Schall und Rauch von Ryu-Stoepsel (Which path will you choose?) ================================================================================ Kapitel 33: ------------ Für ein paar Sekunden hielten beide Frauen den tiefen Blick in die Augen der jeweils anderen, doch dann wurden sie brutal unterbrochen. Ohne jegliche Vorwarnung fing es an, wie aus Kübeln zu gießen. Glinda sah, wie sich Elphies Augen vor Schmerz weiteten und sie nur ein lautes Stöhnen hervorbrachte. Rasch packte Glinda Elphabas unverletztes Handgelenk und zog sie unter einen der großen Bäume, welche am Wegesrand standen. „Mein Rücken…“, wimmerte Elphaba und Glinda sah, wie die Wassertropfen auf dem grünen Rücken herab liefen. Schnell, aber sanft wischte sie diese mit bloßer Hand ab. Der Regen war jedoch so stark, dass es keine Minute dauerte, als die ersten Regentropfen sich ihre Bahn durch die dichten Blätter des Baumes gesucht hatten und in immer größer werdenden Mengen auf die beiden Frauen hinab fielen. „Elphie…“, sagte Glinda panisch, „Hier können wir unmöglich bleiben. In ein paar Minuten sind wir völlig durchnässt!“ Ihre Angst steigerte sich ins unermessliche, als ihr der Gedanke kam, dass die Hexe sich gerade in Lebensgefahr befand. Diese jedoch zuckte nur mit den Schultern und starrte auf den Boden. „Es gibt einen Preis für alles…“, murmelte sie Gedankenverloren, was Glindas Wut erneut und doppelt so stark entfachte. Erzürnt packten die sonst so sanften Hände die grünen Schultern etwas grob. Elphaba zuckte vor Schmerz und sah Glinda entsetzt an. Diese versuchte, so gut es ging, Elphabas Schmerzen zu ignorieren und sah ihr tief in die Augen. Erst dann sagte sie in ruhigem, aber bestimmtem Tonfall: „Elphaba Elea Thropp, jetzt hör mir mal gut zu!“ Diesmal zuckte Elphaba erneut zusammen, jedoch nicht vor Schmerz, sondern weil Glinda sie mit ihrem zweiten Vornamen angesprochen hatte. Das hatte sie noch nie gewagt, weil sie genau wusste, wie sehr Elphaba ihn verabscheute und deswegen auch versuchte, ihn geheim zu halten. „Es ist mir verflucht noch mal egal, ob du dich gerade aufgegeben hast oder nicht. Aber ich habe es nicht. ICH habe das nie getan, auch nicht vor acht Jahren und auch nicht vor einem Jahr. Ich brauche dich und zwar lebend! Du hast dein Leben für mich riskiert und tust es gerade wieder. Aber das ändert nichts an der ganzen Enttäuschung. Wenn du willst, dass ich dir verzeihen kann, dann flieg uns jetzt verdammt noch mal zu dem Berg dort hinten!“ Die ganze Zeit über hatte Glinda klar und deutlich gesprochen, der Tränen zum Trotz, welche ihr über die rosigen Wangen liefen. „Die Höhle!“, entwich es Elphaba, die Glinda fassungslos anstarrte. „Keine Diskussion!“, bestimmte diese, Elphaba nickte und hielt ihren Besen zwischen sich und Glinda. Die grüne Hexe hatte verstanden, dass sich ihr Gegenüber auch an das Gemälde in Accursias Wartezimmer und an die Mythen über die heilige Aelphaba erinnert hatte, in denen es hieß, die heilige Frau wäre aus einer Höhle hinter dem Wasserfall gestiegen. Glinda griff nach dem dargebotenen Besenstiel und stieg mit einem Bein auf die andere Seite, sodass sie ganz vorne saß und nur noch Platz für