Schall und Rauch von Ryu-Stoepsel (Which path will you choose?) ================================================================================ Kapitel 23: ------------ Glinda setzte sich wieder auf ihren Platz und fühlte sofort Ramóns Hand auf ihrem Knie. „Gib mir bitte mal meinen Zettel…“, hauchte sie, noch immer war ihr nicht ganz wohl in ihrer Haut. Ramón schob ihr einen pinken Papierstreifen zu, auf welchen Glinda ein paar Worte gekritzelt hatte. Sie hörte dem Veranstalter gar nicht zu. „… Begrüßen Sie mit mir Meredith Schiforsan, unsere ‚Mutter Meredith’!“ Lauter Applaus ließ Glinda von dem Stück Papier aufblicken. Elegant nahm Meredith Stufe für Stufe. Als der Applaus abebbte, nickte sie dankend in die Menge: „Guten Abend, meine lieben Damen und Herren. Ich freue mich, dass Sie alle so zahlreich erschienen sind. Zu Anfang….“ Glinda hörte nicht mehr hin. Sie wollte sich ihre eigene rede abermals zu Gemüte führen, denn wenn sie dort oben im Rampenlicht nur einmal den faden verlieren würde, dann … ‚Ja..’, gestand sich Glinda ein, ‚Dann ist es vorbei. Dann breche ich zusammen. Ich kann das nicht… Erst dieser dumme Auftritt an der Kutsche, dann diese blöde Reporterin und ihr Name und dann noch eine Milla, die mich vollquatscht, wie sie Elphaba verabscheut hat… Ich kann nicht mehr.’ Ramón bemerkte, dass seine blonde Schönheit angespannt war und langsam verzweifelte. Der Plan mit Milla war unglaublich gut aufgegangen. Glinda hielt das Papier in beiden Händen, ihre Unterarme lagen auf dem Tisch. Bereit, endlich aufzugeben, legte sie ihren Kopf auf die Unterarme. Plötzlich fühlte sie eine weiche, warme Hand ihren Oberarm streicheln. Sie blickte auf und sah in Elaines schönes Gesicht, welches sie besorgt anschaute. Orez hatte sich weit in seinem Stuhl zurückgelehnt, als Elaine über ihn nach Glindas Arm gegriffen hatte. Er wollte die interessante Interaktion der beiden Frauen nicht stören. Glinda lächelte sie dankend an und fühlte sich etwas sicherer. „He, Safrannase, schönes Köpfchen hoch!“, flüsterte Elaine so leise, dass Glinda es selber kaum verstand. Beide Frauen kicherten und grinsten sich geheimnisvoll an. Glinda hatte nur mit halbem Ohr zugehört, während Meredith irgendetwas über das Wetter und Notausgänge gefaselt hatte. Reseda schien ganz gefesselt und starrte ihre Mer mit liebenden Blicken an. Elfi hatte die Tischrunde inklusive ihrer Kamera verlassen und knipste nun mal hier und mal dort. Glinda nahm einen Löffel von ihrem Platzdeckchen und versuchte, sich in der Wölbung zu spiegeln. Ramón strich ihr mit seinem Handrücken über die Wange und kicherte: „Du siehst fantastisch aus, mein süßes Früchtchen.“ Peinlich berührt legte Glinda den Löffel wieder hin, als Meredith Stimme gerade die Halle füllte: „… und aus diesem Grund darf ich Ihnen nun Fräulein Glinda von Hohenhochborn ankündigen, meine Vorgesetzte und Freundin und unsere ‚Glinda die Gute’….“ Ein tosender Applaus brach aus und von irgendwoher wurde Glinda mit einem Lichtstrahl beleuchtet, der mit ihr zu wandern schien. Lächelnd stand sie auf und bahnte sich ihren Weg zur Bühne. Die Stufen, die sie hochstieg, wollten kein Ende nehmen und Glinda dachte, sie würde rückwärts wieder hinunterfallen. Doch dann stand sie oben. Meredith trat vom Mikrofon zurück und deutete ihr mit beiden Armen den Platz, wo sie selber vorher gestanden hatte. Glinda atmete tief ein und wieder aus. ‚Jetzt oder nie…’, dachte sie, ‚Nur fünf Minuten. Kurze fünf Minuten…’ Dann konzentrierte sie sich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Auch als Glinda vor dem Mikro stand, nahm der Applaus kein Ende. Beschwichtigend hob sie beide Hände