FFVII: Blue Wanderer - In the lines von Ich_eben ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Der Lebensstrom... Beginn aller Dinge... Ende aller Dinge? Ursprung unzähliger Geschichten. Unaufhörlich und rätselhaft durchfließt er diesen Planeten, erhaben über alle Gegensätze, wissend, dass einst alles – müde, aber reich an Erfahrung - zu ihm zurückkommen und wieder Eins mit ihm sein wird. Seine leise Stimme verklingt nie, mag ewig sein oder auch nicht, und verstehen kann sie jeder, der einen Moment schweigt und lauscht. Die Sprachen des Lebensstromes sind unzählbar in ihrer Vielfalt. Ein Schmetterling im November. Das seltsame, schlagartig auftauchende Gefühl von sich nahender Gefahr, das einen urplötzlich vorsichtig werden lässt, und genauso sprunghaft wieder verschwindet, ohne dass ein tragisches Ereignis stattgefunden hat. Ein Bild, ein Geräusch... Erinnerungen entstehen. Und neue Wege. Irgendwo oberhalb des Lebensstromes... bunte Linien aus purer, pulsierender Energie, den Details dieses Planeten zugeordnet, in sich tragend jede nur erdenkliche Information über den betreffenden Gegenstand... Manche können diese „Lines“ sehen. Innerhalb eines bestimmten Universums nennt man diese Menschen... „Blue Wanderer“. Kapitel 1: Kapitel 1. Bruchlandung ---------------------------------- ... und dann sah er auf. Diese verdammte Uhr musste kaputt sein! Nur eine vergangene Minute seit seinem letzten Blick darauf? Lächerlich! Leider, das wusste General Sephiroth Crescent genau, funktionierte die Uhr tadellos. Er seufzte leise und milde frustriert, füllte seine leere Tasse und überschritt somit ganz bewusst den an normalen Tagen um diese Uhrzeit erreichten Kaffeepegel. Aber heute war kein gewöhnlicher Tag. Schicksale wurden heute entschieden. Daran war hier, im ShinRa Hauptquartier mit Hunderten von Angestellten, eigentlich nichts besonderes. Aber diesmal... Zeiger, die man beobachtete, bewegten sich grundsätzlich nicht. Sephiroth ließ sich wieder hinter seinem Schreibtisch nieder und stellte mit leichter Erheiterung fest, dass er Anflüge einer derartigen Spannung sonst nur auf dem Schlachtfeld wahr nahm. Nun, in gewisser Weise war auch das hier eines. Nur auf diesem war er zum warten verdammt, und mit lästig scheuernden Stricken gefesselt. Fast missmutig griff er nach einem Stift und begann mit der gewohnten Effizienz zu arbeiten. Lange Wartezeiten endeten selten glücklich. Das Telefon klingelte. Sephiroth ließ es die üblichen beiden Male läuten ehe er abhob. Am anderen Ende der Leitung übermittelte eine bekannte Stimme die Entscheidung des Schicksals. „Danke“, antwortete der General und legte auf. Einen Moment lang verharrte er bewegungslos, dann, mit der Gewissheit, alleine zu sein, ließ er sich in seinem Sessel zurückfallen und starrte an die Decke. Nur ein flüstern. „Verdammt!“ Damit war der schlimmste Fall eingetroffen. Es war vorbei. Sephiroth schloss die Augen und ließ zeitverloren die Gedanken in die Vergangenheit wandern. An den Anfang... * * * In der vergangenen Nacht war viel Regen gefallen. Jetzt, im Licht der Sonne, glänzte ganz Midgar wie frisch lackiert – ein seltener und flüchtiger Anblick. Das schimmernde Trugbild von Schönheit beinhaltete sogar das Hauptgebäude der mächtigen ShinRa Electric Power Company im Zentrum der Stadt. Auf den Verbindungswegen zwischen den einzelnen Gebäuden schien, bedingt durch den Einfallswinkel des Lichtes, pures Gold zu liegen – eine weitere flüchtige Täuschung. Zwar gab es keine Zweifel daran, dass ShinRa die Wege mit Gold hätte verspiegeln lassen können, aber Rufus Shinra zog es vor, das Geld in die Entwicklung aller möglichen anderen Dinge zu stecken: Waffen, die gewaltige ShinRa Armee, Angestellte – und natürlich in die Mako Reaktoren, welche letztendlich für den großen Reichtum verantwortlich waren. Dank der aus den Reaktoren gewonnenen Energie kontrollierte die Electric Power Company quasi das ganze Land. Was genauso wenig Illusion war wie die beiden auf den regennassen Pfaden wandernden Offiziere. „Bin ich müde!“ 1st Class SOLDIER Zack(ary) Fair reckte und streckte sich ein weiteres Mal im gehen, gähnte hingebungsvoll, verschränkte die Arme im Nacken und warf, als eine Reaktion ausblieb, dem neben ihm gehenden großen Mann mit den langen silbernen Haaren einen vorwurfsvollen Blick zu. „Sag mal, Seph! Warum gehen wir außen rum wenn der Weg durch die Gebäude viel schneller ist?“ „Weil ich, als dein Vorgesetzter, es so angeordnet habe“, antwortete General Sephiroth Crescent mit gewohnter Kühle. Einige Sekunden lang herrschte Stille. „Ich bin sooo müde...“. Wenn Zack einen Satz gut fand, konnte er ihn problemlos oft und in den unterschiedlichsten Betonungen wiedergeben. Auf einen warnenden Blick hin wandelte er den Satz, untermalt von einem breiten grinsen in ein „Ich will in mein Bett. Besser?“ um. Der General schüttelte nur kaum merklich den Kopf. Zack hielt sich für seinen besten Freund. Er war – das ließ sich nicht leugnen - stark, zuverlässig, schlau... aber gerade jetzt war er unglaublich anstrengend. „Willst du gar nicht wissen, warum ich so müde bin?“ „Nein.“ Vermutlich irgendeine Frau. Zacks ungetrübter Optimismus, gepaart mit seinem frechen grinsen und der „Mich kriegt nichts unter“ Ausstrahlung kamen bei den Frauen so unglaublich gut an, dass eine feste Beziehung für den 1st nicht in Frage kam. Die Damenwelt wusste das, schien sich daran aber nicht zu stören. Sephiroth blendete den auf einmal schrecklich munter erzählenden Zack aus. Wenn es sein musste, konnte sich der General jedes noch so unbedeutende Detail merken. Was Zacks Frauengeschichten anging... Irgendwann hatte er aufgehört, dem Beachtung zu schenken. „Trotzdem“, beendete Zack seinen Monolog, „hätte ich nichts dagegen, mehr Schlaf zu kriegen.“ In den letzten Monaten war die Zeit zum Luft holen noch knapper bemessen gewesen als sonst. Die beiden SOLDIER konnten zwar lange von einem einzigen Atemzug zehren, aber langsam wäre ein neuer nicht schlecht gewesen. Nun... es lag einer in greifbarer Nähe. Jedenfalls war Zack dieser Ansicht. „F.E.R.I.E.N., Seph! Wir haben 4 Wochen Ferien!“ Er strahlte. „Keine Schreibtische, keinen Papierkram, Ferien!!“ Der Gesichtsaudruck des Angesprochenen veränderte sich um keinen Millimeter, obwohl er innerlich schon wieder den Kopf über Zack schüttelte. Was da so enthusiastisch als „Ferien“ bezeichnet wurde, trug im Kopf des Generals den Namen: „Teilnahme als Trainer für ein Mitglied der neuen ShinRa Spezialeinheit „Projekt B 14 / BW“ im Gelände.“ „Projekt B 14“ bestand erst seit kurzem, war SOLDIER untergeordnet und besaß eine so ungewisse Zukunft, dass sich Sephiroth als oberster Befehlshaber im Rahmen des 4-wöchigen Geländetrainings selbst ein Bild davon machen wollte, ob und in welchem Maße eine Weiterführung des Projektes sinnvoll sei. Heute, an diesem strahlenden Morgen, waren die beiden Offiziere unterwegs um die Person abzuholen, mit der sie die nächsten 4 Wochen verbringen – und aufgrund deren Leistungen die Zukunft des Projektes entschieden werden würde. „Ich werde nur faulenzen! Oh, und essen! Und schlafen...“ Zack seufzte genießerisch. „Viel schlafen. Vorschlafen. Und essen.“ „Darf ich fragen, wie du mit dieser Methode vorwärts kommen willst?“ „Wieso? Du nimmst auf dem Rückweg einfach dieselbe Route und ihr lest mich wieder auf...“ Sephiroth setzte zu einer Antwort an, aber sie sollte nie ausgesprochen werden. Stattdessen erklang ein zutiefst erschrockener, von oben kommender Schrei. Die Zeit reichte nicht aus, um sich nach Ursache und/oder Urheber zu erkundigen. Irgendetwas dunkles verdeckte für einen Sekundenbruchteil das Blickfeld des Generals, dieser reagierte blitzschnell... und fing es auf. Nicht gerade etwas, das der durchtrainierte Schwertkämpfer als „schwer“ bezeichnet hätte. Aber es strahlte eine ungeheure Wärme aus. Und es war zweifellos... lebendig. Zack blickte völlig verblüfft auf den unerwarteten Inhalt in Sephiroths Armen. Was da vom Himmel (bzw. vom Dach eines Gebäudes) gefallen und sich dabei nur durch unwahrscheinliches Glück nicht den Hals gebrochen hatte, war ein weiblicher Teenager. Körpersprache und Gesichtsausdruck waren sich völlig einig: „Das überleb ich nicht!“. Zacks Blick wanderte von seinem Vorgesetzten zu der jungen Frau, dann fixierte er das Dach, streckte die Arme aus... „Ich auch, ich auch!!“ Sephiroth betrachtete mit perfekt beherrschtem Gesichtsausdruck das warme Lebewesen in seinen Armen und bestritt völlig unbemerkt einen erbitterten Kampf mit sich selbst, dem der fast unbeugsame Wunsch zugrunde lag, den Teenager einfach fallen zu lassen. Dazu trieb ihn nicht etwa Boshaftigkeit, sondern unzählige im wahrsten Sinne des Wortes „einschneidende“ Begebenheiten seines bisherigen Lebens. Das Ergebnis war nicht weiter verwunderlich. Sephiroth hasste es, berührt zu werden. Wenn die Situation es jedoch erforderte, hielt er den Kontakt aus ohne eine Miene zu verziehen. Die aktuelle Lage betreffend... Er räusperte sich mit Nachdruck. „Aufwachen, Dornröschen!“ scherzte Zack, seines Erachtens nach äußerst hilfreich. Ein Augenlid öffnete sich ruckartig und offenbarte eine in Angst geweitete Pupille, bevor es sich blitzartig wieder schloss. Erneute Bewegungslosigkeit. Dann öffneten sich langsam beide Augen, offenbarten tiefe Verwunderung. Kein Schmerz? Die junge Frau entspannte sich etwas. Dann realisierte sie das Gesicht über sich. Intensives, von Mako durchtränktes grün, nur unterbrochen von einzelnen, silbernen Haarsträhnen funkelte ihr zwischen einer Haut wie Porzellan entgegen. Der Gesichtsausdruck des Teenagers änderte sich augenblicklich. Aus „Das überleb ich nicht!“ wurde: „Bin ich in noch größeren Schwierigkeiten?“ Und dann weiteten sich ihre Augen in jähem Schock, als ihr bewusst wurde, wer sie aufgefangen hatte. Die junge Frau sog hörbar die Luft ein – und kämpfte sich dann so unkoordiniert und planlos frei, dass ihre Flucht zunächst einmal auf dem Hosenboden mitten auf dem regennassen Weg endete. Mit Augen, die sonst nur erwachende Träumer aufsetzen, blickte sie zu dem berühmten General empor, der sie seinerseits nicht aus den Augen ließ. Entsetzt kam sie wieder auf die Beine und raste davon, an den Gebäuden vorbei... bremste, wandte sich um, fixierte eines der Gebäude, jagte zurück, zur Tür, riss diese auf und war nur Sekundenbruchteile später verschwunden. Sephiroth atmete auf und entspannte sich. Neben ihm bekam Zack einen Lachanfall. Der General machte sich einen mentalen Vermerk, Sicherheitsgitter an den Dächern anbringen zu lassen. Hohes Sicherheitsgitter. Zack amüsierte sich immer noch. „War das ein Angriff oder eine Anmache?“ Er wischte sich die Lachtränen aus den Augen. „Wenn es eine Anmache war, dann eine ziemlich gute. Ich kann nicht mehr...“ „Wir kommen zu spät!“ Sephiroth setzte sich zügig in Bewegung. Zack folgte ihm, immer noch kichernd. „Ich seh´ schon die Schlagzeile in den ShinRa News vor mir: `Legendärer General Crescent von Fan angefallen´!“ Sephiroth rollte mit den Augen und betrat das Gebäude ohne sich weiter um Zack zu kümmern. Die junge Dame war genau hinter derselben Tür verschwunden. Vermutlich würde es gleich ein Wiedersehen geben. Kapitel 2: Kapitel 2: Tanz der Fortuna -------------------------------------- Wild durcheinanderredende Zivilisten, die ihre Sprösslinge verabschieden wollten, bevor diese in die unberechenbare Wildnis... das Geländetraining entlassen wurden, und dem General wesentlich sympathischere, schweigende Stuhlreihen füllten den Raum. Sephiroth lehnte sich betont unauffällig an die Wand neben der Tür und nahm eine passive Haltung ein, die seinen Wunsch, nicht angesprochen zu werden, deutlich machte. Neben ihm ereiferte sich Zack halblaut über die herrschende (scheußliche) Mode. Sephiroth blinzelte. Wenigstens sah der Mann neben ihm aus, wie einer der berühmten 1st Class SOLDIERs, auch, wenn er immer noch klang wie... ein Zack. „Wo ist denn der Hexenmeister?“ Zack sah sich suchend um, aber Azrael Geryll war nirgends zu sehen. Was nichts zu sagen hatte. Dies hier war zweifellos seine Show, auch wenn die Zivilisten es momentan vorzogen, mit unverhohlener Neugier den General anzustarren. Sephiroth ignorierte es mit routinierter Gewohntheit. Diese Sorte Aufmerksamkeit begleitete ihn schon sein ganzes Leben lang. Er hatte gelernt, damit umzugehen. „General.“ Ein Mann der genauso gut Zivilist (aber mit wesentlich besserem Kleidungsgeschmack) hätte sein können, salutierte vorschriftsmäßig und Sephiroth öffnete die Augen und nickte. „Fangen Sie bitte bald an, Geryll, meine Zeit ist knapp bemessen.“ „Natürlich.“ Sein lächeln wirkte wie ein 1:1 Spiegelbild zu dem Ausdruck seiner Augen, freundlich und offen. Er sah sich um, schüttelte den Kopf. „Scheußlich die aktuelle Mode, oder?“ Während Zack anfing zu kichern, folgte Sephiroths Blick dem davoneilenden Scheinzivilisten. Azrael Geryll. Innerhalb des ShinRa Universums genoss er das fast uneingeschränkte Vertrauen vieler Offiziere, selbst zu dem eigenwilligen Präsidenten hatte er einen relativ guten Draht. Außerhalb von ShinRa war Geryll nicht mehr als ein „durchgedrehter Spinner“, den andere sofort mit einer Zwangsjacke versehen und vollgepumpt mit Beruhigungsmitteln in einen gepolsterten Raum gesperrt hätten. Vor einigen Jahren hatte ihn das Schicksal vor den Toren ShinRa´ s abgesetzt und es war es ihm gelungen, sich hier ein bequemes Nest einzurichten. Azrael Geryll, über dessen Vergangenheit kaum etwas bekannt war, der scheinbar durch Wände gehen und sehen konnte, der „Hexenmeister“ und bislang einziger Lehrer aller Teilnehmer des „Projekt B 14 / Blue Wanderer“, dem Grund für Sephiroths und Zacks momentane Anwesenheit. Geryll nahm seinen Platz hinter dem Rednerpult ein, begrüßte die Anwesenden, sprach noch ein paar belanglose Worte, dann bat er seine Schüler auf die Bühne. 8 weibliche Teenager in dunkelblauen ShinRa Uniformen betraten die Bühne und nahmen sehr gefasst auf den dort aufgestellten Stühlen Platz. „Hm... Irgendwelche Wünsche, General?“ wisperte Zack, aber Sephiroth ließ sich zu keinem Kommentar herab. Seine Aufmerksamkeit galt dem bisher leeren Stuhl Nr. 9, der sich eben mit merklicher Verspätung hektisch füllte. Dieses Mädchen... Zack begann breit zu grinsen. Der Blick des Generals hingegen glitt prüfend über die 9 Teenager. Völlig unabhängig von allen bisherigen Erfolgen und der Tatsache, dass es sich hier um die Besten von weit über 100 Bewerbern handelte – die folgenden Wochen würden hart werden. Auf der Bühne erklärte Azrael gerade einer Freiwilligen aus dem Publikum die Regeln der Auslosung, und dann, in absoluter Stille... begann es. Die ersten Namen und Gruppennummern wurden verlesen. Alles verlief ruhig und ohne Zwischenfälle, bis... „Neesha Kvir“. Die Angesprochene erhob sich mit arroganten Selbstsicherheit und stand im augenblicklichen Blitzlichtgewitter von mindestens 2o Kameras. Diese völlig ignorierend suchte sie gezielt nach dem Blick des Generals, versuchte, ihn einzufangen, zu beherrschen, ihm ihre Perfektion mitzuteilen... Eine Trainernummer wurde aufgerufen, und Sephiroth wusste, dass es gleich Ärger geben würde. „Ziehen Sie nochmal!“ Kvirs Augen lösten sich nicht einen Sekundenbruchteil von ihm. „Bitte?“ lachte die arme Freiwillige auf der Bühne, die gezogene Nummer noch in der Hand. „Sind Sie taub?!“ fauchte Neesha und funkelte die Frau wütend an. „Werfen Sie die Nummern zurück in diese blöden Kästen und dann ziehen Sie nochmal!“ „Neesha, bitte!“ Azraels Stimme klang freundlich wie immer. „Wir haben das doch ausreichen diskutiert.“ „Sehr richtig, und Sie kennen meinen Standpunkt!“ „Und du meinen.“ Er nickte der Frau zu. „Machen Sie bitte weiter.“ Kvir starrte Geryll wütend an, die Hände zu Fäusten geballt, ihre Augen schienen ihn förmlich zu zerfleischen. Sichtlich verärgert ließ sie sich wieder auf ihren Stuhl fallen. „Wow“, flüsterte Zack. „Gut, dass du die nicht gefangen hast!“ Sephiroth ersparte sich jede mögliche Antwort. Auf der Bühne ging die Auslosung weiter. „Cutter Tzimmek.“ „Aha“, machte Zack als sich die Bekanntschaft von vorhin unsicher und blass vor Aufregung erhob. Die Trainernummer wurde gezogen und verkündet. Heftiges, ungläubiges Getuschel setzte auf der Bühne ein. Das Mädchen namens Cutter hob den Kopf, suchte nach dem längst von allen anderen bemerkten winken... und wurde noch eine Spur blasser. Zack winkte nicht nur. Gleichzeitig grinste er noch, frech und so breit, dass seine Ohren fast Besuch bekamen. Cutter ließ sich wieder auf ihren Stuhl fallen, wo sie mit rot glühendem Kopf ins Leere starrte, nahezu durchbohrt von den neidisch entrüsteten Blicken ihrer Mitschülerinnen. Die letzten Ziffern wurden verlesen, dann trat Azrael wieder ans Pult, schickte seine kleine Klasse zurück in den Raum hinter die Bühne und bat die Trainer nach vorne zu kommen, um erforderliche Unterlagen abzuholen. Zügig, fügte er in Gedanken hinzu. Ich muss noch eine Katastrophe verhindern. Als er wenige Minuten später die Tür zu dem Raum hinter der Bühne öffnete, zeigten ihm seine Augen das erwartete Bild. Neesha Kvir und Cutter Tzimmek standen genau voreinander und verbreiteten die entspannte Stimmung von brennenden Dynamitstangen. Die anderen Teenager wahrten geschlossen den größtmöglichsten Sicherheitsabstand. Azrael beschloss einzugreifen, bevor Blut floss. „Meine Damen, bitte!“ Man konnte nicht mit Gewissheit sagen, welchem der beiden letzen Worte er die stärkere Betonung zukommen ließ. Neesha wandte mit einem strahlenden lächeln den Kopf. „Azrael! Gut, dass Sie kommen. Wir hätten Sie gleich aufgesucht. Cutter möchte gerne die Trainer mit mir tauschen.“ Ein im Grunde völlig überflüssiger Blick zu Cutter – diese schüttelte langsam aber bestimmt den Kopf. „Kurioserweise habe ich Zweifel, Neesha.“ „Aber Azrael, verstehen Sie nicht? Ich bin viel besser für diesen Platz geeignet als sie.“ „Kein Wort mehr!“ Er würde sich nicht auf Diskussionen einlassen! Neesha und Cutter... die Klassenbeste und das Schlusslicht... Gegensätzlicher ging es kaum. Und jetzt hatte Cutter den von ihrer Konkurrentin so begehrten Platz erwischt. Azrael konnte Neeshas Gefühle verstehen – aber ihr jetziges Verhalten ging zu weit. Mit wenigen, aber äußerst klaren Worten gelang es ihm, die 100%ige Aufmerksamkeit der Teenager auf sich zu ziehen, und als er wieder schwieg, tobten Wut und Panik, vermischt mit Stolz in Neeshas Blick. „Mich... ausschließen?!“ Ihre Stimme zitterte, ihr Gesicht war gerötet, ihr Atem ging stoßweise. „Das können Sie mit mir nicht machen! Ich bin eine Kvir! Die Beste von all den Versagern hier! Ich gehöre zu den besten Trainern! Es ist meinPlatz!“ Azrael holte tief Luft. Die Drohung zeigte – wie erwartet – nur die halbe Wirkung. „Nein. Es hätte dein Platz sein können. Und die anderen sind keinesfalls Versager, aber ja, du bist Klassenbeste. Schade, dass du dich nicht entsprechend verhältst.“ Neesha schluckte heftig und senkt dann ganz langsam den Blick. „Ihr habt“, fuhr Azrael fort, „alle gute Trainer. Ausnahmslos!“ Er schwieg einen Moment. „Ich gehe davon aus, dass nur dein Temperament mit dir durchgegangen ist, Neesha. Sollte allerdings noch einmal etwas ähnliches vorkommen, bist du draußen. Klar?“ Es war ihm ernst, kein Zweifel. Neesha nickten, gegen ihren eigentlichen Willen, mit weiß glühendem Feuer der Wut im Herzen. Es war ihr Platz. Und Cutter, dieses unbegabte Miststück, hatte ihn ihr weggenommen! Dafür würde sie büßen. Azrael verteilte noch ein paar letzte Ratschläge an seine Schülerinnen, bevor er sie wieder nach draußen schickte. Cutter allerdings rief er noch einmal zurück. „Alles in Ordnung?“ Sie nickte routiniert. Auseinandersetzungen dieser Art waren normal – wenn auch selten so heftig. „Du hast dich nicht verunsichern lassen. Das zeigt mir, dass du den Platz hier wirklich willst. Aber Cutter... das hier ist deine letzte Chance. Mach das Beste draus. Versuch erst zu denken und dann zu handeln.“ Erneutes, wissendes nicken. Die Hoffnung auf ein alles veränderndes Ereignis würde die 4 Trainingswochen dominieren. Azrael lächelte ihr aufmunternd zu. „Bis in 4 Wochen, Cutter. Und viel Vergnügen.“ Er sah ihr nach wie sie in der offenen Tür verschwand. Die Karten waren also verteilt, seine Schülerinnen untergebracht. Wenigstens in diesem einen Punkt hatte Neesha recht gehabt: General Sephiroth und 1st Class SOLDIER Zack Fair waren wirklich die stärksten Trainer. Und Cutter würde die nächsten 4 Wochen bei ihnen verbringen. Azrael lächelte flüchtig. Bisher verlief alles nach Plan. „Soooo...“, Zacks grinsen wurde noch eine Spur frecher. Von Sephiroth fehlte jede Spur. „Cutter Tzimmek ist also dein Name.“ Er legte den Kopf schief und lachte. „Du bist so niedlich, darf ich Cutter-chan zu dir sagen?“ „J... ja, Sir. Wenn Sie möchten, Sir.“ Nicht rot werden, nicht rot werden... Mist. „Großartig! Mein Name ist Zack Fair, 1st Class SOLDIER.“ Er drückte ihre Hand, und der Teenager war erstaunt über die Sanftheit des Griffes, obwohl Zacks Muskeln verrieten, dass er ihr mit derselben Bewegung problemlos alle Finger hätte brechen können. „Ok...“, er sah sich gespannt um, „und wo bleibt die Horde Familienangehöriger, die mich mit Fragen bestürmt?“ Alle anderen Trainer waren umgeben von wild durcheinanderredenden Zivilisten. „Nur her damit, ich bin bestens vorbereitet. “ Aber es würde, wie Cutter nervös informierte, keine geben, und als sich Zack verblüfft nach dem Grund erkundigte, zuckte der Teenager vor ihm lediglich mit den Schultern. „Sie sind immer sehr beschäftigt, Sir.“ „Verstehe. Schade. Hm, hör mal, Cutter-chan, wir können leider erst morgen früh los. Unvorhergesehene Ereignisse.“ „Verstanden, Sir!“ „Gut. Wir holen dich dann morgen früh Punkt 0800 vor deinem Quartier ab. Bis morgen, Cutter-chan!“ Der 1st eilte davon. Der Teenager blieb noch einen Moment regungslos stehen. Der Raum um sie herum, summend von Stimmen unterschiedlichster Lautstärke und Betonungen, völlig auf sich selbst konzentriert, schien ein regelrechtes Eigenleben entwickelt zu haben. Niemandem nahm Notiz davon, als sie sich davonstahl. Cutter schloss die Tür ihres Quartiers hinter sich und ließ ihre Tasche auf den Boden fallen. Allein zu leben hatte durchaus Vorteile... Azraels Appelle an ihre Klassenkameradinnen, sie in eines der anderen Zimmer aufzunehmen, waren an einem Wall aus Sturheit abgeprallt und leise wimmernd ins bodenlose Meer der Arroganz gesunken. Vermutlich sanken sie sogar immer noch, einem endlos fernen Grund entgegen. Andererseits... wer schleppte schon gerne Ballast mit sich herum? Während ihre Klassenkameradinnen konsequente Erfolge in der Ausbildung vorweisen konnten, lieferte Cutter etwas ab, das Azrael optimistisch als „ruckartige Lichtblitze in der Dunkelheit“ beschrieben hatte. Dennoch... aufgeben kam nicht in Frage. In den folgenden 4 Wochen würde sie alles geben, alles! Ihre beiden Begleiter jedenfalls sahen nicht aus, als ob sie sich von einem schusseligen Teenager aus der Bahn werfen lassen würden. Als keine Antwort auf Zacks fast behutsames klopfen erklang, öffnete er die Tür mit einem endlos scheinenden Zahlencode und betrat das Appartement. Sein leises „Seph?“ blieb unbeantwortet, und so machte er sich auf die Suche. Er wurde schon bald fündig. Sephiroth lag auf der schwarzen Ledercouch, seine bevorzugte Waffen neben sich, und schien zu schlafen. Das Geräusch, als sich Zack vorsichtig einen Stuhl heranzog, war minimalst. Aber Sephiroths Augenlider öffneten sich blitzartig, gleichzeitig ruckten Kopf und Oberkörper hoch, die linke Hand fuhr gedankenschnell zum Schwertgriff... „Ich bin´s“, sagte Zack ruhig, und Sephiroth ließ sich zurück auf die Couch sinken. „Überfälle wie diese sind nach wie vor deine Spezialität.“ Zack grinste. „Ich hab lange und hart dafür trainiert.“ Er ließ sich auf dem Stuhl nieder. Sephiroth warf ihm einen undefinierbaren Blick zu und schloss abermals die Augen, vom schweigenden Zack beobachtet. Der General, das konnte niemand abstreiten, war eine beeindruckende Persönlichkeit mit unglaublichen Fähigkeiten, aber eine Makobehandlung brachte auch ihn an seine körperlichen Grenzen. Zack kannte die unangenehmen Nebenwirkungen von seinen eigenen Behandlungen. Sie verschwanden zwar nach ein paar Stunden Ruhe, solange sie jedoch anhielten, waren sie nicht zu unterschätzen. Mako... eine seltsame Substanz. Sie machte einen erschreckend stark, aber zwischendurch auch wieder endlos schwach... Was Zack an etwas erinnerte. Verheißungsvoll ließ er die mitgebrachten Tüten, aus denen verführerischer Essensgeruch drang, rascheln. Ungewöhnlich starkes Hungergefühl gehörte ebenfalls zu den Nebenwirkungen. „Ich kann mich selbst versorgen, Zackary.“ „Ich weiß“, antwortete der Angesprochene und wartete unerschrocken und geduldig ab, bis ihm die Tüte abgenommen wurde. Während sie schweigend aßen, lauschte Sephiroth in sich hinein. Lange würde es nicht mehr dauern, bis alle seine Sinne wieder so wach und scharf wie gewöhnlich arbeiten würden. Mittlerweile blätterte Zack in den von Azrael ausgehändigten Dokumenten. Neben diversen Geländebeschreibungen und einem Logbuch gab es auch eine dünne Mappe mit der Aufschrift „Tzimmek, Cutter“. Enthalten waren neben den üblichen Unterlagen auch etliche vorhergegangene Beurteilungen. Eine davon war verblüffend. „Höchstpunktzahl in Sachen Beweglichkeit?!“ Zack suchte ungläubig nach dem Namen des Ausbilders. Der Mann war bekannt für seine harten, aber gerechten Urteile. „Wow. Meint man gar nicht, wenn man sie sieht.“ Er grinste. „Oder fängt.“ Die weitere Lektüre senkte seine Begeisterung auf ein relativ normales Level. Cutters restliche Bewertungen waren extrem schlecht. „Mir scheint“, sagte er dann doch ziemlich erheitert, „wir haben wirklich das Oberschussel erwischt.“ „Was sich mit ihrem ersten Auftritt deckt.“ Zack gelangte zu der von Azrael verfassten Abschlussbemerkung. Freundlich formuliert, aber sehr deutlich. Die Überschrift hätte "Vorsicht! Unberechenbarer Teenager!" lauten können, und in den nächsten 4 Wochen würde es um Aufgaben gehen, denen das Mädchen nicht gewachsen war. Es versprach, interessant zu werden. Der 1st grinste. „Wart´ s ab, die Kleine ist ein völlig anderer Mensch, wenn wir mit ihr fertig sind!“ Kapitel 3: Kapitel 3: Sein und Schein ------------------------------------- Der nächste Morgen schon zeigte, wie viel Ehrgeiz sie in die Umsetzung der gestrigen Worte würden legen müssen, denn Cutter hatte nicht nur völlig verschlafen, sondern auch noch auf der Suche nach irgendetwas ihre Taschen wieder vollständig ausgeräumt. Es verging fast eine halbe Stunde, ehe sie zusammen mit Zack das Gebäude verlassen und vorschriftsmäßig vor dem auf dem Beifahrersitz des Jeeps sitzenden General salutieren konnte. Einem inneren Bedürfnis folgend nutzte sie die Gelegenheit auch aus, um sich für die bisherigen Patzer zu entschuldigen und Besserung zu geloben. Sephiroth sah den Teenager an, nahm die Gegensätzlichkeiten ihrer Aussage und ihres äußeren Erscheinungsbildes (vor allem die um den Hals baumelnden Kopfhörer eines MusicPlayers) wahr, beschloss, ihr vorerst kein Wort zu glauben – ließ sich das aber nicht anmerken. Sie brachen auf und ließen das ShinRa Gelände und die Stadt Midgar problemlos hinter sich zurück. Zack wollte sich in Richtung Norden wenden, wo sie nach einer Tagesreise das Trainingsgelände erreichen würden. Aber Sephiroth durchkreuzte diese Pläne völlig unvermittelt, und Zack lenkte den Jeep, dem neuen Befehl folgend, nach Westen. Sie würden also nicht zum Trainingsgelände fahren. Noch nicht? Oder gar nicht? Warum? Alle Versuche, ein belangloses Gespräch anzufangen, scheiterten. Hin und wieder flackerte etwas in Sephiroths makogrünen Augen auf, aber da Zack das Fahrzeug lenkte, gelang ihm keine akzeptable Definition. Irgendwann war er die Ruhe innerhalb des Wagens leid und begann, Cutter über alles mögliche auszufragen. Sein ´Opfer` antwortete immer, blockte aber alle ihre Familie betreffenden Fragen sanft ab oder umging sie durch geschickte Gegenfragen, was zwar auffiel, aber nicht weiter störte. Auch Teenager hatten ein Recht auf Geheimnisse. Etwas allerdings war der 1st nicht bereit, länger hinzunehmen. „Cutter-chan, bitte, vergiss das `Sir´ und nenn mich Zack, wie alle anderen auch!“ Es dauerte einen Augenblick lang, ehe der Teenager antwortete. „Ja, Zack-sama!“ Zur ihrer Überraschung begann dieser schallend zu lachen. Verunsichert wandte sie an den General. „Sir? Habe ich was falsch gemacht?“ „Nein“, antwortete Sephiroth ohne sich umzusehen. „Aber vermeide in Zukunft das Wort „sama“ in Bezug auf Zack.“ Selbigem warf er einen warnenden Blick zu. „Nur noch ein bisschen“, kicherte Zack vergnügt. Die Fahrt war erschreckend langweilig. Nach etlichen Stunden machten sie auf Cutters Bitte hin Halt, und als der Teenager eilig hinter ein paar großen Felsen verschwunden war, wandte sich Zack an Sephiroth. „Also... ich habe eine verblüffende Entdeckung gemacht. Wenn wir diese Richtung beibehalten, landen wir genau in der Ter-Region, wo jetzt schon vier SOLDIER verschwunden sind, und...“ „Fünf.“ „Fünf?“ wiederholte Zack mit einer Mischung aus Verblüffung und Entsetzen. „Seit letzter Nacht.“ Sephiroth fixierte den fernen Horizont, und während in seinen Augen der gewohnt distanzierte Ausdruck lag, meinte Zack doch, unter der fast herablassend ruhigen Betonung seiner Worte gefährlichen Ärger brodeln zu hören. „Und ich werde dafür sorgen, dass es nicht mehr werden!“ Zack nickte langsam. Er kannte die Berichte. Die Gegend war aus etlichen Gründen interessant für ShinRa, aber alle Versuche näherer Untersuchungen hatten mit dem gleichen, bestürzenden Ergebnis geendet: heftige, urplötzliche Kampfgeräusche, gefolgt vom abreißen des Funkkontaktes. Bislang keinerlei Hinweise auf den Täter. Und jetzt das. „Weißt du“, begann er dann halblaut, „wenn wir zwei diese Sache alleine angehen würden...“ „Keiner meiner Leute wird dort mehr sterben!“ Wenn Sephiroth diesen Tonfall anschlug, war jede Diskussion sinnlos. Opfer bringen, ja, das ließ sich manchmal nicht vermeiden. Aber keine sinnlosen. „Geht klar. Wir erledigen es, egal was es ist.“ Sie setzten ihren Weg fort, und die beiden SOLDIER nutzten die folgenden eher belanglosen Tage aus, um sich ein Bild von Cutters Stärken und Schwächen zu machen. Schnell mussten sie feststellen, dass der Teenager nicht besonders viel vorzuweisen hatte. Abgesehen von der in diesem Alter typischen (und erwarteten) Unerfahrenheit kamen große Konzentrationsprobleme hinzu, von ihrer Schusseligkeit ganz zu schweigen, außerdem erwies sie sich als nur bedingt teamfähig. Was die geheimnisvolle Welt der Lines anging... Cutter beschrieb es zerknirscht als eine Art „Mauer“, undurchdringlich und allgegenwärtig. Hin und wieder gelang es ihr aus unbekannten Gründen, das Hindernis zu überwinden, und dann waren ihre Angaben präzise und kamen ohne zu zögern, das Konzentrationsdefizit war wie weggeblasen, und von der üblichen Schussligkeit war kaum etwas zu spüren. In 9 von 10 Fällen allerdings gelang es ihr nicht, diese „Mauer“ zu überwinden. Mentale Blockade, vermerkte Sephiroth lautlos. Nur aufhebbar durch Spezialisten... oder einen selbst. Abgesehen von all diesen Schwachstellen wies der Teenager allerdings auch Stärken auf, zu denen große körperliche Beweglichkeit, sowie eine Extraportion Kreativität, Mut und Beharrlichkeit zählten – sofern ihr ihre Schussligkeit nicht einen Strich durch die Rechnung machte. Sephiroth fragte sich anlässlich dessen mehr als einmal, wie es dem Mädchen bisher gelungen war, zu überleben. Vermutlich hatte sie bloß Glück gehabt. Der General war zu sehr erfahrener Kämpfer, um sich auf so etwas launisches wie Glück zu verlassen, und so ließ er den Teenager nicht aus den Augen. Kein unübliches Verhalten. Aufmerksames beobachten und zuschlagen im richtigen Moment, das durchschauen von Zusammenhängen bevor andere überhaupt eine Existenz derselbigen realisierten, schneller, besser, stärker sein als der Rest... Er war darauf konditioniert, zu überleben und die Ruhe selbst zu sein, wenn die ganze Welt um ihn herum in Panik geriet. Von letzterem war Cutter immer nur einen halben Herzschlag entfernt. Und ihre Tollpatschigkeit beschwor bemerkenswerte Situationen herauf... „Schraubenschlüssel... Danke.“ Bearbeitungsgeräusche. Dann zwängte sich Zack unter dem Jeep hervor, baute sich vor dem Fahrzeug auf und starrte in den Motorraum. „Gut“, murmelte er ohne aufzusehen. „Starten, aber kein Gas geben.“ Zwei Sekunden später kreischte der Motor entsetzt auf. Zack sah nicht aus, als sei er überrascht. „Kein Gas, Cutter-chan.“ „Entschuldigung!!!“ Ein paar Schritte entfernt saß Sephiroth auf einem großen Stein und blickte abwartend, aber nicht erwartungsvoll zu den beiden hinüber. Dann schrieb er einen letzten Satz in Cutters Logbuch, schloss es, und ließ seinen Blick über die Kampfspuren in der näheren Umgebung schweifen. Eigentlich merkwürdig, dass es so lange gedauert hat... Nun ja, ein Monster weniger. Er wandte den Kopf. Und, fügte er bei dem sich ihm bietenden Anblick sarkastisch hinzu, einen Jeep. Mit Cutter auf Nachtwache war so gut wie alles möglich (außer Schlaf), und in der vergangenen Nacht hatte das Schicksal in Monstergestalt zugeschlagen. Es zu töten, war kein Problem gewesen. Dummerweise war es, durch einen erneuten Fehler von Cutter, genau über dem Jeep zusammengebrochen. Selbigen erklärte Zack gerade vergnügt für endgültig verstorben. Sephiroth, kaum erschüttert, nickte nur. Sein Blick wanderte in den Innenraum des völlig zerbeulten Wagens, wo das auf dem Fahrersitz hockenden Häufchen Elend namens Cutter sich gerade energisch über die verdächtig glitzernden Augen fuhr, was eine schwarze Ölspur auf ihrem Gesicht zurückließ. „Yo, Cutter-chan. Dieser Kampf ist vorbei, spar dir die Kriegsbemalung auf für nächstes Mal“, scherzte Zack während er seine eigenen Hände reinigte. Der Teenager schüttelte zutiefst niedergeschlagen den Kopf. „Es tut mir so leid“, flüsterte sie deprimiert. „Ich hab´ s total verbockt! Ich...“ „Ach was, alles halb so schlimm.“ Er wuschelte ihr tröstend durch die Haare. „Versuch´ s einfach nächstes Mal besser zu machen.“ Cutter nickte tapfer, alle Willensstärke zusammennehmend um nicht in Tränen auszubrechen. Ausgerechnet ihr musste das wieder passieren... Typisch! Und dann auch noch in Gegenwart des berühmten Generals, dessen geheimnisvoller (oder doch eher vernichtender?) Blick immer noch auf ihr lag. ShinRa war kein Spielplatz. Sephiroth verlangte von jedem, inklusive sich selbst, täglich Höchstleistungen im Rahmen des möglichen, und wenn es nicht anders ging, auch darüber hinaus. Konnten diese Erfolge nicht geleistet werden, so erwartete er entweder gute Gründe – oder echte Betroffenheit. Bei Cutter lag eindeutig letzteres vor. Aber auch die größte Niederlage, das wusste Sephiroth, konnte etwas positives beinhalten. Er trat ans ruinierte Beifahrerfenster. „Nun?“ Seine Stimme klang abwartend. „Was hast du gelernt?“ „Es reicht nicht aus, nur die Umgebung vor einem im Auge zu behalten, Sir“, lautete die zerknirschte Antwort. „Hin und wieder sollte man sich auch umdrehen.“ Ein paar Sekunden herrschte Stille. „Zitterst du meinetwegen, Tzimmek?“ „Ja, Sir. N... nein, Sir.“ Es war die verdammte Anspannung, und der Wunsch, die Situation endlich hinter sich zu bringen um wieder frei atmen zu können. „Sondern?“ Überraschenderweise hob der Teenager entschlossen den Kopf und sah ihm direkt in die Augen. „Ich habe einen Fehler gemacht, Sir, und akzeptiere jede Bestrafung.“ Als hättest du eine andere Wahl... Heiterkeit irrlichterte für einen Sekundenbruchteil durch den Blick des Generals. „Wärst du sehr enttäuscht, wenn es keine Bestrafung gäbe? Außer laufen, natürlich.“ Er hatte schon viele verblüffte Gesichtsausdrücke gesehen, aber Cutter stellte gerade einen neuen Rekord auf. In ihren Augen stand es förmlich geschrieben. Keine Strafe? Ernsthaft? „Du hast etwas gelernt, Tzimmek“, fuhr Sephiroth fort. „Deshalb unternehmen wir solche Touren. Du sollst Fehler machen. So viele wie möglich, damit du später, wenn du auf dich allein gestellt bist, weniger machst. Am besten gar keine. Also nutz uns aus!“ Er wandte sich um und ließ einen Teenager zurück, in dem alle bedrückenden Gefühle durch Erleichterung ersetzt wurden. Es ist ok, dachte Cutter. Ich darf nur nicht zu oft denselben Fehler machen... Sie sah dem Mann, der ihre Erwartungen Lügen gestraft hatte, nach. Du... bist so anders, als ich dachte. Die Medien stellten General Sephiroth Crescent stets als kaltherzigen, gerissenen Strategen dar. Jemand gnadenloses, mit dem man sich nur anlegen sollte, wenn man Interesse an einem frühen Tod hatte. Und das mochte der Wahrheit entsprechen. Aber es waren, das begann Cutter langsam zu begreifen, Wesenszüge, die nur einen Teil des gesamten Charakters ausmachten. Sephiroth hätte sie ebenso gut hart bestrafen können. Was nicht geschehen war. Sicher, als Kadettin mochte der Teenager noch eine Art „Welpenschutz“ genießen, aber das hinderte Cutter nicht daran, eine bedeutende Entscheidung zu treffen. Nämlich die, vorsichtig anzufangen, Sephiroth zu mögen. Ich wünschte, ich könnte dir eines Tages von Nutzen sein... Zacks vergnügte Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Aber wenn du drauf bestehst...“, er kniff grinsend ein Auge zu, „wir könnten dir den Jeep Stück für Stück vom Kadettengehalt abziehen, und...“ „Zack!“ unterbrach Sephiroth energisch, bevor der 1st wirklich in Fahrt kam. „Also gut. Wir brauchen Vorräte. Wo befindet sich die nächste Ortschaft, Tzimmek?“ Eine Aufgabenstellung, die mit Hilfe der Lines kein Problem darstellte. Gespannt beobachteten Sephiroth und Zack den sichtlich konzentrierten Teenager. Cutter gab sich alle Mühe. Sie wusste, wonach sie suchen, wie es aussehen und sich anfühlen musste. Die farbigen, über- und untereinander fließenden Energielinien, die ihren Geist an jeden Ort der Welt bringen, jede nur verfügbare Information vermitteln würden... Bunte Energiebahnen, aneinandergeschmiegt oder frei laufend, sanft pulsierend, eine unvergleichliche Ruhe verströmend. Ein berührender, atemberaubend schöner Anblick, der... ihr einmal mehr verwehrt blieb. Niedergeschlagen sah sie zu den beiden SOLDIER hinüber und schüttelte frustriert den Kopf. Sephiroths Blick verweilte einen Moment lang auf ihr, scharf und durchdringend. Dann ging er zu Plan B über und entrollte eine Karte auf der zerbeulten Motorhaube. Wenig später wanderte die kleine Gruppe durch eine fast kitschig schöne Landschaft. Ein paar Monster waren dumm genug, sie zu einem Kampf herauszufordern, aber es fehlte ihnen an Größe und Stärke um zu einem echten Hindernis zu werden, und so reichten oft ein paar gezielte Schwerthiebe um den Weg frei zu räumen. Sephiroth und Zack blieben dafür nicht einmal stehen. während sture Arroganz in ihren Augen glitzerte und der Welt versicherte, dass sie sich alles andere als bedroht fühlten. Dem General fiel auf, wie gut Cutter mit dem zügigen Tempo zurechtkam. Sie hatte Kondition! Er fügte das der Liste mit positiven Eigenschaften hinzu. Ihr sonstiges Verhalten allerdings... Er ließ sie gewähren, da sie nicht langsamer wurde, aber angemessen war das grüne Geflecht in ihren Händen trotzdem nicht. Langsam nahm es eine gewisse... bekannte... Form an. Cutter schien sich ihres Handelns nicht wirklich bewusst zu sein, denn irgendwann warf sie dem Geflecht in ihren Händen einen Blick zu und ein verblüffter Ausdruck machte sich auf ihrem Gesicht breit. „Sir?“ Sephiroth hörte aufmerksam zu und wiederholte dann in undefinierbarem Tonfall die Kernaussage der ihm servierten Idee. „Chocobos. Nur mit diesem... Geflecht?“ „Ich reite sie immer so, Sir.“ Sephiroths Blick ruhte abschätzend auf dem Teenager. Die Geschwindigkeit, mit der sie dieses Zaumzeug fertiggestellt hatte, zeugte von Erfahrung, und die Aussicht auf eine Reisebeschleunigung war verlockend, aber Chocobos? Einen Moment lang kämpfte er mit sich selbst. Dann nickte er Cutter zu. „Versuchen wir´ s.“ Kapitel 4: Kapitel 4: Unterwegs ------------------------------- Es gelang ihnen tatsächlich mit erstaunlich wenig Mühe, 3 passende Chocobos zu fangen und ihnen die gräsernen Halfter anzulegen. Die Tiere waren erstaunlich zutraulich, was nicht zuletzt an den von Cutter mitgebrachten Leckerbissen lag. „Ich mag Chocobos gerne, Sir“, antwortete sie auf Sephiroths diesbezügliche Frage. „Und habe daher immer was für sie dabei.“ „Ich mag Chocobos auch gerne“, ließ sich Zack vernehmen. „Am liebsten gebraten und mit Soße oder hübsch angerichtet zwischen zwei Brötchenhälften.“ „In dieser Version“, lenkte Sephiroth ein, „wären sie uns momentan kaum hilfreich.“ „Doch, sie würden meinen leeren Magen füllen...“ Ohne sich auf die drohende Diskussion weiter einzulassen schwang sich Sephiroth auf sein Chocobo. Er rechnete mit Wiederstand, der aber ausblieb. Dann erinnerte er sich, dass einmal gezähmt und erfolgreich eingerittene Chocobos dieses Wissen an ihren Nachwuchs weitergaben. Wilde Rodeoszenen hielten sich somit in Grenzen. „Hey“, Zack strahlte, „ich habe beschlossen meins „Keule“ zu nennen. `Braten mit Soße´ wäre ein bisschen zu lang geworden, außerdem lebt es ja noch.“ In Gedanken schlug Sephiroth den Kopf mehrmals gegen eine Wand, ehe er die Worte des 1st mit einem: „Sehr schön“, quittierte. „Dann können wir ja jetzt aufbrechen.“ Der Ritt auf den Chocobos gestaltete sich problemlos. Die Tiere waren der Umgebung gegenüber ebenso aufmerksam wie ihre Reiter, und ließen sie sich problemlos durch leichte Gewichtsverlagerung oder mit den Zügeln lenken. Sie kamen besser und schneller voran als vermutet, erreichten kurz nach Einbruch der Dunkelheit die auf der Karte verzeichnete, überschaubare und einen freundlichen Eindruck vermittelnde Ortschaft, und wurden mit etwas fast völlig vergessenem konfrontiert: die Läden hatten Öffnungszeiten. Und hielten sich daran! Das geldgierige Midgar war... wirklich verdammt weit weg. „Reines Landleben“, bemerkte Zack grinsend. Sephiroth ging augenblicklich zum Alternativplan über, und nach einer Nacht im örtlichen Wirtshaus versorgten sie sich am nächsten Morgen mit Proviant. etwas professioneller aussehenden Reitutensilien und brachen erneut auf. Alles war in Ordnung. Es gab sogar einen Bonus. Vor Cutters Augen erstreckten sich farblich unterschiedliche, sanft auf und abschwingenden Energiebahnen bis an den Horizont, ihr Puls leicht und ruhig, Informationen über Informationen in sich tragend. Die sonst alles blockierende Mauer war, zum großen Glück des Teenagers, verschwunden. Sephiroth nutzte die Gelegenheit. „In dieser Richtung gibt es einen Fluss, den wir überqueren müssen. Existiert die einzige Brücke noch?“ Der Lebensstrom versorgte die Lines mit Energie – er verlieh ihnen aber auch die Fähigkeit, sich farblich auf einen jeglichen Gegenstand einzustellen. Abhängig von der Masse des Objektes schwankten auch die einzelnen Farbnuancen. Cutter konzentrierte sich. Sie ging von einer nicht gerade aufwendig gearbeiteten Holzbrücke aus, außerdem hatte Sephiroth einen Fluss erwähnt, also suchte das Mädchen in der angegebenen Richtung nach einer cremefarbene Holzline, die von einer blauen Wasserline durchkreuzt wurde. Es dauerte nur Sekunden. „Ja, Sir. Sie ist ein bisschen angeschlagen, unter anderem wegen des Hochwassers, steht aber noch.“ Sephiroth nickte kurz. Die Existenz dieser Brücke ersparte einen zeitraubenden Umweg. Er warf dem Teenager neben sich einen kurzen Blick zu. Cutters Aura verströmte wache Entspanntheit. Wie eine Raubkatze, die sich nach langer Gefangenschaft zum ersten Mal in völliger Freiheit bewegen konnte. Woran mochte es liegen, dass es dem Teenager so selten gelang, diesen Zustand gezielt herbeizuführen? Was löste die mentale Blockade? Er stellte ein paar mögliche Gründe dafür auf, die er im Verlauf der Zeit überprüfen wollte. Sie erreichten die Brücke und gelangten unbeschadet ans andere Ufer. Es war wie der Sprung in eine völlig neue Welt. Staunend betrachtete der Teenager die ihr fremden und teilweise völlig absurden Dinge, Bäume, deren Wurzeln zum Himmel zeigten, während sich am Boden dichtes Laub kräuselte, ein Untergrund, der ständig zwischen Gras, Sand und Steinen wechselte, die seltsamen Pflanzen, fremde Geräusche und Gerüche... „Wow“, murmelte Cutter hingerissen. „Ich hätte nicht gedacht, dass der Weg zum Trainingslager so spannend ist.“ Ich wusste es, dachte Sephiroth gänzlich unüberrascht. „Äh, Cutter-chan...“ Zack grinste fröhlich. „Ich glaube, es gibt da etwas, das du wissen solltest...“ Kurze Zeit später erfüllte ein Schrei die Luft. „ICH BIN AUF EINER ECHTEN MISSION????“ Ja, dachte Sephiroth, und spätestens jetzt wissen alle, dass wir hier sind. Er seufzte leise. Kein Wunder, dass der Teenager in Sachen „Gefahrenmanagement“ laut der Unterlagen nur einen einsamen Punkt erhalten hatte. Hinter ihm beantwortete Zack geduldig alle nur möglichen Fragen. „... jagen wir vermutlich was gefährliches, also bleib bitte immer in Reichweite unserer Waffen, ok? Gut. Sag mal, Cutter-chan... Kannst du dich eigentlich irgendwie verteidigen?“ Die Antwort verleitete ihn zu einem entrüsteten: „Was für eine schäbige Ausbildung!“ Gleichzeitig legte er den Finger auf den Mund und wies grinsend hinüber zu Sephiroth, der sich tatsächlich zu einem Kommentar herabließ. „Ein Blue Wanderer soll im Rahmen der aktuellen Missionen helfen Objekte aufzuspüren, deren Zustand beurteilen und Unterstützung bei strategischer Planung und Koordination leisten, damit Typen wie du nicht draufgehen. Das alles findet für gewöhnlich außerhalb der Kampfzonen statt. Selbstverteidigung ist nicht notwendig.“ „Das hab ich gewusst“, behauptete Zack energisch. „Ich wollte nur wissen, ob du´s auch weißt, Sir. Kannst du eigentlich auch Leute aufspüren, Cuttie?“ „Leider nicht. Die Lines sind nur für Gegenstände da.“ „Schade. Aber...“ er senkte die Stimme zu einem verschwörerischen flüstern, „wenn du willst, bring ich dir bei, wie man mit Materia umgeht!“ Natürlich erntete er ein begeistertes nicken. Es gab ca. 1ooo gute Gründe, Zack ein solches Vorhaben zu verbieten, angefangen mit der Tatsache, dass die Ausbildung eines Blue Wanderers keinen Umgang mit Materia vorsah, dass Cutter ohnehin schon genug Mühe hatte, keine Katastrophe zu verursachen... Sephiroth erwog ernsthaft, einzuschreiten. Dann ließ er es sein. Nach Cutters doch sehr schwankenden Fähigkeiten zu urteilen, würde Zack schwerlich Gelegenheit für ein Materiatraining bekommen. Und wenn doch... Mit einer kurzen Einführung würde sich kaum ernsthafter Schaden anrichten lassen. Ohne sich durch das unwirkliche Gelände länger als nötig aufhalten zu lassen, führte der General seine kleine Truppe vorwärts, Koordinaten anvisierend, die nur ihm bekannt waren. Für Cutter war alles so neu und so aufregend, dass sie allem die gleiche Höhe an Aufmerksamkeit entgegenbrachte, was schon bald zu einem rapiden Konzentrationsverlust führte. Zack bemerkte dies und ließ sie nicht aus den Augen. Im Laufe der nächsten Stunden suchten sie die insgesamt vier Kampfplätze auf, sammelten Indizien und schlugen, als es Nacht wurde, ihr Lager auf. „Aaaaaalsoooo...“ Zack beförderte ein weiteres Stück Holz ins Feuer und ließ sich auf seinen Platz fallen. „Was haben wir?“ Er hob die Hand und begann, an den gespreizten Fingern abzuzählen. „Das Gras an den Kampfstellen war wie glaciert. Wir haben etwas wie Brandspuren gefunden, die aber aus kuriosen Gründen eigentlich keine sein können. Was haben wir nicht? Mehr Hinweise, weitere Anlaufpunkte, Überreste von Waffen, Rüstungen und Ausrüstungsgegenständen, mehr Hinweise, und oh, erwähnte ich schon mehr Hinweise?“ „Mehrfach, Zackary.“ „Ich wollte nur sicher gehen.“ Und dann schwiegen sie lange. Beide hatten trotz der minimalen Spuren die stattgefundenen Kämpfe förmlich spüren können. Sie waren schwer gewesen... und geprägt von in Verzweiflung übergehender Irritation. „Ach, verdammt“, murrte Zack irgendwann. „Aus den Spuren lässt sich nicht schließen, ob Menschen oder Monster dahinterstecken.“ „Interessant, nicht wahr?“ In Sephiroths Augen glomm ein Hauch Heiterkeit, aber das auf seinem Gesicht und in den langen Haaren leuchtende rot des Feuers verlieh ihm etwas wahrhaft dämonisches. „Ich hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß!“ Und, fügte er in Gedanken hinzu, ich bin durchaus in der Lage, ein Puzzle ohne Vorlage zu lösen. „Du solltest dir mal eine Playstation 3 kaufen“, grinste Zack. „Das ist Spaß! Und jetzt? Befragung der Einheimischen?“ „Schön, dass du dich freiwillig meldest.“ „Du wärst doch verloren ohne mich.“ Sephiroth warf ihm einen warnenden Blick zu, der von einem breiten grinsen gekontert wurde. Cutters Blick wanderte aufmerksam zwischen den beiden Elitesoldier hin und her. Die Verbindung zwischen dem distanzierten General und dem lebhaften Zack wirkte kurios, funktionierte aber einwandfrei. Sephiroths dunkle Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Es ist spät, Tzimmek, und du hast die 2.te Wache.“ Der Teenager nickte, rollte sich gleichzeitig auf und in ihrem Schlafsack zusammen... „Gute Nacht, Sir. Gute Nacht, Zack.“ ... schloss die Augen und war nur wenig später eingeschlafen. So niedlich, dachte Zack. Noch ein halbes Kind. Alle unsere Kadetten sind irgendwie noch halbe Kinder. Manchmal frage ich mich, ob wir ihnen die Möglichkeit, erwachsen zu werden, nicht ein wenig zu früh geben... Aber das Leben hier ist hart. Man kann nicht rechtzeitig genug anfangen, stark zu werden. Ich war damals nicht viel älter als du, aber mir war schon immer klar, dass ich ausschließlich für ShinRa arbeiten wollte... Du hingegen, und alle, die sind wie du... Ihr habt es mit Sicherheit noch schwerer als andere. Er griff nach seinem eigenen Schlafsack und breitete ihn zusätzlich über dem Teenager aus. Das Mädchen erschauerte kurz, wachte aber nicht auf. Ich hoffe, du schaffst es hier und wirst glücklich... Sephiroths leicht spöttische Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Du bist so fürsorglich.“ Der Angesprochene stemmte trotzig die Hände in die Hüften. „Nur, weil nie jemand nett zu dir...“ Er verstummte. General Sephiroth Crescent war nicht auf die Nettigkeit anderer Leute angewiesen. Oder andere Leute allgemein. Er war ShinRa´s gefürchtetster Einzelkämpfer. Gefechte waren schon durch sein simples Eintreffen beendet worden... „Ich wollte schon immer eine kleine Schwester haben“, seufzte Zack sehnsüchtig um das viel zu ernste Thema zu wechseln. „Hey Seph“, fragte er dann begeistert, „könnte ich Cuttie nicht...“ „Nein, Zackary.“ „Warum?“ Sephiroth seufzte unhörbar. Jeder andere hätte ein „Nein“ aus seinem Mund widerspruchslos akzeptiert. Ach was, jeder andere wäre erst gar nicht auf die Idee gekommen, ihn nach dem Grund zu fragen! Zack hingegen sah gespannt zu ihm hinüber und wartete auf eine plausible Antwort. „Erklär es mir.“ Die Stimme des Generals klang ruhig und sachlich. „Warum habe ich von allen mir zur Verfügung stehenden 1st´s ausgerechnet dich mit auf diese Mission genommen?“ „Weil sich alle anderen in deiner Gegenwart laufend in die Hose machen würden vor Angst, Sir“, antwortete Zack wie aus der Pistole geschossen. Sephiroth dachte einen Moment lang nach. „Punkt für dich“, sagte er schließlich. „Aber du wirst die Kadettin trotzdem nicht adoptieren.“ „Schade“, seufzte Zack und sah wieder zu dem friedlich schlafenden Teenager hinüber. „Heute war sie richtig gut, oder? Bis auf die Bemerkung mit dem Trainingsgelände...“ Er lachte leise. „Ich dachte, ich fall vom Chocobo!“ „Sie muss sich dringend und sehr schnell in vielen Punkten steigern.“ Sephiroth zog die Karte zu sich heran. Er ging zwar davon aus, dass jede andere von Gerylls Schülerinnen bessere Ergebnisse geliefert hätte, aber vom Schicksal war ihm diese hier zugeteilt worden, und an ihren Fähigkeiten würde sich die Zukunft des Blue Wanderer Projektes entscheiden. „Die nächste Ortschaft müsste gegen Mittag zu erreichen sein, und ich denke, es wartet Ärger auf uns.“ Er sollte recht behalten. Kapitel 5: Kapitel 5: Tiefe Gewässer ------------------------------------ Manchmal verstößt das Leben gegen die Spielregeln, mit denen man glaubt, es unterworfen zu haben, und zwingt einen zu Dingen, die man gerne vermeiden würde. So ging es auch Zack. Er hatte keine andere Wahl, musste sich auf Cutters Reflexe verlassen. Aber das erschrockene keuchen des Teenangers nur Sekunden später verriet ihm, dass diese funktionierten. „Sag mal“, fauchte die notgedrungen eng an ihr Chocobo gepresste Cutter und fixierte das sich urplötzlich mit der flachen Seite genau über ihr befindliche Busterschwert mit einer Mischung aus Schrecken und Wut, „willst du mich umbringen??“ Keine Antwort. Keine Bewegung. Zacks ganze Aufmerksamkeit galt anderen Dingen. Augenblicklich bildeten er, Sephiroth und die immer noch sehr entrüstete Cutter den unfreiwilligen Mittelpunkt eines Kreises aus wenig freundlich aussehenden und bewaffneten Gestalten – offensichtlich höchst unerfreut über den Besuch ihres Ortes. Wobei „Ort“ zu nobel ausgedrückt war. „Trümmerhaufen“ mochte es besser treffen. Es sah aus, als sei irgendjemand (oder irgendetwas) in blinder Raserei darüber hergefallen. Der vom ShinRa Trio gesuchte Gegner? Neben Zack verriet ein erschrockenes Geräusch Cutters die Erkenntnis, dass zumindest sein Angriff nicht ihr gegolten hatte. Der in Wahrheit angesprochen Mann schielte über die nur wenige Millimeter von seinem Kopf entfernte Spitze des respekteinflößenden Busterschwertes zu dem SOLDIER, der sich für die höchst präzise Attacke nicht einmal hatte umsehen müssen, hinüber... und wich dann langsam mit erhobenen Händen zurück. „Wollte mir die Kleine ja nur mal näher ansehen...“ Zutiefst geschockt ließ Cutter ihr Chocobo näher zu Zack rücken. Niemals hätte sie von den zahlenmäßig überlegeneren, aber weitaus schlechter bewaffneten Gestalten... Männern... Gegnern... einen ernsthaften Angriff erwartet. Eine weitere, durch Unerfahrenheit verursachte Fehleinschätzung der Lage, nur entschärft durch Zacks blitzartige Reaktion. Eben verstaute er das Schwert wieder griffbereit hinter seinem Rücken. Auf das geflüsterte „Danke“ hin nickte er nur kaum merklich mit dem Kopf, wissend, dass der Teenager ab jetzt besser aufpassen würde. Sephiroth war nichts von den Geschehnissen hinter seinem Rücken entgangen. Insgeheim hatte er auf etwas derartiges gewartet, und Zack, wie dessen blitzartige Reaktion verriet, ebenfalls. Allerdings stellte es auch keine besonders große Herausforderung dar, Cutter als Schwachstelle zu erkennen, und diese Leute lebten nicht umsonst weit weg von anderen. Aber ihnen war ein Fehler unterlaufen. Damit ließ sich arbeiten. „Angriff auf ein ShinRa Mitglied? Mir scheint, ihr seid problemtechnisch immer noch nicht ganz ausgelastet.“ Er schwieg einige Sekunden lang bedrohlich. „Ich frage noch einmal. Was ist hier vorgefallen?“ Ein simples Handelsangebot. Man konnte davon ausgehen, dass die Vorgehensweisen ShinRas in Bezug auf Attentäter auch hier bekannt – und gefürchtet waren. Cutter war es schon vorher aufgefallen. Sephiroth beherrschte, unabhängig von Ort und Zeit, die Szene. Sogar, wenn er sich deutlich passiv verhielt. Es genügte, sich irgendwo zu zeigen. Die Leute reagierten auf ihn. Sie veränderten sich. Oder besser: sie hörten auf, normal zu sein und schienen nur noch zwei Verhaltensvarianten zu kennen: ausweichen oder provozieren. Die Männer in diesem Fall hatten wie auf ein geheimes Zeichen hin einstimmig die letztere Variante gewählt und diesen Kreis gebildet. Warum konnten sie die Frage nicht einfach beantworten? Aus den einfach alles und jeden anklagenden Ruinen löste sich eine hagere Gestalt und schlenderte auf den Kreis zu, der sich augenblicklich öffnete. Der Anführer hatte den Schauplatz betreten. „Sieh an, wenn das nicht der große General Sephiroth höchst selbst ist. Ich würde ja salutieren, aber ich bin leider zu beschäftigt.“ Betont langsam zündete er sich eine Zigarette an. Sephiroth sah darüber hinweg. Auch dieses Verhalten war vorhersehbar gewesen. Als Anführer einer solchen Meute... Unterwürfiges Auftreten als Antwort auf das Erscheinen von Fremden wäre ein unwiderrufliches Todesurteil gewesen. „Hab mal für ShinRa gearbeitet“, fuhr der Mann fort und versuchte, Sephiroths durchdringenden Blick Stand zu halten. Er verlor. „War die größte Zeitverschwendung meines Lebens.“ „Oh ja“, flüsterte Cutter erbost, „das hier ist viel besser!“ „Still, Cutter-chan!“ zischte Zack. Sephiroth begegnete den folgenden, gezielten Provokationen mit unerschütterlicher, schweigender Gelassenheit, wissend um den durch diese Handlungsweise hervorgerufenen Trotz. Nichts brachte solche Typen mehr aus dem Trott. Er würde es bis zum letzten ausreizen! Langsam dämmerte seinem Gegner die falsche Strategienwahl. Mehr noch. Die Wahrscheinlichkeit, sich lächerlich zu machen, wuchs mit jedem Wort. Ein Strategienwechsel schien mehr als angebracht. „Euer Problem, wenn ihr euch verlaufen habt. Wir haben hier mehr als genug zu tun.“ Er wollte gehen, aber Sephiroths Stimme zwang ihn zum anhalten. „Diese Arbeit kann ich Ihnen abnehmen.“ Ein gefährliches lächeln lag in seiner Stimme. Raues lachen „Was soll das heißen?“ „Ich hörte, sie hätten eine Weile für ShinRa gearbeitet... Einstellung und daraus folgende Behandlungsweise Attentätern gegenüber haben sich nicht geändert.“ Ein dunkles flackern lief durch den Blick des Mannes, ließ erkennen, dass er wusste, wovon Sephiroth sprach, offenbarte Furcht... aber er fasste sich schnell wieder. „Ich war nicht anwesend bei diesem angeblichen Attentat!“ „Und ich kann nicht ausschließen, dass auf Ihren Befehl hin gehandelt wurde. Oder...“ Eine silberfarbene Augenbraue hob sich langsam, „haben Sie Ihre Leute etwa nicht unter Kontrolle?“ Ein grinsen stahl sich in Zacks Mundwinkel. Dieses Spiel beherrschte Sephiroth, wie jeder Gegner irgendwann feststellen musste, perfekt. Der aktuelle bildete keine Ausnahme. Er wusste, wen er vor sich hatte, und dass nicht einmal die menschliche Überzahl reichen würde, um diesen Mann zu besiegen. Die Verlockung, es trotzdem zu versuchen, war nicht groß genug. „Wir wissen es nicht.“ Er klang, als würde jedes Wort aus ihm herausgefoltert. „Es – oder sie – kam mitten in der Nacht. Alles wurde zerstört. Wir hatten Verletzte. Und Tote.“ „In welche Richtung ist es verschwunden?“ erkundigte sich Sephiroth mit beinahe herablassendem Interesse und erhielt einen unwilligen Fingerzeig. „Beschwören kann ich´ s nicht.“ Es gab also – wie gewohnt – keine Spuren. „Möchten Sie uns sonst noch etwas mitteilen?“ „Nun ja...“ Ein schmieriges grinsen. „Vielleicht.“ Und schon wieder, dachte Sephiroth, verlieren wir wertvolle Zeit, diesmal, weil jemand besonders cool sein will. „Es gibt ziemlich viel Treibsand in dieser Gegend. Übles Zeug. Ist schon einigen Fremden zum Verhängnis geworden. Wir haben natürlich eine entsprechende Karte...“ Neben Zack begann Cutter, frustriert mit den Zähnen zu knirschen. Ungeachtet der gestrigen Erfolge - heute war es ihr einmal mehr nicht gelungen, die Welt der Lines zu betreten, und jetzt, das begriff der 1st sofort, befanden sie sich in einer Situation, die wie geschaffen für die Fähigkeiten eines Blue Wanderers war. Sofern dieser on-line gehen konnte. Auch Sephiroth empfand für einen Augenblick echtes bedauern über die stockende Begabung des Teenagers, dann rief er sich die geländetechnischen Angaben ins Gedächtnis, welche ihm den genannten Treibsand sowie das fehlen geeigneter Karten bestätigten. Dennoch... in dieser Situation einem Fremden zu vertrauen glich dem Tanz auf einem angeschnittenen Seil über einem tiefen Abgrund. Der General hatte nicht vor, so dumm zu sein. „Wir könnten tauschen“, fuhr der Mann fort. „Also... ein Chocobo. Oder...“, er grinste unmissverständlich, „ein paar Stunden mit dem Mädchen.“ Sephiroth sah sich, mehr fürs Protokoll statt aus ernsthaftem Erwägen, um. Das diesmal eine erstaunlich rasche Auffassungsfähigkeit an den Tag legende Objekt der Begierde schnappte entsetzt nach Luft und schüttelte wild den Kopf. Der General fasste seinen Gesprächspartner wieder ins Auge. „Inakzeptabel.“ „Üble Sache, dieser Treibsand...“ Er sah zu Cutter hinüber. „Hab dich nicht so, Kleine!“ Deren Entsetzen verwandelte sich in pure Wut. Ohne diese zu verbergen starrte sie den Mann an, parierte den plötzlich erwachten, brennenden Hunger in seinen Augen... „Sir“, Wut und Verachtung pulsierten in ihrer Stimme, „wir benötigen diese blöde Karte nicht!“ In ihrer Stimme, unmittelbar unter dem offensichtlichen, lag eine Gewissheit von solcher Tiefe, die Sephiroth ihren Worten Glauben schenken ließ, ohne vorerst weiter darauf einzugehen. Ohne zu zögern trieb er sein Reittier an, hörte, wie die beiden anderen ihm folgten, nahm noch mehr wahr, und als sie außer Hörweite waren, rief er Cutter zu sich. „Was sind wir, Tzimmek?“ Der Teenager lauschte dem wispern eines ganzen Rudels möglicher Antworten in ihrem Kopf. Die richtige schien allerdings nicht dabei zu sein. Der Ruf nach Hilfe stahl sich in ihren Blick. „Wir sind ein Team“, beantwortete Sephiroth die Frage selbst, ohne auch nur ansatzweise belehrend zu klingen. „Wir helfen und beschützen uns gegenseitig, wenn die Situation es erfordert. Des weiteren bringen wir uns nicht sinnlos gegenseitig in Gefahr. Tzimmek, besitzt du die nötigen Fähigkeiten, um diesen Gegner zu schlagen? Willst du ihn in eine Falle locken, oder hast du noch irgendein Ass im Ärmel?“ „Nein, Sir.“ „Warum provozierst du ihn dann noch zusätzlich durch Grimassen?“ Cutters Antwort kam prompt und aus tiefstem Herzen. „Weil er ein Mistkerl ist, Sir!“ „Mag zutreffen, ist aber keine Antwort, die ich gelten lasse. Wer nicht gut schwimmen kann, sollte sich fern halten von den tieferen Gewässern.“ „Verstanden, Sir!“ Sie erkannte den begangenen Fehler – aber leid tat es ihr nicht. Dieser Typ war ein Mistkerl! Er hatte die Grimasse (und schlimmeres, wäre der Teenager nur stark genug dafür gewesen) verdient! „Und jetzt“, fuhr Sephiroth, der diesmal aus zeittechnischen Gründen den Leichtgläubigen spielte, fort, „sag uns, wie wir einen Weg durch den Treibsand finden!“ „Treibsand riecht anders als normaler Boden, Sir.“ „Du meinst“, schaltete sich Zack ein, „die Viecher weichen von selbst aus?“ Bisher hatte er sie nur für den Hauptbestandteil von Chocoboburgern und eine mutige Laune der Natur gehalten. Eine Meinung, die mehr und mehr bröckelte. „Genau. Sie können sogar das jetzige Tempo beibehalten.“ Das reicht nicht, dachte Sephiroth und warf einen Kontrollblick nach hinten. Die zerstörte Ortschaft war nicht mehr als ein Punkt am Horizont, trügerisch friedlich da liegend. Er konzentrierte sich auf ein Geräusch außerhalb des Getrappels von Chocobobeinen, konnte aber nichts feststellen. Sie ließen sich Zeit... Aus den Augenwinkeln sah er Zack Materia austauschen. Vermutlich, dachte Sephiroth, werden sie mit ihren Angriff abwarten, bis wir den Treibsand erreicht haben. Zeugt von einer gewissen Intelligenz. Überschattet von der absurden Annahme, gewinnen zu können... Cutter sollte recht behalten. Irgendwann hielten die Chocobos wie auf ein geheimes Kommando hin gleichzeitig an und setzten ihren Weg erst fort, nachdem ihre Reiter die Zügel freigegeben hatten. Dass die Tiere etwas auswichen, war mehr als deutlich zu erkennen. „Ich glaube, ich kann nie wieder Chocoboburger essen“, bemerkte Zack gerade, als Sephiroths untrügliches Gespür für Gefahr ansprang. Er wandte den Kopf. Am Horizont war eine Staubwolke zu erkennen, die sich näherte. Schnell. „Sie kommen“, informierte er ruhig. „Und sie haben mindestens einen Jeep.“ Zack nickte fast gelangweilt. Cutters Verblüffung hingegen hätte für eine ganze Kompanie gereicht. „W... wo war der denn versteckt??“ Sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, irgendwo ein Fahrzeug gesehen zu haben. „Unter der Erde. Habe selten eine schlechtere Tarnung gesehen.“ Cutter schluckte und spürte erneuten Frust in sich aufsteigen. Mit Hilfe der Lines hätte sie vielleicht... „Tzimmek. Du bleibst in Reichweite unserer Waffen.“ Eigentlich wäre dieser erneute Hinweis unnötig gewesen. Aber bei einem solchen Schussel war eine kurze Erinnerung wohl angebracht. „Genau, Cutter-chan. Wir erledigen das schon.