ihre Hände hatte. Elphaba war unsicher, spürte jedoch, dass Glinda sich bei alledem etwas gedacht haben musste. Schließlich war Kiamo Ko viel weiter weg, als der Berg. Als Glinda das Zögern der Hexe bemerkte, sprach sie sehr schnell: „Würden wir nach Kiamo Ko zurückkehren, würden wir MIT dem Wind fliegen. Was bedeutet, dass du, egal ob vorne oder hinten sitzend, nass bis auf die Knochen werden würdest. Fliegen wir aber zur Quelle, dann fliegen wir gegen den Wind und das heißt, dass der, der vorne sitzt, in dem Falle ich, den meisten Regen ab bekomme. Und jetzt los!“ Ohne weitere Zweifel stieg Elphaba hinter Glinda auf den Besen und setzte zum Zauberspruch. ‚Ich habe doch keine Wahl…’, dachte die Hexe resigniert. „Warte!“, wurde sie von der hellen Stimme unterbrochen. Verwirrt hielt sie inne, als sie sah, wie Glinda sich das Sommerkleid über den Kopf streifte. „Glinda, was um alles…?!“ „Halt den Mund!“, unterbrach Glinda den Satz und band Elphaba das Kleid um die Schultern, sodass ihr Rücken, sowie ihre Schultern abgedeckt waren. „Wenn wir jetzt Losfliegen, musst du dich hinter mir am Besenstiel festhalten und deinen Kopf mit dem Gesicht nach unten gegen meinen Rücken lehnen. Versuche bitte, die Beine irgendwie unter deinem Kleid zu halten und mit deinem Oberkörper möglichst deine Arme abzuschirmen. Und jetzt mach schon!“, drängte die halbnackte Frau, die vorne auf dem Besen saß. Unter normalen Umständen wäre Elphaba mehr als dunkelgrün geworden, doch dazu fehlte ihr jetzt das Blut, welches vor Kälte und Schmerz sich ins Innere des dürren Körpers zurückgezogen hatte. „Und konzentriere dich!“, fügte Glinda noch hinzu, als hätte sie Elphabas Gedanken geahnt. Der Kalte Wind wehte beiden Frauen um die Nase und Glinda fror entsetzlich. Doch ihr war das im Moment egal, alles, was für sie zählte, war Elphabas Überleben. Als sie sah, wie die Frau hinter ihr die Augen schloss und dafür den Mund öffnete, drehte Glinda sich um und klammerte sich am Besenstiel fest. Ihr Herz pochte laut, teils vor Aufregung und teils vor Angst. „Montar! Acel erarse! Acel erarse! Acel erarse!“, murmelte die grüne Hexe endlich. Der Besen schoss in die Höhe und mit Blitzgeschwindigkeit in Richtung des Berges. Glinda, die nicht daran gewöhnt war, auf einem Besen zu reiten, wäre beinahe heruntergefallen. Als der Regen sie sofort durchnässte, machte sie sich mit Absicht größer, um den Großteil des Nasses mit ihrem halbnackten Körper abzufangen. Elphaba hingegen lehnte ihre Stirn, wie es ihr angeordnet worden war, gegen den nackten Rücken, welcher so weich und warm war, dass die Hexe nun doch dunkelgrün anlief. „ELPHIE?“, hörte sie ein lautes Schreien gegen den Wind. „WAS?“, brüllte die Hexe zurück. „BESCHWER DICH NIE WIEDER ÜBER MEINE ÜBERDIMENSIONALE SEIFENBLASE!!!“ Trotz der beginnenden Schmerzen schrie Elphaba lachend zurück: „DU SPINNST!