und setzte endlich ihr Lächeln auf. Meredith dachte schon, sie hätte es auf ihrem Platz vergessen. Sie hatte sich nicht weit hinter Glinda gestellt um im Falle eines Falles die zierliche Blonde auffangen zu können. Doch Glinda richtete sich auf und schob mit aller Kraft die Gedanken an Elphaba zur Seite. Dann stellte sie sich einen großen Schrank vor, in dem sie alle ihre Emotionen aufbewahrte und machte ihn in Gedanken zu. Sie konnte es bildlich vor sich sehen. Dann ebbte auch ihr Applaus endlich ab. Nur eins hatte Glinda sich vorgenommen – sie würde Elphabas Namen weder aussprechen, noch weiter beschmutzen. Sie holte Luft und sprach: „Meine Lieben ozianischen Mitbürger! Dies ist ein Tag dankbarer Freude! Lasst uns jubilitiern, der Tugend droht nicht mehr die Bösigkeit von der ‚ihr wisst wer’. Am Ende siegt doch steht’s - das ist das Wunderbare- das Gute, Schöne, Wahre. Was vor so langer Zeit auch war, genau heute ist es ein Jahr, dass wir feierten so groß im ganzen Lande Oz. Und heute ist der erste Feiertag, drum feiert wie es Glinda mag – Feiert ausgelassen und seid fröhlich, denn auch ein Regentag ist herrlich, wenn der Anlass dieser ist, dass niemand die Hexe hier vermisst. Hiermit ist die Veranstaltung offiziell eröffnet! Bedient Euch am herrlichen Buffet und lasst es Euch schmecken!“ Tobender Applaus schlug Glinda entgegen. Sie atmete tief durch. ‚Geschafft!’, dachte sie erleichtert. Meredith trat einen Schritt nach vorne und bot Glinda den Arm an. Diese nickte noch einmal lächelnd in die Menschenmenge, flüsterte ein „Danke, danke!“, in die Runde und harkte ihren Arm in den von Meredith. Der Applaus der Menge fand diesmal ein schnelles Ende, da der Hunger der anderen größer war, als ihre Applaudierausdauer. Als die beiden Frauen von der Bühne stiegen, beobachtete Meredith das wilde Treiben an den drei Buffettischen: „Sieh dir das an!“, lachte sie, „Wie die Ausgehungerten!“ „Allerdings!“, nickte Glinda lachend. „Oh oh…“, kicherte Meredith plötzlich neben ihr. Die Blondine sah die kichernde Frau fragend an und folgte dann ihrem Blick. Sie sah, wie Reseda auf die beiden zugelaufen kam. „Was ist denn?“, Glinda verstand nicht, was Meredith ihr damit sagen wollte. „Du musst wissen, meine öffentlichen Auftritte haben auf Resi eine… sehr …. spezielle Wirkung.“ Nun hatte Glinda verstanden, doch Meredith redete weiter: „Sie wird davon…“ „Jaaaaaaaaaaaa…!!!“, unterbrach Glinda, die nun einen hochroten Kopf hatte. „Ich habe es verstanden.“ Meredith lachte auf, als Reseda die beiden erreichte. Bevor Glinda sich versah, stand sie alleine auf der untersten Stufe. Resi hatte ihre Mer an die Hand genommen und sie davon geschliffen. Über die Schulter hatte sie Glinda zugerufen: „Du entschuldigst uns mal bitte kurz…“ und Meredith hatte ihr einen viel sagenden Blick zugeworfen und dabei hilflos mit den Schulter gezuckt. Glinda hatte Meredith angelacht und tonlos mit den Lippen ein ‚Viel Spaß’ formuliert. Beruhigt stellte sie auf dem Weg zurück zum Tisch fest, dass die Vorstellung mit dem Gefühlsschrank ihr wirklich half. Sicher wusste sie, dass sie die Gefühle irgendwann rauslassen und verarbeiten müsste, aber nicht heute Abend, sagte sie sich. Erleichtert sah sie, dass das Fräulein Elfi Rob nicht am Tisch saß. Genau genommen saß eigentlich niemand mehr am Tisch, außer Elaine. Verwundert erreichte sie ihren Stuhl. Als Elaine sie kommen sah, sprang die jüngere Frau auf und drückte Glinda schnell. „Glinda, du warst toll! Ich mag deine Stimme sehr.“ „Oh… Danke. Das freut mich!“ Beide Frauen erröteten leicht. „Aber sag mal, wo sind denn all die anderen hin?