“ Wie um seine Worte zu unterstreichen schwang Zack gut gelaunt sein Busterschwert, aber der Teenager war mit kramen in ihrer Satteltasche beschäftigt und förderte schließlich eine rot schimmernde Kugel ans Licht. Feuer Materia, Stufe 1. „Sir, die habe ich auf dem Weg nach Midgar gefunden, kann ich nicht...“ Ihr Chocobo setzte mit einem kleinen Sprung über etwas hinweg. Cutter, abgelenkt und unvorbereitet, musste schlagartig um ihr Gleichgewicht kämpfen. Dabei entglitt ihr die Materia und fiel zu Boden. Jedem anderen in dieser Situation wäre klar gewesen, dass ein Halt in einem Gebiet mit schwer erkennbarem Treibsand und einer unklaren Anzahl von Verfolgern im Nacken nicht die geschickteste Option war. Jeder andere hätte das Opfer, Materia zu verlieren, in Kauf genommen um den ohnehin schon knappen Abstand nicht noch weiter schrumpfen zu lassen. Jeder außer Cutter. „Moment!!“ Sie zügelte das Chocobo energisch, ignorierte den bremsenden Ruf aus zwei Kehlen, sprang schwungvoll aus dem Sattel und landete auf der anvisierten Stelle. Der optisch völlig unauffällige Boden gab augenblicklich mit einem leicht matschig klingenden Geräusch nach und verwandelte sich in eine lebensgefährliche Falle. Cutter hörte sich selbst vor Schreck aufschreien. Dem ersten Schock folgte der instinktive Versuch, sich durch heftige Bewegungen frei zu kämpfen. Blind vor Entsetzen realisierte sie nicht, dass sie sich damit nur noch tiefer in den Treibsand hineinarbeitete. „Stop, Tzimmek!“ Sephiroth brachte sein Chocobo neben dem von Cutter zum stehen während Zack aus dem Sattel sprang und auf sicherem Boden landete. „Cutter-chan! CUTTER!!“ Angstgeweitete Augen schreckten zu ihm hoch, pure Panik tobte in ihnen wie ein wildes Feuer. „Hör auf zu strampeln!!“ Zack ließ sich auf die Knie fallen, prüfte schnell aber gründlich den Boden und schob sich näher heran. „Du versinkst sonst!“ Die Motorgeräusche allein waren nicht mehr das Problem. Mittlerweile konnte Sephiroth deren Ursprung sehen. Ein einzelner, aber vollbesetzter Jeep näherte sich mit mörderischem Tempo, schlingernd und Haken schlagend. „Zack, kümmer dich um Tzimmek.“ Er stieg ab, fixierte den näherkommenden Jeep und zog sein Schwert. „Ich erledige das hier!“ „Cutter-chan! Hör mir zu!“ Sogar jetzt konnte er noch lächeln und Zuversicht verströmen. „Keine Sorge, ich kriege dich da schon wieder raus. Versuch meine Hand zu grei...“ Etwas raste haarscharf an Zacks Nacken vorbei, veranlasste die Chocobos zu wilder Flucht und bohrte sich in den Boden. Eine Kugel. Zacks Kopf ruckte mit vor Wut funkelnden Augen hoch, dann rammte er sein Busterschwert entschlossen als Schutzvorrichtung für das geplante Vorhaben in den Boden. Cutter beobachtete ihn hilflos. Zwar hatte sie aufgehört zu sinken, steckte aber mittlerweile bis zum Kinn fest. Haltloser Schrecken lähmten ihren Körper. Sie versuchte ihre Hand zu heben, aber die Muskeln wollten einfach nicht gehorchen. Keuchend vor Angst und Anstrengung mobilisierte sie alle ihr zur Verfügung stehenden Kräfte, gegen den Sand, die Scham, den Gedanken an umher fliegenden Kugeln, den ängstlichen Blick auf Zack gerichtet. Was, wenn er ihretwegen getroffen wurde? Das konnte, das durfte nicht geschehen! Sie nahm alle Kraft zusammen. Das glühen in Sephiroths Augen wirkte wie der letzte Punkt hinter dem Beschluss eines Todesurteils. Nachdem sich das Busterschwert als Spaßbremse bewährt hatte, konzentrierte sich das Feuer auf ihn. Der General brachte die Kugeln mühelos mit Masamune aus der Bahn, was die Männer im Jeep anstachelte, ihn mit Geschossen förmlich einzudecken. Irgendwann musste eine treffen! Sephiroth ließ sie noch etwas näher kommen. Dann lächelte er finster und ließ das legendäre Katana machtvoll durch die Luft jagen. Ein einziger, tiefgrüner Strich aus purer Energie löste sich von der gewaltigen Klinge, raste durch die Luft und traf das anvisierte Ziel. Der Jeep hob mit aufheulendem Motor vom Boden ab, schlug einen perfekten Salto, krachte zurück auf den Boden, überschlug sich dort noch etliche Male und blieb schließlich mit sich noch hilflos drehenden Reifen auf dem Dach liegen. Qualm stieg von dem Wrack auf. Sephiroth zögerte keine Sekunde. Der Kontakt des Wagens mit dem Boden während der Überschläge hatten ihm gezeigt, wo die Erde sicher war. Sephiroth sprang, schneller und zielsicherer als es jemals ein normaler Mensch vermochte hätte. Er schien förmlich über den tödlichen Treibsand zu fliegen. Die Männer im Jeep waren an verschiedenen Orten herausgeschleudert worden. Einige lagen leblos da, andere versuchten wieder auf die Beine zu kommen und ihre Waffen nachzuladen sofern sie noch welche besaßen. Sie waren alle zu langsam. Der Tod kam gnadenlos über sie in Form eines scharfen aber endgültigen Schmerzes. Ein wirbelnder Strudel aus schwarz, grün und silber war alles, was ihnen das Leben als letzte Erinnerung mitgab ehe Finsternis über ihnen zusammenschlug. Sephiroth stand einen Moment lang bewegungslos da, ehe er mit hundertfach geübten Bewegungen seine Waffe reinigte und wieder griffbereit unterbrachte. Dann wandte er sich um und fasste den Platz neben dem Busterschwert ins Auge. Mittlerweile würde sich Cutters Schicksal entschieden haben. Kapitel 6: Kapitel 6: Entscheidungen ------------------------------------ Zack, unverletzt und grinsend hob die rechte, zur Faust geballte Hand und reckte den Daumen hoch. Neben ihm, auf sicherem Boden, befand sich Cutter, bis zum Kinn verschmutzt, aber offensichtlich lebend. Gerade schaffte sie es mühsam in die Hocke und Zack klopfte ihr anerkennend auf die sandige Schulter. „Wow, Cutter-chan! Du hast gerade Treibsand, Kugeln und deine eigene Rettung überlebt.“ Er konnte nicht anders als lachen. „Herzlichen Glückwunsch!“ Cutter verhielt schwer atmend und am ganzen Körper zitternd einige Sekunden in völliger Bewegungslosigkeit... dann brach all ihre Selbstbeherrschung in sich zusammen. Schluchzend fiel der Teenager Zack um den Hals. Der 1st, immer noch vergnügt kichernd, begann ihr mit der einen Hand tröstend über den Rücken zu streicheln, mit der anderen winkte er dem näherkommenden Sephiroth. „Yo! Rettung erfolgreich abgeschlossen, Sir.“ „Ich seh´s!“ knurrte Sephiroth und ließ sich hinter Zack in die Hocke gleiten. „Tzimmek!“ Cutter hob folgsam den Kopf von der haltgebenden Schulter und fand sich im Blick des Generals gefangen. Unwillkürlich verstärkte sich der Druck ihrer Arme um Zacks Hals ein wenig. Der Ausdruck in Sephiroths Augen war distanziert und kühl wie gewohnt, unmöglich zu sagen, was als nächstes geschehen würde... Dann zerbracht der General den Kontakt indem er einen Gegenstand dazwischenhielt. Die Feuermateria. „Hast du was verloren?“ Schluchzend ließ Cutter ihren Kopf wieder auf Zacks Schulter fallen. Sephiroth klappte das Logbuch zu und sah dem zwischen den Bäumen auftauchenden 1st entgegen. Sie hatten beschlossen, in dem unerwartet vor ihnen aufgetauchten Wäldchen Rast zu machen. Zum einen war man hier vor neugierigen Blicken geschützt, und dann gab es auch noch einen winzigen, aber sehr sauberen See. „Sie ist wieder sauber.“ Zack ließ sich auf einen umgestürzten Baumstamm sinken. „Aber immer noch ziemlich fertig.“ „Sie wirkt nicht traumatisiert.“ Er hatte Kadetten gesehen, die nach ähnlichen Erlebnissen tagelang nicht ansprechbar gewesen waren. Die Kontrolle zu verlieren gehörte nicht unbedingt zu den erstrebenswertesten Empfindungen. Menschen wussten, dass ihr Leben endlich war. Nur nicht gerade heute und jetzt. Nun... Cutter würde sich erholen. „Seph...“ Zacks Stimme klang nachdenklich. „Was hältst du von ihr? Ich meine... wenn man all das offensichtliche weglässt.“ Sephiroth schwieg. Aus den unterschiedlichsten Gründen war ihm immer mehr bekannt als anderen. Winzige, aber bedeutungsvolle Details, deren richtig eingesetzte Essenz zu verblüffenden Ergebnissen führen konnte. Für ihn war auch eine Meinung kein festes Ganzes, sondern vielmehr die Verpackung für eine Summe von Kleinigkeiten, die in ihrer wahren Form erkannt werden mussten. Dazu war richtiges beobachten und urteilen unabdingbar. Menschen zu führen... zu formen... war nicht einfach. Stellte man es ungeschickt an, zerbrachen sie. Um dies zu verhindern, musste man eine gewisse Kenntnis ihrer Persönlichkeit, sowie ihrer Stärken und Schwächen, besitzen, und gezielt darauf eingehen. Die vergangenen Jahre hatten Sephiroth trotz einiger Schwierigkeiten Menschenkenntnis beschert. Kombiniert mit seinem Instinkt, höchst detaillierten Berichten und der Erkenntnis, dass alle Menschen ein fast völlig identisches Grundmuster betreffend Handlungs- und Denkweise besaßen, ließ ihn seine Entscheidungen und Beurteilungen treffen. So auch in diesem Fall. Cutter hatte Potential. Aber die drastisch schwankenden Leistungen bezüglich der Lines und all das unbedachte Handeln ließen sie, wie sie heute anschaulich demonstriert, zu einer Gefahr für sich und andere werden. Dennoch... unter all den Unvorteilhaftigkeiten... existierte es etwas seltsames. Wie ein leises surren, zu penetrant um es zu ignorieren. Und zu früh, um darüber zu sprechen „Darf ich erfahren, weshalb du sie nicht mitgebracht hast?“ „Sie wollte einen Moment allein sein. Ich glaube, sie hat da mit sich was auszumachen.“ Sephiroth warf seinem leichtsinnigen Begleiter einen strafenden Blick zu und erhob sich, ging an den schlafenden Chocobos (nur seins und das von Zack) vorbei, beschleunigte hinsichtlich dieser Tatsache unmerklich, und näherte sich dem kleinen Teich lautlos. Nur Sekunden später stellten sich seine Befürchtungen als nichtig heraus. Weder das Chocobo, noch der neben ihm sitzende Schatten waren in Schwierigkeiten. Cutter war dabei, dem geduldig lauschenden Tier ihr Herz auszuschütten. Obwohl sie nur flüsterte, konnte der mit dem Schatten der Bäume verschmolzene Sephiroth jedes Wort hören. „Sie hätten sterben können heute Mittag“, schluchzte der Teenager. „Alle beide... bloß meinetwegen!“ Das Chocobo gurrte leise und schmiegte seinen Kopf tröstend an den von Cutter. „Ich will keine Gefahr für andere sein. Ich möchte so gerne...“ Sie holte mühsam Luft und sah zu den weit entfernt leuchtenden Sternen hinauf, als hoffte sie, deren Licht würde den angefangenen Satz beenden. Aber das sanfte glühen schwieg. Cutter schniefte leise, kuschelte ihren Kopf in die weichen Federn des Chocobos. „Sieh sie dir an. General Crescent und Zack sind... großartig! Ich bin... nicht schnell genug, ein Schussel, nur im Weg, bringe sie in Schwierigkeiten und kann nicht mal kontinuierlich in die Lines. Neesha hat recht. Ich bin ein Komplettversager und... hab´s einfach nicht drauf.“ Sie blinzelte, und abermals rollten Tränen über ihre Wangen. „Ich werde niemals ein echter Blue Wanderer werden und die Silberflügel kriegen. Niemals. Dabei wollte ich doch bloß...“ Sie verstummte, schüttelte den Kopf und vergrub das Gesicht in dem tröstend weichen Federkleid. Die Silberflügel. Das Symbol der ShinRa Blue Wanderer. Zwei weitausgebreitete, silberne Schwingen, detailliert, fast liebevoll gearbeitet, fest verbunden mit der Uniform. Geryll hatte dieses Zeichen vorgeschlagen. Weil Flügel Freiheit symbolisierten und es für einen guten Blue Wanderer keine Grenzen gab. Dieses Abzeichen zu tragen war das große – und momentan endlos weit entfernte - Ziel. Vielleicht zu weit. Alle ShinRa Ausbildungen waren schwierig und verlangten den Kadetten Höchstleistungen ab. Die Teenager hatten sich auf einen langen, anstrengenden Weg begeben, auf dem sie täglich ums überleben kämpften. Zerbrochene Träume säumten den beschwerlichen Pfad wie Grabsteine, kündeten von verlorenen Kämpfen, jeden Tag wurden es mehr, und offensichtlich hatte das Schicksal Cutter noch deutlicher ins Visier genommen. Das Mädchen schien ähnlich zu denken. „Wenn wir wieder in Midgar sind...“, ihre die Stimme klang völlig tonlos, „werde ich Azrael sagen, dass ich aufgebe.“ Zerschlagene Träume rückten zusammen, um Platz für einen baldigen Neuankömmling zu machen. Als sich der Teenager kurze Zeit später erhob, zog sich auch Sephiroth lautlos zurück und saß, als Cutter am Rastplatz ankam, bereits wieder auf seinem Platz. Nichts deutete darauf hin, dass ihm schon wieder ein kleines, aber überaus bedeutsames Detail bekannt war. Am nächsten Tag, sie waren schon einige Stunden unterwegs, kam ihnen der Zufall zu Hilfe, denn sie begegneten einem Haufen ziemlich zerrissener Gestalten. Einer von ihnen ergriff sofort mit vor Wut flackernder Stimme das Wort. „Von ShinRa?!“ Sephiroth nickte, auf Ärger jeglicher Art gefasst. Stattdessen geschah etwas uneingeplantes. „Ihr kommt wegen des Monsters?!“ Der General beschloss, sich dumm zu stellen. Immerhin wussten sie noch nicht mit Sicherheit, ob sie wirklich ein solches Wesen jagten... „Welches Monster?“ „Das Mistvieh, das hier die ganze Region terrorisiert! Wir wollten es erledigen. Dachten, 20 bewaffnete Leute würden reichen. War aber nicht so. Nur wir sind noch übrig, der Rest ist krepiert. Scheißvieh!“ Er fletschte die Zähne. „Soll auch ein paar von ShinRa vernichtet haben, also kümmert euch um das Biest! Ihr prahlt doch immer mit eurem tollen Verein! Vor allem dieser General Sephiroth, meine Güte, muss ein ganz heißer Hund sein!“ Für einen Moment klang Zacks heftiges husten wie ein lachen, wurde dann aber schnell glaubhaft. Sephiroth ignorierte den letzten Satz des Mannes komplett, und stellte die üblichen Fragen. Diesmal allerdings erhielt er neue Informationen. „In den unterirdischen Höhlen von Rzek ist es, das weiß hier doch jeder!“ Die unterirdischen Höhlen von Rzek! Sephiroth hatte davon gehört. Nicht gerade idyllisch... Er erkundigte sich nach dem kürzesten Weg, und als sie wieder außer Hörweite waren, ließ sich Zack vernehmen. „Cool!“ Seine Stimme klang mühsam beherrscht. „Dann müssen wir es ja nur noch rausklingeln und umbringen. Habe ich recht? Heißer Hund?“ Dann begann er schallend zu lachen. Niemand anderes hätte es gewagt, sich in Gegenwart des Generals über einen seine Person betreffenden Witz zu amüsieren. Eine solche Bezeichnung wäre von den meisten einfach komplett ignoriert und nie wieder angesprochen worden. Zack jedoch... „Oh, oh...“ Er lenkte sein Chocobo neben das des gefürchteten Schwertkämpfers. „Was auch gepasst hätte – weißer Hund!“ Lachtränen liefen über seine Wangen. „Yo Seph, da kannst du ein Modelabel draus machen: weißer, heißer Hund! Mit freundlicher Genehmigung von ShinRa!!“ Sephiroth sagte sich, dass er als General von SOLDIER ein zu dickes Fell hatte, um sich von so etwas ärgern zu lassen, dass Zack bestenfalls die Statur eines Erwachsenen besaß, dass er sich keinesfalls zu irgendeiner Reaktion hinreißen lassen würde, niemals... und dann beförderte er den 1st mittels eines plötzlichen und entschlossenen Stoßes aus dem Sattel. Zack schlug einen halben Salto und erreichte ziemlich unfreiwillig den Boden. Aber nicht einmal das vermochte einen Abbruch der Heiterkeit zu erwirken. Vielmehr steigerte es sie noch. „Weißer, heißer Hund...“, hörte man ihn lachen, gefolgt von einem lautstark imitierten Hundeheulen, das sofort wieder in wildes Gelächter überging. Sephiroth trieb sein Chocobo an und bedeutete der zögernden Cutter, ihm zu folgen. Es vergingen noch einige Stunden, ehe sie die genannte Gegend erreichten. „Hübsch“, bemerkte Zack beim Anblick des von tiefen Löchern unterschiedlichster Größe übersäten, sich bis an den Horizont erstreckenden Bodens. „He Cutter-chan, wenn du mal was loswerden möchtest, komm her und wirf es hier rein.“ „Warum startest du keinen Selbstversuch, Zack?“ Der 1st grinste breit. „Immer mit der Ruhe, heißer Hund.“ Für gewöhnlich wäre Zacks Heiterkeit so ansteckend gewesen, dass sich Cutter nur mit Mühe hätte beherrschen können. Aber der nächtlich gefasste Entschluss lastete zu schwer auf ihrem Herzen. Trotzdem gab sie sich Mühe, aufzupassen. Einladend sah der Boden nicht aus. Er wirkte, abgesehen von den unzähligen großen und kleinen Löchern, seltsam... Wie schlafendes Unheil. Sephiroths Augen tasteten die Umgebung ab und landeten immer wieder bei dem spärlich gewachsenen Gras. Es wirkte wie glasiert. Überall. Ein mehr als deutliches Zeichen, dass sie hier richtig waren. „Was ist das hier eigentlich genau?“ murmelte es neben ihm, und der General teilte so knapp wie möglich mit, was er über die Welt unterhalb des Bodens wusste. Unter ihnen lag ein finsteres Labyrinth aus verschachtelten, auf unterschiedlicher Höhe angelegten Gängen und Höhlen, errichtet vor endlos langer Zeit, aus einem längst vergessenen Grund, eine komplizierte, kartenlose Welt, an deren Erkundung schon viele Abenteurer gescheitert waren. Man brauchte nicht übermäßig viel Phantasie um Verhungern oder Verdursten als höchstwahrscheinlichste Todesursachen anzunehmen. Grausame Tode, langsam und qualvoll. „Weißt du, was ich denke? Diese Löcher sind gegraben worden und somit nette Fallen für... so ziemlich alles.“ Sephiroth dachte dasselbe. 1000e von unterschiedlich großen Gruben, umgeben von höchst instabilem Grund, warteten nur auf unachtsam hineinstolpernde Beute. Und unten, behaglich in der Finsternis sitzend, lauerte der hungrige und nicht sehr wählerische Tod. Der Erfolg schien allerdings in letzter Zeit auszubleiben, wenn das Monster außerhalb auf Jagd gehen musste. Außerdem gab es noch eine Ungereimtheit. Wo ist der verdammte Eingang, dachte Sephiroth. Diese Löcher sind alle zu klein... „Wollen wir versuchen, es rauszulocken?“ Zack schwang unternehmungslustig sein Schwert. Sephiroth nickte. Den echten Eingang ausfindig zu machen kostete zuviel Zeit. Laut den Jägern war das Monster „zuhause“... Sie glitten von den Chocobos und näherten sich der mit Kratern übersäten Fläche. Cutter folgte mit äußerster Vorsicht. Sie war nach wie vor off-line, empfand aber nicht einmal Trauer darüber, sondern sah es als Bestätigung für ihren gefassten Entschluss, ShinRa, die Welt der Lines und den Traum von Silberflügeln für immer unter einem Haufen Unbegabtheit zu begraben. Energisch blinzelte sie die Tränen weg und blieb hinter den beiden Offizieren, die konzentriert neben einem besonders großen Loch stehen geblieben waren und hinuntersahen, zurück, bemüht, sich nicht schon wieder in Schwierigkeiten zu bringen. Hier wirkte der Boden, bedingt durch wenige und kaum faustgroße Löcher, relativ sicher. Die beiden SOLDIER starrten, den Rücken zu dem Teenager gewandt, in die Dunkelheit hinunter, und beratschlagten die weitere Vorgehensweise. Cutter beobachtete interessiert eines der anderen Löcher, als ohne jegliche Vorwarnung... Das Mädchen runzelte die Stirn. Hatte der Boden um den Krater gerade ... gebebt? „Wir benutzen ein Chocobo als Köder um es herauszulocken“, entschied Sephiroth. Cutter fixierte den schwarzen, kreisrunden Eingang. Nach einem Moment schüttelte den Kopf. Sie hatte sich geirrt. Typisch... Oder? Fragend sah sie hinüber zu Sephiroth und Zack, deren leises Gespräch sie allerdings nicht verstehen konnte. „Lassen wir es am Leben?“ Ein paar Meter entfernt bebte die Erde ein zweites Mal kaum merklich. Dann ein drittes zittern, kaum länger als ein Herzschlag – aber diesmal bemerkte Cutter es. Ein seltsames Gefühl der Unruhe ergriff von ihrem Körper Besitz. Irgendetwas... war nicht in Ordnung. Irgendetwas... bahnte sich... an... kam näher... lautlos... unaufhaltsam... entschlossen... suchend. „Vorerst“, entschied Sephiroth. „Ansonsten müssen wir zu drastischeren Maßnahmen greifen.“ Cutter starrte auf die nur wenige Meter entfernte, jetzt wieder völlig ruhige Stelle. Der Boden hatte gebebt, kein Zweifel! War das nur ihr aufgefallen? Ratsuchend blickte sie zu ihren Begleitern hinüber. Ich muss es ihnen sagen. Sie sind völlig abgelenkt, vermutlich haben sie es nicht bemerkt. „Zack?“ Der angesprochene hob den Kopf in Richtung Cutter, und der Teenager holte tief Luft, wollte ihre Entdeckung äußern... und wurde sich im selben Moment über die Naivität ihres Vorhabens bewusst. Vor ihr standen perfekt ausgebildete Elitekämpfer im höchsten Rang. Profis, denen nichts entging. Wenn sie nicht auf das beben reagierten, dann höchstwahrscheinlich, weil sie es als absolut ungefährlich einstuften. Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Nichts. Entschuldige bitte.“ Zack realisierte ihre Nervosität und lächelte beruhigend. „Keine Sorge, Cutter-chan. Wir beschützen dich.“ Dann sah er wieder zu Sephiroth hinüber. Nur eine Sekunde später erzitterte die Erde erneut. Diesmal genau unter den Füßen des Teenagers. Die Folgen waren völlig lautlos, unwiderruflich, unwirklich – aber endgültig. Und sie geschahen augenblicklich. „Ich hole das Chocobo.“ Zack wandte sich um. „Cutter-cha...n?“ Allein die Betonung reichte aus um den General über die neusten Entwicklungen zu informieren. Er machte auch keine Anstalten, Zack an einer schnellen, aber gründlichen Untersuchung der vorhandenen Löcher zu hindern, wissend, dass keines von ihnen eingebrochen oder groß genug gewesen wäre, um einen Teenager zu verschlingen. Genau das wusste Zack auch. Haare raufend wandte er sich um. „Wo ist sie hin??“ Sephiroth deutete ruhig nach unten. Er war daran gewöhnt, täglich mit im Grunde unmöglichen Dingen konfrontiert zu werden. Seine Welt bestand teilweise ausschließlich daraus. Für die aktuelle Situation gab es, so absurd es schien, nur diese eine Möglichkeit. „Aber...“ Zack verstummte. „Gut“, sagte er dann entschlossen. „Graben wir sie aus.“ „Und mit welchem der völlig intakten Löcher willst du anfangen?“ Seine Stimme klang spöttisch. „Das da hinten sieht hübsch aus. Antrag abgelehnt.“ Zack erstarrte. Er hatte schon genug Einsätze zusammen mit dem General bestritten um zu wissen, dass dieser keinen Augenblick zögerte, jemanden zurückzulassen, wenn das Risiko zu groß war. War es das jetzt auch? „Sir... sie kann sich nicht verteidigen! Da unten ist vermutlich ein Monster! Sie ist ganz allein! Vermutlich verletzt! Du kannst sie nicht ernsthaft zurücklassen wollen!“ „Habe ich das jemals gesagt, Zackary?“ Der Angesprochene musste zugeben, dass davon nie die Rede gewesen war. Bisher. „Also, was haben wir dann vor? Sie suchen und finden?“ „Natürlich!“ Es lag ihm völlig fern, Präsident ShinRa zu erklären, warum es dem Duo „legendärer General und 1st Class SOLDIER“ nicht gelungen war, auf einen Teenager aufzupassen. „Aber mit System.“ Neben ihm atmete Zack erleichtert auf und gewann dann innerhalb eines Sekundenbruchteils sein grinsen in voller Stärke zurück, öffnete den Mund und... „Ich will jetzt keine Witze über grabende Hunde hören, Zackary!“ „Ooooh, woher wusstest du...? Nicht mal einen kleinen?“ Sephiroth bedauerte sehr, keine Schaufel dabei zu haben. Nur zu gerne hätte er sie dem immer noch breit grinsenden 1st übergezogen um ihn anschließend in eines der Löcher zu werfen. Bezüglich der aktuellen Situation jedoch verzichtete er auf weitere, in diese Richtung laufende Gedanken und begann mit der Verwirklichung seiner Strategie. Es gestaltete sich schwieriger als erwartet. Auf der mitgeführten Karte war zwar die Existenz der Höhlen vermerkt, aber kein Eingang. Sephiroth war gezwungen, die ShinRa Kartographieabteilung (den nachweislich unorganisiertesten Haufen der ganzen Maschinerie) zu kontaktieren. Es dauerte Stunden, in denen er und Zack sinnlos warten mussten, ehe eine Antwort vorlag und die Rettungsaktion starten konnte. Die Zeit lief. 3, maximal 4 Tage. Länger hielt der menschliche Körper nicht ohne Wasser aus, und ob es dort unten welches geben und der Teenager in der Lage sein würde, es zu finden, war... mehr als fraglich. Ein guter Blue Wanderer hätte vielleicht... Aber das war Cutter nicht, und vielleicht würde sie es niemals werden. Ihr Überleben hing jetzt allein von den beiden SOLDIER ab. Halte durch, Cutter-chan, dachte Zack. Hilfe ist unterwegs... Kapitel 7: Kapitel 7: Sehen lernen ---------------------------------- Es war nicht die alles umfassende Dunkelheit oder die Angst. Schuld war auch nicht die bedrohliche Stille, in welcher der eigene Herzschlag die Intensität eines starken Presslufthammers angenommen zu haben schien. Vielmehr war es eine entsetzliche, nervenzerfetzende Mischung aus allem. Cutter wusste nicht, wie lange sie schon orientierungslos durch die Finsternis irrte, sich mühsam an den kalten Erdwänden entlangtastend. Nach Hilfe rufen oder sich den Kopf zu zerbrechen, wie sie in diese Lage gekommen war, ... sie hatte es aufgegeben. Es gab keinen Sturz, an den sie sich erinnerte. Nur das einsame aufwachen in dieser finsteren Geräuschlosigkeit. Zuerst war sie von einem Spezialtraining ausgegangen, eine Annahme, die sich schon nach kurzer Zeit als nicht wahrheitsgemäß herausgestellt hatte. Und mittlerweile befand sich Cutter an einem Punkt, an dem sie nicht einmal mehr die Vorstellung, hier unten einem Monster zu begegnen, erschrecken konnte. Ihre Sinne, ihr Körper, jegliche Empfindung... betäubt. Ihre Hoffnung nicht mehr als ein schwaches, flackerndes glimmen unter der erdrückenden und mittlerweile unignorierbaren Gewissheit, dieses Labyrinth nicht mehr lebend zu verlassen. Der Teenager strauchelte zum wiederholten Male und ging zu Boden. Nur mühsam kam sie wieder auf die Beine. Ein einziger Gedanke, ein einziges Gefühl beherrschte sie mit nie gekanntem Verlangen. Ich habe Durst... Masamune beendete das Leben eines weiteren Monsters ohne zu zögern. Irgendwo neben ihm konnte Sephiroth Zack keuchen hören. „Hört das denn nie auf?“ Der 1st rang nach Atem. Schweiß perlte auf seiner Stirn, dennoch startete er mit ungebrochener Entschlossenheit erfolgreich einen erneuten Angriff, als ein weiteres Monster unmittelbar vor ihm auftauchte. 2 Tage! Seit 2 Tagen waren sie auf dieser verdammten Ebene unterwegs und hatte nicht einmal die Hälfte des Weges hinter sich bringen können. Schuld waren die Monster. Niemals zuvor war Zack so vielen begegnet. Sie waren alle von derselben Sorte: groß, zäh, verdammt unwillig zu sterben. Und von erschreckender Intelligenz. Sie kamen immer in Gruppen. Sie griffen immer gleichzeitig an. Sie passten sich Strategieänderungen mit erschreckender Schnelligkeit an. Sie ließen den beiden SOLDIER kaum eine Atempause, und für jeden gewonnenen Kampf galt es zwei neue zu bestreiten. Die Chance, Cutter lebend zu finden, sank rapide und unaufhaltsam. Es war, als habe das Schicksal ein persönliches Interesse am scheitern dieser Mission. Sephiroth glaubte nicht an Dinge wie Schicksal. Sein Glaube galt momentan vor allem dem Katana in seiner Hand, und seine Wut der festgefahrenen Situation. Ein weiteres Monster verwandelte sich in roten Nebel, gleichzeitig erledigte der General mit einem Blitzzauber etliche weitere Ungeheuer. Für einen Moment kehrte Ruhe ein. Zack nutzte die Gelegenheit für eine Potion und spürte, wie sich seine Energiereserven erholten. Sephiroth selbst war noch nicht auf eine entsprechende Hilfe angewiesen, aber mittlerweile verspürte auch er erste Anzeichen von Erschöpfung. Die unerwartete Ruhe gab ihm Gelegenheit, die Situation etwas intensiver zu überdenken. Hinter ihm girrten leise wie fragend die völlig verängstigten Chocobos. Reiten kam bei dieser Monsterintensität nicht in Frage, abgesehen davon war der Boden immer noch übersät mit Löchern und extrem instabil. Es dämmerte. Mit dem Einbruch der Nacht würde sich, wie in den bereits vergangenen, die Monsterintensität verdichten, aber die Fähigkeit, im dunkeln sehen zu können, machte auch diese Aufgabe lösbar. Das Problem war die Zeit... Der General wusste, ein guter BW wäre ohne Probleme in der Lage, mit Hilfe der Lines eventuelle Wasservorkommen und vielleicht sogar den Ausgang aufzuspüren. Aber Cutter war kein guter BW. Und die Chance, in dieser Extremsituation ihre unvorteilhafte Blockade zu überwinden, lagen bei Null. Es war an ihm und Zack, das Blatt zu wenden. Nur wie? Erneut fiel sein Blick auf die eng zusammengedrängten Chocobos, und eine Idee begann in ihm aufzusteigen, wurde klarer und festigte sich. „Zack, aufsitzen!“ „Jetzt?!“ „Jetzt, SOLDIER!“ Zack gehorchte widerspruchslos. „Mir nach!“ Sephiroth trieb sein Reittier an. Bisher hatte er das sanft getan, fast respektvoll, nicht zuletzt auch dank der hohen Leistungsbereitschaft des Chocobos, welche eine härtere Vorgehensweise überflüssig werden ließ. Dafür war jetzt keine Zeit mehr. Schnell und gründlich machte der General dem Tier klar, dass Langsamkeit und Vorsicht jetzt nicht mehr gefragt waren, und binnen kürzester Zeit hatte er es in die schnellstmögliche Gangart versetzt. Wenn Chocobos in der Lage waren, Treibsand zu wittern, sollte es ihnen auch möglich sein, mit diesem Boden klar zu kommen. Zur Not auch in mörderischem Tempo. Zack folgte Sephiroth mit derselben Geschwindigkeit. Pünktlich mit dem erscheinen der Sterne tauchten die ersten Monster auf, und Zack stockte fast der Atem, als er sah, wie der General die Ungeheuer in roten Nebel verwandelte ohne Tempo und Richtung auch nur geringfügig zu verändern. Ein verdammter Eisbrecher, dachte Zack und achtete darauf, den Abstand nicht zu groß werden zu lassen. Der Plan ging auf. Als der Morgen dämmerte, hatten sie mehr an Strecke geschafft als in den vorherigen Tagen und Nächten zusammen, und da in der Dämmerung die Monsteraktivität deutlich nachließ, machten sie eine Pause. Die Chocobos ließen sich augenblicklich völlig erschöpft am Boden nieder und schliefen sofort ein. „Arme Dinger“, murmelte Zack, selbst verwundert darüber, wie sehr sich seine Einstellung gegenüber der Tiere innerhalb der letzten Tage geändert hatte. Mittlerweile empfand er fast wirklich Respekt vor ihnen. Dabei waren Chococoburger so lecker... Nun gut, es würden sich mit Sicherheit Alternativen finden lassen. Sephiroth fixierte den fernen Horizont. Ein Durchhalten der Tiere vorausgesetzt, und sie würden am Nachmittag des morgigen Tages den Eingang der Höhlen erreichen. Und dann? Wie sollten sie den Teenager ohne Karte in diesem Labyrinth aus Gängen finden ohne sich selbst zu verirren? Falls sie überhaupt noch am Leben war. Wenn man sich wenigstens auf ihre Fähigkeiten als BW hätte verlassen können... „Ob sie noch lebt?“ hörte er Zack leise hinter sich sagen und schwieg, wissend, dass es keine seine Sorge beschwichtigende Antwort auf die Frage gab. Wenig später versuchten sie, die Chobobos zu wecken, aber die Tiere lagen da wie tot, und begannen erst nach weiteren Stunden der absoluten Ruhe, erste Lebenszeichen zu zeigen. Als Sephiroth und Zack den Weg wieder aufnehmen konnten, war der mühsam erkämpfte Vorsprung auf ein solches Minimum geschrumpft, dass eine erfolgreiche abgeschlossene Mission an der Grenze zum Wunder kratzte. „Da hinten.“ Sephiroth wies in die entsprechende Richtung, und Zack nickte. Ja. Das Ende der Ebene war deutlich abzusehen. Freuen konnte er sich darüber nicht. Sie hatten trotz der großartigen Leistung der jetzt zu Tode erschöpften Tiere länger gebraucht als jemals angenommen. Wenn es Cutter nicht gelungen war, irgendwie Wasser zu finden... „Seph, ich habe mir was überlegt.“ Sie erreichten das Ende der Ebene. „Vielleicht können die Chocobos Cutter wittern.“ Sephiroths Gesichtsausdruck verriet keinen seiner Gedanken oder Gefühle. Er sagte nur: „Das wird nicht nötig sein“, und wies nach unten. Zacks fragender Blick folgte der angezeigten Richtung. Der von der Ebene steil abfallende Boden tat dies in Form von losem Geröll und Schutt, ehe er weiter unten in einen Wald, der hauptsächlich aus abgebrochenen Baumstämmen zu bestehen schien, überging. Der 1st konnte auch den gigantischen Eingang des Labyrinths erkennen, klaffend wie ein aufgerissenes, schwarzes Maul. Aber etliche Meter von dem Eingang entfernt brannte ein kleines Feuer, und vor ihm, auf einem großen Stein, saß... „Halluziniere ich, Seph?!“ Aber Sephiroth war schon auf dem Weg nach unten, seinem Chocobo das letzte an Kraft abverlangend. Zack folgte ihm. In seinem Herzen tobten Erleichterung und Freude zu gleichen Teilen. Das Geräusch sich rasch nähernder Chocoboboeine brachte Cutter dazu, den Kopf zu heben, augenblicklich aufzuspringen und zu salutieren. „BW Kadettin Tzimmer Cutter meldet sich zurück, Si...“ „Cutter-chaaaaaan!!!“ Zack sprang aus dem Sattel, stürmte auf den Teenager zu und drückte sie begeistert an sich. „Du lebst noch... Oh, ich freu mich so, ich freu mich so!!“ „Zack“, röchelte sein Opfer halb lachend, „ich krieg keine Luft mehr!“ So sehr sie sich über das Wiedersehen freute, der eisige Blick des Generals ließ sie sehr schnell wieder Haltung annehmen. „Sir, ich...“ Eine silberfarbene Augenbraue hob sich langsam. Mehr war nicht nötig um den Teenager zum schweigen zu bringen. „Ich nehme an, du hast mit Hilfe der Lines den Ausweg gefunden.“ Ein nicken. „Ja, Sir. Und ich habe meinen Fehler erkannt.“ Es war zuviel passiert (oder eher nicht passiert) um diese Bemerkung zu ignorieren, abgesehen davon schätzte Sephiroth Fortschritte sehr. Diesmal allerdings nahm er zuerst dem Chocobo Sattel und Zaumzeug ab, ehe er sich wieder dem Teenager zuwandte. „Auf diese Geschichte bin ich sehr gespannt.“ Cutter wusste, sie hätte auch dieses Mal wieder von dem kalten Boden aufstehen und sich weiterschleppen müssen. Selbst, wenn es nur wenige Meter wären. Aber sie konnte nicht. Kraft, Hoffnung, Glaube... all das war irgendwo in der Finsternis hinter ihr verlorengegangen, opfergleich angenommen und verwandelt worden. Noch ein wenig mehr Dunkelheit. Irgendwie hatte sie es auch in das Herz des zu Tode erschöpften Teenagers geschafft, sich dort deutlich spürbar ausgebreitet, und angefangen, das ohnehin schon heftig flackernde Lebenslicht direkt und mit erdrückender Kraft anzugreifen. Das Mädchen konnte es deutlich spüren, war aber nicht mehr fähig, etwas dagegen zu unternehmen. Selbst ihr atmen war nur noch mechanisch. Wozu? Ob ich hier liegen bleibe oder ein paar Meter weiter gehe um dort zu sterben... Was macht es für einen Unterschied? Weshalb sich noch weiter quälen? Sie erzitterte unter einem erneuten Angriff. Stolpernder Herzschlag hallte laut in ihren Ohren wieder. Ich werde sterben... Es erschreckte sie nicht mehr. Ich werde sterben. Was soll´ s. Mich wird niemand vermissen. Ich bin nicht wichtig. Hoffentlich kriegen General Crescent und Zack keinen großen Ärger meinetwegen... Zu schwach für Gegenwehr, ergeben in ihr Schicksal, schloss sie die Augen, wissend, dass jetzt Kräfte greifen würden, für die menschliche Stärke oder Schwäche absolut unbedeutend war. Und so geschah es. Ihr Lebenslicht schrumpfte zu einem dumpfen glühen zusammen. Finsternis umgab es, lauernd, wartend, den Druck verstärkend, siegessicher... Und in diesem ewig scheinenden Moment der Ruhe... erwachte das Gefühl. Majestätisch und langsam erhob es sich von Cutters Seelengrund und trat mit gebieterischer Erhabenheit an die Oberfläche ihres Bewusstseins. Es allein öffnete die Augen des Teenagers und verlieh ihr die Fähigkeit, zum ersten Mal in ihrem Leben ohne fremde, störende Einflüsse... wirklich zu sehen. Eine einzelne, sanft pulsierende blaue Line genau vor ihr. Sie schlängelte sich fadengleich durch die Dunkelheit. Wartend wie eine ausgestreckte Hand. Cutter blinzelte langsam. Wie hübsch... Als würde sie alles andere leise auslachen. Erst nach einer Weile ging ihr auf, dass mit der Farbe eine wichtige Information verbunden war. Blau... blau... Die Finsternis spuckte wiederwillig einen Brocken Erinnerung aus. Blaue Line... Wasser. Wasser war lustig. Man konnte darin schwimmen, oder andere Leute nass machen, man konnte damit duschen oder baden, es war unverzichtbar fürs kochen, dunkle Wolken ließen es vom Himmel fallen, es löschte brennende Dinge... und man konnte es... trinken. Überleben. Wasser. Cutter versuchte, wieder auf die Beine zu kommen und scheiterte, wieder und wieder. Der Wunsch, einfach liegen zu bleiben, kämpfte mit ihrem neuerwachten Überlebenswillen. Mir scheint, dachte der Teenager mit sie selbst überraschender Grimmigkeit, nur mein Körper will sterben. Und dann dachte sie: Vergiss es! Halb kriechend, halb krabbelnd begann sie, sich vorwärts zu bewegen. Ihrem geschwächten Bewusstsein gelang es nicht, herauszufinden, wie viel Weg es bis zu dem Wasser zurückzulegen galt, aber solange die Line existierte, würde Cutter ihr folgen, irgendwie! Sie kam nur langsam vorwärts und musste viele Pausen einlegen, aber sie bewegte sich. Nach und nach wurde auch ihr Bewusstsein wieder klarer. Ich muss wissen, wie weit es noch ist, dachte Cutter und konzentrierte sich mit aller ihr zur Verfügung stehenden mentalen Stärke, starrte auf die Line, blinzelte... und fand sich gänzlich allein in der Dunkelheit wieder. Die rettende Line war verschwunden. Stattdessen prallte der Geist des Teenagers hart auf die alles versperrenden Mauer. Ein langgezogener, verzweifelter Schrei hallte durch die Stille und ging nach ein paar Sekunden in leises wimmern über. „Nein“, flüsterte Cutter. „Nein!“ Sie ballte die Hand zur Faust und schlug hilflos auf den kalten Boden ein. Tränenloses schluchzen schüttelte ihren Körper. „Komm zurück...!! Lass mich nicht allein... Bitte...“ Sie schloss die Augen und ließ den Kopf zurück auf den Boden sinken. Alles toben, aller Protest... Sinnlos. Es war nur ein kurzer Moment Hoffnung gewesen. Die Mauer ließ sich nicht durchdringen, nicht umgehen, nicht zerbrechen. Sie war unbesiegbar. Cutter nahm nicht wahr, wie dieselbe vorhin gefühlte Ruhe abermals von ihr Besitz ergriff. Aber als das Mädchen das nächste Mal den Kopf hob, glaubte sie im ersten Moment, zu träumen. Sie blinzelte ungläubig, aber das Bild änderte sich nicht. Sanftes, blaues glühen genau vor ihr. Wie kann das sein? Warum verschwindest auf einmal und kommst dann zurück? Ich weiß, du bist immer da, aber ich kann dich nicht immer sehen. Warum? Was mache ich falsch? Mühsam schleppte sie sich weiter vorwärts und begann, sich wieder zu konzentrieren. Die Line flackerte. Cutter hielt erschrocken inne und griff instinktiv nach der eben noch gefühlten, schon wieder verblassenden Ruhe tief in sich, zwang, bettelte, schmeichelte, überredete sie zu einer Rückkehr. Die Line wurde wieder deutlicher. Irgendwo unter der Erde setzte Erkenntnis ein, langsam, aber dafür mit unglaublicher Stärke. Cutter musste inne halten. Sie starrte das fast zärtlich pulsierende blau an und konzentrierte sich wie immer mit aller Kraft auf ihr Wissen über die Lines, die Tipps und Tricks, Zahlen, Daten, Fakten... Das blaue glühen verschwand fast augenblicklich. Cutter holte tief Luft, schloss die Augen und streifte allen Druck von sich wie ein altes, unnützes Kleidungsstück. Entspannte sich. Öffnete die Augen. Blaues glühen vor ihr. Und Cutter begriff. „Ich habe immer zu verbissen gearbeitet.“ Sie schüttelte den Kopf ehe sie durch die Flammen zu Sephiroth und Zack hinübersah. „Ich wollte immer alles richtig machen. Vor lauter... Theorie habe ich vergessen, auf mein Gefühl zu achten. Und das war´ s, Sir. Ich muss mich entspannen. Wenn ich nicht versuche, es zu erzwingen, ist es ganz einfach.“ Sie lächelte. „Ich habe das Wasser gefunden, und hinterher auch ganz schnell den Ausgang. Und seitdem sitze ich hier und warte, in der Hoffnung dass...“ Sie zuckte verlegen mit den Schultern. „... na ja... Sie und Zack auftauchen würden. Was ja auch passiert ist.“ Im undefinierbaren Ausdruck der makogrünen Augen änderte sich nicht die geringste Kleinigkeit. „Fazit?“ Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. „Ich denke, ab jetzt werde ich eine Hilfe sein, Sir, und kein Hindernis mehr!“ Sephiroth schwieg einen Moment lang. Etwas an der Ausstrahlung Cutters hatte sich völlig verändert. Sie wirkte... wissender. Und ein wenig erwachsener. Durchaus honorierbar. „Das ist deine letzte Chance, Tzimmek. Willkommen zurück!“ „Ja Sir. Und dank...“ Ein heftiges rascheln in einem der nicht weit entfernten Büsche unterbrach sie. 3 Augenpaare hefteten sich auf die klar zu erkennende Bewegung. Das Monster konnte es nicht sein. Aber was dann? Nur Sekunden später wühlte sich der mit kurzem Fell bedeckte Kopf eines Tieres aus der schützenden Deckung und blinzelte träge zu der kleinen Gesellschaft hinüber. „Hallo, Abendessen“, flüsterte Zack und griff nach dem Busterschwert. Völlig unabhängig davon, was der 1st gefangen hatte: es war Fleisch, ließ sich nach den üblichen Vorbereitungen wunderbar über dem Feuer braten, und - schmeckte köstlich. Während Sephiroth schweigend aß, erzählte Zack nach jedem schlucken detailliert von der Rettungsaktion. Er erwähnte auch, dass der Boden dort, wo Cutter verschwunden war, bis auf die unversehrten Löcher völlig intakt gewesen sei. „Was?“ Verblüfft sah das Mädchen auf, in ihren Händen hielt sie immer noch ein Stück fürs Feuer bestimmte Holz. „A... aber ich dachte... Ich dachte, ich sei eingebrochen!“ „Nein“, antwortete der 1st vergnügt. „Die Erde hat dich in einem Stück verschluckt und wieder ausgespuckt, und darüber bin ich sehr, sehr, sehr...“ Er verstummte. Gleichzeitig wurden seine Augen schlagartig von dem, was Sephiroth heimlich als „Rette sich wer kann, ich habe eine grandiose Idee“ Funkeln bezeichnete, heimgesucht. Zack griff blitzartig mit beiden Händen nach denen von Cutter, strahlte den perplexen Teenager an... „Bring mir bei, wie das geht!!!“ Der Teenager wandte den Kopf und sah zu dem General hinüber. „Ich dachte, ich wäre eingebrochen, weil die Erde unter mir gebebt hat.“ „Die Erde hat unter dir gebebt“, wiederholte Sephiroth und konnte es für einen Moment wirklich kaum fassen, zumal Cutter todernst nickte. „Ich wollte nur nichts sagen, weil es so absurd klang, ich meine, warum sollte die Erde das nur unter meinen Füßen machen?“ „Wenn dir das nächste Mal etwas absurd vorkommt“, seine Stimme klang fast sanft, „möchte ich informiert werden.“ „Versprochen, Sir.“ „Oh Cutter-chan...“ Zack wuschelte ihr vergnügt durch die Haare und lachte. „Du hast uns echt Nerven gekostet. Guck dir nur Sephiroths Haare an. Viel grauer als noch vor ein paar Tagen!“ „Die sind doch silbern“, murmelte Cutter verlegen und lächelte schüchtern in Richtung Sephiroth. Dieser erwiderte das lächeln mit einem Blick tiefer Unergründlichkeit und griff im aufstehen nach Masamune. Cutter schluckte. Hatte Zack es diesmal übertrieben? Aber das Ziel des Generals war nicht der 1st, sondern der Höhleneingang, welchen er mittels eines einzigen, perfekten Schlages zum zusammenbrechen brachte. Zack nickte grimmig. Cutter-chan lebte. Das Monster hielt sich also momentan nicht in dem Labyrinth auf. Ihm die Rückzugsmöglichkeit zu versperren war ein geschickter Schachzug gewesen. Blieb nur noch die weitere Vorgehensweise zu klären. „Was machen wir jetzt, Sir?“ fragte Cutter. „Eigentlich sind wir nicht viel weiter, oder?“ „Sehr richtig.“ So sehr es ihm auch missfiel. Mit den wenigen Hinweisen ließ sich kaum etwas anfangen. Intensives Brainstorming war angesagt. „Vorschläge, irgendjemand?“ „Mh“, begann Cutter, die viel Zeit zum nachdenken gehabt hatte, „wir könnten vielleicht...“ Weiter kam sie nicht. Genau über ihnen explodierte der Himmel in einem gewaltigen Ball aus Feuer. Kapitel 8: Kapitel 8: Enthüllung -------------------------------- Es ging so schnell. Feuer fiel wie die ultimative, in dunkles rot gehüllte Kampfansage vom Himmel, begleitet durch Geräusche, die sich nicht klar zuordnen ließen. Cutter sah all den lebendig scheinenden Tod auf sich zurasen, spürte die starke Hitze – war aber in verblüffter Bewegungslosigkeit erstarrt. Ihr Zustand blieb zum Glück nicht unbemerkt. Ein harter Stoß traf ihre Schulter und schleuderte den Teenager mühelos mehrere Meter davon, aus dem direkten Gefahrenbereich, der nur eine Sekunde später förmlich vor Feuer und Hitze explodierte. Alles auch nur annähernd brennbare ging in Flammen auf und absorbierte gierig die Luft in der näheren Umgebung. Keuchend kam Cutter wieder auf die Beine und begann instinktiv zu laufen, weg von der Hitze... Hinter ein paar großen Felsen und in respektabler Entfernung ging der Teenager mit wild klopfendem Herzen in Deckung, spähte vorsichtig an dem schützenden Stein vorbei. Der Platz, an dem sie gerade noch gesessen hatte, brannte noch, aber die größte Intensität schien vorbei zu sein. Dennoch wirkten die tanzenden Flammen immer noch bedrohlich und irreal. Die Chocobos waren verschwunden, und Cutter hoffte, dass ihnen eine Flucht gelungen war. Von Sephiroth und Zack war weit und breit keine Spur zu sehen, aber aus dem dunklen Himmel erklangen eindeutige Kampfgeräusche. Und dann, urplötzlich... Stille. Mit zum zerreißen gespannten Nerven starrte Cutter in die viel zu intensive Finsternis, versuchte zu sehen, zu hören, irgendetwas... Egal was da oben war, es würde den General und Zack doch nicht erledigt haben? Quatsch, schimpfte sich der Teenager energisch selbst. Die beiden sind unbesiegbar, vermutlich... Und dann, ohne Vorwarnung, zerriss ein gewaltiger Blitzzauber den Himmel mit seinem gleißenden, vielfach geästelten Licht. Der so enthüllte Anblick ließ Cutter zurücktaumeln, weckte den Wunsch nach wilder Flucht, und beförderte sie schließlich geplättet auf den Hosenboden. Cutter war nie eine gute Schülerin gewesen, aber auch bei ihr hatte es Fächer gegeben, in denen sie... nun – nicht ganz so schlecht gewesen war wie in anderen. Die zahlreichen Funkschulungen zum Beispiel. Die einzelnen zu grüßenden Ränge (was einfach gewesen war, weil man als Kadett quasi jeden zu grüßen hatte). Und Monsterkunde, die ein- oder zweimal, je nachdem wie gut sie bei den restlichen Fächern vorankamen, stattfand. In Monsterkunde war Cutter richtig gut gewesen. Obwohl Azraels Anweisung („Spielt nicht den Helden – lauft und versteckt euch!“) mit Sicherheit ernst zu nehmen war – Cutter hätte gewusst, welche Zauber für die einzelnen Monster am effektivsten waren oder wo die körperlichen Schwachpunkte lagen. Klassische Momente, in denen ihre Phantasie mit ihr durchging und sie selbst, umzingelt von einer Horde zahn- und klauenbewehrter Biester zu m Schwert oder Materia greifen ließ. Siegreich, natürlich. Aber das hier war keine Phantasie, und eigenes Schwert oder Materia waren nicht existent. Es war riesig. Alles an ihm. Und die gewaltigen Schwingen unterstrichen diese Tatsache zusätzlich. Ein wahrer König unter den Monstern. Fast... schön. Eben wirbelte der gewaltige Kopf herum, einem Angreifer entgegen, das scheinbar nur aus sehr großen, scharfen Zähnen bestehende, weitaufgerissene Maul weit geöffnet... Erneute Dunkelheit schlug über dem Szenario zusammen. Sekundenbruchteile später erklang ein reißendes Geräusch, gefolgt von einem ohrenbetäubenden und definitiv nicht menschlichen Schmerzensschrei. Irgendetwas fiel rauschend vom Himmel und landete klatschend irgendwo am Boden, dicht gefolgt von einem zweiten, die Erde erbeben lassenden Aufschlag. Erneutes, schmerzerfülltes brüllen erklang, und dann nichts als das knacken, splittern und brechen von Holz, nah zuerst, dann sich zügig entfernend. Erst jetzt wurde Cutter bewusst, dass sie die ganze Zeit die Luft angehalten hatte, und sich als Folge dessen die Welt vor ihren Augen drehte. Hastig holte sie das atmen nach und war eben wieder aufgestanden, als jemand neben ihr landete. „Bist du verletzt??“ Zack. Der Teenager schüttelte den Kopf. „W.. war das unser Monster?? Wo kam das auf einmal her?? Und was ist da vom Himmel gefallen?“ „Ich hab das Vieh flugunfähig gemacht, jetzt haben wir eine Bilderbuchspur! Komm mit!“ Er griff nach Cutters Hand und begann zu laufen. Zuerst folgte ihm sie ihm strauchelnd, dann gelang es ihr dank der neu erworbenen Fähigkeit, das zügige Tempo problemlos zu halten. Zack lächelte vergnügt. Sie kamen gut und schnell voran. Noch war der Boden fest. Aber ihr Weg blieb tückisch und unberechenbar. Wild. Ein falscher Schritt konnte den Tod bedeuten... Als sie Sephiroth erreichten, begann es im östlichen Horizont zu dämmern. Der General stand am Anfang einer trügerisch grün und braun glänzenden, gigantischen Fläche, nur unterbrochen von binsenartigen Gewächsen und kleineren, nicht sehr vertrauenserweckend aussehenden Inseln. Spätestens ab hier kroch der winzige Rest Sicherheit gähnend zurück in sein warmes Bett und ließ die drei Abenteurer allein zurück. Von dem Monster war nichts zu sehen. Aber durch den Schlamm zog sich eine deutlich sichtbare Spur... Zack verzog das Gesicht. „Wie sollen wir der folgen, ohne dabei unterzugehen?“ Sephiroth warf einen Blick neben sich. „Tzimmek?“ „Bin schon dabei, Sir.“ Vor ihren Augen zeichneten sich Lines ab. Sie konzentrierte sich, gerade stark genug um keinen Druck aufzubauen aber trotzdem den Kontakt zu halten. Wasserlines. Erdlines. Pflanzenlines. Das sich ihr bietende Bild zeigte zuerst nur ein heilloses durcheinander. Dann begann sich ein gewisses Muster von Erd- und Wasserlines abzuzeichnen. Mal liefen sie parallel zueinander. Mal überkreuzten sie sich. Die Bedeutung ließ sich erahnen. Aber welche Variante verriete einen sicheren Untergrund? Es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden. Zack hielt den Atem an als Cutter einen Sprung mitten hinein in die glänzende Fläche machte und aufspritzendes Wasser einen Fehlschlag verriet. Von Sephiroth an einem Rettungseinsatz gehindert konnte er beobachteten, wie sich der Teenager entschlossen aus dem Schlamm zurück ans Land kämpfte un einen zweiten Versuch startete. Diesmal hielt der Boden ihr Gewicht. „Ihr nach.“ Die beiden SOLDIER folgten ihrem jüngsten Teammitglied, das eine bis dahin völlig unbekannte Zielstrebigkeit und Konzentration an den Tag legte. Ihre Sprünge waren präzise und kraftschonend. Cutter wusste, was sie tat. Zum ersten Mal seit Missionsbeginn handelte sie vertrauenserweckend. Die Spur des Monsters führte tief in den Sumpf hinein. Sephiroth registrierte mit wachsender Sorge, wie sie sich mehr und mehr mit Wasser füllte. Schon bald würden der Sumpf sie spurlos verschlungen haben. Auch Cutter war das nicht entgangen, aber die Vorhergehensweise ließ sich nicht beschleunigen. Nach jedem neuen Sprung musste sie innehalten und mit Hilfe der Lines nach dem nächsten, sicheren Landepunkt suchen. Und nicht jeder lag in Reichweite... Irgendwann war es soweit. Nichts als glänzendes Wasser ließ nur noch gefährliche Mutmaßungen zu. Hilfesuchend wandte sich Cutter zu Sephiroth um. Dieser deutete auf eine der winzigen Inseln inmitten der Trübsinnigkeit aus grün und braun, und schon bald machten sie dort einen kurzen Moment Rast. „Verdammt“, murmelte Cutter frustriert. Die Lines lagen so klar vor ihr! Aber ohne richtungsangebende Spur... Ihr ganzer Körper kribbelte vor Spannung. Sephiroth entging das nicht. In Situationen wie dieser kamen die fatalsten Entscheidungen zustande, die später der Kategorie „Wie-konnte-ich-nur...“ zugeordnet wurden, und selten gut gingen. Er musste eingreifen, bevor es ein neues Ereignis einzusortieren galt. Cutter zuckte erschrocken zusammen, als er seine Hand auf ihre Schulter legte, und wandte den Kopf. In ihren Augen flackerte der Wunsch, irgendetwas effektives zu tun um ihn nicht zu enttäuschen, all die Patzer wieder gut zu machen, und das schnell, am liebsten sofort... „Einatmen“, befahl Sephiroth ruhig. „Stopp. Luft anhalten, langsam bis 3 zählen, ausatmen.“ Er beobachtete genau. „Das war maximal bis 2 ½, Tzimmek. Nochmal.“ Diesmal hielt sich Cutter an die Anweisung. Es funktionierte. Das gefährliche, falschen Ehrgeiz verratende glühen in ihren Augen erlosch und wurde durch einen der Situation wesentlich vorteilhafteren ersetzt. „Danke, Sir“, murmelte der Teenager und wandte verlegen den Kopf ab. „Was machen wir jetzt?“ Sephiroth nahm seine Hand von ihrer Schulter und schwieg einen Moment, ehe er antwortete. „Ich möchte dass du nach einer Abnormalität im Sumpf suchst.“ „Eine Abnormalität, Sir?“ „Ja. Irgendetwas. Spür es für uns auf.“ Schweigend ging Cutter on-line. Wasserlines, Pflanzenlines, Erdlines. Detaillierter. Tiefes Wasser, seichtes Wasser, sauberes Wasser, schmutziges Wasser. Fester Boden, lockerer Boden, schlammiger Boden, steiniger Boden. Lebendige Pflanzen, abgestorbene Pflanzen, auf dem Wasser schwimmende Pflanzen, am Boden wachsende Pflanzen. Besser. Cutter drang immer tiefer vor, ihr Geist raste auf den Lines hin und her, hielt inne, prüfte nach und verwarf, wechselte blitzartig die Spur, weiter, entfernte sich immer weiter... Stop! Hier. Chaos. Die Oberfläche des Wassers gestört, die am Boden befindlichen Wasserpflanzen zertreten, der Boden aufgewühlt. Cutter öffnete ruckartig die Augen und hob die Hand. „Diese Richtung, Sir. Ein paar tausend Meter.“ „Gehen wir.“ „Sir, was...“ Sie verstummte. „Habe ich gerade unser Monster gefunden?“ „Weshalb so verblüfft?“ Sephiroth ließ den Blick über die grünbraune Wasseroberfläche schweifen, während es hinter ihm halblaut: „A... aber mit den Lines kann man doch keine Lebewesen...“, murmelte. Silberfarbene Augenbrauen hoben sich halb amüsiert, halb lauernd. „Hast du nach einem Lebewesen gesucht?“ Stummes, verblüfftes kopfschütteln als Antwort. Niemals wäre Cutter auf die Idee gekommen, auf diese Art und Weise ein Lebewesen... Ihre Bewunderung für Sephiroth wuchs. „Bring uns auf wenige hundert Meter heran!“ Cutter wählte den schwierigsten, aber zeitgleich auch kürzesten Weg, und wenige Minuten später hielt sie signalgebend inne und zuckte erschrocken zusammen, als Sephiroth unerwartet neben ihr landete. Intensiv grüne, hochintelligente Augen tasteten über den unspektakulär wirkenden Sumpf. Die Geräusche allerdings... ein toben und brausen, nicht weit entfernt. „Sir“, instinktiv flüsterte Cutter, „wo sind wir hier eigentlich?“ Erst dann wurde ihr bewusst, dass man sie vermutlich gar nicht verstehen konnte, aber Sephiroth antwortete. „Mitten im Augensumpf.“ „Ah“, machte der Teenager zufrieden. Einen Moment lang blieb es ganz still zwischen ihnen. „Du hast nach wie vor keine Ahnung, oder?“ „Nein. Sir. Sorry.“ „Aber Natjsjurghawasserfall sagt dir doch etwas?“ „Klar, Sir.“ Klar, Sir? Leichte Irritation stahl sich in den Blick des Generals. Sonst sprach nur Zack so mit ihm. Und Zack war – trotz allem – ein 1st Class SOLDIER wie er selbst. Dass Cutter jetzt genauso anfing... Diese Kadetten wurden immer frecher! Andererseits schwamm der Teenager auf einer Welle der Euphorie, die eine Rüge kaum würde abflachen können... „Das ist der größte Wasserfall hierzulande, Sir“, fuhr sie gerade fort. „Wird gespeist durch zwei unterirdische Flüsse, zwischen denen an der Oberfläche ein Sumpf... ah, jetzt weiß ich, wo wir sind!“ „Gut, nachdem das geklärt ist... wo befindet sich das Monster?“ Auf Cutters Beschreibung hin nickte er kurz. „Du konzentrierst dich nur auf eins: Sicherheitsabstand!“ Cutter nickte. „Viel Glück, Sir, dir auch, Zack.“ Dann suchte sie sich eine Stelle, an der sie voraussichtlich nicht sofort in Gefahr sein würde. Sephiroth fixierte die angegebene Stelle im Sumpf. Dieses Monster war... anders. Die Materiaattacken waren völlig wirkungslos geblieben. Vielleicht lag es an der Wahl der Materia. Vielleicht besaß das Monster aber auch eine natürliche Resistenz. Sephiroths Hand schloss sich fester um den Schwertgriff. Dann katapultierte er sich in die Luft. „Showtime“, flüsterte Zack und beobachtete, wie Sephiroth einen ersten Schlag führte. Andere Schwertkämpfer wären auch nach einem lebenslangen Training nicht einmal ansatzweise an die Intensität dieses einen Schlages gekommen. Er spaltete den Sumpf bis auf den Grund. Wasser und Schlamm wurden nach oben geschleudert. Und noch etwas mehr. Aus dem Sumpf erhob sich wie die Verkörperung aller Albträume ein gigantisches Monster. Schlamm bedeckte seinen Körper, erweckte den Eindruck, der Sumpf selbst sei lebendig geworden. Ein einzelner, gigantischer Flügel entfaltete sich und klatschte auf die Oberfläche. Matsch und Wasser spritzten fontänenartig hoch. Das Monster warf den Kopf zurück und brüllte, gleichzeitig reckte es sich auf den Hinterbeinen hoch auf, zerfetzte die Luft mit den gigantischen Klauen der Vorderläufe. Der einzig intakte Flügel peitschte jetzt die Luft, wirbelte eine feine Wolke aus Wassertröpfchen auf wie Nebel. „Guten Morgen“, grüßte Zack fröhlich und ging seinerseits zum Angriff über. Ab da ging alles sehr schnell. Geschwindigkeit. Präzision. Teamwork. Instinkt. Schutzfaktor. Durchschlagskraft. Strategie. Energie. Timing. Eleganz. Erhabenheit. Und eine nicht ganz unerhebliche Menge an Arroganz. Dies alles beherrschte das Schlachtfeld von der ersten Sekunde an. Und es waren keine Eigenschaften des Monsters. Im Gegensatz zu den beiden SOLDIER wirkte es plump und ungeschickt, aber Sephiroth hütete sich davor, es zu unterschätzen. Dieses Biest hatte mehrere SOLDIER auf dem Gewissen! Es war zäh, ja, aber das reichte nicht aus. Es musste noch eine Attacke beherrschen, etwas wesentlich... Das Monster ergriff die Flucht in Richtung des Wasserfalls. Sephiroth und Zack folgten ihm ohne zu zögern, und auch der plötzliche Stopp des Ungeheuers irritierte sie nicht... Bis dieses mit ungeahnter Geschmeidigkeit herumwirbelte. In seinem weit geöffneten Maul glühte helles, krankes gelb wie Feuer aus vier kanülenähnlichen, feuchtglänzenden Öffnungen. Kapitel 9: Kapitel 9: Des Rätsels Lösung ---------------------------------------- Sie hätten mit Feuer oder Eis gerechnet. Vielleicht auch Säure. Aber keins dieser drei Möglichkeiten verließ das Maul des Monsters. Was stattdessen in absoluter Lautlosigkeit abgesondert wurde, war... „Gas?!“ Schlagartig machten all die seltsamen Hinweise einen Sinn. Das Chaos ordnete sich. Diesmal hat er sich selbst übertroffen, dachte Sephiroth grimmig. Bravo! Die Gaswolke war schwerer als die sie umgebende Luft, blieb am Boden und bewegte sich, nur zu erkennen am blasenförmig protestierende Wasser und nach Kontakt augenblicklich wie glaciert wirkenden Grasstengeln, auf ihn und Zack zu, vom siegessicheren Monster nicht weiter beachtet. Das Ungetüm zog es vor, sich unaufhörlich in Richtung des Wasserfalls zu schleppen. Gas war... neu, das musste Sephiroth zugeben. Aber es reichte nicht aus, um ihn zu beeindrucken. Auch Zacks Reaktion war mehr als eindeutig. „Oh nein, Gas, was sollen wir bloß tun?“ Er wechselte blitzartig eine Materia aus. „Ich renne heulend davon und rufe lautstark nach meiner Mami!“ Ein Wind 3 zerstreute die Attacke unwiederbringlich. „Schluss jetzt!“ Körperlich und mental auf den Entscheidungsschlag vorbereitet startete Zack einen letzten Angriff, stieß sich von einer der kleinen Inseln ab und jagte, das Busterschwert hoch erhoben, auf das Ungeheuer zu. Mittlerweile befanden sie sich am äußersten Rand des Sumpfes. Nur wenige Meter weiter hörte die Fläche auf wie abgeschnitten und spuckte den gewaltigen Wasserfall aus, der sich erst nach einem freien Fall wieder in einen Fluss verwandelte. Das brausen und toben der beeindruckenden, aus dem Fels hervorschießenden Wassermassen war gigantisch. Zack hatte dafür momentan kein Auge. Seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Monster, besonders dessen Vorderseite mit den riesigen Zähnen war nicht zu unterschätzen. Der 1st machte sich darauf gefasst, eine letzte Attacke eben dieses Maules mit dem Busterschwert abzuwehren und den Siegtreffer gegen den Hals des Monsters zu führen... aber stattdessen geschah etwas völlig unerwartetes. Aus dem schlammigen Morast erhob sich blitzartig ein langer und kräftiger Schwanz, der peitschengleich zuschlug. In der Luft schwebend fehlte selbst einem erfahrenen Kämpfer wie Zack die Möglichkeit, auszuweichen, aber der 1st dachte nicht eine Sekunde an Flucht. Vielmehr änderte er augenblicklich das ursprünglich angepeilte Ziel, fokussierte den auf ihn zurasenden Schwanz und führte einen Paradeschlag mit dem Busterschwert. Lautes, schmerzerfülltes brüllen bestätigte einen Treffer, untermalt vom deutlich hörbaren klatschen und einer gewaltigen Morastfontäne, als das abgetrennte Körperteil im Sumpf landete. Zack grinste. Vom Schwanz des Monsters war nur noch maximal die Hälfte übrig. Was willst du jetzt machen, hm, dachte Zack. Nur eine Sekunde später erhielt er eine Antwort. Das Ungeheuer breitete den übriggebliebenen Flügel aus und führte einen gezielten Schlag gegen die Oberfläche des Sumpfes. Wasser, Schlamm, Pflanzen und Morast explodierten förmlich, nahmen Zack für einige Sekunden jegliche Sicht, katapultierten ihn in die Defensive. Zack wusste, der Angriff würde kommen, jetzt oder nie. Nur – von wo? Und womit? Der Schwanz schied zwar aus, aber es blieben noch genug Varianten übrig, und... Die Attacke kam von der Seite. Knochen brachen unter dem mit aller Wucht einer vor Wut und Schmerz rasenden Bestie geführten Schlag, schleuderte ihn weit über das Ende des Sumpfes hinaus in die Leere zwischen den einzelnen Ebenen, wo er, den Gesetzen der Schwerkraft unterliegend, augenblicklich aus Sephiroths Blickfeld verschwand. Das Monster – sprang es oder ließ es sich einfach fallen – folgte. Sephiroth sprang ebenfalls, erreicht das äußerste Ende des Sumpfes und sah, die Hand fest um Masamune geschlossen, nach unten. Feiner Sprühnebel verdeckte die Sicht, und das laute Rauschen der endlosen Wassermassen verschluckte jedes andere Geräusch. Unter diesen Voraussetzungen einen Angriff zu starten wäre mehr als töricht gewesen. Abgesehen davon befand sich Zack - ein Ärgernis, der Inbegriff der Nervigkeit, unversiegender Quell dauerhafter Absurditäten – dort unten, ohne Zweifel verletzt, vielleicht sogar unfähig, sich zu verteidigen... und das Monster war in seinem jetzigen Zustand mehr als gefährlich. Zack brauchte Hilfe. „Sir?!!“ Cutter landete mit erstaunlicher Sicherheit neben dem General auf dem glitschigen Untergrund. „Zack ist... was... was machen wir jetzt?“ Sephiroth wandte leicht den Kopf. Und grinste. „Kannst du schwimmen, Tzimmek?“ Als Schussel allererster Klasse hatte Cutter schon viele Stürze er- und überlebt. Aber die Kontrolle freiwillig aus der Hand zu geben und sich ganz bewusst der Schwerkraft zu überlassen.... war neu. Überrascht war sie nur über die Ruhe ihrer Gedanken. Ich springe vom höchsten Punkt eines Wasserfalls. Hilfe? Fallgeschwindigkeit, das rauschen des Wassers, der eisigen Wind, die Tatsache, sich sehr schnell sehr tief nach unten zu bewegen... oder bewegte sich dieses „unten“ nach oben, auf sie zu? Es wirkte nicht einmal erschreckend. Nur absurd. Und... aufregend. Völlig problemlos gelang es ihr sogar, Sephiroths Anweisung, vor dem erneuten Eintritt ins Wasser tief Luft zu holen, zu befolgen. Dann schlug es über ihr zusammen, wirbelte sie herum, zog sie mit sich wie ein Raubtier seine geschlagenen Beute. Alles genau, wie Sephiroth es vorhergesagt hatte. Cutter hielt sich an seine Anweisungen, kämpfte die aufkommende Panik nieder und sich selbst an die Wasseroberfläche. Der Wasserfall lag schon etliche hundert Meter hinter ihr. Von Sephiroth war weit und breit nichts zu sehen. Vermutlich hatte er schon die Spur des Monsters aufgenommen. Auch für Cutter war es Zeit, sich auf ihre eigene Mission zu konzentrieren. Zack zu finden. Aber wie? Die Lines waren nicht für Menschen zuständig. Aber der General hatte ihr diese Aufgabe erteilt... sie durfte ihn nicht enttäuschen. Und Zack auch nicht. Cutter überlegte fieberhaft, während das Wasser sie weiter mit sich zog. Gewisse körperliche Eigenschaften hatten es Sephiroth gestattet, sich wesentlich schneller und zielstrebiger nach unten zu bewegen als der Teenager, und so konnte er beobachten, wie Cutter aus dem schäumenden Wasser auftauchte, nach Luft schnappte, und sich dann abtreiben ließ. Er konzentrierte sich auf das Monster, das er nicht hatte davonschwimmen sehen, was bedeutete, dass es noch ganz in der Nähe sein musste. Die Frage war nur: wie nahe? Masamune griffbereit haltend, machte sich der General auf die Suche, völlig eins mit seinem untrügerischen Instinkt. Cutter versuchte, ihre festgefahrenen Gedanken zu lösen. Sie konnte Zack unmöglich mit den Lines finden, aber es musste eine andere Möglichkeit geben! Nur welche? Es dauerte ein paar Sekunden, dann durchzuckte sie eine Idee wie ein Blitzschlag. Das Busterschwert... Sie machte sich sofort in den Lines danach auf die Suche. Sieh an, dachte Sephiroth. Hinter dem Wasserfall ist also eine Höhle. Wieso bin ich nicht überrascht? Leises knurren begrüßte seinen Eintritt. Der General beschleunigte sein Tempo. Das knurren gewann an Intensität. Augen, gehalten von einem riesigen Schatten, glühten ihm entgegen, gleichzeitig öffnete sich ein gewaltiges Maul und sandte ihm ein wahres Feuerinferno entgegen. Sephiroth lächelte kalt und hob sein Schwert. Mühsam und nass bis auf die Knochen kämpfte sich Cutter aus dem Wasser ans Land. Im Licht der Nachtmittagssonne glänzte das am Boden liegende Busterschwert nur matt, aber viel wichtiger war... „Yo, Cutter-chan! Die Sammelstelle für Treibgut ist hier drüben...