Schall und Rauch von Ryu-Stoepsel (Which path will you choose?) ================================================================================ Kapitel 9: ----------- Aufgeregt stand Glinda vor ihrem Kleiderschrank: „Puuuuh…“, stöhnte sie, „nicht gerade wenig…“ Mit einem Blick nach draußen in die gleißende Sonne, entschied sie sich für ein Sommerkleid: Es war weiß, gemustert mit rosanen und violetten Blumen, deren hellgrüne Blätter hier und dort hervorlugten. ‚Achja… Rosa passt gut zu grün.’, dachte sie seufzend. Es hatte keine Ärmel, besaß einen Kragen und ging bis kurz über die Knie. Geschwind zog sie es sich über, schloss die Knöpfe vom Saum her bis zum Dekolleté und ließ die obersten vier… ‚Nein, lieber nur drei…’, Knöpfe offen. Als sie gerade damit fertig war, die seidene Schleife um ihre Taille fester zu binden, klopfte es schon an der Tür: „Einen Moment noch!“, sagte sie laut und legte sich schnell noch ihre dreireihige Perlenkette um den Hals, schlüpfte in ein Paar weiße Sandalen mit kleinem Absatz und schnappte sich ihre violette Handtasche. Dann öffnete sie dir Tür. Die Frau, welche Ramón nun gegenüber stand, war der Inbegriff der Schönheit. Er hätte am liebsten jeden Knopf an ihrem Kleid mit eigener Hand wieder langsam geöffnet, zwang sich aber dazu, ihr passendes Outfit zu bewundern. Glinda konnte ihre Wirkung auf Männer nicht reduzieren und wusste auch genau, was sie ausstrahlte. Darum schob sie sich schnell die dunkelbraune Sonnenbrille in ihre Haare, sodass ihr Pony zurückgesteckt wurde und lief voraus. Die blonden Locken schwankten bei jedem Schritt mit. Lachend warf sie die Haare nach hinten, als sie sich umdrehte: „Worauf wartest du noch?“ Kurze Zeit später saßen Ramón und Glinda im Café „Gusto“. Es war sein Vorschlag gewesen und Glinda liebte es hier. Der Name wurde diesem Café nun wirklich gerecht. Sie bestellten ein Frühstück für zwei; frischer Orangensaft, warmes Brot und Brötchen, Marmelade und Käse. Ramón biss gerade in sein Marmeladenbrot, als Glinda zu ihm sagte: „Ich kann nicht glauben, dass wir uns erst seit drei Wochen kennen.“ Ramón nickte nur. Mit vollem Mund würde er nicht mit Glinda sprechen, weil er wusste, auf welche Manieren sie besonders achtete. Man hatte ihn ja vorher informiert. In Gesellschaft eines jeden anderen wäre ihm das ganz egal gewesen. „Ich meine… Also, erst hatte ich große Angst, als Madame Akaber aus dem Gefängnis ausgebrochen war. Schließlich hatte sie wegen mir dort mehr als ein halbes Jahr verbracht… in dieser Zwangsanstalt. Jeder weiß ja, dass das smaragdische Gefängnis das schlimmste ist, in ganz Oz.“ Sie hielt kurz inne. „… Aber…?“, der Mann gegenüber von ihr schaute sie fragend an. Seufzend setzte Glinda fort: „Aber wenn sie nicht ausgebrochen wäre, hätten wir uns nicht kennen gelernt. Ich möchte dir danken. Danken dafür, dass du dich freiwillig bei meinem Wachpersonal gemeldet hast, um mich bei Gelegenheit persönlich zu beschützen. Und auch danke dafür, dass du nach ihrem Tod noch geblieben bist und mich ablenkst, zumindest, bis der Ball vorbei ist.“ Sie lächelte ihn an und hoffte, er würde etwas erwidern. Aber mehr als ein „Das habe ich doch gern getan.“ war nicht aus ihm rauszubekommen. Glinda räusperte sich: „Hrkrmm… Ja, aber wieso denn eigentlich? Ich meine, wir kannten uns bis dahin doch noch gar nicht?“ Er hatte beobachtet, wie Glinda – ganz typisch für sie, wenn sie gestresst oder aufgewühlt war – mit ihrem rechten Mittelfinger zwei Mal hinter ihr rechtes Ohr gestrichen hatte. Nun musste er sich etwas einfallen lassen. Ramón sah Glinda in die kristallblauen Augen und senkte dann seinen Blick. Er seufzte tief, was Glinda dazu veranlasste, seine Hand zu streicheln. „Glinda … ich …“, seine Stimme brach. Er hob seinen Kopf und sah Glinda an: „Weißt du, ‚kennen’ tut dich ein jeder. Davon mal ganz abgesehen, kannte ich aber auch Madame Akaber ganz persönlich. Meine jüngere Schwester, Amélie, ist vor vier Jahren auch nach Shiz gegangen und lebt seitdem… seitdem in einem Wohnheim für undefinierbare Persönlichkeitsdefizite oder Störungen.