinn gefasst und mit den Rücken wieder fest gegen die Wand gedrückt. Mit geschmälerten Augen ließ Lucion seinen Blick über die Gestalt des Jünglings gleiten, der ängstlich zurück starrte. „Keinen Augenblick kann man dich allein lassen...“, knurrte der Silberhaarige bedrohlich und Gabriel zuckte zusammen, als die Hand, welche neben seinem Kopf in der Fassade krallte, ein bröselndes Geräusch verursachte. Die Finger um sein Kinn erhöhten ihren Druck und er ihm entwich ein schmerzverzerrtes Keuchen. „I-Ich kann doch nichts dafür! Ah...GAH AH! D-Du tust mir weh, v-verdammt!“, stieß Gabriel gequält zwischen zusammengebissenen Zähnen aus und Tränen sammelten sich in seinen Augenwinkeln. Wie aus einer Trance erwacht, stutzte Lucion und blinzelte. Sofort wurde dessen Griff sanfter und noch bevor Gabriel etwas tun konnte, legten sich die Lippen des Lichtbringers zärtlich auf die Seinigen. „Nein... Natürlich nicht...“, hauchte Lucion leise mehr zu sich selbst. Mit geweitetem Auge starrte Gabriel den Vampir an und zog irritiert die Augenbrauen hoch. Der Klang dessen Stimme, der Ausdruck in dessen Gesicht... Alles fern von jeglichem Hohn und Spott. Warmes Mitgefühl und sogar ein bitterer Schmerz waren im Antlitz des Lichtbringers zu sehen. Gefühlsregungen, welche so gar nicht zu diesen sonst so kühlen Gesichtszügen passen wollten. Völlig überrumpelt stierte Gabriel mit etwas geöffneten Mund vor sich hin und konnte den prickelnden Schauer nicht verhindern, als Lucion mit seinem leicht angerauten Daumen über seine Unterlippe glitt. Langsam blickte der Silberhaarige auf, direkt in die blauen Augen seines Geliebten. Es war mehr als nur offensichtlich, das Gabriel mit diesem sanften Verhalten völlig überfordert war, doch Lucion kümmerte das wenig und glitt langsam mit seinen Lippen dessen Wange hinauf. „H-halt! W-was machst du denn?! A-Au!“, fragte Gabriel zischend, als der Lichtbringer einen zarten Kuss auf die Wunde unter dessen Auge drückte. „Dein hübsches Gesicht... Es ist völlig zerkratzt...“, wisperte Lucion mit belegter Stimme und begann vorsichtig mit seiner Zungenspitze die Wunde nachzuzeichnen. Gabriel wollte sich beschweren, doch brachte er nur ein heiseres Wimmern zustande. Kurz brannte ein feuriger Schmerz in seiner Wange auf, der nach und nach immer mehr verschwand. Sogar das Pochen, welches Raphaels Schlag verursacht hatte, linderte sich zusehens. Fassungslos verzog Gabriel die Augenbrauen, als er sich bewusst wurde, was Lucion hier tat. Vor nicht allzu langer Zeit wurde bei ihm ein Biss einer Draugrlarve auf ähnliche Weise versorgt. Vampirsaliva, schoss es ihm durch den Kopf. Der Lichtbringer heilte seine Wunden mit seinem Speichel. Gabriel runzelte die Stirn, denn solche Fürsorge sah Lucion nun wirklich nicht ähnlich. Ob er vielleicht irgendetwas ausheckte? Egal wie Gabriel es drehte, er kam zu keinem Schluss. Doch seine Überlegungen verloren schnell an Bedeutung. Irgendwie... irgendwie fühlte sich die sanfte Berührung der Zunge immer angenehmer an... Eine dezente Wärme breitete sich in seinem Körper aus und ließen seine überanstrengten Glieder träge werden. Lucion entging dies keineswegs. In einer anderen Situation hätte er es ohne Zweifel mit einem zufriedenen Lächeln kommentiert, aber jetzt schwieg er einfach und glitt weiter über die kleine Wunde, bis sie sich zu schließen begann. Fertig war er jedoch noch lange nicht und er nahm sich auch Gabriels verletzten Handrücken vor. Ein leises Keuchen entwich dem Jüngling und auf dessen Wangen zeichnete sich eine dezente Röte ab. „E-Es ist schon gut. Du brauchst das nicht machen.