“ Zack, neben dem Schwert liegend, winkte matt, ließ die Hand aber direkt wieder fallen und stöhnte leise vor Schmerz. Der Teenager kniete neben ihm nieder. „Du lebst...“ Pure Erleichterung ließ sie flüstern. Zack verzog das Gesicht. „Dieses verdammte Monster... hat mir doch glatt ein paar Knochen gebrochen... Ich hoffe, Seph tötet es gerade!“ „Hat er jedenfalls gesagt... Oh, das hier ist für dich.“ Sie reichte ihm eine Flasche Heilelixier, und Zack benutzte sie ohne Verzögerung, spürte erleichtert, wie die heilende Wirkung einsetzte. Auf den langsam verklingenden Schmerz lauschend, schloss er die Augen. Cutter beobachtete ihn schweigend. Ob er sich ärgerte? Bestimmt. „Das war aber auch ein Riesenvieh“, murmelte der Teenager, mehr zu sich selbst, aber der 1st antwortete. „Die Biester werden immer größer. Vor ein paar Jahren hat ein einziger Schlag gereicht und sie waren hinüber. Mittlerweile töten sie uns, wenn wir nicht 100 % geben.“ „Warum werden sie größer? Und wo kommen sie überhaupt her?“ „Das weiß niemand so genau.“ Seine Augen waren immer noch geschlossen. „Fakt ist, sie sind da, und wir bringen sie um.“ Als ihm nur nachdenkliches schweigen antwortete, erriet er ihre Gedanken. „Mit denen brauchst du kein Mitleid zu haben, Cutter-chan.“ Wenn man Sephiroth gefragt hätte, wovon es seiner Meinung nach in nächster Zeit so wenig wie möglich geben sollte, so wäre seine Antwort ganz klar gewesen: überdurchschnittlich intelligente Monster. Die aktuelle Situation war nicht problematisch, nur ein wenig... langwierig. Das riesige Monster war fest entschlossen, zu überleben. Der General war fest entschlossen, das zu verhindern. Beide machten ihren Standpunkt mehr als deutlich klar. Es glich einem Ringkampf, bei dem einzig und allein der Tod Schiedsrichter war. Die Höhle war nicht besonders groß, was sich als Herausforderung für beide Parteien erwies. Keiner konnte sein volles körperliches Potential ausschöpfen, weshalb sich die Gegner auf Attacken anderer Art beschränken mussten. Masamune lag wie eine tödliche Gedankenverlängerung in der Hand des Generals. Mühelos wehrte er eine weitere Attacke, die aus einem blitzartig vorschießenden, weit aufgerissenen Maul bestand, ab. Fleisch wurde zerschnitten. Das Monster brüllte vor Schmerz auf und drückte sich für eine Sekunde enger an die Wand, aber nur, um in der nächsten wieder vorwärts zu schießen. Verderben funkelte in seinen Augen, ehe sich diese abermals vor Pein verdunkelten. Eigentlich hätte es längst tot sein müssen. Aber sein Körper offenbarte Sephiroth eine bei Monstern bisher völlig neue Eigenart. Die frischen Wunden heilten. Mit atemberaubender Geschwindigkeit. Du bist wirklich ein ganz besonderes Exemplar, dachte Sephiroth. Ich frage mich, wer du früher... Das Untier unterbrach die lautlosen Gedankengänge mit einer neuen Attacke. Nur einen Sekundenbruchteil später fuhr das mächtige Katana durch Fleisch, Muskeln, Sehnen und Knochen, als bestünden sie aus wiederstandslosem Schaum, und die Höhle hallte wieder von einem horrenden Schmerzensschrei. Er war noch nicht ganz verklungen, als sich das Monster erneut umdrehte, der Wand zu, und begann, die Klauen rasend vor Wut oder Schmerz über den Stein zu zerren. Ein wilder, sinnloser Fluchtversuch. Sephiroth trat entschlossen näher. Das Ungeheuer hielt mitten in der Bewegung inne und wandte den Kopf, fixierte den Menschen vor sich, sog deutlich hörbar die Luft ein und schleuderte dem General eine gigantische Gasattacke entgegen, gefolgt von einem kurzen Feuerstoß. Das Gas entzündete sich augenblicklich. Zack verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah in den abendlichen Himmel hinauf. Die Heilung war abgeschlossen. Rein theoretisch hätte er aufstehen können... aber liegen war so viel bequemer... Er griff nach einem Grashalm und begann, daran zu kauen. Dann aber fiel sein Blick auf das immer noch tropfenden, mittlerweile zitternden Mädchen. „Nicht sehr komfortabel, was?“ Cutter schüttelte zähneklappernd den Kopf. Jetzt, wo die Hitze des Adrenalins verklungen war, blieb nur noch die kalte, nasse Kleidung, die schwer an dem ebenso nassen Körper klebte, und mit jeder Sekunde unkomfortabler wurde. Der Teenager konnte sich nicht erinnern, jemals so gefroren zu haben. Neben ihr setzte Zack sich auf. „Ich sollte dich aufwärmen, bevor du dich erkältest, Cutter-chan.“ Er warf den angekauten Grashalm weg und aus seinem besorgten Gesichtsausdruck wurde ein wahrhaft wölfisches grinsen. „Zieh dich aus!“ Hitze und Flammen, der letzte Aufschrei eines zum Tode verurteilten Wesens, rasten an Sephiroth vorbei, versuchten, ihn unter sich zu begraben und ebenfalls in Feuer zu verwandeln. Aber mitten in diesem lebenden Inferno verliefen die Gedanken des Generals ruhig und kristallklar wie immer. Er hob den Kopf. Irgendwo hinter den Flammen tanzte schattengleich die Silhouette des Gegners. Aus den unterschiedlichsten Gründen, dachte Sephiroth, kann ich dich dieses Duell nicht gewinnen lassen. Tut mir leid. Ein Eis 3 Zauber ließ die Flammen mitten in der Bewegung erstarren, und aus dem urplötzlichen glitzern erhob sich der gefürchtete silberne Dämon, die legendäre Waffe hoch erhoben, und führte den entscheidenden, kraftvollen Schlag. Warmes Blut ergoss sich über Boden, Decke und Wände der Höhle, begleitet von einem erstickten, in ein tiefes röcheln übergehenden Schrei. Der zerschunden Körper kippte mit zuckenden Gliedmaßen zur Seite, schwer schlug der Kopf auf dem steinigen Untergrund auf. Das Monster versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, aber zeitgleich mit dem fortströmenden Blut verschwand auch die dazu notwendige Energie. Schließlich konnte es nur noch schwer atmend und hilflos mit ansehen, wie Sephiroth näher kam. Der General blieb direkt neben dem einst so gefährlichen Kopf stehen. In den Augen des Monsters spiegelte sich, viel zu menschlich, ein nur zu gut nachvollziehbares Gefühl wieder. Angst. Sephiroth ging neben der Kreatur in die Hocke und legte seine Hand auf deren Kopf. Es lag ihm fern, Mitleid zu empfinden, aber er schätzte Gegner, die wie er im Kampf alles gaben, und er war bereit, sie das wissen zu lassen. „Du hast dich mit Bravour geschlagen.“ Seine Stimme klang leise, fast sanft. „Lass mich dein Leiden jetzt beenden.“ Erkenntnis zog durch den Blick des besiegten Gegners, nahm die Angst mit sich fort. Ein neuer Ausdruck wurde geboren. Dankbarkeit. Sephiroth blinzelte langsam. Und als habe das Monster einen Befehl erhalten, schloss es die Augen. Der General hob Masamune an. Nur wenige Sekunden später erfüllte dunkelrotes glühen die Höhle, und als es wieder verblasste, zeugte nur noch das langsam erstarrende Blut von dem hier stattgefundenen Kampf. Der Sieger verließ den Schauplatz ohne sich länger als nötig aufzuhalten. Er folgte dem Verlauf des Flusses, wissend, dass er früher oder später dem Lagerplatz begegnen würde – und schon nach wenigen Minuten begrüßte ihn ein seltsames Bild. „Wo ist deine Kleidung, SOLDIER?!“ Zack, nur in Boxershorts vor einem großen Feuer sitzend, über dem einmal mehr etwas gebraten wurde, verzog gespielt vorwurfsvoll das Gesicht. „Hallo, Zack! Freut mich, dass du noch lebst.“ „Ist eine Aussage, die du nie von mir hören wirst.“ „Hast du das Monster erledigt? Hast du? Ja? Ach...“, er sprang auf und fiel Sephiroth um den Hals, „du bist der Beste!“ Der General brauchte nur eine einzige Bewegung, um den halbnackten Zack abzuschütteln, auf den Boden zu befördern und ihn dort mittels eines präzise auf dessen Brustkorb platzierten Fußes zu fixieren. „Ich sagte ´Wo ist deine Kleidung, SOLDIER´! Und wo ist Tzimmek?“ „Äh“, erklang eine schüchterne Stimme, „hinter Ihnen, Sir. Beides.“ Sephiroth wandte sich um und hätte um ein Haar gelacht. Pure Selbstdisziplin bewirkte, dass sich lediglich eine silberne Augenbraue hob. Cutter trug Zacks Kleidung. Aber eigentlich war es genau umgedreht. Der General drehte den Kopf wieder langsam in Richtung Zack. „Was? Sollte sie sich erkälten?“ verteidigte sich dieser hinsichtlich des niederschmetternden Blickes. „Meine Sachen waren schon trocken.“ Er drehte den Kopf bis er sein Ziel sehen konnte und winkte diesem fröhlich zu. „Spann deine nassen Sachen neben dem Feuer auf, Cuttie-chan.“ „Warum bist du nicht ersoffen“, knurrte Sephiroth und nahm den Fuß von Zacks Brustkorb. „Und den Anblick von Cuttie-cut-cut in meinen Klamotten verpassen?“ Er kam schwungvoll und breit grinsend wieder auf die Beine. „Kommt nicht in Frage!“ Sephiroth stöhnte unhörbar auf. Ich kommandiere einen Kindergarten...! Aber er schwieg. Was diese Person anging, waren sämtliche Erziehungsversuche verlorene Zeit. Nach dem Abendessen beratschlagten sie die weitere Vorgehensweise hinsichtlich Cutters Trainingsplans und kamen überein, ihn in dieser Gegend weiter fortzuführen. Der Teenager strahlte. „Freu dich nicht zu früh, Tzimmek“, warnte Sephiroth. „Wir konnten uns ein gutes Bild deiner Stärken und Schwächen machen, und werden gezielt an letzterem arbeiten!“ In den folgenden Tagen wurde Cutter schnell klar, dass der General keinesfalls untertrieben hatte. Er und Zack brachten sie immer wieder in Situationen, die Handlungen sowohl inner-, als auch außerhalb der Lines erforderten. Sie schärften ihre Sinne, ihre logisches und strategisches denken, sie erweckten schlummernde Instinkte und wiederholten Übungen geduldig solange, bis sie sich sicher waren, dass der Teenager begriffen hatte, worauf es ankam. Sie führten ihr Fehler vor Augen und ließen sie selbst nach einer Lösungsmöglichkeit suchen, und wenn Cutter dazu Zeit brauchte, gaben sie ihr diese. Sie lernte. Dinge, von denen sie bisher nicht einmal eine Ahnung gehabt, von denen sie niemals geglaubt hatte, sie je richtig zu machen, geschweige denn verstehen zu können. Und Cutter war... glücklich. Gegen Ende des Trainings weihte Zack sie wie versprochen in die Grundlagen des Arbeitens mit Materia ein, und nach einigen Fehlschlägen beherrschte Cutter die einfachsten Elemente – inklusive der roten Feuermateria, die vor gar nicht allzu langer Zeit für solche Aufregung gesorgt hatte – fast perfekt. Zack war so stolz auf ihre Erfolge, dass er ihr sogar sein eigenes Armband für ihre eigene Materia schenkte, und der Teenager lief in dem sie überflutenden Gefühlschaos so rot an wie die Feuermateria. Aber all das konnte ein langsam und beständiges verstreichen der Zeit nicht verhindern, und für die kleine Truppe kam, was kommen musste: der letzte Abend vor der Rückkehr ins ShinRa HQ. Kapitel 10: Kapitel 10: Rückkehr -------------------------------- Zack verstaute sein Handy, kickte einen neuen Scheit Holz ins Feuer so dass die Funken in wildem Tanz aufstoben, ließ sich auf seinen Platz fallen und warf seinen beiden beharrlich schweigenden Begleitern einen verschmitzten Blick zu. „He Cuttie-cut, weshalb so traurig? Ab morgen können wir wieder die Freuden der Zivilisation genießen! Richtige Betten! Duschkabinen! Fast Food!!“ „Ich würde lieber noch hier bleiben“, murmelte der Teenager. Sie konnte einfach nicht fassen, dass die Trainingszeit schon vorbei war, wollte nicht, dass es endete... Ich möchte auch hier bleiben, dachte Sephiroth unwillkürlich. Die letzten Wochen waren aufregend und turbulent gewesen. Nicht alles war wie geplant gelaufen. Aber dennoch... es hatte Spaß gemacht. Ein Hauch Freiheit. Morgen würde alles anders sein. Kaum jemand wusste es, und die meisten hätten die Information als Unsinn abgetan und vergessen, aber auch General Sephiroth Crescent hatte seine ganz persönlichen Dämonen. Und sie alle würden im ShinRa HQ auf ihn warten, händereibend, und es gab kein Entrinnen. Nicht für ihn. Tiefe Finsternis sammelte sich unter dem alles verbergenden, schützenden Eis im Blick des Generals. „Ach was, Cutter-chan!“ fuhr Zack ungebremst fröhlich fort. „Deine Klassenkameradinnen und Azrael werden Bauklötze staunen, wenn sie erfahren, dass du die Lines geknackt hast. Du wirst sehen.“ Der Teenager zog es vor, nichts zu sagen, aber ihre Zweifel schimmerten durch die Fassade eines schüchternen lächelns hindurch wie der Schein einer Kerze hinter sehr dünnem Pergamentpapier. Zack ließ sich davon nicht beirren und wuschelte ihr gut gelaunt durch die Haare, eine Geste der Freundlichkeit welche er sich angewöhnt hatte und die Cutter nicht störte. „Glaub an dich, dann ist nichts unmöglich!“ Die Nacht verging viel zu schnell, und als der herbeigerufene Black Hawk Helikopter die friedliche Morgenstille mit seinem Lärm zerriss, empfand Cutter ihn fast als Eindringling. Auf dem Rückflug sah sie unentwegt aus dem Fenster, in der Hoffnung, aus der Luft bekannte, Erinnerungen weckende Stellen zu entdecken, aber die Piloten wählten den direktesten Weg, und ließen die kleine Truppe nach einem erschreckend kurzen Flug auf dem VIP Heliport direkt vor den Eingangstoren des Hauptgebäudes aussteigen. Cutter sah sich um, und ihr war, als sei seit der Abreise nur ein Tag vergangen. Sephiroth sah hinüber zum Eingang des HQ, welcher förmlich auf ihn zu lauern schien, und die Fingerspitzen des Generals streiften in Gedanken versunken den Griff des vertrauten Katanas. Als ihm die Bewegung bewusst wurde, brach er sie augenblicklich ab. Sinnlos. Ebenso wie sein zögern. Aber bevor er sich seinen Dämonen stellte, gab es noch etwas zu erledigen. „Blue Wanderer Kadettin Tzimmek Cutter.“ Der Teenager nahm augenblicklich Haltung an. „Sir!“ Sephiroth schwieg einen Moment und musterte die Kadettin. Die angestrebte Veränderung ihres Wesens war definitiv eingetreten. Jetzt wirkte sie wie jemand, der die ungefähre Ahnung einer möglichen Zukunft bekommen hatte, und strahlte gesundes Selbstvertrauen aus. Das Ergebnis der vergangenen Wochen konnte sich wirklich sehen lassen, und würde sich mit Sicherheit positiv auf noch kommende Ereignisse auswirken. „Im großen und ganzen gute Arbeit.“ „Ja, Sir! Danke, Sir!“ Sephiroth entließ sie mit einem kurzen nicken und steuerte dann entschlossen den Haupteingang an. Zacks drückte Cutter an sich, wie er es in den vergangenen Wochen so oft getan, woran sich der Teenager schon gewöhnt hatte, und wuschelte ihr durch die Haare. „Lass dich nicht unterkriegen, ja?“ „Bye, Zack. Du dich auch nicht!“ „Ich doch nicht“, lachte dieser, winkte ihr ein letztes Mal zu, und folgte dann Sephiroth. Cutter blieb allein zurück. Es war also wirklich vorbei. Nur Erinnerungen würden bleiben. Erinnerungen an eine Zeit, die absolut einzigartig gewesen war. Die schönste ihres bisherigen Lebens. Mit einem Mal begannen die Augen des Teenagers seltsam zu brennen, und Cutter blinzelte heftig. Sei nicht albern, schimpfte sie sich. Du wusstest, dass es nicht für immer sein würde. Sie wollte nicht undankbar sein. Alles erlebte, und die davon ausgehende Wärme... Sie erhoffte sich von keinem der beiden ein allzu rasches verblassen. Irgendwann hob sie ihre Tasche auf und machte sich langsam auf den Weg in ihr Quartier, zum ersten Mal seit Wochen wieder allein. Der General betrat sein Büro zügig und seine erste Handlung bestand darin, Freiraum auf dem übervollen Tisch zu schaffen. Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass die wirklich wichtigen Angelegenheiten erst jetzt zu ihm gebracht werden würden, und er sollte sich nicht irren. Schon bald war es, als sei er nie weg gewesen. Er arbeitete routiniert und schnell, widmete sich dem verhasstesten Teil seines Jobs. Unter anderem leitete er auch die BW Unterlagen an Azrael weiter. Dieser unterbrach seine begonnene Tätigkeit augenblicklich, leerte die angefangene Kaffeetasse (er sagte sich, es sei Stärkung, wusste aber genau, dass er nur Zeit schinden wollte), füllte sie wieder neu, atmete ein paar Mal tief ein und aus, und schlug schließlich die letzte Seite mit dem alles entscheidenden Abschlussbericht auf. Las schweigend. „Oh Shiva“, murmelte er irgendwann, fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, ruinierte seine Frisur vollkommen, griff zum Telefon und wählte ehrfürchtig die Nummer des Generals. Sephiroth wusste, dass Dank – selbst in der aufrichtigsten Form – zu flüchtig war, um sich davon abhängig zu machen, und so begegnete er auch diesem mit gewohnter Kühle und Sachlichkeit. „Ich bin sicher, Sie können das vorhandene am besten weiter ausbauen, Geryll.“ „Das Projekt BW wird also weiter fortgeführt, Sir?“ Sekunden, die sich für Azrael wie Minuten anfühlten, vergingen, ehe er eine Antwort erhielt. „Ich sehe keinen Anlass, es aufzugeben.“ Sie beendeten das Telefonat. Azrael betrachtete das vor ihm aufgeschlagene Logbuch und seufzte tief und befreit auf. Sein Plan... Plan? Unausgereifte Saat des Augenblicks! Ausgerechnet Cutter ins Team von Sephiroth Crescent zu schaffen, die Zukunft des BW Programms in die Hände dieses... Schussels zu legen ohne sie darüber zu informieren... Er musste wahnsinnig gewesen sein! Aber es hatte - trotz aller Sorgen, schlaflosen Nächten und eines enorm schlechten Gewissens - geklappt. In gleich mehrfacher Hinsicht. Das BW Programm würde bestehen bleiben und Cutter hatte beachtliche Fortschritte erzielt. Dennoch... War sie zu lange das Schlusslicht gewesen? Sie würde viel und hart arbeiten müssen, um aufzuholen. Azrael mochte das Mädchen und war nach wie vor bereit, ihr jede nur erdenkliche Hilfe zu geben. Er hoffte inständig, dass der Teenager genug Ehrgeiz besaß. Anderenfalls... die Prüfungen waren hart und verziehen kaum Fehler. Die Ankunft eines neuen Logbuches riss ihn aus seinen Gedanken. Azrael schlug die letzte Seite mit dem Abschlussbericht auf, stöhnte gequält auf und widerstand in letzter Sekunde dem Wunsch, den Kopf auf die Tischplatte fallen zu lassen. Es war wirklich nicht immer leicht, Lehrer zu sein. Die Hand des Generals blieb noch einen Moment lang auf dem Telefon liegen. Die Entscheidung, das BW Projekt fortzuführen, war richtig gewesen. Geschickt eingesetzt waren Menschen mit solchen Fähigkeiten ein absolutes Ass im Ärmel. Und wenn Cutter hier weiterhin genauso gut arbeitete wie sie es in den zurückliegenden Wochen getan hatte, (und ihre leider immer noch vorhandene Schusseligkeit in den Griff bekam), zweifelte Sephiroth nicht daran, dass sie nach erfolgreich bestandener Prüfung ihren Platz im ShinRa Universum finden würde. Dann kehrten seine Gedanken in die Gegenwart zurück. Er warf einen Blick auf den Terminkalender. Nach dem Mittagessen stand ein Großes Meeting auf dem Programm, was bedeutete, dass sowohl Präsident Shinra als auch sämtliche Abteilungsleiter anwesend sein würden. Das geballte, aufgeblasene Elend. Sephiroth schnaubte leise. Seiner Ansicht nach standen die meisten Teilnehmer in der Evolutionskette – von hinten betrachtet - ganz am Anfang. Und das Meeting würde dauern. Endlos. Wie immer. Im Geiste sah er schon die gewohnten Parteien mit den üblichen Parolen aufeinander los gehen. Aber lange, wichtige Meetings hatten auch etwas vorteilhaftes. Zum einen bestand Präsident ShinRa auf einer lückenlosen Teilnahme. Und zum anderen ließen diese Treffen während ihrer Dauer keine andere Tätigkeit zu. Von keinem. Die Chancen standen gut... Das Telefon klingelte. Es war kein spezieller, nur der übliche Ton, der am Tag unzählige Male erklang, unverdrossen, beinahe frech. Und dennoch war er jetzt anders. Schärfer. Befehlender. Bewegungslos starrte Sephiroth das Telefon an und fragte sich, wie er so genau wissen konnte, wer ihn sprechen wollte, und wie üblich in dieser Situation nahm er wahr, wie sich Herz- und Pulsschlag steigerten und ein leichtes und kaum merkliches zittern von seinem Körper Besitz ergriff. Seine Stimme jedoch klang kühl und beherrscht wie immer. „Cres...“ „Komm ins Labor!“ Ein leises klicken, dann Stille. Sephiroth ließ das Telefon langsam sinken und atmete tief ein und aus. Ich hätte es wissen müssen. Vermutlich freut er sich schon seit Wochen auf heute. Anzunehmen, er würde sich das entgehen lassen... Wie naiv von mir. Er öffnete seine zu Fäusten geballten Hände und unterdrückte den Wunsch, hingebungsvoll zu zittern. Kein anderes Wesen auf diesem Planeten vermochte ihn, den auf unterschiedlichsten Bereichen von so vielen gefürchteten Gegner, innerhalb einer einzigen Sekunde in einen ähnlichen Zustand zu katapultieren. Niemand! Bis auf diesen Mann. Und er wusste es. Sephiroth atmete ein weiteres Mal tief ein und aus, dann erhob er sich gedankenlos und wie auf Automatik geschaltet. Vor diesem Ruf gab es kein Entrinnen, keine Zuflucht, nichts. Nicht einmal für ihn. Er griff nach dem Katana, aber diesmal beherbergte das vertraute Gewicht in seiner Hand keine Zuversicht. Während er die Waffe sicher an dem eigens dafür geschaffenen Platz innerhalb des Büros unterbrachte, wehrte er sich mit aller Kraft gegen die Vorstellung, eine Puppe zu sein, an deren Fäden gerade heftigst gezogen wurde. Als er die Waffe losließ fühlte er sich trotzdem, als ließe er mit dem Schwert alles, was „General Crescent“ ausmachte, hier zurück, um völlig gegen seinen eigentlichen Willen zu etwas... anderem zu werden. Wenigstens, dachte er beinahe trotzig als er das Büro verließ, ist „General Crescent“ bei Masamune gut bewacht. Während er sich über die Flure in Richtung des Labors bewegte, verriet sein Gesichtsausdruck nicht einen Funken seiner dunklen Gedanken. Wie üblich hielt das Leben dort, wo er vorbeiging, einen Augenblick ehrfürchtig inne. Dutzende von Saluten begleiteten seinen Weg, teils neidisch, teils ehrlich, teils ängstlich, aber alle Blicke folgten ihm bis er wieder außer Sichtweite war, begleitet vom ein oder anderen sehnsüchtigen seufzen. Sephiroth wusste, was andere in ihm sahen. Ihre Augen verrieten es. Er kannte ihre Wünsche und Träume. Es waren immer dieselben. Sie bedeuteten ihm nichts. Das große Ziel, so zu sein wie er... Sie hatten alle keine Ahnung! Vor allem wussten sie nicht, wie gerne ihr Idol hin und wieder getauscht hätte, um den Alltag eines gewöhnlichen ShinRa Angestellten zu erleben. Etwas völlig normales. Und sie werden es nie erfahren, dachte Sephiroth während sich die letzte Sicherheitsvorkehrung auf seinem Weg öffnete und ihn einen bestimmten Bereich des Labors betreten ließ. Ich werde nicht zulassen, dass sie es erfahren! Das Weiß hier war überall und wirkte nahezu heuchlerisch rein. Hätten die Wände sich den in diesem Raum geschehenen Taten farblich anpassen können, wären sie blutrot geworden. Die Luft war schwer und getränkt vom typischen Desinfektionsgeruch, den Sephiroth bedingt durch seine zahlreichen Aufenthalte hier aber kaum noch als solchen wahr nahm. Während er einen Hauptteil des schwarzen Leders und der Rüstung ablegte und schließlich auf dem Untersuchungstisch Platz nahm (Handlungsabläufe, die er schon unzählige Male vollzogen hatte), versuchte er wie üblich sich darüber klar zu werden, was er an diesem Raum am meisten hasste. All das Weiß, die Luft, den kalten Tisch mit den (noch) offenen, eisernen Fixierungen in Hand- und Fußbereich, die Tatsache, dass seine Füße nicht den Boden berührten, die Erinnerungen an diesen Raum, der ihm so... zu vertraut war... förmlich mit ihm verwoben seit Kindheitstagen... ein Geflecht, das sich immer enger um ihn zu winden schien... Dabei lauschte er auf die Schritte. Irgendwann würden sie erklingen, sich nähern und schließlich würde e r um die Ecke biegen. Sephiroth nutzte die letzte Frist wie üblich aus, um volle Kontrolle über Puls und Herzschlag zurückzugewinnen, wie gewohnt blieb sein Wille Sieger, und als die Schritte das rasche näherkommen einer bestimmten Person ankündigten, sah Sephiroth ihm mit perfekter Erhabenheit entgegen. Der von seinem Blickwinkel aus nicht einsehbare Bereich des Labors spuckte einen hochgewachsenen, hageren Mann aus. Brillenträger. Die für seinen Arbeitsplatz ein wenig zu lang geratenen, schwarzen Haare waren mit einem Pferdeschwanz gebändigt. Umhüllt wurde der Körper von einem nahezu blendend weißen Kittel. In seinen Händen hielt er wie gewöhnlich irgendwelche Dokumente und vermittelte den Eindruck, bei etwas weitaus wichtigerem gestört worden zu sein. Dann hob er den Kopf und sah zu Sephiroth hinüber. „Du bist spät!“ Eine Stimme, die unwillkürlich Gänsehaut verursachte, bar jeglichen Gefühls, ein Augenausdruck, der dies noch unterstrich. „SOLDIER Angelegenheiten, Professor Hojo“, antwortete Sephiroth gelassen und parierte den schneidenden Blick mühelos. Diese „zu spät“ Floskel bekam er jedes Mal zu hören. Er hatte sich daran gewöhnt. „So so. Verstehe. Du warst lange weg. Ein wenig zu lange für meinen Geschmack. Ich habe mir... Sorgen um deinen Gesundheitszustand machen müssen. Präsident Shinra wird derart lange Untersuchungspausen in Zukunft nicht mehr genehmigen. Hast du etwas dagegen?“ Sephiroth war vor Jahren einmal auf eine derartige Fangfrage hereingefallen. Er hatte die Konsequenzen niemals vergessen und Hojo seitdem nie wieder einen solchen Triumph gegönnt. „Nein, Professor.“ „Brav.“ Er klopfte ihm spöttisch auf die nackte Schulter – Gummihandschuhe, wie immer – und schob mit der freien Hand die rutschende Brille zurück auf ihren Platz. Als Kind hatte sich Sephiroth immer heimlich darüber amüsiert, dass sogar ein simpler Gebrauchsgegenstand vor Hojos Nähe flüchten wollte – bis der Professor dahintergekommen war. Am Ende jener „Untersuchung“ war dem mit kaltem Eisen auf dem desinteressierten Tisch fixierten, blutüberströmten Jungen klar gewesen, dass der Mann im weißen Kittel a) keinen Spaß verstand, und b) völlig problemlos in der Lage war, ihn zu töten. Seit diesem Ereignis hatte Sephiroth in Hojos Gegenwart nie wieder gelacht oder gelächelt, sondern sich bemüht, alle Emotionen tief in sich zu versiegeln, und mit der Zeit war er dazu übergegangen, diese Handlungsweise auf die gesamte Restwelt zu erweitern. Es gab gewisse Tatsachen, die Sephiroths Leben prägten, Erkenntnisse, die sich mit der Schärfe eines Skalpells in sein Herz gesenkt hatten. Eine von ihnen besagte, dass Hojos Wille absolut war. Die andere wies darauf hin, dass es vor dieser Stimme, diesen Händen, dieser ganzen Existenz inklusive der Welt des Labors, kein Entrinnen gab. Er wusste nicht, warum Hojo ihm all die Grausamkeiten, die selten ohne Blut und unmenschliche Schmerzen vonstatten gingen, antat. Es war ihm ein Rätsel, was die wahren Gründe des Dämons im weißen Kittel waren, wenn er ihn auf dem Tisch fixierte und mit seinen stundenlangen „Untersuchungen“, die stets ohne Narkose durchgeführt wurden, begann. Die Annahme, für einen begangenen Fehler bestraft zu werden, war längst hinfällig. Es gab keine Fehler, keine ihm bekannten Gründe, keine Antworten. Die einzigste Auskunft auf alle Fragen war stets nur ein tätscheln, verknüpft mit dem Satz: „Du bist etwas ganz Besonderes!“ gewesen. Irgendwann hatte Sephiroth aufgehört, danach zu fragen. Eigene Recherchen waren im Sande verlaufen. Es lag ihm fern, aufzugeben, aber vorläufig lagen alle Nachforschungen auf Eis, und bis auf weiteres war es Sephiroths größtes Bestreben, Hojos Experimente zu überleben. Irgendwie. „Nun... irgendwelche Probleme?“ Als würde das eine Rolle spielen, dachte Sephiroth verbissen. Ihm war schon seit Jahren klar, dass es sich hier um eine Frage handelte, der keinerlei wahres Interesse zugrunde lag. Pure Routine. Dementsprechend fiel auch seine Antwort negativ aus. Zumal es tatsächlich keine Probleme gab. Noch. Hier unten konnte sich das innerhalb eines Sekundenbruchteils ändern. „Wirklich.“ Die Stimme nahm einen lauernden Tonfall an. „Du siehst ein wenig müde aus.“ Es hätte wie die Suche nach einem Grund klingen können. Aber Professor Hojo, Kopf des gefürchteten Laborteams, brauchte keinen Grund. Nicht in Bezug auf Sephiroth. Er benötigte nur eine Idee. Und von denen hatte er mehr als genug. „Ich versichere Ihnen, es geht mir...“ „Das haben wir gleich.“ Als handelte es sich bei der Person vor ihm nicht um den legendären und gefürchteten General sondern um einen kleinen Jungen, schob Hojo ihm ein Fieberthermometer in den Mund. Sephiroth hätte es am liebsten in hohem Bogen wieder ausgespuckt, beherrschte sich aber. Wutausbrüche hier unten waren, das hatten ihn schmerzhafte Erfahrungen gelehrt, keine gute Idee. Er konzentrierte sich weiterhin auf ruhiges, gleichmäßiges atmen und einen ebenso unauffälligen Herzschlag. Irgendwann wurde ihm das Thermometer wieder abgenommen. „Keine Temperaturauffälligkeiten.“ Es klang enttäuscht. „Ich sagte doch...“, begann Sephiroth und wurde augenblicklich durch ein herrisches: „Ich habe dich gehört!“ unterbrochen. Ein Stethoskop legte sich eisig auf seinen Brustkorb. „Einatmen und Luft anhalten!“ Wozu das ganze Theater, dachte Sephiroth düster während er die Bitte... den Befehl ausführte. Was immer du dir diesmal ausgedacht hast, bringen wir es hinter uns. Soweit ich weiß, ist unser beider Anwesenheit auf dem Meeting nötig, und mein Körper wird Zeit zum heilen brauchen. Oder willst du es drauf anlegen? Nur zu. Du könntest meine Knochen zermahlen und ihr Pulver an den ursprünglichen Plätzen einfügen, ich würde keinen falschen Schritt tun! Ich würde keinem von euch Anlass geben, an mir zu zweifeln. Nicht eine Sekunde lang! Denn ihr alle werdet vor mir fallen! Hojo richtete sich wieder auf, brummelte etwas unverständliches und begann, den Mann vor sich auf eine Blutabnahme vorzubereiten. „Pflaster oder Verband?“ erkundigte er sich scheinheilig, nachdem er seine rote Beute sicher verstaut hatte. Diese Frage hasste Sephiroth besonders. Hinsichtlich all der Grausamkeiten, die er in seinem bisherigen Leben durch Professor Hojos Hände an diesem Ort hatte ertragen müssen, wirkte eine solche Frage noch lächerlicher, als sie es ohnehin schon war. „Nichts dergleichen“, antwortete er gänzlich ruhig und unbewegt, immer noch auf alles gefasst. Hojo hatte ihm zwar mittlerweile den Rücken zugedreht und dokumentierte die neuen Fakten, aber das musste nichts heißen. Minuten vergingen in absoluter Stille. Dieses Spiel liebte Hojo am meisten, aber auch daran hatte sich Sephiroth gewöhnt. Und so blieb er bewegungslos sitzen, die Augen fest auf den Mann vor sich gerichtet, und wartete ab. Irgendwann wandte dieser den Kopf. „Du bist noch hier?! Ich brauche dich nicht mehr! Versuch, wenigstens zu dem Meeting pünktlich zu sein, es ist wichtig!“ Eigentlich wollte Sephiroth seine Kraft nicht mit Wut verschwenden, aber er verließ den Laborbereich dennoch innerlich brodelnd. Für Erleichterung reichte es nicht aus. Ein Anruf reichte, und er würde sich wieder hierher begeben. Müssen. Es gab keine Alternative. Der Mann, welcher seine Feinde auf dem Schlachtfeld spielerisch beherrschte, wurde in finsteren Momenten selbst beherrscht von diesem Gegner, der ihn schon sein seiner Geburt begleitete (manchmal hatte Sephiroth sogar das Gefühl, als sei dies schon vorher der Fall gewesen), und vor dem es kein Entrinnen gab. Cutter starrte die Wände ihres Quartiers an und fühlte sich, als ob sie jemand mit Gewalt zurück in eine alte, längst abgestreifte Hülle trieb. In den nächsten Stunden tat sie alles, um sich abzulenken, erzielte aber nicht wirklich Erfolge damit. Am schlimmsten war die Einsamkeit. Schon seltsam, wie schnell man die Gegenwart anderer als einen Teil seiner Selbst akzeptiert. In dem bisherigen, seltsamen Leben des Teenagers war noch nie so intensiv auf sie eingegangen worden wie in den letzten Wochen. Es war... komisch gewesen. Aber auch schön. Und Sephiroth... Sephiroth schien zufrieden zu sein. Bei diesem Gedanken empfand Cutter fast ein wenig Stolz. In der Nacht aber konnte sie nicht schlafen. Alles vertraute war zu weit weg. Schlaf stellte sich erst nach der Zeit ihrer üblichen Nachtwache ein, und was sie dann weckte, war nicht das vertraute rütteln an ihrer Schulter. Cutter brachte den quäkigen Wecker zum schweigen und stellte schmunzelnd fest, dass aufstehen kein Problem mehr war. Dennoch... Zacks freches grinsen... Die Weite der Landschaft. Das gemeinsame Frühstück. Der Wind, welcher sich in Sephiroths langen, silbernen Haaren fing... Grünes Augenglitzern, in dem sich alle Gedankenschätze dieser Welt verbergen mochten, unauffindbar für andere... bewacht von einem Geist, der sich mit nichts vergleichen ließ... Das alles fehlte ihr. Entsetzlich. Wenigstens, dachte Cutter, bleiben mir die Lines. Um Zuversicht bemüht machte sie sich auf den Weg zu den Klassenräumen. Sie war die letzte. Alle anderen redeten und erzählten schon wild durcheinander ohne von ihr Notiz zu nehmen. Gleichgültig aktivierte Cutter ihren mitgebrachten MusicPlayer bis Azrael auftauchte, seinen Platz hinter dem Pult einnahm und grinsend durchzählte. „Alle da.“ Er strahlte. „Ach, ich hab euch vermisst!“ Die Klasse grinste zurück. Ihr Lehrer ließ 9 Loghefte auf das Pult fallen, erwähnte die Unmengen des während der Auswertung konsumierten Kaffees und die Tatsache, sich über einiges sehr gefreut und über anderes endlos aufgeregt zu haben („Das war bestimmt Cutter!“ kommentierte Neesha). Azrael brachte sie mit einem scharfen Blick zum schweigen und begann, zusammen mit der Klasse einzelne Trainingsabschnitte zu analysieren. Cutter versuchte wirklich, aufzupassen. Aber die Erlebnisse der anderen waren, im Vergleich zu ihren eigenen, nun... langweilig. Mehr oder weniger hatten alle dasselbe getan. Irgendwann jedoch forderte Azrael auch Cutter zum sprechen auf. Spannung legte sich über die Klasse. Richtig, das Oberschussel war ja mit General Crescent unterwegs gewesen. Bestimmt war es ein Desaster geworden... Cutter begann, zu erzählen. Und verblüffte, machte mehr als deutlich wie viel sich innerhalb der letzten 4 Wochen geändert hatte. Als sie schwieg, herrschte sehr lange Stille. „Mit dir auf eine Mission zu gehen...“ „Es war ein spontaner Entschluss von General Crescent.“ „Aber mit dir?!“ „Beschwer dich doch beim General, Neesha!“ Empörtes Luft holen. Azrael hatte Mühe, ein grinsen zu unterdrücken. Gibs´s ihr, Cutter! Neesha fühlte sich sichtlich betrogen. Während sie als Klassenbeste mit irgendwelchen unbekannten Trainern völlig würdelos in einem abgezäunten Trainingsgebiet... Und Cutter, dieses nichtsnutzige Schussel, diese Versagerin, war mit der SOLDIER Legende auf einer richtigen Mission gewesen! „Du hast nur Dummenglück gehabt“, knirschte Neesha. Azrael warf ihr einen zweiten warnenden Blick zu. Zeitgleich öffnete er Cutters Logbuch an der Stelle des Abschlusskommentars und las diesen laut vor. Anschließend hielt er die Seite so, dass alle die Unterschrift des Generals sehen konnten. „Das ist übrigens der Beste.“ Erneute Stille senkte sich über die Klasse, und Cutter versuchte verzweifelt, die Farbe ihres Gesichtes unter Kontrolle zu behalten. Der beste Abschlusskommentar! Für sie! Vom General! „Bilde dir da bloß nichts drauf ein! Du bist und bleibst ein blödes Schussel!“ Azrael warf sie augenblicklich für einige Minuten aus der Klasse. Als Neesha zurückkam, blätterte die Klasse bereits eifrig in einem neuen Buch. Neesha überflog die Inhaltsangaben. „Darin steht nichts, was wir nicht schon wissen!“ „Ich weiß“, seufzte Azrael wenig überrascht und ignorierte hartnäckig Neeshas Diskussionsversuche. Ihr Frust war verständlich. Aber ab einem bestimmten Punkt konnte er einfach nur noch Wiederholungen liefern. Es war... einfach besser so. Irgendwann schlug er der nimmermüden Sprachanimateurin vor, selbst neue Lines zu finden und ein Buch darüber zu schreiben, woraufhin diese beleidigt schwieg. Azrael tippte auf das aktuelle Buch. „Arbeitet es gut durch, ihr braucht es für die Prüfung.“ „Die besteh ich im Schlaf“, zischte Neesha. „Gut, dann stör die anderen nicht beim lernen!“ Ein strahlendes lächeln – das gefürchtetste seines ganzen Repertoires - breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Meine Damen...“ „... morgen gibt es einen Test“, stöhnte die Klasse im Chor, und Azraels lächeln wurde noch breiter, während er mit nur vagen Angaben herausrückte. Ein Helikopterflug in ein unbekanntes Gebiet um... nun, das würde sich zeigen. „Außerdem könnt ihr euch neue Suchlisten abholen.“ Die Suchlisten! Bisher war Cutter nicht in der Lage gewesen, anderen beim Wiederfinden verlegter Gegenstände zu helfen. Aber jetzt, das wusste sie mit Sicherheit, würde sie es schaffen. Fast ein bisschen stolz holte sie sich am Ende des ansonsten belanglos verlaufenden Schultages ihre erste Liste ab. „Und schont euch heute“, ermahnte Azrael eindringlich, „morgen wird´ s schwierig.“ Dann entließ er seine kleine Klasse in den wohlverdienten Feierabend. Kapitel 11: Kapitel 11: Erste Begegnung --------------------------------------- Azrael wandte sich zum wiederholten Mal um und warf dem Piloten einen entschuldigenden Blick zu, den dieser jedoch gelassen erwiderte. Die berühmte Coolness der ShinRa Piloten, deren Nerven sich im Laufe der Zeit in extrem belastbare Drahtseile verwandelten. Ab einem gewissen Erfahrungsgrad brachte diese Menschen nichts auf der Welt mehr aus der Ruhe. Dennoch hätte der Black Hawk Helikopter längst unterwegs sein können. Was fehlte, war... Cutter kam wie von allen Monstern Gaias gejagt um die Ecke geschossen und hielt schwer atmend bei der gewaltigen Maschine und neben Azrael an. „Entschuldigung“, keuchte sie, „ich ... Weckerbatterien in den MusicPlayer getan... vergessen wieder umzutauschen... völlig verschlafen...“ „Schussel“, knurrte Azrael. „Rein mit dir!“ Er folgte dem Mädchen und schloss die seitlich liegende Schiebetür. Der Rotorenlärm steigerte sich, die Räder lösten sich vom Boden. Cutter ließ sich immer noch nach Luft schnappend auf einen freien Platz am Fenster fallen. „Schön, dass du´s auch noch geschafft hast!“ zischte Neesha. Cutter wandte betont desinteressiert den Kopf ab und sah aus dem Fenster, beobachtete begeistert die vorbeigleitende Landschaft. Als Kind hatte sie sich immer Flügel gewünscht... und eigentlich tat sie das immer noch. Es war einer der seltsamen Träume, von denen sie sich einfach nicht lösen konnte. Irgendwann verteilte Azrael dunkle Augenbinden, achtete auf ein ordnungsgemäßes anlegen und erklärte endlich die Aufgabe des heutigen Tages. „Die Kartographieabteilung hat uns um Hilfe gebeten, da einige Karten nicht mehr ganz auf dem neusten Stand sind. Wir werden also die entsprechenden Umgebungen scannen und unsere Angaben genauestens dokumentieren. Die Person mit den besten Angaben wird namentlich unter der jeweiligen Karte erwähnt...“ „Also ich!“ verkündete Neesha arrogant. „... ihr könnt“, fuhr Azrael kopfschüttelnd fort, „euch also eine Art Denkmal schaffen.“ „Alternativ könnt ihr auch alle gleich im Helikopter bleiben und euch die Blamage ersparen.“ „Pass nur auf, dass dich keiner rausstößt“, zischte irgendjemand mit unverhohlener Wut. „Azrael“, empörte sich Neesha unverzüglich, „muss ich mir als Klassenbeste solch eine Behandlung von diesen Nieten gefallen lassen?!“ „Machen wir wieder einen Abstecher in den Kindergarten, ja?“ Azraels ärgerliche Betonung nahm seinen Schülerinnen augenblicklich die Lust am streiten. Der Helikopter begann zu sinken, setzte am Boden auf, und die Blue Wanderer sprangen hinaus und begaben sich zügig aus dem höchst windigen Einflussbereich der Rotorblätter. Azrael verteilte Arbeitsmaterialien. „10 Kilometer Umkreis. Schreibt leserlich! Und prüft genau, was ihr aufschreibt! Ich möchte Details sehen. Ihr könnt auch zeichnen.“ Vor wenigen Wochen wäre Cutter mit dieser Aufgabe völlig überfordert gewesen und hätte höchstens ihren Namen auf einem weißen Blatt Papier abgeben können. Jetzt aber... In der Zeit mit Sephiroth und Zack war sie schwierigerem gegenübergetreten. Erfolgreich! Binnen weniger Minuten erfasste sie alles erwähnenswerte innerhalb der 10 Kilometermarke bis ins letzte Detail. Ob es noch mehr gab? Cutter zögerte, dann tauchte sie tiefer in die Lines, erfasste noch mehr Kleinigkeiten, glitt tiefer und tiefer... und... zuckte erschrocken und überrascht zusammen. Was, im Namen aller Farben, war das? Vor ihr erstreckte sich eine Line von sehr intensiver, dunkler Farbe. Cutter näherte sich behutsam. Weshalb war ihr diese gigantische Line nicht schon früher aufgefallen? Irgendetwas hier war... sehr seltsam. Die Line wirkte schwarz, aber es gab keine schwarzen Lines! Absolut unmöglich! Aber... sie war da... Oder... war es eine Täuschung? Denk nach! Sei nicht schusselig! Aber es wurde noch kurioser. Alle anderen Lines besaßen einen klaren Puls. Diese hier nicht. Oder? Cutter lauschte und fühlte tief konzentriert. Nein... Die Line hatte einen Puls. Er war nur sehr träge und langsam, kaum wahrnehmbar... Dumpf wie die Glockenschläge einer Beerdigung. „Noch 5 Minuten, meine Damen! Beeilung!“ Die Zeit drängte. Cutter schüttelte das klamme Gefühl ab. Es gab keine schwarzen Lines. Intensives, schwarz wirkendes grau war hingegen problemlos möglich. Vermutlich befand sich ein gigantisches Gebirge in der Nähe. Sie versuchte, der Line Informationen zu entnehmen – und schlug fehl. Was zum...? Eine Line ohne Angaben?? Jeder Anlauf brachte dasselbe Ergebnis. Die Line war... bar jeglicher Information. Azrael klopfte dem Teenager sachte auf die Schultern, und diese schrieb „Großes Gebirge“ auf ihren Zettel und gab ihn ab. „Augenbinden auflassen, bitte“, wies Azrael an. „Und zurück in den Helikopter.“ Während des Fluges lauschte Cutter intensiv den Gesprächen ihrer Mitschülerinnen, und so erfreut sie über die vielen Übereinstimmungen war – die dunkle Line oder das Gebirge erwähnte niemand. Was wohl hieß, dass die Informationsbeschaffung zu einfach gewesen war, um darüber zu sprechen. Cutters Unzufriedenheit über die eigenen Leistungen verdichtete sich zu einem einzigen, aus tiefsten Herzen kommenden und lediglich gedachten „Verdammt!“. Die Abenddämmerung schickte sich eben an, in die dunkleren Farbtöne überzugehen, als die Räder des großen Black Hawk Helikopters wieder Bodenkontakt herstellten. Die Transporttüren öffneten sich, und Azrael scheuchte seine kleine Klasse nach draußen. Es war ein langer Tag gewesen. Eigentlich hätten die Mädchen müde sein müssen, aber sie lachten und schwatzten wild durcheinander. Azrael konnte es verstehen. Sie hatten sich so lange nicht mehr gesehen, und die Zeit war keinesfalls stehen geblieben... Sein Blick fiel auf Cutter, die ein wenig abseits ging. Ihrem Blick war anzusehen, dass sie nur zu gerne Teil der lebhaften kleinen Clique gewesen wäre, aber genau wusste, dass man sie einmal mehr nicht dabeihaben wollte. Azrael nahm sich vor, dem einsamen Teenager in den künftigen Unterrichtsstunden gezielt die Möglichkeit zu geben, den anderen ihre Weiterentwicklung in allen Facetten zu beweisen. Aber insgeheim wusste er, dass es sinnlos war. Zuneigung ließ sich nicht erzwingen. Und Cutter, dessen war er sich sicher, wusste es ebenfalls. Dem war so. Aber nach dem Abendessen in der großen Caféteria lag Cutter in ihrem Bett, kämpfte mit den Tränen und wünschte sich, es gäbe doch eine entsprechende Möglichkeit. Denn ihre restlichen Klassenkameradinnen saßen jetzt zusammen, heimlich, in irgendeinem der anderen Quartiere, und feierten eine „Reunion-Pyjama-Party“. Sie lachten, hatten Spaß, erzählten sich Geschichten. Und was ist mit meinen Geschichten, dachte Cutter fast verzweifelt. Vielleicht sind sie anders als eure, aber deswegen müssen sie nicht schlechter sein... Dann übermannten sie Wut und Trotz. Was habe ich euch eigentlich getan? Ihr wollt nicht mir zusammen sein? Gut, ich mit euch auch nicht! Ich brauche euch nicht! Ich komme alleine klar, ganz alleine! Problemlos! Schon immer! Ich... Ihr Blick fiel auf das kleine Schränkchen neben dem Bett. Dessen unterste Schublade beinhaltete, versteckt unter Belanglosem, Cutters wertvollsten Besitz: das Armband, welches sie von Zack geschenkt bekommen hatte, und die Feuermateria. Zack.... Sephiroth... Cutter öffnete die Schublade und nahm das Armband und die Materia behutsam heraus, legte beides neben sich aufs Kopfkissen und streichelte vorsichtig mit den Fingerspitzen darüber. Erinnerungen. An eine Zeit, die niemals zurückkehren würde. Es war... so schön gewesen. So warm. Niemals zuvor war die Existenz des Teenagers so intensiv bemerkt worden. Niemals zuvor hatte sich Cutter so... lebendig gefühlt. Akzeptiert zu werden. Vertrauen zu entwickeln. Die Wärme anderer Menschen so nah zu spüren und dabei zu entdecken, dass das eigene, mit aller Kraft unter widrigsten Bedingungen am Leben erhaltene Feuer nützlich sein konnte... Ich habe gelogen, dachte Cutter. Tränen liefen über ihre Wangen. Ich komme nicht alleine klar. Ich brauche die Nähe und Wärme anderer Menschen um mich herum. Ich will nicht mehr so allein sein! Und ich... ich... „Ich will zurück!“ schluchzte sie verzweifelt auf. Die sie umgebende Kälte war durch die zeitlich begrenzte Wärme jetzt noch eisiger geworden. Das Wissen, wie es sein könnte, und die Gewissheit, dass es niemals dauerhaft so werden würde... Cutter gab sich nicht die Mühe, leise zu weinen. Niemand würde sie hören und herkommen um sie zu trösten. Ja nicht einmal, um sich zu beschweren. Irgendwann schlief sie ein, die Hand um das Armband geschlossen, erschöpft von dem Gefühl, wieder allein und völlig überflüssig zu sein. Azrael tat sein Möglichstes, aber die Klassenrangordnung änderte sich nicht. Die Mädchen ignorierten Cutters Fortschritte obwohl diese wirklich beachtlich waren ebenso wie die erneuten, schüchternen Annäherungsversuche. Der Teenager blieb alleine. In den Pausen saß sie irgendwo, still in sich gekehrt, den MusicPlayer auf den Ohren, auf den erneuten Beginn des Unterrichts wartend. Und trotz aller Bemühungen, Azrael wusste, er konnte Cutter nicht das sein, was sie brauchte, wonach sie sich am meisten sehnte. Ein Freund. Glücklicherweise sah eine bestimmte Person das genauso. „Seph – unserer Cuttie geht’s nicht gut.“ „Nimm deine Stiefel von meinem Schreibtisch, Zackary!“ „Ich meine“, fuhr Zack ungerührt und ohne der Aufforderung Folge zu leisten, fort, „wirklich nicht gut.“ Sephiroth fixierte die so respektlos auf dem Schreibtisch geparkten Stiefel, und dass diese nicht augenblicklich in Flammen aufgingen, war ausschließlich ihrer extremen Belastbarkeit zu verdanken. Der General wusste - Zack liebte dieses Spiel. In seinem unerschöpflichen Repertoire mit dem Titel „100 Methoden um meinen direkten Vorgesetzten zu ärgern“ war das hier Nr. 44. „Ich bin sicher“, antwortete Sephiroth kühl und mit perfekter Selbstbeherrschung, fest entschlossen, sich nicht sichtlich ärgern zu lassen, „ein Besuch auf der Krankenstation wird Abhilfe schaffen. Abgesehen davon ist Tzimmek nicht dein oder mein Eigentum.“ „Oh Seph, das meine ich nicht.“ Er schnappte sich einen Kugelschreiber und begann, wild damit zu klicken. Nr. 18. „Seelisch. Es geht ihr seelisch nicht gut. Ich habe sie genau beobachtet, seit wir wieder hier sind.“ Eine silberne Augenbraue hob sich langsam hinsichtlich dieses Geständnisses. „Du gibst deinem direkten Vorgesetzten gegenüber Stalker-Tätigkeiten zu? Ungeschickt, Zackary. Ich könnte dich für den Rest deiner SOLDIER Zeit in den Cosmo Canyon abkommandieren.“ „Es ist nicht ihre Schuld“, fuhr Zack unbeeindruckt der Drohung, an den langweiligsten Ort ganz Gaias geschickt zu werden, fort. „Sie verhält sich völlig normal.“ Das klicken des Kugelschreibers steigerte sich. „Sie ist einsam. Und ein Teenager. Gefährliche Kombination. Sie sollte... Freunde haben mit denen sie rumhängt, Abenteuer erlebt, und gegenseitig die Fußnägel rosa lackiert.“ „Verstehe. Und natürlich möchtest du diesen Part übernehmen. Inklusive der rosa Fußnägel.“ „Findest du, rosa würde mir stehen?“ Es entstand eine sehr, sehr lange Pause. Zack nutzte die Zeit, um ernsthaft über rosa Fußnägel nachzudenken. Sephiroth versuchte, sich genau dieses Bild nicht detailliert vorzustellen. „Wenn ich sie schon nicht adoptieren darf...“ Ein leises krachen verriet das Ableben des gequälten Kugelschreibers. Zack ließ ihn in den Papierkorb fallen, griff nach einem neuen – und wurde augenblicklich von Sephiroth entwaffnet. Einen kurzen Moment lang starrte Zack nachdenklich auf den statt eines ursprünglich angestrebten Kugelschreibers in seiner Hand liegenden Bleistift. Dann klemmte er ihn zwischen Zeige- und Mittelfinger und begann, einen schnellen Rhythmus auf der Tischplatte zu klopfen. Nr. 59. „Sie ist unerschrocken, mutig, hat das Herz am rechten Fleck und das mit der Schusseligkeit kriegt sie bestimmt auch noch hin.“ Er strahlte. „Ich mag sie.“ „Das überrascht mich.“ Seine Stimme troff von Sarkasmus. „Es gibt kaum jemanden, den du nicht magst.“ Eine zutreffende Aussage. Zacks fröhliche, stets unkomplizierte Art ließ ihn zu jedermanns Freund werden – außerhalb des Schlachtfeldes. Innerhalb dessen war er mit Leib und Seele ein 1st, und somit nicht zu unterschätzen. „Wieso?“ Zack gab sich alle Mühe, ernst zu klingen. „Dich mag ich zum Beispiel überhaupt nicht.“ „Dann entferne dich bitte aus meinem Büro, ich habe zu arbeiten.“ „Darf ich den Bleistift mitnehmen?“ Sephiroth warf ihm einen Blick zu, der die Notwendigkeit von chirurgischem Besteck versicherte um den Bleistift zu entfernen, sollte der 1st nicht sofort verschwinden - und es funktionierte. Wieder alleine schüttelte der General den Kopf. Er glaubte nicht, dass Zack diesmal Erfolg haben würde. SOLDIER Kadetten leckten sich aus den unterschiedlichsten Gründen alle Finger danach ab, mit einem 1st befreundet zu sein. Aber Cutter war eine Blue Wanderer Kadettin. Eine Freundschaft mit Zack bedeutete keinerlei Vorteile, und dürfte somit völlig uninteressant sein. Überhaupt... Freundschaft... Es war kein Thema, mit dem Sephiroth sonderlich vertraut war. Eine Erinnerung erwachte tief in ihm, ließ ihn zurückkehren in seine seltsame Kindheit. Ein kleiner Junge in einem Krankenhauskittel tappte mit nackten Füßen über den kalten Boden des Labors, hinüber zu dem über ein Mikroskop gebeugten Mann mit der ewig rutschenden Brille und den Augen aus Eis. „Professor Hojo?“ „Was willst du?! Siehst du nicht, dass du mich beim arbeiten störst?!“ Ein kaum merkliches zögern, dann ... : „Ich... ich habe eine Frage.“ Hojo brummelte etwas unverständliches, zog das immer bei sich geführte Aufnahmegerät aus der Tasche, drückte den Aufnahmeknopf, nannte Datum und Uhrzeit ehe er den kleinen Jungen vor sich aufforderte, die Frage zu stellen. „Was ist Freundschaft?“ „Wer setzt dir diese unnötigen Vokabeln in den Kopf?! Na, ich weiß schon Bescheid! Freundschaft, also, ja? Etwas völlig überbewertetes und störendes. Nur Schwächlinge und Versager brauchen Freunde! Willst du das eine oder andere sein?“ Heftiges Kopfschütteln. „Du brauchst keine Freunde! Dein Wort wird einst ganze Armeen führen! Du wirst Macht über andere besitzen, Befehle erteilen und eine Stärke besitzen, die dich von allem unabhängig macht – Freundschaft ist somit mehr als überflüssig. Hast du das verstanden? Dann stör mich nicht länger, und belästige mich nie wieder mit solch hirnrissigen Fragen!“ Hojo hatte recht behalten. Und heute sah Sephiroth selbst keinen Sinn mehr in diesem Begriff. Selbst wenn sich diese Ansicht eines Tages geändert hätte – er wäre nicht in der Lage gewesen, es der betreffenden Person gegenüber zuzugeben, ohne dabei das Gefühl einer absoluten Niederlage zu empfinden. Zack hingegen hätte sich problemlos selbst mit einem Felsen anfreunden können. Andere benötigten etliche Anläufe und Monate, nicht selten sogar Jahre um einer anderen Person klar zu machen, dass man keine bösen Absichten hegte und jemand war, dem man vertrauen konnte. Zack erledigte das alles im Zeitraffer - mit einem einzigen, aus tiefstem Herzen kommenden lächeln, das alle „wenn“ und „aber“ augenblicklich dahinschmelzen ließ. Ein paar Tage später beobachtete Sephiroth ihn dabei, wie er die wie immer abseits von ihren Klassenkameradinnen stehende Cutter überfiel, und sie ungeachtet der irritierten Blick ihrer Mitschülerinnen begeistert durchknuddelte. Der General konnte nicht verstehen, worüber der Teenager und Zack sprachen, aber er sah die Verblüffung in Cutters Augen zu nachvollziehbarem Misstrauen werden. Das Training war vorbei, es gab für den 1st keinen Grund mehr, mit ihr zu sprechen, sie überhaupt nur zu beachten oder... zu tun, was er gerade tat. Dann kam dieses mehr als tausend Worte sagende lächeln. Und der Zweifel in den Augen des Teenagers verblasste und wurde durch Freude ersetzt, die in ihren Augen begann und sich auf das ganze Gesicht ausweitete. Schließlich lachte das Mädchen vergnügt, wie befreit, und grinste noch, während sie und Zack sich schon zum Abschied winkten. „Sie hat sich so gefreut!“ beendete der 1st seine Zusammenfassung einer Sache, von der er annahm, Sephiroth habe sie nicht mitbekommen, und lehnte sich zufrieden in dem Sessel vor dem Schreibtisch zurück. Diesmal befanden sich seine Stiefel auf dem Erdboden. Die Füße allerdings... Wenigstens trägt er frische Socken, dachte der General nach einem kurzen Blick und einem verhaltenen seufzen. Nr. 65. Keine frischen Socken wäre Nr. 34 gewesen. „Ab jetzt“, fuhr Zack fort und unterstrich seine Worte mit einer passenden Handbewegung, „wird sie fröhlicher sein, wirst sehen. He, hörst du mir überhaupt zu? Erde an Sephiroth. Komm schon, ich weiß, dass du mich hörst.“ Einmal mehr war der Schreibtisch übervoll mit Papieren, aber der 1st war entschlossen, das Duell zu gewinnen. Er holte tief Luft... beschloss, sein Vorhaben zu verschieben, und griff stattdessen nach den Dokumenten, die Sephiroth ihm ohne Blickkontakt, dafür aber aggressiv schweigend (nur der General brachte das fertig) entgegenstreckte. Der Stapel entpuppte sich als ein identischer, fünffach eingereichter Antrag zur Genehmigung einer haarsträubenden Absurdität von ein und derselben Person, gekrönt von dazuerfundenen Dringlichkeitsstufen. Zack rollte mit den Augen. Dass Sephiroth seine Zeit mit solchem Blödsinn verbringen musste, war, gelinde gesagt, eine Frechheit. Aber der Antragsteller war bekannt für derartige Aktionen. Wiederwillig gab der 1st den Stapel Sinnlosigkeit zurück. Sich mit so einem Blödsinn aufhalten lassen zu müssen... Ein grandioser Kämpfer wie Sephiroth gehörte auf ein Schlachtfeld, und nicht hinter einen Schreibtisch! ShinRa schien tatsächlich zu glauben, den General auf diese Art und Weise kontrollieren zu können. Eines Tages, das wusste Zack, würde Sephiroth diese Illusion zerbrechen, und eine neue, sehr viel andere Gegenwart schaffen. Momentan allerdings galten die Gedanken und Pläne des Generals der aktuellen Gegenwart, und seine Aufmerksamkeit den wenig Grund zur Freude gebenden Berichten vor sich. Die Rebellenaktivitäten in Midgar nahmen langsam aber kontinuierlich zu. Erst gestern war ein Anschlag auf eine kleine Gruppe SOLDIER verübt worden. Zack, immer noch mit den Gedanken bei Cutter und ihren sturen Mitmenschen, schüttelte den Kopf. „Sie haben sie einfach nicht richtig behandelt“, maulte er. „Auch Respekt kann man erzwingen“, antwortete der General, vertieft in den Bericht. Die Männer hatten zwar keine lebensbedrohlichen Verletzungen davongetragen, aber Sephiroth war weit davon entfernt, den Vorfall auf die leichte Schulter zu nehmen. Abgesehen davon... der Angriff war nicht mit den üblichen selbstgebastelten Waffen verübt worden, sondern mit ShinRa Material. „Ich meine... warum tun sie das? Was versprechen sie sich davon?“ „Das übliche, nehme ich an. Eine strahlende Zukunft ohne Sorgen jeglicher Natur.“ Vermisst wurde, laut den entsprechenden Listen, allerdings nichts. Der General plante für den Nachmittag ein Gespräch mit dem für diese Listen zuständigen Offizier, außerdem würde für ein höheres Aufgebot an Schutzpersonal in den Straßen von Midgar gesorgt werden müssen, was wiederum... „Dabei hat sie sich solche Mühe gegeben, ich hab´s doch gesehen.“ Sephiroth seufzte lautlos. Er hatte schon angefangen, sich über Zacks sinnvolle Antworten zu wundern. „Ich finde“, meinte der 1st gerade, „wir sollten sie im Auge behalten für später Missionen.“ Dem hatte der General nichts entgegenzusetzen. Einen guten BW konnte man immer brauchen, und wie es aussah, lief Cutters Entwicklung – endlich – darauf hinaus. Abgesehen davon erstarrte sie, ganz im Gegensatz zu manch anderen, in Sephiroths Anwesenheit nicht zur verschreckten Salzsäule. Dennoch war sie noch zu kindlich. Wenn sie im erbarmungslosen ShinRa Universum überleben wollte, musste sie dringend erwachsen werden. Was sich mit Zack als einzigstem Freund mehr als problematisch gestalten würde. Er hoffte, der Teenager besaß genug Intelligenz, sich nicht zu jedem Blödsinn hinreißen zu lassen. Zacks ehrliche, ungekünstelte und glaubhafte Freundlichkeit hatte tief in Cutter eine Barriere brechen lassen. Die Gewissheit, doch nicht allein zu sein, verlieh ihr förmlich Flügel. Sie lachte wieder, außerdem zeigten sich ihre Fortschritte bezüglich der Lines in aller Deutlichkeit. Selbst die sture Klassenrangordnung ließ sich nun leichter ertragen. Cutter war zum ersten Mal in der Lage, dem Unterricht wirklich zu folgen, und das sich langsam einstellende Gefühl, ihren Klassenkameradinnen ebenbürtig zu sein, war großartig. Hin und wieder allerdings.... Die Ergebnisse der Kartographieaufgaben lagen vor, und Azrael besprach die Ergebnisse. Einige Schülerinnen hatten sehr gute Arbeit geleistet. Andere hingegen... „Eine Person hat sogar ein ganzes, nicht existentes Gebirge gefunden“, kommentierte er gerade. „Da war aber eine sehr dunkle Line!“ protestierte Cutter augenblicklich, und Azrael schloss die Augen und seufzte resigniert. Er hatte Cutter mit Absicht nicht bloßstellen wollen... jetzt erledigte sie das selbst. Und bemerkte es nicht einmal, während die restliche Klasse zu kichern anfing. Aus diesem Schussel würde niemals ein echter BW werden! „Was?!“ fauchte der Teenager zutiefst entrüstet in die höchst erheiterte Runde. Sie erinnerte sich genau. „Sie war da! Wenn nicht sogar ganz schwarz!“ Alarmglocken, die lange geschlafen hatten, erwachten schrillend tief in Azrael, gefolgt von einem alles betäubenden Schmerz, der sämtliche Gedanken in freien Fall übergehen ließ. Eine schwarze... d i e schwarze Line. Heftiger Schwindel erfasste all seine Sinne. Nur halbwegs vermochte er der Diskussion weiter zu folgen. Irgendjemand prustete. „Es gibt keine schwarzen Lines!“ Cutter versuchte zu erklären, wurde aber schon nach wenigen Worten energisch und ohne jedes Feingefühl von Neesha, einmal mehr Klassenbeste, unterbrochen. Azrael nutzte die Gelegenheit, fing seinen mentalen Sturz wieder auf, landete hart aber sicher und mit rasenden Gedanken. Die gefürchtetste aller möglichen Situationen war eingetreten. Er musste die Sache entschärfen, augenblicklich! Vergib mir... „Cutter, deinetwegen werden eines Tages Tischkanten mit Geschmack erfunden!“ Amüsierte Laute huschten durch die Klasse, während Azrael fortfuhr, eiserne Schärfe in der Stimme. „Wenn du eine Line nicht zuordnen kannst, vermerke es, und wir werden es analysieren und gemeinsam rausfinden. Aber verschwende nicht unsere Zeit mit diesen... Märchen!“ „Aber...“ Sie erinnerte sich! Ganz genau... Oder? „Du hast dich wieder nicht konzentriert!“ Er wandte sich an die Klasse. „Zum 5ooosten Mal für Cutter. Was passiert mit Lines, die sehr eng beieinander liegen?“ „Farben und Puls können sich verändern“, antwortete die Klasse im Chor. Cutter schluckte. Richtig. Das konnte passieren. Selten, aber möglich. Oft genug hatte Azrael darauf hingewiesen. Und sie... hatte es völlig vergessen. „Im übrigen, meinst du nicht auch, dass jeder diese ungewöhnliche Line irgendwo vermerkt hätte? Oder denkst du, sie wäre nur für dich erschienen?“ Auch das ergab Sinn. Aber Cutter war voll konzentriert gewesen! Warum jedoch sollte Azrael lügen? „Wenn du deine Konzentrationsprobleme nicht bald in den Griff bekommst, sehe ich für die Prüfungen tiefschwarz.“ Er musste lügen. Leugnen. Verletzen. Es gab keinen anderen Weg. „Diskussion beendet! Und jetzt passt bitte alle...“, er warf dem sichtlich verwirrten Teenager einen scharfen Blick zu, „gut auf!“ Er begann, eine neue Aufgabe zu erklären, aber seine Gedanken schäumten unruhig auf und ab. Es gab keine schwarze Line. Es durfte keine geben. Jedenfalls nicht im Universum seiner Schülerinnen. Die Welt der Lines beherbergte Rätsel von solch gefährlicher Unergründlichkeit, dass sie ungelöst, unentdeckt bleiben mussten, um keine... nicht noch mehr... Leben zu zerstören. „Das ist absurd! Ich weiß, was ich gesehen habe, und da war eine schwarze, informationslose Line mit einem sehr trägen Puls!“ Zack war dem deprimiert-frustrierten Teenager in einem der zahlreichen Flure des ShinRa HQ über den Weg gelaufen, hatte aufmerksam zugehört, und sah sich jetzt in der Pflicht, einen ehrlichen Kommentar abzugeben. „Weißt du, Cutter-chan“, sagte er zu den großen, hoffnungsvollen Augen, aus denen der Teenager momentan ausschließlich zu bestehen schien, „ich würde dir nur zu gerne zustimmen. Aber du weißt selbst, dass du... zu... Unaufmerksamkeiten neigst. Ich befürchte, deine Sinne haben dir einen Streich gespielt.“ Für einen Moment sah Cutter aus, als wolle sie scharf protestieren. Dann aber nickte sie langsam und mit deutlich wachsender Niedergeschlagenheit. So sehr sie Zacks ehrliche Art schätzte – eine andere Antwort wäre ihr jetzt lieber gewesen. Aber er hatte recht, und es gab so viele Punkte, die gegen den so sicher geglaubten Anblick einer schwarzen Line sprachen. „Vergiss es einfach, hey? Nächstes Mal haust du sie alle um!“ Er wuschelte Cutter tröstend durch die Haare. „Ich weiß, dass du es kannst!“ Ein lächeln huschte über das Gesicht des Mädchens. Zacks Optimismus zerschlug sogar die tiefste Depression. Sie nickte. Nächstes Mal würde sie sich einfach noch besser konzentrieren. Keiner konnte ahnen, unter welch schwierigen Bedingungen sie ihren neuen Versuch würde starten müssen. Kapitel 12: Kapitel 12: Wahrheiten und Lügen -------------------------------------------- „Die Grenze zwischen Respekt und Angst ist so dünn, dass man manchmal selbst nicht weiß, auf welcher Seite man sich bewegt.“ Cutter wusste nicht, von wem diese Weisheit stammte. Nur, dass sie sich gerade definitiv auf der Angstseite befand, und dass das verzweifelt über die Ohren gezogene und mit den Händen fixierte Kissen bei weitem nicht ausreichte, um die – glücklicherweise - außerhalb des Raumes liegende Geräuschkulisse auszublenden, ebenso wenig wie die Gewissheit, falsch und tükisch von Neesha angegrinst zu werden. „Nette Familie...