Des Engels Tagebuch von MoonshineTora (Rrazpharroth) ================================================================================ Kapitel 11: Es geht um Leben und Tod ------------------------------------ Noch bevor ich Mykes Haus betreten konnte, hat mich der Professor abgefangen. Mit ins Labor geschleppt. Auf den Stuhl des Vergessens gezwungen. Und zu guter letzt einige Untersuchungen durchgeführt. Ich wollte eigentlich schlafen. Aber die Wissenschaftler haben mich die ganze Nacht gedrillt. Die Nacht war zu kurz. Obwohl sie mir so lang vorkam. Müde steige ich aus dem schwarzen Auto. Schleppe mich mit schweren Beinen ins Schulgebäude. Ich hasse den Winter. Ich betrete das Klassenzimmer. Gabriels Lächeln wird schnell von Sorgen verdrängt. Ich suche Samsa. Er sitzt noch nicht auf seinem Platz. Moktas Tisch ist ebenso leer. Seine Freunde sitzen zusammen und erzählen. Ich habe ein ungutes Gefühl. Weiß nur nicht ob ich es Mokta oder Samsa zuordnen soll. Gabriel schaut mich besorgt an. Während ich mich in meinen Stuhl sinken lasse: „Geht es dir gut, Zero? Du siehst müde aus.“ „Die Nacht war lang. Mir geht’s gut. Danke der Nachfrage.“ Der Unterricht beginnt. Weder Mokta noch Samsa betreten den Saal. Unser Klassenlehrer ist auch ungewöhnlich spät. Einigen fällt es auf. Das Unwohle Gefühl in mir wird stärker. Ich habe auch keinen Lehrer auf dem Gang vorbeilaufen sehen. Die Schüler sitzen schon auf ihren Plätzen. Sie bemerken auch, dass etwas anders ist. Wir hören Schritte. Alles wird leise. Menschen scheinen zu fühlen, wenn etwas passiert ist. Eine Art Instinkt. Der Klassenlehrer tritt ein. Sein Gesicht – kreidebleich. Manche flüstern besorgt. Der Lehrer wirkt apathisch. Blickt auf Moktas Platz. Zu Moktas Freunden. Dann in die Klasse. Wir stehen auf zum Begrüßungsappell. Aber der bleibt aus. Er bittet uns zu setzen. Wieder schweigt er. Ich kann von meinem Platz aus nicht gut in seine Seele blicken. Aber er muss mit den Tränen kämpfen. Ich bin ja in der Hoffnung, dass nicht Samsa das Problem ist. Der Lehrer fasst sich: „Ich muss euch mitteilen… das Mokta gestern gestorben ist.“ Ein starker Blitz durchfährt meinen Körper. Und scheinbar auch der, der anderen. Nach der zerreisenden Stille folgt ein schmerzhaftes Stöhnen. Keiner will es glauben. Alle blicken sie zum Leeren Tisch in der Mitte des Saals. Ich erinnere mich an gestern. Den Konflikt am Morgen. Sehe den Schmerz in seinen Augen plötzlich ganz anders. Diese Angst, die ihn dazu treibt anderen Schmerz zu zufügen. Ich habe ihm im Sportunterricht Schmerzen zugefügt. Habe ich ihm das angetan? „Er hat Selbstmord begangen.“ Selbstmord… was habe ich getan? Ich hätte gut auf ihn einreden sollen… genauso wie ich Samsa geholfen habe. Was habe ich nur getan? Ich fühle Schuld. Es Schmerzt so unerträglich. Ich wollte ihn doch nicht in den hoffnungslosen Tod stürzen… Tränen rinnen mir über die Wangen. Meine Sicht verschwimmt. Ich Ekel mich vor mir selbst. Bestürzt stehe ich auf und verlasse den Klassensaal. Ich ertrage diese Schuld nicht. Ich renne auf den verschneiten Schulhof. Der Schnee ist zu hoch. Ich stolpere und falle auf die Knie. Ich breche in Tränen aus. Immer wenn ich die Augen schließe sehe ich Moktas leidenden Blick vor meinen Augen. Ich stoße Töne aus. Total unkontrolliert. Ich lege meine Arme eng um meinen Oberkörper. Plötzlich fühle ich, wie mich jemand von hinten umarmt. Ihre sanfte Stimme, die mir ins Ohr flüstert: „Beruhige dich. Bitte weine nicht.