“, sagt er mit heiserer Stimme. Erst jetzt bemerkte er die ungewöhnliche Reaktion seines Körpers und gab sich mental eine Ohrfeige... „Das heilt schon von allein.“, meinte er hastig und wollte seine Hand wegziehen, doch Lucion umfasste sie fester und gab ein kaum vernehmbares Knurren von sich. Er tat noch einen letzten Strich mit seiner Zunge und sah dann auf. Die Nackenhaare Gabriels hoben sich sofort, denn im geschmälerten Augenpaar lag ein unheilvolles Funkeln. Langsam fuhr sich der Lichtbringer mit der Zunge über die Lippen um die Reste des blutigen Geschmacks aufzunehmen. „Wer hat dir das angetan?“, fragte er und beim Klang der Stimme zuckte Gabriel sichtlich zusammen. Also eines war sicher. Lucion war ziemlich sauer... Unbehaglich rutschte Gabriel auf seinem Platz herum und schaute zur Seite, denn was sollte er sagen? Aber er entkam dem glühenden Blick nicht. Lucion schnappte sich wieder dessen Kinn und zwang, den Jüngling in seine Augen zu schauen. „Na los, sag es mir!“, forderte er herrisch. „Ich bin mir nicht sicher... Es sah aus wie ein Vogel- Ein Rabe. Aber kein Normaler.. “ Gabriel hatte schon gehört, das man Krähenvögeln einige Worte lehren konnte, aber dieser weiße Rabe hatte eine viel zu menschliche Stimme besessen. Lucion neigte leicht den Kopf und kam dem Gesicht seines Geliebten ganz nah. „Ein Gestaltenwandler...“, wisperte er halb feststellend. Langsam verkleinerten sich die Pupillen des Silberhaarigen kühl und Gabriel fröstelte es. „Dieser Narr wird den Tag bereuen, an dem er auch nur ein Auge auf dich warf.“, zischelte Lucion und strich sanft mit einem seiner langen Fingernägel über Gabriels Wange. Der Jüngling fühlte bei dieser Berührung ein angenehmes Prickeln. Leicht verwirrt öffnete er die Augen, denn dieses Prickeln fühlte sich tatsächlich echt angenehm an! Es war nicht eines dieser künstlichen Gefühle, die immer dann auftauchten, wenn er sie am wenigsten brauchte. Aber wieso ausgerechnet jetzt?! „Für jede einzelne Schramme wird dieses degenerierte Etwas bluten...“ Lucions Lippen befanden sich nur weniger Zentimeter neben Gabriels Ohr und wieder geschah es. Und da war er wieder! Dieser angenehme Schauer, er durchfuhr sein Rückgrat, wie ein warmer Wasserstrahl und er presste die Lippen zusammennehmend aufeinander. Das konnte doch nicht sein! Es musste einfach wieder eine dieser verqueren Vampire-machen-mich-aus-unerklärlichen-Gründen-scharf-Gefühle sein. Seine Angst war kaum mehr vorhanden und sie hatte einer gewissen Geborgenheit Platz gemacht. Aber wieso?! Allein die Situation war ungünstig! Er klebte an einer Häuserwand, verdammt nochmal und Lucion war trotz phänomenalen Aussehens immer noch ein Kerl! Ein bösartiger, blutsaugender, geistesgestörter Vampirkerl! Dennoch... Dieses Kribbeln... Es fühlte sich anders an und es überkam Gabriel ein weiteres Mal, als Lucion wieder in seine Augen schaute. Und da war sie wieder, diese Schönheit, die Gabriel schon einmal beim Bankett erblickte, als er Lucion zur Weißglut gebracht hatte. So wie damals war das