“ Wie kann es sein, dachte Cutter mit einer Mischung aus Hilflosigkeit und Verzweiflung, dass alle meine Albträume auf einmal wahr werden? Aber irgendwie... stand diese Mission von Anfang an unter keinem guten Stern. Nicht immer entwickelten sich die Dinge vorhersehungsfähig oder gar zum eigenen Nutzen, und im schlimmsten Falle entdeckten sie ihre eigene, erschreckende Eigendynamik. Aus einem harmlosen, vom obersten Punkt eines Hügels in Bewegung gesetzter Schneeball wurde eine rasende, alles vernichtende Lawine, die tobend zu Tal stürzte und alles auf ihrem Weg liegende gnadenlos unter sich begrub. Niemand wusste, woher das seltsame Virus gekommen war. Fest stand nur: er war neu, aggressiv – und hatte Gaia fest im Griff. Ein rettendes Gegenmittel existierte nicht. Menschen – ungeachtet von Alter oder Gesundheitszustand - starben binnen weniger Tage. Das Virus hatte auch vor ShinRa nicht Halt gemacht. Zum ersten Mal seit langer Zeit sah sich der gewaltige Konzern bedroht von einem Gegner, der sich durch die übliche Vorgehensweise nicht aufhalten ließ. Es hieß, Rufus Shinra sei nicht begeistert gewesen. Das für Fälle dieser Art zuständige Laborteam arbeitete seit Tagen ununterbrochen und unermüdlich, aber erfolglos. Auf der völlig überfüllten Krankenstation kämpften Ärzte und Schwestern mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln um das Leben ihrer Patienten – und unterlagen. Hoffnungslosigkeit begann lautlos, sich in vorher von Optimismus erfüllte Herzen zu schleichen. Dann ein Hoffnungsschimmer am fernen Horizont des Sieges. Das Virus reagierte minimal positiv auf eine ursprünglich als nutzlos gewertete, weil erheblich vom Ursprungszustand abgeschwächte Substanz. Sofortige Versuche, diese zu verstärken, brachten jedoch nicht das gewünschte Ergebnis. Augenblicklich eingeleitete Nachforschungen ergaben, dass die vielleicht lebensrettende Substanz in ihrem reinen Ursprungszustand noch existierte: in Teilen einer höchst seltenen Blume, heimisch in der weit entfernten Bergregion. Die Mission war SOLDIER anvertraut worden, und Sephiroth hatte unverzüglich die Unterstützung der Blue Wanderer angefordert. Außer Cutter und Neesha war niemand verfügbar, und obwohl der General wusste, dass es Probleme geben würde (dank Zack war er umfangreich – wenn auch ungewollt - über das schwierige Verhältnis Cutters zu ihren Klassenkameradinnen informiert), strategische Gründe verlangten eine Teilnahme beider. Mit gewöhnlichen Fahrzeugen hätte die Reise zur Bergregion Tage in Anspruch genommen. Zeit, die fehlte. Glücklicherweise verfügte die ShinRa Armee über Helikopter, die beachtliche Lasten tragen und somit auch problemlos Jeeps transportieren konnten, und so war einer eben jener Helikopter mit den SOLDIER und BW an Bord, und zwei Jeeps unter sich tragend in Richtung Bergregion gestartet. Es hätte so unkompliziert werden können. Aber Monster besaßen die unangenehme Eigenschaft, immer im ungünstigsten Moment aufzutauchen, speziell die großen von beachtlicher Aggressivität. Ein im Vergleich zu seinen flinken, für Kampfeinsätze geschaffenen Kollegen träger Transporthelikopter war trotz der beiden standardmäßigen Maschinengewehre kein ernstzunehmender Gegner. Der Pilot hatte die Jeeps abwerfen müssen, um die angeschlagene und heftig trudelnde Maschine kontrolliert abstürzen lassen zu können, ein Kunststück, das ihm gelang. Der Helikopter jedoch war zu schwer beschädigt, um weiterfliegen zu können, und die für die noch weit entfernte Bergregion dringend benötigten Jeeps nur noch zwei Haufen Schrott. Sephiroth hatte sich nicht aus der Ruhe bringen lassen, augenblicklich Ersatz angefordert, und nach einem kurzen Blick auf die Karte beschlossen, die uneingeplante Wartezeit im nächstgelegenen Ort zu verbringen. Bwillheim. Cutters Heimatort. Für andere wäre ein uneingeplanter Stopp in ihrem Heimatort ein Grund für heillose Freude gewesen. Cutter hingegen wurde innerhalb einer einzigen Minute durch Fassungslosigkeit und pure Panik katapultiert. Letztendlich blieb nur reine Angst übrig. Ausgerechnet Bwillheim. Sie war augenblicklich an den ihres Erachtens nach zweitsichersten Platz der Welt geflüchtet, dicht neben Zack, hatte sogar versucht, sich nach Betreten des Ortes so unauffällig wie möglich hinter ihm zu verstecken... Aber natürlich war die Ankunft der kleinen ShinRa Truppe nicht unbemerkt geblieben, ebenso wenig wie ihr Einzug ins örtliche Gasthaus. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis auch der den dunkelsten Punkt in der Vergangenheit des Teenagers bildende Menschen vor dem Gebäude auftauchte. Jeglichem Instinkt trotzend hob Cutter ihr Kissen vorsichtig an. Vor dem Gasthaus tobte die Vergangenheit in altgewohnter Manier, ließ den Teenager blitzartig das Kissen wieder gegen die Ohren drücken. Er war – wieder oder immer noch - betrunken. Ein trauriges Wunder, dass er es in diesem Zustand überhaupt hierher geschafft hatte. Zu sehen, dass nicht die geringste Änderung eingetreten war, tat entsetzlich weh. Aber... woher hätte sie auch kommen sollen? Cutters endloser Dank galt den beiden in weiser Voraussicht aufgestellten, unerschütterlichen Wachposten vor dem Eingang des Gasthauses. Ohne sie wäre die Situation längst eskaliert. Mittlerweile vermochte nicht einmal mehr das Kissen, den Krach zu dämpfen. „... hat sie überhaupt kein Recht nich´ bei eurem Haufen zu sein, ich hab die Papiere damals nich´ unterschrieb´n, die war´n einfach weg und...“ Cutter wollte etwas entrüstetes denken. `Muss er so brüllen?!´ zum Beispiel. Aber stattdessen verwandelten sich ihre Gedanken sich in Eisblöcke und fielen polternd auf rein mentalen Boden, gleichzeitig schien sich ihr Bewusstsein zu teilen. Eine Hälfte flüsterte beschwichtigend: „Er ist betrunken. Keiner wird deinem Vater glauben.“ Die andere hingegen hob schweigend eine Grube aus und deutete auf den die Initialen des Mädchens tragenden Gedenkstein. „Oh oh...“ Neeshas Stimme war Mittelding zwischen Gehässigkeit und Interesse. „Wenn das stimmt... Was wohl der General dazu sagen wird?“ Vor dem Haus wurde es einen Moment sehr laut, als die Wachposten hart durchgriffen, dann senkte sich wieder Stille über die Straße. Der Teenager versuchte sich zu entspannen... „Hätte mir klar sein müssen, dass du aus einer Familie von Versagern kommst.“ ... und scheiterte. Die aktuelle Situation war schon schlimm genug, aber sich auch noch ein Zimmer mit Neesha teilen zu müssen... und abgesehen davon... Er war nie ein Vater, dachte Cutter. Er war immer nur ein Grund zum fürchten. Das alles hier. Und grenzenlose, unüberwindbare, eisige Ablehnung. Um rettenden Schlaf flehend schloss der Teenager die Augen. Eine gefälschte Einverständniserklärung für die Teilnahme am BW Programm? Von Cutter? In seinem eigenen Zimmer trat Sephiroth langsam und äußerst nachdenklich vom Fenster zurück. Es erschien absurd, gerade in Bezug auf... so ein kleines Schussel. Sie wirkte einfach nicht wie jemand, der zu solch einer Tat fähig war. Dennoch würde er der Sache nachgehen müssen. Zwei pfeilschnelle Kampfhelikopter flankierten den in den frühen Morgenstunden eintreffenden Transporthubschrauber. Die kleine Truppe ging an Bord und nahm ein weiteres Mal Kurs auf die Bergregion. Zu Cutters Überraschung erkundigte sich nur Zack halblaut nach ihrem Befinden, aber die Antwort des Teenagers ließ keinen Grund zur Sorge aufkommen. Dennoch ahnte sie, dass das Thema noch nicht erledigt war, und lediglich andere Aufgaben Vorrang hatten. Sephiroth beendete den Kontakt zum HQ und sortierte lautlos die neuen Mitteilungen. Es gab weitere Tote, und nach wie vor lag die einzige Hoffnung auf Besserung darin, die Blume zu finden. Der General warf den beiden Wunderwaffen Cutter und Neesha einen kurzen Blick zu. Die Kombination SOLDIER/Blue Wanderer hatte sich schon mehr als einmal bewährt, und er hoffte auf ein weiteres Mal. Dennoch versprach es, nicht einfach zu werden. Aufgrund der extremen Seltenheit existierte außer einem Bild der Blume keine aktuelle, ihr zugeordnete Line, deshalb bestand die Strategie darin, einfach allen unbekannten Pflanzenlines innerhalb des Gebirges nachzugehen. Wann und ob sie auf die richtige treffen würden, war völlig unabsehbar. Als sie die erfolgversprechende Bergregion erreichten und der Transporthelikopter sowohl Jeeps als auch menschliche Fracht sicher abgeladen und sich mit seinen beiden Kollegen auf den Rückweg machte, teilte Sephiroth die Anwesenden in zwei Gruppen ein und die völlig überraschte Cutter seinem Team zu. Neeshas aufkeimenden Protest erstickte er mittels eines einzigen scharfen Blickes. Die beiden Truppen setzten sich unabhängig voneinander in Bewegung. Cutters ganze Aufmerksamkeit galt jetzt den Lines. Sie musste nicht nur nach unbekannten Pflanzenlines suchen, sondern in dem extrem unwegsamen Gelände auch den kürzesten Weg für den Jeep finden. Ein hoher Schwierigkeitsgrad, der sie mal besser, mal schlechter als erwartet vorwärts kommen ließ. Die Zusammenarbeit an sich verlief völlig reibungslos. Wann immer der Teenager eine unbekannte Line entdeckte, führte sie den Jeep so nahe wie möglich heran, und dann machte sich einer der SOLDIER, und in Extremfällen auch Sephiroth selbst, daran, die geortete Pflanze zu finden. Aber trotz einwandfreier Lotsendienste – der Erfolg blieb aus. Eine nach zwei erfolglosen Tagen durchgeführte Lagebesprechung der beiden BW scheiterte erwartungsgemäß an Neeshas Sturheit und Unwillen, im Team zu arbeiten, und so blieb auch Cutter nichts anderes als der Einzelkämpfermodus übrig. Als Sephiroth nach ihr sah, darauf vorbereitet, sie deprimiert vorzufinden, wurde er zu seiner heimlichen Freude jedoch enttäuscht. Der Teenager saß auf dem Boden des Jeeps, mitten zwischen den mitgebrachten, aufgeschlagenen Büchern, (Neesha hatte sich königlich über Cutters „Proviant“ amüsiert), einen Block auf den Knien und einen Stift in der Hand, sehr wütend, aber voll konzentriert und aufs äußerste entschlossen. Der General zog sich lautlos wieder zurück. Gegen Abend versorgte er „seinen“ mittlerweile zwischen zerknüllten Papierkugeln sitzenden, aber weiterhin unerschrocken kämpfenden BW mit Nahrung. Kaffee und einer zusätzlichen Lichtquelle. Cutter, dessen war er sich sicher, gab alles. Er wusste aber auch, wie schwierig die Welt der Lines sein konnte. Ob das Können des Teenagers ausreichen würde? Am nächsten Morgen, die Jeeps waren schon seit Stunden unterwegs, meldete die Krankenstation neue Todesfälle. Nicht zuletzt diese Nachricht führte Cutter in eine extreme Linestiefe. Und dort begegnete (oder erwartete?) sie etwas unreal reales. Tiefschwarz, dumpf pulsierend, informationslos und wie ungeliebt fortgeworfen... die schwarze Line. Ein Anblick so überraschend und hart, dass er den Teenager schlagartig zurück in die normale Welt katapultierte, wo sie sich mit entsprechendem Entsetzen und als unfreiwilliger Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit wiederfand. „Alles in Ordnung?“ Sephiroths Stimme ließ sie zusammen zucken, dann aber nicken. „Ja, Sir.“ Langsam ließ sie die reflexartig zum Schutz der Augen erhobenen Hände wieder sinken. Ein Streich, hervorgerufen durch Druck und Anspannung. Ganz bestimmt. Es gab keine schwarzen Lines! Azrael hatte das gesagt, und der musste es wissen. „Es war nichts.“ Sie lächelte möglichst belanglos. „Manchmal begegnen einem komische Sachen in den Lines, Sir.“ Grünglitzernde Smaragdaugen ließen sich nicht eine Sekunde lang durch die aufgesetzte Maske irritieren. Er schwieg, gab aber dennoch zu erkennen, dass er die Begründung des Teenagers bestenfalls gehört hatte. Stunden vergingen. Und dann, urplötzlich... machten die neusten Erkenntnisse ein zweites Treffen erforderlich. Die daraus folgende Besprechung führte Sephiroth allein mit den beiden BW durch. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass jetzt nur noch einer helfen konnte. Azraels Stimme klang erschreckend schwach, als er auf die Beschreibungen hin antwortete. „Ihr habt die einzelnen Ursprünge aller unbekannten Lines geortet ohne Erfolg zu haben, und jetzt gibt es keine mehr. Habt ihr die entsprechenden Reinheiten geprüft? Alle Störfaktoren zuverlässig ausgeschlossen oder ausreichend ausgeblendet? Eventuelle Überschneidungen aufgelöst? Habt ihr auch die Intensität der einzelnen Lines einkalkuliert? Ihr wisst, sie können sehr schwach werden, wenn nicht genügend Objekt vorhanden ist.“ „Alles!“ antworteten die beiden BW gleichzeitig entrüstet. „Immer! Mehrfach!“ Einen Moment lang blieb es still, dann erklang schwaches, aber eindeutiges lachen aus dem Funkgerät. „Cutter und Neesha sind sich einer Meinung. Dass ich das noch erleben darf.“ Mit etwas Pech ist es sein letztes Erlebnis, dachte Sephiroth. Im Gegensatz zu den beiden Teenagern wusste er, dass man ihren Lehrer in der vergangenen Nacht auf die Intensivstation verlegt hatte. Und wie bei allen Patienten dort sah es auch für Azrael nicht gut aus. Vermutlich hielt ihn einzig und allein der Gedanken an seine beiden Schülerinnen bei Bewusstsein. Cutter ließ sich erschöpft im Schneidersitz neben dem Funkgerät auf dem Boden nieder und schüttelte den Kopf. „Was, wenn sich die Pflanze weiter entwickelt hat?“ „Dann bliebe es trotzdem eine Pflanzenline“, fauchte Neesha. „Und wenn es sie gar nicht mehr gibt?“ Es lag ihr völlig fern, aufzugeben, aber in den letzten Jahren hatten so viele Dinge einfach aufgehört, zu existieren... Wer konnte eine Ausnahme bei dieser Blume wirklich gewährleisten? Und es gab definitiv keine unbekannte Line mehr in diesem Gebirge. Die Situation war mehr als frustrierend, und das Gefühl von absoluter Hilflosigkeit erdrückend. „Was sollen wir tun, Azrael?“ Cutter rückte noch ein Stückchen näher zu dem die so vertraute Stimme beherbergenden Funkgerät heran. „Wir können nicht zurückkommen und sagen `Sorry, hat nicht geklappt´.“ Ein letzter Rest Wärme des Sonnenunterganges klammerte sich an die Umgebung, kämpfte... und erstarb. Azrael schlug vor, etwas zu schlafen, und Cutter nickte dankbar. Nach Tagen in mentaler Dauerbelastung kratzte sie an der Grenze ihre Leistungsfähigkeit. „Ich bin noch nicht müde!“ protestierte Neesha. „Werfen Sie mich nicht in einen Topf mit dieser...“ Diesmal waren sich Azrael und Sephiroth einig. „Halt den Mund!“ Neesha schnappte sichtlich getroffen nach Luft und stürmte, überwältigt von Entrüstung davon. „Neesha!!“ Cutter sprang entrüstet auf die Füße. „Sir...“ Dieser entließ sie mit einem nicken und sah völlig unbeeindruckt zu, wie sie ihrer störrischen Kameradin entschlossen nachjagte. Bei aller Unwissen- und Unerfahrenheit – Cutter schien verstanden zu haben, worauf es im Team ankam. Neesha hingegen... Dieses unangebrachte Verhalten würde Konsequenzen haben. Überhaupt... Sephiroth hätte es niemals zugegeben, aber dieser zickige Teenager ging ihm entsetzlich auf die Nerven. Er war immer jemand gewesen, der Menschen aufgrund ihrer Fähigkeiten beurteilte – jetzt aber konnte er zum ersten Mal verstehen, warum die weitverbreitete Meinung herrschte, Mädchen hätten beim Militär nichts zu suchen. Cutter bewies zwar das komplette Gegenteil, aber... „General Crescent?“ Azraels Stimme hatte einen fast flehenden Unterton. „Bitte sagen Sie mir nicht, dass Neesha weggelaufen ist.“ „Ich versichere Ihnen, dass sie diesen Fehler zum ersten und letzten Mal begangen hat.“ Es seufzte leise aus dem Funkgerät. Azrael wusste, dass es sinnlos war, um Strafmilderung zu bitten. Das hier war nicht der Kindergarten, sondern das Militär. Fehlverhalten wurde entsprechend bestraft. Sephiroth beendete die Funkverbindung und sah dann hinauf zum nächtlichen Himmel, an dem sich, metapherngleich für die aktuelle Situation, bedrückend dicke Wolken türmten. Wenn nicht einmal die Fähigkeiten eines Blue Wanderers helfen konnten – wie sollte es weitergehen? Sicher, das Labor würde weiterforschen und irgendwann den ersehnten Erfolg vorweisen können, aber gemessen an der Aggressivität des Virus... Viele würden sterben. Er schüttelte die negativen Gedanken ab. Noch war nicht alles verloren. Dann beschloss er, nach den Teenagern zu sehen. Cutter, das wusste er, hatte zwar ihre Feuermateria bei sich, aber die erwies sich leider nicht in jeder Lage als nützlich. Lange musste er nicht suchen. Neeshas Stimme, giftig und vor allem laut, war mehr als deutlich zu verstehen. Sephiroth lehnte sich an einen der zahlreichen Felsen, verschränkte die Arme vor dem Brustkorb und lauschte ungesehen und aufmerksam dem Streit. Wäre es nach guten Argumenten bezüglich Teamwork gegangen – Cutter hätte mit weitem Vorsprung gewonnen. Neesha hingegen ging es nur um den eigenen Vorteil. Irgendwann kochte Cutters Stimme über. „Es geht nicht ununterbrochen um dich allein, du egoistisches Gör! Menschen sterben, während wir hier wertvolle Zeit verschwenden! Ist dir das eigentlich klar?! Du musst mich nicht mögen, aber wir können ihnen nur helfen, indem wir zusammenarbeiten!“ Sephiroth spürte instinktiv, dass das verbale Duell dabei war, zu einem körperlichen zu werden, und entschloss sich, einzugreifen bevor Blut floss. Lautlos trat er aus der Deckung und handelte. Neesha wandte wütend und mit gebleckten Zähnen den Kopf nach dem Irren, der die Frechheit besaß, sie fest am Kragen gepackt zu halten... - und erstarrte. General Crescent war hier? Seit wann? Was hatte er alles gehört? Wie würde er reagieren? Gab es eine Möglichkeit, ihn dennoch zu beeindrucken? „Sir, ich...“ Mondlicht brach für einen Moment durch die dichte Wolkendecke und ließ die makogetränkten Augen des Generals aufleuchten. Es wirkte wie der unausgesprochene Befehl, zu schweigen. „Kvir.“ Seine Stimme war nur ein wispern. „Hältst du dich für besonders intelligent?“ „Oh ja, Sir, ich...“ „Das bist du nicht. Sondern nur ein unter großen Träumen und völlig falscher Selbsteinschätzung leidendes, egoistisches Kind!“ Seine Stimme änderte sich und wurde zu einem leisen, furchteinflößenden grollen. „Ab sofort wirst du mit Tzimmek zusammenarbeiten, und zwar vorbildlich. Über die Konsequenzen deiner vorherigen, unangebrachten Handlung unterhalten wir uns später. Haben wir uns verstanden?“ Neesha konnte nicht sofort antworten. Die verbale Ohrfeige hatte sie tief getroffen. Ein Kind?! Sie?? Konsequenzen? Warum? Und Teamwork? Sie war eine Kvir! Eine geborene Einzelkämpferin! Im Team war man ein nichts, ein niemand, ein namenloses... Sephiroths Blick legte sich, einem überdimensionalen Schraubstock gleich, um ihre Gedanken und drückte fest zu. Irgendwie gelang es Neesha, ein „Ja, Sir“ zustande zu bringen, und nur eine Sekunde später war sie wieder frei. Seine Augen allerdings... Trotz der Dunkelheit wusste Neesha, dass er sie immer noch ansah, und so versuchte sie eben, sich den Nacken nicht ängstlich, aber dennoch ein wenig vorwurfsvoll zu reiben (nicht, dass es weh getan hätte, aber ein bisschen Drama war nie verkehrt), als völlig unvermittelt Zack zwischen den Felsen auftauchte. „Hier seid ihr Kids!“ Er stemmte entrüstet die Hände in die Hüften. „Ich hab mir schon Sorgen gemacht!“ „Wir sind hier fertig.“ Sephiroth wandte den irgendwo zwischen Feuer und Eis existierenden Blick von Neesha ab, und diese atmete auf, versuchte gleichzeitig das Gefühl, gerade noch entkommen zu sein, zu verdrängen, und setzte sich zügig in Bewegung. Sephiroth folgte ihr, hielt dann aber inne und warf einen Blick zurück. „Tzimmek?“ Der Teenager stand völlig bewegungslos da. Tiefe Konzentration mit einer Prise Verwirrung prägte ihren Gesichtsausdruck. „Sir... Wissen Sie, dass es hier einen Fluss gibt?“ Sephiroth nickte. Dank seiner feinen Sinne konnte er, obwohl die Wassermassen noch weit weg waren, die typischen Geräusche bereits wahr nehmen, all das gurgeln und platschen, das rauschen, zischen... „Seine Line“, fuhr Cutter langsam fort, „fühlt sich... seltsam an. Zuerst noch ganz normal, und dann fängt sie an, zu zittern... nur kurz... und dann wird sie wieder normal.“ „Also, ich kann nichts feststellen!“ teilte Neesha unaufgefordert mit und ärgerte sich, als niemand auf sie reagierte. Der Blick des Generals verweilte nachdenklich auf dem Teenager vor sich. Mittlerweile glaubte er, ihre Fähigkeiten gut genug einschätzen zu können. Wenn Cutter sagte, dass es dort etwas seltsames gab, dann war dem so. Abgesehen erforderte die aktuelle Situation es geradezu, nach jedem Strohhalm zu greifen. „Zack, bring Kvir zurück. Sie soll sich ausruhen. Tzimmek und ich werden die Anomalie des Flusses untersuchen.“ „Geht klar.“ Der 1st drehte Neesha an den Schultern in die korrekte Richtung und begann, sie vor sich herzuschieben. „Nein nein“, unterbrach er ihren Protest, „wir gehen zurück zum Camp, du machst schön Heia, und morgen finden wir die Blume, ok? Ok!“ Ein letzter Blick über die Schulter: „Viel Glück, ihr beiden!“ Dann verschwand er mit seiner unfreiwilligen Begleitung zwischen den Felsen. Sephiroth nickte Cutter zu. „Gehen wir.“ Kapitel 13: Kapitel 13: Wahrheiten und Lügen Teil 2/2 ----------------------------------------------------- Innerhalb kürzester Zeit hatten sie ein Plateau erreicht, von dem aus sie den einige Meter unterhalb liegenden Fluss besser einsehen konnten. Cutter versuchte, sich ein klareres Bild von dem zitternden Abschnitt zu machen, aber es gelang ihr nicht. Er war noch zu weit weg. Sephiroth begutachtete den Fluss. Inmitten der reißenden Strömung befanden sich immer wieder große, von weißem Schaum umspülte Felsbrocken. Ihre Abstände waren zwar unregelmäßig, lagen aber durchaus in Sprungweite. Der Blick des Generals wanderte zu Cutter, fing ihre Aufmerksamkeit ein und lenkte sie dann auf die Steine zwischen all dem Tosen. Der Teenager begriff sofort. „Das schaff ich, Sir!“ Ihre Müdigkeit war Adrenalin gewichen. Die Steine waren nass und glitschig, dennoch stellten sie für Sephiroth keine Herausforderung dar. Was Cutter anging... Aufmerksam beobachtete er ihren furchtlosen Sprung, (es gab kaum einen anderen Kadetten, dem er so etwas zugetraut hätte) und die folgende, punktgenaue und absolut beherrschte Landung. Die körperlichen Fähigkeiten des Teenagers waren wirklich beachtlich, und sie ließen im Laufe der folgenden Stunden nicht nach. Sephiroth fragte sich ganz automatisch, welche Steigerung mit Mako möglich wäre, und unterbrach sich energisch, lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf das aktuelle Geschehen. Irgendwann konnten sie die Steine verlassen und den Weg an einem schmalen Ufer fortsetzen. Beide waren völlig durchnässt, hatten aber wie auf eine geheime Abmachung hin beschlossen, es zu ignorieren. Abgesehen davon... die Nacht war warm. Am Himmel zogen immer noch schwere Wolken. Nur hin und wieder vermochte das Licht des Mondes den Vorhang zu zerreißen, und dann wurde aus der schlafenden Landschaft ein flüchtiges Meer aus lebendigen Schatten von unterschiedlichsten Tiefen. Es war schön und unheimlich gleichzeitig, aber Cutter war nicht ängstlich zumute. In Sephiroths Gegenwart existierte keine Angst – vermutlich, weil sie ihn fürchtete. Cutter atmete tief ein. Die Luft schmeckte nach an Bergflanken geschmolzener Wärme, und dem Teenager war seltsam glücklich und frei zumute. Sephiroths feinem Gespür für Stimmungen entging das nicht, auch, wenn er sich nichts anmerken ließ. Sie folgten dem Verlauf des immer ruhiger werdenden Flusses, bis das Mädchen irgendwann stehen blieb. „Hier ist es, aber... die Vibration ist viel schwächer geworden.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich versteh das nicht.“ Es versteckt sich, dachte Sephiroth während er den Blick über das sich ihm bietende Szenario schweifen ließ. Während Cutter auf die Lines und das störrische Licht des Mondes angewiesen war um sehen zu können, benötigte er keins von beidem. Dennoch konnte auch er keine Auffälligkeiten entdecken. Der Fluss war hier relativ breit und wurde zur Mitte hin tiefer, das Wasser floss ruhig und gleichmäßig, auch an den mittlerweile steil aufragenden Canyonwänden war nichts außergewöhnliches zu entdecken. „Ich schlage vor, wir warten.“ Er ließ sich mit gekreuzten Beinen auf dem Boden nieder, und der Teenager folgte seinem Beispiel. So saßen sie schweigend nebeneinander da, immer wieder kurz übergossen von geisterhaftem Licht, und starrten auf den Fluss. Über ihnen kämpften Wolken und Mond einen erbitterten Kampf. Dann gewann der Mond. Der Sieg blieb nicht ohne Folgen. Zuerst waren es nur winzige Luftbläschen, die aus der Mitte des Flusses aufstiegen, dann jedoch... Blumen schoben sich aus dem Wasser und tranken das vom Himmel sickernde Silber mit weit geöffneten Blütenkelchen. Es erweckte den Eindruck eines in Ehrfurcht dargebrachten Gebetes. „Wie kann das sein?“ hauchte Cutter. „Ich habe immer noch nur die Wasserline vor mir!“ „Vermutlich“, antwortete Sephiroth leise, „sind es die letzten ihrer Art. Und sie tarnen sich.“ Es war völlig absurd – aber dann schob sich eine Erinnerung in Cutters Bewusstsein, die dem Ganzen doch einen Sinn gab. „Azrael“, murmelte sie, „hat irgendwann mal gesagt, dass... der Planet in ständigem Kontakt mit seinen Kindern steht, mit ihnen kommuniziert und... aktiv eingreift, wenn alles andere nicht mehr hilft. Schätze, das ist so ein Fall. Manchmal muss man wohl einfach kompromisslos glauben was man sieht. Oh, Sir“, ihr Kopf ruckte herum, „aber we...“ Sie verstummte. Neben ihr erreichte eine Schulterrüstung den Boden, gefolgt von schwarzem Leder. Sephiroth war dabei, alles an unnötiger Kleidung abzulegen. „Tzimmek“, kommentierte er beim abstreifen der schwarzen Handschuhe ohne den Blick von den Blumen zu wenden, „du starrst mich an.“ „E... entschuldigung, Sir!!“ Cutter drehte hastig den Kopf weg. „Es... war nicht... böse gemeint, es ist nur...“ Ein unschuldiges lächeln mischte sich in ihre Stimme. „Das Mondlicht steht Ihnen, Sir.“ Es sprenkelte makogrüne Augen mit winzigen Lichtreflexen, fing sich in den langen Haaren und bewirkte ein wie mit Diamantsplittern versetztes funkeln. Es schien seinen Körper förmlich zu durchdringen als handele es sich bei ihm nicht um einen Menschen, sondern um eine Sagengestalt, die nur für einen flüchtigen Moment der Erde einen Besuch abstattete. Ein Gott. Ein Dämon. Vielleicht beides. Vielleicht keins von beidem. „Tut es das.“ Cutter nickte mehrfach, ungeachtet der hohen Wahrscheinlichkeit, sich gerade zum kompletten Vollidioten zu machen. Sephiroth strömte einen Zauber aus, dem man sich nur schwer entziehen konnte. „Ich w... wollte nur fragen, ob wir wirklich alle mitnehmen müssen, Sir. Wenn es doch die letzten sind. Vielleicht erholt sich der Bestand.“ „Unwahrscheinlich.“ Nur noch die schwarzen, ledernen Hosen tragend stieg er ins Wasser. „Aber drei sollten ausreichen.“ Wenig später verstaute er die Blumen sicher in der zusätzlich mit Wasser gefüllten Transportbox, Bewegungen, die Wassertropfen lautlos an einem perfekt durchtrainierten Oberkörper herunterrutschen ließen. Niemals zuvor hatte Cutter etwas ähnliches gesehen, und sie musste alle Kraft aufwenden, um wie beiläufig den Kopf wegzudrehen bevor sie eine zweite Rüge kassierte. Reiß dich zusammen! schimpfte sie sich selbst. Er ist ein Profi-Schwertkämpfer und ein 1st Class SOLDIER! Natürlich ist er durchtrainiert! Außerdem... es sind nur Wassertropfen! Auch, wenn sie wie silberne Perlen aussehen... Wasser! Und du bist im Einsatz, also versuch wenigstens, dich professionell zu verhalten... Bitte, Cutter, bitte! Dennoch meinte sie, tief in sich ein kaum hörbares Geräusch wahr zu nehmen. Wie ein leises „klick“, ohne Hinweis auf eine Veränderung. Sephiroth kleidete sich wieder an und nahm die aktuelle Lage in näheren Augenschein. Der Canyon war nicht geeignet für einen Zugriff aus der Luft (nicht einmal der rothaarige Spitzenpilot der Turks würde hier eine Chance haben), und die Wände wiesen nicht genügend Möglichkeiten zum klettern vor. Alleine hätte Sephiroth auf ein gewisses Geheimnis seines Körpers zugegriffen um den Canyon zu verlassen, aber das schied in diesem Fall aus. Blieb nur der Entschluss, dem Verlauf des Flusses weiterhin zu folgen bis sich die Möglichkeit eröffnen würde, den Canyon zu verlassen. Vorher allerdings informierte er noch die beiden Gruppen über den Erfolg (ignorierte Zacks überflüssigen Freudenschrei) und forderte Helikopter für den Rückflug an, dann machten er und Cutter sich auf die Suche nach einem geeigneten Ausweg. Nebeneinander wanderten sie durch das zeitverlorene und jetzt wieder sehr aktive Spiel von Licht und Schatten. Cutter war klar, dass sie etwas ähnliches vermutlich nie wieder erleben würde, und sie wünschte sich, jede einzelne Sekunde davon für immer im Gedächtnis behalten zu können. Die ganze Situation war schon etwas besonderes, aber zusammen mit Sephiroth war es etwas... ganz besonderes. Ich mag dich, dachte sie unwillkürlich während sie zu ihm hinübersah. Er bemerkte es. Ohne Zweifel machte die aktuelle Tätigkeit dem Teenager mehr Spaß, als im Jeep zu sitzen. Apropos Jeep... „Was hat dich heute morgen im Jeep so erschreckt, Tzimmek?“ Er musste einen Moment auf die Reaktion warten, aber sie kam, langsam und nachdenklich. „Sir... Haben Sie schon mal etwas gesehen, das es eigentlich nicht geben darf?“ Öfter als mir lieb ist. „Wer bestimmt, was es geben darf und was nicht?“ Der Teenager schwieg einen Moment. „Andere“, antwortete sie dann ausweichend. Sephiroth war nicht bereit, sich damit zufrieden zu geben. Wenn Cutter als Blue Wanderer von „anderen“ sprach, statt Namen zu nennen, konnte das nur eins bedeuten. „Und was darf es laut Geryll nicht geben?“ Wäre ihr die schwarze Line kein zweites Mal begegnet – niemals hätte Cutter sie vor dem General erwähnt. Aber so... Zuerst stockend, dann fließender erzählte der Teenager davon. Sephiroth lauschte aufmerksam, seltsam erheitert über die sich ihm offenbarende Denkweise. Cutter versuchte verzweifelt, sich von dem gerne geglaubten zu überzeugen... wusste es jedoch längst besser. Kadetten konnten wirklich amüsant sein. „Azrael würde uns doch nie anlügen, oder, General?“ Sephiroth, halb amüsiert und halb verärgert über soviel Naivität, seufzte leise. „Tzim...“ Es war so absurd! Seit Zack sich mit ihr angefreundet hatte, informierte er Sephiroth über alles den Teenager betreffende genauestens. Ungefragt, aber mit schäumendem Enthusiasmus. Sie bei diesem Wissensstand immer noch mit dem Nachnamen anzusprechen, war... albern. Er zog entsprechende Konsequenzen. „Cutter, nenn mir einen Grund, weshalb er es nicht tun sollte.“ Sie blinzelte verblüfft. Der General hatte gerade... Ein Versehen? Absicht? Aber warum sollte er... Nein, bestimmt war es ein Versehen gewesen. Aber er hatte sich berichtigt! Doch kein Versehen? Aber... „Cutter? Oder Tzimmek, wenn dir das lieber ist.“ „Nein nein nein“, protestierte sie heftig. „Sir. Sie können ruhig... Es ist ok.“ „Also – warum, Cutter?“ Ihr Name, ausgesprochen mit seiner dunklen Stimme, klang seltsam ungewohnt. Aber es jagte einen kleinen Schauer über den Rücken des Teenagers. Erst nach ein paar Sekunden wurde ihr siedendheiß bewusst, dass der General noch auf eine Antwort wartete. „Er ist unser Lehrer, Sir. Wir vertrauen ihm.“ Oh, wie gut Sephiroth dieses Drama kannte! Vertrauen... gut und schön, aber es unterdrückte auch den Wunsch, nachzufragen und selbst zu denken. Gerade letzteres war im Einsatz unerlässlich. Erfolgreich umgesetzte Pläne zogen zwar automatisch ein gewisses Vertrauen der ausführenden Kräfte nach sich, aber der General war nicht so dumm, dieses mit „Gehorsam“ zu verwechseln. Dem Wort „Vertrauen“ folgte sehr schnell „Freund“. Bei „Gehorsam“ lautete es stets „Vorgesetzter“. Es war wohl an der Zeit, an ein paar Dinge zu erinnern. „Geryll ist nicht euer bester Freund, sondern euer Lehrer. Er ist nicht boshaft, aber sehr schlau, und deshalb wird er euch alles zum Überleben benötigte Wissen vermitteln. Bis auf eine Lektion.“ „Und welche ist das, Sir?“ „Die Wichtigste. Mit deren Hilfe ihr ihn überflügeln und vernichten könntet.“ „Aber Sir“, antwortete der Teenager entrüstet,, ich würde Azrael nie schaden wollen!“ „Auch dessen kann sich ein guter Lehrer niemals sicher sein, Cutter.“ Das Mädchen schwieg einen Moment lang, ehe ihre Stimme wieder erklang, eine Frage stellte, die ihr schon lange auf der Seele brannte. „Sie haben alle Bücher über die Lines gelesen, nicht wahr, Sir?“ Sephiroth erinnerte sich kurz an endlose Stunden, in denen er Fachliteratur zu diesem Thema gewälzt und auch Gespräche mit Azrael geführt hatte, ehe er nickte. „Wissen ist immer hilfreich. Auch, wenn es manchmal zu Komplikationen führen kann.“ Er entschloss sich blitzschnell zu einem unerwarteten Frontalangriff. Erfahrung zeigte, dass gerade bei unerfahrenen Personen so die ehrlichste Reaktion zu erwarten war. „Wie lange hast du gebraucht, um die Unterschrift deines Vaters zu fälschen?“ Der Teenager scheiterte an dem Versuch, unbemerkt zu erschrecken. Der nächtliche Zauber verlor sich in tiefster Schwärze und ließ das unbeherrschbare Gefühl eines freien Falls zurück. Als Cutter wieder sprach, war ihre Stimme schwer von Finsternis und Trauer. „3 Sekunden, Sir. Wie immer.“ Der letzte Zusatz wäre nicht nötig gewesen. Er beinhaltete, das begriff Sephiroth sofort, die zaghafte Aufforderung, weiter zu fragen. „Dann war das also nicht das erste Mal. Ist das dein Art an Dinge zu gelangen, die dir sonst verwehrt blieben?“ „Nein, Sir.“ Cutter schüttelte heftig den Kopf. „Und ich bin nicht stolz darauf. Aber ich musste es tun. Um zu überleben.“ Sie schwieg einen Moment lang, drängte Furcht und Scham zurück und sortierte ihre Gedanken, suchte einen Anfang. „Ich hatte nie ein gutes Verhältnis zu meinem Vater. Oder den Leuten in Bwillheim. Es ist... schwer zu erklären, Sir. Manche Leute können ihre Fremdartigkeit verbergen, und andere nicht. Es... strahlt durch sie hindurch. Können Sie das verstehen, Sir?“ Besser als du es dir vorstellen kannst, dachte Sephiroth. Anders zu sein löst bei der Restwelt – nachdem man die Tarnung entfernt hat - nur zwei mögliche Folgeempfindungen aus: Furcht oder Neugier. Beides kann tödlich sein, wenn man sich nicht zu wehren weiß. Ich war mein ganzes Leben lang... anders. Und werde es immer sein. „Die meisten Menschen“, fuhr Cutter fort, „können mit mir nichts anfangen und ignorieren mich. Die Lines sehen zu können – als einzigste im ganzen Dorf – hat die Situation nicht besser gemacht. Ich war kurz davor, zu glauben, verrückt zu sein. Dann hörte ich von ShinRa. Auf einmal gab es eine Möglichkeit, ganz neu woanders anzufangen. Ich habe also die Papiere angefordert, und als sich mein Vater geweigert hat, zu unterschreiben, warum auch immer...“ Sie verstummte. „Hast du seine Unterschrift gefälscht und bist weggelaufen.“ „Ja, Sir“, murmelte der Teenager mit hängendem Kopf. Ihr war zum heulen zumute. So hätte die Wahrheit niemals herauskommen dürfen. Nicht in dieser Gesellschaft. Nicht so früh. Zu spät... „Probleme lassen sich niemals durch Flucht lösen, Cutter. Wie du siehst, haben sie die unangenehme Eigenart, auf einen zu warten.“ „Das weiß ich, Sir“, lautete die leise Antwort. „Deshalb... wollte ich auch nicht für immer weglaufen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Das kann niemand. Ich wollte... einen Ort finden, der es mir ermöglicht, meine eigene Stärke zu finden. Rauskriegen, wer ich wirklich bin. Und dann...“, sie lächelte bitter, „wollte ich zurückgehen und ihnen allen in den Hintern treten. ShinRa war... meine einzige Hoffnung.“ Und eben, fügte sie in Gedanken hinzu, ist sie zu Staub zerfallen. Das so ungeplante Geständnis ließ nichts als Leere in ihrem Kopf zurück, die durch Sephiroths schweigen zusätzlich verstärkt wurde. Cutter warf ihm einen flüchtigen Blick zu, aber sein Gesichtsausdruck war unbewegt und erlaubte keinen Rückschluss auf seine Gedanken. Der General dachte über die Auswirkungen des eben gehörten nach. Für Situationen wie diese gab es klare, unumstößliche Anweisungen: die betreffende Person hatte ShinRa augenblicklich zu verlassen, und eine Rückkehr war völlig ausgeschlossen. Mehrere Minuten lang beschränkte sich Sephiroth darauf, schweigend weiter vorwärts zu gehen, dann jedoch hielt er unvermittelt an. Die Veränderung der Canyonwände (sie lagen immer noch sehr eng beieinander, aber es gab jetzt mehr Vorsprünge) hatte ein Ausmaß angenommen, mit dem sich arbeiten ließ. Unabhängig von allem anderen: es war Zeit, die Schlucht zu verlassen. „Hast du noch genügend Energie zum springen?“ Der Teenager fixierte die Vorsprünge und lauschte in sich hinein, bemüht, ihre Reserven hinsichtlich der extrem steilen Wand und der unterschiedlich weit voneinander entfernten und mal mehr, mal weniger breiten Landepunkte einzuschätzen. Schließlich siegte die Vernunft. „Ich würde so gerne `Ja´ sagen, Sir, aber...“ Sie verstummte und zuckte verlegen mit den Schultern. Sephiroths abschätzender Blick ruhte auf ihr. Dass sich Kadetten richtig einschätzten, war selten. Die meisten hielten sich für unbesiegbar, unverwundbar, ignorierten Anzeichen der Erschöpfung und wunderten sich, wenn die Aktion schief ging. Cutter war offensichtlich schlauer. „Diese Blumen müssen schnellstens ins HQ.“ „Ist schon ok, Sir, wenn Sie mir Ihr Funkgerät hier lassen und ich dem Flussverlauf noch etwas folge, finde ich bestimmt eine Stelle wo ein Helikopter... “ „Ich trage dich.“ Die Augen des Teenagers weiteten sich. „W... was? Sir?“ Gestattete er sich gerade einen Scherz? Unter anderen Umständen wäre Sephiroth vielleicht tatsächlich auf Cutters Vorschlag eingegangen. Aber der Teenager hatte gute Arbeit geleistet und war zurecht erschöpft. Sie jetzt hier allein zurückzulassen erschien ihm – trotz allem - keinesfalls angemessen, und so sehr er für gewöhnlich die Berührungen anderer Menschen vermied... diese hier würde nicht lange dauern. „Ich trage dich“, wiederholte er und beförderte gleichzeitig mit einem gezielten Griff all das wundervolle, bisher noch über seinen Rücken fließende Silber aus dem Weg, ehe er eine Position einnahm, die seine Worte unterstrich. „Also los. Oder brauchst du erst einen Befehl?“ Schwang in seiner dunklen Stimme tatsächlich ein wenig Heiterkeit mit? Cutter schüttelte ihre Erstarrtheit ab und hoffte inständig, der General würde ihr knallrot angelaufenes Gesicht ignorieren. Vorsichtig kletterte sie auf seinen Rücken und versuchte, sich möglichst unauffällig festzuhalten. Sephiroth erhob sich zügig und umfasste ihre Beine mit sicherem Griff. Ein kurzer Blick über die Schulter... „Festhalten!“ Erprobte Muskeln und Sehnen spannten sich zum Sprung. Nur eine Sekunde später katapultierte sich Sephiroth zum ersten Vorsprung hinauf, dann, ohne an Schwung und Tempo zu verlieren, zum nächsten, höher und höher. Er überwand die steile Fläche, für die andere Stunden und Bergesteigerausrüstung benötigt hätten, innerhalb weniger Herzschläge ohne Hilfsmittel, und landete auf ebenem Boden weit oberhalb der Schlucht. „Wow!“ hauchte Cutter, die für einen Moment alle Gründe für Angst oder Depression völlig vergessen hatte, begeistert. „Sie sind spitze, Sir!!“ Sephiroth schnaubte amüsiert. Was andere nur hinter vorgehaltener Hand flüsterten, erfüllt von Neid, in endlose Wortketten packten, oder dem mit zahlreichen Orden Ausdruck verliehen... Cutter sprach es einfach aus, voller ehrlicher Begeisterung, ohne die Konsequenzen abzuwägen. Wie... ein Kind. Schweigend setzte er sie wieder ab, und schweigend (Cutter aus erneuter, tief empfundener Besorgnis, Sephiroth weil es nichts zu bereden gab) warteten sie auch auf das Eintreffen ihres auf hohe Geschwindigkeit getrimmten Helikopters. Die restliche Truppe inklusive der beiden Jeeps würde von einem etwas langsameren Modell abgeholt werden. Viel Zeit verging nicht mehr, bis die Maschine zur Landung aufsetzte, und sich nur wenig später wieder mit Höchstgeschwindigkeit dem HQ näherte, alle Hoffnung in Form dreier Blumen transportierend. Am Heliport wurde er schon sehnlichst erwartet. Der General händigte die schwarze Transportbox unverzüglich aus, und der Laborassistent verschwand rennend mit der kostbaren Fracht. Jetzt konnte man nur noch warten und hoffen. „Du darfst wegtreten.“ Der Teenager nahm vorschriftsmäßig Haltung an, salutierte, und befolgte den Befehl. Ihre Niedergeschlagenheit allerdings war nicht zu übersehen, was der General zwar zur Kenntnis nahm, ihn aber bei seiner Entscheidung bezüglich der weiteren Vorgehensweise in diesem Fall nicht weiter beeinflussen durfte. Er seufzte leise. Auch ihm blieb jetzt nichts als warten übrig. Zeit, die sich genauso gut im Büro verbringen ließ. Mit elendem, aber notwendigen Papierkram. Auch der heutige Einsatz musste in Berichtform gebracht werden. Ohne zu zögern machte sich Sephiroth auf den Weg zu seinem ungeliebtesten Schlachtfeld aus Papier und Worten. Diese Nacht ging für viele ShinRa Mitarbeiter ohne Schlaf vorüber, und die über Gaia wachenden Götter – sofern es welche gab – empfingen mehr Gebete als gewöhnlich. Manche betrafen gewisse Blumen, andere persönliche Schicksale. Bange Stunden vergingen. Menschen, deren Kraftreserven aufgebraucht waren, kehrten in den Lebensstrom zurück. Auf der Krankenstation wurden Betten frisch bezogen und neuen Patienten zugewiesen. Stunden des Hoffens, das Wartens, der Verzweiflung, in denen jedes Gebet mit dem kleinen, aber inbrünstig dargebrachten Wort „Bitte...“ begann, und manchmal hinsichtlich der lähmenden Angst ausschließlich daraus bestand, schlichen träge vorüber. Irgendwann wurde der General informiert, dass man die ersten vielleicht lebensrettenden Spritzen verabreicht habe, und die Patienten genau beobachte. Sephiroth trat mit seiner dampfenden Kaffeetasse in der Hand ans Fenster und sah hinaus. Wie viele Herzen, dachte er, bangen jetzt in diesem Moment um andere Herzen? Er hatte niemanden, um den er sich hätte sorgen können, empfand aber kein Bedauern darüber, denn so war es immer so gewesen, und nichts würde das jemals ändern. Sich mit überflüssigen Gefühlen aufzuhalten war nur eine der vielen Tarnungen für Schwäche... Ein leises klopfen an der Tür unterbrach seine Gedanken, und auf sein „Herein“ betrat Cutter den Raum, salutierte vorschriftsmäßig und stand nach entsprechender Erlaubnis bequem. „Du trägst Zivil“, bemerkte der General nach einem kurzen Blick in ihre Richtung. Der Teenanger zuckte langsam mit den Schultern. Ihre Augen waren seltsam trüb, wie mit dichtem Nebel getränkt. „Ich wusste nicht genau, bei wem ich mich abmelden sollte, also dachte ich an Sie, Sir.“ Sie bemühte sich, möglichst belanglos zu klingen, aber das darunter liegende zittern ihrer Stimme war deutlich zu erkennen. „Ich sehe, du kennst die Regeln.“ „Ja, Sir“, sagte Cutter leise. „Und ich weiß, dass die Konsequenz für meine Tat der Rauswurf aus dem BW Programm ist.“ Sephiroth hatte in der vergangenen Nacht lange darüber nachgedacht. Fehlverhalten zu bestrafen war für alle Beteiligten lehrreich, und auf eventuelle Nacheiferer wirkte es abschreckend. Manchmal war es richtig, manchmal falsch, und manchmal – sehr oft eigentlich - endgültig. Es war nicht nur eine Frage von Vorschriften und Regeln, sondern auch des Instinkts. Die letztendliche Vorgehensweise oblag dem kommandierenden Offizier... „Korrekt.“ Irgendwann war auch er zu einer Entscheidung gekommen. „Wenn ich ihn anordne.“ Absolute Stille machte sich zwischen ihnen breit. Cutters Gedanken spielten Pingpong zwischen der todsicher geglaubten und der nun so gegenteiligen Reaktion des Generals. „Sir...“, gelang es ihr irgendwann zu sagen, „heißt das, ich... ich bin nicht draußen?“ Sephiroths grüner, alles durchleuchtender Blick griff nach dem des Teenagers, hielt ihn fest, ohne Druck, aber bestimmend. Cutter Tzimmek, dachte er, irgendetwas ist mit dir. In dir. Es hat seine Entwicklung genauso wenig abgeschlossen wie du deine, und ich will wissen, was es ist! Und du auch. Ich befürchte, außerhalb von ShinRa werden wir es nie erfahren. „Wie sehr willst du diesen Platz hier?“ Letztendlich hatte niemand außer ihm und das Geständnis der Kadettin gehört, und Sephiroth wusste: wenn er nichts bezüglich der Forderungen ihres Vaters unternähme, würde es auch sonst niemand tun. Ganz abgesehen davon... ein guter Offizier fand – wenn es sein musste - immer einen Weg, Regeln zu umgehen. Vor seinem Schreibtisch erklang wieder Cutters Stimme, leise, aber überzeugt. „Mehr als alles andere, Sir! Ich... muss es hier schaffen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Es gibt keine Alternative.“ Sephiroth schwieg einen Moment ehe er antwortete. „Ab sofort stehst du unter verschärfter Beobachtung. Gib mir nicht das Gefühl, einen Fehler begangen zu haben!“ Der Teenager, Tränen der Erleichterung nahe, konnte nur stumm nicken. Sie dachte an die letzte schlaflose Nacht, die geprägt von Angst und dem stummen Kampf zwischen aus guter Arbeit geleisteter Hoffnung und der Gewissheit einer endgültigen Niederlage geprägt gewesen war. Die Entscheidung, selbst zum General zu gehen statt auf seinen unausweichlichen Ruf zu warten... es war ihr leicht gefallen. Und jetzt... durfte sie es doch behalten, alles schon verloren geglaubte... Es bestanden nach wie vor Chancen auf etwas sehr zerbrechliches: eine Zukunft. „Sonst noch etwas, Cutter?“ Er war schon wieder mit den Papieren auf seinem Schreibtisch beschäftigt. Der Teenager zögerte. „Sir?“ fragte sie dann leise, „Warum?“ Sephiroth sah wieder auf, beinahe beiläufig. „Gib mir einen Grund.“ Sie nickte verstehend. Bis es einen Grund gab, hatten sie und der General... ein Geheimnis. Einen Pakt. Etwas, das nur sie und er sich teilten, und Cutter schwor sich, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Kräften dafür zu sorgen, ihn nicht zu enttäuschen. Aber da gab es noch etwas, nachdem sie sich jetzt, wo sie bleiben durfte, erkundigen konnte. „Sir, wissen Sie schon, wie es Azrael und all den anderen geht?“ „Die ersten Spritzen wurden bereits injiziert. Wir müssen abwarten, wie die...“ Das Wort „Testobjekte“ legte sich auf seine Zunge, und Sephiroth schob es energisch beiseite. Genau das waren sie nicht! Sondern – trotz ihres angeschlagenen Zustandes – Menschen! Dennoch war er fast froh, dass sie, wenn es zum Letzten kam, starben, und nicht in einen Zustand verfielen, in dem Hojo noch etwas mit ihnen anfangen konnte. „... Patienten darauf ansprechen“, beendete er seinen angefangenen Satz, und Cutter nickte. Ihr war deutlich anzusehen, dass sie die Grenze nur zu gerne durchbrochen hätte, aber einsehen musste, dass ihr dazu die Fähigkeiten fehlten. Es war... wie ein Staffellauf. Hatte man seinen eigenen Teil der Strecke gut hinter sich gebracht, konnte man nur noch abwarten, wie sich der Rest des Teams schlug. Das Telefon klingelte. Cutter wandte sich respektvoll zum gehen während Sephiroth das Gespräch annahm. „Verstanden“, hörte der Teenager ihn sagen während sie ihre Hand auf den Türgriff legte und die Tür öffnete. „Danke. Cutter.“ Sie hielt inne, warf einen Blick zurück. Sephiroth stand hinter seinem Schreibtisch und sah zu ihr hinüber. Eigentlich... hatte es den Teenager nicht zu interessieren, was auf der Krankenstation vor sich ging. Ihr Einsatz war erfolgreich beendet worden. Aber... letztendlich war jeder ab jetzt zu verzeichnende Fortschritt im Kampf gegen das Virus ihren Fähigkeiten zu verdanken. Sie verdiente es, auf dem Laufenden gehalten zu werden. „Das war die Krankenstation. Der Gesundheitszustand der mit dem Gegenmittel injizierten Patienten bessert sich. Das Personal setzt den Wirkstoff jetzt bei jeder mit dem Virus infizierten Person ein. Sie werden nicht alle retten können, aber das ist besser, als ausnahmslos alle zu verlieren.“ Cutter lächelte sichtlich erleichtert. Das waren wirklich gute Nachrichten. Dennoch blieb ein kleiner Teil Besorgnis. „Sir... Azrael wird´ s doch schaffen, oder?“ Da war sie wieder. Jene Besorgnis, mit der Sephiroth so unvorstellbar wenig anfangen konnte: die um einen anderen Menschen. In seiner Welt gab es so etwas nicht. Niemals hatte jemand existiert, um den er sich ernsthaft gesorgt hätte. Es war eine – im Bezug auf das eigene Leben – scheinbar sinnlose Fähigkeit, und wenn sie lernbar war, so war diese Lektion was Sephiroth anging als für unnötig befunden und ausgelassen worden. Abgesehen davon... der General bewegte sich im Kreis der hochrangigen Offiziere, Männer, die auf sich selbst achten und ihr Leben verteidigen konnten. Letztendlich gehörte auch Zack zu dieser Gruppe. Sich um sie zu sorgen wäre mehr als absurd gewesen... Abgesehen davon... ausnahmslos jeder war ersetzbar. „Wie soll ich dir diese Frage beantworten können, Cutter?“ „Ja, Sie... haben recht. Verzeihung, Sir.“ Sephiroth nickte nur kurz und wandte sich dem PC zu, ein deutliches Zeichen, sich jetzt wieder anderen Dingen widmen zu müssen. Es dauerte nur Sekunden, ehe die leise klickende Tür Cutters wegtreten bestätigte. Zwei Tage später hatte sich die Lage hinsichtlich des Virus deutlich entspannt. Die Patienten sprachen bis auf wenige Ausnahmen hervorragend auf das Gegenmittel an. Die Intensivstation begann sich zu leeren. Das dafür zuständige Laborteam hatte mit der Massenproduktion des Impfstoffes begonnen und selbiger würde auch in Kürze der Restbevölkerung Gaias zur Verfügung stehen – vorausgesetzt, die Menschen konnten ihn bezahlen. ShinRa wäre nicht ShinRa gewesen, wenn es dem Konzern nicht gelungen wäre, selbst aus der größten Katastrophe noch Profit zu quetschen. „Muss wohl typisch sein für ShinRa.“ Cutter zuckte mit den Schultern. „Mehr ist eigentlich nicht passiert, Azrael.“ Ihr Lehrer war vor wenigen Stunden von der Intensivstation zu Beobachtungszwecken auf ein normales Zimmer verlegt worden. Jetzt sah er zu dem neben seinem Bett sitzenden, entspannten Teenager hinüber und fragte sich, ob ihr bewusst war, dass sie eine Katastrophe aufgehalten hatte, die problemlos alles menschliche Leben vom Angesicht Gaias hätte tilgen können. Er überlegte, ob er sie darauf hinweisen sollte... dann entschied er sich anders. Vor ihm saß nicht die gierige Neesha, der ein solches Lob Wasser auf den Mühlen ihrer Eitelkeit gewesen wäre, sondern Cutter, und die hätte sofort auf alle die anderen hingewiesen, deren Hilfe ihrer Ansicht nach nicht unbeachtet bleiben durfte. Vermutlich hätte sie nicht einmal die Helikopterpiloten vergessen. Aber das war jetzt vorbei, und es galt, sich wieder alltäglichen Dingen zu widmen. „Ok! In zwei Tagen bin ich wieder draußen! Lest bitte bis dahin in eurem Lehrbuch Kapitel 9 und 10, macht die Übungen, dokumentiert sie – ich werde mir das ansehen, und bei dir fange ich an, oh doch, ganz genau bei dir.“ Cutter seufzte tief auf. „Der Alltag hat uns wieder. Ist gut, ich sag´s den anderen. Aber wenn Sie sich doch noch krank fühlen, also, ich bin sicher, wir...“ „Verschwinde bevor ich dich Kapitel 11 – 13 vorarbeiten lasse, Teenager!“ Diese Drohung fegte die Besucherin in Rekordzeit aus dem Krankenzimmer. Azrael grinste und schüttelte gleichzeitig den Kopf. Cutter! Aber was die zurückliegende Mission anging... „Das hast du gut gemacht“, murmelte er, und empfand direkt ein wenig Stolz über die Tatsache, dass es die Fähigkeiten der Außenseiterin und nicht die der Alleskönnerin gewesen waren, die zum Erfolg geführt hatten. Dann schloss die Augen. Jetzt galt es, wieder gesund zu werden, um die Strecke zu den nicht mehr allzu fernen Prüfungen zurückzulegen. Prüfungen – Herausforderungen - die stattfinden konnten, weil es Überlebende gab. Und mehr, so erzählte es die Geschichte Gaias, war schließlich nie nötig gewesen, um eine Zukunft zu ermöglichen. Kapitel 14: Kapitel 14: Feindkontakt ------------------------------------ Einige Tage später – die Nacht wich eben dem Morgengrauen und der gewaltige ShinRa Komplex erwachte mal mehr, mal weniger enthusiastisch zu neuem Leben – ließ sich Sephiroth, vorsichtig eine Tasse frischen Kaffee balancierend, eben wieder auf seinem Platz nieder, als die Tür geöffnet wurde und Zack den Raum betrat. Auf allen vieren. Völlig unbeeindruckt nahm der General einen Schluck und beobachtete in aller Gelassenheit, wie der Besucher vor den Schreibtisch krabbelte, dort anhielt und die klassische Haltung eines Untergebenen vor seinem höchsten Herrn einnahm. „Oh Meister, erhöre einen Unwürdigen!“ Sephiroths Blick wanderte von seiner immer noch fast vollen und dampfenden Kaffeetasse zu dem in der für seinen Rang absolut unangebrachten Position befindlichen 1st Class Soldier Zack Fair und überlegte, ob sich das Getränk nicht auf dessen Kopf viel besser machen würde. Dann entschied er sich dagegen. Der Kaffee war frisch, heiß, und es definitiv nicht wert, verschwendet zu werden. Abgesehen davon... Zacks aktuelle Art und Weise hier auftauchen war nicht die schlimmste Variante. Diese, das hatte sich durch zahllose vorherige Begebenheiten erwiesen, begannen für gewöhnlich mit den Worten: „Ich schwöre, ich bin nicht schuld!“, „Ha... hast du kurz Zeit?“ oder „Mir ist was lustiges passiert!“ „Und wofür muss ich dich dieses Mal zurechtweisen?“ erkundigte sich Sephiroth mit der für ihn typischen Erhabenheit und nahm noch einen Schluck Kaffee zur Stärkung. Zack hob kurz den Kopf. „Für nichts.“ „Definiere nichts!“ „Nun... nichts.“ Er krabbelte näher und zog sich weit genug am Schreibtisch hoch, um Kopf und Arme auf die Platte legen zu können. Mit hoffnungsvollen Augen sah er zu seinem General auf. „Würdest du einem Freund aushelfen?“ „Wir sind keine Freunde, Zackary.“ „Gut, dann bin ich ein lästiges Anhängsel, das du nicht mehr los wirst und in Folge dessen tief in dein Herz geschlossen hast. Also, hilfst du mir? Bitte bitte?“ Er legte den Kopf schief und zauberte den flehendsten Ausdruck der Welt in seine Augen. „Bitte bitte bitte?“ „Ich frage nicht noch einmal! Und steh gefälligst auf, wenn du mit deinem Vorgesetzten sprichst!“ „Ja, Sir.“ Er erhob sich. „Es geht nur darum, Brisco, Cloffer, Yano und ich wollten heute mit ein paar Kadetten und den BW Zoloms jagen. Ich hab´ s ihnen versprochen. Jetzt fühlt sich Brisco aber noch nicht richtig fit wegen der Virusgeschichte und... Könntest du ihn nicht vertreten? Die Jungs sprechen seit Tagen von nichts anderem als dieser Jagd, ich will sie nicht enttäuschen, und die BW sind auch schon ganz aufgeregt.“ Sephiroth sah zu Zack hinüber. Der 1st mochte ein ausgesprochener Clown sein, aber er gab Versprechen niemals leichtfertig, und wenn er eins nicht erfüllen konnte, brach ihm das jedes Mal schier das Herz. Aber der Schreibtisch quoll über, die Mails kamen im Sekundentakt, das Telefon klingelte ununterbrochen... und um 1500 Uhr hatte er sich im Labor einzufinden. Wie immer kurzfristig, unpassend, ohne die Angabe von Gründen... Aber all das waren keine Argumente. Hojos Befehl war absolut. Und es würde grauenhaft werden, wie immer. Sephiroth schloss für einen Moment die Augen, spürte die verhasste Kälte des Labortisches, hörte das einrasten der eisernen Hand- und Fußfesseln, das Gefühl von Gummihandschuhen die sich auf seine Haut legten... Für gewöhnlich ertrug er alle Qualen lautlos. Aber heute, das spürte er ganz deutlich, würde ihm das nicht gelingen. Vielleicht die Nachwirkungen eines vorhergegangenen Experimentes. Vielleicht nicht. Unwichtig. Als er die Augen wieder öffnete, fiel sein Blick auf das Katana neben sich. Masamune schien förmlich zu sprechen. Der letzte ernsthafte Kampf war Wochen her, und seitdem hatte es bis auf die Blumenjagd nur den verdammten Papierkram gegeben. Sephiroth sehnte sich nach jener Freiheit, die er nur im Kampf verspürte, die ihm Kraft geben würde für alles heute noch auf ihn lauernde. Hojos Rache würde fürchterlich sein. Aber Sephiroth würde sie ertragen können, ohne seinem Peiniger die Freude eines Schmerzensschreies zu gönnen. Er griff nach der Waffe und nickte Zack zu. „Gehen wir Zoloms jagen!“ Zack jubelte. Nur wenig später rollten drei große Jeeps vom ShinRa Gelände und nahm Kurs auf die Sümpfe. Für gewöhnlich reichte Sephiroths Gegenwart aus, um, völlig unabhängig von Ort und Zeit, absolute Ruhe (hervorgerufen durch Einschüchterung und den Wunsch, nicht unangenehm aufzufallen) einkehren zu lassen. Der General hatte sich daran gewöhnt ohne sagen zu können, ob ihm die unnatürliche Stille behagte oder nicht. Und wie erwartet verfielen auch dieses Mal sämtliche Kadetten in dem von ihm gewählten Jeep einen schweigenden Zustand angespannter Aufmerksamkeit, aufs höchste bestrebt, einen guten Eindruck bei der SOLDIER Legende zu hinterlassen. Sephiroth selbst hingegen lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor dem Brustkorb und schloss die Augen. Für Beurteilungen würde es später mehr als eine Gelegenheit geben. Die einzigste Ausnahme in der Stille bildeten Zack und Cutter, die sich über eine Absurdität nach der anderen unterhielten, sichtlich bemüht, die eingefrorene Stimmung innerhalb des Fahrzeuges ein wenig aufzutauen. Azrael, der seine BW begleitete, nahm diese Tatsache schmunzelnd zur Kenntnis. Es freute ihn, dass sich die Beiden so gut verstanden, und hoffte, dass ein paar der guten Eigenschaften des 1st auf den Teenager abfärben würden. Der Jeep näherte sich dem Sumpf. Sephiroth sah auf, und allein diese Bewegung reichte aus, um die uneingeschränkte Aufmerksamkeit eines jeden Teilnehmers auf sich zu ziehen. „Wir sind heute hier, um eure Teamfähigkeit auszubauen und um Zoloms zu jagen. Zoloms sind gefährliche und starke Gegner, die keinen Fehler verzeihen. Eine falsche Bewegung und ihr tragt die Konsequenzen. Haben das alle verstanden?“ „Ja, Sir!“ Das Fahrzeug kam signalgebend zum stehen, und Azrael schickte eine seiner Schülerinnen nach vorne um dem Fahrer zu assistieren. Mit Hilfe der BW würde sich ein derart hoher Fahrzeugverlust wie bei der letzten Jagd in dem tückischen Gelände kaum wiederholen. Während sich der Wagen mit beachtlichem Tempo wieder in Bewegung setzte, entledigte Sephiroth Cutter ihrer Feuermateria. Vorbeugend, wie er betonte. Halb amüsierte und halb missbilligende Blicke legten sich auf den Teenager. „Das ist mein Glücksbringer!“ verteidigte sie sich gegen diese, ihres Erachtens nach, zu kritische Voreingenommenheit. „Mit viel Glück“, antwortete Sephiroth während er die Materia sicher verstaute, „hätte sich das Zolom totgelacht statt dich zu fressen.“ „Sir!“ Das Mädchen klang fast entrüstet. „Ich würde doch nie mit eine Stufe 1 Materia gegen ein Zolom...!“ „Doch!“ antworteten Sephiroth, Zack und Azrael gleichzeitig staubtrocken. Eine unwillkürliche Welle der Erheiterung huschte durch den Rest der Besatzung. Cutter wollte schon antworten, aber eine Vollbremsung des Fahrzeugs, untermalt von einem erschrockenen Schrei, kam ihr zuvor. „Sieh an“, prustete Zack während er seine Schüler aus dem Fahrzeug jagte, „euch BW gibt’s sogar mit Alarmanlage.“ Es wurde Nachmittag, ehe sie neben einer wie aus dem Himmel gefallenen Felswand eine Pause einlegten. Zack und seine Freunde waren sehr zufrieden mit ihren Schülern. Sie gaben ihnen kaum Grund für Zurechtweisungen und ihre Verletzungen hielten sich ebenfalls in Grenzen. Azrael hatte, bedingt durch einen schlangenbezogenen Panikanfall in seiner Gruppe, größere Probleme, aber die Lage drohte nicht zu eskalieren. Auch Sephiroth hatte an der aktuellen Situation nichts auszusetzen, sie war unter Kontrolle und die Zahl der erlegten Zoloms (inklusive der selbst getöteten) entsprach ganz seinen Vorstellungen. Irgendwann fiel sein Blick auf die wie üblich abseits sitzende und für seinen Geschmack ein wenig zu verträumt aussehende Cutter. Er wusste nicht, in welcher Welt der Teenager gerade verweilte, aber es war definitiv nicht mehr die Realität, und mitten im Sumpf war es besser, nicht zu träumen. Lautlos trat der General neben sie. „Planst du schon wieder irgendwelche Alleingänge?“ Sie sah ohne zu erschrecken auf und grinste. „Doch nicht ohne meine Feuermateria, Sir.“ „Das will ich dir auch geraten haben.“ Von der unwillkürlich über die amüsante Antwort empfundenen Heiterkeit war in seiner Stimme nichts zu hören. Unfreundlich klang sie trotzdem nicht. „Bleib aufmerksam, Cutter. An Orten wie diesen kann es in Punkto Reaktionsfähigkeit auf jede Sekunde ankommen.“ Der Teenager nickte, und als sich der letzte Rest gedanklicher Abwesenheit aus ihren Augen verlor, ließ auch Sephiroth den Blick wieder schweifen. Eigentlich war der Tag bisher gar nicht so schlecht gewesen. In dieser Kombination auf Zolomjagd zu gehen statt den elenden Papierkram zu erledigen oder wie aufgefordert das Labor aufzusuchen war in jedem Fall aufregender, auch, wenn es Konsequenzen nach sich ziehen würde. Unbeeindruckt ließ der General seinen Blick an der neben ihm aufragende Felswand emporklettern. Vielleicht würde man von oben bereits ein neues Ziel ausmachen können. Mit wenigen Sprüngen erreichte er seinen neuen Posten und begab sich in eine unauffällige Beobachtungsposition. Unter ihm dehnte sich der Sumpf aus, die nasse Unfreundlichkeit nur hin und wieder durch wie bunt durcheinandergeworfene Felsbrocken unterbrochen und... mit einem Mal schrecklich interessant. Dort, mitten in all der Trübsinnigkeit befand sich... Mit einer behutsamen Bewegung aktivierte Sephiroth sein Headphone und nur wenige Momente später befand sich Zack neben ihm. Kauend, wie der General missbilligend zur Kenntnis nahm. Aber für eine Zurechtweisung war jetzt keine Zeit. „3 Uhr“, gab er leise die Richtung an. „Schon so spät?“ Der älteste Soldatenwitz der Welt. Als eine Reaktion ausblieb, hob Zack brav das Fernglas. „Ok, ich sehe. Sumpf. Sumpf. Noch mehr Sumpf. Felsen. Hey, ein Sumpf. Und da – Sumpf! Nebelloch...“ „Stopp.“ „Stopp?“ Nebellöcher waren hier keine Seltenheit. Eigentlich kamen die Dinger sogar mit einer nervigen Häufigkeit vor. Ganz genau genommen war der ganze verdammte Sumpf übersät von diesen mit Nebel gefüllten Senken von unterschiedlicher Größe. Wer den Fehler machte, die ersten zaghaften Ausläufer von Myriaden Wassertröpfchen zu unterschätzen und einfach weiterzulaufen, verlor in der immer dichter werdenden Wand aus weiß schon bald die Orientierung, und Zoloms waren bei weitem nicht die einzigsten Monster, die einem hier gefährlich werden konnten. Manche Bestien hielten sich mit Vorliebe am tiefsten Punkt einer solchen mit Nebel gefüllten Senke auf um sich das arme, verwirrte Opfer zu schnappen, und die Fleischfresser waren nicht wählerisch... „Gut, da ist ein Nebelloch. Was stimmt nicht mit dem Ding?“ Ohne den Blick abzuwenden holte Sephiroth aus und verpasste Zack keinen festen, aber doch deutlich spürbaren Klaps auf den Hinterkopf. „Au!“ protestierte der 1st entrüstet. „Ich wollte nur deinen SOLDIER Instinkt aktivieren. Muss ich fester zuschlagen?“ Zack hob das Fernglas erneut. Und dann fielen auch ihm einige unstimmige Details auf. Der Nebelteppich um das Zentrum bestach durch auffällige Dichte. Außerdem breitete sich die weiße Masse ein wenig zu schnell aus, bevor sie an den äußeren Rändern zerfaserte. Und an diesem äußeren Rand, halb verdeckt durch Sumpf und Nebel... „Hallo!“ flüsterte Zack. Das Fernglas zeigte ihm nicht nur einen, sondern gleich drei Körperteile, die definitiv zu Zoloms gehörten, und gemessen an dem, was er sah, waren die im Laufe des Vormittags erlegten Exemplare im Vergleich hierzu Babys gewesen. Außerdem trugen diese hier... er stellte das Fernglas noch etwas schärfer um absolut sicher zu sein... Halsbänder. Wenn man den neusten Gerüchten glauben durfte, besaßen die Rebellen zahme Monster mit Halsbändern... Bisher hatte Zack das als dummes Geschwätz abgetan. Monster zähmen... wie sollte man ein solches Kunststück fertig bringen? Jetzt allerdings... „Sie bewachen etwas.“ Sephiroths Stimme klang leise, aber entschlossen „Wir gehen alleine.“ Zack nickte. Ein paar der Kadetten hatte sich gut geschlagen, aber sie besaßen noch nicht die nötige Ausdauer und mentale Stärke für einen Kampf wie den bevorstehenden, und die BW konnten, bedingt durch die grundverschiedene Ausbildung, keinerlei Erfahrung mit einer Situation wie dieser ihr Eigen nennen. Am Boden angelangt erteilte Sephiroth seine Befehle schnell und routiniert, ignorierte die fragenden Blicke der kleinen Truppe und das schlecht getarnte (aber aktionslose) schmollen als klar wurde, dass die beiden SOLDIER – wohin auch immer - alleine gehen würden. Der Aufbruch geschah schnell und mit der gewohnten Lautlosigkeit. Die kreuz und quer verstreuten Felsbrocken als Deckung nutzend näherten sich die Schwertkämpfer unaufhaltsam dem Ziel. Als sie die ersten Ausläufer des Nebels erreichten, hielten sie hinter einem besonders großen Felsbrocken an. Zack spähte an dem schützenden Stein vorbei und versuchte, etwas zu erkennen, aber der Nebel verbarg sein Geheimnis mit nahezu verbissener Entschlossenheit. Die Gedanken des 1st glitten zu einem anderen, die derzeitige Mission betreffenden Detail. Diese Zoloms, sie... Die sichere Gewissheit, verfolgt zu werden, erwachte in ihm ebenso plötzlich wie in Sephiroth. Beide sahen sich, die Hand schon am Schwertgriff, um, spürend, wie sich etwas näherte, zielstrebig, wissend... Und schließlich tauchte es hinter einem der übrigen Felsbrocken auf, sprintete mit fast beeindruckender Schnelligkeit zu den beiden SOLDIER hinüber, ging zwischen ihnen ebenfalls in Deckung... und erstarrte. „Oh...“ Über die Betonung der winzigen Silbe hätte man einen Roman verfassen können. Eben kam Cutters Denkvermögen wieder bei ihr an, ließ sie trocken schlucken und wenigstens ansatzweise begreifen, in welch unvorteilhafte Situation sie sich einmal mehr hineinmanövriert hatte. Azrael und die zurückgelassenen 1st´s hatten nur für eine Sekunde nicht aufgepasst, und diese zu nutzen um Sephiroth und Zack zu folgen war für einen Moment die einzig logische Konsequenz gewesen. Leider war dieser Moment nun vorbei. Übrig blieb ein gründlich deplazierter Teenager. Cutter schluckte ein weiteres Mal, ehe sie vorsichtig den Kopf wandte um sich dem Blick des Generals zu stellen. Freundlich würde er nicht sein, das wusste, sie, und sie sollte Recht behalten: sein Blick traf sie wie eine abgefeuerte Kugel aus grünem Eis. Die sich mit dem Auftauchen des Teenagers gründlich veränderte Situation bot neue Optionen, die Sephiroth blitzartig durchging. Wenn er das Leben der unerfahrenen Kadettin (immer noch) nicht unnötig gefährden wollte, kam nur eine Möglichkeit in Frage. „Wenn du schon hier bist...