“ Glinda hatte Recht behalten: Der Wind kam aus der entgegengesetzte Richtung und die meisten Regentropfen prasselten gegen ihr Gesicht, ihre Arme, Brüste und gegen ihren Bauch. Auch wenn Elphaba ihre Beine stark an ihren Körper angezogen hatte, war beiden Frauen von Anfang an klar gewesen, dass dieser Flug ein risikoreiches Spiel war, bei dem es viel zu verlieren gab. Langsam suchte sich der ein oder andere Regentropfen seinen Weg an den schmalen Hüften der blonden Zauberin vorbei und perlten an grünen Unterarmen sowie Waden ab. Erst dann fielen sie in die Tiefe. Vor lauter Elend wurde es Elphaba schwindelig und sehr langsam begann ihr Kopf von Glindas Rücken abzurutschen. „ELPHABA, bleib bei mir!“, schrie die blonde Frau, der dies trotz der heiklen Situation nicht entgangen war. Es dauerte keine halbe Minute mehr, als sie nur noch 300 Meter von dem Wasserfall entfernt waren. ‚Oz sei Dank!’, dachte Glinda erleichtert, ‚Das Gemälde hat nicht gelogen. Hoffentlich stimmt jetzt auch das Märchen!’ Mit hoher Geschwindigkeit rasten die beiden Frauen auf den Wasserfall zu und Glinda wusste, dass Elphaba das nicht überleben würde, wenn sie jetzt in Ohnmacht fiel. Mit einem Ruck rammte Glinda ihren rechten Ellbogen unter Elphabas Kinn, welche erschrocken die Augen öffnete, jedoch nicht aufsah. „Uhhhf…“, stöhnte sie. „Elphaba, tu was! JETZT!“, hörte sie Glinda schreien. Ihre Hand suchte die von Elphaba und umschloss sie fest. Bevor Elphie vor Schmerzen in Ohnmacht fiel, murmelte sie in letzter Sekunde: „Sepa Rare Te!“ „Wer bist du?“, brach Ramón nun endlich das lange Schweigen. Fiyero und er hatten so lange im Regen gestanden, dass nun beiden Männern das Wasser von Nase und Kinn tropfte. „Ich bin der einzige, der wichtige Informationen für Euch hat.“, erwiderte Fiyero, denn er hatte nicht die Absicht, irgendetwas von seiner Identität preis zugeben. „Wichtige Informationen… Soso…“, nickte Ramón. „Was ist denn bitte dein Beweggrund, der dich glaubwürdig macht?“ Er nahm an, dass eine sprechende Vogelscheuche eher ein schlechter Scherz sei, als irgendetwas anderes. Wirklich viel Zeit hatte er nicht. Er wollte auf schnellstem Wege wieder zu seiner Mutter. „Die Hexe hat mich zu dem gemacht, was Ihr vor Euch seht. Sie hat mich betrogen und verletzt. Und so hat es Glinda die Gute auch getan!“ „Und was willst du jetzt von m… Ramón?“ „Ich will von ihm die Möglichkeit erhalten, Rache zu nehmen!“ Fiyeros Stimme klang sehr entschlossen. Viel entschlossener, als er überhaupt war. Fiyero sah, wie der Blondschopf vor ihm wieder langsam nickte. Er wusste, dass Rache in einer Gemeinschaft immer das beste Mittel war, um zu bekommen, was man wollte. „Also gut!“, sagte dieser dann endlich. „Du hast Ramón gefunden. Er steht vor dir. Da ich keine Zeit habe, werde ich dir zuerst einmal Glauben schenken müssen, doch ich schwöre dir, Scheuch, solltest du mich täuschen wollen benutze ich dich als Anzünder für meinen Ofen!“ Bei dieser Drohung hatte sich der Zeigefinger des Mannes erhoben, mit welchem er nun vor der Nase der Vogelscheuche rum wedelte. „Ihr seid…?“, setzte Fiyero an, doch wurde barsch unterbrochen: „Fragen später! Jetzt folge mir! Kein Wort mehr!