Gesicht des Silberhaarigen nun voller offener Gefühle. Wut, Hass und ein kleiner Teil von Besorgnis. Gabriel konnte wirklich nicht sagen, was zu diesem Zeitpunkt in ihn gefahren war. Vielleicht waren wieder pubertäre Hormonschwankungen schult. Sein Blick schloss sich halb und er schaute zu Lucions vollen Lippen, welche sich langsam näherten. Gabriels Herz schlug in kräftigen Wogen und er lehnte sich leicht vor. Dann geschah es. Ein sanfter Kuss, der ein wenig an Druck gewann, legte sich auf seine Lippen. Es war ein Kuss wie er unüblicher für Lucion nicht sein konnte. Nichts Forderndes lag in ihm... Nichts war von der ausgehungerten Gier zu spüren. Es war einfach nur ein Kuss, der schon fast etwas Tröstendes in sich trug. „Bei Lilithu Lamina und all ihren Kindern! Lucion!“, donnerte eine kräftige Stimme überschlagend und Gabriel fuhr erschrocken auf. Der Silberhaarige schien für einen Moment nicht zu reagieren und schaute nur weiterhin unverwandt zu seinem Geliebten. „Lucion! Ist alles in Ordnung?!“, rief die Stimme abermals vom Dach zu ihnen hinunter. Lucion senkte den Kopf, schloss leicht die Augen und schüttelte dann mit einem kleinen spöttischen Lächeln resigniert den silbernen Haarschopf. „Ephra...“, murmelte er und Gabriel konnte beobachten, wie die Mimik des Silberhaarigen wieder förmlich zu vereisen schien und nichts mehr übrig war, als der typisch selbstgefällige und leicht gelangweilte Ausdruck. Der Lichtbringer sah mit einem Seufzen hinauf und drückte Gabriel abrupt an sich, sodass dieser überrascht auf keuchte. „Du solltest dich gut festhalten, mein Prinz. Mir ist nicht danach, dich noch einmal retten zu müssen.“, sagte er trocken und setzte sich sogleich in Bewegung. Gabriel klammerte sich mechanisch mit Armen und Beinen um Lucions Taille. Geschickt erklomm der Silberhaarige die Wand und Gabriel hörte das laute Knirschen der Fassade um sich herum. Im Normalfall wäre jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem er sich mit lautem Gekeife seiner Angst Luft gemacht hätte, allerdings wirbelten seine Empfindungen, bedingt durch die vorangegangene Situation, noch immer durcheinander. Er hatte Lucion geküsst... von sich aus... und bedauerte es tatsächlich, das es schon vorbei war... „Schließ die Augen und mach den Mund zu.“, sagte Lucion plötzlich und Gabriel schaute verwirrt auf. Der Lichtbringer hatte angehalten und griff mit der Hand in eine Nische, die von einer großen verschnörkelten Verzierung gebildet wurde. „Wie? Was?“, fragte Gabriel nur abgehackt und schaute tumb in die Nische. Seine Augen weiteten sich, als ihm bewusst wurde, dass Lucions Hand mit dem Schatten verschmolzen war. Der Lichtbringer wartete nicht länger, sondern lehnte sich vor. Gabriel spürte, wie ein eisiges Gefühl seinen Rücken erfasste und sich stechend ausbreitete. Keuchend japste er auf, als sein Körper allmählich jegliches Gefühl verlor und sich langsam aufzulösen schien. „H-Hey! Was soll der Scheiß!?“, fuhr Gabriel den Vampir erschrocken an, doch dieser quittierte es nur mit einem spöttischen Lächeln und drängte ihn weiter in den Schatten. „H-Herr! Seht ihr das!?“, keuchte Raphael ungläubig, als die letzten silbernen Haarspitzen im Dunkeln verschwanden. „E-Er hat Gabriel durch die Schatten gezogen! Aber wie ist das möglich!?