“, seine Stimme klang trotz ihrer kaum hörbaren Lautstärke wie das Gefühl beim erreichen des toten Punktes am Auslöser einer Schusswaffe, „arbeite! Was befindet sich innerhalb dieses Nebels?“ In dem Bewusstsein, unangefordert hier zu sein und daher keine Fehler machen zu dürfen, schloss Cutter die Augen. Einen Moment lang blieb es ganz still. Als BW beim Militär ausgebildet zu werden, bedeutete vieles. Unter anderem, dass einem gewisse Lines immer und immer wieder begegneten. Einige der hier präsenten waren Cutter in Fleisch und Blut übergegangen. Zelte. Waffen. Und... „Ich bin nicht sicher...“, sie öffnete die Augen, „... Halsbänder?“ Zack pfiff leise durch die Zähne. „Ein Versorgungsdepot der Rebellen mitten im Sumpf, getarnt durch Nebel und bewacht von Zoloms. Seph, den Bericht musst du selbst schreiben, sonst hält ihn jeder für einen Scherz.“ „Zoloms mit Halsbändern?“ wiederholte Cutter skeptisch und schüttelte bei den Erinnerungen an die zurückliegende Jagd und die Kampfkraft der Monster den Kopf. „Wie kann das denn...“ „Der Nebel“, Sephiroth war fest entschlossen, wieder Ernsthaftigkeit in die Besprechung zu bringen, „hat keinen natürlichen Ursprung. Sondern?“ „Da stehen Maschinen, Sir. Mit... Ventilatoren.“ Ein nicken, stumm aber grimmig. Vier von ShinRa´ s effektivsten Nebelmaschinen wurden seit Wochen vermisst. Dank der eingebauten Ventilatoren war es ihnen möglich, ein Rücklaufen des Nebels zu verhindern. Mehrere dieser Maschinen entsprechend angeordnet schufen für die Außenwelt genug Dunst, sich darin zu verlaufen – im Kern allerdings herrscht freie Sicht. Ganz ohne Zweifel hätte man sie jetzt von der entsprechenden Liste entfernen können... Sephiroth erkundigte sich nach der Anzahl der Halsbänder und ließ Cutter anschließend herausfinden, wie viele der Waffenlines sich bewegten. Drei bewaffnete Wächter und drei Zoloms also... Wenn es ihm gelänge, die wachhabenden Männer festzunehmen um ein Verhör zu ermöglichen, könnte das durch die Rebellen verursachte Problem vielleicht bald schon der Vergangenheit angehören. ShinRa war immer noch zu wenig über die Störenfriede bekannt, um wirklich effektiv zuzuschlagen. Sephiroth traf eine Entscheidung. „Cutter, Lotsendienst.“ Während Zack dem verblüfften Teenager sein Headphone anlegte, fuhr Sephiroth fort: „Du bringst mich unbemerkt an den Zoloms vorbei und bis zur ersten Wache! Missionsbeginn – jetzt!“ Für gewöhnlich hätte er eine solche Aufgabe keinem Kadetten anvertraut. Aber die Gelegenheit, endlich einen harten Schlag gegen die Rebellen führen zu können... Er durfte sie nicht vorüberziehen lassen! Cutter zu überfordern war ein Risiko, das er in Kauf nehmen musste. Völlig lautlos verschwand er im Nebel. Es lag ihm fern, anderen blind zu vertrauen, aber in diesem speziellen Fall (manchmal war ShinRa Technologie fast zu gut entwickelt) blieb ihm nichts anderes übrig, und so folgte er der leisen, richtungsangebenden Stimme in seinem Ohr bis der Nebel begann, dünner zu werden. Der General huschte an einer der gestohlenen Nebelmaschinen vorbei und ging hinter einem der von Cutter bereits erwähnten Zelte in Deckung. Es dauerte nur Sekunden, ehe die erste sichtlich gelangweilte Wache unmittelbar vor ihm entlang schlurfte. Sephiroth beförderte sie mit einer einzigen Bewegung in eine Bewusstlosigkeit, die mindestens 15 Minuten anhalten würde, und huschte, die Zelte geschickt als Deckung nutzend, in die Richtung, aus der ihm sein feines Gehör weitere Geräusche meldete. Außerhalb des dichten Nebels kauerten Zack und Cutter immer noch hinter dem Felsbrocken. Der Teenager hielt auf die Anweisung des 1st´s hin Funkstille, aber die Anspannung war ihr trotzdem deutlich anzumerken. Die Zoloms waren, wie die Lines der Halsbänder verrieten, in Bewegung, näherten sich allerdings nicht dem Zentrum. Was gut war, aber andererseits... Wenn man wenigstens ein bisschen hätte sehen können! Aber der verdammte Nebel hing vorhanggleich über dem Geschehen und gab nicht einen Hauch an Informationen preis. Und dann, urplötzlich, ergriffen die Zoloms panikartig die Flucht. Keine Sekunde später wurde der Nebel von einem gewaltigen Windstoß beiseite gefegt. Wo vorher lediglich Ahnung geherrscht hatte, existierte auf einmal eine große Bodensenke mit Zelten im Tarnmuster, überspannt mit einem großen Netz ähnlicher Beschaffenheit. Sogar die Nebelmaschinen, aus denen es jetzt nur noch unglücklich sickerte, waren zu sehen. Und Sephiroth. Er stand bewegungslos da und sah sich aufmerksam um, aber die Zoloms waren – vielleicht auch nur vorübergehend – verschwunden. Wenn sie schlau waren, würden sie es dauerhaft bleiben. Zack erhob sich aus der Deckung, nahm das ausgeliehene Headphone wieder an sich und setzte den Rest der Truppe in Bewegung. Es dauerte nur wenige Minuten, bis die Jeeps herangeprescht kamen und anhielten. Jetzt gab es jede Menge Arbeit... „Die Gefangenen werden unter strengster Bewachung abtransportiert!“ Sephiroths Stimme klang eisern. „Waffen und sämtliches andere Inventar aufladen! Achtet auf mögliche Fallen!“ Seinen Befehlen wurde augenblicklich Folge geleistet. „Und was dich angeht“, wandte er sich an einen gewissen Teenager in unmittelbarer Nähe, „klassischer Fall von Befehlsverweigerung.“ Cutters lächeln flackerte. Richtig... Da war ja noch etwas gewesen... etwas unangenehmes... Die Hoffnung, ungeschoren davonzukommen, verblasste mit rasender Geschwindigkeit hinsichtlich Sephiroths eisigen Blickes. „Was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen?“ „Es... es tut mir leid, Sir?“ Sephiroth wandte leicht den Kopf. „Was sagen Sie dazu, Geryll?“ „Sir“, Azrael war vor wenigen Sekunden mit respektvollem Abstand neben ihn getreten, „abgesehen davon, dass auch ich mich für dieses Fehlverhalten im Namen meiner Schülerin entschuldigen möchte, beantrage ich ihre augenblickliche Exekution!“ Ihm war mehr als deutlich anzumerken, wie wenig begeistert er von der einzelgängerischen Aktion Cutters war. Und obwohl er genau wusste, wie gefährlich es sein konnte, Sephiroth mit einer solchen Äußerung herauszufordern, er ging davon aus, dass der General sie – diesmal - kaum ernst nehmen würde. Und richtig: die Reaktion bestand lediglich aus einem zutiefst spöttischen Blick. „Das wäre mit Sicherheit unterhaltsam, Geryll...“ Seine Aufmerksamkeit fokussierte sich wieder auf den Teenager vor sich. „Aber wenn ich alle übereifrigen Kadetten erschießen lassen würde, hätten wir bald keine mehr. Also lehne ich ab und verurteile die Angeklagte stattdessen zu der von allen Kadetten gefürchtetsten Arbeit. Küchendienst. 3 Wochen!“ „3 Wochen Küchendienst?!“ jappste Cutter entsetzt. „Dann muss ich ja um vier Uhr früh...“ Sephiroth erhöhte augenblicklich auf 4 Wochen. Der Teenager holte tief Luft, begriff im letzten Augenblick, dass die einzig richtige Reaktion aus völliger Kapitulation bestand, und akzeptierte ihre Strafe. „Und nur, damit wir uns richtig verstehen“, fügte Sephiroth hinzu, „bei einem versagen hätte ich dich bis zu den Prüfungen Küchendienst schieben lassen.“ Cutter nickte mit einer Mischung aus Dankbarkeit und Entsetzen. Bis zu den Prüfungen...!! Dann aber stahl sich das kurzfristig verschwundene grinsen zurück auf ihr Gesicht. „General Crescent, Sir? Das hat Spaß gemacht!“ Sephiroth wollte schon antworten, aber Zack gesellte sich mit der Meldung, die Truppe sei abfahrbereit, zu ihnen. Zu viert beobachteten sie, wie die Rebellen abgeführt wurden. Emotionslose Gesichter mit Augen, denen ein seltsamer Ausdruck innewohnte prägten das Bild. Cutter zupfte an Zacks Ärmel. „Was passiert denn jetzt mit ihnen?“ Unerfreuliche Dinge, dachte Zack. Er kannte die Vorgehensweise in solchen Fällen und war froh, nicht aktiv daran beteiligt zu sein. „Sie werden verhört, Cutter-chan.“ Das bisher noch fast übermütige grinsen des Teenagers stürzte kurz in sich zusammen, baute sich aber noch einmal auf. „Mh... sie... man wird ihnen doch nicht weh tun, oder?“ Sorge stahl sich in ihre Betonung. Zack suchte nach etwas weicheren Worten, aber Azrael war schneller. „Verlass dich drauf – man wird!“ Sein Ärger über Cutters Verhalten war noch lange nicht abgekühlt. Sollte sie die durch sie hervorgerufenen Konsequenzen ruhig erfahren. „Bis sie reden.“ Er hegte keine Sympathie für diese ihm völlig fremden Männer, aber das Wissen um ShinRa Verhörmethoden ließ zutiefst empfundenes Mitleid in ihm aufsteigen. Die Rebellen würden sterben. So oder so. Cutters Lächeln verblasste. Schrecken trat an dessen Stelle. „Aber“, murmelte sie fassungslos, „sie haben doch gar nichts getan...“ „Hier geht es nicht mehr um Taten, sondern um Wissen, Cutter-chan.“ Zacks Stimme klang sehr sanft, und sie blieb sanft, auch, als sich die noch so kindlich-unschuldigen Augen auf ihn legten. „Wissen, das wir brauchen, um Midgar wieder sicher zu machen.“ Azrael unterdrückte in letzter Sekunde einen amüsierten Laut. Midgar wieder sicher machen! ShinRa war der Grund für den unakzeptablen Zustand der Stadt! Wenn es nach ihm gegangen wäre... Aber es ging nicht nach ihm. ShinRa herrschte. Und solange dies der Fall war, würde sich auch in Midgar nichts das geringste ändern. Er warf Cutter einen Blick zu, deren Gesichtsausdruck von mühsamen Begreifen beherrscht wurde. „Das... das wollte ich nicht.“ Ihre Stimme war nur ein flüstern. Langsam schüttelte sie den Kopf. „Das ganz bestimmt nicht...“ Zack glaubte ihr aufs Wort. Aber es war zu spät. Die Dinge würden jetzt ihren vorbestimmten Gang gehen, und nichts würde sie aufhalten. Tröstend legte er seine Hand auf die Schulter des Teenagers. „Geh zurück zum Wagen, Cuttie.“ Sie gehorchte widerspruchslos. Allein das genügte um zu zeigen, wie durcheinander und geschockt sie war. Die drei Männer sahen ihr nach. „Das verkraftet sie nicht“, murmelte Azrael, der genau wusste, dass Cutter in ihrem aktuellen Entwicklungsstadium niemals jemandem absichtlich schaden wollte, besorgt. Dieser Kommentar bewog Sephiroth, sie augenblicklich zurückzurufen. „Cutter, kannst du mir den tieferen Sinn von Befehlen erklären? Das dachte ich mir. Im Grunde bedeutet ein Befehl nur, dass sich jemand mit mehr Ahnung als du sie hast Gedanken gemacht hat, um eine Situation zu verändern und die Konsequenzen dieser Befehle tragen wird. Du hast meinen Befehl, mit den anderen bei den Wagen zu bleiben, missachtet, und bist nun mit den Konsequenzen überfordert. Ich denke, du verstehst, worauf ich hinauswill. Im übrigen – solltest du die Prüfung bestehen und deine Fähigkeiten weiterhin ShinRa zur Verfügung stellen, wird dein Alltag aus Missionen wie dieser bestehen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“ Der Teenager schluckte. Alles war genau so, wie Sephiroth es beschrieben hatte, und im Grunde war ihr zum heulen zumute. Da das aber nichts bringen würde, zwang sie sich zu einem halbwegs festen „Ja, Sir!“. „Im übrigen“, fuhr Sephiroth fort, „sind Schuldgefühl völlig überflüssig. Wir hätten diese Rebellen so oder so gestellt. Deine Hilfe hat die Aktion nur beschleunigt.“ Cutter nickte langsam. Sicher hatte Sephiroth recht. Aber es war dennoch etwas völlig anderes, selbst aktiv an einer solchen Festnahme beteiligt zu sein. Die Erlaubnis des Generals, wegzutreten, befolgte der Teenager augenblicklich. Dennoch war ihr anzusehen, dass sie lange über diesen Vorfall nachdenken würde. Als sie außer Hörweite war, wandte sich der General an Azrael. „Kann ich davon ausgehen, dass Ihren restlichen Schülerinnen das Ziel dieser Ausbildung klar ist?“ „Sir...“, Azraels Stimme hatte etwas resigniertes an sich, „sie ist die einzige, der es bisher nicht klar war. Für sie ist... die Welt der Lines immer noch ein buntes, fröhliches Spielzeug. Sie hat noch nicht gelernt, ihre Fähigkeiten als Waffe zu betrachten. Aber eine derart heftige Erkenntnis... Das ist meine Schuld.“ Er seufzte hart. „Ich hätte sie besser im Auge behalten sollen.“ „Cutter-chan ist Junior-Weltmeisterin im Verschwinden“, lenkte Zack ein. „Machen Sie sich keine Vorwürfe. Außerdem... irgendwann musste sie es doch verstehen.“ Azrael nickte mehrfach leicht. Ja. Irgendwann... Er bedauerte nur, dass sie es nicht auf eine sanftere Art und Weise hatte begreifen können. Dann wurde ihm klar, dass es so etwas nicht gab. Die schmerzhaften und bittersten Lektionen hielt das Leben immer dann für einen bereit, wenn man nicht damit rechnete. Es wurde Abend, ehe sie das HQ wieder erreichten. Sephiroth gab der immer noch sehr stillen, sich aber nicht besorgniserregend verhaltenden Cutter ihre Feuermateria zurück und überwachte dann die vorschriftsmäßige Unterbringung der Rebellen selbst, ehe er sein Büro aufsuchte um den entsprechenden Bericht zu verfassen. Er setzte eben den Schlusspunkt unter den letzten Satz, als das Telefon klingelte. Sephiroth hob ab und machte sich nicht einmal die Mühe, seinen Namen zu nennen. „Das war sehr, sehr unklug von dir! Ich erwarte dich in 5 Minuten im Labor!“ Es klickt leise. Sephiroth legte ebenfalls auf, lauschte in sich hinein und nickte grimmig. Das Gefühl von Schwäche war im Laufe des Tages verklungen. Was auch immer Hojo für ihn bereithalten mochte, er würde dem mit der gewohnten Emotionslosigkeit und Stärke begegnen können. Präsident ShinRa ließ die Dokumente, in denen er die letzten Minuten intensiv gelesen hatte, sinken und platzierte sie anschließend perfekt übereinander liegend auf dem Schreibtisch., und sah auf. Ihm gegenüber saß der gefürchtete Kopf des Laborteams und schlürfe sichtlich zufrieden eine Tasse Tee. Tee, dachte Rufus. Das mit Abstand scheußlichste Gebräu ganz Gaias. Speziell dieser. Ich werde lüften müssen. Dass jemand wie Professor Hojo ein so harmloses Getränk Kaffee oder anderen nicht alkoholischen Getränken vorzog, schien nicht zu passen – bis einem klar wurde, dass es einen noch stärkeren Akzent zu seinem Charakter setzte. Rufus hätte es niemals, nicht unter der schlimmsten Folter, zugegeben, aber er war froh, diesen Mann für sich arbeiten lassen zu können, und würde alles daran setzen, diesen Zustand beizubehalten. Momentan jedoch sah es nicht so aus, als plane Hojo Veränderungen im Arbeitsverhältnis. Hier war er im Forscherparadies angekommen. Es gab keine Grenzen, keine Regeln, keine Verbote. Nichts, über das man sich erst mühevoll und zeitraubend hinwegsetzen musste. Er lieferte die gewünschten Informationen, und niemand (nicht einmal Präsident ShinRa) stellte hinsichtlich der Vorgehensweise nervige Fragen. Wichtig waren nur die Ergebnisse. Und die lieferte Hojo dank dieser vorteilhaften Umstände in Rekordzeit. Das Leben als Wissenschaftler konnte so schön sein. Seht ihn euch an, dachte Präsident Shinra. Er ist entspannt und völlig zufrieden. Bleibt nur die Frage zu klären, was in seinem Fall bedrohlicher ist: Entspannung oder Wut... „Ausgezeichnete Arbeit, Professor Hojo. Wie üblich.“ „Wir befinden uns in einem goldenen Zeitalter für Forschung, Mr. Präsident. Ich bin da nur ein kleines, unbedeutendes Werkzeug.“ Du, dachte Rufus, bist ein skrupelloser Dämon. Genau wie ich. Und deshalb verstehen wir uns so gut. „Sie sind zu bescheiden, Professor.“ Er tippte auf die vor ihm liegenden Unterlagen. „Diese Daten werden unsere Stellung noch mehr festigen. Und das haben wir Ihnen zu verdanken.“ Hojo schob seine rutschende Brille zurück an ihren ursprünglichen Platz. „Ich bin zufrieden, wenn Sie es sind, Mr. Präsident.“ „Und das bin ich, in der Tat. Gibt es Erwähnenswertes über Jenova Projekt 1? Ich hörte, er habe seine Untersuchung vor 2 Tagen ausfallen lassen.“ „Das hat er, ja. Ich habe sie unverzüglich nachgeholt.“ Er lächelte zufrieden bei der Erinnerung. Ihm waren schon unzählige Körper für „Untersuchungszwecke“ ausgehändigt worden, aber unabhängig von allem bereits geflossenen Blut... Sephiroths hatte einfach die perfekte Farbe. Es funkelte auf dem Skalpell und der hellen Haut wie vollkommene Smaragde, Rubine, Schätze mit unermesslichem Wert... Niemals, niemals würde er genug davon bekommen, es fließen zu lassen! „Bringen Sie ihn noch nicht um, Professor. Wir brauchen ihn noch.“ „Hin und wieder muss ein Hund daran erinnert werden, wer sein Herr ist, Mr. Präsident.“ Er schlürfte noch einen Schluck harmlosen Tees. „Dieser hier wird ab jetzt wieder folgsam sein.“ „Gut.“ Sephiroth unter Kontrolle zu halten war eine der wichtigsten Aufgaben, die es täglich zu bewältigen galt. Mit welchen Mitteln diese Kontrolle erreicht wurde, war nebensächlich. „Professor, ich werde die von ihm inhaftierten Rebellen zu Verhörungszwecken in Ihre Obhut geben. Wann können Sie beginnen?“ „Jederzeit“, lächelte Hojo. „Wunderbar.“ Besessene, dachte Rufus, sind wir, voneinander abhängig, uns dessen völlig bewusst, und... glücklich. Dann erwiderte er das lächeln. „Noch einen Tee, Professor?“ Sephiroth hob langsam die Hand in Augenhöhe, ballte sie zur Faust und öffnete sie nach einigen Sekunden wieder, dann ließ er die Hand zurück auf die weiche Decke sinken, seufzte tief auf, schloss die Augen und empfand einmal mehr Dankbarkeit für die in seinem Appartement herrschende Ruhe. Hojos Rache für den versäumten Termin war erwartungsgemäß grausam ausgefallen. Seit zwei Tagen hatte Sephiroth, gefangen in einem durch die schweren Verletzungen bedingten Dämmerzustand, das Bett nicht verlassen können, und seine Wunden waren nicht mit der üblichen Schnelligkeit verheilt. Jetzt allerdings erinnerte nur noch der Berg blutiger Verbände neben dem Bett daran. Sein Körper war wie gewohnt makellos. Was auch immer Hojo ihm antat – Narben blieben niemals zurück. Als dürfe die Perfektion nicht zerstört werden. Die Qualen blieben dieselben. Sie behielten ihre Intensität grundsätzlich auch nach Verlassen des Labors bei, über Stunden oder sogar noch länger. Sephiroth hatte versucht, dagegen anzukommen, aber alle jemals eingesetzten Schmerzmittel (inklusive Materia) besaßen dieselbe Gemeinsamkeit: sie waren, egal in welcher Dosierung, nahezu völlig wirkungslos. Eine geheimnisvolle Substanz seines Körpers schien ihre Wirkung erfolgreich zu blockieren, und ließ ihn mit all dem Horror allein. Sephiroth kannte es nur so, wusste, dass es niemals anders sein würde, stellte er sich jedem einzelnen Kampf mit aller verbliebenen Kraft – und siegte. So auch dieses Mal. Dennoch fühlte er sich noch zu schwach zum aufstehen. Vielleicht würde es ihm gegen Abend gelingen. Bis dahin galt es, mehr oder weniger Zeit totzuschlagen. Nach einem kurzen Moment des Nachdenkens fiel ihm Cutters schwarze Line ein, und er beschloss, dass jetzt der optimale Zeitpunkt für Recherche gekommen war. Er zog seinen Privatlaptop unter dem Bett hervor, pustete die Staubschicht von dem Gerät und aktivierte es, gespannt, was er wohl finden würde, wobei seine Erwartungen nicht besonders hoch waren. Aber wenn es etwas gab, das wusste er, würde er es finden. Immerhin war er General Crescent, und diese Position ermöglichte es ihm, Informationsquellen aufzutun, von der andere nur träumten. Auf alles mögliche gefasst machte er sich an die Arbeit. Kapitel 15: Kapitel 15: Recherchen ---------------------------------- Es war schon spät abends, als er sich endlich stark genug fühlte um das Bett, auf dem sich mittlerweile außer dem Laptop auch noch etliche Bücher über die Lines (die alle eine interessante und optisch sehr auffällige Gemeinsamkeit besaßen) versammelt hatten, dauerhaft zu verlassen. Zwar mochte es nicht möglich sein, die Erinnerungen an Hojos letzte „Untersuchung“ auszulöschen – bei auf heller Haut getrocknetem Blut sah die Sache jedoch anders aus. Sephiroth stand lange unter der Dusche, die Augen geschlossen, alle Muskeln entspannt, gedankenlos. Heißes Wasser war etwas wundervolles und gehörte zu den wenigen Berührungen, die er als angenehm empfand, etwas, dem er sich völlig hingeben konnte, und dieses sehr, sehr lange, wenn die Umstände es erforderten. Irgendwann verließ er mit einem vor Hitze dampfenden Körper die Duschkabine wieder, griff nach dem bereitliegenden Handtuch und trat zum Spiegel hinüber. Die Handbewegung über das beschlagene Glas enthüllte seine eigenen, von Mako getränkten Augen, grün, klar, scharf, mit langen, silbernen Wimpern unter Augenbrauen von derselben Farbe. Sephiroth blinzelte langsam. Überlebt. Einmal mehr. Noch immer war es ihm nicht gelungen, herauszufinden, weshalb Hojo ihm all diese Grausamkeiten antat. Töten... Entweder er wollte, oder aber konnte es nicht. Nicht mehr? Nein. Jemand wie Hojo war - hatte er das Zielobjekt erst einmal in seiner Gewalt - in der Lage, alles zu töten. Also suchte er wohl etwas. Antworten, die nur Sephiroths Körper ihm geben konnte. Eine zweifelhafte Ehre... Beinahe zuviel für eine Person. Aber eben nur beinahe. Das Handtuch lose um die Schultern gelegt und nur schwarze Shorts tragend verließ Sephiroth das Badezimmer wieder. Andere, dachte er mit einem Anflug von bitterer Heiterkeit, hätten diese `Untersuchung´ nicht überlebt. Ich dagegen bin auf dem Weg zum Kühlschrank... Eigentlich war er nicht hungrig oder durstig. Sein Körper konnte, wie Hojos (in regelmäßigen Abständen wiederholte) Belastbarkeitstests immer wieder einwandfrei ergaben, länger ohne Nahrung und Flüssigkeit auskommen als der anderer Menschen. Nahezu erschreckend länger, und ohne die Beeinflussung sämtlicher Restfähigkeiten. Sephiroth wusste nicht, ob ihn das beruhigen oder Angst machen sollte, aber... „Es ist alles zu deinem Besten!“ Er schloss für einen Moment die Augen, drängte die so... zu vertraute Stimme zurück. Jeder einzelner verdammte Besuch im Labor war immer `zu seinem Besten´. Eine der häufigsten Aussagen, die er in seinem bisherigen Leben gehört hatte. Zwei unumstößliche Fakten beschworen extreme Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Äußerung herauf. Zum einen erfuhr er die Ergebnisse der Behandlungen niemals. Und zum anderen ging es ihm ausschließlich nach seinen Aufenthalten im Labor schlecht. Das Bewusstsein, Hojo mit einer einzigen gezielten Handbewegung töten zu können, ließ die ganze Angelegenheit zum kompliziertesten Vorgang in Sephiroths Universum werden. Er konnte es nicht. Aus Gründen, die letztendlich nur ihn und Hojo etwas angingen war es ihm unmöglich, einen Mann zu töten, der ihn unter normalen Bedingungen nicht einen Sekundenbruchteil lang aufgehalten hätte. Aber... das hier lag jenseits aller Normalität. Es war... Sephiroth schüttelte unwillig den Kopf als wolle er die Gedanken, lästigen Fliegen gleich, verscheuchen, und betrat die Küche. Schon bald verließ er sie wieder kauend, ließ sich in dem luxeriös ausgestatteten Fernsehzimmer auf der bequemen schwarzen Ledercouch nieder, schaltete den TV ein und zappte erwartungslos durch die Kanäle. Der riesige Flachbildschirm mochte hübsch sein, aber was die Bilder anging... Lügen und Niveaulosigkeit. Immer dasselbe. ShinRa herrschte auch über die Medien. Was dem Konzern nicht passte, wurde verschwiegen oder durch geschickte Manipulation in eine andere Richtung geschoben. Für alle Eingeweihten Comedy vom Feinsten. Seltsamerweise konnte Sephiroth nicht darüber lachen. Manchmal fragte er sich, wie die Menschen auf die schonungslose Wahrheit reagieren würden, aber er kam zu keinem akzeptablen Ergebnis. Nur das blutgetränkte Ende war von Anfang an völlig klar. Vermutlich war es einfach besser, die Bevölkerung weiter anzulügen. Auch um ihretwillen. Vielleicht würden eines Tages wirklich bessere Zeiten kommen. Und das, dachte Sephiroth, ist wohl die größte und älteste Lüge von allen! Er schaltete den Fernseher wieder aus und ging zurück ins Schlafzimmer, sammelte die blutigen Verbände neben dem Bett ein, entledigte selbiges auch sämtlicher Bezüge, füllte alles in die Waschmaschine im Bad und startete sie. Anfänglich war es ihm absurd und fremdartig vorgekommen, ein solches Gerät zu bedienen, aber er hatte die Vorzüge der in Eigenregie durchgeführten Spurenbeseitigung schnell erkannt. Schon bald würde alles wieder sauber und weiß sein. Wie unberührt... Zu schade, dass man mit der gesamten Welt nicht ebenso verfahren konnte. Als sich ein leiser Rotstich in das schäumende Wasser schlich, wandte Sephiroth sich um und beschloss, ein wenig Abwechslung in den Fluren des HQs zu suchen, etwas Interessantes, eine Beschäftigung, etwas Ablenkung... falls es so etwas gab, wenn man andere Menschen bewusst mied. Normale Kleidung genügte völlig, außerdem war sie wesentlich bequemer. Und weicher. Er verzichtete sogar auf das Katana, verließ das Appartement und begann, ziellos durch die Gänge des riesigen Gebäudes zu wandern. Auf der Delta-Ebene schließlich erregte ein huschender Schatten, dem ein wenig zuviel des Wunsches, nicht gesehen werden zu wollen, innewohnte, seine Aufmerksamkeit, und Sephiroth folgte ihm ungesehen und lautlos durch Flure, über Treppen, bis aufs Dach. Und hier... „Solltest du wieder planen, dich vom Dach zu stürzen“, informierte er bar jeglichen Gefühls in der Stimme, „... ich werde dich diesmal nicht auffangen!“ Der Schatten wenige Meter vor ihm wirbelte erschrocken herum, überlebte die zweite Schrecksekunde und nahm augenblicklich Haltung an. Dem General fielen auf Anhieb mindestens ein halbes Dutzend die Situation betreffende Regelverstöße ein, aber er beschränkte sich auf den Kernpunkt des sich ihm bietenden Anblicks. „BW Kadettin Cutter Tzimmek, was tust du mitten in der Nacht auf diesem Dach?!“ Er war auf eine grandiose Absurdität gefasst, aber die nach einem kurzen zögern gelieferte Antwort war... ernsthaft. „Recherche, Sir!“ Recherche. „Bezugnehmend auf?“ Die Antwort kam etwas leiser. „Meine schwarze Line, Sir.“ Diese Auskunft verwunderte Sephiroth nicht. Zu detailliert, zu intensiv hatte Cutter von den seltenen Begegnungen berichtet. Es beschäftigte sie verständlicherweise, und Neuigkeiten zu analysieren war nie verkehrt. Über die Vorgehensweise allerdings ließ sich streiten. „An der frischen Luft“, fuhr der Teenager leise und ein wenig verlegen fort, „kann ich mich besser konzentrieren. Und außerdem... konnte ich einfach nicht schlafen, Sir.“ „Steh bequem.“ Seine Stimme klang etwas weniger eisig. „Den ersten Grund lasse ich gelten. Den Rest nicht.“ Er trat an ihr vorbei, zum äußersten Rand des Daches, und lehnte sich auf das Geländer. Unter ihm kämpfte diese seltsame Stadt Midgar mit Tausenden von Lichtpunkten gegen die Dunkelheit an, und Sephiroth musste unwillkürlich an Zack denken. Der 1st befand sich schon seit Tagen auf einer schwierigen Mission, und so nervtötend er auch sein konnte – in Situationen wie dieser... erwachte tief im als eisig geltenden Herzen des Generals ein winziger, aber höchst penetranter Schmerz, der sich erst mit Zacks Rückkehr wieder legte. Niemand außer dem 1st führte (halbwegs) normale Gespräche mit ihm. Ob Cutter vielleicht Lust hatte, sich zu unterhalten? Sonst war es immer umgedreht. Die Leute kamen mit ihren meist offiziell und wenig erfreulichen Anliegen zu ihm. Unterhaltungen wie dieses hier führte Sephiroth zu selten, um etwas wie Routine entwickelt zu haben. Und er hatte den Teenager ohne weitere Anweisungen hinter sich stehen lassen... Also wie... Langsam entspannte sich Cutter wieder. Dabei war nicht einmal echter Schrecken der Grund für diesen unkomfortablen Zustand gewesen. Vielmehr... Nun ja... Sie hatte wirklich versucht, einzuschlafen. Aber ihre Gedanken ließen sich einfach nicht zur Ruhe bringen. Unentwegt kreisten sie um die den Teenager momentan am häufigsten beschäftigenden Themengebiete: die sich unaufhaltsam nähernden Prüfungen; die schwarze Line... und Sephiroth. Vor allem Sephiroth! Es ließ sich einfach nicht abstellen. Außerdem war der Übergang von einem Schwerpunkt auf den nächsten zu fließend... Es gab Dinge, deren wahre Bedeutung man erkannte, ohne ihnen jemals vorher begegnet zu sein. Cutter wusste, dass sie dabei war, sich zu verlieben. Und sie hatte keine Ahnung, wie und ob sie es aufhalten konnte. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie es aufhalten wollte. Es war... so absurd. Und ließ sich nicht ignorieren. Blöder Teenager, hatte sie sich selbst geschimpft. Denk nicht mehr dran! Konzentrier dich auf die Prüfungen! Wenn du die verhaust, ist sowieso alles aus und vorbei! Aber es war ihr nicht gelungen. Unter anderem deshalb war sie heute nacht auf das Dach gestiegen, in der Hoffnung, die frische Luft würde ein wenig Ruhe in das Gedankenchaos bringen. Stattdessen war der Hauptverursacher dieses Tumults ebenfalls hier aufgetaucht, unvermittelt und so real, dass es beinahe schmerzte. Momentan stand er, an das Geländer gelehnt da, bewegungslos, als warte er auf etwas. Er hat mich nicht weggeschickt, dachte Cutter. Aber auch sonst nichts gesagt... Was erwartet er also von mir? Erwartet er überhaupt etwas? Es... ist nicht so, als wären wir Freunde. Er ist... und ich bin... Außerdem habe ich mich schon wieder bei einem Regelverstoß erwischen lassen... Aber ernsthaft zurechtgewiesen oder bestraft hat Sephiroth mich eigentlich nicht... Kommt vielleicht noch? Verwirrt schüttelte sie den Kopf. [i)Blöder Teenager! Entschuldige dich, geh zurück in dein Quartier und zähl Chocobos, bis du einschläfst! Auf drei. Eins... zwei... drei! Aber stattdessen setzten sich ihre Füße wie von selbst in Bewegung, auf das Geländer zu. Und dann... stand sie neben ihm. Nicht zu nah. Nicht zu weit entfernt. Ich kann nichts dagegen tun, dachte Cutter mit einer seltsamen Mischung aus Glück und Trauer im Herzen. Ich bin... einfach so gern in deiner Nähe... Tut mir leid, Sir. Fast war Sephiroth ein wenig erleichtert darüber, wie unkompliziert sich die Situation von selbst gelöst hatte. Gleichzeitig erinnerte es ihn aber auch daran, dass die Reaktion des Teenagers – abgesehen von der Fluchtvariante – vermutlich völlig normal gewesen war. Einen Moment lang standen sie schweigend nebeneinander. Dann wandte Sephiroth leicht den Kopf. „Was haben deine Recherchen ergeben?“ Seine Stimme hatte Ähnlichkeit mit dem jetzt aufkommenden, leichten Nachtwind. Cutter, mittlerweile völlig entspannt neben ihm stehend, fasste ihre bisherigen, sehr mysteriösen Erkenntnisse kurz zusammen. Die schwarze Line ließ sich nicht gezielt finden. Statt dessen tauchte sie stets unvermittelt auf, als sei sie sich selbst ihres Erscheinens betreffend, unsicher. Und die Lines unter ihr waren zahlreich, aber zu unscharf, um etwas über Puls oder Farben aussagen zu können. Je länger Cutter sprach, desto mehr festigte sich für den General eine bestimmte, im Laufe der eigenen Recherchen in näheren Betracht gezogene Annahme... „Vielleicht ist es feige, aber... ich möchte mich von der schwarze Line und denen darunter fern halten, solange ich nicht mehr über sie weiß, Sir. Irgendetwas... stimmt da nicht. Und ich bin nicht sicher, dem gewachsen zu sein.“ Dunkelheit verschluckte das nur Sekundenbruchteile anhaltende Lächeln Sephiroths. Noch vor ein paar Wochen, dachte er, wäre sie einfach losgestürmt ohne sich Gedanken über die Konsequenzen zu machen. Anscheinend hatte sich im Kopf des Teenagers ein Schalter endgültig auf die „On“ Position gestellt, und der dazugehörige Dienst funktionierte zuverlässig. „Das ist nicht feige. Ich habe übrigens auch recherchiert.“ In seiner Position standen ihm wesentlich intensivere Suchoptionen offen, und er hatte sie in den vergangenen Stunden alle genutzt. Cutters Kopf ruckte zu ihm herum. „Echt??“ Die Verblüffung in ihrer Stimme verriet, dass sie niemals damit gerechnet hätte, Sephiroth könne sich der Sache annehmen. Aber unter dem Erstaunen lag auch reine Freude. „Echt“, bestätigte der General. „Ist dir aufgefallen, dass alle eure Lehrbücher von derselben Person geschrieben wurden?“ Der Teenager nickte. Lerya Zelgral. Wenn es etwas über die Lines zu wissen gab, dann wusste sie es, und war außerdem so nett, haufenweise Bücher darüber zu schreiben. Azrael sprach mit größter Hochachtung von ihr, außerdem... Sephiroths Stimme erklang erneut. „Es gibt auf diesem Planeten keine Person dieses Namens. Lerya Zelgral ist ein Synonym. Zeugt von Intelligenz. Offiziell existieren die Lines und alle eure Lehrbücher nicht. Für den Hauptteil der Bevölkerung sind Leute wie du, sofern sie sich zu erkennen geben, immer noch...“ Er verstummte, gab Cutter die Gelegenheit, den Satz selbst zu beenden. „Spinner“, murmelte diese mit einem Hauch Depression in der Stimme, und legte ihren Kopf auf die Arme, sah nach unten. Sephiroth nickte. „Aber unterschätzt zu werden kann auch Vorteile haben.“ Er suchte nach einer bequemeren Position und fuhr fort, als er sie gefunden hatte. „Ich frage mich folgendes: wenn diese Lerya Zelgral der Profi ist, für den sie alle halten...“ Er sah den Teenager neben sich an, „ – wie kommt es, dass ihr so etwas außergewöhnliches wie deine schwarze Line entgeht? In keinem ihrer Bücher spricht sie auch nur ansatzweise darüber. Aber du hast diese Line zweifelsfrei gesehen.“ Und er glaubte ihr instinktiv, obwohl es keinen gültigen Beweis für das Gesehene gab. Steile Falten erschienen auf Cutters Stirn. Sephiroth ließ sie in Ruhe nachdenken, und irgendwann erwiderte sie seinen Blick, offen und ohne die geringste Scheu. „Zelgral... will nicht, dass wir... von der schwarzen Line wissen?“ Sephiroth nickte langsam, erfreut, wie schnell der Teenager selbst darauf gekommen war. „Entweder“, fuhr er fort, „sie will sie für sich behalten und alleine forschen. Oder aber... sie möchte ihre Leser beschützen. Mehr plausible Möglichkeiten gibt es nicht.“ Dieser verdammte Teenager hielt seinem Blick jetzt schon länger stand, als es jemals ein Kadett vor ihr geschafft hatte, wie der General feststellte. Und als sie ihn schließlich abwandte, geschah das langsam und in höchster Nachdenklichkeit. „Vielleicht sollte ich doch nochmal mit Azrael...“ „Nein.“ Zack hatte ihm berichtet, wie deprimiert Cutter nach ihrem ersten Gespräch mit Azrael bezüglich der schwarzen Line gewesen war. Die Chancen auf eine Wiederholung standen sehr gut. „Ich werde mit ihm sprechen.“ Der Teenager jubelte. „Das würden Sie tun, Sir? Wirklich? Oh danke, danke, danke!!“ Sie verbringt zuviel Zeit mit Zack, dachte der General. Wenn ich nichts unternehme, fällt sie mir gleich um den Hals. Er würde das tun... „Cutter, ich werde jetzt meine Augen schließen. Wenn ich sie wieder öffne, bist du von diesem Dach verschwunden und auf dem Weg in dein Quartier, verstanden?“ „Ja, Sir! Mh, Sir? Mein Küchendienst hat sich verdoppelt, oder?“ „Natürlich.“ Es hätte nur eine Täuschung auf dem schlecht beleuchteten Dach sein können. Oder aber... es war tatsächlich ein kaum wahrnehmbares lächeln. Cutter jedenfalls lachte zurück, vergnügt, und akzeptierte die Aufstockung ihrer Strafe ohne Diskussion. Sephiroth schloss gut sichtbar die Augen. Er hörte sich eilig entfernende Schritte... dann jedoch kamen sie zurück. „Gute Nacht, Sir!“ „Restzeit: 4 Sekunden!“ Als er die Augen wieder öffnete, war das Dach leer. Sephiroth schüttelte den Kopf. Dieser Teenager! Sie war wirklich nicht wie ihre Klassenkameradinnen. Auch nicht wie die SOLDIER Kadetten. Sie war... Cutter. Durch und durch. Ich schätze, dachte der General, wenn du die Prüfungen bestehst, kommen ein paar interessante Erlebnisse auf mich als deinen direkten Vorgesetzten und ShinRa allgemein zu. Apropos... Seine Stimmung wurde wieder ernster. Das Gespräch mit Geryll würde er bald durchführen. Auf Cutter warteten schon in der normalen Welt genug Gefahren, das musste sich nicht in den Lines fortsetzen. Diese schwarze jedenfalls... etwas bedrohliches ging von ihr aus, das spürte Sephiroth ganz deutlich. Abgesehen davon... Er starrte in die Dunkelheit des Nachthimmels. Die Lines waren laut aller jemals geschriebenen Bücher für Gegenstände zuständig. Diese schwarze, informationslose Line aber... Was, wenn sie... eine Art Grenze darstellte? Und wenn ja – was lag hinter, oder besser, unter ihr? Sephiroth hatte eine Vermutung, zu deren Bestätigung allerdings ein klärendes Gespräch mit Azrael nötig war. Bald. Und die Fragen des Generals musste Geryll beantworten, ob er nun wollte oder nicht. „Bald“ hieß in diesem Fall am Morgen des nächsten Tages, und Azrael fragte sich auf seinem Weg zum Büro des Generals unentwegt, welche dringende Angelegenheit eine Klärung noch vor des Unterrichtes bedurfte. Nicht einmal Cutter hatte wieder etwas angestellt. Oder? Er betrat das Büro und fand sich schon bald in einem der bequemen Ledersessel vor dem großen Schreibtisch, auf dem sich diesmal extrem wenig Papier stapelte, wieder. Sephiroth lehnte sich in seinem eigenen Sessel zurück. „Ich weiß, dass Sie Ihren Unterricht pünktlich beginnen möchten, Geryll, und ich verabscheue Smalltalk. Also kommen wir gleich auf den Punkt. Was ist die...“ Das Telefon klingelte. Allein diese Tatsache hätte Sephiroth ignoriert, aber es war die Nummer im Display, die ihn das Gespräch annehmen ließ. „Danke.“ Er legte wieder auf, und Azrael bemerkte einmal mehr, dass ein „Danke“ von General Sephiroth Crescent mehr klang wie ein „Sei froh, dass ich dich am Leben gelassen habe“. „Unsere Rebellen aus dem Sumpf haben geredet.“ Eine reine Sachinformation, auf deren Grund ein Funken Zufriedenheit glomm. „Wir werden die Informationen überprüfen.“. Grüne Augen hefteten sich auf den immer noch vor dem Schreibtisch sitzenden Geryll. „Welche Ihrer Schülerinnen können Sie mir für eine Spezialmission empfehlen?“ Azraels Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. „Neesha Kvir verfügt über alle erforderlichen Eigenschaften, Sir. Sie werden mit ihr zufrieden sein.“ „Kvir hat noch zwei Wochen Zeit, um zuhause über ihr unangebrachtes Verhalten gegenüber Teammitgliedern und Vorgesetzten nachzugrübeln. Ich plane nicht, ihren Arrest vorzeitig aufzuheben.“ Außerdem, fügte er in Gedanken hinzu, habe ich keine Lust, meine Aufmerksamkeit einem diskussionsfreudigen Pseudo-Einzelkämpfer zu schenken. Er griff nach einem Stift und tippte nachdenklich auf das Blatt vor sich. „Was ist mit... Cutter?“ Azrael holte tief Luft und schüttelte bestimmend den Kopf. „Aus tiefstem Herzen: Nein, Sir. Sie mag besser geworden sein, aber für ein solches Vorhaben empfehle ich Kvir. Uneingeschränkt. Sehen Sie, General, auf Kvir kann man sich auch in Extremsituationen verlassen. Mit Cutter...“ Er verstummte, suchte nach Worten. „... erlebt man Abenteuer.“ „Sie sagen es, Sir.“ Sephiroth schwieg einen Moment und begann einen inneren Kampf, der sich nicht innerhalb der nächsten Sekunden entscheiden würde. „Ich werde eine Kadettin meiner Wahl in Kürze abholen.“ „Natürlich, Sir. Aus welchem Grund wollten Sie eigentlich so dringend mit mir sprechen?“ Der General war bereits aufgestanden und winkte ab. „Das hat Zeit bis wir wieder zurück sind.“ Die schwarze Line war zwar existent, aber nicht so handlungsbedürftig wie die sich durch die erhaltenen Informationen völlig neu gestaltete Situation bezüglich der Rebellen. Länger als 24 Stunden rechnete Sephiroth nicht für die kommende Mission. Selbst eine schwarze Line würde so lange warten können. Er entließ Geryll, der sich sofort auf den Weg zu seiner Klasse machte und gerade noch pünktlich ankam, und seine kleine Klasse über die bevorstehenden Ereignisse informierte. Wie erwartet sorgte die Nachricht für einige Aufregung. Schweigend und gefasst lauschte Azrael den losbrechenden Diskussionen – die Sorge um die Wahl des für den bevorstehenden Einsatz am besten geeignetsten Lippenstiftes allerdings ließ ihn entsetzt die Hände vorm Gesicht zusammenschlagen. „Hab ich euch eigentlich gar nichts beigebracht?“ entrüstete er sich. „Wir sind hier auf einer Militärakademie, nicht auf dem Laufsteg! Könnt ihr nicht einmal denken wie Männer, an Gefahr und Schutzvorrichtungen und Strategien und...“ „Wenn ich gut aussehen, werde ich bestimmt verschont“, erklang es im einheitlichen Chor. Azrael öffnete in akuter Empörung den Mund, aber ihr fehlten schlicht und ergreifend die Worte. Wen auch immer der General für die Mission auswählte... es würde gefährlich werden. Verletzungen waren nicht ausgeschlossen. Vielleicht sogar schlimmeres. Und diese... blöden Gören stritten sich um Eyeshadow! Missionsbetreffende Diskussionen wären jetzt viel angebrachter gewesen. Aber das hier... Es war zum weinen! Sein Blick fiel auf Cutter, die sich als einzige nicht an der hektischen Diskussion beteiligte. Sie fühlt sich zu Recht nicht von meiner Mitteilung angesprochen, dachte Azrael. Für einen Moment empfand er echtes Bedauern, dem General von Cutter abgeraten zu haben. Dann sagte er sich, dass Hinweise wie diese nicht auf Sympathie, sondern Eignung basieren mussten. Trotzdem begrüßte er die Entscheidung des Generals, selbst einen BW zu wählen. Das für die Mission erforderliche Equipment war binnen kürzester Zeit aufgetrieben, und Sephiroth war auf dem Weg, die letzten beiden Komponenten einzusammeln. Sein klopfen an Zacks Appartementtür signalisierte „Ich weiß, dass du da bist!“ – und wurde erwartungsgemäß ignoriert. Der General betrat das Appartement mittels des dafür zuständigen Codes und steuerte zielstrebig das Schlafzimmer an. Zack lag friedlich schlafend im Bett, alle viere weit von sich gestreckt. Sephiroth wusste, dass der 1st erst vor wenigen Stunden hierher zurückgekommen war, konnte aber unmöglich auf ihn verzichten. „Zack, wach auf!“ „Hrmmm....“, brummelte es verschlafen, „... mit Sahne... “ Der Träumer leckte sich selig lächelnd die Lippen. „Zackary!“ „Hmrrrrrmm.“ Dieses Mal klang es eindeutig wacher, wenn auch sehr unwillig. Ein blinzeln. „Sefff?“ „Missionsbeginn in 19 Minuten und 45 Sekunden“, teilte Sephiroth knapp mit. „Hoch mit dir!“ „Will nicht“, murrte Zack und vergrub sich in Decke und Kissen. „Such dir einen anderen Freiwilligen, Sir.“ „Zackary Fair...“ Es war seine Schlachtfeld-Kommandostimme. „Steh auf!“ Aber der Angesprochene zog es vor, ganz unter der Decke zu verschwinden. Sephiroth handelte mit der Entschlossenheit eines Mannes, der fest davon überzeugt war, mit dreimaligem Bitten freundlich genug gewesen zu sein. Zack gab nicht den geringsten Laut von Überraschung oder Schmerz von sich, als ein kräftiger, mit einem schwarzen und sehr eleganten Lederstiefel ausgeführter Tritt ihn polternd auf den Boden beförderte. Stattdessen zog er es vor, unter das Bett zu kriechen. Mitsamt Decke. Der General zählte in Gedanken bis drei. Dann warf er das Bett um. „Hey!“ protestierte der sich seiner als sicher geglaubten Deckung beraubte Zack und krallte die Hände in die Bettdecke. „Das ist meine! Organisier dir gefälligst selbst eine! Und wenn du kuscheln willst...“ Sephiroth entschied das Duell mit einem letzten, energischen Ruck für sich. „Hoch mit dir, SOLDIER!“ Unwillig und verschlafen kam Zack auf die Beine und wankte in Richtung Badezimmer. „Dämon!“ knurrte er. „Vorgesetzter!“ berichtigte Sephiroth. Die Tür schloss sich. „Das ist Hausfriedensbruch“, hörte er Zack von innen maulen. „Das“, antwortete der General, „ist ein Abmarschbefehl.“ „Hmpf. Wohin geht’s?“ „In den Dschungel. Wir werden an einer netten kleinen Rebellenparty teilnehmen.“ „Im Dschungel?“ Die Tür öffnete sich und ein höchst skeptischer Blick traf den General. „Das ist doch garantiert eine Falle.“ „Natürlich ist es das.“ „Und wir gehen trotzdem? Springen wir wenigstens aus einer Torte?“ Ein gefährlicher Glanz beherrschte Sephiroths Augen als er antwortete. „In etwa... genau das.“ Nur Minuten später war er auf dem Weg zu den BW und Azrael, immer noch unentschlossen grübelnd. Die Vernunft riet lautstark zu irgendeiner Kadettin. Sephiroth hatte alle ihre Beurteilungen im Kopf. Eigentlich war jeder außer Cutter wesentlich besser geeignet. Sein Instinkt allerdings... flüsterte nur einen einzigen Namen, immer wieder und wieder. Ein echter Zwiespalt. Sephiroth erreichte das Klassenzimmer, klopfte kurz an und trat ein. Die BW sprangen augenblicklich auf und salutierten vorschriftsmäßig. Der General nickte Azrael kurz zu... und entschied sich. „Komm... Cutter!“ Mache ich gerade einen großen Fehler? Es würde sich herausstellen. Zusammen mit dem überraschten, aber nicht unglücklich wirkenden Teenager verließ er das Klassenzimmer. Azrael sah ihnen zutiefst besorgt nach und versuchte gleichzeitig, das von Sekunde zu Sekunde stärker werdende schlechte Gefühl wenigstens ansatzweise zurückzudrängen. Aber es gelang ihm nicht. Irgendetwas, dessen war er sich absolut sicher, würde entsetzlich schief gehen. Sephiroth und Cutter erreichten den schon abflugbereiten Black Hawk Helikopter und befanden sich nur wenig später in der Luft. Der Blick des Teenagers hing an den schwer bewaffneten Missionsteilnehmern und löste sich erst von ihnen, als Zack ihr mit routinierten Handgriffen eine schwere, kugelsichere Weste anlegte, die sie unwillkürlich nervös machte. Noch nie hatte sie so etwas tragen müssen. Fragend sah sie zu Sephiroth hinüber, und dieser erwiderte ihren Blick, lehnte sich nach vorne. „Cutter, hör zu. Das hier ist anders als alles bisher von dir erlebte. Daher wirst du dich strikt an meine Anweisungen halten. Ich erwarte 100%ige Aufmerksamkeit!“ Das überhaupt extra erwähnen zu müssen... Aber ihm war so einfach wohler. „Streck die Hand aus.“ Der Teenager gehorchte und sah schweigend zu, wie der General ein optisch unauffälliges Gerät an ihrem Handgelenk befestigte. Ein Peilsender. „Falls du verloren gehst, such dir Deckung und verhalte dich ruhig. Versuch nicht, uns zu finden. Wir finden dich.“ Cutter nickte aufmerksam. „Sir“, fragte sie schließlich, „was haben wir eigentlich genau vor?“ „Überraschungsangriff auf eine Rebellenstellung im Dschungel“, informierte Sephiroth knapp. „Deine Aufgabe ist es, die zur Verteidigung aufgestellten Fallen ausfindig zu machen um zusätzliche Risiken auszuschließen.“ „Verstanden, Sir“, murmelte Cutter. „Und... was könnten das für Fallen sein?“ Die Antwort ließ sie ein wenig blass werden. Zack legte beruhigend seinen Arm um den Teenager. „Keine Sorge, Cuttie-chan. Dir wird nichts passieren, dafür sorgen wir schon. Richtig, Seph?“ „Befolge meine Befehle und dir wird nichts geschehen.“ „Na siehst du, Cuttie-cut-cut.“ Der 1st wuschelte ihr gut gelaunt durch die Haare. „In spätestens 24 Stunden sind wir wieder zuhause und ich lade dich zu einem Eis ein.“ Irgendwann setzte der Helikopter zur Landung an. Scheinbar undurchdringliche, gefährlich schöne Wildnis. Fremd und unwirklich, die Luft erfüllt von seltsamen Geräuschen und Gerüchen, ein Paradies für die Kreativität der Natur. So viele unterschiedliche Nuancen der Farbe grün. Und so große. entsetzlich große... Spinnen. Sie waren überall. Haarige, achtbeinige Monster. Alleine wäre Cutter schreiend geflüchtet. Aber sie und der General führten die Mission an. Man verließ sich auf ihre Fähigkeiten als BW. Sie musste sich zusammenreißen! Trotzdem war sie zum ersten Mal in ihrer Zeit bei ShinRa nicht weit entfernt von einem echten Panikanfall. „Arachnophobiker?“ erkundigte sich Sephiroth neben ihr leise und erntete wie erwartet wimmern und heftiges nicken. „Mach die Augen zu. Und nicht blinzeln!“ Cutter schloss die Augen, blendete die normale Welt aus. Jetzt gab es nur noch die für Gegenstände zuständigen Lines. Es würde funktionieren. „Danke, Sir“, flüsterte sie und gewann binnen weniger Sekunden ihre volle Konzentrationsfähigkeit zurück. Vorsichtig aber zielstrebig bewegten sie sich weiter vorwärts. Bislang gab es nichts außer Pflanzen- und Baumlines, und eine ganze Weile änderte sich nichts daran. Dann offenbarte sich, fast perfekt getarnt für normale Augen, aber innerhalb der Lines deutlich zu erkennen, die erste Falle. Auf Cutters Zeichen hin hielt die Truppe an und einer der Teilnehmer huschte nach vorne um in völliger Stille und beeindruckender Schnelligkeit die Entschärfung vorzunehmen. Auf dem weiteren Weg gelang es dem Teenager, zielsicher und verlässlich noch mehr Fallen aufzuspüren, und langsam verblasste ihre Nervosität. Das hier machte Spaß! Sephiroth hatte weniger Spaß. Tief in ihm brodelte ein mulmiges Gefühl, das stärker wurde je näher sie den anvisierten Koordinaten kamen. Vermutlich würden sie noch die ein oder andere Überraschung erleben. Die mitgeführten Phoenixfedern beruhigten da nur teilweise. Irgendetwas... wartete weiter vorne auf sie. Etwas großes. Gefahr lag in der Luft wie Nebel und verdichtete sich mit jedem Schritt. Wenig später bedeutete der General seiner Truppe, anzuhalten, und alle Teilnehmer gingen zwischen hüfthohen, farnähnlichen Gewächsen in Deckung. Sephiroth wandte sich an die neben ihm befindliche Cutter. „Ich möchte, dass du diese Angaben überprüfst.“ Es dauerte nur Sekunden bis für die von den Rebellen getätigte Aussage eine Bestätigung vorlag. Das unterirdisches Tunnelsystem existierte, der Eingang befand sich ebenfalls an bei den angegebenen Koordinaten, nur wenige Meter vor ihnen. Außerdem deuteten entsprechende Lines auf die Anwesenheit von Menschen in einer Art großen Höhle hin. Anscheinend hatte die Besprechung – sofern es wirklich eine war - schon begonnen. Zeit, zu handeln. Sephiroth wandte leicht den Kopf. „Taylor, Hopkins, Evris, ihr kommt mit mir. Der Rest behält die Umgebung im Auge. Cutter.“ Er drückte dem Teenager ein Headphone in die Hand und überwachte das ordnungsgemäße anlegen, während er weitersprach und sein eigenes aktivierte. „Lotsendienst und zeitgleiche Überwachung der Lines. Wenn es Veränderungen gibt, will ich sofort informiert werden.“ Er machte eine kurze Pause. „Zack. Du hast hier oben das Kommando.“ „Jupp“, antwortete der neben ihm hockende 1st fröhlich und wie üblich völlig unbeeindruckt von den zu erwartenden Schwierigkeiten. Es war etwas, an das sich Sephiroth wohl niemals gewöhnen würde. Außerdem... „Wann wirst du endlich lernen, normal zu antworten?“ „Normale Antworten sind doch langweilig. Aber wenn du drauf bestehst... Ja Sir, Meister, großer General, Boss.“ Hin und wieder mochte sogar der Lebensstrom Aussetzer in seiner Schöpfung haben und Dinge an die Oberfläche entlassen, die - betreffend mancher Charaktereigenschaften - vielleicht noch ein wenig Feinjustierung bedurft hätten. Zack jedenfalls war ohne Zweifel ein solches... Ding. Sephiroth wandte seine Aufmerksamkeit Cutter zu. „Hast du noch etwas zu sagen?“ „Nein, Sir. Oder... doch.“ Sie lächelte. „Viel Glück, Sir.“ „Genau!“ schaltete sich Zack mit halb ernsthaft, halb amüsiert funkelnden Augen ein. „Mach sie platt!!“ Sephiroth antwortete mit einem Blick jener Art, der nachweislich einen ausgewachsenen und wesentlich älteren Offizier dazu gebracht hatte, sich vor Angst in die Hosen zu machen. Leider erzielte das gefürchtete „Todesglühen“ keine Wirkung. Zack wurde einfach zu oft davon getroffen und hatte eine so immense Resistenz entwickelt, dass nur der Tod sie würde auflösen können. Zu Zacks unglaublichem Glück war er dem General momentan lebend nützlicher. Einen weiteren Befehl später huschten 4 Gestalten davon und verschwanden nacheinander wie Geister im Erdboden. Cutter runzelte die Stirn. Keine Wachposten? Fragend sah sie Zack an, und dessen prompte, mit den Händen durchgeführte Antwort (Cutter war es erstaunlich leicht gefallen, all die Zeichen auswendig zu lernen) war eindeutig. Falle. Weiß er das?? fragte Cutter impulsiv erschrocken zurück, bedeutete nur eine Sekunde später, dass Zack nicht zu antworten brauchte, und ärgerte sich einen Moment über sich selbst, ehe sie ihre volle Aufmerksamkeit wieder den Lines zuwandte. Noch war alles ruhig, aber als sie tief einatmete schien die Luft schlagartig einen anderen Geschmack angenommen zu haben. Irgendetwas bedrohliches bahnte sich an, und es geschah mit siegessicherer Langsamkeit. Kapitel 16: Kapitel 16: Unerwartete Wendungen --------------------------------------------- Alle Missionen, das wurde einem klar, wenn man genügend erlebt hatte, konnten sich innerhalb eines Wimpernschlages verbessern oder verschlechtern. Gerade die leicht wirkenden wurden gerne irgendwann schwierig. Diese hier hatte sich nie damit aufgehalten, einfach zu erscheinen, und die aktuelle Lage verriet ohne weiteres extreme Steigerungen. Der dunkle, weiter nach unten führende Tunnel war so niedrig, dass Sephiroth sich beim gehen bücken musste. Auch neben ihm blieb kaum Platz. Für gewöhnlich keine guten Voraussetzungen für einen Schwertkämpfer – es sei denn, man besaß eine Waffe wie Masamune. Viel besorgniserregender als die ungewohnte Enge jedoch war der schleichend einsetzende Mangel an Sauerstoff. Nach einer Weile nahm Sephiroth wahr, dass sein Herz etwas schneller schlug und er öfter als gewöhnlich Luft holen musste, aber noch wäre er nicht so weit gegangen, dies als „Beeinträchtigung“ zu bezeichnen. Er blickte kurz über die Schulter, sah in schweißbedeckte Gesichter in denen allerdings entschlossene Augen funkelten, und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Weg vor sich zu. Sicher von Cutters leiser Stimme über ein paar Weggabelungen gelotst näherten sie sich langsam der unterirdischen Höhle. Sephiroth lauschte schon seit längerer Zeit aufmerksam, konnte aber keine Stimmen oder andere Geräusche hören. Außerdem waren immer noch keine Wachposten aufgetaucht... Äußerst untypisch. Die Luft wurde immer stickiger. Obwohl Cutter die Lines genau im Auge behielt, wuchs das mulmige Gefühl in ihr mit erschreckender Geschwindigkeit. Irgendetwas war... nicht in Ordnung, und es gelang ihr einfach nicht, dieses „irgendetwas“ näher zu definieren. Sie versuchte es auf ihre Aufregung zu schieben, aber es fühlte sich an, als würde man ein Puzzlestück mit einer Schere bearbeiten. Die Hände fest auf den Boden unter sich gedrückt und um einen ruhigen Tonfall bemüht, gab sie die neusten Richtungsangaben weiter. „Richtung beibehalten. Noch 50 Meter bis zum Zielort. Linesaktivität unverändert.“ „Sie ist leer“, murmelte Zack neben ihr mit der Gewissheit eines erfahrenen Kämpfers. Leer? dachte der Teenager. Aber alle Lines weisen auf die Anwesenheit von Menschen hin. Es sei denn... Masamune glitt so mühelos durch den Erdboden, als sei er gar nicht existent, dann bog Sephiroth ohne zu zögern um die letzte Kurve vor der Höhle. Und ließ die Waffe sinken. Der Raum war dunkel und... leer. Wie erwartet. Aufmerksam ließ der General seinen Blick umherschweifen. Es gab Tische und Stühle, klare Anzeichen dafür, dass der Raum benutzt worden war. In einer Ecke lagen Kleidung, Schuhe und ein paar relativ neu aussehende Waffen. Kein Wunder, dass Cutter von der Anwesenheit einiger Menschen ausgegangen war. Dennoch... Warum hatte der Rebell ausgerechnet diesen Ort genannt? Dahinter steckte mehr. Sephiroth sah zur Decke hinauf. Am wesentlich helleren Dschungelboden zuckte Cutter urplötzlich wie elektrisiert zusammen. „Sir, im Gang hinter ihnen gibt es eine... mehrere unterschiedliche neue Lines!“ Wie konnte das sein?! Lines tauchten für gewöhnlich nicht einfach so auf, sie entwickelten sich, aber das hier... Es konnte nur eines bedeuten. „Sie werden...“ ... transportiert, dachte Sephiroth grimmig und erledigte das vorwarnungslos vor ihm aufgetauchte aber relativ schwache Monster mit einem gezielten Schlag. Der Körper verschwand rotglühend. Etwas fiel polternd zu Boden und gab einen kurzen Piepton von sich. Ein unheilvoll schwarz glänzendes, rechteckiges Kästchen mit völlig glatten Seiten, auf denen die Worte „Touch me“, verziert mit einem großen Herzen, prangten. Die es umgebende Ruhe war schlimmer als jedes Geräusch. Einer der anderen SOLDIER stürmte mit gezogener Waffe vorwärts. Der General hielt ihn zurück ohne das Kästchen aus den Augen zu lassen. „Cutter. Drähte, Technik und ein Sprengsatz, richtig?“ Es dauerte nur Sekunden, ehe der Teenager bestätigte. Eine Bombe. Das letzte von etlichen, bereits im Gang hinter der kleinen Truppe liegenden Exemplaren. Und das war nicht alles... „Touch me – Berühr mich“. Sephiroth plante auf keinen Fall, das zu tun. Vermutlich war der Apparat mit druckempfindlichen Sensoren ausgestattet, und, wie er den verklungenen Piepton interpretierte, aktiviert. Eine Entschärfung war somit unmöglich. Und der letztendliche Auslöser... Zeitzündung? Funk? Vielleicht sogar Bewegungsmelder? Keine Zeit, darüber nachzudenken. Nicht nur ShinRa war an Erfolgen interessiert. Mit Sicherheit würden die Bomben bald losgehen. Hier gab es nichts mehr zu holen. „Wir...“ Eine gewaltige Explosion aus dem zurückliegenden Gang verschluckte den Rest des Satzes. Nur Sekunden später erreichte eine gigantische Wolke aus Staub und Schutt die Höhle. Der Dschungelboden erbebte unter der immensen Druckwelle, gleichzeitig senkte sich die Erde über dem direkten Wirkungsbereich der Bombe ab, und hinterließ eine kraterförmige Ahnung über deren Stärke. Zack schnappte entsetzt nach Luft. Eine zweite Explosion, nur wenige Meter von der ersten Detonationsstelle entfernt, schüttelte die Umgebung und riss die Erde auf. „Zack, sie arbeiten sich auf die Höhle vor und es gibt keinen weiteren Ausgang!“ Erneut erbebte die Erde. Lebenssekunden liefen rückwärts. Zack sprang auf die Beine, die Hand um den Schwertgriff geschlossen... und ließ sie wieder sinken. Die Waffe war im Moment nutzlos. Jetzt war Kopfarbeit gefragt, und so rasten die Gedanken des 1st´s, ohne panisch zu sein, suchten nach einer Lösung. „Kannst du rausfinden, was die Bomben auslöst? Gibt es vielleicht eine Fernbedienung oder eine andere Möglichkeit, sie aufzuhalten?“ Cutters Geist jagte, untermalt von einer neuen Explosion, über die Lines. Es gab durchaus brauchbare Hinweise – aber es waren zu viele. Jede einzeln zu prüfen würde zuviel Zeit kosten... Zeit, die ihr nicht zur Verfügung stand. Aber die Bomben waren weder sofort, noch in regelmäßigen Abständen detoniert, abgesehen davon waren sie von Monstern transportiert worden... Irgendwo musste es jemanden geben, der sie kontrollierte, die Sache überwachte und die Sprengsätze zündete, nur wo? Und wie sollte sie ihn finden? Leben und Tod, die ältesten Gegensätze der Welt, hielten sich engumschlungen in einem wilden, ekstatischen Tanz zu einer Musik ohne Töne. Den scheinbar unbeugsamen Takt jedoch bildeten die Explosionen. Eben war wieder eine zu hören. Viel Zeit, gemessen an noch nicht detonierten Bomben, blieb nicht mehr. Der rettende Ausweg war bereits völlig verschüttet, und es existierte, das vermittelten die Lines ganz klar, nur dieser eine Weg an die Oberfläche. Ich kann nichts tun, dachte Cutter verzweifelt. Keiner von uns! Wir können ihnen nicht helfen! Sie werden sterben. Sephiroth wird... Nein. Nein! Das ist unmöglich, Sephiroth findet immer einen Ausweg, er... „Komm schon, Seph!“ Längst war Zack aufgesprungen. Mit hilflos zu Fäusten geballten Händen starrte er auf die Bombenkrater. Der Ausdruck in seinen Augen... Cutter erstarrte. Der 1st konnte die Kräfte des Generals bedingt durch die jahrelange erfolgreiche Zusammenarbeit viel besser einschätzen als sie selbst. Wenn sogar Zack sich Sorgen machte... Es muss noch eine Möglichkeit geben, dachte Cutter. Es muss einfach! Die schwarze Line stieg lautlos wie gewohnt aus ihren bunten Geschwistern hervor und verhielt bewegungslos wie eine ausgestreckte, wartende Hand. Cutter atmete tief ein. Auf dieser Seite der Lines lag keine Hoffnung mehr. Aber... was war mit der anderen Seite? Der unbekannten Welt unter der schwarzen, Gefahr vermittelnden Line, von der sie sich hatte fern halten wollen bis weitere Informationen über sie vorlagen – woher auch immer... Jetzt war die Zeit für Vorsicht vorbei. Cutter krallte ihre Hände haltsuchend in Zacks Hosenstoff, schloss die Augen und ließ ihren Geist in die Richtung der schwarzen Ungewissheit sinken. Im Grunde war Sephiroth an gefährliche Situationen gewöhnt. Es kam durchaus vor, dass ShinRa eine Lage so lange unterschätzte, bis sie zu kompliziert geworden war, um normale SOLDIER zu schicken. Aus Angelegenheiten, die in der Vergangenheit mit Leichtigkeit hätten gelöst werden können, wurden Einzelmissionen für ihn, Einsätze, bei denen er, ganz auf sich allein gestellt, in seinem Element war. Das hier... war keine Einzelmission. Und wenn es eine Möglichkeit geben sollte, sich selbst und seine Männer zu retten, so würde er sie finden müssen. Schnell. Durch die Explosionen ausgelöste Dreck und Staubwolken hatten die ohnehin schon sehr schlechte Luftqualität noch weiter fallen lassen, Körper an die absolute Grenze ihrer Leistungsfähigkeit katapultiert, und jede weitere Detonation bedeutete einen Schritt mehr in die Bewusstlosigkeit und den damit verbundenen, sicheren Tod. Der Rückweg durch den Gang war unwiderruflich versperrt. Alleine hätte Sephiroth keine Sekunde gezögert, sich zu befreien, aber er war nicht alleine... Unter seinen Füßen erzitterte die Erde. Eine neue Explosion. Sie klang sehr nahe. Pure, alles umhüllende Finsternis, beherrschend, zu dominant für andere Farben. Alles, sogar die Geräusche und Bedürfnisse aus der normalen Welt, verblassten. Es fühlte sich an, als ließe man seinen Körper weit, weit hinter sich zurück. Cutter konnte nicht einmal mehr das Gefühl von Stoff zwischen ihren Händen wahrnehmen. Dann kehrten die Farben zurück. Der daraufhin einsetzende Schock gehörte zu den intensivsten Empfindungen im bisherigen Leben des Teenagers. Es dauerte mehrere Sekunden, ehe Cutter das sich ihr bietende Bild wirklich analysieren konnte. Sie hatte sich nicht geirrt. Was sie oberhalb der schwarzen Line nur verschwommen wahrnehmen konnte, lag jetzt klar und scharf vor ihr. Neue Lines. Sie verhielten sich wie die dem Mädchen bereits bekannten und flossen ruhig übereinander her. Aber ihre Farben... Die gewohnte Sicht von einfarbigen Lines, bei denen letztendlich nur die Stärke der unterschiedlichen Nuancen verrieten, um welchen Gegenstand es sich handelte, war vorbei. Diese Lines hier waren... bunt. Jede wies mindestens zwei Farben gleichzeitig auf. Aber das war noch nicht alles. Sie besaßen Muster. Cutter konnte Streifen entdecken. Punkte. Sogar Marmorierungen. Die einzig vertraute Konstante waren der herrschende, ruhige Puls und die gleichmäßige, geschmeidige Art der Auf- und Abbewegungen. Abgesehen von der Farbe gab es keine Unterschiede zu den vertrauten Lines. Also... konnte man diese hier wohl ebenfalls lesen? Cutter tippte aufs Geratewohl eine von ihnen an, vorsichtig - und wurde unter einer wahren Flutwelle aus Informationen begraben. Neuer Schock ergriff sie. Diese Details... stammten nicht von Gegenständen. Der Teenager führte noch eine zweite und eine dritte Berührung aus um ganz sicher zu sein. Die Ergebnisse räumten alle Zweifel aus dem Weg. Diese Lines... alle hier... gehörten... Menschen. Azrael, dachte Cutter mit einer Mischung aus Verzweiflung, Trauer und absoluter Verblüffung, wieso haben Sie mir das nicht gesagt? Aber sie hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Es ging um Sekunden. Der Druck, auf sich allein gestellt möglich lebensrettende Entscheidungen zu treffen... Niemals zuvor war sie in einer solchen Situation gewesen. Bisher hatten immer andere den Ton angegeben. Jetzt gab es nur sie. Denk logisch, Cutter! Es sind Lines, und du kannst sie lesen! Du musst nur... die richtige finden. Unter all den Milliarden. Hilfe? Aber es würde keine Hilfe kommen. Diesmal nicht. Denk nach, denk nach, denk nach!!! Letztendlich sind es nur Lines, verdammt! Das jedenfalls ließ sich – trotz allem – nicht leugnen. Ob sie sich auch wie ihre Geschwister weiter oben verhalten würden? Vertraut? Um bei den bekannten Lines eine gezielt aufrufen und von den anderen abheben zu können, reicht es aus, sich auf eine bestimmte, dem Objekt entsprechende Eigenschaft zu konzentrieren. Galt das auch für die von Menschen? Und wenn ja... nach welchen Kriterien sollte man vorgehen? So viele Fragen. Und die Zeit lief ihr davon ohne eine Lösungsmöglichkeit zu offenbaren. Cutter verfluchte ihre Hilflosigkeit, die Mission, die Rebellen, den Dschungel... vor allem den. Menschen gehörten in Häuser, nicht in den verdammten Urwald! Und das galt ganz besonders für Rebellen, die... Der Teenager erstarrte. Menschen gehörten nicht in den Urwald. Ihre Lines... müssten sie nicht... deutlich unter all denen Baum- und Pflanzenlines hervorstechen?? Aber hier gab es ausschließlich die Lines der Menschen, wie sollte sie nur herausfinden, wo genau sich die Zielobjekte befanden? Manchmal zwang einen die aktuelle Situation zu handeln statt lange zu denken. Cutter wusste, dass sie keine Zeit mehr zu verlieren hatte. Sie konzentrierte sich mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft auf alle sich momentan im Dschungel befindlichen Menschen ohne ahnen zu können, was als nächstes passierte. Einen ewigen Moment lang geschah gar nichts. Dann begannen sich Lines in den Vordergrund zu schieben, und verhielten sich somit genau wie es der Teenager gewohnt war. Aber das war noch nicht alles. Neue und in den unterschiedlichsten Grüntönen gehaltene Lines sickerten von oben aus der vertrauten Welt hinzu und schmiegten sich eng an die der Menschen. Der Dschungel selbst nahm Gestalt an. Ich bin auf der richtigen Spur, dachte Cutter, aber das sind immer noch zu viele Lines... Was fehlt?? Das entscheidende Detail fehlt!! Jede von ihnen könnte für einen Rebellen oder jemanden von ShinRa oder eine gänzlich andere Person stehen... Es sind bestimmt nicht mehr viele Bomben übrig, wenn... Die Bomben. Sie waren nicht in regelmäßigen Abständen detoniert. Jemand steuerte sie. Mit einer Fernbedienung. Für gewöhnlich bestanden Fernbedienungen aus Metall, Plastik und Drähten. Neue Lines erschienen und gesellten sich eng zu den bereits vorhandenen. Es waren momentan mehrere Menschen im Dschungel unterwegs, welche eine oder mehrere der gesuchten Materialien dabei hatten. Aber nur eine von ihnen trug alles bei sich und befand sich in unmittelbarer Nähe. Hab ich dich, Mistkerl! Cutter versuchte, wie gewohnt zu sprechen, aber Geist und Körper waren, das begriff sie bereits nach dem ersten Versuch, zu weit voneinander getrennt, die Verbindung nicht mehr stark genug... Der Rückweg durch die schwarze Line fühlte sich an wie ein Gewaltmarsch durch kniehohen Matsch. Stille senkte sich triumphierend über den Dschungel, und doch, das wusste Zack mit Sicherheit, eine Bombe war noch übrig. Die letzte. Wer auch immer am Drücker saß, er – oder sie – ließ sich Zeit. Wollte den Triumph auskosten. Zack kannte Sephiroth. Vermutlich suchte der Mann, den alle als unnahbar und eisig kannten, nach einer Möglichkeit, sich selbst und seine Leute zu retten. Wenn sie überhaupt noch lebten. Sogar Cutter wirkte mehr tot als lebendig, obwohl sich ihre Finger immer noch mit aller Kraft an sein Hosenbein klammerten. Und Zack hatte keine Ahnung, was sie da tat. Oder wo sie gerade war. Sie schien bewusstlos zu sein, aber... „ Za... ck...