“ Nun sah er Glinda abwartend an. Diese zog ihre Hand zurück und hielt sie sich vor Schreck vor den Mund: „Wie bitte? Was?“ „Ja…“, er sprach weiter: „Wir erhielten des Öfteren Briefe von ihr, in welchen sie uns beschrieben hatte, dass Makaber Akaber ganz fürchterlich sei und Amélie mit gewissen Dingen nicht zurecht kommt…“ Er untermalte das ‚gewissen Dingen’ mit einer groben Handbewegung. Glinda ermutigte ihn, durch ein verständnisvolles Nicken, weiter zu reden. „Anscheinend hatte sie sich verweigert, als Akaber ihr befahl, irgendetwas für sie zu erledigen. Kurz darauf bekam sie einen Panikanfall, weil sie spazieren ging und im urplötzlichen Nebel Gespenster gesehen hatte, die sich wohl auch an ihr… Du weißt schon…“, sagte er mit schmerzender Miene. Es war schließlich bekannt unter den Shizer-Leuten, dass Akaber eine Wetterhexe war. Ramón dachte, der Nebel würde gut in den Kontext passen. Und er hatte Recht, Glinda sprang drauf an. Seine Stirn lag in Falten und er kaute nervös auf seinen Lippen. Glinda puzzelte: „Du meinst also, Amélie hat sich geweigert und Akaber hat sie … wie von Geisterhand verschwinden lassen, sozusagen?“ „Naja, sie verschwand ja nicht, aber danach war sie nicht mehr sie selbst. Sie sprach wirres Zeug und war auf einmal ganz distanzlos gegenüber Menschen geworden. So, wie das manchmal bei kleinen Kindern der Fall ist. Sie ist wieder auf dem Stand einer vier-jährigen.“ Abermals seufzte er, nun sehr ungehalten. „Mein lieber Ramón...“, Glinda nahm nun seine starke Hand in ihre zarte und streichelte sie. „Es tut mir so Leid… Und wo komme ich dann ins Spiel?“ Nun musste der gut aussehende Blonde sich sehr beherrschen, dass er nicht abwertend lächelte. Eine von Glindas Spezialitäten war es, egal bei welchem Thema, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er spielte mit. „Als Makaber gefangen genommen wurde, dank dir, war ich so erleichtert. Meine Rachegelüste waren fürs erste gestillt. Schließlich hatte ich meine Schwester geliebt und sie fehlte mir so furchtbar. Dann, ein halbes Jahr später erfuhr ich, dass sie ausgebrochen war und ich wusste, nun ist es an der Zeit für mich, etwas zu tun. Ich weiß, zu was diese Frau fähig ist und ich wusste auch, dass du dich in Gefahr befinden würdest. Natürlich sagte mir dein Wachpersonal, alles sei wunderbar und der beste Schutz aus ganz Oz und so weiter und sofort. Alles nur Schall und Rauch, dachte ich, ließ es mir aber nicht anmerken. Also habe ich den Frontmann deiner Wachen in meine Geschichte eingeweiht und ihm war auch klar, wenn jemand weiß, wie man mit dieser Schauder-Kabinettfigur umzugehen versteht, dann ich. Ich wollte in irgendeiner Weise meiner Schwester doch noch gerecht werden. Mein schlechtes Gewissen stillen. Ich meine, ich hätte sie doch damals besser beschützen sollen…“ Er zog seine Hand von Glinda weg und legte seinen Kopf in seine Hände. „Woher solltest du denn wissen, dass sie nicht doch übertreibt? Ich weiß, wovon ich spreche… Auch ich war ja in Shiz und habe … Briefe geschrieben. Es ist nicht deine Schuld. Es ist allein ihre - Akabers. Doch nun ist es vorbei und ich freue mich, behaupten zu können, dass ich einen traumhaft klugen ersten Wachmann habe.“ Sie schenkte ihm ein warmes Lächeln. ‚Darum hatte er wohl nie von seiner Schwester erzählt…’, dachte Glinda bei sich. Verbittert lächelte er zurück. Aber nicht wegen der Trauer, so wie es Glinda vermutete, sondern weil Ramón gerade wieder an seine Begegnung mit dem Wachmann erinnert worden war: Was bekomme ich von dir, wenn ich dich einstelle?’ ‚Was willst du haben? Edelsteine?’ ‚Ja, aber das reicht mir nicht!’ ‚Was ist dein größter Wunsch?’ ‚… Glinda!’ ‚Ich verspreche dir eine Nacht mit ihr, in der sie dir gefügig sein wird. Wie ist dein Name?’ ‚Wieso kannst du solche Versprechungen machen?’ ‚Wenn du sie wirklich willst, frag nicht weiter. Ich bin Ramón.’ ‚Ramón, es freut mich, dich im Team Sankt Glinda Willkommen zu heißen. Ich bin dein Vorgesetzter, Orez.’ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)