“, fragte Glinda nun. „Milla und Marec stehen am Buffet an. Meredith und Reseda sind auf Toilette, glaube ich und die drei Männer von uns sind raus. Ich glaube, sie rauchen eine. Darf man ja nur draußen oder in der Vorhalle.“, kam die Antwort prompt. „Wie? Ramón raucht?“, Glinda war verwirrt. „Ein rauchender Schönling!“, nickte Elaine. ‚Ein rauchender Schönling, rauchender Schönling, Schönling’ hallte es in Glindas Kopf wieder. Wie viel Wein hatte sie schon getrunken? Irgendwann nach fünf Gläsern hatte sie den Überblick verloren. Aber erst jetzt merkte sie, wie ihr leicht schwindelig wurde. Sie setzte sich. „Möchtest du nichts essen?“, fragte Elaine verwundert. Alleine bei dem Gedanken an Essen wurde Glinda schon übel. Sie hatte es zwar geschafft, nicht über diese ‚Dinge’ nachdenken zu müssen, aber ihr war es nicht möglich gewesen, die Wirkung dieser ‚Dinge’ auf ihren Körper abzustellen. Sie fühlte sich noch immer Fehl am Platze und alles andere als wohl in ihrer Haut. „Ich habe keinen Hunger.“, war jedoch schließlich die Antwort, die Elaine erhielt. „Okay!“, antwortete die Brünette und ließ sich auf den Platz fallen, auf welchem Orez vorher gesessen hatte. „Wie? Neeein, geh du doch bitte zum Buffet! Das Essen ist erste Sahne.“, kaum hatte Glinda das ausgesprochen, fingen beide Frauen an, herzhaft zu lachen. Als Elaine sich einigermaßen beruhigt hatte, sagte sie: „Ja, gleich. Wenn Milla wieder da ist. Oder einer von den Männern. Aber sag mal ehrlich… Du bist mit so einem schnatternden Weibsbild befreundet gewesen?“ Glinda schaute sie nun mit großen Augen an. In solchen Situationen fiel ihr immer wieder auf, wie Direkt ihre Freundin doch war. Aber das lag vielleicht auch an ihrer eher weniger adeligen Abstammung. „Gesellschaftliches Geplänkel…“, antwortete Glinda murrend, musste aber grinsen. „Ich verstehe!“, nickte Elaine lachend. Es dauerte nicht lange, als Marec und Milla wieder kamen. Glinda blickte zum Buffettisch in ihrer Nähe. Er war total überfüllt. Bewundernd fragte sie: „Sagt mal, wie habt ihr das denn geschafft?“ „Baby-Bonus!“, meinte Milla und grinste breit. Sie hatte sich zwei ganze Teller vollgeladen und Glinda stellte beruhigend fest, dass nicht jede so zunehmen musste, wenn sie schwanger war. Glinda leerte abermals ihr Weinglas und wunderte sich. Es war doch eben noch leer gewesen, als sie auf die Bühne gestiegen war. „Ich werde mal Ramón suchen gehen!“, sagte sie zu den dreien und verschwand in der Menge. Elaine machte sich auf den Weg zum Buffet. Glinda fand Ramón in der Vorhalle und … „Also so was…“, murmelte Glinda. Er hielt eine Zigarette in der Hand. Als er Glinda kommen sah, machte er sie schlagartig aus. „Liebling!“, er grinste breit. „Na du kleiner Raucher.“, murmelte sie und wedelte mit der Hand vor ihrer Nase herum, zum Zeichen, dass er müffelt. „Verzeihung!“, er errötete. „Na? Was macht ihr Feines?“, fragte Glinda neugierig. „Männerthemen!“, Ramón lachte. Orez und Londaro hoben zum Gruße die Hand. Glinda erwiderte den Gruß und meinte nur: „Ist gut. Bis nachher!“ als sie sich umdrehte und ihrem Ramón einen Kussmund zuwarf. Meredith und Reseda kamen gerade kichernd aus der Damentoilette in der Vorhalle, als sie Glinda weggehen sahen. Resi umarmte ihre Frau noch ein letztes Mal und knabberte ihr kichernd am Ohr, als Meredith eine bekannte lachende Stimme vernahm: „Das wird ein Kinderspiel!“ Sie drückte Resi sanft von sich weg. „Hee?“, wunderte sich diese. „Sssht!