“ Cutters Stimme klang wie die eines Betrunkenen. Aber der 1st hörte sehr aufmerksam zu. Nur Sekunden später war er unterwegs. Zack hasste es, andere Menschen zu töten. Er sagte sich, dass jeder gute Gründe für sein Handeln hatte, Gründe, die zu respektieren nicht falsch sein, und die man mit töten nicht beseitigen, sondern nur auf andere übertragen konnte, solange man das Übel nicht an der Wurzel packte. Aber als er an diesem Tag das Busterschwert einsetzte um das Leben eines Rebellen zu beenden, empfand er nur helle Erleichterung. Verstärkt durch das leise Geräusch einer sicher in seiner Hand landenden Fernbedienung. Zack aktivierte sein Headset. „Seph, kannst du mich hören?!“ Stille. „Seph!!“ So viele Dinge verloren an Bedeutung, wenn Leben und Tod von einem einzigen Detail abhingen. Sauerstoff... All die Explosionen hatten so viel Staub in die Höhle befördert. Vielleicht zuviel? „SEPHIR...“ Eine erneute Explosion begrub den Rest des Wortes in sich. Sie schien lauter zu sein als alle vorherigen. Beinahe... triumphierend. Zacks Kopf ruckte entsetzt nach oben. „Nein...“, flüsterte er tonlos. Dann schüttelte er seine Schreckensstarre ab und rannte los, in Richtung des entsetzlichen Geräusches, diesmal fast wahnsinnig vor Sorge. Die Bombe konnte nicht explodiert sein! Er hatte die Fernbedienung! Es sei denn, die letzte war doch mit einem Zeitzünder versehen gewesen... was die längere Wartezeit erklären würde... Aber es konnte, es durfte einfach nicht sein... Als er den anvisierten Platz erreichte, begannen gerade seltsame schwarze Splitter aus Metall und bunte Drahtstückchen zurück auf den Boden zu fallen. Als seien sie in einen wütenden Reißwolf geraten. Zack war nur eine einzige Waffe bekannt, die solche Späne produzieren konnte... Ein paar Meter neben ihm landete Sephiroth sicher und elegant, Masamune noch in der linken Hand haltend, zwischen dem immer noch vom Himmel kommenden Regen aus ungefährlichen Bombensplittern. Der mit aller Kraft des Schwertes geführte Befreiungsschlag um die Höhlendecke zu entfernen, war riskant gewesen, aber nicht ganz so riskant wie der zweite Schlag. Die berührungsempfindliche Bombe mittels einer gewaltigen, ebenfalls durch Masamune erzeugten Druckwelle nach oben zu schleudern, ihr zu folgen und binnen Sekundenbruchteilen in harmloses Konfetti zu zerlegen... Definitiv keine Lehrbuchlösung. Und daher umso interessanter. Wie gewaltig der erste Befreiungsschlag gewesen war (wie beherrschend er hatte sein müssen um eine Kollision der Bombe mit umherfliegende Erdbrocken zu verhindern) zeigte sich erst jetzt. Was einst die Höhlendecke gewesen war, fiel in zögerlichen Krümeln vom Himmel. Davon gänzlich unbeeindruckt reinigte Sephiroth das Katana und verstaute es sicher, ehe er fast beiläufig den Kopf wandte um dem SOLDIER einige Meter entfernt einen gelangweilten Blick zuzuwerfen. „Ja, Zack?“ Zack öffnete den Mund, wollte sprechen, seine Erleichterung zum Ausdruck bringen... schloss ihn wieder, öffnete ihn ein weiteres Mal... „Obwohl deine Darstellung eines Fisches auf dem trockenen sehr eindrucksvoll ist, würde ich es vorziehen, zu erfahren, was mit ihr geschehen ist!“ Sephiroths Fingerzeig galt der am Boden liegenden Cutter. Sie bewegte sich nicht. „... te... r... utt... Cut... te...r... Cut... ter... Cutter... CUTTER!!“ Was ist denn? dachte der Teenager mühsam. Ich bin doch hier... Eine Vibration durchlief das angenehme Gefühl absoluter, schwereloser Geborgenheit, und bewirkte ein vollständiges zurückfließen ihres Geistes in den Körper. Die schwarze Line, deren Sog und die darunter liegende Welt blieben weit zurück. Ein neues Geräusch setzte ein, kräftig und gleichmäßig... Herzschlag. „Cutter-chan, wach auf!“ Es gab auf der ganzen Welt nur eine Person, die sie so nannte. Ruckartig öffnete der Teenager die Augen und sah direkt in vertraute purpurne Augen über sich. Warmer Atem traf ihr Gesicht. Schlaftrunken lächelnd kuschelte sie sich unwillkürlich enger an den sie in den Armen haltenden Zack. „Da ist sie ja wieder.“ Der 1st klang sehr erleichtert. „Bist du ok, Cutter-chan?“ „Glaube schon...“ Ihre Stimme klang noch etwas wacklig. „Cutter.“ Eine andere, wesentlich dunklere Stimme. Sephiroth. Er stand genau vor ihnen. „Wenn du kannst, steh auf!“ Der Teenager nickte hastig und kam, gestützt vom immer noch sehr besorgten Zack und unter Sephiroths aufmerksamen Blick wieder auf die Beine, sah sich um. Einige der Missionsteilnehmer wurden medizinisch versorgt, aber die Situation war unter Kontrolle. Im Boden, genau dort, wo sich die Höhle befunden hatte, klaffte ein Loch gewaltigen Ausmaßes, umgeben von einer dicken Schicht Krümel und vereinzelten, metallenen Splittern. Cutter wandte sich an Sephiroth. „Sir, was... was ist passiert? Sie waren doch unter der Erde, und auf einmal waren da all diese Bombenlines und...“ Sie verstummte. „Cutter-chan...“ Zacks Stimme klang beinahe feierlich. „Wenn wir wieder zuhause sind, kriegst du den größten Eisbecher deines Lebens als Anerkennung für deinen heutigen Einsatz! Und Sephiroth“, fügte er mit alles unter sich ertränkender Gewissheit hinzu, „wird das Eis bezahlen! Richtig, Seph?“ „Niemals.“ „Meinen Einsatz?“ murmelte Cutter, immer noch etwas benommen. „Was habe ich getan?“ Sie erinnert sich nicht, dachte Sephiroth während er die erst vor wenigen Sekunden von Zack erhaltenen Informationen über die Geschehnisse oberhalb des Bodens abermals analysierte. Aber sie hat zweifellos mit Hilfe der Lines einen Menschen aufgespürt. Und das nicht mit den sonst verwendeten... Der so lang gehegte, heimliche Verdacht, bei der schwarzen Line könne es sich um eine Art Grenze handeln, bestätigte sich zu einem absolut unerwarteten Zeitpunkt. Der General fragte sich gerade, ob er Cutter schon mit seinen Gedanken konfrontieren konnte, als es hinter ihnen zu einem kurzen Tumult kam. Sephiroth und Zack wandten gleichzeitig den Kopf. Cutter versuchte, sich zu erinnern. Das Gefühl, etwas unglaubliches geschafft zu haben, wurde stärker. Gleichzeitig begann sich der Nebel um ihre Erinnerungen zu lichten... Und dann geschah es. Irgendetwas undefinierbares kam schneller als jeder Gedanke und zielsicherer als jede Waffe aus den Lines geschossen und... Die Angelegenheit klärte sich von selbst. Der General und Zack wandten sich wieder dem Teenager zu – und erstarrten. Das Mädchen war auf die Knie gefallen. Fingernägel gruben sich ihren Weg am Hals entlang und hinterließen lange, heftig blutende Spuren. „Cutter-chan!“ Zack machte einen Sprung vorwärts, packte ihre Hände. „Hör a...“ Ihr Kopf ruckte herum wie der einer Schlange, offenbarte die blutunterlaufenen Augen eines Wahnsinnigen. Speichel troff aus ihrem Mund. Ihre Zähne gruben sich völlig vorwarnungslos wie die eines wilden Tieres in Zacks Arm. Der 1st keuchte auf, mehr vor Überraschung als aus Schmerz, lockerte den Griff aber um keinen Millimeter. „Cuttie! Beruhige dich! Ich bin´s!“ Der Teenager ließ zwar den heftig blutenden Arm zwar los, begann aber, sich mit ungeahnter Kraft wie wild gegen den sie haltenden Griff zu wehren. Dabei schrie sie wie am Spieß. Der 1st versuchte sie zu beruhigen, aber das Mädchen war nicht mehr sie selbst. Die Aktivierung ihrer wie üblich mitgenommenen Feuermateria kam so überraschend und plötzlich, dass sogar der erfahrene SOLDIER reflexartig die Arme hoch riss, um Kopf und Augen zu schützen. Als die rote Glut verblasste, war Cutter zwischen Urwaldgewächsen verschwunden. Zacks Blick wanderte von der leeren Stelle vor ihm zu seinem zum Glück bereits heilenden Arm und von da zu Sephiroth. Der General erwiderte seinen Blick interessiert, aber wortlos. „Was zum...“, begann Zack. Sephiroth unterbrach ihn. „Todschick, deine neue Frisur. Zu schade, dass der Brandgeruch bald verfliegen wird.“ Er wandte sich zum Rest der Truppe um. „Abmarsch in einer Stunde, unabhängig von meiner Rückkehr. Zack hat das Kommando.“ Er setzte sich in Bewegung. Zack verhielt einen Moment lang in sprachloser Verblüffung, dann kam er wieder auf die Beine, übertrug das Kommando einem der anderen SOLDIER, und sprintete dem General nach. Sephiroth warf ihm einen undefinierbaren Blick zu, sagte aber nichts. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her, folgten dem richtungsanzeigenden Miniradar in Sephiroths Händen, auf welchem das Signal des dem Teenager zu Beginn der Mission ausgehändigte Peilsenders deutlich zu empfangen war. „Sie ist innerhalb einer Sekunde wahnsinnig geworden“, sagte Zack irgendwann leise während er sich unter einem besonders tief herunterhängenden Ast hindurchbückte. „Warum?“ Sephiroth schwieg. Wilde Spekulationen hatten hier keinen Platz. Er und Zack würden den Teenager... das Wort „einfangen“ bot sich an, aber „finden“ war wohl angebrachter, und ins HQ zurückbringen. Dort würde man weitersehen. Aber Zack gab sich nicht mit dem knochengleich hingeworfenen Schweigen zufrieden. „Verdammt nochmal, Sir, wenn du was weißt oder ahnst, dann sag es mir! Ich habe sie genauso gern wie du!“ „Ich habe sie nicht gern.“ „Lügner“, sagte Zack automatisch . Sephiroth blieb augenblicklich stehen und wandte den Kopf. Der seinen Augen innewohnende Ausdruck... andere wären augenblicklich um Gnade winselnd auf die Knie gefallen, Zack jedoch schluckte nur einmal heftig und versuchte, ihn irgendwie zu parieren. „Was möchtest du damit sagen?“ Die Betonung war so sanft, dass sie in den Ohren schmerzte! „Ich meine nur“, antwortete Zack ruhig, „dass sie sich sehr positiv verändert hat, dir das nicht entgangen ist, und du es schätzt.“ „Ich schätze korrekte Umgangsweisen, pünktlich abgelieferte Berichte und Missionen ohne Fehlschläge. Positive Veränderungen erwarte ich nach einer fast 2-jährigen Ausbildung!“ Nicht einmal Zack konnte dagegen protestieren. ShinRa steckte eine Menge Aufwand in die Ausbildung der BW. Ein Leistungsstillstand oder –defizit wurde nicht akzeptiert. „Aber, Seph, du hättest auch jeden anderen der Kadetten mitnehmen können. Und du nennst sie beim Vornamen!“ Das konnte er nicht abstreiten! Aber Zacks Übermut verblasste schnell hinsichtlich des immer eisiger werdenden Ausdrucks in den Augen des Generals. „Du findest Menschen, die lieber allein sind, unerträglich, nicht wahr, Fair?!“ Fair. Zackary war schon ein absolutes Warnsignal. Wenn Sephiroth jetzt dazu überging, ihn mit dem Nachnamen anzusprechen, wie er es mit allen anderen tat, war mehr als äußerste Vorsicht geboten. Abgesehen davon hatte der General natürlich einen Volltreffer gelandet. Leugnen... sinnlos. Und Zack wusste, dass er seine folgenden Worte jetzt sehr weise wählen musste. „Seph...“, seine Stimme klang freundlich und entwaffnend, „ich... finde nur, dass du dich ein bisschen zu sehr von anderen abschottest. Wenn du dich ein klein wenig mehr öffnen würd...“ Eine Sekunde später fand er sich hart an einen Baum gepresst wieder, fixiert von einer rücksichtslos zudrückenden Schulterrüstung. Eine Attacke von nahezu unsichtbarer Schnelligkeit und typisch für den Angreifer. Masamune lag, deutlich spürbaren Druck ausübend, an Zacks Kehle. Ein flüstern, direkt neben seinem Ohr. „Mein Psychiater.“ Es jagte eisige Schauer über seinen ganzen Körper. „Wie wäre es, wenn ich dich ein wenig öffnen würde, gleich hier und jetzt?“ Der Druck auf seinen Hals verstärkte sich, lähmte jede Bewegung, untersagte selbst den Schluckreflex. „Zackary Fair, du bist mir seit unserer ersten Begegnung ein Dorn im Auge, den zu entfernen es mir in den Fingern juckt. Deine Gesellschaft... deine guten Ratschläge... ich habe kein Interesse daran! Haben wir uns verstanden?“ Es gab nur eine mögliche Antwort. „Ja, Sir!“ Fast augenblicklich konnte er wieder frei atmen. Schweigend rieb er sich den Hals und sah Sephiroth nach, der ohne Verzögerung die Fährte des Peilsenders erneut aufgenommen hatte. Er kann nicht anders, dachte Zack. Aber ich auch nicht. Eines Tages, das wusste er schon seit er dem silberhaarigen Mann zum ersten Mal begegnet war, würde Sephiroth ihn töten. Aber bis es soweit ist- und ganz offensichtlich noch nicht heute - bist und bleibst du mein bester Freund, und ich werde dieselben Fehler wieder und wieder begehen. Weil ich mich um dich sorge. Du blöder Idiot. „Yo, Seph, warte auf mich!“ Das Signal des Peilsenders führte die beiden Männer immer tiefer in den Urwald hinein. Für die kurze Zeit war Cutter erstaunlich weit gekommen. Sie musste ohne Pause gerannt sein. „Die schwarze Line hat damit zu tun, nicht wahr?“ Er hatte beschlossen, nicht locker zu lassen. Sephiroth zögerte, bestätigte dann aber durch ein kurzes nicken. „Wenn Cutter-chan was passiert“, Zacks Stimme klang bar jeglicher Heiterkeit, „kann sich dieser verdammte Geheimniskrämer Azrael auf was gefasst machen! Er wusste ganz genau, wovon sie gesprochen hat, aber ihm war es wichtiger, sie auszulachen statt zu warnen!“ Das sah der General genauso, aber er schwieg und lauschte dem Signal. Sie mussten dem Sender schon sehr nahe sein, und... er bewegte sich nicht mehr. Mit etwas Glück würden sie die Suche schon bald beenden können. Vorsichtig näherten sie sich weiter, bis das Gerät eine Entfernung von unter 10 Metern angab. Aber Cutter blieb verschwunden. „Ich ahne furchtbares“, murmelte Zack, und er sollte recht behalten. Nur Sekunden später fanden sie den Peilsender am Boden liegen, blutverschmiert und nutzlos. Schweigend sahen sie sich an, und dann um. „Ich denke nicht“, sagte Sephiroth leise, „dass wir technische Hilfe brauchen.“ Wortloses nicken als Antwort. Der Dschungel hatte die Jahrhunderte an Zeit genutzt, um sich förmlich in sich selbst zu verstricken. Jetzt aber... Die von Cutter hinterlassene Spur war schmal, aber ohne Vorsicht gebahnt. Man würde ihr gut folgen können. Die beiden SOLDIER taten genau das. Längst war es dunkel geworden. Nachtaktive Räuber waren erwacht, hungrig, auf der Suche nach Nahrung. Und ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt... Zack ließ die Hand in höchster Sorge über den umgestützten Baumstamm gleiten. Gesplitterte Äste von der Dicke eines Handgelenkes ragten lanzenartig in alle Richtungen. Einer von ihnen war frisch abgesplittert und dunkel gefärbt. Blut. Cutter musste sich ernsthaft verletzt haben. Von da an ließ sich ihre Spur leichter verfolgen, aber Zacks Sorge wuchs unaufhaltsam. Verletzt. Orientierungslos. Wahnsinnig... Aber sie hatte noch gewusst, wie man Materia einsetzte... Er hoffte inständig, dass sie dieses Wissen im Falle eines Angriffes nicht verlassen und die kugelsichere Weste zusätzlichen Schutz vor Klauen, Zähnen und dergleichen bieten würde. Der nächste Morgen kam, und noch immer folgten die beiden SOLDIER der Spur. Die Kondition des Teenagers war wirklich bemerkenswert. „Wir trainieren diese Kadetten zu gut...“ Zack blieb stehen und legte die Hände trichterförmig vor den Mund. Gleichgültig, wie oft er sie schon gerufen hatte, er würde nicht damit aufhören, bis sich Erfolg einstellte! „CUT...“ Sephiroths plötzliche Handbewegung ließ ihn verstummen, bedeutete ihm, zu lauschen, und wies dann nach vorne. Jetzt hörte er es ebenfalls. Leises platschen. Wasser? Vorsichtig schoben sie sich näher heran. Es war Zack, der sie zuerst entdeckte. Cutter saß in einer hüfttiefen Schlammasse, musste aber bis vor kurzem damit beschäftigt gewesen sein, sich wild darin hin und her zu wälzen. Frischer Matsch bedeckte ihren ganzen Körper. Über die Weste allerdings verlief eine Spur Erbrochens, die auf den Versuch, den Schlamm zu essen, hinwies. Die Augen des Teenagers waren immer noch geprägt von wahnsinnigem Glanz, aber nichts von all dem war so besorgniserregend wie die Tatsache, dass sich das Mädchen nicht mehr bewegte. Sie starrte etwas an... Makogetränkte Blicke folgten der angegebenen Richtung. Der Dschungel verbarg zweifellos viele Geheimnisse und Gefahren in seinen grünen Tiefen. Eines davon hatte er gerade offenbart. Cutter war nicht mehr allein. Kapitel 17: Kapitel 17: Die schwarze Line ----------------------------------------- Sephiroth wusste, dass er sich zu jeder Tages- und Nachtzeit auf seine Augen verlassen konnte. Sie hatten ihn noch niemals getäuscht oder zweifeln lassen. Jetzt allerdings... blinzelte der legendäre General. Einmal aus Reflex, und ein zweites Mal, um ganz sicher zu sein. Aber das Bild vor ihm änderte sich nicht. Neben ihm flüsterte Zack: „Was zum...“, und verstummte wieder. Es... sie... Wirklich eine sie? Nicht einmal Sephiroth war sich für einen Moment sicher, ehe er sich doch für die weibliche Variante entschied. Seltsame, aber in beruhigenden Farben gehaltene und an weichen Flaum erinnernde Gewänder bedeckten ihren Körper. In der rechten Hand hielt sie einen langen, die Erde berührenden Stab von der Farbe des Vollmondes. Das nach oben zeigende Ende des Stabes gabelte sich in zwei Varianten: ein kurzes, rund zulaufendes, und ein wesentlich dominanteres, lang, hoch und verdreht wie das Muster eines in die Länge gezogenen Schneckenhauses, mit einer gefährlich aussehenden Spitze. Niemals zuvor hatten die beiden SOLDIER etwas ähnliches gesehen. Ein Schmuckstück? Eine Waffe? Zwei Hände legten sich völlig synchron auf Schwertgriffe, bereit, in der nächsten Sekunde einzuschreiten. Cutter starrte auf die so unwirkliche Person, öffnete den Mund und stöhnte tief auf. Das Dschungelwesen nickte langsam, wie zur Bestätigung... und sprach. Nur 4 sanfte Worte. „Komm mit mir, Kind.“ Taumelnd wie unter Einfluss einer fremden Zaubermacht erhob sich der Teenager langsam aus dem Matschloch. Aus ihrem rechten Oberschenkel ragte das abgebrochen, tief eingedrungene Stück Holz. Blut sickerte aus der Wunde. Zack schloss mitfühlend die Augen, gab aber keinen Laut von sich. Sephiroths Blick indessen hing an der seltsamen Person. Sie bewegte sich so langsam vorwärts, dass der humpelnde Teenager ihr problemlos folgen konnte, und sie beschritten einen schmalen Pfad zwischen Büschen und Bäumen, der – dessen war sich der General ganz sicher - gerade noch nicht existiert hatte. Die Frau wandte leicht den Kopf und ließ wieder diese sanfte Stimme erklingen. „General Sephiroth Crescent und 1st Class SOLDIER Zack Fair... wenn ihr den Wunsch empfindet, uns zu folgen, so dürft ihr das tun.“ Zack runzelte die Stirn. Den General zu kennen, war nicht weiter verwunderlich. Aber... Woher weiß sie, wer ich bin? dachte der 1st. Es war ihm zu gleichen Teilen unheimlich wie unverständlich. Aber ungeachtet dessen, und auch der Tatsache, dass diese Frau eine nahe zu überirdische Friedfertigkeit verströmte, Cutter mit ihr allein zu lassen, kam nicht in Frage. Die beiden SOLDIER verließen ihre Deckung und folgten dem seltsamen Duo mit geringem Abstand. Zack kämpfte mit sich selbst. Am liebsten hätte er augenblicklich einen Helikopter gerufen um Cutter zurück ins ShinRa HQ zu bringen, auf die Krankenstation, zu den Spezialisten, und außerdem... Aber ein Blick in Richtung Sephiroth, dessen Augen derselbe kalt-distanzierte Ausdruck wie üblich inne wohnte, machte mehr als deutlich, dass nichts von all dem geschehen würde. Vorerst jedenfalls. Der General hatte unausgesprochen ähnliche Gedanken erwogen und wieder verworfen. Einmal mehr traute er nichts außer seinem Instinkt, der ihm ein wirken völlig unbekannter, aber anscheinend freundlich gesinnter Kräfte vermittelte. Sollte sich das ändern, würde Sephiroth mit gewohnter Entschlossenheit klar machen, was er davon hielt. Sie mochten Stunden oder nur Minuten gelaufen sein, als der Dschungel sich wie auf ein geheimes Zeichen hin öffnete und eine kleine Lichtung freigab, auf der, schon halb verwachsen mit der Natur, ein winziges Zelt stand. Als die Frau sich näherte, erhob sich ein großer Hund aus dem Dickicht wedelte träge zur Begrüßung mit dem Schwanz, kam jedoch nicht näher. Die Frau erreichte das Zelt, wandte sich zu Sephiroth und Zack um, und obwohl sie zu den beiden Männern aufsehen musste, wirkte sie auf eine ungreifbare Art und Weise ebenso groß. „Bleibt bitte hier. Ich tue was in meiner Macht steht, um das Kind zu retten.“ Sie schlug mit einer behutsamen Bewegung die Zeltplane zurück und griff nach Cutters Hand. Wenige Sekunden später schloss sich der Eingang wieder. Nur Stille blieb zurück. Der Hund ließ sich vor dem Eingang des Zeltes nieder und sandte zwischen bedrohlich gebleckten Zähnen ein tiefes, dunkles knurren zu den beiden SOLDIER hinüber. Sephiroth starrte zurück und ließ ganz entgegen seiner sonstigen Gewohnheit Masamune ein paar Zentimeter aus der Schutzhülle springen. Auch ich habe scharfe Zähne, sagte die Bewegung. Der Hund hörte zwar augenblicklich auf zu knurren, ließ die beiden Männer jedoch nicht aus den Augen. Zack sah zu dem Zelt hinüber. „Seph, können wir sie wirklich alleine lassen mit dieser komischen Frau? Wir wissen nicht, was sich da drinnen abspielt. Wenn sie nun...“ „Ich denke nicht, dass sie Cutter schaden will“, übersetzte Sephiroth seinen Instinkt. „Wir sollten... nicht stören.“ Er ließ sich auf einem am Boden liegenden Stamm nieder und schloss die Augen. Tief im Herzen des Generals brodelte es. Etwas, von dem er immer bewusst oder unbewusst Abstand gehalten, ja sogar angenommen hatte, es niemals empfinden zu können, war erwacht, zaghaft, aber existent. Sorge. Um eine andere Person. Und die damit verbundene Schlussfolgerung... Bedeutete sich um jemanden sorgen nicht letztendlich, dass man... mehr für diese eine Person empfand, als für andere? Sephiroth versuchte sich einzureden, das seine Sorge nicht dem Menschen an sich, sondern dem so mühsam ausgebildeten Blue Wanderer galt, und die Argumente waren gut und stark wie immer... reichten aber diesmal nicht ganz aus. Dabei war es so absurd! Wenn sie die Prüfung nicht bestand... Es war noch zu früh, sich auch nur ansatzweise an sie zu gewöhnen. Überhaupt zeugte es von Schwäche, etwas derartiges in Bezug auf andere Personen zu empfinden. Um nicht zu sagen, dass es dumm war. Leben konnten so schnell enden. Sephiroth war oft genug Zeuge und Grund eines Todes gewesen, um das mit Sicherheit sagen zu können. Es... lohnte sich einfach nicht. Am stärksten war man allein, auf sich selbst konzentriert, unabhängig und... ... und doch, dachte er, sitze ich hier und warte. Weil ich, wenn es mir möglich ist, niemanden zurücklasse. Wäre es ein andere Blue Wanderer gewesen – meine Handlungsweise hätte sich nicht geändert. Ich habe diesen hier ausgewählt, weil ich auf meinen Instinkt gehört habe, und der hat mich noch nie getäuscht oder in die Irre geführt. Aber all das hier... „Es ist meine Schuld“, murmelte er. Zack wandte den Kopf. „Was?“ „Es ist meine Schuld“, wiederholte Sephiroth. „Das alles hier.“ „Wie, um alles in der Welt, kommst du darauf?“ „Cutters jetziger Zustand... ich bin sicher, das Überqueren der schwarze Line war der Auslöser. Ich hätte mit Geryll über die schwarze Line sprechen müssen, gleich nachdem Cutter sie zum ersten Mal erwähnt hat. Aber ich habe die Lage falsch eingeschätzt, gezögert, habe mich ablenken lassen... und jetzt haben wir das Resultat. Ich habe als Vorgesetzter versagt und ein mir anvertrautes Leben in unnötige Gefahr gebracht.“ Er schüttelte den Kopf. „Das ist absolut unverzeihbar.“ Zack saß längst neben seinem besten Freund. So hatte er ihn noch nie sprechen hören. Es klang seltsam, und wenn man bedachte, von wem diese Worte kamen, wirkte es unwirklich. Beinahe gespenstisch. Ob ihm klar ist, dachte Zack, was er gerade tut? Dass er sich wirklich um einen anderen Menschen sorgt... Ich habe schon fast befürchtet, dieser Tag würde nie kommen... „Hey“, sagte er sanft und musste alle Selbstbeherrschung aufbringen, um den silberhaarigen General nicht in den Arm zu nehmen, „Cutter hat doch versucht, mit Geryll zu sprechen. Er hat sie vor der ganzen Klasse lächerlich gemacht und abgeblockt, statt ehrlich zu sein. Kein Lehrer sollte so handeln.“ „Aber...“ „Nein. Seph, hör mir zu.“ Zacks Stimme klang eindringlich. „Im Grunde haben wir keine Ahnung von den Lines. Wenn Schlüsselfiguren wie Geryll schweigen, sind wir machtlos. Wir könnten alle Lehrbücher auswendig lernen, aber wirklich verstehen würden wir es niemals. Manches Wissen dieser Welt ist Auserwählten vorbehalten.“ Ein völlig im Kontrast zu den grünen, kalten Augen stehendes lächeln flackerte über Sephiroths Gesicht. „Du kannst ja richtig weise sein. Diese Seite kannte ich bisher noch nicht an dir.“ Zack grinste. „Gewöhn dich besser nicht dran...“ Er sah auf, zum Eingang des Zeltes. Der Hund erwiderte seinen Blick und knurrte warnend. Zack verzog das Gesicht. „Ich habe Hunger. Lass uns den verdammten Köter grillen.“ Sephiroth schnaubte kurzfristig amüsiert. Aber sein Blick hing unverändert an den auch für ihn undurchdringlichen Wänden des Zeltes. Was auch immer in dessen Inneren vorging... er konnte nur hoffen, dass es hilfreich war. Eigentlich hätte das Innere des Zeltes in völliger Dunkelheit liegen müssen. Aber dem war nicht so. Silberne Dämmerung herrschte. Das sanfte Licht hatte seinen Ursprung in dem seltsamen Stab, der bewegungslos in den Händen der auf den Knien sitzenden Dschungelfrau lag, gerade so hoch erhoben, dass seine gedrehte Spitze kurz vor der Stirn des anderen Menschen vor sich innehielt, während das kürzere, abgerundete Ende nach unten zeigte. Ein weicher, gleichmäßiger Lichtpuls innerhalb des Stabes hatte sich mit der Atmung des ebenfalls am Boden sitzenden Mädchens synchronisiert, vielleicht war aber auch das genaue Gegenteil der Fall. In der Stille, die sowohl Leben als auch Tod hätte bedeuten können, kämpfte Schicksal mit Schicksal, und ging energisch gegen den tobenden Wahnsinn hinter der Stirn des Teenagers vor. Den Augen unter halb geschlossenen Lidern war zu entnehmen, dass das Mädchen außerstande war zu begreifen, was wirklich um sie herum vorging. Aber es fühlte keinen Schmerz, und wehrte sich daher nicht. Geduld. Die Frau wusste, nur darauf kam es jetzt an. Geduld und das Gespür für den richtigen Zeitpunkt. Und... ein bisschen Glück. Bis der vorteilhafteste Moment kam, konnte es Stunden dauern. Tage. Vielleicht sogar Wochen. Und so verhielt sie in der gewählten Position, unbeweglich, beobachtend, wartete auf ein Zeichen. Je höher der Sturz, desto sanfter musste man den Aufprall gestalten, sonst blieb nichts als die endgültige Zerstörung. Desweiteren war ein großes fallendes Objekt einfacher zu fangen als viele kleine Bruchstücke. Das von dem Stab ausgehende Licht durchdrang den vor sich befindlichen Körper mühelos, sickerte tiefer und tiefer, bis auf die mentale Ebene, suchte und fand Bruchstücke eines zersprengten Bewusstseins und versuchte vorsichtig, sie wieder an die richtige Stelle zu schieben. Einen weichen Untergrund für eine mögliche Landung zu schaffen. Manche Bruchstücke ließen sich leicht finden und an den ursprünglichen Platz befördern. Andere nicht. Licht sammelte sich in einem winzigen Punkt zwischen der Spitze des Stabes und der Stirn des Mädchens, wurde heller und heller. Augenlider erzitterten und schlossen sich dann einem uralten Reflex folgend langsam. Der Lichtpunkt gewann an Intensität, wurde gleißend... und schmolz schließlich wieder zu einem sanften glühen. Augenlider hoben sich langsam. Pupillen hinter irrem, jetzt aber flackernden Glanz versuchten, sich auf bis dahin unbemerkte Lichtverhältnisse einzustellen und fixierten sich schließlich auf den kleinen, aber unverzagt leuchtenden Punkt unmittelbar vor ihr. Der richtige Zeitpunkt... das war er. Und es hatte nur wenige Stunden gedauert. „Ich grüße dich, Kind.“ Ihre Stimme klang jetzt noch sanfter also vorher. „Und freue mich, dass du meine Einladung zu deiner Rückkehr empfangen hast. Ich würde dich gerne beim Namen nennen. Kannst du ihn mir sagen, Kind?“ Für einen Augenblick wurde das unheilvolle flackern im Blick des Teenagers stärker, dann fiel es wieder in sich zusammen, erweckte den Anschein von dumpfen, kräftesammelndem brodeln. Ein heftiges zittern huschte durch den Körper, dann, ohne den Blick von dem beruhigenden Licht vor ihr abzuwenden, kam eine Antwort. Rau und rissig. Aber eine Antwort. „Ich bin... kein... Kind.“ „Dann sage mir deinen Namen.“ „... Name ...?“ „Ja. Wie man dich nennt. Die Hülle deiner Identität. Alles Leben dieser Welt hat einen Namen, weißt du? Du bist keine Ausnahme.“ Der Lichtpunkt wurde ein klein wenig stärker. Die Suche war noch nicht abgeschlossen, und gerade jetzt war ein weiterer, kleiner Erfolg von größter Bedeutung.... Name... Identität... Das Mädchen schloss die Augen. Da war... etwas gewesen. Ein Klang. Eine bestimmte Reihenfolge von Buchstaben, tief mit ihr verwoben. Ein Ich. Silben... Es war... kein komplizierter Name gewesen. Eher kurz. Leicht zu merken. Aussprache und Schreibweise waren... nicht dieselbe. Drei... nein... zwei Silben. Der Klang war... war er nur weich oder hart gewesen? Er... Und dann, urplötzlich mit der Intensität und Flüchtigkeit eines jähen Blitzschlages am finsteren Nachthimmel... „... Cut... ter...“ Mit den Namen verbundene Erinnerungen stürmten mit der Wucht einer Sturmflut heran, wurden aber durch den noch nicht besiegten, sondern nur zurückgedrängten Wahnsinn aufgehalten. Der Name blieb allein in der herrschenden Leere. „Cutter.“ Die Frau lächelte. „Ein hübscher Name für einen hübschen Jungen.“ „... Mädchen...“ „Mädchen.“ Ein weiterer, kleiner Erfolg. „Verzeih, meine Augen sind nicht mehr die Besten. Kannst du die Hand ausstrecken, Cutter? Gut gemacht.“ Ein Becher, verziert mit rätselhaften Symbolen wechselte die Besitzerin. „Trink das, bitte.“ Ausgestattet mit einem Bewusstsein, das noch zu verschwommen war um das Fehlen einer Flüssigkeit im Becher zu erkennen, erfüllte Cutter die Bitte. Geschmack erfüllte ihrem Mund. Wie Blut und Honig. Fremd. Leicht. Aber sehr angenehm. Wärme folgte dem Getränk durch einen – den eigenen - Körper, an den sich der Teenager langsam wieder zu erinnern begann, und wurde letztendlich zu einem leichten, sie völlig ausfüllendem kribbeln. Langsam, sehr langsam schien auch das dumpfe Gefühl von Benommenheit in ihrem Kopf zu verblassen – wurde aber augenblicklich wieder zu rasendem Wahnsinn, als die Frau die Position des Stabes vorsichtig ein wenig änderte. Cutter wimmerte vor Entsetzen ohne die Zusammenhänge begreifen zu können. Aber eine Korrektur des Stabes sorgte augenblicklich wieder für einzigartige, kostbare Ruhe hinter ihrer Stirn. „Ja, es ist noch nicht vorbei. Ich kann dir nur ein wenig helfen. Kämpfen musst du selbst, und es wird ohne Zweifel die härteste Schlacht deines bisherigen Lebens. Wenn du aufgibst wird keine Macht der Welt dich je wieder retten können. Falls du, wie ich hoffe, die Kraft hast zu siegen, möchte ich dir etwas mit auf den Weg geben. Weißt du, was du bist, Cutter?“ „... in... Schwierigkeiten...“ „Durchaus, aber noch ist nicht alles verloren. Das jedoch meinte ich nicht. Sondern deine speziellen Fähigkeiten, zu sehen, was anderen verborgen bleibt.“ „... Blue... Wanderer...“ Ein leichtes nicken. „Die Welt der Lines. Auch mir ist es möglich, sie zu bewandern, wenn auch anders als du. Weißt du, was die Lines darstellen? Den direkten Kommunikationsweg zwischen dem Planeten und seiner Oberfläche, noch durch den Lebensstrom hindurch. Dieser Planet ist sehr interessiert daran, zu wissen, was auf ihm vorgeht. Daher besitzt jeder Gegenstand und jedes Lebewesen eine Line. Aber Menschen wie dir und mir... fehlt die direkte Verbindung zu dem Planeten. Wir haben keine eigene Line. Und deshalb können wir alle anderen sehen und lesen, wie der Planet sie wahrnimmt und liest. Das bedeutet aber nicht, dass ihm unsere Existenz verborgen bleibt, oder wir fehlerhaft sind, oh nein. Er weiß von uns, und er gestaltet nichts ohne Grund, auch, wenn er diesen vor uns geheim hält. Kannst du mir bis hierher folgen?“ Cutter nickte langsam. Keine eigene Line... Das erklärte vieles. Aber noch nicht, wie sie in diesen seltsamen Zustand zwischen Wahnsinn und Normalität geraten war. Oder wie sie ihn besiegen konnte. „Darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen.“ Die Frau schien ihre mühsam formulierten Gedanken gespürt zu haben und ging direkt darauf ein. „Alle Lines mit denen du bisher zu tun hattest, gehörten zu von Menschen erschaffenen Gegenständen ohne eigenen Willen, oder zur Natur. Sie sind nahezu ungefährlich. Du aber hast jetzt eine schwarze Line – die Grenze zwischen zwei unterschiedlichen Abschnitten – überquert, und bist zu den Lines der Menschen vorgedrungen.“ Um jemandem zu helfen, fügte sie in Gedanken hinzu, den du sehr magst, und ich weiß, er ist wirklich etwas ganz Besonderes. Er ist sogar noch außergewöhnlicher, als es ihm selbst bewusst ist... „Aber diese Lines“, fuhr sie leise fort, „sind anders. Seelen wohnen in ihnen. Und ein freier Wille. Es gibt... zu viele Möglichkeiten, verstehst du? Dein Geist ist damit überfordert und verfällt dem Wahnsinn. Um das zu verhindern brauchst du eine Art roten Faden, der dir hilft, dich zielsicher in diesen Lines zu bewegen und einen ungefährlichen Rückweg zu finden. Du benötigst einen mentalen Fokus in der normalen Welt. Nur ein mentaler Fokus ist in der Lage, deinen Geist sicher aus den Lines der Menschen zurück in deinen Körper zu bringen. Er ist der Anker deiner Seele.“ „... mentaler... Fokus“, murmelte Cutter, bemüht, all die neuen Informationen richtig zu verstehen und zu behalten, aber schon nahe an der Grenze zur Überlastung. „Ja. Ich kann dir nicht sagen, was er genau für dich ist. Das weißt nur du selbst. Er verbirgt sich irgendwo innerhalb deines Universums. Wenn du die Lines der Menschen dauerhaft erforschen möchtest, musst du erst deinen mentalen Fokus finden. Und du hast du nur einen Versuch. Schlägt er fehl, wirst du bis zu deinem Lebensende dem Wahnsinn verfallen. Hast du das verstanden?“ Cutter nickte mühsam. Jetzt erst realisierte sie, dass die Distanz zwischen der Spitze des Stabes zu ihrer Stirn im Laufe des Gespräches wesentlich größer geworden war. Und... sie konnte den Wahnsinn spüren. Von allen Seiten kam er herangeprescht, aber die Metapher ihrer gesamten Identität, ihr Name, schien das glühen des jetzt verblassten Lichtpunktes angenommen zu haben, und leuchtete in ihrem Kopf mit aller Kraft gegen die unheilvolle Schwärze des Wahnsinns an. Von einem Sieg war sie noch weit entfernt. Der Kampf ging lediglich in die nächste Runde. Zeit konnte sehr launisch sein. Hatte man viel zu tun, lief sie einem davon. War man zum warten verdammt, wurden aus Sekunden endlose Stunden. Zack beschäftigte sich mit langsamen hin- und herlaufen und warf hin und wieder einen Blick zu Sephiroth. Dieser schien, immer noch auf dem Baumstamm sitzend, eingeschlafen zu sein. Aus den Kronen der gewaltigen Bäume tropfte Dämmerung zu Boden, schien den Urwald langsam aufzufüllen... Die Zeltklappe öffnete sich, und gemessen an der Schnelligkeit, mit der Sephiroths Kopf nach oben ruckte, hatte er keinesfalls geschlafen. Die Frau trat nach draußen... und Cutter folgte ihr. Langsam, als koste jede Bewegung endlose Mühe. Der Ausdruck in ihren Augen flackerte zwischen Wahnsinn und Normalität hin und her und fand weder bei dem einen, noch dem anderen Frieden. Ansonsten sah der Teenager furchtbar aus. Getrockneter Schlamm am ganzen Körper. In ihrem Oberschenkel steckte, umgeben von zerrissenem Stoff, immer noch das abgebrochene Stück Holz, auch die tiefen Kratzspuren an ihrem Hals waren mit Dreck und getrocknetem Blut bedeckt. Ihr Gesicht hatte unterhalb des Schmutzes die Farbe von frisch gefallenem Schnee. Weit oberhalb des grünen Dschungeldaches begann es zu regnen, und es dauerte nicht lange, ehe die ersten Tropfen den Boden erreichten. Cutter zuckte zusammen, als sie einer der Tropfen traf, dann hob sie langsam den Kopf, suchend. Und als würde der Himmel antworten, fand immer mehr Wasser seinen Weg zu ihr. Cutter entledigte sich mühsam der Schutzweste, ließ sie zu Boden fallen.... Kleidungsstück um Kleidungsstück folgte, bis sie nur noch die Unterwäsche von völliger Nacktheit trennte. Erst dann hielt sie inne, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Regen fiel. „Ihre mentalen Verletzungen“, hörte Sephiroth es leise neben sich sagen und wandte den Kopf, sah in Augen, die alt waren, vielleicht älter als der ganze Dschungel oder sogar noch älter, „sind schwer und sehr tief. Aber der Wille dieses Mädchens ist stark und gesund. Ruhe und Zeit werden also zeigen, ob sie die von mir gebaute Brücke überqueren und zu euch zurückkommen kann. Benutzt keine Magie. Und erwarte nicht zuviel, General Sephiroth Crescent.“ „Wer bist du?“ „Das ist unwichtig.“ Sie wandte den Kopf zu dem immer noch bewegungslos im Regen stehenden Teenager. „Du magst eines der großen Fluggeräte rufen, das euch von hier wegbringt.“ Sephiroth wandte sich um. „Zack, He...“ Aber der 1st war schon dabei, die notwendigen Daten weiterzuleiten. „Wird sie...“ Doch der Platz neben dem General war leer. Als habe der Regen die seltsame Frau fortgespült. Und Sephiroth begriff, dass es nichts mehr zu sagen gab. Behutsam näherte er sich dem wie erstarrten und mittlerweile tropfnassen Mädchen. „Cutter.“ Seine Stimme klang sehr sanft. Der Teenager öffnete die Augen nicht. Aber sie setzte sich in Bewegung, kam langsam auf ihn zu... und ließ mit einer zu Tode erschöpften Bewegung ihren Kopf an seinen Oberkörper sinken. Sephiroth zögerte nicht, sondern hob sie einfach hoch, brachte ihren Kopf an seinem Brustkorb zum liegen, konnte unregelmäßigen, kalten Atem und holprigen Herzschlag wahrnehmen. Ansonsten fühlte sich der Körper in seinen Armen nass und eisig an. Kein Vergleich zu der Hitze, die von ihr ausgegangen war, nachdem er sie zum ersten Mal aufgefangen hatte... Die Katastrophe war noch lange nicht überwunden. Bis zum Eintreffen des Helikopters schien eine Ewigkeit zu vergehen, aber glücklicherweise war die Lichtung gerade groß genug, um ihn landen zu lassen. An Bord kümmerte sich Sephiroth um Cutters Verletzung, umwickelte die nach dem entfernen des Holzstückes wieder heftig blutende Wunde mit einem Verband und überließ es Zack, den Teenager in eine der standartgemäß im Hubschrauber mitgeführten Decken zu hüllen und eine einigermaßen bequeme Position auf den Sitzen der Maschine zu finden. Letztendlich lag das Mädchen lang ausgestreckt da, den Kopf auf Zacks Knien. Seine Hand verweilte auf ihrer Schulter, mit der anderen streichelte er vorsichtig über die nassen Haare. Der General konnte hören, wie er mit Cutter sprach, leise und beruhigend, ungeachtet der fehlenden Antworten. Die Augen des Teenagers waren geschlossen und sie zitterte heftig. Aber sie lebte. Noch. Der Black Hawk Helikopter gewann an Höhe und jagte dann dem ShinRa HQ mit Höchstgeschwindigkeit entgegen. „Das ist Ihr Werk!“ Azrael stutzte hinsichtlich des Tonfalls. Er kannte Zack nur gut gelaunt. Davon war jetzt nichts mehr zu spüren. Der 1st stand auf dem hellerleuchteten Flur der Intensivstation und wies mit dem Kopf in Richtung des Zimmers vor sich. Befehl oder Einladung? Azrael sah durch die Scheibe. Blinkende, piepsende Maschinen. Bunte Lichter. Infusionsbeutel. Mindestens ein Arzt und drei Schwestern umringten ein Bett, in dem eine winzig wirkende Person lag. „Cutter?“ flüsterte Azrael. Seine Müdigkeit wich eisigem Schrecken. Vor wenigen Minuten erst war er vom klingeln des Telefons aus dem Schlaf gerissen und hierher bestellt worden, ohne Angaben von Gründen oder Namen. Jetzt kannte er beides. Hilfesuchend wandte er sich an Zack. „Was...“ „Geryll!“ Azrael wandte den Kopf. Sephiroth war lautlos direkt hinter ihm aufgetaucht. „In mein Büro!“ Die beiden Männer legten den Weg in absolutem Schweigen zurück, und Azrael versuchte sich mental auf die kommenden Ereignisse vorzubereiten, was sich hinsichtlich der mangelnden Informationen als äußerst schwierig herausstellte. Als sie das Büro erreichten und der General hinter seinem Schreibtisch Platz nahm, fühlte sich Azrael dem unmittelbar bevorstehenden Gespräch weder gewappnet, noch gewachsen. Sephiroth kam direkt auf den Punkt. „Was ist die schwarze Line!“ Es war keine Frage und glich dem Blick in den Lauf einer geladenen Waffe. „Cutter hat Ihnen also davon erzählt, Sir, sie...“ Erkenntnis setzte, einem heftigen Schlag gleich, ein. „Cutter ist über die schwarze Line gegangen?!“ Pures Entsetzen beherrschte jedes Wort. „Oh nein... “ „Geryll!“ Nur ein flüstern. Azrael riss sich zusammen so gut es ging. „Die schwarze Line ist...“ Er verstummte, suchte nach Worten, scheiterte, setzte erneut an... „Eine Grenze!“ Die Kälte in Sephiroths Stimme hätte die Sonne erstarren lassen können. „Sie trennt die Lines der Gegenstände von denen der Menschen!“ Der Mann vor dem Schreibtisch konnte nur schweigend nicken. „Und Sie haben es nicht für nötig befunden, Ihre Schülerinnen darüber aufzuklären, weder im Unterricht, noch in einem Ihrer Bücher. Lerya Zelgral!“ Es war Sephiroth auf dem Flug ins HQ klar geworden, als er sich immer und immer wieder gefragt hatte, warum Geryll stets nur Bücher einer bestimmten Autorin als Lehrmaterial verwendete. Irgendwann hatte er angefangen, die Buchstaben durcheinander zu würfeln. Jetzt stand Azrael einfach nur da, schweigend, enttarnt, schockiert, sah hinüber zu dem silbernen, göttlichen Dämon, der mit Worten ebenso gut umgehen konnte wie mit einer Schwertklinge, und der eben eines seiner größten Geheimnisse aufgedeckt hatte. Azrael schluckte, und als er sprach, klang seine Stimme belegt. „Wie lange wissen Sie es schon, Sir?“ „Warum ging Cutter über die schwarze Line und wurde wahnsinnig!“ Es war also geschehen. Wieder. Es gab Ereignisse auf dieser Welt, die ihren Schrecken für immer behalten würden, völlig gleichgültig, ob es sich dabei um das erste oder das hundertste Mal handelte. Azrael spürte ein schweres zittern in den Beinen, als würden sie gleich ihren Dienst quittieren und ihn zu Boden stürzen lassen. „Darf ich mich setzen, Sir?“ „Nein.“ Azrael holte tief Luft. „Die schwarze Line ist... ein... vielleicht das größte Mysterium innerhalb der Lines. Sie... lässt sich weder gezielt finden, noch zuordnen, sie... taucht einfach auf, und ihr folgen die 2nd Lines, die der Menschen. Ansonsten ist es, wie sie sagen, Sir. Sie stellt eine Grenze zwischen zwei Ebenen innerhalb der Lines dar.“ „Eine Grenze, Geryll? Wie viele von der Sorte gibt es innerhalb der Lines?!“ „Das weiß niemand, Sir. Die mir bekannten Fälle – und ich bin mir sicher, dass ich alle, die es je versucht haben, kenne - kamen aus den 2nd Lines zurück, begannen zu erzählen und verloren ihr Ich innerhalb einer einzigen Sekunde.“ „Sie wurden alle wahnsinnig?“ „Ausnahmslos und unwiderruflich. Als ob die schwarze Line dies als Tribut nehmen würde. Es gibt eine... stumme Vereinbarung zwischen uns Autoren, Sir. Niemals über die schwarze Line zu schreiben. Wir wollen nicht riskieren, dass noch mehr...“ „Es hätte einer weniger sein können, wenn Sie vernünftig mit ihr gesprochen hätten, statt sie vor der ganzen Klasse lächerlich zu machen!“ „Sir, das tut mir aufrichtig leid, ich hatte gehofft...“ Sephiroth unterbrach ihn mit einer einzelnen, beherrschenden Handbewegung. Was er wissen wollte, wusste er nun, wenn auch zu spät. Ihm war nicht nach Ausreden oder Entschuldigungen. Nicht mal von seiner eigenen Seite aus. Er warf Azrael hinaus und holte tief Luft. Zum warten verdammt. Nichts, nicht einmal die Besuche im Labor, hasste Sephiroth so sehr wie das. Und worauf warten? Wenn Cutter aufwachte, würde sie... Die seltsame Frau im Dschungel fiel ihm wieder ein. Hatte sie nicht von einer Brücke gesprochen? War der Teenager nicht wesentlich ruhiger gewesen? Erschöpft, ja, mit einem Blick, der sich nicht deuten ließ, aber definitiv... anders als vorher. Gab es wirklich noch Hoffnung? Die Tür des Büros öffnete sich und ein entrüsteter Zack stürmte herein. „Sie haben mich rausgeworfen“, schimpfte er. „Die Patientin braucht Ruhe – und mich haben sie einfach rausgeworfen! Seph, ich will bei ihr bleiben! Ich...“ „Zack.“ Sephiroths Stimme klang tief und dunkel. „Ich habe keine guten Nachrichten.“ Die nächsten Tage zogen sich schleppend und schwerfällig dahin, auch, wenn das übliche Leben im ShinRa HQ durch die Auswirkungen der zurückliegenden Geschehnisse nicht das geringste bisschen an Routine verlor. Sofern es ihm möglich war, besuchte Zack den Teenager jeden Tag. Ihre Werte stabilisierten sich zwar, immer mehr Maschinen wurden entfernt, und nach einigen Tagen verlegte man sie in ein helles Einzelzimmer. Am Zustand ihrer tiefen Bewusstlosigkeit jedoch änderte sich nichts. „Und wenn sie so bleibt?“ Sorge verschattete die sonst so heitere Stimme. „Wenn sie für den Rest ihres Lebens...“ Zack verstummte. Auf einen erhofften Einwand wartete er allerdings vergeblich. Sephiroth thronte hinter seinem Schreibtisch und arbeitete mit derselben brutalen Effizienz wie gewohnt. „Und nur noch knapp 6 Wochen bis zu den Prüfungen.“ Zack seufzte und schüttelte den Kopf. Cutters Klassenkameradinnen unterstützten seit einigen Tagen die Sicherheitspatrouillen durch die Stadt, und ihre Arbeit wurde als sehr positiv bewertet. Übungen, die auch für Cutter mit Sicherheit hilfreich gewesen wären. Aber in ihrem Zustand... Unmöglich. Sephiroth, vertieft in seine Arbeit, reagierte mit keiner Bewegung. „Sag mal, Seph...“ Zack gab sich keine Mühe, seinen Ärger zu unterdrücken, „ist dir egal, was aus Cutter-chan wird?! Glaubst du, bloß weil du ihr dieses Einzelzimmer verschafft hast...“ „Vorsicht, Zackary!“ „Bei allem nötigen Respekt, General, aber du kümmerst dich einen feuchten Dreck um sie! Unter anderem deinetwegen befindet sie sich in diesem Zustand. Du könntest wenigstens...“ „Du sagst es“, unterbrach Sephiroth. „Unter anderem! Kampfhandlungen fordern Opfer. Das ist tragisch, aber unabänderlich. Akzeptier es einfach und lerne, damit zu leben.“ Diese Kälte! Zack starrte zu dem General hinüber und spürte tief in sich wütendes Feuer lodern. Sephiroth mochte mit der Aussage über Opfer recht haben. Das hier war das Militär, kein Streichelzoo. Aber so zu tun, als sei Cutter... irgendjemand... Dabei hatte er sich Sorgen um sie gemacht, jawohl! Sich jetzt zu verhalten, als sei es nie so gewesen... Das Feuer in Zack schwoll an, und für einen Moment wollte er ihm Tür und Tor öffnen, auf dass es alles verbrennen möge... Dann legte er einen weiteren Riegel vor die erlösende Freiheit. Feuer dieser Art, das hatte er oft genug erlebt, nährte Sephiroths Kälte nur noch. Und so stand er einfach auf und verließ das Büro, allerdings nicht ohne als deutliches Zeichen seiner Wut die Türen hinter sich sehr heftig zuzuknallen. „Er ist so ein Idiot!“ Der Teenager vor ihm schien trotz ihres Schlafes aufmerksam zu lauschen. „Sei ihm nicht böse, ok? Ich weiß, er... er kann einfach nicht anders.“ Zack seufzte leise. „Ach Cutter-chan... komm bitte bald wieder zurück. Es ist... so seltsam ohne dich.“ Aber sein Wunsch blieb bis auf weiteres unerhört, und Zeit verstrich unaufhaltsam. Bis zu den Prüfungen waren es nur noch 4 Wochen, als sich Sephiroth entschloss, das Problem selbst in die Hand zu nehmen und das Zimmer auf der Krankenstation aufsuchte. „BW Kadettin Cutter Tzimmek!“ Die vielfach bewährte Schlachtfeld Kommandostimme. „ShinRa hat nicht jahrelang Zeit und Geld in dich investiert, um jetzt tatenlos mit anzusehen, wie du die Prüfungen verschläfst! Wach auf! Das ist ein Befehl!“ Albern. Die ganze Situation war so albern. Und absurd. Einer Bewusstlosen einen Befehl zu erteilen. Es war nicht einmal abzusehen, wie sie aufwachen würde. Vielleicht war dieser Zustand der Beste? Sephiroth ließ sich auf dem Stuhl am Bett nieder. „Cutter, kannst du mich hören?“ Seine Stimme hatte Ähnlichkeit mit dem durch die Jalousien sickernden Sonnenlicht. „Du hast nicht härter als alle anderen gekämpft, um so kurz vorm Ziel aufzugeben. Das wäre wie Verrat an dir selbst. Lauf jetzt nicht weg. Es lohnt sich einfach nicht mehr. Wach auf!“ Natürlich erhielt er auch darauf keine Reaktion, und akzeptierte es mit einem leisen seufzen. Situationen, in denen mir die Hände gebunden sind und ich nur zusehen kann, sind... für mich kein häufiges Erlebnis. Ich bin... nicht dafür geschaffen. Aber du bringst mich – mich! - immer wieder genau dorthin, oder wenigstens an den Rand. Du bist... bist du nun eine Gefahr für mich oder nicht? Wenn ich es nur mit Sicherheit sagen könnte... Vielleicht war es die Wärme im Zimmer, oder die Ruhe, oder die Tatsache, dass er in letzter Zeit nur schlecht und wenig geschlafen hatte, aber mit einem Mal fühlte sich Sephiroth sehr müde. Nur einen Moment, dachte er und schloss die Augen. Er konnte nicht sagen, ob nur Sekunden oder Minuten vergangen waren als er wieder erwachte. Aber sein erster Blick galt dem Teenager. Nichts hatte sich verändert. Narr, dachte Sephiroth. Anzunehmen, ein paar Worte würden ein Wunder bewirken... Er lehnte sich zurück... wollte sich zurücklehnen... leichter Wiederstand an einer unerwarteten Stelle... und Sephiroth erstarrte. Es traf zu. Am Gesicht des Teenagers hatte sich nichts verändert. Aber durch ihre sacht geschlossene Hand flossen Strähnen seines silbernen Haares. Sie musste... danach gegriffen haben. „Cutter?“ fragte Sephiroth leise und so behutsam wie es ihm möglich war. Einen Moment lang geschah gar nichts. Dann öffneten sich langsam die Augen des Teenagers. Kapitel 18: Flammenhölle ------------------------ „Cutter?“ fragte Sephiroth abermals, sanft, jedoch darauf gefasst, den Teenager im nächsten Moment daran zu hindern, sich auf irgendeine Art und Weise abermals zu verletzen. Auch, wenn ein positives Ende den Worten der Dschungelfrau nach möglich wäre, es fiel ihm schwer, daran zu glauben. Der Wahnsinn besaß so viele unterschiedliche Varianten und Stärken... Der General hatte von Fällen gehört, in denen eine Heilung – angeblich - geglückt sei, aber in seine Hände waren niemals glaubhafte Schriftlichkeiten gelangt. Andererseits... es war ihm nicht möglich zu beurteilen, was innerhalb des Zeltes vorgegangen war. Cutters Verhalten nach Verlassen desselbigen war zwar ruhiger und nachvollziehbarer gewesen, aber... Nein. Die Zeit für Gedankenspiele war vorbei. Die nächste Reaktion würde über alles Klarheit bringen. Eben wandte Cutter langsam den Kopf in seine Richtung. Verwunderung beherrschte ihren Blick, wuchs an, verblasste schließlich und... brachte ein noch halb schlafendes lächeln zur Welt. „Hallo...“ Die Stimme war nur ein flüstern. „... Sephiroth.“ Diesmal gelang es dem General nur mit Mühe, seine Überraschung zu verbergen. Seine Betonung jedoch verriet nichts davon. „Du erinnerst dich an mich.“ Kaum hörbares lachen, wie weit aus der Ferne. „Wie könnte ich dich vergessen?“ Sie blinzelte mühsam. „Krankenstation im HQ?“ Als er nickte, fuhr sie auf dieselbe Art und Weise zu sprechen fort. „Azrael!“ Sephiroth lehnte höflich aber bestimmt ab. Der Teenager war eben erst aus dem Koma erwacht, das Gespräch würde mit Sicherheit schwierig werden, und er wollte sie nicht überfordern. Für einen Moment sah es aus, als wolle Cutter protestieren. Dann jedoch sah sie ein, dass er Recht hatte und nickte. Ihr Kopf fühlte sich immer noch ein wenig an, als sei er mit rosafarbener Zuckerwatte gefüllt, und was die Schnelligkeit ihrer Gedanken anging... Zuckerwatte konnte überhaupt nicht denken. Mit Sicherheit würde das Gespräch mit Azrael zu einem anderen Zeitpunkt mehr Sinn ergeben. Eine Frage allerdings musste sie einfach stellen. „Was ist passiert? Ich... kann mich nur lückenhaft erinnern.“ Da waren... Scherben und Splitter in ihrem Kopf gewesen, Schmerz, das Gefühl unaufhaltsam zu fallen... und eine Stimme so sanft wie niedersinkende Federn, umgeben von einem seltsam beruhigenden, sachte auffangenden Licht... „Du wurdest gerettet“, lautete die schlichte, unkomplizierte Antwort. Cutter nickte schweigend. Noch gelang es ihr nicht, alle langsam in ihrem Kopf erscheinenden Puzzlestücke der Vergangenheit richtig zusammenzufügen, aber das würde sich bestimmt bald ändern. Müdigkeit begann erneut in ihr aufzusteigen, und das Mädchen kämpfte dagegen an, den Blick unverwandt auf Sephiroth gerichtet. Ich hätte niemals damit gerechnet, irgendwann aufzuwachen und als erstes dich zu sehen... Das ist... Ich bin so... Danke. Sephiroth wartete bis sie wieder eingeschlafen war, ehe er das Zimmer verließ um die für diese Station zuständigen Person über den aktuellen Stand der Dinge zu informieren, und (da er dem Frieden nicht traute, schließlich war Cutter kurz bevor der Wahnsinn zugeschlagen hatte, auch völlig klar gewesen) gab Anweisung, stündlich nach ihr zu sehen. Auf dem Weg zu einem weiteren Termin informierte er den sich zur Zeit auf einer Mission befindenden Zack via SMS, wissend, dass dieser ihm ansonsten bis ans Ende seiner Dienstzeit Vorwürfe machen würde, und Sephiroth war nicht nach noch mehr sinnlosen Diskussionen. Seine Nachricht war kurz, aber verständlich, und er löschte die daraufhin folgenden 6 SMS von Zack ohne sie gelesen oder gar geantwortet zu haben. Azrael ebenfalls zu informieren erschien ihm noch zu früh. Der eben entwickelte Plan sah vor, den Lehrer der Blue Wanderer kurzfristig über die Entwicklung der Dinge zu informieren, und das von Cutter erbetene Gespräch unmittelbar danach durchzuführen. Selbiges geschah schon am nächsten Tag. Sephiroth blieb währenddessen anwesend und verglich die Antworten Gerylls mit den bereits von ihm erhaltenen. Sie stimmten überein. Cutter indessen erwähnte weder ihre seltsame Retterin, noch, was im Inneren des Zeltes vorgefallen war, und Sephiroth beschloss, sie nicht danach zu fragen. Ganz offensichtlich sollte es ein persönliches Blue Wanderer Geheimnis bleiben – und das respektierte er. Es dauerte fast zwei Stunden, ehe er und Geryll das Krankenzimmer wieder verließen. „Ich fass es nicht!“ Azrael gab sich nicht einmal Mühe, Erleichterung und Verblüffung zu unterdrücken. „Sie scheint völlig in Ordnung zu sein. Sie erinnert sich... an alles!“ „Nicht Ihr Verdienst“, dämpfte Sephiroth, fügte in Gedanken hinzu `Ebenso wenig wie meiner´ und dachte abermals an die Frau im Dschungel, auf deren Konto Cutters Rettung ganz einwandfrei ging. Wer war sie? Woher war sie gekommen? Und wohin gegangen? War ihr auftauchen wirklich nur Zufall gewesen? Der General glaubte nicht an Zufälle. Aber er war auch nicht bereit, sich auf wilde Spekulationen einzulassen. „Wie hoch ist die Gefahr eines Rückfalls?“ „Ich weiß es nicht.“ Azrael schüttelte den Kopf. „General, diese ganze Situation hier ist absolut einmalig. Niemals zuvor hat es jemand geschafft, die 2nd Lines mit klarem Bewusstsein zu verlassen.“ Sephiroth verschwendete keine Sekunde an die Überlegung, seine vorher getroffene Meinung bezüglich dieses Geheimnisses zu ändern. Cutters schweigen war mehr als deutlich gewesen. Sieht so aus, als teilen wir uns schon wieder ein Geheimnis, BW Kadettin Tzimmek... Warum nur habe ich das Gefühl, als würden dem weiter folgen? Langsam setzte er sich in Bewegung und Azrael folgte ihm. „General, Sir, Sie haben mir noch nicht mitgeteilt, welche Konsequenzen mich erwarten.“ Jetzt, wo Cutter aufgewacht war, musste er sich seinem Fehler stellen, und Sephiroth hatte noch nicht mit ihm darüber gesprochen. Mit dem Schlimmsten rechnend wartete er auf die Entscheidung. Selbige fiel erwartungsgemäß sachlich aus. „Wäre... wäre das alles, Sir?“ erkundigte sich Azrael. Der General hatte ihn nicht wie befürchtet entlassen, sondern lediglich angeordnet, Cutter bei der zu erwartenden Recherche mit voller Kraft zu unterstützen, in aller Deutlichkeit auf die Gefahren der schwarzen Line hinzuweisen, sollte er je wieder von einer der ihm anvertrauten Personen darauf angesprochen werden, und des weiteren auch in allen zukünftigen Büchern von „Lerya Zelgral“ Stillschweigen über dieses gefährliche Phänomen zu wahren. „Von meiner Seit aus, ja“, beantwortete Sephiroth die Frage. Lautlos fügte er hinzu: denn auch ich habe die Situation unterschätzt. Und ich kann andere unmöglich für denselben Fehler schwerer bestrafen als mich selbst. Was Cutter anging... Es war nicht ihre Art, mit Wissen zu prahlen. Sie würde dieses Abenteuer für sich behalten. Gemeinsam mit Geryll bog er um eine Kurve, und der sich ihnen dahinter bietende, höchst amüsante Anblick bewog beide Männer dazu, augenblicklich stehen zu bleiben. 1st Class SOLDIER Zack Fair kam strahlend über den Flur in Richtung Krankenhausübergang gestiefelt. In seinen Händen hielt er den größten Eisbecher, den Sephiroth jemals gesehen hatte. Ganz offensichtlich bekam Cutter Besuch. Zur großen Erleichterung aller in den Fall involvierten gab es keinen Rückfall in den Wahnsinn. Die Anspannung legte sich, und als Cutter nach wenigen weiteren Tagen entlassen wurde und unter Azraels Aufsicht vorsichtig wieder in die Lines ging, taten sich keine Probleme auf. Es schien, als hätte die Begegnung mit der schwarzen Line nie stattgefunden. Jetzt setzte der Teenager alles daran, den versäumten Stoff nachzuholen – und zu recherchieren. Irgendwo musste es doch mehr Informationen über die schwarze Line und 2nd Lines geben! Aber auch Azraels volle Unterstützung brachte sie nicht weiter. Alles Wissen hätte auch nach intensivster Recherche auf eine halbe DIN A 4 Seite gepasst, und Cutter wusste nicht, ob sie enttäuscht oder entsetzt sein sollte. „Vergiss es einfach“, versuchte Zack als einer der wenigen Eingeweihten zu trösten und knuddelte den Teenager. „Sei froh, dass du heil zurückgekommen bist.“ Aber trotz ihrer großen Dankbarkeit dafür - Cutter konnte nicht. Die hinter ihr liegenden Erlebnisse trieben sie ruhelos vorwärts, aber sie waren Nichts im Vergleich zu allem, was bis zu den Prüfungen noch vor ihr liegen sollte. Es hatte als abendliche Routinepatrouille in den Slums begonnen und endete in einem Feuer, dessen überwältigende Hitze atmen selbst in Hundert Metern Entfernung kaum möglich machte. Das prasseln der Flammen erfüllte die Luft wie Hohngelächter auf die wirkungslosen Löschversuche. Cutter stand in einigermaßen sicherer Distanz zu all der Hitze, die Hände zu Fäusten geballt, und starrte in den rotglühenden Eingang. Ein Waffendepot unter einem Kinderheim anzulegen war schon unverzeihlich, aber dieses Depot in die Luft zu jagen während SOLDIER die Kellerräume untersuchten und sich in den oberen Räumen friedlich schlafende Kinder und Aufsichtspersonal befanden, war absolut gewissenlos von den Rebellen gewesen. Sephiroth hatte sofort neue Befehle erteilt, und jetzt versuchten die SOLDIER aus der Flammenhölle so viele Leben zu retten wie möglich. Dank des Makos kamen sie mit Rauch und Hitze wesentlich besser zurecht, als es je ein Zivilist vermocht hätte, aber langsam näherten auch sie sich ihren Grenzen. Eben tauchte wieder eine große Gestalt aus den Flammen auf, und Cutter erkannte mit Erleichterung, dass es Sephiroth war. Der General setzte zwei kleine verängstigte Kinder bei den schon geretteten ab und wandte sich an eine der Erzieherinnen. „Wie viele fehlen noch?“ Er musste förmlich schreien um das fauchen des Feuers zu übertönen. „Ein Mädchen. Jilly!“ In den Augen der Frau standen Tränen, während sie die beiden Neuankömmlinge an sich drückte. „Etwa diese Größe, zierlich mit blonden Haaren... Sie ist erst 2 Jahre alt, Sir...“ Cutters Atem stockte vor Entsetzen. Noch so klein... Vielleicht wäre ich in der Lage, sie zu finden. Wenn ich nur... „Wir finden sie.“ Sephiroth aktivierte sein Headphone und gab die Nachricht an alle Missionsteilnehmer weiter, ehe er Cutter mittels eines einzigen scharfen Blickes instinktiv jegliche Einmischung untersagte und sich entschlossen wieder dem brennenden Gebäude näherte. Urplötzlich erfüllte ein neues, den Boden erzittern lassendes Geräusch die Luft. Flammen schossen meterweit aus dem Eingang wie eine gierig leckende Zunge. Ein SOLDIER taumelte aus der rotglühenden Hölle und fiel nach Atem ringend neben Sephiroth auf alle viere. „Die Treppe ist zusammengestürzt, Sir. Die oberen Stockwerke sind somit absolut unerreichbar, es...“ Irgendetwas krachte polternd nach unten und versperrte den Eingang in das tobende Inferno unwiderruflich. „Sir“, röchelte der SOLDIER, „Zack ist noch drin!“ Sephiroth half dem Mann wieder auf die Beine und trat auf den Eingang zu, griff nach Masamune, entschlossen, sich einen Weg zu bahnen... und ließ die Waffe wieder sinken. Er wusste nicht, wo genau Zack war, das Gebäude brannte und stand, den Geräuschen zufolge kurz davor, endgültig einzustürzen. Jede unüberlegte Bewegung konnte den Vorgang beschleunigen... Der General aktivierte sein Headphone und versuchte, Kontakt mit dem 1st aufzunehmen, aber nur Stille antwortete ihm, erforderte eine sofortige Strategieänderung. „Cutter!“ „Ich bin dran, ich bin dran! Aber dieses Feuer ist so stark, dass es alle anderen Lines überdeckt, ich... ich kann Zack nicht orten, weder mit der Schwertline, noch mit der des Headphones oder der Kleidung... Ich habe nur die Feuerline vor mir!“ Und die schwarze Line. Knapp unterhalb der des Feuers. Ihr Puls dumpf und dunkel, beherrschend und lockend zeitgleich. Sie wartete. Unter ihr zeichneten sich verschwommen und unscharf die Welt der 2nd Lines ab. Irgendwo dort war auch Zacks Line. Die einzig mögliche Rettung. Aber der dazu führende Weg... Die sanfte Stimme ihrer Retterin erklang in Cutters Erinnerung. „Du benötigst einen mentalen Fokus in der normalen Welt. Nur ein mentaler Fokus ist in der Lage, deinen Geist sicher aus den Lines der Menschen zurück in deinen Körper zu bringen. Er ist der Anker deiner Seele.“ Der Anker meiner Seele, dachte Cutter. Die bedeutungsvollste Sache meiner Welt... Aber meine Welt ist so klein und hat kaum Beständigkeiten! Was, wenn mir dieser mentale Fokus noch nicht begegnet ist? Und wenn es ihn schon gibt... Woher soll ich wissen, was stark genug ist, um mich zu beschützen? Oder wer? Beschützen... dieses Wort erzeugte ein heftiges Echo, weckte eine Erinnerung. „Wir sind ein Team. Wir helfen und beschützen uns gegenseitig, wenn die Situation es erfordert...