Die letzte Herbstsonne von _miku-kun_ ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Die letzte Herbstsonne Die warme Herbstsonne schien auf den kleinen Buchenhain herab, und ließ die Blätter in all ihrer Farbenvielfalt bunt schillern. Kein Laut war zu hören; nur das Rascheln der Bäume durch den frischen Wind und die gemächlichen Schritte einer Frau mittleren Alters auf dem Laub, der ein leises Knistern von sich gibt, wenn man darüber läuft, waren zu vernehmen. Sie war ziemlich schlank und hatte langes schwarzes Haar, das sie hinten zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. An sich sah sie recht gepflegt und ordentlich aus, doch ihre dunklen Augen und ihr zierliches Gesicht verrieten Erschöpfung und einen Hauch von Ernsthaftigkeit. Sie schritt weiter aus und ging zielstrebig zwischen zwei hohen Buchen hindurch auf einen Mann zu, der sich mit verschränkten Armen an einen dicken Stamm gelehnt hatte und ihr nun ungeduldig entgegensah. Mit einem knappen Nicken begrüßten sie sich und die Frau blieb etwa zwei Meter vor ihm stehen. Sie sahen sich einander nicht an, sondern blickten gedankenverloren in zwei völlig verschiedene Richtungen. Ein Windstoss ließ einige bunte Blätter sanft auf sie herabregnen. „Lass uns reden.“ Der Mann schenkte ihr als Antwort ein müdes Lächeln und stellte sich aufrecht vor sie hin. „Wie du willst.“ Sie sahen sich an und beide erinnerten sich noch zu genau daran, dass sie sich einmal mit einem anderem, viel sanfteren und liebevollerem Blick, angesehen hatten. Es war lange her, doch gewiss eine schöne Erinnerung aus einer noch schöneren, gemeinsamen Zeit. „Wie konnte das alles nur passieren, Karl?“ Karl senkte etwas seinen Kopf und blickte niedergeschlagen auf den Boden. „Ich weiß es nicht“, sagte er leise. „Ich weiß nur, dass es Zufall war. Es war nicht geplant, dass das alles so endet.“ „Und dennoch ist es passiert.“ Der Mann nickte leicht und beide schwelgten einen Moment lang in ihren gemeinsamen Erinnerungen. „Wir hätten uns nie verlieben dürfen, Kara“, sagte Karl nach einer Weile, als er das Schweigen nicht länger ertragen konnte. Über ihren Köpfen war ein leises Zwitschern zu hören. Kara seufzte leicht. „Wir konnten es damals nicht wissen, uns trifft keine Schuld.“ „Und dennoch hätten wir das verstärkte Band zwischen uns anders deuten müssen.“ „Es ist zu spät, die Vergangenheit kann man nicht mehr ändern.“ Karl kam einige Schritte auf Kara zu und griff nach ihrer zarten Hand. Kara drückte die Seine, die mit Schwelen überzogen war und sich ziemlich rau fühlte. Und dennoch war es genau die Hand, die sie als Einzige berühren wollte. Nebeneinander hergehend warteten sie, dass der andere etwas sagte. Keiner von ihnen wollte trügerisch friedliche Stimmung brechen. Sie wussten beide, dass es das letzte Mal sein würde. Die Kette mit dem silbernen Anhänger um Karas Hals klimperte leise, als sie einen kleinen Hügel hinaufstiegen. Im Gehen griffen die Finger ihrer noch freien Hand um den kleinen Schlüssel. Sie hatte die Kette von Karl geschenkt bekommen, gleich nachdem sie sich gegenseitig ihre Liebe gestanden hatten. Es war der Schlüssel zu ihrem Herzen. Oben angekommen blieben sie stehen. Der Wind strich ihnen sanft durchs Haar und ließ sie ein wenig erschaudern. Einzig ihre ineinander verschlungenen Hände blieben von der plötzlich aufkommenden Kälte verschont. „Es wäre so schön gewesen“, sprach Karl und blickte geradeaus auf die friedliche Landschaft unter ihnen, „wenn wir es nie erfahren hätten.“ „Es wäre eine wunderschöne Hochzeit geworden.“ „Ja, ein wunderschöner Neuanfang.“ Kara nickte leicht und dachte an ihren Wunsch, den sie zur damaligen Zeit noch gehabt hatte. Mittlerweile hatte sie ihn längst verworfen – wenn nicht mit Karl, dann mit niemandem. Ihr Blick wurde trüb und ihre Augen füllten sich allmählich mit Tränen, als sie daran dachte, dass niemals kleine, glücklich und fröhlich lachende Kinder in ihrem friedlich und buntem Garten miteinander spielen könnten. Sie und Karl würden niemals gemeinsam auf der hell gefliesten Terrasse sitzen und dieses malerische Bild begutachten können. „Es ist besser so, wenn wir es beenden.“ Kara nickte und blinzelte ein paar Mal, um die Tränen zu vertreiben; sie spürte, wie ein leichter Schwindel sie überkam. „Ich möchte meinem Leben ein schönes Ende setzen.“ Karl verstärkte den Griff um ihre Hand noch ein wenig und lauschte ihr. „Auch wenn wir geheiratet und eine eigene Familie gegründet hätten, es wäre nicht auf Dauer gewesen.“ „Wir hätten es gemeinsam durchgestanden.“ „Aber, Karl. Was würdest du machen, wenn ich gestorben bin?“ Der junge Mann zog sie ein wenig zu sich heran und legte einen Arm um ihre Taille. „Dann hätte ich tagein und tagaus an deinem Grab gesessen und darauf gewartet, dass wir endlich wieder beisammen sind. Auch, wenn Gott gegen uns ist.“ Kara nickte zustimmend und schloss die Augen. Ihre Finger wanderten wie von allein in ihren Nacken, wo sie den Verschluss ihrer Kette nach sechs Jahren zum Ersten Mal entriegelte. Mit einem tiefen Seufzen spürte sie die Kühle, die von dem silbrigen Schmuckstück ausging und erinnerte sich noch einmal an den Tag, an dem sie ihr geschenkt worden war. Und die nie wieder ihr Herz öffnen würde. Dann, immer noch mit geschlossenen Augen, legte sie ihrem Gegenüber mit zittrigen Händen die Kette an. „Ich liebe dich, Bruder“, flüsterte sie leise, bevor ihr entgültig schwarz vor Augen wurde. „Ich liebe dich, Schwester“, war das Letzte, was sie in diesem Leben zu hören bekommen würde und ihr letzter Gedanke galt dem großen Schatten ihrer Krankheit, der sich seit Anbeginn ihrer Beziehung wie ein Schatten über sie gelegt hatte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)