“ Ephra stand ebenfalls so ratlos da, wie sein Welpe, aber dann kam ihm die Erkenntnis. Lucions Macht musste sich weiter gefestigt haben. Der schwarzhaarige Lamia runzelte die Stirn und starrte auf den Punkt, wo sein kleiner Bruder verschwunden war. Seine Hand, die auf der Balustrade lag ballte sich zu einer leichten Faust. Dieser Umstand war ohne Zweifel ein Grund zur Freude. Es hieße das Lucion einen weiteren Schritt näher an seiner Vollkommenheit war, doch gleichzeitig beunruhigte Ephra die Tatsache. Diese Entwicklung war viel zu plötzlich gekommen und Lucion konnte noch nicht derartige Energiereserven besitzen... „Meister Ephraim? Ihr seht so missgestimmt aus.“, meinte Raphael vorsichtig, nachdem er seinem Schöpfer eine kurze Weile beobachtet hatte. Die Augenbrauen des Lamias zogen sich unmerklich zusammen. „Du sagtest, ein Kalyht wäre es gewesen?“, fragte er langsam, worauf Raphael nur nickte. „Hat sich Lord Taris in irgendeiner Weise angekündigt?“ „N-nicht das ich wüsste, Meister. Meint Ihr etwa... Er habe den Angriff auf Gabriel befohlen?“, stieß der blonde Welpe überrascht aus, erntete jedoch nur ein belustigtes Schmunzeln. „Was denkst du nur für einen Unsinn.“ Ephra war sich bewusst, das Taris nie einen Angriff auf den Geliebten seines Enkels befehlen würde, schließlich war Lucion das wertvollste Mitglied seiner Familie. Er würde den Lichtbringer niemals verärgern. Zudem würde er einem kümmerlichen Menschenjungen nie mit solcher Aufmerksamkeit bedenken. Auch wäre solch ein Angriff einfach zu plump und sinnlos für den gerissenen Meister der Kalyhten. Ephra war sich sicher, dass dies niemals geplant war. „Lord Taris sagte zwar, man würde noch am Ende der Woche nach dem Bankett rechnen, aber das scheint er versäumt zu haben. Ich denke, es ist an der Zeit, dass die Styx Society ihn kontaktieren sollte.“ Eine Option, die durch aus nötig war. Zum einen, um Taris wegen diesem Vorfall zur Rede zu stellen und zum anderen, um über Lucions Entwicklungsverlauf zu reden. Gefallen tat Ephra dieser Plan nicht wirklich. Er hätte es vorgezogen das Treffen mit Taris so weit wie möglich hinaus zu zögernd, denn trauen tat er ihm nach wie vor nicht. Obwohl... Er konnte dies, wohlmöglich noch hinauszögern. Am wichtigsten war es jetzt aber den Vorfall so schnell wie möglich zu klären, denn er hatte gespürt wie die Wut in Lucion kochte. Sein Bruder würde ohne Zweifel nach einem Verantwortlichen verlangen und wenn Ephra diesen nicht zeitig genug präsentierte, musste ein anderer seinen Kopf herhalten. Der Lamia verzog in Gedanken seine Lippen zu einem gequälten Lächeln, denn er ahnte nur zu gut wem diese Ehre zu teil werden würde... ♠~♣~♠~♣~♠~♣~♠~♣~♠~♣ Mit kräftigen Flügelschlägen glitt der weiße Rabe über den nächtlichen Himmel von New Halen. Trotz seiner ungewöhnlichen Größe blieb er von den Menschen unbemerkt und jene, die es taten, beachteten ihn nicht weiter. Schließlich war es für sie nur ein Vogel. Das Herz in der Brust des Raben schlug schnell und es würde sich gewiss nicht in nächster Zeit beruhigen. Denn er war sich seiner Tat bewusst geworden und was er folglich damit herauf beschworen hatte. Meister Taris tadelte ihn oft für sein überschäumendes Temperament und prophezeite, das es ihn eines Tages zum Verhängnis werden würde. Anscheinend war dieser Tag gekommen. Er hatte seinen Auftrag, die