“ Ja. So waren Sephiroths Worte gewesen. Das und noch so vieles mehr hatte aus den tanzenden Schatten im Herzen des Teenagers etwas neues, noch nie da gewesenes geformt. Vertrauen. In sich selbst. In andere. Und Sephiroth selbst war... War er, trotz all der Kühle und Distanziertheit, die nur in seltenen, flüchtigen Momenten dünne Risse aufwiesen, nicht wie ein starker Anker? Cutter mochte ihn. Sehr. Sei ehrlich, dachte sie. Du bist in ihn verliebt. Aber reichte das aus? Eine wilde Mischung aus Verzweiflung und Hoffnung in sich tragend, sah sie zu dem mittlerweile neben ihr stehenden und vom Licht des tanzenden Feuers überströmten Sephiroth auf. Kann es wirklich sein, dass du... „Ich weiß es nicht!“ stieß sie verzweifelt hervor. „Ob ich alles richtig verstanden habe. Und ich... ich fürchte, es hat mit Ihnen zu tun, Sir, und... und... ich will Sie nicht mit reinziehen, und ich weiß nicht, ob es funktioniert, wenn ich falsch liege, mache ich alles nur noch schlimmer, ich...“ „Cutter.“ Sephiroths Stimme wurde eins mit dem prasseln der Flammen ohne den vertrauten Kern der tief unter der Kälte liegende Ruhe zu verlieren. „Wenn du die Konsequenzen ertragen kannst - tu es!“ Die Konsequenzen... War der Preis, bei einem Irrtum erneut dem Wahnsinn zu verfallen, zu hoch, um Zack zu retten? Jemand, der Cutters Einsamkeit beendet und sie davon überzeugt hatte, ein liebenswerter Mensch zu sein... Dessen Kampf für sie immer furchtlos gewesen, und bei dem sie sicher gewesen... der zu einem Freund geworden war... Nein, dachte Cutter. Und sogar wenn ich mich irre... ich muss es wenigstens versuchen. Ich muss! Die Frau im Dschungel hatte kein Wort darüber verloren, wie man etwas zu einem mentalen Fokus machte. Vermutlich gab es tausend Möglichkeiten. Oder mehr. Aber jetzt gab es nur einen Wunsch, dessen Erfüllung vielleicht der Schlüssel zu Rettung war. Ein letztes zögern. Dann streckte Cutter die Hand nach den silberfarbenen, zu ihr herunterwehenden Haarsträhnen aus. Sephiroths Kopf folgte dem kaum wahrnehmbaren Zug, bis er sich auf der richtigen Höhe befand. Cutter bewegte sich vorsichtig nach vorne und schloss die Augen. Bitte, dachte sie, bitte... In all dem aus so vielen unterschiedlichen Einzelheiten bestehenden, perfekten Chaos fiel niemandem der Kuss auf. Es war Cutters erster Kuss. Sie hatte in schlaflosen Nächten davon geträumt, wie es alle Teenager taten die sich noch nicht wirklich vorstellen konnten, von jemand anderem so sehr gemocht zu werden... selbst jemand anderen so sehr zu mögen... sie war sich albern und glücklich, schwer und leicht gleichzeitig vorgekommen... Aber niemals hätte sie sich träumen lassen, dass es so sein würde. Sephiroths Lippen waren voll und weich. Warm. Weder erwiderten sie den sanften Kuss, noch sträubten sie sich. Das Gefühl war unvergleichbar, auch, wenn die Berührung nur wenige Sekunden dauerte. Als Cutter die Augen langsam wieder öffnete, sah sie direkt in unergründliches, eisiges grün, tief und geheimnisvoll, durchbrochen nur durch einzelnen Haarsträhnen... Sephiroth wusste nicht was er fühlen oder denken sollte. Er war der „silberne Dämon“, wie sie ihn auf dem Schlachtfeld nannten, gefürchtet, gemieden, verehrt, eine lebende Legende, ein Held, respektiert, ja verdammt, ein Idol, General von SOLDIER, die ganze Welt kannte seinen Namen... ... und dieser Teenager erdreistete sich... „Was hast du getan...?“ Obwohl er nur flüsterte wohnte der Frage eine drängend scharfe Betonung inne, die zur Beantwortung innerhalb der nächsten 3 Sekunden riet. Cutter ließ die sachte gefassten Haarsträhnen los und lauschte angespannt in sich hinein. „Ich weiß es nicht“, flüsterte sie. Alles fühlte sich an wie immer. Aber andererseits... wusste sie nicht, wie es sich anfühlen musste! So eindringlich wie die Dschungelfrau jedoch gesprochen hatte... Cutter war sich ziemlich sicher, dass sich der Fund seines mentalen Fokus definitiv irgendwie hätte bemerkbar machen müssen... Oder? Ein unheilvolles knirschen aus der Richtung des brennenden Hauses setzte schlagartig neue Prioritäten. Und Cutter begriff, dass es nur eine Möglichkeit gab, herauszufinden, was der Kuss wirklich ausgelöst hatte. „Sir, egal wie es für mich ausgeht – ich werde Zack finden und Ihnen seine Position mitteilen.“ Ihre Stimme klang ruhig, gefasst. „Wenn ich nicht zurückkomme, könnten Sie ihm etwas ausrichten, Sir? Sagen Sie ihm bitte Danke schön für alles. Und ich hoffe, dass Sie mir all den Ärger, den Sie meinetwegen hatten und vielleicht noch haben werden, verzeihen können.“ Sie lächelte schüchtern. „Und Ihnen auch vielen Dank, Sir. Sie... sind großartig!“ Dann schloss sie die Augen. „Cut...“ Er verstummte, wissend, dass es ihm nicht gelingen würde, den Teenager zurückzuholen. Sie war zu gut mit den Lines geworden. Und verdammt schnell. Sephiroth richtete sich wieder auf und sah hinüber zu dem immer noch fast gleißend hell brennenden Haus. Zack... Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Cutter zu, deren Gesichtsausdruck höchste Konzentration verriet. Er konnte ihr nicht helfen, musste sie einmal mehr das Risiko alleine tragen lassen. Wenn sie sich irrte – bei was auch immer -, das war völlig klar, würde sie erneut dem Wahnsinn verfallen. Neben ihm fiel der Teenager unvermittelt auf die Knie. Und Sephiroth wusste, dass innerhalb der nächsten Sekunden eine unwiderrufliche Entscheidung fallen würde. Das Maul einer verdammten feuerspuckenden Bestie! Flammen wohin das Auge sah. Luft? Nichts als beißende Hitze. Jeder Atemzug schmerzte in den Lungen. Aber Zack wollte, musste atmen. Durchhalten. Und das längst nicht mehr für sich allein. Das kleine Mädchen in seinen Armen war längst ohnmächtig geworden, und Zack hoffte inständig auf einen starken Überlebenswillen. Vorsichtig bewegte er sich weiter vorwärts. Die verdammte Treppe war genau vor ihm zusammengebrochen, die heraufschießenden Flammen hatten jeden Sprung unmöglich gemacht, und die trotz aller Schwierigkeiten durchgeführte Suche nach einem alternativen Fluchtweg, war erfolglos geblieben. Sein ausgesprochen guter und auch in diesem Backofen einwandfrei funktionierender Orientierungssinn informierte, dass sich der 1st, anderer Möglichkeiten beraubt, im Kreis bewegte. Ein Kreis, der immer kleiner und kleiner wurde, ihm nur noch eine einzigen Ausweg ließ. „Hilft alles nichts, meine Süße... Wir müssen zurück zur Treppe und springen. Aber hab keine Angst, ich passe auf dich auf!“ Entschlossen kämpfte er sich seinen Weg zurück. Cutter verließ die schwarze Line, deren Durchquerung sich diesmal wesentlich kürzer angefühlt hatte, und fand sich in der bunten Welt der 2nd Lines wieder. Alles war genau wie bei ihrem ersten Besuch. Und dieses Mal musste sie keine kostbare Zeit mit Überlegungen verschwenden. Ein einziger Gedanke an den 1st mit den wilden schwarzen Haaren und dem frechen grinsen reichte aus, und eine Line löste sich aus dem bunten auf und ab ihrer Geschwister, trat klar sichtbar in den Vordergrund. Die normalen Lines sickerten dazu und verrieten binnen Sekunden Zacks genauen Standort. Eine von unten nach oben wachsende, jegliche Sicht nehmende Wand aus Feuer begrüßte ihn dort, wo einst die Treppe gewesen war, und Zack wusste, es würden die vielleicht schlimmsten Schmerzen seines bisherigen Lebens werden. Aber das Kind in seinen Armen verdiente eine Rettung, eine Zukunft... „Versprich mir, dass du nett heiratest und glücklich wirst. Deal? Ok!“ Er holte tief Luft und machte sich bereit zum Sprung in die Flammen. Überglücklich darüber, den 1st gefunden zu haben, trat Cutter so schnell es ging den Rückweg an. Diesmal gelang es ihr, bei Bewusstsein zu bleiben, und dank dieses Bonus konnte sie am äußersten Rand der schwarzen Line anhalten... Um auf das sie Erwartende zu sehen. So..., dachte der Teenager und war erstaunt über die erfüllende und im Grunde völlig fehlplatzierte Ruhe. Wahnsinn fühlt sich also nicht nur an wie Splitter, er ähnelt ihnen auch optisch ein wenig. Es hat nicht geklappt. Ich habe mich geirrt. Und werde zerbrechen. Diesmal endgültig. Aber ich muss dem General sagen, wo Zack ist. Er wird ihn retten können. Und das war´ s wohl wert. Seltsam. Ich bin... nicht mal traurig. Nur... erleichtert, dass Zack nicht sterben wird. Ruhig und unverwandt auf den sich langsam näher schiebenden und unausweichlichen Wahnsinn sehend, gab Cutter die nötigen Informationen weiter und verfolgte mit Hilfe der Lines den Verlauf der Rettungsaktion. Flirren und knistern in der Luft. Zack kannte dieses Geräusch. Das war kein Feuer, sondern... Materia! Irgendwo aktivierte jemand Materia! Die Feuerwand vor ihm begann zu flackern und in sich zusammen zu sinken, bäumte sich auf... wieder dieses flirren... das Feuer wurde schwächer... Irgendjemand hilft mir, dachte Zack verblüfft, aber woher weiß er, wo ich bin und was ich vorhabe? Vor ihm wurde das Feuer von erschreckend schnell schmelzendem Eis gedämpft, aber wer auch immer die Materia benutzte, er tat es immer und immer wieder, bis Zack einen Punkt zum landen anvisieren konnte. Der 1st zögerte keine Sekunde, sprang und landete sicher auf der angepeilten Stelle. Urplötzlich tat sich vor ihm die Möglichkeit auf, diese Gluthölle zu verlassen, und Zack zögerte keine Sekunde, drückte das Kind eng an sich, rannte los und legte alle Kraft in den befreienden Sprung. Hitze und Feuer schlugen über ihm zusammen raubten ihm für einen Moment alle überlebensnotwendigen Eigenschaften... Dann empfing ihn erneute Hitze, aber es war nicht die aufgestaute des Hauses. Hinter ihm setzte ein ohrenbetäubendes Krachen und Bersten ein, und Zack legte alle übriggebliebenen Energiereserven in einen letzten Sprint, schuf sichere Distanz zu dem in sich zusammenbrechenden, funkenstiebenden Gebäude. Eine Frau, die definitiv nicht zu ShinRa gehörte, kam ihm entgegengelaufen. Zack drückte ihr seine kostbare Fracht einfach in den Arm und ließ sich hustend zu Boden fallen. Langsam verblasste das Gefühl, immer noch Gefangener des Feuers zu sein. Er reckte den Kopf, wollte nach dem Mädchen sehen, kam aber nicht dazu. Jemand fiel ihm noch im liegen um den Hals. „Sie sind ein Held, Sir! Jilly geht es gut... Wie kann ich Ihnen das nur danken??“ Zack blinzelte. Oh... Er grinste. „Wie wäre es mit einem Abendessen, schöne Frau?“ Sephiroth sah mit grimmiger Miene zu dem 1st hinüber. Und schon flirtet er wieder mit irgendwelchen Frauen... Um den muss ich mir keine Gedanken machen. Cutter hingegen... Der Teenager saß immer noch neben ihm auf den Knien, in sich zusammengesunken, bewegungslos, und der General hatte kein gutes Gefühl. Es hat Spaß gemacht, dachte Cutter. Ab einem gewissen Punkt war es fast ausschließlich... absolut genial! Wahnsinn näherte sich ihr langsam, begann, sie von allen Seiten einzukreisen. Ich habe so viel gelernt. Über mich, andere, die Welt... Wie es ist, Freunde zu haben. Wärme zu spüren. Und, vielleicht das Wichtigste – wie es ist, sich zu verlieben. Das hat wirklich Spaß gemacht. Auch, wenn er es nie erfahren wird... Erste Ausläufer des unaufhaltsamen Schicksals überschatteten die Ränder ihres Bewusstseins während Cutters Gedanken weiterhin bei Sephiroth weilten. . Du warst nie sauer, dabei war ich so oft nicht mehr als... ein begeistertes Schussel... und mit Sicherheit kein Paradebeispiel für einen guten Kadetten. Es macht nichts, dass du nicht mein mentaler Fokus bist. Dass du da warst, reicht aus. Es schlug über ihr zusammen. Erste feine Risse, Vorläufer eines mentalen Scherbenmeeres, begannen sich in ihrem Bewusstsein zu zeigen und wurden schnell zahlreicher, tiefer, begleitet von rein spürbarem, unheilvollen knistern... Erinnerungen die Sephiroth betrafen flammten in rasanter Reihenfolge in Cutters Kopf auf und erloschen ebenso plötzlich wieder, ließen den Teenager lächeln. Eine letzte Erinnerung schob sich in ihr flackerndes Bewusstsein: der Moment, in dem ihr schon so lang zurückliegender Sturz vom Dach eines der ShinRa Gebäude völlig unverhofft in den Armen des legendären Generals und Schwertkämpfers geendet hatte. Sephiroth... SEPHIROTH!!! Irgendetwas zerbrach. Aber es war nicht Cutters Bewusstsein. Sondern die schützende Hülle um etwas tief in ihr, sogar noch tiefer als die mentale Ebene, etwas, das vielleicht schon immer oder erst seit kurzer Zeit existierte... Es zerbrach unwiderruflich. Setzte den wohl gehüteten Kern frei, ließ ihn erwachen mit der Intensität einer Naturkatastrophe und der Sanftheit des ersten Sonnenstrahls nach einer besonders dunklen Nacht. Der Cutter umgebende Wahnsinn schmolz binnen eines Sekundenbruchteils dahin, als habe es ihn nie gegeben. Bewusstseinsrisse heilten innerhalb weniger Augenblicke. Klarheit durchströmte den Teenager. Ruhe. Und die sichere Gewissheit, dass ihr keine Gefahr mehr drohte. Völlig unvermittelt erfasste heftiger Schwindel Sephiroths Gedanken, verschwand aber genauso plötzlich, wie er aufgetaucht war. Unmittelbar neben ihm atmete Cutter hörbar ein und aus, dann öffneten sich ihre Augen wieder... mehrfaches, ungläubiges blinzeln... Ein weiterer Moment völliger Bewegungslosigkeit... Dann sah der Teenager langsam auf. Sephiroth begegnete dem Blick unerschrocken, auf alles gefasst... Einen kurzen Moment lang starrten sich SOLDIER Legende und Teenager an... „Blue Wanderer Kadettin Cutter Tzimmek meldet sich zurück, Sir!“ Ihre Stimme war nur ein flüstern, wurde aber stärker als jähe Begeisterung darin erwachte. „Es hat geklappt! Es hat funktioniert!! Ich bin... Es hat geklappt!!!“ Dann wandte sie sich, nach Zack suchend, um – und musste unwillkürlich lachen. Der 1st war dabei, sich von einer jungen, gut aussehenden Frau aufhelfen zu lassen, aber das grinsen in seinen Augen verriet, dass er es problemlos auch allein geschafft hätte. Cutter kam wieder auf die Beine und sah Sephiroth an. „Es hat geklappt...“ Zweifellos. Sephiroth parierte das begeisterte funkeln ihrer klaren Augen mit der üblichen Kälte, verschränkte die Arme vor dem Brustkorb und forderte mit einem harten: „Also?!“ eine Antwort auf die vor der Rettungsaktion gestellte Frage ein. Seine Distanziertheit bewirkte, dass sich der Teenager wieder zusammenriss. Um die wesentlichen Punkte bemüht, begann sie zu erklären was im Inneren des Zeltes vor sich gegangen und was sie gerade getan hatte – aber es dauerte trotzdem mehrere Minuten, ehe sie zu einem Ende kam. „Mentaler Fokus!“ wiederholte der General mit undefinierbarer Betonung, während er das gehörte verarbeitete. „So hat sie´ s genannt“, bestätigte der Teenager relativ kleinlaut und wich seinem Blick aus. Jetzt, wo der Adrenalinspiegel ihres Blutes sich wieder normalisierte, wurde ihr erst wirklich bewusst, was sie getan hatte. Und ihre Gedanken rasten. Ich habe ihn geküsst, ich habe General Sephiroth Crescent geküsst, 2nd Lines hin oder her, aber, verdammt, ichhabegeneralcrescentgeküsst! Ist er sauer? Natürlich ist er sauer, er zeigt es nur nicht. Ich bin so gut wie tot. Glaube ich. Was soll ich jetzt machen? Was wird er jetzt machen?? „Das heißt, die 2nd Lines sind ab jetzt dauerhaft und gefahrlos für dich erreichbar?“ „Ich glaube... Ja, Sir!“ Soll ich ihn fragen, ob er sauer ist? Und wenn er „ja“ sagt? Was dann? Aber er würde nie zugeben, wenn er es wäre, er... Oh Shiva, ich habe... Was soll ich nur machen? Ihr Blick tastete sich über all das schwarze Leder vorsichtig wieder hinauf zu seinem Gesicht (über seine Lippen) hinauf zu den Augen, kauerte sich vor der Mauer aus Kälte zusammen. Sephiroth sah hinunter zu dem sichtlich verlegenen Teenager, schweigend, erhaben, und wusste immer noch nicht, wie er sich verhalten sollte. Der Glaube, nichts könne ihn mehr überraschen... Ein Irrtum. Nun gut. Im Grunde war er es gewohnt, dass sein Körper von anderen benutzt wurde, um an Informationen zu gelangen. Cutter war... nur einer mehr. „Dann hast du ja jetzt, was du wolltest.“ Seine Stimme war so eisig, dass sie schmerzte. Er wandte sich um, und so entging ihm der entsetzte Aufschrei, der durch die Augen des Teenagers raste. Nein, dachte Cutter verzweifelt. Nicht so... Ich wollte dich nicht benutzen... dich mit meiner Zukunft belasten... Ich... Sephiroth war schon einige Schritte gegangen als das leise „Sir?“ hinter ihm erklang. Im Grunde wollte er nicht, hielt aber trotzdem an. Sie befanden sich schließlich immer noch auf einer Mission. Gut möglich, dass der Teenager noch eine Meldung vorzutragen hatte. Ihre Stimme änderte sich nicht, blieb weich und erweckte den Anschein von endloser Zerbrechlichkeit. „Das... das war mein erster Kuss, Sir. Ich bekomme ihn nie wieder zurück, er gehört für alle Ewigkeiten Ihnen. Aber... ich... ich will ihn auch gar nicht zurück. Ich hoffe... nein, ich... weiß, dass er bei Ihnen gut aufgehoben ist. General Crescent, Sir.“ Der erste Kuss... oder der letzte... Sephiroth konnte dem nichts abgewinnen. Es besaß keine Schwere, keinen Tiefgang für ihn. Es war eine Berührung. Der Kadettin ohne vorherige Kenntnis der Details die Erlaubnis zu geben, irgendetwas zu tun, war... dumm gewesen. Aber nun ließ es sich nicht mehr rückgängig machen. Auf den Gedanken, Liebe könne eine Rolle spielen, kam er nicht für eine Sekunde. Mentaler Fokus, dachte Sephiroth, mir scheint, nicht nur sie hat Konsequenzen zu tragen. „Cutter“, seine Stimme klang völlig normal, verriet nichts von seinen kritischen Gedanken, „erinnere bitte Zack daran, dass wir uns immer noch auf einer Mission befinden.“ „Ja, Sir!“ Gehorsam, aber sichtlich unglücklich befolgte sie den Befehl. Es wurde spät, ehe sie sich auf den Rückweg ins HQ machten. Zack verließ den bisherigen Platz neben seinem Lieblingsteenager, schob sich etliche Meter weiter vorne neben Sephiroth und warf einen kurzen Blick in dessen Richtung. „Danke für die Rettung.“ Er grinste. „Offensichtlich bin ich dir immer noch nicht genug auf die Nerven gefallen.“ Dann wurde er schlagartig etwas ernster. „Cutter hat die 2nd Lines geknackt.“ Er lächelte. „Das ist großartig. Ich freu mich für sie. Und werde auch nach keinen Details fragen.“ Stille. Dann: „Wow. Azrael wird einen Herzinfarkt kriegen vor lauter Freude, wenn er das erfährt.“ Dann verstärkte sich sein lächeln. „Ich wusste immer, dass sie etwas ganz besonderes ist. He?“ Er warf dem großen Schwertkämpfer neben sich einen irritierten Blick zu. „Du sagst mir gar nicht, dass ich still sein soll.“ Weil ich dir nicht zuhöre, Zackary, dachte Sephiroth ohne sichtbar zu reagieren. Cutters Worte ließen ihn nicht mehr los. Das Mädchen hatte die Wahrheit gesagt, das wusste er mit Sicherheit. Aber diesmal konnte er damit nichts anfangen. Es musste... mehr dahinter stecken. Viel mehr. Und er wollte es verstehen, wie der Teenager es verstand. Aber dazu, so sehr es ihm missfiel, würde er Hilfe brauchen... Hilfe, die sich dessen nicht bewusst sein durfte. Glücklicherweise befand sich die Lösung genau neben ihm. „Zack, melde dich auf der Krankenstation, wenn wir zurück sind.“ „Nicht nötig, ich bin topfit.“ „Das war ein Befehl, SOLDIER.“ „Sir, bei allem Respekt, ich bin zu müde für Endloswartezeiten auf der Krankenstation. Ich habe keinerlei körperlichen oder geistigen Verletzungen.“ Eine Sekunde später kollidierte das gedankenschnell gezogene Busterschwert mit der legendären Waffe des Generals. „Körperliche Fähigkeiten sind ok“, kommentierte Sephiroth sachlich während er das Katana nach dem erfolgreich durchgeführten Überraschungsangriff wieder griffbereit verstaute. „Das“, jappste Zack, beide Hände noch am Griff seines Busterschwertes, „war hinterhältig von dir!“ „Und erst der Anfang. Wie lautet Paragraph 143c des SOLDIER Kodex?“ „Wenn bei Feierlichkeiten Kuchen und Schlagsahne gereicht wird, lass immer genug Sahne für deinen General übrig?“ Er rollte ungeachtet Sephiroths Blick mit den Augen. „Was weiß ich? Diesen Kram konnte ich mir noch nie merken. Frag mich, was ich weiß.“ „Zum Beispiel über Frauen, was?“ „Wäre ein guter Anfang. Hast du diese Erzieherin gesehen? Genau mein Typ!“ Er grinste vergnügt. „Sie ist mir um den Hals gefallen. Und morgen Abend gehen wir essen!“ Er hatte Zack schon auf der richtigen Spur. Jetzt galt es, ihn unbemerkt weiter zu treiben. „Du lässt keine Gelegenheit aus.“ „Nein, Sir!“ Dann lachte er vergnügt. „Die Frauen lieben mich. Da kann man nichts machen.“ „Und das neuste Zielobjekt ist schon in Sicht.“ Er gab sich große Mühe, gelangweilt zu klingen. „Du wirst sie ausführen, das Essen bezahlen...“ „Das mit Sicherheit.“ „Sie zu ihrer Wohnung bringen...“ Immerhin erzählte Zack ständig von diesen Dingen. „Ich lasse kein Mädchen alleine nachhause gehen.“ Diesmal klang er ernst. „Das hier ist Midgar.“ „... und den ersten Kuss ihres Lebens für dich beanspruchen. Sofern es noch einen gibt.“ Er hätte mit einem nicken gerechnet, begleitet von Zacks typischem, frechen grinsen. Aber diesmal... „Hey, stopp! So gemein bin ich nicht.“ „Es ist nur ein Kuss.“ Zack schüttelte den Kopf. „Der allererste Kuss nicht.“ Sephiroths spöttischen Blick ignorierend fuhr er etwas leiser fort: „Dieser Kuss ist – wenn man sich bewusst darüber ist, was man tut, und ihn nicht aus Spaß verschwendet – ein Geschenk.“ „Du solltest dich doch auf der Krankenstation melden.“ Ein Geschenk? Die Erklärung... reicht nicht aus. Es deckte sich einfach nicht mit dem Ausdruck in Cutters Augen. Und als hätte Zack das geahnt... „Spotte nur. Aber ich könnte mir ohne weiteres vorstellen, dass zum Beispiel unsere Cutter...“ „Es ist nicht unsere Cutter“, sagte Sephiroth automatisch, aber bestimmt. Seiner Überzeugung nach konnten Menschen niemals anderen Menschen gehören. Man konnte ihnen Befehle erteilen, sie unterwerfen, brechen, gefangen halten, sogar töten... aber letztendlich blieb jeder Mensch das Eigentum seiner selbst. Ein schwer zu berechnendes Wesen mit einem freien Willen. „... sich dessen völlig bewusst ist“, fuhr Zack unbeeindruckt fort, „und ihren ersten Kuss nur jemandem gibt, den sie wirklich mag. Ich wäre es ja nur zu gerne selbst, aber... das habe ich nicht verdient.“ Er seufzte leise und lächelte versonnen. „Wer auch immer es sein wird, ich hoffe für ihn, dass er es zu schätzen weiß. Ansonsten mach ich ihn nämlich platt!“ Sephiroth reagierte nicht. Schweigend und aufmerksam lauschte er dem langsam einsetzenden Begreifen tief in sich. Zacks Worte synchronisierten sich völlig problemlos mit dem Ausdruck in Cutters Augen. Als sei das eine die Übersetzung des anderen... „Du redest noch wirrer als sonst“, unterbrach er den Redestrom des SOLDIERs neben sich. „Also befolge meinen Befehl! Und jetzt nimm Cutters Platz ein und schick sie zu mir.“ „Ja, Sir“, seufzte Zack geschlagen. Nur Sekunden später tauchte der Teenager an seiner Stelle auf. „Sie wollten mich sprechen, Sir?“ „Vor allem wollte ich dich im Augen haben. Wie wir beide wissen neigst du dazu, dich in dir über den Kopf wachsende Situationen zu verstricken.“ Einen Moment lang gingen sie nebeneinander her, schweigend, jeder seinen Gedanken nachhängend. Die Sephiroths drehten sich hauptsächlich um die Tatsache, ab jetzt der mentale Fokus eines Blue Wanderers zu sein – und nicht einschätzen zu können, ob dies mehr bedeutete als den sicheren Rückweg aus den 2nd Lines zu gewährleisten. Cutter danach zu fragen war sinnlos, denn woher hätte sie es wissen sollen? Und laut ihren Aussagen hatte auch die Frau im Dschungel (mit der ein erneutes Gespräch höchst hilfreich gewesen wäre) kein Wort darüber verloren. Im Grunde hatte sie nur neue Fragen hinterlassen. Und, natürlich, eine intakte Cutter. Aber ich, dachte der General, fühle mich nicht anders als vorher. Vielleicht beschränkt sich meine Rolle wirklich nur auf den sicheren Rückweg. Er warf dem neben ihm gehenden Teenager einen kurzen Blick zu. Auch ihrem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass sie intensiv nachdachte. Vermutlich über genau dasselbe Thema. Sie... bemerkte seinen Blick und sah auf. „General Crescent, Sir? Sind Sie sauer auf mich?“ Um ein Haar hätte sich Sephiroth zu einem „Was?“ hinreißen lassen, bekam seine Verblüffung aber noch rechtzeitig unter Kontrolle. Während ich versuche, mir über diese mentale Fokus Geschichte klar zu werden, ist es ihre größte Sorge, ob ich auf sie... sauer bin? Es gibt momentan wichtigere Themen! Abgesehen davon... Welchen Unterschied würde ein `Ja´ oder `Nein´ machen? „Ich hab´s wirklich nicht böse gemeint, Sir“, fuhr der Teenager so leise, dass nur Sephiroth sie verstehen konnte, fort. „Aber...“ Eine entscheidende Handbewegung ließ sie verstummen. „Kreative Probleme erfordern kreative Lösungen. Abgesehen davon... hattest du meine Zustimmung. Irgendwie. Aber in deinem eigenen Interesse würde ich von einer Wiederholung abraten.“ „Ja, Sir. Sir? Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken.“ Sephiroth, eine neue Absurdität ahnend, wandte den Kopf in Richtung des Teenagers, ging in Gedanken alle möglichen Gründe durch, kam zu dem Entschluss, dass es zu viele waren um mit Sicherheit sagen zu können, welchen Cutter meinte, und erkundigte sich schließlich danach. „Na ja...“ Ein kurzes, verschmitztes grinsen. „Sie müssen den Bericht hierzu schreiben, Sir.“ Seht sie euch an, dachte Sephiroth. Sie hätte sich vorhin verlieren können, diesmal für immer. Und jetzt? Läuft sie neben mir her, als sei dies ihr vom Universum vorbestimmter Platz und sorgt sich um meinen Gemütszustand und den Papierkram. Es ist... einfach nicht zu fassen. Dann huschte ein lächeln über sein Gesicht. „Hast du eine Ahnung, was ich in einem Bericht alles unter dem Oberbegriff `Blue Wanderer Unterstützung´ unterbringen kann!“ Er wusste, dass sie lachen würde, und irrte sich nicht. Dieses lachen... ohne die seltsame Frau im Dschungel wäre es nie wieder erklungen. Und obwohl Sephiroth etliche Fragen hatte, wusste er doch, dass die Chancen Cutters Retterin wieder zu sehen und Antworten zu erhalten, praktisch nicht vorhanden waren. Es fehlte einfach der entsprechende Grund. Sephiroth hakte das Thema ab. Wenn der Teenager die Prüfungen bestand, würden die verstreichende Zeit mit Sicherheit einige Rätsel lösen. Wenn... Seine nächsten Gedanken jedoch galten schon wieder den künftigen Geschehnissen. Außer dem zu schreibenden Bericht musste auch Azrael informiert werden, und da er mit Sicherheit Fragen haben würde, die zu beantworten Sephiroth außerstande war, lag die zweite Dreierkonferenz mit Cutter schon zum greifen nahe. Sephiroth seufzte unhörbar. Rebellen, Flammenfallen, mentaler Fokus, uneingeplante Küsse, bevorstehende Meetings... Alles, wonach der General sich jetzt sehnte, war eine heiße Dusche, etwas zu essen und ein paar Stunden ungestörten Schlafes. Und als sei selbst das unberechenbare ShinRa Universum müde, bekam er alles. Kapitel 19: Prüfung ------------------- Die Zeit für die uneingeplante Konferenz mit Cutter und Azrael – Sephiroth musste sie zwischen einem randvollen Terminkalender, im Sekundentakt eintreffenden e-mails, dem üblichen Papierkram und dem klingeln des Telefons förmlich erzwingen, aber er tat es ohne Reue – fand bereits am nächsten Tag statt. „Gratuliere, Geryll.“ Den verwirrten Blick seines Gegenübers ignorierend fuhr er fort: „Ab sofort haben Sie einen Blue Wanderer, dem das gefahrlose Betreten der 2nd Lines möglich ist.“ Azrael blinzelte verblüfft. „Ich habe – bitte was? Ich meine, ich habe bitte was, Sir?“ „Die Details klären Sie am besten direkt mit Cutter.“ Er griff nach seiner Kaffeetasse, lehnte sich zurück und verfolgte schweigend das Gespräch. Der Teenager gab sich trotz aller Begeisterung Mühe, sachlich zu bleiben, und Sephiroth bemerkte schon nach dem ersten Satz, dass sich Cutter sehr genau überlegt hatte, was sie erzählen wollte. Und was nicht. Über die Begegnung im Dschungel, den mentalen Fokus und die Erweckung desselbigen fiel kein einziges Wort. Sie ist vorsichtiger geworden, dachte Sephiroth. Das ist gut. Ich denke nicht, dass schon einer von uns die tatsächlichen Auswirkungen dieser Geschichte beurteilen kann. Auch ich werde schweigen, solange mir das möglich ist. Dann spürte er Erheiterung in sich aufsteigen. Hier sitzen wir und beschützen unsere Geheimnisse... Bis sie stark genug sind, sich selbst zu beschützen? Bis wir stark genug sind, sie offen darzulegen und die Konsequenzen zu tragen? Wer weiß. Manche Geheimnisse schienen zu schlafen und ließen sich ein ganzes Leben lang behüten. Andere hingegen wollten erzählt werden und offenbarten sich von selbst, wenn ihres Erachtens nach Ort und Zeit stimmten. Für gewöhnlich verlor dann alles für einen Sekundenbruchteil seine Gültigkeit, zeitgleich wurde mindestens ein neuer Blickwinkel erschaffen. Dieser konnte die Rettung sein – oder der Untergang. Letztendlich jedoch... hatte jedes Geheimnis auf dieser Welt Gründe für seine Existenz, und es war nebensächlich, ob diese gut oder schlecht waren, denn wie immer so lag auch hier die Entscheidung im Auge des Betrachters. Azrael lauschte aufmerksam den Erzählungen des Teenagers. Ihm entging das fehlen von Steinchen in dem Erlebnismosaik nicht, aber er nahm es hin ohne nachzufragen, wissend, dass er bei ernsthaften Problemen eine der ersten Anlaufstellen für das Mädchen sein würde. Irgendwann beendeten sie das Meeting, und als Cutter den Raum verlassen hatte, seufzte Azrael tief auf. „Oh, diese Cutter! Immer, wenn man glaubt sie im Griff zu haben, tut sie etwas völlig unvorhergesehenes.“ „Abenteuer“, erinnerte Sephiroth, und sein Gegenüber nickte leise lachend. Einen Augenblick lang blieb es ganz still in dem großen Büro. Dann lenkte der General das Gespräch auf ein ernsteres Thema. „Wird sie die Prüfung bestehen?“ Azraels Laune veränderte sich schlagartig. „Ich weiß es nicht, Sir“, antwortete er gedämpft. „Sie hat... immer noch große Probleme mit der Theorie. Eigentlich... dürfte sie überhaupt nicht in der Lage sein, so gut mit den Lines zu arbeiten. Aber sie tut es, sie...“ Er schüttelte den Kopf und warf Sephiroth einen Blick zu der deutlich aussagte, dass der angefangene Satz unvollendet bleiben würde. Der General schwieg. Cutters Problem war ihm nicht neu und begleitete sie schon seitdem er sie kannte. Zack hatte immer wieder erzählt, wie deprimiert sie der Theorie wegen gewesen war, aber auch, mit welch immenser Selbstmotivation sie wieder auf die Beine gekommen war um weiter zu machen. Mittlerweile wusste Sephiroth nur zu genau, was den Teenager völlig unbeeindruckt von allen Regeln, Formeln und Tabellen sicher durch die Welt der Lines lotste: dieselbe tiefe, innere Kraft, die auch ihn auf den Schlachtfeldern begleitete und seine Entscheidungen oft maßgeblich beeinflusste. Purer Instinkt. „Sehen Sie, General, Cutter kennt und benutzt die Formeln, das habe ich selbst in meinen Nachhilfestunden mit ihr gesehen. Aber ihr entgeht, wann sie einen Fehler macht, und die Materie ist so komplex, dass sie, wenn ihr der Irrtum doch auffällt, nicht sofort herausfindet, wo er liegt. Sie muss jede falsche Aufgabe von vorne beginnen, und das kostet Zeit, die ihr nicht zur Verfügung steht.“ Sephiroth verstand vollkommen. Da man davon ausging, nur durch ein vollständiges Begreifen der Theorie zu einem arbeiten mit den Lines in der Lage zu sein, setzte man den Schwerpunkt bis zu den Prüfungen dort. Keine Chance für Instinkt. „Und“, fuhr Azrael fast niedergeschlagen fort, „wenn sie die theoretische Prüfung nicht besteht, wird sie von der praktischen ausgeschlossen und ist somit automatisch durchgefallen.“ Er schnaubte leise. „Das... das ist so absurd, Sir! Wir haben hier einen 2nd Lines Blue Wanderer. Die einzige ihrer Art. Sie könnte zu einer Legende werden. Aber wenn der schlimmste Fall eintrifft...“ Er verstummte. Es war auch unnötig, den Satz zu beenden. Käme es wirklich soweit, würde Cutter ShinRa verlassen müssen. „Ich will morgen mit meiner Klasse eine Generalprobe machen, sie bekommen die Prüfungsbögen der letzten Abgänger. Das wird wohl Klarheit bringen.“ Sephiroth nickte. „Noch ist nichts entschieden, Geryll. Vergessen wir nicht, mit wem wir es zu tun haben. Cutter ist immer für eine Überraschung gut.“ Er entließ den Lehrer der Blue Wanderer wieder und blieb allein in dem großen Büro zurück, nutzte den flüchtigen Moment absoluter Stille, um selbst einmal tief ein- und auszuatmen und die Augen zu schließen. Cutter Tzimmek, du hältst einen in Bewegung. Aber ich habe dir deine Besorgnis angesehen. Du weißt, wie viel auf dem Spiel steht. Es ist mehr als du dir jemals erträumt hast. Vermassel es nicht, sonst war so vieles umsonst... Deine Kämpfe, deine Siege... dein erster Kuss, der dir so viel bedeutet hat, und den ich nun besitze, der wie du gesagt hast, für immer mir gehört... – nicht einmal Masamune wird für immer mir gehören - ... und mit dem ich nicht das Geringste anfangen kann... Das Bild des vergnügt grinsenden Teenagers taucht in seinem Kopf auf, und Sephiroth hätte um ein Haar gelächelt, kaum wahrnehmbar, aber dennoch... es wäre ein lächeln gewesen. Vermassel es nicht... denn dieses Mal werde selbst ich dich nicht retten können. Weitere Gelegenheiten, an den uneinschätzbaren Teenager zu denken, boten sich bis auf weiteres nicht, denn die massenhaft vorhandene Arbeit beschäftigte den General ohne Pause, und er stellte sich dem unerschrocken und so gewissenhaft wie immer. Es vergingen mehrere Tage, ehe sich wieder ein kurzer Moment der Ruhe ergab. Sephiroth war gerade dabei, den ersten Schluck aus seiner neu gefüllten Kaffeetasse zu nehmen, als sich vorwarnungslos die Tür öffnete, und ein strahlender Zack hereingestürmt kam. „Da ist ja mein Lieblingsgeneral!!“ Dessen Blick glitt von dem viel zu enthusiastischen 1st Class SOLDIER vor sich über das wie üblich griffbereit liegende Katana... „Zackary Fair, ich befehle dir, dich kurz zu fassen!“ „Geht klar. Hast du gerade was zu tun?“ Sephiroth fragte sich für einen Moment ernsthaft, ob Zack ihn aufziehen wollte, denn auf dem Schreibtisch türmten sich trotz pausenloser Arbeit wahre Gebirge aus Papier. Trotzdem war die Antwort des Generals völlig ruhig. „Nein, ich sitze hier rum, langweile mich entsetzlich und warte auf Beschäftigung.“ „Siehst du, und weil ich mir etwas ähnliches schon dachte... Tadaaaaaa!“ Der General beschloss, vorerst noch nicht nach dem ihm entgegengestreckten Buch zu greifen. Es war vorher in Zacks Besitz gewesen. Da konnte man nie wissen, in was für unvorteilhafte Situationen man sich durch eine Annahme bringen konnte... Er lehnte sich demonstrativ zurück und forderte den 1st vor sich mittels eines Blickes auf, zu sprechen. „Aaaalso“, begann dieser, „das hier ist ein Buch!“ „Ich bin beeindruckt, Zackary. Deine Therapie scheint Erfolg zu haben.“ „Das ist“, fuhr Zack völlig unbeeindruckt und ohne sein grinsen auch nur für einen Sekundenbruchteil fallen zu lassen, fort, „ist aber kein gewöhnliches Buch!“ Als die erhoffte Reaktion ausblieb, holte er tief Luft... um anschließend Wörter mit der Schnelligkeit eines Maschinengewehres von sich zu geben. „Es ist ein Buch, das ich vor über 2 Jahren aus der Bibliothek ausgeliehen habe, und der Bibliothekar hat gesagt, sie hätten mir über 150 Rückgabeaufforderungen geschickt, und wenn das Buch nicht bis heute Abend wieder da ist, kommt er vorbei um es persönlich abzuholen, und mir auf Lebenszeit Bibliothekverbot auszusprechen, aber ich kriege heute Abend Besuch – Da-men-be-such, wenn du verstehst, und ich möchte nicht, dass die Lady Angst bekommt, wenn auf einmal ein Bibliothekar vor der Tür tobt wegen eines Buches, also Seph, dieser Typ ist wirklich gruselig, trägt immer Schlips und Anzug und so ein Zeug, und außerdem...“ „Komm auf den Punkt, SOLDIER!“ Zack setzte seinen flehendsten Gesichtsausdruck auf. „Könntest du nicht das Buch zurückbringen?“ „Damit du ungestört deinen Liebestätigkeiten nachgehen kannst? Nein, Zackary!“ „Sie hat eine reizende Schwester, vielleicht...“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren griff Sephiroth nach Masamune und erreicht den gewünschten Erfolg: Zack verließ augenblicklich und sehr zügig das Büro. Der General sah ihm grimmig nach. Er hatte nichts gegen Zacks Liebesleben. Warum auch? Weder vermisste er etwas ähnliches, noch spürte er Neid. Er wollte nur um keinen Preis mit hineingezogen werden. Aber als er seine Aufmerksamkeit wieder dem Schreibtisch zuwandte, wurde ihm klar, dass es dieses Mal schwierig werden würde. Denn Zack war zwar verschwunden... das Buch allerdings lag hinter einem der Papierstapel, und somit gut sichtbar für jeden Besucher. Augenrollend griff Sephiroth danach, las den Titel... und fügte dem Augenrollen ein halblautes, entnervtes stöhnen hinzu. Hätte es kein Kochbuch sein können, Zackary?? Oder eines über Waffen? Etwas unverfängliches? Statt... das? Der Reißwolf stand in greifbarer Nähe, aber der Einband des Buches wirkte zu massiv um nachzugeben. Und Masamune mit so etwas in Berührung zu bringen... absolut inakzeptabel. In seinem Büro wollte er Lektüre dieser Art auch keine Sekunde länger als notwendig haben... Blieb nur die Bibliothek. Sephiroth verstaute das Buch (Beschriftung zu ihm zeigend) in einer zufälligerweise im Büro befindlichen Plastiktüte und machte sich auf den Weg, konterte dort angekommen den fragenden Blick des Bibliothekars mit einem vollen Todesblick, der den Mann augenblicklich um mindestens 10 Zentimeter schrumpfen ließ, und wollte sich eben wieder zum gehen wenden, als sein Blick auf eine Besucherin an einem der zahlreichen Tische fiel, die sich hinter ihren Büchern förmlich eingemauert hatte. Cutter. Eben schüttelte der Teenager heftig den Kopf, schnaubte leise „So ein Quatsch!“ und strich mit heftigen Bewegungen etwas auf dem Blatt vor sich aus. Sephiroth beobachtete sie einen Moment lang unbemerkt, dann trat er lautlos neben sie. „Probleme, Cutter?“ Gleichzeitig bedeutete er ihr, sitzen zu bleiben. Es lag ihm fern, sie zu stören, aber vielleicht konnte er... nun ja... helfen. „Du lernst?“ „Die theoretische Prüfung ist übermorgen, und... ach, das wissen Sie ja sicher, Sir.“ Er nickte kurz. Blue Wanderer war eine Untereinheit von SOLDIER, und Sephiroth wusste über alle Test- und Prüfungstermine genauestens Bescheid. „Kommst du hier klar?“ „Mmmmmmh....“ Dann verzog sie das Gesicht und seufzte leise. „Nein, Sir. Absolut nicht. Azrael hat uns vor ein paar Tagen die theoretische Prüfung unserer Vorgängerklasse gegeben, als Generalprobe, und...“ Sie verstummte und schob ein paar Blätter zu Sephiroth hinüber. „... das ist meine. Sir.“ Er griff danach und überflog die Schriftlichkeiten. Sie bestätigten klar und deutlich Azraels Worte: das scharfe Fallbeil des Schicksals hatte es unheilvoll funkelnd auf Cutters Nacken abgesehen. Die Blätter sahen aus wie Schlachtfelder. Die Angewohnheit des Mädchens in grün – der Farbe der Hoffnung – zu schreiben, hatte den roten Korrekturstift einmal mehr nicht davon abgehalten, sein Werk zu tun. Positive Häkchen, versehen mit einem Smiley und lobenden Worten waren nur selten zu sehen. Und die Gesamtpunktzahl lag Welten unter der zum bestehen der Prüfung notwendigen Mindestpunktzahl. „Wir sollen... unsere Fehler korrigieren. Er hat mir sogar nochmal eine Blankovariante der Prüfung gegeben, damit ich nicht zu deprimiert bin, aber... ich komme einfach nicht weiter.“ Etliche auf dem Tisch liegende Blätter mit angefangenen und wild durchgestrichenen Lösungsanfängen bewiesen das. Sephiroth beugte sich über den Tisch (silberne Haarsträhnen lösten sich mit einer weichen Bewegung von ihrem ursprünglichen Platz), stützte sich mit einer Hand ab und begann mit der anderen, die Blätter zu sich heranzuziehen. „Sir?“ hörte er den Teenager leise neben sich sagen. „Ich glaube nicht, dass ich die Prüfung bestehen werde.“ Ohne sich auf die endlose Trauer in ihren Augen einzulassen, schob Sephiroth die Blätter zu ihr hinüber. „Wirf die in den Müll, sie sind wertlos und blockieren Selbstvertrauen und Konzentration.“ Cutter gehorchte verblüfft. „Das wirst du ab jetzt mit jedem misslungenen Lösungsvorschlag tun, verstanden? Keine Ausnahmen. Und jetzt fängst du von vorne an, mit neuen, unbeschriebenen Blättern. Sofern die Aufgaben nicht zusammenhängen, such dir eine beliebige aus und lies sie dir dreimal durch. Lass das gelesene wirken. Ich möchte, dass du laut denkst, damit es für mich nachvollziehbar bleibt.“ Die Auge des Teenagers weiteten sich in unfassbarem Erstaunen. „Sie... Sie wollen mir helfen, Sir? Wirklich?“ Auf dem Schreibtisch stapelten sich Anträge. Die Mails kamen im Sekundentakt. Das Telefon... aber das hier... „Fang an.“ Die Trauer in Cutters Augen verwandelte sich in neu erwachende Hoffnung während sie nach ihrem Stift griff und die neuen Anweisungen befolgte. Allein war das Mädchen völlig überfordert gewesen, aber jetzt... es fühlte sich an, als hielte ihr jemand den Rücken frei. Halblaut informierte sie Sephiroth über ihre Gedankengänge, und dieser hörte aufmerksam zu, unterbrach nur, wenn sich ein Fehler einschlich, tat es aber auf eine Art und Weise, die Cutter zum selbst denken animierte. „Wow“, murmelte diese irgendwann, „ich habe zwar nicht vergessen, dass Sie alles über die Lines gelesen haben, Sir, aber dass Sie so gut mit der Theorie klar kommen...“ „Bezüglich der Lines ist Theorie alles, was ich habe.“ „Vielleicht sollten wir uns als Team für die Prüfung anmelden.“ Sie grinste. Sephiroth warf ihr einen spöttischen Blick unter langen, silbernen Wimpern zu und bedeutete ihr, mit dem Lösungsversuch fortzufahren. Desweiteren wusste er längst, wo das Hauptproblem des Teenagers lag. „Du erreichst den konzentrationstechnischen toten Punkt früh und oft, aber das muss kein Hindernis sein. Mach eine kurze Pause und entspanne deinen Geist. Schöpfe Kraft. Dann mach weiter. Und denk daran: um zu bestehen, musst du nur die Mindestpunktzahl erreichen. Dafür sollten fünf bis sechs Aufgaben genügen. Machen wir weiter!“ Sie lösten die ersten beiden Aufgaben gemeinsam. Bei der dritten hielt sich Sephiroth zurück und beobachtete, wie Cutter seine Vorschläge zur Überwindung des toten Punktes beherzigte und erfolgreich anwandte. Dass die Lösung dennoch falsch war, lag schlicht und ergreifend daran, dass der Teenager zwei Ziffern vertauscht hatte. Ein waschechter Flüchtigkeitsfehler. Aber dennoch... Cutter kannte die Formeln. Es fiel ihr nur schwer, sie richtig einzusetzen. Nichts, was Sephiroths Besorgnis milderte. Die echte Prüfung fand schon übermorgen statt, und dann würde niemand da sein, um dem Mädchen zu helfen... Aber es war Cutter. Immer für eine Überraschung gut. Letztendlich blieb er fast zwei Stunden in der Bibliothek und erstellte sogar noch ein paar eigene Aufgaben für den Teenager. Als er den großen Raum wieder verließ, begegnete er auf dem Flur Azrael. „Leisten Sie praktische Hilfe bei der Theorie, Sir?“ Sephiroth entließ ihn mit einem nicken aus der militärischen Begrüßung ehe er antwortete. „So könnte man es wohl nennen.“ Er wandte den Kopf und gemeinsam sahen sie zu dem Teenager hinüber, der sich der nächsten Aufgabe gewidmet hatte. Schweigend beobachteten die beiden Männer wie sich Cutters Eifer ausdünnte, ihre Schreibbewegungen langsamer wurden und schließlich ganz innehielten. Steile Falten erschienen auf der Stirn des Mädchens. Sie legte den Stift weg und starrte auf die Aufgabe und ihre Notizen. „Ist es nicht absurd, General?“ hörte Sephiroth es leise neben sich sagen. „Dieselbe Person kann die 2nd Lines bewandern, als wäre es ein Kinderspiel. Ich habe sie letztens dabei beobachtet. Es ist unglaublich.“ „Leider wird in den Prüfungen danach nicht gefragt.“ Azrael schnaubte verächtlich. „Offiziell existieren die 2nd Lines nicht. Und selbst, wenn Cutter die Prüfung besteht... Ich bezweifle, dass eine Einzelperson das ganze System zum Einsturz bringen könnte. Wir bräuchten mehr von ihrer Sorte um Theorien auszuprobieren, Vergleiche anzustellen... Das ganze Programm.“ Er schüttelte den Kopf. Am Tisch begann der Teenager eben mit dem dritten Lösungsanlauf. „Soviel Zeit wird sie übermorgen nicht haben“, murmelte Azrael deprimiert. „Diese verdammte Prüfung...“ Sie schwebte über den Köpfen aller involvierten wie das größtmögliche Unheil, hinter dem sich eine nebelhafte, ungewisse Zukunft abzeichnete. Und als wolle das Schicksal Kontraste setzen, hellte sich am Tisch Cutters Gesicht urplötzlich auf, ein grinsen stahl sich in ihre Mundwinkel, und schließlich strahlte sie übers ganze Gesicht. Korrekte Lösung erfolgreich und völlig selbstständig erarbeitet. Azrael schüttelte abermals den Kopf und seufzte leise. „Übermorgen werden wir sehen, was passiert.“ Leichtes Kopfnicken. Übermorgen. Und das übermorgen, der rot angestrichene Tag im Kalender, der Moment, in dem sich alles entscheiden würde... kam. Cutter hatte nächtelang nicht geschlafen. Alle beruhigenden Übungen waren machtlos gegen so viel Aufregung und Angst, und sie fühlte sich aufgekratzt und todmüde gleichzeitig. Während sie mit ihren Klassenkameradinnen vor dem Prüfungsraum wartete, ließ sich Cutter auf den Boden sinken, zog die Knie an den Körper heran, legte den Kopf darauf, schloss die Augen und versuchte verzweifelt, ihr wie wild schlagendes Herz und die schäumenden Gedanken zu beruhigen. Neesha warf einen spöttischen Blick in ihre Richtung und flüsterte den anderen Mädchen etwas zu, woraufhin diese kichernd nickten. Cutter versuchte, es zu ignorieren und sich selbst Mut zu machen. Du kannst es! Du weißt, dass du es kannst! Nimm die Gedanken zusammen, konzentrier dich, mach deine Pausen, lass dich nicht verrückt machen... Du kannst es! Du hast so viel geübt... sogar mit dem General, Cutter, vermassel es jetzt nicht, sonst ist alles aus! Bitte... Aber es gelang ihr nicht, ihre Zweifel aus dem Weg zu räumen. Wenn sie wenigstens noch einmal mit Zack hätte sprechen können... bestimmt wäre es ihm gelungen, sie zum lachen zu bringen und damit zu beruhigen. In seiner und Sephiroths Nähe gab es einfach keine Bedrohung oder Angst, es war als ob... Ein leises klicken in den Lautsprecherboxen an der Decke kündigte eine der vielen täglichen Ansagen an. Daran war an sich nichts außergewöhnliches, in einem Gebäude, das den Arbeitsplatz für so viele Menschen darstellte, gab es ständig Mitteilungen, die weitergegeben werden mussten. Für gewöhnlich folgte dem typischen klicken eine Frauenstimme, diesmal allerdings erklang... Musik. Keine gewöhnliche Musik. Es klang mehr wie ein... Handyklingelton. Das Leben auf den Fluren geriet ein wenig ins stocken. Köpfe hoben sich fragenden Blickes zu den Lautsprecherboxen. Die Musik verstummte und dann... ein begeistertes jubeln. „GUTEN MORGEN SHINRA!!!!“ Während sich in dem riesigen Gebäudekomplex auf viele Gesichter ein erwartungsvolles grinsen legte und Sephiroth, der momentan ebenfalls auf den Fluren unterwegs war und die Stimme sofort erkannte, ein kaum hörbares „Oh nein...“ von sich gab, hob auch Cutter den Kopf zu den Boxen empor. Der Sprecher klang wie... „Hier ist Radio Zack Fair mit seiner ersten und wie ich befürchte auch letzten Ausgabe, denn ob ihr es glaubt oder nicht, der Sicherheitsdienst ist schon hier und versucht, meine liebevoll blockierte Tür aufzubrechen. Sachte Jungs, wenn ihr´ s kaputt macht, müsst ihr´ s auch bezahlen! Bis es soweit ist, würde ich ja Hörerwünsche entgegennehmen und spielen, aber leider fehlt mir dazu etwas entscheidendes, nämlich die CD´s. also müssen wir improvisieren. Ruft mich an und sagt mir, welchen meiner Handyklingeltöne ihr hören wollt und...“ Ein unschön klingendes Geräusch mischte sich in seine Worte. Ganz offensichtlich stand der Sicherheitsdienst kurz vor einem Erfolg. „Ha! Jetzt müsst ihrs aber so was von bezahlen! Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, ich fürchte, wir müssen Zacks lustige Stunde der Handyklingeltonwunschmusik ausfallen lassen. Ich komme stattdessen gleich zum Wetter. Es ist nass und arschkalt draußen. Bleibt bloß drinnen. So. Kommen wir zum eigentlichen Grund meines hierseins... Ooooh Cutter-chaaaan!! Cuttie-cut!!“ Ungeachtet der deutlich näherkommenden Lautstärke des weiter vorrückenden Sicherheitsdienstes fuhr Zack mit etwas mehr Ernsthaftigkeit in der Stimme fort: „Du kannst es, Cutter-chan! Ich weiß es. Wir wissen es. Also... halt die Ohren steif und glaub an dich, dann wird alles gut. Ok, Süße?“ Seine Stimme wurde wieder wesentlich heiterer. „Und bevor die Jungs vom Sicherheitsdienst mich gleich besuchen obwohl ich sie gar nicht eingeladen habe, spiele ich euch noch meinen neusten Klingelton vo... Hallo Jungs, gut, dass ihr da seid, man hat mich entführt und hierzu gezwungen, sonst wollten sie meinen Goldfisch ertränken, sein Name ist Jimmy, und...“ Klick. Stille. Und herzliches Gelächter. Es kam von überall her, aus den Büros, den Fluren... der gesamte ShinRa Komplex amüsierte sich noch minutenlang, sogar die kurz darauf folgende Entschuldigungsdurchsage (natürlich nicht von Zack) wurde mit unterschwelligem kichern begrüßt. Auch Cutter lachte. Sie konnte einfach nicht anders. Und ihre Angst wurde ein wenig kleiner. Als Azrael auftauchte, konnte der Teenager schon wieder grinsen. Fest entschlossen, diesen Kampf zu gewinnen, betrat sie den Klassenraum. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ * * * ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ja. So war es gewesen. Immer noch bewegungslos auf dem Sessel in seinem Büro sitzend, tauchte Sephiroth langsam aus den Erinnerungen auf und öffnete wieder die Augen. Ihm war nach einem tiefen seufzen zumute, aber er unterdrückte es, wissend, dass es nichts bringen würde. Das Schicksal hatte sich entschieden. Und der vorhin eingegangene Anruf hatte dem General die Wahl mitgeteilt. Sie war hart, kalt – und offiziell. Die theoretische Prüfung war seit kurzem vorbei. Und Cutter, der einzigen BW, dem ein gefahrloser Aufenthalt in den geheimnisvollen und unerforschten 2nd Lines möglich war, das absolute Ausnahmetalent, jemand, der härter und besser gekämpft hatte als alle anderen... war durchgefallen. Mit nur einem Punkt weniger als es zum Bestehen der Prüfung notwendig gewesen wäre. Sephiroth öffnete eine der Schreibtischschubladen und entnahm ihr eine schmale Schatulle. In ihr befand sich das Symbol der Blue Wanderer, zwei kleine silberne Flügel zum anbringen auf der Uniform, in 9-facher Ausfertigung. Der General löste vorsichtig eines davon ab. Die Flügel in seiner Hand wirkten im Vergleich zu der durch sie symbolisierten Zukunft winzig. Es ist nicht richtig, dachte er. Dann jedoch packte er sie in einen gefütterten Umschlag, legte diesen mit einem entsprechenden Vermerk auf den Stapel mit der Hauspost und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Kurze Zeit später tauchte Zack in seinem Büro auf, wie üblich unaufgefordert und ohne anzuklopfen. „Weißt du schon was wegen Cutter??“ Sephiroth griff nach der ausgedruckten Mail vor sich und hielt sie hoch. „Beschwerde des Präsidenten bezüglich deiner unerwünschten Co-Moderation von heute morgen. Er fordert diesbezüglich eine scharfe Zurechtweisung. Also... fühl dich scharf zurechtgewiesen.“ „Du schickst mich nicht zur Strafe in den Cosmo Canyon?“ Für jemanden wie Zack war dieser Ort – auch nach etlichen `Besuchen´ - das Paradebeispiel für Langeweile. Nach der heutigen Aktion hätte er fest mit einer vorübergehenden Abkommandierung dorthin gerechnet. Nun war er ehrlich überrascht über ein ausbleiben selbiger. „Hat dein Aufenthalt dort jemals etwas gebracht? Nein. Abgesehen davon steht mittlerweile unter jeder von dort kommenden SOLDIER Anforderung `Bitte schicken Sie nicht Zackary Fair!´.“ Zack prustete vergnügt. „Ernsthaft? Manche Leute sind einfach zu nachtragend...“ Dann wurde er schlagartig ernst. „Seph, was ist mit Cutter?“ „Nicht bestanden“, informierte der General ruhig. Zack gab sich keine Mühe, sein Entsetzen zu verbergen. Tief erschüttert ließ er sich in einen der freien Sessel vor dem Schreibtisch fallen und schüttelte entgeistert mit dem Kopf. „Verdammt...“ Dann sah er wieder auf, suchte Sephiroths Blick. „Und jetzt?“ „Die Vorschriften sagen...“ „Ich kenne die dämlichen Vorschriften!“ unterbrach der 1st heftig und ziemlich respektlos. „Vorsicht, Zackary.“ Sephiroths Stimme war nur ein leises grollen. „Sir, ich bitte um Verzeihung.“ Dann fuhr er sich mit beiden Händen durch die Haare, eine seiner absolute Hilflosigkeit ausdrückenden Gesten, und verschränkte die Hände hinter dem Nacken. „Ich meine nur... was machen wir jetzt? Seph, sie hat keine Alternative hierzu. Wo soll sie hin? Auf die Straße? Zurück zu ihrem alkoholsüchtigen Vater? Das können wir nicht zulassen!“ „Es gibt Vorschriften für Fälle wie diesen.“ „Brich sie!“ flehte Zack. „Oder umgeh sie, irgendwie... Bitte, Seph! Es muss doch irgendeinen Weg geben, Cutter zu retten!“ Sephiroth sah über den Schreibtisch hinüber zu dem verzweifelt nach einer Lösung suchenden Zack. Und deshalb, dachte der General, hat es eben doch keinen Sinn, sich an andere Menschen zu gewöhnen. Es ist und bleibt eine Schwäche. Ein Fehler. Den ich nicht begehen werde. Der Starke ist am mächtigsten allein. Ich mag mittlerweile viele von Hojos Aussagen anzweifeln... aber mit dieser hatte er Recht. Trotz allem. „Verabschiede dich von ihr, Zack.“ Ungerührt widmete er sich wieder seinem PC. Zack erhob sich, langsam, stützte sich auf der Platte des Schreibtisches ab und lehnte sich nach vorne. Sephiroth wandte den Kopf. Einen Moment lang sahen sich die beiden Männer direkt in die Augen, ein Paar zerwühlt von Sorge, das andere Paar eisig und erhaben. Dann jedoch veränderte sich Zacks Ausdruck. Aus Sorge wurde Glauben. „Das kannst du nicht.“ Seine Stimme klang leise, aber wissend. „Bis morgen früh 0800 Uhr ist Cutter noch Teil deiner Einheit. Und du hast noch nie jemanden deiner Leute kampflos aufgegeben. Niemals.“ Dann brachte er wieder etwas respektableren Abstand zwischen sich und seinen kommandierenden, völlig unbeeindruckten Offizier. „Ich geh sie suchen. Und trösten.“ „Wonach immer dir ist“, lautete die gelangweilte Antwort. Untermalt vom gleichgültigen klackern der Tastatur verließ Zack den Raum. Cutter zu finden erwies sich als problemlos. Sie war genau dort, wo er sie vermutet hatte: in ihrem Quartier, auf dem Bett, den Kopf in das Kissen vergraben – absolut ge- und zerschlagen von den jüngsten Entwicklungen. Zack ließ sich auf dem neben dem Bett stehenden Stuhl nieder, und als Cutter den Kopf zu ihm wandte, breitete der 1st nur schweigend die Arme aus. Zwei Sekunden später schloss er sie wieder um den Körper des Teenagers. „Nur ein Punkt“, schluchzte Cutter. „Es hat nur ein einziger Punkt zur Mindestsumme gefehlt. Nur einer...“ Zack begann schweigend, sie hin und her zu wiegen, bis das verzweifelte schluchzen verklungen war und sie nur noch leise weinte. „Was... was mache ich denn jetzt, Zack? Wo soll ich hin?“ „Sephiroth wird einen Weg finden.“ Seine Stimme klang ruhig und fest. „Nachdem ich ihn so enttäuscht habe? Wohl kaum...“ „Oh Cuttie, glaubst du denn allen Ernstes, seine SOLDIER würden immer nur Erfolge abliefern? Nicht mal wir schaffen das.“ „Aber er hat keinen Grund...“ Und, fügte sie in Gedanken hinzu, mein mentaler Fokus zu sein, ist auch keiner. Nur ein Detail. „Cutter. Vertrau ihm. In auswegslosen Situationen rufen sie nach ihm, und weißt du, warum? Weil er immer einen Weg findet. Ich hab´ s oft genug gesehen, glaub mir. Noch ist nicht alles verloren. Und jetzt wisch dir die Tränen ab und lach wieder für mich, ok?“ Der Teenager nickte langsam und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Richtig. Wenn jetzt noch jemand ein Wunder bewirken konnte, dann niemand außer Sephiroth. „Deine Ansage heute morgen war genial“, murmelte sie, gefangen in der typischen Erschöpfung, die Gefühlsausbrüchen wie diesem unmittelbar folgte. „Ich weiß“, grinste Zack. „Irgendwann mach ich eine zweite Folge, was meinst du?“ Und endlich konnte er Cutter wieder flüchtig lachen hören, ehe es erneut still wurde. Bitte, Sephiroth, dachte der 1st. Bitte... Die Sonne berührte schon den Rand des westlichen Horizontes, ehe Sephiroth das nächste Mal aufsah. Seit Stunden war er (abgesehen von dem wie immer vor Angst schlotternden Boten, der die Hauspost mitgenommen hatte) nicht mehr gestört worden. Lange Schatten füllten den ansonsten in gold- und orange gebadeten Raum, in dem abgesehen vom leisen summen des Pc´s kein Laut zu hören war und in den kein Laut drang. Es fühlte sich an, als sei die Zeit stehen geblieben, als... warte sie auf etwas. Zacks Worte... Sephiroth gelang es nicht, sie in sich zu versenken und verstummen zu lassen. Weil sie der Wahrheit entsprachen, das wusste er nur zu genau. Aber galt das auch für einen Kadetten? Letztendlich war jeder ersetzbar, und es blieben noch 8 Blue Wanderer des aktuellen und der Rest des vergangenen Jahres übrig. Mehr als genug. Der Verlust... Verlust? Das Wegfallen eines BW konnte man problemlos als `natürliche Auslese´ bezeichnen. Gute, logische, nachvollziehbare Gedanken. Und die anderen, dachte Sephiroth. Die den nur mir bekannten, absoluten Notfallplan beinhalten, an dem ich seit Tagen arbeite, und der niemals in die Tat umgesetzt werden sollte. In Gedanken spielte er die Zukunft durch. Bis morgen früh um 0800 Uhr hatten alle unerfolgreichen Blue Wanderer Prüfungsabsolventen das ShinRa Gebäude zu verlassen. Für den Rest begann morgen um diese Zeit die praktische Prüfung. Sephiroth lehnte sich zurück. Es ist nicht richtig. Dann sah er auf die Uhr und schüttelte den Kopf. Vieles war nicht richtig und wurde trotzdem praktiziert. Aus Dummheit, Faulheit, Bequemlichkeit... Die Gründe mochten ebenso vielfältig wie grotesk sein. Die Vorschriften in diesem Fall jedoch waren klar und besiegelten gnadenlos ein weiteres Schicksal. Oder? Tief versunken in Gedanken massierte der General seine Schläfen mit Daumen und Mittelfinger, während er mit der freien Hand eine der Schubladen neben sich öffnete und den im letzten Moment wieder zurücksortierten Briefumschlag mit den Silberflügeln darin ansah. Was will ich wirklich? Bei dem Gedanken, jemanden mit Cutters Fähigkeiten auf die Straße zu setzen, sträubte sich in ihm alles. Es war, als würde man bewusst einen Lottoschein mit 6 richtigen plus Superzahl vernichten. Der Teenager hatte Talent, Instinkt, Mut... alles! Nur keine erfolgreich absolvierte theoretische Prüfung. Sie nur deshalb zu verstoßen... Sephiroth sah auf. Es mochte noch genügend andere Blue Wandere geben. Aber niemanden wie Cutter. Der absolute Notfallplan... war riskant und ungewöhnlich – wie die meisten Notfallpläne. Aber durchaus einen Versuch wert. General Sephiroth Crescent erhob sich und nahm einen Stapel Papiere vom Schreibtisch. Es war an der Zeit, Präsident Shinra den wöchentlichen Report zu überbringen. Kapitel 20: Notfallplan ----------------------- Rufus Shinra´s Büro war das größte im ganzen Gebäude, und bestand hauptsächlich aus einer gigantischen Fensterfront (natürlich aus Sicherheitsglas) und einem Schreibtisch, auf dessen schwarzglänzender Oberfläche sich niemals mehr als ein paar Blatt Papier ansammelten. Ganz offensichtlich sollte der Anschein erweckt werden, ein so gewaltiges Imperium zu leiten, sei leicht, und es mochte schon Trottel gegeben haben, die darauf hereingefallen waren. Man hätte sich fragen können, wann Rufus seinen Schreibkram erledigte, aber für gewöhnlich war man zu beschäftigt damit, sich in Gegenwart des Präsidenten wie im Fadenkreuz einer äußerst präzisen Schusswaffe zu fühlen. Sephiroth hielt nicht viel von Fadenkreuzen und dergleichen. Er sagte sich, dass eine Waffe, die nachgeladen werden musste, hauptsächlich darauf getrimmt war, im falschen Moment Probleme zu bereiten. Was nicht hieß, dass ihm der Umgang mit Schusswaffen fremd war. Er hatte gelernt, sie einzuschätzen. Der Mann, dessen Büro er gerade betreten hatte, bildete da keine Ausnahme. „Ah, General!“ Rufus Stimme klang fast fröhlich. „Ich habe Sie schon erwartet.“ Natürlich hast du, dachte Sephiroth. Es ist Freitagabend, und ich liefere dir eine blödsinnige Liste mit Informationen ab, die dir schon längst vorliegen. Alles im Rahmen der lächerlichen Beschäftigungstherapie, die ihr euch für mich ausgedacht habt, und die ich mitspiele werde, bis... ich die Regeln ändern werde. „Guten Abend, Mr. President.“ Seine Stimme klang kühl, beherrscht wie immer. „Tseng, Elena.“ Die beiden mit kaum auffälligen Headphones ausgestatteten Turks flankierten den Schreibtisch und wirkten in ihren schwarzen, maßgeschneiderten Anzügen wie Ausrufezeichen. Sie quittierten die Begrüßung mit kurzem nicken und fuhren fort, ihn genauestens im Auge zu behalten. Im Grunde hatte Sephiroth nichts gegen die Turks. In manchen Situationen schätzte er ihr Wirken sehr. In die Kategorie `ernsthafte Gegner´ gehörten sie dennoch nicht. Jedenfalls nicht für ihn... 5 Sekunden für Elena. Um Tseng zu erledigen etwas mehr. Vielleicht 6 Sekunden. Mach auch nur eine falsche Bewegung, dachte Tseng, und du erhältst die Quittung. In Gedanken streifte er alle heimlich getroffenen Schutzvorkehrungen, die immer dann aktiv wurden, wenn General Crescent das Büro des Präsidenten betrat, und dass mit Sicherheit eine der vielen Anlagen ihren Zweck erfüllen würde. Was er nicht wusste, war, dass Sephiroth sie längst alle bis ins Detail kannte und entsprechende Antipläne ausgearbeitet hatte... Eben trat der uneinschätzbare Schwertkämpfer an den Schreibtisch. „Nur die üblichen Dokumente.“ „Danke.“ Rufus griff danach (perfekt manikürte Nägel, wie immer) und ließ den Blick über die Unterlagen schweifen. „SOLDIER leistet wie üblich hervorragende Arbeit unter Ihrer Führung, General.“ Heuchler. „Ich werde Ihr Lob an meine Männer weiterleiten.“ Für gewöhnlich war das Theater nun vorbei. Sephiroth hätte sich jetzt empfehlen, das Büro verlassen und alles seinem gewohnten Gang überlassen können. Aber diesmal... Er beendete sein bis dahin andauerndes nachdenken... und entschied sich endgültig. Keine vorhergehenden Diskussionen mit den Beteiligten, und somit keine Mitwisser. Keine falschen Hoffnungen. Ein klassischer Alleingang. „Was diese hervorragende Arbeit angeht, Präsident Shinra, ich habe ein Anliegen.“ Es war schwer zu sagen, ob die Verblüffung in Rufus Augen ernst oder nur gespielt war. Sie verblasste zu schnell. Er lehnte sich in dem bequemen Sessel nach vorne. „Ein Anliegen?“ Seine Neugier war unverhohlen. Verständlich. Bisher war es höchstens 2 x vorgekommen, dass Sephiroth ein „Anliegen“ zur Sprache gebracht hatte, und beide Male hatte es sich als sinnvoll und nützlich erwiesen. Was es wohl diesmal war? „Ich würde es gerne unter vier Augen mit Ihnen klären.“ Rufus lachte. „Wollen Sie mich umbringen, General?“ In Sephiroths Stimme lag nicht der geringste Funken Erheiterung als er antwortete. „Darauf komme ich zu einem späteren Zeitpunkt zurück.“ Rufus Erheiterung flackerte nicht einmal. An dem Wahrheitsgehalt der erhaltenen Antwort jedoch zweifelte er keine Sekunde. Ja, du würdest es tun. Aber nicht heute und jetzt. Das wäre dir zu einfach. Du wählst einen Moment, in dem ich nicht mit dir rechne. Und daher... werde ich immer mit dir rechnen! Im Grunde sind wir wie zwei Raubtiere, die einander lauernd umkreisen und auf einen Fehler des anderen warten. Ich liebe solche Spiele, weil ich stets gewinne. Immer noch überlegen lächelnd bedeutete er den beiden Turks, den Raum zu verlassen, und wies auf einen der freien Plätze vor dem Schreibtisch. „Setzen Sie sich, und berichten Sie von Ihrem Anliegen.“ „Gerne. Da ich aber weiß, dass dieser Raum nach meinem Eintreten augenblicklich Video- und Mikrofontechnisch überwacht wird, möchte ich Sie außerdem bitten, sämtliche Mikrofone sowie Kamera Eins bis Vier auszuschalten.“ Rufus Selbstsicherheit geriet für einen Sekundenbruchteil ins schwanken. „Sie sind gut informiert“, sagte er, während er die Überwachungsgeräte am von Sephiroth erwarteten Punkt deaktivierte. „Informationen bedeuten Überleben“, lautete die beinahe lässige Antwort. „Das letzte Mikrofon auch, bitte.“ Diesmal huschte leichter Ärger durch den Blick des Präsidenten. Es wunderte ihn nicht, dass Sephiroth die Überwachungsanlagen kannte, aber das gerade ausgeschaltete Mikrofon war ganz neu installiert und noch keine 24 Stunden im Dienst... Die zu übermittelnde Nachricht musste von höchster Brisanz sein, wenn der General darauf bestand, sie ausschließlich ihm mitzuteilen. „Präsident Shinra“, begann Sephiroth endlich, „Sie wissen, dass die Kadetten der Spezialeinheit B 14 heute ihre theoretische Prüfung abgelegt haben.