“ Gabriel wiegt mich sanft hin und her. Auch sie hat die Mitteilung tief getroffen. „Es tut mir so Leid…“ Ich gluckse und schluchze unaufhörlich. „Ich wollte ihn doch nicht dazu bringen. Er sollte doch nur mit dem Ärgern aufhören…“ „Du bist nicht daran schuld. Er hat das selbst entschieden, Zero.“ Sie streichelt mir durchs Haar. Hält mich weiterhin fest in ihren Armen. Es beruhigt mich. Die Schuldgefühle sind noch immer da. Aber ich weine nicht mehr. „Komm, wir gehen rein. Sonst frieren wir noch am Boden fest.“ Sie steht auf. Zusammen gehen wir zurück in die Klasse. Warum bringen sich Menschen selbst um? Was hat das für einen Sinn? Flucht? Verzweiflung? Meinen sie, es sei eine Lösung für die Probleme? Feigheit. Und überhaupt keinen Drang seine Spezies zu erhalten. Wobei die Menschen sich vermehren wie Viren. Der Rest der Stunde verläuft nur sehr schleppend. Keiner kann sich so wirklich konzentrieren. Gabriel wirkt erschöpft. Ich lege meinen Kopf auf den Tisch. Er ist schwer. Ich schrecke auf, als es zum Stundenwechsel läutet. Jetzt bin ich doch tatsächlich eingeschlafen. keiner hat mich geweckt… Samsa steht plötzlich in der Tür. Er winkt mich zu ihm. Ich gehe zu sich. Wenigstens lebt er noch: „Samsa, wo warst du?“ „Ich habe so Angst… ich habe die ganze Zeit in der nähe der Schule verharrt… Was wenn mir nicht geholfen wird?“ Ich sehe die Panik in seinen Augen. Besser, ich sage ihm für das Erste nicht, dass Mokta tot ist. Tröstend nehme ich ihn in den Arm. „Bleibe ruhig. Ich werde dafür sorgen, dass dir geholfen wird. Hat dein Vater dich gestern geschlagen?“ Den letzten Satz flüstere ich. Es muss ja nicht jeder erfahren, was bei ihm Zuhause vor sich geht. „Na ja… ja.“ Gabriel steht hinter mir: „Was macht ihr hier draußen?“ Ich drehe mich zu ihr um. Sie wirkt skeptisch. „Samsa geht es nicht gut. Ich werde mit ihm zum Schularzt gehen.“ „Er war die erste Stunde schon nicht hier. Warum bist du dann doch gekommen, Samsa?“ Samsa zögert. Zu Recht. Gabriel klingt, als würde sie ihm einen Vorwurf machen. „Gabriel, das tut wohl nichts zur Sache. Entschuldige uns bitte.“ Ich drücke Samsa vorsichtig vor mir her. Vor der Tür des Schulpsychologen bleiben wir stehen. „Wie fühlst du dich, Samsa?“ Sein Blick ist fest an den Boden gefesselt. „Angst…“ Panik würde es wohl eher treffen. Ich fühle mit ihm. Zur Unterstützung lege ich meine Hand auf seine Schulter: „Bereit?“ Er schüttelt den Kopf. Aber irgendwann muss ein Anfang gemacht werden. Also klopfe ich an die Tür. ‚Herein’ sind die Worte. Ich öffne die Tür. Ich muss Samsa in den Raum schieben. Hinter uns schließe ich die Tür. Ich blicke den Mann an. Er schaut erst mich sehr verwundert an. Dann Samsa. „Entschuldigt uns die Störung, Herr Denville. Aber es gibt ein Problem, worüber wir mit ihnen sprechen möchten.“ „Setzt euch doch bitte.“ Ich nicke ihm zu. Er scheint das ‚Problem’ schon zu ahnen. Samsa bleibt wie angewurzelt stehen. Klammert sich verzweifelt an der Tasche fest. „So setze dich doch, Samsa. Was auch passiert; ich bin bei dir und unterstütze dich.“ Ich flüstere ihm zu. Darauf setzt er sich. Ganz gezielt schaut er Samsa an. „Wie ist dein Name?“ „Samsa…. Windling…“ Er tut sich schwer zu sprechen. Der Mann notiert sich den Namen. Schaut dann mich an. Ich hebe ablehnend die Hand: „Um mich geht es hier nicht. Ich bin nur zur Unterstützung hier.“ „Okay.