“ Die Vogelscheuche folgte dem nun enttarnten Ramón so schnell es ging. Während er eiligen Schrittes im Regen dahin lief, kreisten seine Gedanken um ‚seine’ Fae und um das, was er gerade tat. Er fragte sich, ob das, was er vorhatte, es das Richtige war… ‚Das Richtige… Pah!’, dachte er verächtlich, ‚Was ist schon das Richtige? Was hätte ich denn tun sollen? Dort auf Fae warten, wie sie mit Glinda in den Armen heimkehrt, in MEIN Haus? In MEIN Heim. MEINE Liebe mit …. mit …. dieser aufgesetzten, hochnäsigen, immer auf ihren Vorteil bedachten Persönlichkeit? Ich verstehe einfach nicht, was sie an ihr findet! Gli… ‚Sie’ hat ihre Schwester verraten und auch noch Fae selber! Was um alles in Oz habe ich falsch gemacht, dass Fae immer noch das Bedürfnis hatte, zu wissen, ob es Glinda gut geht? Womit habe ich so was verdient? Nacht für Nacht gepeinigt zu werden, weil meine Geliebte mich nicht ran lässt; egal auf welche Weise. Weder psychisch noch physisch! Was ist das denn für eine Beziehung? Und dann bindet sie mir bei jeder Gelegenheit auf die Nase, dass sie Glinda vermisst und achjaaa… Glinda die EINZIGE war. Die einzige Freundin, die sie je hatte. Oh Oz, kotzt mich das alles an!’ Innerlich steigerte sich etwas in Fiyero und könnte er irgendetwas empfinden, so war er überzeugt, wäre es primitive Wut gewesen. In einem kurzen Moment voller Zweifel fragte er sich: ‚Aber gleich zum Feind vorrücken und sich auf seine Seite schlagen? Meine ehemalige Liebe verraten? Ist das richtig?’ Doch dann besann er sich genauso schnell wieder: ‚Es gibt hier kein richtig oder falsch mehr. Diese Grenze hat Elphaba damals überschritten, als sie sich nur aus MITLEID und schlechtem Gewissen für mich entschieden hat!’ Plötzlich war es Fiyero sonnenklar, warum er seine Fae auf einmal so verabscheute: Durch die Offenbarung über ihre komische Art von Zuneigung zu Glinda war Fiyero klar geworden, dass er damals nur der einzige Ausweg gewesen war. Seine Fae hatte keine andere WAHL gehabt und aus ihrem schlechten Gewissen heraus, dass der einst so umwerfend schöne Mann nun aussah wie ein Vorgartenschützer, hatte sie sich mit ihm zusammengetan. Damals fühlte sie sich von Glinda betrogen – zumindest auf eine merkwürdige Art und Weise. Aber auf der anderen Seite fühlte sie sich auch wie eine Betrügerin, weil sie ihm – ihrem ‚Yero’ – so etwas angetan hatte und ihm Glück und Liebe vorgespielt hatte. Fiyero wusste, dass nicht alles Schauspiel gewesen war, aber es enttäuschte ihn genug, dass er nie das gewesen war, was Elphaba wollte. Ihr ganzes Leben lang hatte sie sich damit abgefunden, nie das zu bekommen, was sie will. Und dieses Wissen schmerzte Fiyero so sehr, dass er an nichts anderes mehr denken konnte. Denn seine Fae hatte damals, wie auch immer zuvor, nicht für das gekämpft, was sie wollte. Sie hatte, wie immer, das akzeptiert, was man ihr anbot. ‚Was erwartete ich denn auch?’, dachte Fiyero höhnisch, ‚Einmal in ihrem Leben hat sie ihre eigene Ansicht so vehement vertreten und alle anderen versucht, zu überzeugen. Doch was sie erntete, war Missmut und Feindschaft, genau wie in ihrer Kindheit. Und da wundert es mich, dass sie glaubt, sie würde nichts Besseres verdienen, als mich? Mich, den sie selber auf dem Gewissen hat? Das war wohl eine Art persönlicher Strafe!’ Diese Gedanken und Feststellungen machten Fiyero nur noch rasender und er beschloss, mit dem Denken aufzuhören und einfach die Fakten zu akzeptieren, dass Elphaba ihn nur aus schlechtem Gewissen ‚geliebt’ hatte. Fiyero fühlte sich in dieser Situation als einziges Opfer: Seine Ex-Verlobte hatte ihn zu dieser Verlobung eher überredet oder genötigt. Sie hatte ihn als gesellschaftlichen Vorzeige-Ehemann benutzt, denn wer hätte besser neben ‚Glinda der Guten’ ausgesehen, als ‚Fiyero der umwerfend Schöne’? So kann Politik auch funktionieren! Auf der anderen Seite stand seine Fae, die ihn immer so akzeptiert hatte, wie er war. Er, Fiyero, hatte sie damals vor dem Zauberer und Akaber gerettet und als ‚Dank’ dafür hatte sie zugelassen, dass sich etwas zwischen ihm und ihr veränderte. Fiyero ärgerte sich noch mehr darüber, als ihm klar wurde, dass Elphaba damals ihre Gefühle als ‚Liebe’ gedeutet hatte, wobei er nun wusste, dass es nicht so gewesen ist. Die Vogelscheuche hatte Glinda nie für wirklich hell im Kopf gehalten, doch dass sie gleich ihre ehemalige ‚beste Freundin’ derart verraten würde, hatte selbst er nicht für möglich gehalten und ihr auch keineswegs zugetraut. Und ab diesem Zeitpunkt war alles nur noch schlimmer geworden… Denn seine Fae war in die hinterhältige Falle getappt, bei welcher Nessa ums Leben kam und abermals hatte er ganz alleine seine Fae vor dem Tod gerettet. Zu wem hätte sie auch sonst gehen sollen, wenn nicht zu ihm? Denn nachdem Elphaba erfahren hatte, dass es Glinda war, die sie verraten hatte, wurde sie wieder in dieses hoffnungslose Loch geschubst, aus welchem Fiyero alleine sie hatte befreien können. Doch dann hatten sie sich gemeinsam entschlossen, dass es besser für alle Beteiligten wäre, wenn Elphaba offiziell tot wäre. Und so rettete Fiyero seiner Fae ein drittes Mal das Leben. ‚Und da wundere ich mich über den Geistesblitz, dass sie mich nie geliebt hat? Jeder Mensch braucht einen anderen. Niemand kann für immer und ewig alleine leben. Vor allem nicht dann, wenn man schon in der Welt Vertrauen, Liebe oder Freundschaft erfahren hat. Sie wusste zwar, wie gut sich eine solche Emotion anfühlt, aber genauso gut wusste sie auch, dass sie nicht mehr rückgängig machen konnte. Schlimmer noch: Sie konnte nichts mehr von der Welt erwarten. Sie fühlte sich unwürdig, noch Erwartungen zu stellen, nachdem was sie Glinda, ihrer Schwester und auch mir angetan hatte. Ja, so dankt meine Fae wohl….’ Plötzlich musste Fiyero höhnisch auflachen: ’Und ich wundere mich auch noch über ihr komisches Verhalten… Dabei war ich all die Zeit nur … nur ein Mittel zum Zweck! Ihr Gerede und ihre Handlungen waren nur Schall und Rauch... Ich war das Ergebnis ihrer Taten und mit meinem Anblick konnte sie sich jeden Tag erneut ins Gedächtnis rufen, dass sie an allem Schuld war und nichts besseres verdiente! Sie musste bei mir bleiben, damit ihr schlechtes Gewissen nicht vergaß, WAS sie angerichtet hatte und dass sie nie wieder so etwas tun wollte… Es ist die richtige Entscheidung! Ich werde ihr zeigen, woran das schlechte Gewissen die Menschen hindert! Gut, dass ich keines mehr habe!’ ‚Was für ein komischer Kauz!’, dachte Ramón, als er hörte, wie der Scheuch hinter ihm kicherte. Er hatte sich damals nicht mehr die Mühe gemacht, viel über die böse Hexe des Westens zu recherchieren. ‚Warum auch?’, fragte er sich, ‚Tote soll man bekanntlich nicht wecken. Und sie soll leben? Das würde einiges erklären… Das plötzliche Auftauchen der Person in Glindas Zimmer und das noch schnellere Verschwinden. Und alles ohne dass jemand genau gesehen hatte, wer oder was es war, was Glinda gerettet hatte. So etwas kann kein normaler Mensch geschafft haben. Wenn Mutter doch nur wieder aus dem Koma erwachen würde… Sollte diese Hexe noch leben, werde ich eigenhändig den Scheiterhaufen anzünden, auf dem sie bald lodernd brennen wird! Und für Glinda…’, dachte er verächtlich, ‚… oh ja, für Glinda werde ich mir auch noch etwas einfallen lassen… Nicht nur meine Schwester hat sie gedemütigt, nein… Auch meine Mutter und das ist noch viel schlimmer! Niemand vergeht sich ungestraft an der Ehre meiner Familie. Niemand! Auch keine Hochborn!’ Auch wenn Ramón noch immer an der Glaubwürdigkeit des komischen Kauzes zweifelte, welcher ihm nun wortlos hinterher trottete, war der gut aussehende Mann bereit, jeder noch so kleinen Spur zu folgen. ‚Ich lasse mich doch nicht an der Nase herumführen! Es lief alles perfekt, alles wie geplant und jetzt? Jetzt hat sie auch noch die kostbare Kette meiner Mutter! Dieses Miststück wird schon sehen, was es davon hat. Das wird kein Tod mit Rosenduft! Sie wird die Asche ihrer Freundin einatmen, wenn sie stirbt!’ Noch bevor Ramón es bemerkte, hatte er schon das ideale Todesszenario kreiert, bei welchem halb Oz zusehen sollte. Den Rest des langen Weges von der Stadtmauer zum Palast schwiegen beide Männer – auch gedanklich. Glinda hatte die schwachen Worte gerade noch hören können, bevor sie ihren Blick wieder nach vorne richtete und mit der rechten Hand krampfhaft versuchte, die ohnmächtig werdende Hexe zu stützen. Nachdem die letzte Silbe des Zauberspruches verklungen war, sah Glinda mit erstaunter Miene, dass sich der Wasserfall unverzüglich in der Mitte teilte und zur Seite wich. Sie waren ungefähr noch 50 Meter von dem Geplätscher entfernt und die eisblauen Augen erspähten durch den Dunst des Regens eine dunkle Höhle, welche nun zum Vorschein gekommen war! Rasend schnell flog der Besen auf die Höhle zu. Nur noch wenige Sekunden blieben und Glinda bekam es mit der Angst zu tun. Noch nie hatte sie einen Besen gelandet; sie wusste ja nicht einmal, wie sie so ein Ding fliegen sollte. Und dann landen? 'Unmöglich!', dachte Glinda und fühlte sich überfordert. Elphaba stöhnte hinter ihr auf. Der grüne Körper kämpfte mit der drohenden Ohnmacht: 'Elphaba!', ermahnte sie sich in Gedanken selber: 'Nur noch ein paar Sekunden. Bleib wach, konzentriere dich. Stell dir was vor... Der Wasserfall! DER WASSER...' Ihr Körper gab auf. Sie fühlte noch das beginnende Taubheitsgefühl in ihren Beinen. Plötzlich wurde ihr schwarz vor Augen, obwohl sie diese ohnehin geschlossen hatte. Glinda spürte, wie Elphaba zur Seite kippte und das Gleichgewicht verlor. Der Besen befand sich mit den beiden Frauen nun unmittelbar über dem See. Grell blitzte der Himmel auf, von lautem Donnergrollen gefolgt, welches den Schrei der blonden Frau verschluckte: "ELPHABAAAAA!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)