“, war die Antwort und Meredith drehte sich um. Sie sah Londaro, der lachte. Es war seine Stimme gewesen. Orez und Ramón waren auch dort, sie nickten und stiegen mit in das Gelächter ein. Reseda hatte begriffen, was gerade passiert war und murmelte: „Das gefällt mir irgendwie gar nicht…“ Orez hatte die beiden Frauen im Augenwinkel entdeckt. ‚Mist!’, dachte er. Nun musste er sich etwas einfallen lassen. Gerade so laut, dass die beiden es hören konnten und so leise, dass es nicht auffiel, wie geplant diese Aussage war, meinte er: „Na klar wird das ein Kinderspiel! Der Heiratsantrag wird unsere Glinda aus den Schuhen hauen!“ Die anderen beiden Männer hielten inne. Die beiden Frauen sahen sich verwundert an. Orez saß mit dem Rücken zu ihnen, was auch der Grund war, warum sie seine Blicke nicht sehen konnten. Nach einer kurzen Pause plauderten die drei Männer über diesen besagten Antrag, als wäre nichts geschehen. „Ich glaube davon nicht ein Wort!“, zischte Meredith, als sie wieder zurück in den Hauptsaal gingen. „Dito.“, murmelte die Brünette an ihrer Seite. Als das Pärchen wieder an den Tisch zurückkehrte, fanden sie nur Elaine, Milla und Marec, die beim Essen eine Diskussion über das richtige Putzmittel begonnen hatten. Nun, Marec saß eher gelangweilt daneben, als Milla gerade meinte, es wäre ein großer Unterschied, ob man mit weißem oder grünem Ozopper putze. „Rette du Marec, ich hole uns etwas zu Essen!“, flüsterte Resi und Meredith setzte sich neben den armen einzigen Mann am Tisch. Keine zwei Minuten später waren sie in das stinklangweilige Thema, so befand es zumindest Milla, ‚Politik’ vertieft. Reseda machte sich auf zum Buffet. Auf dem Weg dorthin fand sie Glinda, die sich gerade angeregt mit einem anderen Politiker unterhielt. „Resi!“, rief sie, als die Brünette sich näherte. „Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment. Ich bin gleich wieder da!“, versprach sie dem älteren Herrn lächelnd. Die Brünette, welche Glindas Größe hatte, musste die Blondine festhalten, damit sie nicht umfiel. „Glinda, geht es dir gut?“, fragte sie besorgt. Glinda kicherte beschwipst: „Böser Wein! Bööööser Wein!“, sie kicherte weiter. „Aber Resi, weißt du was?“, fragte sie angespannt. Reseda sah sie skeptisch an: „Was?“, fragte sie trocken. „Ich habe eben mit einer Frau gesprochen, die ihrem Kind tatsächlich erzählt hat, die böse Hexe würde schlafen. Für immer und ewig. Ist das nicht bescheuert?“ Glinda wollte sich mit ihrer rechten Hand an die Stirn tippen. Beim ersten Versuch tippte sie vorbei und ihr Finger streifte ihren Hinterkopf. „Hupsi!“, kicherte Glinda und versuchte es ein zweites Mal, mit Erfolg. „Ist ja auch egal!“, lachte Glinda schrill und drehte sich wieder zu dem älteren Herrn um, der geduldig gewartet hatte. Mit dem Schlaf der Hexe hatte die Frau nicht unrecht gehabt. Doch er war nicht für immer und ewig. Genau genommen sollte die Hexe keine fünf Stunden Schlaf mehr haben. Doch davon wusste niemand etwas. Nicht einmal sie selber… Reseda wusste nicht so ganz, was sie tun sollte. Am Buffet war nicht mehr allzu viel los, also holte sie sich zwei Teller und eilte, so schnell es die Menschenmasse zuließ, zurück zum Tisch. Es war schon 21:30 Uhr und soweit sie von Meredith informiert worden war, sollte der Tanzteil nun bald beginnen. „Meredith?“, flüsterte sie, als sie sich auf den Stuhl neben ihrer Geliebten niederließ. Diese sah sie fragend an: „Ja?“ „Ich glaube, Glinda ist betrunken…“ Meredith seufzte: „Wo ist sie denn?“ „Eben stand sie noch am ersten Buffettisch mit einem grauhaarigen Mann und lustigem ZickZack-Schnurrbart!“, war die Antwort. „Ohje, sie muss wirklich betrunken sein!“, stellte Meredith fest und erntete dadurch einen fragenden Blick ihrer Frau. „Naja…“, fuhr sie fort, „Das ist Fürst von Niedertal und es ist allbekannt, dass er auch gegen die Tiere damals vorgegangen ist. Ich suche sie besser. Glinda hasst ihn!