Styx Society zu überwachen vermasselt. Meister Taris würde alles andere als erfreut sein und der Rabe hoffte, dass dieser in einer guten Stimmung war. Obwohl... Meister Taris konnte ebenso in bester Laune äußerst gefährlich werden. Er mochte gar nicht daran denken. Für einen Moment schloss er die Augen und besann sich. Die Furcht durfte seinen Geist nicht vernebeln und er konzentrierte sich auf ein Gefühl, das noch neben der Angst existierte. Eine tiefe Genugtuung. Es hatte gut getan, diesem dreckigen Bengel das vorlaute Maul zu stopfen, auch wenn er in seinem Eifer fast, zu weit gegangen war. Aber das geschah dem Gör Recht. Plötzlich krächzte der Rabe leise auf und richtete sein Blick verwirrt in die Tiefe. Da war eine Energie, die ihm äußerst vertraut war, allerdings sollte sie nicht in diesem Bezirk sein. Suchend ließ er seinen Blick über die hell erleuchteten Gebäude und Straßen schweifen. Die Präsenz wurde immer stärker und bald drehte er abrupt ab. Die vertraute Kraft pulsierte aufgeregt und wirkte gehetzt. Über einer engen unbeleuchteten Gasse zwischen zwei Hochhäusern ließ er sich flatternd niedersinken und machte sogleich zwei Gestalten aus. Erstere war eine schlanke hochgewachsene Frau, welche sich keuchend hinter einem großen Müllcontainer niedergelassen hatte. Ihr Blick war aufgerissen und sie lugte immer wieder nervös um den großen Eisenbehälter, dabei sprangen ihre kurzen platinblonden Locken immer wieder in ihr Gesicht. Neben ihr, bewusstlos an die Wand gelehnt, befand sich die zweite Gestalt. Ein Mann, von dem man allerdings nicht wirklich viel erkennen konnte. Über seinen Kopf war eine schwarze Damenlederjacke gewickelt und mit den Ärmeln fest verknotet. Soweit der Rabe es erkennen konnte, waren die Hände des Mannes auf den Rücken gebunden. Mental grinste die geflügelte Kreatur in sich hinein. Anscheinend war er nicht der Einzige, der heute Nacht einen Fehler begangen hatte. Oh ja, Meister Taris würde wirklich bester Laune sein, dachte er sarkastisch. Als der Rabe beabsichtigt laut auf dem Müllcontainer landete, wich die Frau heftig zurück und gab einen spitzen Schrei von sich, der sich jedoch sogleich in ein wütendes Fauchen verwandelte. „Himmel auch, Oisin! Irgendwann dreh ich dir den Hals um! Mistkerl!“, fuhr sie den weißen Vogel an, der in krächzendes Gelächter ausbrach. Kurz nach den harschen Worten legte sich die Frau abrupt die Hand auf den Mund und schaute sich nochmals unsicher um, doch dann seufzte sie resigniert. Langsam erhob sie sich und strich mit dem Fingern durch die kurzen krausen Locken, um wenig später Oisin aus königsblauen Augen anzufunkeln. „Was hast du hier verloren? Du solltest dich doch bei der Styx Society befinden oder hat Vater dich schon zurückgerufen?“ „Wieder bist du so kalt zu mir, Schwesterherz. Freust du dich denn nicht mich zu sehen?“, witzelte der Rabe spöttisch, doch sogleich legte er seinen Kopf betrübt zur Seite und der Spott verschwand. „Ich... Wie soll ich sagen... Ich wurde entdeckt, weil ich mich mal wieder nicht unter Kontrolle hatte...“, begann er langsam, sein Blick lag entschuldigend auf der Frau, die er Schwester nannte. Sie schaute ihn noch immer kühl an, doch dann schritt sie mit verschränkten Armen auf ihn zu und ihr Blick wurde weicher. Behutsam strich sie Oisin über den Kopf, welcher sich seufzend der Berührung entgegen lehnte. „Ferralis...