“ Sagt er mir ins Gesicht. Wendet sich Samsa zu. „Was liegt dir auf dem Herzen, Samsa.“ Der Mann fasziniert mich auf eine gewisse Art und Weise. Es kommt mir vor, als könne Samsa nicht richtig Luft holen. Ich hoffe es ist nichts Ernstes. Ich nehme Samsas Hand und streichle sie sorgsam. „Ich bin bei dir, Samsa.“ Der Mann schaut mich kurz an, als würde er es nicht verstehen. Dann traut sich der Junge endlich: „Also… ich… … Wissen sie…“ Er drückt fest meine Hand. Sie ist kalt und zittert. „Zu… Zuhause… mein Vater… er… sch... schlägt mich… ab und zu…“ Ich schaue den Mann an. Dieser hebt den Kopf. Er versucht sich nichts anmerken zu lassen. Aber seine Gefühle überschlagen sich. „Wie oft? Täglich? Oder nur in bestimmten Zuständen oder Situationen.“ Selbstbeherrschung und innerer Abstand ist erforderlich. Es ist anstrengend für ihn. Denville schaut mich an. Bemerkt meinen tiefen Blick. Als ob er entlarvt wurde. „Nicht täglich… aber fast. Er ist oft schlecht gelaunt. Geht nach der Arbeit immer erst in ein Lokal. Und danach lässt er seinen Frust meistens erst an der Mutter und dann an mir aus…“ bei Samsa scheint das Eis fast gebrochen zu sein. Wieder blicke ich ihm in die Seele. Reines Chaos. Und nebenbei scheint mein Verhalten ihn zu beunruhigen. „Schlägt er gezielt auf Stellen an denen man es nicht sieht?“ „Ich… weiß nicht… Meistens… mit der Faust auf die Brust und Bauch…“ Er wird leiser. Imitiert mit seiner freien Hand die Schläge. „Wenn ich am Boden liege tritt er mich… manchmal würgt er mich auch… schlägt mit harten Sachen…“ Denville notiert sich einiges. Beobachtet gleichzeitig Samsas verhalten. „Und deine Mutter? Wie schlägt er sie?“ bei dieser Frage schaut er unauffällig zu mir. Aber mein unveränderter Blick und unveränderte Position bringt ihn dazu schnell wieder zu Samsa zu blicken. Samsa schweigt. Sein Griff wird noch kräftiger. Es schmerzt schon fast. Denville verändert seine Position. Lehnt sich auf die Tischkante: „Vergeht er sich an ihr?“ Das war sehr direkt von ihm. Und wenn es stimmen sollte, müsste Samsa tief getroffen sein. Er senkt den Kopf. Bricht in tränen aus. Dem Mann werfe ich einen giftigen Blick zu. Ich lege meinen Arm um Samsa und drücke ihn an mich. „Verstehe.“ Sagt der Mann getroffen. Ich übernehme das Sprechen für Samsa: „Er wird auch in der Schule geärgert. Mokta und seine Freunde haben ihm immer wieder böses getan. Seine Zensuren leiden unter dem Stress in der Schule und Daheim.“ Er schaut mich mahnend an: „Sollte nicht lieber Samsa sagen, was ihn bedrückt?“ Ich neige bittend den Kopf: „Er ist aber momentan nicht mehr in der Lage zu sprechen, Herr Denville. Und das musste auch gesagt werden.“ Der Mann seufzt leise und tief. „Samsa. Hat du schon einmal Selbstmordgedanken gehabt?“ Selbstmord sagt er. Unwillkürlich muss ich an Mokta denken. Er nickt. Das trifft mich. Jetzt muss ich mit meinen Gefühlen kämpfen wie noch nie zuvor. „Und schon einmal probiert? Fügst du dir selbst körperliche schmerzen zu?“ Erneut bricht er in Tränen aus. Drückt sich fest an mich und nickt. „Beides?“ Wieder nickt er. Ich halte ihn fest. Vielleicht auch um meine Unruhe in den Griff zu bekommen. Dass es wirklich so schlimm um Samsa steht, wusste ich nicht. „Wo?“ Er deutet auf die Innenseite seiner Oberarme und Oberschenkel. „Nun gut…“ Er nimmt einen Gegenstand in die Hand. Er tippt auf Tasten und hält es sich ans Ohr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)