“ Und schon war die Rothaarige in der Menge verschwunden. Reseda ignorierte die neugierigen Blicke der drei anderen an ihrem Tisch und begann zu essen. ‚Oz im Ballon! Wo steckst du, Glinda?’, schimpfte Meredith in Gedanken. Fürst von Niedertal saß am Tisch und aß, einzig und allein in Begleitung seiner Frau und seinen Freunden. Ein Blick in die Vorhalle verriet Meredith, dass die Männer noch immer alleine einen über den Durst tranken und mal wieder eine rauchten. Beim genaueren Hinsehen jedoch fiel ihr auf, dass es nicht Ramón war, der nun dabeisaß. Sie hatte nun keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen: ‚Ich muss Glinda finden…’ Ruckartig drehte sie sich um und hätte beinahe eine ältere Dame umgelaufen. „Oh, Verzeihung!“, entschuldigte sich Mer, leicht errötend und eilte davon. Auf der anderen Seite des Raumes hatte Ramón endlich seine Schwester gefunden: „Aylin! Wo hast du gesteckt?“, fragte er böse. „Lass mich los, Ramón! Ich arbeite für die Presse. Hast du das schon vergessen?“ Ramón rollte genervt mit den Augen. „Ist ja schon gut. Hast du ein paar tolle Aufnahmen?“ Aylin nickte: „Na klar. Einer von uns beiden muss seinen Job richtig machen.“ Ramón trat einen Schritt näher an seine Schwester heran und flüsterte zischend: „Was bildest du dir eigentlich ein, du klei…“ „Ramón und … El… Fräulein Rob! Sagt mal ihr zwei, findet ihr das nicht ETWAS unverschämt?“, maulte Glinda, die hinter Ramón aufgetaucht war. Sie konnte den Vornamen dieser bodenlos hinterhältigen Frau nicht aussprechen. „Glinda!“, erschrocken fuhren die beiden auseinander und Ramón drehte sich um. Die blonde Schönheit warf ihm einen viel sagenden Blick zu, drehte sich um und wollte gehen, als Ramón sie am Arm packte. „Ich habe sie doch nur gebeten, dass sie ein paar Fotos löscht!“ Trotz des Alkohols spürte Glinda etwas Merkwürdiges in sich vorgehen. Als hätte etwas *KLICK* gemacht. Irgendetwas missfiel ihr an dieser Frau. Irgendetwas war noch nicht ganz klar. Irgendwas… „Glinda?“, Ramón legte seine Hand auf ihren Arm. „Lass mich los! Meinst du, ich glaube dir so eine dumme Geschichte?“, maulte die Blondine ihn an. ‚Meine Güte, mein Bruderherz hat null Ahnung davon, wie reiche Frauen ticken…’, Aylin alias Elfi rollte mit den Augen und griff ein: „Nein, sollst du nicht. Wenn du es genau wissen willst, du kleines Blondchen, ich finde deinen Kerl zum Anbeißen und nun hat er mich schon zum zweiten Mal abgewiesen. Im Zug wollte er auch nicht. Hast ihn wohl feste um deinen kleinen, dummen Prinzessinenfinger gewickelt, was?“, bellte Elfi Glinda entgegen. Aus den Gesichtern der blonden Geschöpfe konnte man nicht entnehmen, wer von ihnen mehr verblüfft war, aber anscheinend fruchtete diese Lüge besser, als die von Ramón. „Noch einen Ton und ich lasse Sie entfernen, meine Liebe.“ Der Alkohol hatte nachgelassen und Glinda konnte sich beherrschen, den Satz ohne Zischlaute zu sprechen. Das war auch der Grund, warum Glinda nun die Frage formulieren konnte, die bisher in ihrem Inneren gebrodelt hatte: „Ach und erklären Sie mir doch mal bitte, was Sie vorhin am Eingang mit der Frage gemeint haben, wie ich das Denk….“ „Glinda!“, unterbrach Meredith die angespannte Atmosphäre. Sie spürte, dass sie da gerade in etwas reingeplatzt war. „WAS?“, rief Glinda und drehte sich zu der Stimme um. Als sie in Meredith grüne Augen schaute, die sie fest anblickten, entwich ihr ein: „Ohje, Entschuldige… Ich..“ Meredith ließ die nun verwirrte Frau nicht ausreden, nahm sie bei der Hand und zog sie mit sich: „Komm. Wir müssen uns mal unterhalten.