“, murmelte er leise und sie lächelte sanft. „Das Geschehene war nicht vorhersehbar, Oisin. Also mach dir keinen Kopf deswegen.“ Sie wandte sich mit verschmitztem Lächeln ihrem Blick zum bewusstlosen Mann. „Auch ich habe dieses Mal versagt, aber ich denke ich habe mit meiner Tat nur etwas beschleunigt, was ohnehin bald eingetreten wäre.“ Verwirrt blinzelte der weiße Rabe, denn die Worte seiner Schwester konnten auch gut auf ihn zutreffen. „Was hast du ausgefressen, Lizzy?“, fragte er lauernd und Ferralis lächelte verlegen, als sie den Klang ihres Kosenamen hörte. „Du erinnerst dich, oder? Vater bat mich in seinem Namen, die Beratung des Rings der Zeitalter zu übernehmen. Meine Bemühungen, die Styx Society vor dem Ring zu schützen war auch für geraume Zeit ein Erfolg...“ „Schützen?“, unterbrach er die junge Kalyhtea, worauf sie leicht mit der Hand wedelte. „Du weißt schon, wegen dem Zusammenschluss. Der Ring der Zeitalter glaubt noch immer, dass wir mit ihnen gegen die Society agieren, dabei ist es Vaters einziger Wille, das der Ring uns nicht dazwischen funkt. Nun... Der Vorsitzende des Rings war plötzlich auf den Trichter gekommen, die Society mit Hilfe von Gerüchten in die Knie zu zwingen. Du weißt, was das hieße! Einen Propagandakrieg können wir uns nicht erlauben und es hätte unsere Pläne noch weiter aufgeschoben. Jedenfalls habe ich versucht das Oberhaupt davon abzubringen, allerdings war der alte Sack ziemlich uneinsichtig. Nun ja, da habe ich mich im Eifer des Gefechts etwas verplappert und naja.... Oisin, ich hatte einfach keine andere Wahl...“, stammelte Ferralis peinlich berührt und deutete mit den Fingern auf den gefesselten Mann. Oisin entwich ein heiseres Krächzen und sein Federkragen bauschte sich auf. „L-Lizzy-nein-bitte.... Lizzy, du willst mir doch nicht allen Ernstes erzählen, dass das da Lord Argrain ist!?“ Das Lächeln von Ferralis nahm gequälte Formen an und sie gab ein übertriebenes Brummen von sich. Fahrig rieb sie sich die Schläfen. „Doch. Er und kein anderer. Ich weiß, ich weiß. Aber der Kerl hat sich plötzlich alles selbst zusammenreimen können und was hätte ich tun sollen? Selbst jemand wie ich gerät ab und an in Panik und-“ „Bei den sieben Toren der Hölle, Ferralis! Panik?! Panik ist hier mehr als nur angebracht!! Wenn nicht schon Todesängste! Wegen mir haben wir wahrscheinlich bald auch noch die Styx Society am Hals und- ARG! Wir sind so was von tot, Lizzy! Meister Taris wird uns dritteln! Nein vierteln! Ach was, er flambiert uns lebendig am Stück! Ich will nicht sterben, Lizzy, ich-“ Mit rollenden Augen umschloss Ferralis den Schnabel ihres Bruders und drückte ihn mit einem leisen Klappen zu. Ein dumpfes Ächzen war alles, was er noch hervorbringen konnte, dann war er still. Ferralis schaute stirnrunzelnd und schmunzelnd tief in die Augen des Raben. Einige Augenblicke vergingen. „Besser?“, fragte sie dann mit erhobener Augenbraue und Oisin nickte schwach. Als Ferralis den Schnabel losließ klapperte er leicht damit und atmete dann tief durch. „Danke Lizzy...“ „Schon in Ordnung, ich kenne ja dich und deine lustigen fünf Minuten. Also kommen wir zurück zum Thema. Ich will gar nicht wissen, was du bei der Styx Society angestellt hast, aber wir sollten jetzt alles andere als in Panik geraten.