“ Ramón wollte ihnen folgen, aber als Meredith sich vor ihm aufbaute, blieb er wie angewurzelt stehen: „Mein Freundchen, DU bleibst besser mal hier. Und deine komische Freundin da drüben auch!“ Der Satz kam der Rothaarigen ganz ruhig über die Lippen, aber innerlich brodelte sie. Ihre 41 Jahre verliehen ihrer Stimme eine Autorität, der selbst Ramón nicht standhalten konnte. Er erwiderte nichts und konnte nur zusehen, wie Meredith mit seinem ‚Früchtchen’ an der Hand in der Menge verschwand. Meredith führte Glinda in die Vorhalle, wo sich beide Frauen in eine stille Sitzecke zurückzogen. Glinda hatte ihre Hände gefaltet und ihr Blick ruhte auf den ineinander verflochtenen Fingern. „Glinda, ich werde jetzt ganz ehrlich zu dir sein. Denkst du, du verkraftest das?“ Die angesprochene Frau hob den Kopf nicht, sie nickte nur. „Okay!“, Meredith atmete ein. Sie wusste, dass Glinda momentan in keiner guten Verfassung war. Außerdem wusste sie, dass Ramón gefährlich und ihre Liebste gerade alleine war. Die Zeit drängte also. ‚Die einzige, die hier bei diesem Desaster richtig aufgeräumt hätte, wäre wohl Elphaba gewesen…’, fügte Meredith in Gedanken noch hinzu. „Glinda, ich traue Ramon nicht. Noch weniger traue ich diesem Weibsbild. Irgendetwas geht hier vor. Ich weiß nicht was es ist. Aber er ist ein Schnösel. Und er ist falsch. Sag, liebst du ihn?“ Nun hob Glinda den Kopf. Fassungslos starrte sie Meredith an: „Für was hälst du mich? Ich finde ihn nach heute Abend nicht mal mehr ‚nett’. Ich traue ihm auch nicht mehr und ja, auch ich glaube, ich bin hier in einem abgekarteten Spiel gefangen. Diese komische… Elfina – bei der ist mir nicht wohl. Die stecken bestimmt unter einer Decke, wenn hier irgendwas läuft. Glaubst du, das hat was mit den Unruhen zu tun?“ Meredith zuckte mit den Schultern, dann fragte sie: „Aber was hast du denn an diesem Schnösel gefunden?“ Glinda blickte nun schuldbewusst drein: „Das hört sich jetzt vielleicht sehr kindisch und egoistisch an, was es im Endeffekt auch ist, aber… aber er hat mir das Gefühl gegeben, wieder ich selber zu sein. Er hat mich auf Händen getragen und mich abgelenkt. Ich dachte, wenn das für immer so weitergeht, komme ich vielleicht irgendwann über…“, Glinda stockte. „Elphaba?“, fragte Meredith vorsichtig. Bewusst benutzte sie nicht die Verniedlichung ‚Elphie’, was in Anbetracht der Anwesenheit von Elfi-Presse-Piranha zu Missverständnissen hätte führen können. Die blonde Frau blickte in stechend grüne Augen und irgendwie überkam sie das Gefühl, dass Meredith mehr wusste, als sie selber. „Du weiß es, oder?“, flüsterte Glinda, den Tränen nahe. Vorsichtig nickte die Rothaarige: „Ich glaube, ja. Zumindest weiß ich genug, um dich zu verstehen, dass das hier eine größere Last für dich ist, als du ertragen kannst. Willst du gehen?“ Glinda konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten, ihr Gefühlsschrank platzte in Gedanken unter dem Druck auf und sie ließ ein paar Tränchen kullern. Meredith hatte sich auf die Stuhllehne von Glindas Stuhl gesetzte und wiegte sie sanft im Arm. Auch sie kämpfte um Fassung und Kontrolle und sagte dann: „Wir können direkt jetzt fahren, wenn du das willst. Du kannst auch heute bei uns schlafen.“ Glinda schnüffte einmal kurz auf und sagte dann etwas kontrollierter: „Ja, bitte. Lass uns gehen!“ Meredith stand auf und bot Glinda ihre Hand an. Mit der anderen wischte sie Glindas Tränen weg. Die Blonde Frau, nun ein wenig erleichterter, griff die Hand und die beiden betraten wieder den Hauptsaal. „Fräulein Hochborn!“, ertönte eine Stimme, kaum dass sie den Saal betreten hatten. „Da sind Sie ja endlich! Kommen Sie, Sie müssen den Ball eröffnen und den ersten Tanz tanzen!“ „Ach du heilige Lurline…“, hauchte sie, als der Veranstalter Glindas Arm nahm und sie von Meredith wegzog. Hilflos blickte Glinda sich zu einer noch hilfloser dreinblickenden Meredith um. Als Meredith mit Glinda verschwunden war, stand Ramón wie angewurzelt und funkelte der Rothaarigen böse hinterher. „Na Bruderherz, der kannste wohl nicht das Wasser reichen, was?“, hatte seine Schwester lächelnd gefragt. „Halt den Mund!“ Er wäre beinahe handgreiflich geworden. Schließlich hatte er Übung darin. Seine Schwester ignorierte den befehl ihres älteren Bruders: „Was machen wir mit den beiden? Mit der Rothaarigen und ihrer Freundin, meine ich. Ich glaube, sie werden uns einen Strich durch den Plan machen, wenn wir nichts unternehmen!“ Ramón nickte, er hatte da schon eine Idee. „Hör mir jetzt genau zu…“, hatte er begonnen und nach kurzer Zeit war seine Schwester in der Menschenmenge verschwunden. Der blonde Herr hatte Ausschau nach dem Veranstalter gehalten und ihn gefunden. Es hatte ein wenig Überzeugungskraft in Form von seltenen Edelsteinen gekostet, bis der gute Herr genickt hatte und abgerauscht war. Zufrieden hatte Ramón sich an den Tisch gesetzt und Orez losgeschickt, die kleine Änderung des Plans weiterzugeben. Glinda rauschte an ihm vorbei. Sie blickte sich ständig um, als suchte sie irgendwas oder irgendwen. Dann sah er, wie die rothaarige Person herbeieilte, doch Glinda stieg schon die Stufen zur Bühne hoch. Meredith warf ihm einen verächtlichen Blick zu und flüsterte mit ihrer Frau. Ramón verspürte das Bedürfnis, sie bei den Schultern zu packen und zu rütteln und zu schütteln, bis sie nichts mehr sagte. Seine Hände verkrampften und kniffen sich in die eigenen Oberschenkel. Vor Schmerz stöhnte er auf, dann wurde es dunkel im Saal. Ramón ließ seine Blicke im Dunkeln schweifen und nickte dem Kellner zu, der Elaine, Reseda und Meredith daraufhin ein neues Glas gab und die alten mitnahm. Die Frauen schienen nichts zu bemerken, ihre Blicke starrten die Frau auf der Bühne an, welche dort oben sichtlich um Fassung rang. Gespannt wartete Ramón ab… Meredith war die erste, die an ihrem Wein nippte, während Reseda kurze Zeit später drei kräftige Schlücke nahm. Elaine nippte hin und wieder, bis ihr Glas nur noch halb voll war. Zufrieden lehnte sich Ramón in seinem Stuhl zurück und blickte nun auch zur Bühne. Glinda hatte die Tanzfläche zur allgemeinen Zufriedenheit mit einem netten Lächeln und einer kleinen Anekdote eröffnet. Sie war eben schon zu lange Vorzeigepüppchen gewesen, sodass sie sich auch unter solchen Belastungen nichts anmerken ließ. Als schon einige Paare aufgestanden waren und Ramón schon panisch mit seinen Füßen gewackelt hatte, riss der Veranstalter das Mikro aus der Hand und sagte einen Tick zu laut: „Meine lieben Damen und Herren. Bleiben Sie bitte noch sitzen. Die Ehre des Eröffnungstanzes geben uns nämlich heute Abend das bezaubernde Fräulein von Hohenhochborn hier an meiner Seite und ihre Begleitung, der Fürst von Heidenbrunn und zwar mit…“, der Veranstalter machte eine gekünstelte Pause, dann rief er aus: „ … mit einem OZIANISCHEN WALZER!“ Nun brach ein lauter Applaus aus, der nicht mehr abzuklingen schien. Der Kellner, welcher gerade eben erst die drei Damen mit ‚neuen’ Getränken versorgt hatte, wurde nun vom Veranstalter heran gewunken. Der alte Mann nahm das letzte Glas Roséwein vom Tablett und reichte es Glinda. Verdutzt sah sie den Wein an. ‚Ist der etwa mit Kohlensäure?’, wunderte sie sich. Sie schaute noch einmal hin. Nichts regte sich im Weinglas. Oder nicht mehr? „Doch vorher!“, donnerte die Stimme des Veranstalters, „Einen Toast auf die beiden!“ „Hurra, Hurra, Hurra!