“ „Und was sollen wir jetzt deiner Meinung nach tun?“, fragte Oisin und bedachte seine Schwester mit einem nachdenklichen Blick. Ferralis legte sich grübelnd den Finger auf das Kinn, dabei blickte sie zu Boden und lehnte sich locker gegen die Backsteinwand. „Es ist klar das wir zurück ins Hotel müssen, um Vater von dem ganzen Chaos zu berichten... Ich denke, dass ich meine Verfolger schon im Asiaten Viertel abgehängt habe und-“ „Verfolger!?“, krächzte Oisin mit erneut aufkommender Aufregung, doch Ferralis bedachte ihn nur mit einem entspannten Lächeln. „Ich kann dir den Schnabel auch ganz zusammenbinden, Bruderherz. Es ist leider so, dass ich nicht ganz unbemerkt davon gekommen bin. Aber darum sollten wir uns lieber später Gedanken machen.“ Oisin gab ein genervtes Krächzen von sich. „Ist ja schon gut. Rede weiter.“ „Also... Die Frage ist, wie kommen wir dort hin? Für dich wäre es kein Problem in deiner momentanen Gestalt...“ Abrupt hob Oisin den Kopf und fixierte seine Schwester mit seinem Blick. „Nimm ihm die Jacke vom Kopf und hänge sie dir über den Arm!“ Verwirrt starrte Ferralis zum Raben, der jedoch sprang vom Müllcontainer und kaum das seine Krallen den schmutzigen Boden berührten, verformte sich dessen Gestalt. Nach wenigen Sekunden stand vor der Frau ein junger hochgewachsener Mann, dessen helles blondes Haar zu einem extremen Seitenscheitel frisiert war, welcher fast die komplette rechte Gesichtshälfte verbarg. Statt des Federkleides zierten ihn nun eine lockere Jeans und ein lässig zugeknöpftes, dunkelrotes Designerhemd. „Für die Menschen sehen wir nicht anders aus, als eine Gruppe junger Erwachsener, Lizzy. Und was tun solche Leute samstagnachts? Sie gehen einen trinken und dabei ist mindestens immer einer, der völlig dicht ist, verstehst du?“ Erst jetzt zeichnete sich die Erkenntnis in ihrem Gesicht ab und lächelnd tat sie das, was ihr Bruder ihr geraten hatte. „Du bist genial, Oisin. Argrain wird so schnell auch nicht wieder aufwachen, denke ich und zum Hotel ist es auch nicht mehr weit.“ Schnell legte sie sich ihre Lederjacke über den Arm, klopfte sich sorgfältig den Staub von ihrem lila Tank Top und der dunklen eng anliegenden Jeans, dann packte sie den schlaffen Körper des Oberhaupts. Eifrig half Oisin ihr, und als die Geschwister fertig waren, stützten sie den bewusstlosen Lamia. Ferralis' bedeckter Arm lag nun über den gefesselten Händen, so dass man die Schnüre nicht mehr erblicken konnte. „Ok, Lizzy. Dann los. Lass uns aber unterwegs überlegen, was wir Meister Taris sagen... Urg.. Wenn ich nur daran denke, wird mir ganz anders.“, jammerte der junge Kalyht. Ferralis verlagert noch ein wenig das Gewicht ihres Opfers und lächelte dann ihrem Bruder aufmunternd zu. „Mach dir keine Sorgen. Erinnere dich daran, als ich eines unserer höchsten Gesetze gebrochen habe. Vater hat mich nur mit siebenjährigem Bluthunger gestraft.“ Oh ja, Oisin erinnerte sich noch gut daran und ein mattes Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. Als er seine Schwester nach den sieben Jahren wiedergesehen hatte, war sie nur noch ein abgemagerter Schatten ihrer selbst und es dauerte äußerst lange, bis sie wieder im Vollbesitz ihrer geistigen und körperlichen Kräfte war. ~tbc~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)