“, schrie die Menge monoton und alle hoben ihre Gläser. Dann nahm jeder einen großen Schluck, auch Glinda. Ramón war schon aufgestanden und hatte beruhigt zugesehen, wie die blonde Schönheit genug von dem Wein getrunken hatte. Er sah auf die Uhr: 22:30 Uhr. Lange würde es nicht mehr dauern. Der blonde Schönling streckte den rechten Arm nach Glinda aus, welche noch oben auf dem Treppenansatz stand. Beide wussten, dass sie keine andere Wahl hatte. Stufe für Stufe schritt sie langsam zu ihrem Begleiter hinab. Dann nahm sie seine Hand und als sie in die Mitte des Parketts gingen, konnte Glinda fühlen, wie die Leute im Saal den Atem anhielten. Sie war mehr als verwirrt. Was sollte sie noch denken? Was sollte sie noch tun? Hier bleiben oder einfach weglaufen? Sie hatte Angst. Jetzt wusste sie, was das für ein Gefühl war. In den Armen dieses Mannes hatte sie Angst. Und diese Angst hatte sich seit dem Tag auf dem Balkon in ihren Körper geschlichen, als er sie zu feste an den Füßen gepackt hatte. Panisch blickte sie sich um. Sie sah Elaine und Meredith. Beide lächelten sie ermutigend an. ‚Gut, sie sind noch alle da. Nach dem Tanz gehe ich rüber zu ihnen und wir verschwinden ungesehen. Der offiziellste Teil ist ja jetzt vorbei!’, dachte sie, um sich selber zu beruhigen. Als die Musik einsetzte, nahm das Paar die komplizierte Tanzhaltung ein und wartete den ersten Takt ab. Dann begann Ramón, Glinda zu führen. Als sie das Lied erkannte, stieg erneut Panik in ihr auf. Es dauerte sieben Minuten. Und abermals kämpfte sie um Kontrolle. ‚Das schaffst du schon!’, sagte sie sich. Sieben Minuten konnten beim Ozianischen Walzer eine Ewigkeit bedeuten. Beide, Ramón als auch Glinda waren fabelhafte Tänzer und ergänzten sich glänzend in diesem Tanz. Der Herr wirbelte die Dame in atemberaubenden Figuren über die Tanzfläche, sodass Glinda schwindelig wurde. Aber irgendwie wurde sie das Gefühl nicht mehr ganz los. Sie versuchte sich, zu konzentrieren. Von dem ganzen Getanze wurde ihr heiß. Schwindelig, heiß, schwindelig, heiß. „Oz im Ballon!“, stöhnte sie und endlich endete das Lied. Glinda sah Sternchen, doch Ramón stützte sie und zischte: „Lächle, du Püppchen. Lächle!“ Glinda fühlte sich, als wäre sie im dichten Nebel gefangen und tat was ihr befohlen. Mit letzter Kraft verbeugte sie sich und Ramón führte sie zurück zum Tisch. Ihr war kotzeübel und auf einmal war sie mehr als müde. Sie ließ sich in ihren Stuhl fallen und wäre fast mit dem nach vorne kippenden Kopf auf den Tisch geknallt, wenn Milla sie nicht aufgefangen hätte: „Oh Gott, Kindchen, geht es dir gut?“ „Ich glaube, ich war etwas zu ausdauernd!“, kicherte Ramón und nahm Glinda in den Arm. „… Laine? Mer?“, murmelte Glinda, die Augen nur noch halb geöffnet. Milla war nun ernsthaft besorgt: „Schätzchen, ich denke, du solltest auch nach Hause gehen. Die anderen drei Damen haben sich auch schon verabschiedet. Dieser Arez, oder wie er heisst, hat deine neue Freundin Elaine begleitet und der hübsche, junge Mann, Londoro, hat die beiden anderen reizenden Damen nach Hause begleitet!“ ‚Nein! Nein!’, wollte Glinda schreien, doch mehr als ein Gestöhne brachte sie nicht heraus. Sie konnte noch denken, aber ihr Körper wollte ihr nicht gehorchen. „Wie reizend von Orez und Londaro. Ja, Liebes, ich glaube, wir sollten gleich gehen. Aber vorher…“, Ramón liebte solche Situationen. In Glinda stieg nun mehr als Panik auf. Sie wollte weg. ‚Was hat …. Der Wein! Der verdammte Wein. Was war da drin? Der verdammte Wein…’ Das war das letzte, an was Glinda in ihrer Todesangst denken konnte. Dann fiel sie in Ohnmacht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)