“ Rufus nickte. „Sie sind den hohen Ansprüchen gerecht geworden. Bis auf eine Ausnahme. Ein hoffnungsloser Fall, wie ich hörte, und das von Anfang an.“ Nicht hoffnungslos, dachte Sephiroth. Anders. „Um genau diese Person geht es. Mr. President, was wissen Sie über die Lines?“ „Was muss ich über die Lines wissen, General Crescent?“ Für die nächsten Minuten lauschte er aufmerksam und ohne zu unterbrechen. „BW Kadettin Tzimmek“, schloss Sephiroth schließlich, „ist in der Lage, diese 2nd Lines ohne Probleme zu bewandern.“ Die Begegnung im Dschungel und den mentalen Fokus hatte er mit keiner Silbe erwähnt. Einen Moment lang blieb es ganz still. Rufus saß völlig bewegungslos, in einer Position die zu gleichen Teilen Nachdenklichkeit und Entspanntheit ausdrückte, da, und sah an Sephiroth vorbei zur Wand. „Sie meinen also“, sagte er irgendwann, „ich soll Tzimmek aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten für dieses Unternehmen arbeiten lassen, als habe sie die Prüfung bestanden.“ Er schüttelte den Kopf. „Das ist absolut unmöglich. Bedenken Sie die Konsequenzen, wenn das publik wird. Außerdem wiederspricht es dem ShinRa Prinzip, nur die Besten zu nehmen.“ Sephiroth hatte mit einem ersten Abschmettern seines Antrages gerechnet und sich eine entsprechende Vorgehensweise zurechtgelegt. „Nein.“ „Nein?“ „Ich möchte nicht, dass Sie so tun, als habe sie die Prüfung bestanden. Das entspräche nicht der Wahrheit. Ich möchte, dass Sie Tzimmeks theoretisches Prüfungsergebnis ignorieren.“ Rufus schwieg einen Moment, während seine Augen den Mann vor sich aufforderten, weiter zu sprechen, ihn zu überzeugen, ließ aber keinen Zweifel daran, längst zu wissen, worauf Sephiroths Anliegen... seine Bitte letztendlich hinauslaufen würde. Es war ein Spiel. Ein Spiel, in dem er, Rufus Shinra, die Regeln bestimmte und nach Belieben ändern oder auch ganz wegfallen lassen konnte. Die Gewissheit, dass sich der General darüber völlig im klaren war, machte die Situation umso interessanter. Sephiroth wusste, dass er sich in einer passiven Stellung befand und diese mit der nächsten Gelegenheit hätte verstärken können. Er jedoch plante in die völlig entgegengesetzte Richtung und war weit davon entfernt, sich wie ein Untergebener vor seinem Herrn zu winden und um dessen Gunst zu flehen. Menschen wie Rufus mochten in ihren Taten uneinschätzbar sein, wenn man es jedoch objektiv betrachtete, liefen alle seine Anweisungen auf dasselbe Ziel hinaus: Machtsteigerung und ein Halten dieser neuen Position. Wie man dies erreichte, war nebensächlich. Sephiroth war klar, alles, was er tun musste, war, in Rufus das Verlangen nach einer Person wie Cutter in seinen Reihen zu wecken. „Versuchen Sie Tzimmek nicht als unerfolgreiche Prüfungsabsolventin zu sehen, Mr. President.“ „Sondern?“ „Als Brücke zu einer uns bislang unerreichbaren Welt voller neuer Möglichkeiten. Eine Art Schlüssel.“ „Der beste Schlüssel ist nutzlos, wenn er aus schlechtem Material angefertigt wurde, das wissen Sie ebenso gut wie ich, General.“ „Selbstverständlich. Mir ist aber auch bekannt, dass die Reise in die 2nd Lines unter mentalen Höchstbedingungen geschieht. Schlechtes Material würde auf der Stelle zerbrechen. Von daher gehe ich davon aus, dass es sich in diesem Fall um gänzlich neues Material handelt, das sich nicht wie gewohnt verhält.“ Rufus lehnte sich schweigend in seinem Sessel zurück und schloss halb die Augen. Jeder andere hätte dies als Zeichen der Langweile gedeutet. Sephiroth jedoch wusste es besser. „Sie sollten bei Ihrer letztendlichen Entscheidung außerdem bedenken: Tzimmek weiß um ihre Besonderheit, und sie sucht – wie alle Menschen in dieser Stadt - nach einer Möglichkeit, zu überleben. Weshalb riskieren, dass sie sich auf die falsche Seite schlägt?“ „Ich könnte sie ebenso gut auf der Stelle erschießen lassen oder für immer einsperren.“ Sephiroth lächelte beinahe herablassend. „In diesem Zustand dürfte Sie Ihnen kaum nützlich sein. Aber lebendig und für Sie arbeitend kann sie etwas sein, das jeder gute Spieler gerne auf der Hand hat und zu schätzen weiß: ein Joker. Ein absolut einzigartiger Joker. Und er könnte Ihnen gehören.“ Rufus Shinra hob den Kopf und versuchte, dem Mann vor sich länger als fünf Sekunden in die Augen zu sehen, scheiterte aber einmal mehr. Es war unmöglich, sich diesem Gefühl einer nur mit Mühe gebändigten, tobenden Kraft, die jeden Augenblick losbrechen konnte um Grenzen niederzureißen, langfristig auszusetzen. Um sein erneutes scheitern zu vertuschen, ließ er seinen Stuhl herumschwingen, so dass sein Gesprächspartner nur noch die schwarze und extrem abweisende Lehne vor sich hatte. Sephiroth gestattete sich ein kaum merklichen, zufriedenes lächeln. Ansonsten blieb er völlig ruhig, wissend, dass er jetzt warten musste. Schon wieder. Und bestimmt nicht zum letzten Mal für heute. Rufus sah durch das herrliche Panoramafenster hinaus auf die Stadt. Seine Stadt, ganz egal, was andere diesbezüglich behaupteten. Sie alle hatten keine Ahnung, waren nichts als Figuren auf einem Spielbrett. Eine nette Unterhaltung. Leicht zu ersetzen. Im Grunde völlig bedeutungslos, und ihre kleinen, armseligen Leben liefen nach Regeln ab, die er bestimmte, und jedes dieser schwachen Wesen dort unten wurde täglich geprüft, ob er die von ShinRa erhaltenen Gaben auch tatsächlich verdiente. Ein Versagen wurde nicht toleriert. Aber... ein Joker? Etwas einzigartiges in seinem Besitz zu haben, war immer vorteilhaft. Neue Wege zu beschreiten war notwendig, wenn man nicht auf alten, ausgetretenen Pfaden von gerisseneren Leuten überholt werden wollte. Aber Prüfungen auf die leichte Schulter zu nehmen war... dumm. Und unvorsichtig. Abgesehen davon... es gab bereits genug Angestellte, deren Aufgabe es war, Personen aufzuspüren. Tzimmek wurde nicht gebraucht. Ein Joker... „ShinRa´ s Wohl hängt nicht von der Kraft einer einzelnen Person ab, und für Versager ist hier kein Platz.“ Als ihm der General nicht die Freude machte, auf die Provokation hereinzufallen, verzog Rufus fast ärgerlich, aber ungesehen das Gesicht. Dann jedoch... „Nun gut, ich werde mir Ihre Argumente durch den Kopf gehen lassen, General.“ „Ich werde auf Ihre Entscheidung warten, Mr. President.“ Sephiroth erhob sich, verließ das Büro und machte sich auf den Weg in sein eigenes. Rufus Shinra, dachte er, eines Tages werde ich dich töten. Und ich werde es ganz langsam tun. Aber jetzt noch nicht. Bis spätestens morgen früh um 0800 Uhr würde ihm die Entscheidung des Präsidenten vorliegen. Nun gut, er würde warten. Hier. Arbeit gab es mehr als genug. Er aktivierte die Kaffeemaschine und stellte sich auf eine lange Nacht ein. Es war weit nach Mitternacht, als ein Bote ihm den Entschluss des Präsidenten überbrachte. Sephiroths Augen fraßen die Worte des Arbeitsvertrages. Alles ganz wie erwartet. Eigentlich gehörte der Wisch direkt in den Reißwolf. Aber mehr, das war dem General völlig klar, konnte er in dieser Situation nicht verlangen. Er griff zum Telefon und erteilte den Befehl, eine bestimmte Person in sein Büro zu bringen. Lange dauerte es nicht, bis Cutter vor ihm stand. Sie wirkte müde und erledigt, aber gefasst. Der Ausdruck in ihren Augen glich dem eines Reisenden, dessen wichtigster Zug gerade vor seiner Nase abgefahren war, und das in eine Richtung, die nie wieder ein anderer Zug nehmen würde. „Sie wollten mich sprechen, Sir?“ „Steh bequem.“ Er sah zu der Verkörperung dahingeschmolzener Hoffnung hinüber. „Kannst du dir denken, warum ich dich hergerufen habe?“ Ein gequältes lächeln. „Bestimmt nicht, um mich zu beglückwünschen, Sir.“ „Nein. Setz dich, Cutter.“ Diesmal sogar zu geschlagen für Verblüffung ließ sich der Teenager langsam in einem der für sie viel zu großen Sessel vor dem Schreibtisch nieder. Der „Ich-hab-den-wichtigsten-Zug-meines-Lebens-verpasst“ Blick blieb wie eingebrannt in ihren Augen haften. „Sir“, begann sie leise, „ich... Sie und Zack haben soviel Mühe und Zeit in mich investiert, und jetzt war alles umsonst, es ist so...“ Sie schüttelte den Kopf ehe sie aufsah. „Ein Punkt.“ Nur ein flüstern. „Es war lediglich ein verdammter Punkt! Es...“ Sephiroth hob die Hand und der Teenager verstummte. „Es ist oft nur ein einziger Punkt, der zum Erfolg fehlt. Manche Leute sehen darin eine Metapher für viele Augenblicke ihres Lebens. Aber jetzt haben wir beide etwas anderes zu besprechen.“ Er griff nach dem Arbeitsvertrag und reichte ihn dem Teenager. „Lies das durch. Ich beantworte deine Fragen.“ Und du wirst jede Menge davon haben, fügte er in Gedanken hinzu. Cutter nickte und begann zu lesen. Arbeitsvertrag. Arbeitsvertrag?!? Ihr Kopf ruckte nach oben, weit aufgerissene, ungläubige Augen suchten den Blick des Generals, die vertraute Kühle und Distanziertheit, aber auch die Gewissheit, nach einem Plan zu handeln... „Lies“, sagte er einfach, und der Teenager tat genau das, mehrere Minuten lang, in absoluter Stille. „Und jetzt lies ihn nochmal. Halt bei jedem Punkt, den du nicht verstehst oder Fragen hast, an.“ Sie gingen den Vertrag gemeinsam durch, Paragraph für Paragraph, und Cutter wurde langsam klar, dass ihr für verloren geglaubter Zug zwar zurückgerollt kam, aber einige Veränderungen daran durchgeführt worden waren. Dem intensiven Gespräch folgte eine lange Stille, so schwerwiegend, dass man sie hätte greifen können, und im Kopf des Mädchens hallten die Echos des eben durchgesprochenen ohne Unterlass nach. Der Vertrag sagte aus, dass es alle sich bei einer erfolgreichen militärischen Laufbahn mit guten oder exzellenten Leistungen für gewöhnlich von alleine einstellenden Anerkennungen – wie Orden, Beförderungen oder Gehalteserhöhungen – nicht existieren würden. Ebenso wenig wie Urlaub oder sonstige freie Tage. Die Bezeichnung „Blue Wanderer“ durfte nicht mehr von Cutter in Bezug auf sich selbst verwendet werden, auch, wenn es der offizielle Name für alle anderen blieb, und der Teenager sich nach wie vor als Teil dieser Einheit sehen durfte. Was ebenfalls fehlen würde, war ein entsprechendes Erkennungszeichen auf der Uniform. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses konnte von Seitens der EPC ohne jegliche Warnung oder Frist erfolgen. Sollte die zu unterzeichnende Person dies alles akzeptieren, wurde ihr gestattet, weiterhin für ShinRa zu arbeiten. Der General beobachtete den vor sich sitzenden, schweigenden Teenager, wissend, dass sie sich nichts mehr gewünscht hatte, als die Silberflügel eines ShinRa Blue Wanderers zu tragen. Es war das große Ziel gewesen, von Anfang an, und alle Kämpfe waren dafür überstanden worden. Sie vor wenigen Stunden trotz der wirklich bemerkenswerten Fähigkeiten an der letzten großen Schlacht scheitern zu sehen, beinhaltete fast etwas tragisches – war aber im Grunde nichts, was sich nicht ständig überall auf der Welt wiederholte. Und doch... diesmal war es... anders. Es fühlte sich ein bisschen an, als säße ein kleiner Teil seiner selbst auf dem anderen Sessel, überrumpelt – aber in der Lage zu erkennen, dass doch noch nicht alles vorbei war. Wenn auch... „Cutter.“ Sephiroths Stimme klang leise, ernst und wachsam. „Was du da in den Händen hältst, ist ein reiner Ausbeutervertrag. Was du in Wahrheit willst, darüber musst du dir jetzt klar werden, und deine Ziele definieren, neu oder endgültig. Wenn es dir um Auszeichnungen und einen hohen Rang geht – das ist mit einem solchen Vertrag nicht möglich. Wenn du aber lediglich arbeiten und deine einzigartigen Fähigkeiten weiter ausbauen willst – versuch es.“ Der Teenager starrte auf die geschriebenen Wörter, von denen jedes ein Siegel zu einem neuen, noch ungewisseren Schicksal darzustellen schien. Hilfesuchend wandte sie sich wieder an den General. „Was würden Sie tun, Sir?“ „Ich bin jetzt nicht wichtig, Cutter, nur du bist es. Und ich möchte deine Entscheidung nicht mehr beeinflussen als notwendig. Nimm den Vertrag mit und gib ihn mir morgen früh bis 0800 Uhr zurück, egal, wie du dich entschieden hast.“ Etliche Minuten später saß der Teenager an dem kleinen Tisch ihres Quartiers, allein, und starrte auf den Vertrag vor sich. Da stand ihr als verloren geglaubter Zug. Die Türen waren halb geöffnet oder halb geschlossen. Es gab keine Sitz- oder Schlafmöglichkeiten außer dem kalten Boden, die Fenster waren zerschlagen, die Farbe blätterte ab und es gab keinen Zielort. Aber die Räder des Zuges wirkten neu und zuverlässig. Vielleicht glänzten sie sogar ein bisschen. Sephiroths dunkle Stimme erklang noch leise in Cutters Kopf. Nur du bist jetzt wichtig... Ich weiß nicht, was ich tun soll, dachte sie. Es gibt niemanden, der es mir sagen könnte. Ich habe Angst, mich falsch zu entscheiden – und gleichzeitig die Hoffnung, es richtig zu machen. Überleben... Ich möchte überleben. Aber mit der falschen Entscheidung wird mir das kaum gelingen. Mein Platz in dieser Welt... ist er vielleicht doch nicht hier, sondern irgendwo dort draußen, und wartet darauf, von mir gefunden zu werden? Aber Sephiroth... ich frage mich, wie er diesen Vertrag erwirkt hat. Und bei wem. Mehr als das hier, das ist mir völlig klar, kann ich unmöglich verlangen, und es ist schon... so viel... Aber es klingt so brutal, so schwer, und ich weiß nicht, ob meine Kräfte ausreichen werden... Andererseits – mehr als schief gehen kann es nicht. Was aber, wenn... Sie hielt inne und schüttelte den Kopf. „Was soll ich nur machen?“ flüsterte sie. Aber nur Stille antwortete ihr. Sephiroth nahm noch einen Schluck Kaffee, stellte die Tasse ab und sah beiläufig zur Uhr. Sekunden waren zu Minuten geworden, diese schließlich zu Stunden, und jetzt war es genau 0745. Es war dem General nicht schwer gefallen, die Nacht durchzuarbeiten. Einerseits gab es genug zu tun, und andererseits... wartete er auf eine der wichtigsten Entscheidungen des heutigen Tages. Wenn sie schlau ist, dachte er eben, lehnt sie ab. Und wenn nicht, ist sie... Es klopfte sachte an der Tür, dann öffnete sich diese, Cutter betrat den Raum und salutierte vorschriftsmäßig. „Guten Morgen, Sir.“ Sie wirkt sehr, sehr müde. Der Ausdruck in ihren Augen ließ sich selbst für den Großen General nicht klar definieren. „Guten Morgen, Cutter. Steh bequem.“ Einen Moment lang blieb es still zwischen ihnen. Dann jedoch trat Cutter vor – entschlossen, wie Sephiroth registrierte – und gab ihm den Vertrag zurück. Der General blätterte zur letzten, wichtigsten Seite... Die Entscheidung. Da war sie. Erst nach einigen Sekunden hob er wieder den Kopf. Der Teenager stand jetzt wieder etwas weiter entfernt, schweigend und wartend. Ein bisschen wie fallen gelassen. Ein bisschen wie behutsam abgestellt. „Ich schätze“, sagte Sephiroth leise, „das ist eine klare Entscheidung. Und du bist dir über die Konsequenzen völlig im klaren?“ „Ja, Sir.“ „Dein Quartier ist bereits neu verteilt. Du wirst also packen müssen.“ „Steht schon alles hinter der Tür, Sir. Ist ja nicht viel.“ „Korrekt.“ Er schwieg einen Moment lang. „Dein neues Quartier befindet sich in der Golf-Ebene. Erwarte besser keinen Luxus.“ „Ich habe noch ein eigenes Quartier, Sir? Cool.“ Sie grinste. „Ich habe mich schon auf dem Hof in einem löchrigen Zelt übernachten sehen.“ Für einen kurzen Moment wallte Heiterkeit in Sephiroth auf. Dann riss er sich wieder zusammen. „Ich habe dich noch nie mit einem Handy gesehen. Du hast kein eigenes, richtig?“ Zeitgleich mit dem nicken des Teenagers griff er in eine der Schreibtischschubladen und entnahm ihr eine schmale Box. „Das ShinRa Standardmodell. Arbeite das beiliegende Handbuch gut durch, damit du das Gerät bedienen kannst. Technische Probleme oder der Verlust des Gerätes sind unverzüglich der entsprechenden Serviceabteilung zu melden, du findest alle Daten auf der letzten Seite des Handbuchs. Fragen?“ „Ich... kriege ein eigenes Handy, Sir? Wirklich?“ Sie wirkte fast ein wenig ergriffen. „Ich hatte noch nie...“ Fast vorsichtig trat sie an den Schreibtisch und nahm die kleine Schachtel beinahe behutsam an sich. „Ich werde gut drauf aufpassen“, murmelte Cutter ehrfürchtig, während sie auch den neuen Quartierschlüssel an sich nahm und den alten abgab. Eigentlich wäre somit alles geklärt. Aber... manche Fragen hingen in der Luft und machten sich bemerkbar, lange bevor sie ausgesprochen wurden. Sephiroth sah zu dem Teenager hinüber und hing für einen Moment seinen Gedanken nach. Er hatte Cutter niemals als einen Menschen eingeschätzt, dem es vordergründig um Beförderungen, Geld, Macht und ähnliches ging. Jetzt hatte er Gewissheit. Aber wenn es das alles nicht war – was dann? „Cutter, du...“ Er verstummte. „Warum?“ fragte er schließlich leise. „Ich möchte ein Zuhause haben, Sir“, antwortete Cutter ebenso leise. „Ein Zuhause?“ wiederholte Sephiroth ohne lauter zu werden. Er respektierte ihre Entscheidung und plante nicht, das Mädchen zu verunsichern – aber diese Begründung war... absurd! In höchstem Maße. Ich habe, dachte Sephiroth, mein ganzes Leben hier verbracht, es aber nie als das empfunden, was du so gerne darin sehen möchtest. Nur als... Ort. Dann jedoch wurde ihm klar, dass er nicht wusste, wie sich ein `zuhause´ anfühlte, und es ihm somit an jeder Vergleichsmöglichkeit fehlte. Er hatte nicht das Recht, die Beweggründe des Teenagers zu beurteilen. „Ich hatte“, fuhr Cutter leise fort, „nie eins. Nicht so, wie... es sein sollte, wenn man den Geschichten, die ich mittlerweile gehört habe, Glauben schenken darf. Mir ist klar – auch ShinRa wird nicht so sein. Aber es ist... ein Ort an den man zurückkehren kann, mit einem Schlüssel, der in irgendein Schloss passt und eine Tür öffnet.“ Sephiroth konnte es sehen. Die in Cutters Augen leuchtende Hoffnung. Und er erinnerte sich daran, wie seine SOLDIER manchmal in seiner Gegenwart über ihr Zuhause sprachen. Er hatte den Eindruck gewonnen, dass dieses `zuhause´ etwas gutes war, zu dem man immer wieder zurückkehrt, gerne, auf das man sich freute, das man bereit war, zu beschützen, notfalls mit Gewalt, sogar mit dem eigenen Leben. Ein Platz der Sicherheit, an dem man immer willkommen, der mit einem verwoben war für alle Zeiten, und bei dem allein ein Gedanke reichte, um unzählige Erinnerungen zu wecken... Umso absurder war es, das alles auch nur in die Nähe der ShinRa Electric Power Company zu bringen! Auch, wenn Cutter sich darüber im Klaren war... Oder vielleicht gerade deshalb? „Außerdem...“, fuhr der Teenager vor seinem Schreibtisch nach einem kurzen Schulterzucken und Kopfschütteln fort, „... ich habe es so satt, immer alleine zu sein. Einsamkeit ist, wenn man sie nicht gezielt herbeiführt, etwas, an dem man verzweifeln kann. Irgendwann reicht das eigene Feuer nicht mehr, und man erfriert von innen heraus. Ich möchte... hell brennen, hier, und ich werde alles lernen was nötig ist, um in meinem aktuellen Status zu überleben. Sir.“ „Verstehe. Selbst wenn es scheint, als würdest du gar nicht existieren. Wenn Erfolg, der ursprünglich auf dich zurückzuführen ist, anderen zugeteilt wird, denn genau so wird es laufen. Als würdest du nicht existieren. Wie ein Geist.“ „Selbst dann, Sir!“ antwortete Cutter fest. Dann grinste sie. „Was mich nicht umbringt, macht mich nur härter.“ Und was, wenn es dich umbringt, dachte Sephiroth. Hast du jemals daran gedacht? Bestimmt nicht. Für dich ist das alles hier ein Abenteuer, das du bereit bist, zu erleben. Egal, wie lange es dauern mag. „In Ordnung. Ich leite deine Entscheidung weiter.“ ... mutig, beendete er seine viel früher angefangenen Gedanken. Du bist verdammt mutig. Das warst du schon immer. In dir tobt ein Feuer so wild und heiß... Ich traue dir zu, hier zu überleben. Trotz allem. „Da wäre noch etwas, Cutter. Als du aus dem Koma erwacht bist, hast du mich ohne ausdrückliche Genehmigung beim Vornamen genannt.“ Der Teenager schluckte. Sie hatte diese Sache noch nicht vergessen, beinahe täglich mit einer entsprechenden Rüge gerechnet, und als diese bislang ausgeblieben war, angenommen, es geschehe aus Rücksicht zu den bevorstehenden Prüfungen. Aber es war ihr gelungen, eine glaubhafte Entschuldigung zu formulieren. „Sir“, begann Cutter, „ich versichere Ihnen...“ Sephiroth unterbrach sie. „Du darfst das weiterhin tun, wenn du möchtest.“ Irgendwie... erschien ihm das... angemessen. Cutter blinzelte ihn verblüfft an. Es dauerte eine ganze Weile, ehe sie sich wieder gefangen hatte. „E... ernsthaft?“ Außer Zack gab es niemanden, dem dies gestattet war, und Zack war ein 1st Class SOLDIER wie Sephiroth selbst... und sie war... ja. Das würde sich wohl erst noch definieren. Immer noch. „Das wäre dann alles, Cutter.“ „Ja, Sir! Und danke Si... Nein. Sephiroth.“ Nicht rot werden, nicht rot werden... Mist! Sie wandte sich rasch um, steuerte die Tür an... „Cutter? Völlig unabhängig von den Worten dieses Vertrages... Ich werde immer wissen, wann ein Erfolg auf dich zurückzuführen ist.“ Der Teenager hielt inne, wandte den Kopf und lachte vergnügt. „Danke!!“ Wenn Sephiroth es wusste... das war genug. Der General sah ihr nach, wie sie den Raum wieder verließ, dann griff er zum Telefon um Azrael – der als einziger außer Cutter, Präsident Shinra und Sephiroth selbst das genaue Ergebnis der theoretischen Prüfung kannte - zu kontaktieren. Offiziell hatte Cutter die Prüfung bestanden – würde aber heute aufgrund eines durch Stress bedingten Zusammenbruchs nicht an der praktischen Prüfung teilnehmen können. Eine Nachholung derselbigen war auf einen günstigeren Zeitpunkt – der sich nie ergeben würde – verschoben worden. Nach dem Telefonat überarbeitete Sephiroth die Akte des Teenagers am PC, versah sie mit einem komplizierten Passwort um sie vor unberechtigten Zugriffen zu schützen, und gab der ebenfalls auf den neusten Stand gebrachten, schriftlichen Akte einen neuen Platz im Safe. Somit wurde Cutter zu einem weiteren von ShinRa´ s Geheimnissen. Und dann... hielt er einen Moment inne. Du wirst also hier bleiben. Deshalb glaube ich nicht ans Schicksal. Es hatte sich entschieden – und ich habe es erfolgreich manipuliert. Du wirst hier bleiben... Er gestattete sich ein seufzen. Cutter Tzimmek, mein Instinkt sagt mir, dass du hier einiges auf den Kopf und mich vor gänzlich neue Herausforderungen stellen wirst. Und dann... lächelte er. Ich sehe dem mit großer Spannung entgegen. Durch einen der zahlreichen Flure des riesigen ShinRa Gebäudes war, eine kleine Tasche geschultert in der sich alle ihre Besitztümer befanden ein Mädchen unterwegs, glücklich, erleichtert, dankbar – nach wie vor undefiniert, aber mit klaren, entschlossenen Gedanken. Ich möchte hell brennen! Für dich, Sephiroth! Für Zack! Für alle, die mich und meine Fähigkeiten brauchen! Ich werde furchtlos sein wie der Sturmwind und gewissenhaft wie das leuchten der Sterne, und ich werde überleben! Sie begann, leise die ShinRa Hymne vor sich hinzusummend. Die Zukunft mochte unberechenbar sein... aber jetzt gab es wieder eine. Und es ist meine, dachte Cutter. Mein Glück... wird sich nicht mitten auf der Straße von mir finden lassen. Aber ich werde trotzdem danach suchen, im hohen Gras und den tiefen Gräben am Wegesrand, den steil abfallenden Schluchten und den dunklen Wäldern. Und ich werde es finden. Sie lächelte. Ich werde es finden! ENDE Teil 1 von Blue Wanderer „In the lines“ Nachwort: Es hat so viel Spaß gemacht, diese Geschichte bis hierher zu erzählen!! Allen „meinen“ Lesern vielen Dank für die Unterstützung! Mein erster Gedanke morgens und der letzte Gedanke abends (und die Zeit dazwischen eigentlich auch, sofern die reale Welt nicht meine 100%ige Anwesenheit fordert), gilt dem zweiten Teil von „Blue Wanderer“. Ich hoffe auf das ausbleiben von Schreibblockaden, die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt, einen einwandfrei funktionierenden PC, die Selbstdisziplin für Sicherheitskopien (wichtig!) – und natürlich auf ein Wiederlesen mit euch allen. Bis dann!! B. Kapitel 21: Stand der Dinge --------------------------- In einer Nacht, die sich vielleicht nur durch die ruhelos in ihr treibenden Gedanken von Tausend ähnlichen Nächten vorher und Tausenden noch kommenden unterschied, sickerte das Licht einer schmalen Mondsichel lautlos auf die Erde unter sich hinab; fast vorsichtig, als fürchte es, all die Träumer zu wecken. Midgar schlief. Wer jetzt noch wach war, folgte entweder dringenden menschlichen Bedürfnissen – oder aber arbeitete. General Sephiroth Crescent hätte seine aktuelle Tätigkeit allerdings eher als `Meditation´ beschrieben. Unsterbliches Mondlicht glänzte auf der Klinge des legendären Katanas, während dieses durch die Luft glitt, geführt von zwei Händen, die genau wussten, was sie taten. Langsame, geschmeidige Bewegungen, absolviert in absoluter Lautlosigkeit und oft von anderen kopierter, aber nie auch nur im Ansatz erreichter Perfektion. Für gewöhnlich trainierte Sephiroth unter höchsten Schwierigkeitsbedingungen in einem der Simulatorräume, diesmal jedoch befand er sich in seinem privaten Übungsraum, hatte auf eine künstliche Erhellung verzichtet und war mit seiner Waffe und den Komponenten der Nacht allein. Er beendete mit einer letzten, fließenden Bewegung die Grundtechniken und ging zu den von allen Gegnern gefürchteten und ständig verbesserten Eigenkreationen über, führte sie erst langsam aus, als habe er einen Schüler, und dann mit der gewohnten Schnelligkeit, der das Auge kaum zu folgen vermochte, hielt nach jeder Lektion einige Sekunden in der Endstellung inne, und nahm dann mit der Geschmeidigkeit von fließendem Wasser eine neue Position ein. Er war diese lange, furchtbare Klinge. Das Geräusch, wenn sie durch die Luft glitt. Die Kälte, die Schärfe, unnahbar und erhaben, die Stärke, welche sich jeder Herausforderung stellte. Geist, Körper und Waffe bildeten die perfekte Einheit, immer wieder und wieder, ohne Pause oder sichtliche Anzeichen von Erschöpfung. Kein anderes Todesurteil auf Gaia verfügte über ähnliche Grausamkeit, Anmut – und Schönheit. Irgendwann hielt Sephiroth inne, nickte zufrieden, trank ein paar Schlucke aus der bereitgestellten Wasserflasche und ließ sich schließlich in einer entspannten, sitzenden Position auf dem Boden nieder und platzierte Masamune neben sich. Die nach einem solch intensiven Training empfundene Ruhe war etwas Besonderes, und so schloss er für einen Moment die Augen, um sie zu genießen. In letzter Zeit hatten ihm die Umstände kaum Zeit für sein Training gelassen, (selbst jetzt wäre er von anderen lieber hinter seinem Schreibtisch gesehen worden), aber es gab zweifelsfrei Dinge, die nur für eine begrenzte Dauer aufgeschoben werden konnten. Um alles andere würde er sich später kümmern. Missionsaufstellungen, den neusten Aktivitäten der sich `Liberation´ nennenden Rebellenorganisation in Midgar, den üblichen Papierkram – und ein Standardschreiben an die Angehörigen eines gefallenen `Blue Wanderers.´ `Blue Wanderer´, oder auch `Projekt B 14 / BW´ war der Name jener Einheit, deren Mitglieder in der Lage waren, die `Lines´ zu sehen, bunte, vom Planeten zu jedem Gegenstand gebildete Energielinien. Die Art des Planeten, die Dinge auf seiner Oberfläche wahrzunehmen. Ein `Blue Wanderer´ war nicht nur in der Lage, diese `Lines´ zu sehen, sondern auch, ihnen jede nur gewünschte Eigenschaft über das zugehörige Objekt zu entnehmen. Dabei spielte die Farbe einer jeden `Line´ bei der Zuordnung eine wichtige Rolle. So stellten sich beispielsweise Wasseransammlungen in `Lines´ dar, deren Farbe je nach Flüssigkeitsmenge in den unterschiedlichsten Blautönen variierte. Und jetzt, dachte Sephiroth, sind es `nur noch´ 13 Blue Wanderer. Den aktuell in Ausbildung befindlichen Jahrgang nicht mit eingerechnet. Die Anzahl spielt im Grunde keine Rolle, solange für Nachschub gesorgt ist. Obwohl... (sein kaum wahrnehmbares Schmunzeln verlor sich in der Dunkelheit) ... ich kann es nicht leugnen: Es gibt eine Ausnahme. Eine Ausnahme zu sein beschwor eine Vielzahl von Nebenwirkungen herauf. Nicht jedem gelang es, erfolgreich damit umzugehen. Tzimmek Cutter aber schlug sich mit bemerkenswerter Tapferkeit. Und sie hütete eines der vielleicht größten Geheimnisse des Planeten: Als einziger in ShinRa Diensten stehender Blue Wanderer war es ihr möglich, die `2nd Lines´ zu betreten – eine Ebene, die offiziell nicht existierte und daher in keinem Lehrbuch dieser Welt vorkam, in der aber jeder Mensch durch eine farblich einzigartige `Line´ dargestellt wurde. Bewacht wurde diese Welt durch eine tiefschwarze `Line´, welche scheinbar nach eigenem Belieben auftauchte und keinem Objekt zugeordnet war, sondern eine Grenze von enormer Tücke darstellte: Überschritt man sie ohne einen Anker, den `mentalen Fokus´, die wichtigste Sache im individuellen Universum eines Blue Wanderers, raubte einem der Vorstoß den Verstand – dauerhaft. Auf höchst abenteuerlichem Wege war Sephiroth zu Cutters `mentalen Fokus´ geworden. Und auch, wenn den General dieser Status nicht im Geringsten beeinflusste, für Cutter bedeutete es den sicheren Hin- und Rückweg in die `2nd Lines´. Aber trotz Instinkt und Talent in der Praxis war es dem Teenager nicht gelungen, die alles entscheidende theoretische Prüfung am Ende der Ausbildung erfolgreich zu absolvieren. Erst Sephiroths Eingreifen hatte das Blatt wieder gewendet. Er war das Risiko einer Niederlage eingegangen und dem Präsidenten der Electric Power Company, Rufus Shinra persönlich, Cutters Fall geschildert. Das Ergebnis war ein Arbeitsvertrag gewesen – wenn auch mit gewaltigen Einschneidungen, zu denen unter anderem ein niedriges Gehalt, keine Kündigungsfristen und kein Urlaub oder freie Tage zählten. Sephiroth hatte in einem Gespräch mit Cutter klar gestellt, dass es sich hierbei um einen reinen Ausbeutervertrag handelte, und der letztendlichen Unterschrift des Mädchens war der harte, vorangegangene Kampf mit sich selbst anzusehen – aber die Unterzeichnung existierte. Und das machte den Teenager zu einem winzigen Teil im gigantischen ShinRa Universum. Seit der Unterzeichnung des Vertrages waren nun etliche Wochen vergangen. Cutter kämpfte mit der erwarteten Entschlossenheit eines Menschen, der ausnahmslos alles zu verlieren hatte und dies um jeden Preis verhindern wollte. Die von anderen verfassten Missionsreporte vermittelten folgenden Eindruck: `Innerhalb der Lines ein kleines Genie! Außerhalb ein Schussel, auf das man immer ein Auge haben muss.´ Sephiroth hatte genug mit Cutter erlebt um zu wissen, dass sie sich nicht immer durch eigene Schuld in Gefahr brachte. Manchmal schien es, als ändere sich die Situation ganz bewusst, um ein entsprechendes Ereignis hervorzurufen, und die Unterschiede waren nicht selten so minimal, dass sie kaum auffielen. Davon völlig unabhängig suchte der Teenager stets unverzüglich nach einem Ausweg – bislang erfolgreich. Aber ewig würde es nicht gut gehen. Es lag Sephiroth fern, dem Mädchen zu schaden, momentan allerdings musste selbst er sich an die strengen Vorgaben des Vertrages halten. Die dicht aufeinander folgenden Missionen und kostbaren Pausen des Teenagers selbst zu verwalten schien ein Vorteil zu sein – entpuppte sich jedoch bei näherer Betrachtung lediglich als Verzögerung des Unvermeidbaren: Irgendwann würde die Erschöpfung ihren Tribut fordern. Alles in allem war es kein Zustand, den der General länger als nötig hinzunehmen plante! Die aktuelle Situation... stand den eigentlichen Fähigkeiten des Teenagers im Weg! Und ich, dachte Sephiroth, werde es beenden, sobald ich die Gelegenheit herbeiführen kann oder sie sich bietet! Sofern Cutter diese `Gelegenheit´ überlebte. Denn egal, was die Zukunft für sie bereithielt, es würde während einer Mission stattfinden, und was dann geschah hing von allen zu diesem Zeitpunkt relevanten Details ab. Allein das war Grund genug, den Teenager im Auge zu behalten. Von General Sephiroth Crescent beobachtet zu werden... alle anderen hätte das in ein Stadium höchster Nervosität versetzt. Cutter hingegen... verhielt sich völlig normal, ohne dabei respektlos zu wirken. Nicht einmal die Genehmigung, mich bei Vornamen zu nennen, hat daran etwas geändert. Ich bezweifle allerdings stark, dass ihr bewusst ist, dies als Ausgleich für alles verlorene bekommen zu haben... Er seufzte leise und hob den Kopf. Mondlicht sickerte durch die Fenster in den Trainingsraum, und Sephiroth wusste, dasselbe Licht glänzte auch auf den Dächern des scheinbar friedlich schlafenden Midgars. Aber er wusste es besser. Diese Stadt... schlief niemals wirklich. Er lag richtig. Gerade noch weit genug entfernt, um unverdächtig zu wirken, verbrachte jemand die Zeit mit aufmerksamen Beobachtungen aus dem tiefen Schatten heraus, eine Observation, die einem bestimmten Teil des ShinRa HQ galt. Unbemerkt von allen Betroffenen innerhalb des Gebäudes nahm außerhalb ein Schlachtplan immer weiter Gestalt an, und die Gedanken im Kopf der organisierenden Person glichen Messern von beeindruckender Schärfe und Treffsicherheit. Es... würde stattfinden. Bald! Ein die Dunkelheit widerspiegelndes Lächeln huschte über das Gesicht des wartenden Beobachters, ehe sich dieser zum gehen wandte und unauffällig in einer Seitenstraße verschwand. Kaffee... Brauche Kaffee... Kann nicht mehr denken ohne Kaffee... Cutter unterdrückte mit großer Mühe ein Gähnen. Zwei Stunden Schlaf waren nicht gerade viel, aber immer noch besser als eine Stunde oder keiner. Dennoch... mittlerweile fiel es ihr deutlich schwerer, positiv zu denken. Lange halte ich das nicht mehr durch... Sogar diese Kaffeesorte wirkt kaum noch, und stärkere Getränke gibt es einfach nicht. Der nächste Schritt wären illegale Aufputschmittel gewesen. Cutter wusste, dass sich unter den Mitarbeitern auch Dealer befanden, aber ihr fehlten sowohl die Namen, als auch das entsprechende Geld. Und so ruhten all ihre Hoffnungen einmal mehr auf Sephiroth. Sie wusste... hoffte, dass – gäbe es eine Möglichkeit, die Situation zu entspannen – er sie finden würde. Bis dahin muss ich durchhalten, egal wie! Ich bin... so müde... Sie wollte eben den entsprechenden Knopf am Kaffeeautomaten drücken, als sich unvermittelt zwei Arme um ihren Körper schlossen. „Hab dich!“, jubelte jemand in ihr Ohr. Cutters Müdigkeit schrumpfte für einen Augenblick in sich zusammen. Das Mädchen lachte vergnügt und legte den Kopf in den Nacken, um Blickkontakt zu der einzigen Person aufzunehmen, deren `Überraschungsbegrüßungsangriffe´ im ganzen ShinRa Universum ebenso bekannt, wie auch beliebt und gefürchtet waren. „Hi Zack.” Der SOLDIER erwiderte ihr Grinsen mit der für ihn typischen Fröhlichkeit. Jemanden wie Zack(ary) Fair in einem so erbarmungslosen Unternehmen wie ShinRa zu treffen, wirkte völlig verkehrt, und es war schon mehr als eine Person nach einem ersten Treffen mit ihm in einen Zustand sprachloser Verblüffung katapultiert worden, aus dem eine Befreiung nur mit großer Kraftanstrengung gelungen war. Zacks offene, ehrliche Art, sein Lachen, seine scheinbar ewig gute Laune, die Fähigkeit mit einem einzigen Blick Freunde zu gewinnen und selbst ein ganz besonderer Freund zu sein... all das ließ ihn absolut Einzigartig werden. Auf dem Schlachtfeld jedoch wurde er zu einem von ShinRa´s gefürchtetsten Gegnern, ein 1st Class SOLDIER, der sein respekteinflößendes Busterschwert führte wie kein Zweiter. Momentan allerdings war er nur jemand, der einen sehr liebgewonnenen Teenager begrüßte. „Morgen, Cuttie-cut! Ich will Seph ärge... äh, besuchen. Kommst du mit?“ „Geht leider nicht. Nächster Einsatz in 10 Minuten und 36 Sekunden.“ „Verstehe. Cuttie“, in seine Stimme stahl sich ein Anflug von Sorge, „du siehst müde aus.“ Aber das Mädchen schüttelte den Kopf. „Mein Kaffeespiegel ist gesunken, das ist alles. Wenn ich das hier getrunken habe...“, sie schwenkte grinsend die eben gezogenen Pappbecher, deren Inhalt laut Aufdruck so stark war, dass er bei ShinRa Mitarbeitern den Spitznamen `Herztod 2000´ erhalten hatte, „...bin ich wieder fit!“ So witzig der Name war – Zack wusste, dass der Kaffee hauptsächlich aus Koffein bestand. Nur extrem müde Menschen griffen auf diese Variante zurück. Und Cutter hatte sogar zwei Becher gezogen. Zack kannte den Arbeitsvertrag. Er hatte ihn gelesen, mehrfach, und seine Wut war ins Unermessliche gestiegen, ebenso wie seine Sorge um Cutter, die er seitdem, wann immer sich die Gelegenheit dazu ergab, einen Augenblick lang genau beobachtete, um ihre noch vorhandenen Kräfte einschätzen zu können. Viel, dessen war er sich jetzt sicher, war nicht mehr übrig. Aber er wusste, dass aufgeben für den Teenager nicht in Frage kam und sie bis zum Letzten kämpfen würde. „Sei vorsichtig, hörst du?“ Er klang immer noch besorgt. „Und viel Glück.“ „Versprochen, danke schön.“ Zack sah ihr nach und schüttelte äußerst nachdenklich den Kopf. Es war an der Zeit, mit der einzigen Person, die an diesem Zustand etwas ändern konnte, zu sprechen. Sephiroth hatte seine Kaffeetasse glücklicherweise gerade abgestellt, als die Tür sich schwungvoll öffnete und ein extrem gut gelaunter Zack hereinmarschiert kam. „Yo, Boss. Hier ist der heutige Missionsbericht, quasi druckfrisch und fast ganz ohne Rechtschreibfehler, in nahezu zusammenhängenden, fast sinnvollen Sätzen, im Eiltempo überbracht von deinem Lieblings 1st Class SOLDIER Zack Fair. Bitte kein Applaus, das macht mich immer so verlegen.“ Mit einer nahezu perfekten Verbeugung überreichte er strahlend das Dokument. „Ich hab mir richtig Mühe gegeben.“ „Mit anderen Worten: Du hast mehr als deine üblichen 5 Zeilen verfasst?“ Er warf einen Blick auf den Bericht. „6 Zeilen. Beeindruckend.“ „Alles, damit mein General stolz auf mich sein kann.“ Sephiroth ließ sich dazu herab, den... `Bericht´ ... zu überfliegen. Seine eigenen Reporte beinhalteten alle nur erdenklichen Details und waren, inklusive Zeichensetzung und Rechtschreibung, perfekt. Die ihm hier präsentierte Dokumentationen hingegen... „Ich werde das so nicht akzeptieren, Zackary!“ „Dachte ich mir schon. Daher hab ich gleich hinterher einen neuen geschrieben.“ Verschmitzt grinsend legte er eine von der Zeilenanzahl wesentlich ernst zu nehmendere Version auf den Tisch und wartete gespannt auf eine Reaktion... die allerdings ausblieb. „Nun lächel doch wenigstens einmal“, versuchte Zack zu animieren. „Nur kurz!“ „Dazu sehe ich keinen Grund“, lautete die kühle Antwort. Ihm wäre eher danach gewesen, die Einsatzpläne des 1st´s ein wenig zu straffen, denn ganz offensichtlich hatte dieser immer noch viel zuviel Zeit für Unsinn. Aber vor ihm stand Zackary Fair. Mehr gab es dazu nicht zu sagen. „Siehst du“, erklärte dieser gerade im Brustton der Überzeugung, „und deshalb haben die Leute Angst vor dir!“ „Nur die Schwachen.“ Zack stöhnte laut auf und rollte mit den Augen. Als gäbe es in General Sephiroth Crescents Gegenwart starke Menschen... Während der General den Bericht durchging, ließ sich der 1st in einem der vor dem Schreibtisch befindlichen Sessel nieder. „Seph, unserer Cuttie...“ „Es ist nicht unsere Cutter.“ „... geht’s nicht gut. Sie...“ „Danke. Erlaubnis zum wegtreten erteilt.“ „... braucht dringend Unterstützung in nicht flüssiger Form.“ Über den Ausdruck in den Augen des Generals legte sich eine weitere Eisschicht. „Ich sagte `wegtreten´, Zackary!“ „Wirklich?“ Gesichtsausdruck und Betonung waren die Unschuld selbst. „Muss ich glatt überhört haben. Vielleicht solltest du mich auf die Krankenstation schicken.“ „Sehr gerne! Welche Verletzungen soll ich dir bevorzugt hinzufügen?“ „Kommt drauf an, in welcher Abteilung die neuen Schwestern arbeiten...“ „Verlass mein Büro, Zackary, jetzt!“ Der 1st verschwand, und wie sein Grinsen mehr als deutlich sagte, ohne das geringste schlechte Gewissen. Sephiroth zu ärgern, war gefährlich, aber sonst gab es niemanden, der es wagte, ihn daran zu erinnern, dass die Welt aus mehr bestand als Schlachtfeldern und Papierkram. Zum Beispiel anderen Menschen. Die ihn brauchten und ihm vertrauten. Wie Cutter. Er wird dich nicht im Stich lassen, Cuttie, dachte Zack. Du wirst sehen. Als sich die Tür hinter dem 1st schloss, hielt Sephiroth einen Augenblick lang inne. Er wusste, dass Cutter dringend Hilfe brauchte und arbeitete bereits an einer Lösung. Durch die scharf gezogenen (und für andere ein unüberwindbares Hindernis darstellenden) Grenzen fühlte er sich mehr herausgefordert als eingeschränkt. Regeln, Verbote, Verträge... konnte man sie nicht brechen, musste man sie geschickt umgehen. Viel Zeit blieb jedoch nicht mehr. Cutters Kräfte würden irgendwann versiegen. Und der menschliche Körper hatte die unangenehme Eigenart, eine gewisse Resistenz gegen ihm regelmäßig zugeführte Stoffe zu entwickeln. Unglücklicherweise galt auch für Kaffee, egal, wie stark er sein mochte. Vielleicht lag es letztendlich nur an der Gewissheit, dass alles außer ShinRa noch härter war, aber Cutter hielt weiterhin durch, schlief, wann immer sich die Gelegenheit dazu ergab, und kämpfte sich unter Einsatz aller ihr noch zur Verfügung stehenden Kraftreserven vorwärts. Aber eines Tages, gerade als die von Sephiroth angeführte Mission ins HQ zurückkehrte während eine andere, der Cutter als Blue Wanderer zugeteilt war, selbiges verließ, genügte ihm ein Blick um zu erkennen, dass der Teenager am absoluten Ende aller Kräfte war. Kurzerhand übernahm der General die Mission selbst. Cutter war so entkräftet, dass sie den Wechsel nur am äußersten Rande ihrer Wahrnehmung bemerkte – ebenso wie die Tatsache völlig ignoriert zu werden. Als die kleine Truppe in einen Hinterhalt geriet, ging der Teenager zwar automatisch in Deckung, aber ihr Versteck war nicht gut durchdacht, und das Unvermeidbare geschah. Es dauerte nur eine Sekunde. Aber der Schmerz war zu intensiv, zu schwer, um ihn ignorieren zu können – und es war definitiv nicht sein eigener. Sephiroth sorgte mit einem letzten Schlag für den endgültigen Sieg SOLDIERs, dann ließ er den Blick prüfend über das Schlachtfeld gleiten. Die Situation war vollständig unter Kontrolle, und seine Männer unverletzt - nur von Cutter fehlte jede Spur. Sephiroth hatte immer ein wachsames Auge auf unerfahrenen Teilnehmern, um im Ernstfall schnell handeln zu können, und so wusste er genau, wo das Mädchen in Deckung gegangen war. Nur Sekunden später befand er sich neben dem zusammengesunkenen Körper, untersuchte mit geübten Handgriffen die Verletzung. Es war ein glatter Schulterdurchschuss, schmerzhaft, aber da kein Fremdkörper zurückgeblieben war, vollständig mit Materia heilbar. Sephiroth tat genau das. Es dauerte nur Sekunden, ehe der Teenager wieder zu sich kam, und die erste bewusste Empfindung war die einer sich an ihre Lippen drückenden Flasche. Cutter schluckte blind vertrauend und spürte nur Sekunden später, wie sich die Wirkung der Potion in ihrem Körper entfaltete und unter anderem die Kraft verlieh, zu blinzeln. Als erstes sah sie Sephiroth. Er saß in der Hocke vor ihr und beobachtete all ihre Reaktionen aufmerksam und abwartend. Cutter erinnerte sich an die Kugel und den rasenden Schmerz, aber die von dem Elitekämpfer ausgehende Ruhe machte deutlich, dass die Situation entschärft war. Weil er dafür gesorgt hatte. Grenzenlose Dankbarkeit durchflutete Cutter. Und als habe Sephiroth das genau gespürt... „Fall mir nicht um den Ha...“ Pure Selbstbeherrschung verhinderte eine reflexartige Befreiung. „Lass los!“ Cutter wich, erschrocken über sich selbst, zurück, flüsterte „Entschuldigung, Sir“, und versuchte den wie mit vergifteten Pfeilen gespickten Blick, der einwandfrei die Botschaft `Mach das nicht noch einmal!´ beinhaltete, irgendwie zu parieren, gab mit einem Nicken zu verstehen, dass sie ganz genau begriffen hatte und kam wieder auf die Beine. Noch während sie Sephiroth zurück zum Rest der Truppe folgte, begannen in ihrem Körper Potion und Müdigkeit einen erbarmungslosen Kampf um die Vorherrschaft und bewirkten im Kopf des Mädchens eine äußerst hartnäckige Benommenheit, die einfach nicht verschwinden wollte. Ungeachtet dessen wurde die Mission erfolgreich beendet, und bei Einbruch der Nacht erreichte die kleine Truppe das ShinRa HQ, wo Sephiroth den Teenager unverzüglich auf die Krankenstation brachte. „Du hast doch Materia eingesetzt“, murmelte Cutter verwirrt während sie einen Augenblick an der Anmeldung warteten, „warum...“ „Vorschrift“, lautete die sachliche Antwort. „Des weiteren stehst du ab jetzt hier 24 Stunden unter Beobachtung.“ Er sah sie nicht einmal an. Als wenig später einer der Ärzte erschien, folgte sie diesem sichtlich niedergeschlagen. Sephiroth wandte sich an eine der Schwestern und gab Anweisung, den Teenagers in jedem Fall ausschlafen zu lassen. Dann kehrte er in sein Büro zurück. Fürs erste war Cutter mit der Möglichkeit, den verlorenen Schlaf aufzuholen, geholfen, aber zufrieden konnte der General damit nicht sein. Die Zukunft verlangte eine dauerhafte, nachvollziehbare Lösung, die sich in regelmäßigen Abständen wiederholen ließ, ohne unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen oder uneffektiv zu wirken. Eine Art... Nebenstraße parallel der Hauptstraße verlaufend. Cutter Tzimmek, dachte Sephiroth, du stellst mich immer wieder vor neue Herausforderungen. Abenteuer, in der Tat. Er gestattete sich ein Lächeln. Gefällt mir. Aber die Nebenstraße, auf die ich dich diesmal schicken werde, ist höchst anspruchsvoll und wird dein ganzes Können als Blue Wanderer erfordern. Ich bin gespannt, ob du ihr gewachsen bist. Besagte Nebenstraße hatte sogar einen offiziellen Namen. `M.I.A. – Missing In Action – Vermisst´, und sie bestand aus Akten der SOLDIER, die aus ungeklärten Gründen von Einsätzen nicht zurückgekommen waren. Sephiroth hoffte, die Anzahl der Akten mit Hilfe der 2nd Lines und Cutter schneller verringern zu können als es die momentan noch damit beauftragte Abteilung tat. Leicht, das wusste er, würde es nicht werden. Aber war es das bezüglich Cutter jemals gewesen? Er dachte an die zurückliegenden Abenteuer und schüttelte kaum merklich den Kopf. Es waren... außergewöhnliche Situationen gewesen, die außergewöhnliche Reaktionen erfordert hatten. Warum hätte die Zukunft anders aussehen sollen? Drei Tage später (denn so lange dauerte es, bis sich der Teenager restlos ausgeschlafen wieder bei ihm meldete) präsentierte er ihr die Nebenstraße, und wartete gelassen auf die Reaktion. Niemals zuvor hatte sich Cutter so sehr einen zweiten, wesentlich erfahreneren 2nd Lines Blue Wanderer gewünscht. Aber es gab keinen. Sie war gezwungen, ihre Fähigkeiten alleine zu beurteilen. Sephiroth beobachtete den sich auf ihrem Gesicht überdeutlich abzeichnenden Kampf aufmerksam, und als sie aufsah, versicherte er ihr durch seinen Blick (abwartend, aber nicht drängend), sich im Zentrum seiner Aufmerksamkeit zu befinden, er sie jedoch auf keine Art und Weise beeinflussen würde – es sei denn, sie wünschte es. Wenn ich mich überschätze, dachte Cutter während sie den unergründlichen Blick erwiderte, ist alles aus. Und wenn ich mich unterschätze, sowieso. Warum bin ich immer so kurz davor, alles zu verlieren? Es war ihr nicht bewusst, aber die Frage stand überdeutlich in ihren Augen geschrieben. Sie erflehte förmlich eine Antwort. „Cutter...“, begann Sephiroth, „manchen fällt alles in den Schoß, ohne dass sie sich auch nur im Geringsten dafür anstrengen müssten. Andere hingegen verbringen ihr ganzes Leben im Kampf. Das jedoch muss kein Nachteil sein. Ständig am Rande des Abgrunds zu kämpfen heißt, ihn und die eigenen Fähigkeiten besser kennen und einschätzen zu lernen. Wenn du überlebst, wirst du vielleicht eines Tages feststellen, dass er dich nicht mehr erschreckt. Und du wirst frei sein.“ Frei sein... „Es sind“, fuhr Sephiroth ruhig fort, „immer die nie geführten Schlachten, die einen Krieger ewig beschäftigen. Alle anderen lässt er irgendwann hinter sich. Du... bist so ein Krieger. Und noch lange nicht am Ende deiner Fähigkeiten.“ Cutter schwieg einen Augenblick, ließ das Gehörte einsinken. Lauschte auf ihr Gefühl. Und dann... „Zwei Erfolge sind zuviel um von Zufall zu sprechen, oder, Sir?“ „In der Tat.“ Er schwieg einen Augenblick. „Zwei bis dreimal pro Woche. Hier, denn diese Akten sind streng vertraulich, außerdem wirst du Fragen haben. Die restliche Zeit dieser Tage steht dir zur beliebigen Verfügung frei. Deine Missionen werden von mir entsprechend umgestaltet. Bist du einverstanden?“ Cutter, tief bewegt, konnte nicht sofort antworten. Zu intensiv verblasste das Gefühl, dies alles nur zu träumen. „Ja, Sir!“ Und dann, flüsternd und mit Tränen der Erleichterung in den Augen: „Ich habe so gehofft, dass du eine Möglichkeit findest, diesen Vertrag auszutricksen. Danke...“ Verträge hin oder her, dachte der General während sich Cutter energisch über die Augen fuhr, aber ich werde keines der mir unterstellten Leben kampflos aufgeben. Auch deines nicht. „Dann sind wir uns also einig“, fasste er zusammen. „Vermutlich möchtest du vorher gerne noch an ein paar Missionen teilnehmen, um dir zu beweisen, dass du wieder fit bist, korrekt?“ Cutter nickte und grinste vergnügt. Die Erleichterung war ihr deutlich anzusehen, und das Funkeln ihrer Augen... erhellte den Raum. Was denke ich hier für einen Blödsinn, schimpfte sich der General lautlos und wies sie darauf hin, wo und dass ihr nächster Einsatz in weniger als 5 Minuten beginnen würde. Cutter verabschiedete sich militärisch korrekt – dann raste sie aus dem Zimmer. Sephiroth schüttelte missbilligend den Kopf. Dieses Mädchen hatte noch einiges zu lernen! Dann aber huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Cutters typische, begeisterte Energie... Ob sie dem Teenager auch helfen würde, mit den M.I.A. Akten zurechtzukommen? „Wir werden sehen“, murmelte der General und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Es wurde schwieriger, als beide angenommen hatten. Jede Möglichkeit, in den 2nd Lines gezielt nach einem bestimmten, aber fremden Menschen zu suchen, eröffnete mindestens ein Dutzend weitere, und manchmal musste jede einzeln überprüft werden, nur um sich letztendlich in der bitteren Erkenntnis wiederzufinden, dass keine der Möglichkeiten richtig gewesen war und die Suche mit einer neuen Strategie von vorne begonnen werden musste. Am frustrierendsten für Cutter war, zu erkennen, wie viel Glück sie mit ihren beiden bisherigen Treffern wirklich gehabt hatte. Andererseits nahm sie diese Erfolge als Ansporn. Aber letztendlich endeten sie und Sephiroth gemeinsam über den Aufzeichnungen und entwickelten zusammen eine Strategie von komplizierter Einfachheit. Jede einzelne der 2nd Lines beinhaltete unter der farblich einmaligen Hülle den menschlichen Körper betreffende, äußerst anpassungsfähige Lines, und jeder Körper wies Einzigartigkeiten auf, die sich mit Hilfe der detailliert geführten Akten (ShinRa schien ausnahmslos alles über seine Mitarbeiter zu wissen) und der Lines nachvollziehen ließen. Die Strategie sah vor, gezielt nach diesen Details zu suchen und die betreffende Person so ausfindig zu machen. Tage, angefüllt mit für Cutter äußerst zeitintensiver und mühsamer Recherche vergingen. Aber eines Tages (Sephiroth bearbeitete gerade seine Mails und fragte sich entsetzt, wie es möglich war, so viele Fehler in so wenig Wörtern unterzubringen), vernahm er ein kaum wahrnehmbares flüstern aus der Richtung ihm gegenüber. „Ich hab ihn!“ Und dann... Der General hatte im Laufe seiner Karriere schon viel gesehen – aber noch niemals eine solche Freude in seiner Gegenwart. Es brachte ihn derartig aus dem Konzept, dass es ihm erst nach etlichen Sekunden gelang, sich halblaut zu räuspern um an seine Gegenwart zu erinnern. Cutter hielt inne, war aber viel zu begeistert, um Verlegenheit zu empfinden. Sephiroth sagte kein Wort – er hob lediglich langsam eine silberfarbene Augenbraue, warnend, verriet aber nicht einen Funken der empfundenen Irritation hinsichtlich des so unmilitärischen Verhaltens. Cutter grinste verlegen. „Verzeihung, das war wohl ein wenig überschwänglich.“ Etwas repräsentativer fuhr sie fort: „Sir, ich kann einen ersten Erfolg bezüglich der mir anvertrauten M.I.A. Akten melden. Wie lautet die weitere Vorgehensweise?“ Sephiroth gestattete sich ein auf rein mentaler Ebene existierendes Seufzen, ehe er die mehr als angebrachte Rüge nicht aussprach und Cutter stattdessen anwies, den aktuellen Aufenthaltsort sowie körperlichen Zustand der Person schriftlich zu vermerken, der Akte beizufügen und das Dokument an ihn auszuhändigen. Der Teenager begann begeistert zu schreiben. „Cutter“, ließ sich der General irgendwann vernehmen, „fügst du diesen eine streng geheime Militärakte betreffenden Angaben gerade Herzchen hinzu?“ „Ja, Sir!“ Es klang sehr glücklich. „Lass das.“ Wenig später wechselte die mit herzchenfreien Beschreibungen versehene Akte den Besitzer. Cutter ließ sich zurücksinken und begann abermals verschmitzt zu grinsen. Zu Beginn ihrer ernsthaften Arbeit mit den 2nd Lines hatte sie sich das Versprechen gegeben, bei Erfolg einen ganz bestimmten Schritt zu unternehmen... „Sephiroth-sama? Ich beantrage eine Namensänderung.“ Der Blick des Generals wanderte langsam vom Computermonitor zu dem immer noch vergnügt grinsenden Teenager. Bei Zack war Heiterkeit dieser Form grundsätzlich gleichzusetzen mit irgendwelchen Absurditäten. Was Cutter anging... Im Grunde besaß Sephiroth noch Hoffnung. „Nämlich“, fuhr das Mädchen fort, „von `Blue Wanderer´ in `Ghost Walker´. Ich hab mir überlegt, wenn ich mich schon selbst nicht `Blue Wanderer´ nennen darf... Der Begriff wird sowieso immer abgekürzt, `G´ und `B´ klingen fast gleich, das `W´ bleibt sowieso dasselbe, und weil ich doch eigentlich gar nicht hier sein dürfte, und wegen der 2nd Lines, und...“ Sie verstummte. Auch Sephiroth schwieg einen Moment, versuchte zu definieren, ob er nun erheitert war, verärgert oder doch etwas völlig anderes. Im tiefsten Grunde seines Herzens hatte er schon mit einer ähnlichen Aktion Cutters gerechnet. Es wäre völlig untypisch für sie gewesen, keinen Versuch zu starten, eine gewisse Sympathie für die Situation zu entwickeln. Schließlich jedoch teilte er mit: „Abgelehnt. Gerade du solltest darauf achten, so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf dich zu ziehen. Abgesehen davon... Wenn die Namensänderungen um sich greifen, haben wir hier bald keine SOLDIER und Blue Wanderer mehr sondern...“ ... denk wie Zack... „`Chaoskrieger´ und `Apokalyptiker´. Das werde ich zu verhindern wissen.“ „Schade“, seufzte der Teenager enttäuscht – griff aber nur Sekunden später höchst motiviert zur nächsten M.I.A. Akte und war schon bald wieder in den 2nd Lines unterwegs. Sephiroth sah zu ihr hinüber. Ghost Walker! Ghost Walker Cutter Tzimmek! Er schüttelte den Kopf. Es war nicht so, als hätte sie keine eigene Bezeichnung verdient. Aber unter den gegebenen Umständen würde sie sich mit seinem endgültigen Urteil abfinden müssen. Was die 2nd Lines anging... Äußerlich blieb der General völlig unbeeindruckt - aber in seinen Augen, tief unter all dem Eis, saß ein zufriedenes Funkeln. Ich wusste, dass du es schaffen würdest! Kapitel 22: Ungebetener Besuch ------------------------------ Die nächsten Tage verbrachte Cutter arbeitstechnisch ausschließlich im Büro des Generals, und obwohl die Arbeit schwierig und zeitaufwendig war - der Teenager fühlte sich nicht unter Druck gesetzt. Vielmehr half ihr die konzentrierte Ruhe, mit der Sephiroth all dem endlos scheinenden Papierkram begegnete, selbst Schritt für Schritt vorwärts zu kommen und Erfolge zu verbuchen. Über diese freute sich Cutter, war jedoch weit entfernt, sich etwas darauf einzubilden. Sie wusste, der eigentliche Grund für ihre momentane Arbeitsweise war der Fund ihres mentalen Fokus in Sephiroth, und betrachtete die ganze Situation als ein Geschenk. Manchmal fragte sie sich, ob auch er eine Art `Bonus´ erhalten hatte, traute sich aber nicht, das Thema anzusprechen. Sie wusste es nicht, aber Sephiroth ging es ähnlich. Manchmal, wenn er das Mädchen tief in den 2nd Lines (und somit von der Außenwelt völlig abgeschnitten) wusste, ertappte er sich bei nachdenklichen, ihr geltenden Blicken. Er hatte die Welt der Lines niemals gesehen. Sein Wissen besaß er aus Büchern – und den Erzählungen Cutters, welchen er stets aufmerksam lauschte um sein Bild der Lines um wichtige Details zu ergänzen. Der Teenager entdeckte fast täglich Neues in den 2nd Lines und machte ihm gegenüber niemals ein Geheimnis daraus. Langfristig mit einer Person konfrontiert zu sein, die überhaupt kein Interesse an Geheimnissen in der eigenen Welt zu haben schien... Eine Weile war es für den General unbegreiflich gewesen. Sein Leben bestand stellenweise ausschließlich aus Rätseln und Wahrheiten, die sich nicht auf den ersten Blick erschlossen, hauptsächlich für andere – manchmal jedoch ausschließlich für ihn selbst. Cutters Art, ihn in die Welt der Lines mit einzubeziehen... Anfänglich hatte er es für Schusseligkeit gehalten. Dann war ihm bewusst geworden, dass der Teenager sich absichtlich so verhielt. Es erinnerte an Wasser, so klar, dass man die Steine auf dem Grund zählen konnte. Und so war Sephiroth immer auf dem Laufenden. Eine der verblüffendsten Feststellungen war, dass Cutter mit Hilfe der 2nd Lines nicht nur den Status der gesuchten Person ausfindig machen konnte, sondern auch deren momentanen Gefühlzustand. Der Teenager war schockiert! Aber so gerne sie sich von den Gefühlen anderer ferngehalten hätte - Sephiroth erkannte die unermesslichen Möglichkeiten sofort und bestand darauf, dass sie auch diesen Teil übte. Cutter gehorchte, widerwillig, aber nicht respektlos, bis sie ein Level erreicht hatte, das der General gelten ließ. Die Rückkehr zur `normalen´ Arbeit brachte jedoch auch neue, Teenager-interne Probleme mit sich. Je routinierter Cutter wurde, je schwerer fiel es ihr, sich in Gegenwart Sephiroths zu konzentrieren, denn im Grunde war es jede einzelne seiner Bewegungen wert, sich ablenken zu lassen. Am liebsten hätte sie ihre Zeit ausschließlich damit verbracht, ihn zu beobachten. Leider war das nicht möglich, und so riss sie sich zusammen und beschränkte sich auf verstohlene Blicke in seine Richtung, sich ihres Wunsches, mit ihm flirten zu wollen, nicht bewusst, und fest davon überzeugt, er würde sie nicht wahrnehmen, denn er reagierte nie. Aber Sephiroth bemerkte sie alle. Und ignorierte sie wie alles von ihm für absolut unwichtig erachtete. Stattdessen entwickelte er ein untrügliches Gespür dafür, ob Cutter intensiv arbeitete oder aber träumte. Da diese Pausen jedoch für gewöhnlich nie lang dauerten und der Teenager hinterher mit doppelter Intensität arbeitete, ließ er sie gewähren. Wie auch hätte er wissen können, dass jeder dieser Tagträume ihm galt? Oder dass Cutter winzige, ihn betreffende Augenblicke, die für sie etwas Besonderes darstellten, in ihrem Herzen sammelte und hütete wie einen wertvollen Schatz, und dass ihr jeder dieser Momente das Gefühl gab, sich ihm ein klein wenig mehr zu nähern und besser kennen zu lernen? Von all dem ahnte Sephiroth nichts. Und Cutter war zu verliebt und unerfahren, um diesem Detail die entsprechende Bedeutung zukommen zu lassen. Eben verlor sie sich vollkommen in einem dieser seltsam schönen Tagträume, in dem die SOLDIER Legende die Hauptrolle spielte, und... „Pause beendet, Cutter!“ Der Teenager zuckte zusammen. „Äh... Ja, Sir“, antwortete sie dann ertappt. Aber dieser eine Sonnenstrahl fällt durchs Fenster genau auf deine Haare, und die glitzern bei jeder Bewegung... wie soll ich mich da konzentrieren können?? „Entschuldigung.“ Gleichzeitig hob sie die aktuelle M.I.A. Akte an wie ein Schutzschild, um der Schärfe in Sephiroths Blick (man hätte mühelos Diamanten damit schneiden können) zu entgehen. General Crescent betrachtete den kreativen aber völlig sinnlosen Fluchtversuch wortlos. So unproblematisch sich die Gegenwart des Teenagers auch gestaltete – heute war ihr Konzentrationspegel absolut inakzeptabel. Sephiroth hielt es für angebracht, diesen ein wenig anzuheben. Lautlos griff er nach dem neben sich platzierten Katana. Ohne die Schutzhülle hätte Masamune die Akte ohne die geringste Kraftanstrengung in zwei Hälften teilen können. So jedoch drückte es die Dokumentenansammlung lediglich weit genug nach unten, um Cutters Augen frei zu legen. Sephiroth sandte einen einzigen, alles durchschauenden Blick zu ihr hinüber, ohne zu blinzeln. Einen klaren Befehl. Reiß dich zusammen! Cutter konnte nur stumm nicken, während ihr Herz begann, schneller zu schlagen – aber nicht aus Angst. Sephiroths Augen waren zwei grünfunkelnde, perfekt gearbeitete Edelsteine unter langen, silbernen Wimpern. Tore in eine andere Welt. Und wunderschön. Ich wünschte, ich könnte dir einfach sagen, was ich für dich fühle... Aber dann schob sich das Katana unter die Akte, drückte sie wieder nach oben (die Bewegung glich dem Ausrufezeichen hinter einem sehr ernst zu nehmenden Satz), und beendete den Moment. Für den Rest des Tages gelang es Cutter, vernünftig zu arbeiten, und um die verlorene Zeit aufzuholen, verließ sie das Büro nicht zum üblichen Feierabend. Sephiroth hatte die Überstunden kommentarlos zur Kenntnis genommen. Auf seinem Schreibtisch stapelte sich genug des verhassten Papierkrames, um die ganze Nacht hier zu verbringen. Erst das Eintreffen des Abendessens schuf eine kurze Pause, aber selbst in dieser drehten sich die Gedanken des Generals um die ShinRa Electric Power Company. Wichtige Inspektionen standen an. Einer der etwas abseits gelegenen Reaktoren würde schon bald ein neues Ersatzteil benötigen, dessen Transport ins SOLDIER Aufgabengebiet gehörte. Missionen mussten so vorteilhaft wie möglich besetzt und vorbereitet werden. Am drängendsten jedoch war die Vorgehensweise gegen die Rebellenaktivitäten innerhalb Midgars. Die Angriffe `Liberation´s waren wesentlich aggressiver geworden – und richteten sich stets nach etwas offiziell nicht existentem: Den Schwachstellen im als perfekt geltenden ShinRa System. Allgemein wurde eine Sicherheitslücke im Computersystem vermutet. Präsident Shinra zeigte großes Interesse an einer schnellen Beseitigung des Fehlers, und in den Gesichtern der IT Profis war nackte Panik zu erkennen, weil es ihnen nicht gelang, die Schwachstelle zu finden. Rufus Shinra war nicht bekannt für seine Geduld... Von SOLDIER erwartete er harte Maßnahmen, und Sephiroth war mehr als bereit, diese Erwartungen zu erfüllen, sobald eine entsprechende Situation herbeigeführt werden konnte oder sich von selbst ergab. Alles in allem... Jede Menge Arbeit für SOLDIER und Blue Wanderer, dachte der General. Sein Instinkt sagte ihm, dass es einige Überraschungen geben würde, aber er sah diesen mit der gewohnten, unerschütterlichen Erhabenheit entgegen. Wieviele von ihnen wohl Cutter betreffen würden? Momentan war es um den quirligen Teenager ruhig, aber diesen Zustand langfristig einzuplanen... Der General dachte nicht einmal daran. Er betrachtete Ruhe niemals als dauerhafte Zeitspanne, sondern stets als Atempause zwischen Situationen, in denen Luft quasi nicht existierte. Um zwischen diesen beiden Varianten zu wechseln brauchte es nur eine einzige Sekunde. Bei Cutter eine halbe. Er widmete sich wieder der vorherigen Arbeit, hochkonzentriert und unermüdlich, bereit, einmal mehr die Nacht durchzuarbeiten, während andere diese zum schlafen nutzten. Auch Cutter gehörte zu diesen anderen, und auch, wenn sie nicht (wie bestellt) von Sephiroth träumte, so war ihr Schlaf doch tief und fest. Warum auch hätte er es nicht sein sollen? Zum ersten Mal seit langer Zeit gab es keinerlei die Zukunft betreffende Bedrohungen, die Arbeit war hart, aber zu schaffen, sie durfte in der Nähe einer geliebten Person sein... Alles war gut. Als sie irgendwann erwachte, wusste sie nicht sofort, warum. Sie blinzelte verschlafen und lauschte. Aber alles war still. Dennoch... irgendetwas... stimmte nicht. Ihre Augen schienen sich diesmal langsamer als gewohnt an die selbst Nachts herrschende Dämmerung (unvorteilhaft platzierte Beleuchtung vor dem nur mit Jalousien ausgestatteten Fenster) zu gewöhnen, die abgeschlossene Umstellung jedoch ließ den Teenager augenblicklich erstarren. In dem winzigen Quartier besaß jeder Schatten eine vertraute Bedeutung. Jetzt aber... gab es einen neuen. Groß. Bedrohlich. Begann am Fuße des Bettes. Und, das spürte Cutter sofort, gehörte einem Fremden. Einem Urinstinkt gehorchend lag der Teenager einen Augenblick lang völlig bewegungslos da, sammelte Mut – dann griff sie blitzschnell nach dem Schalter der Nachttischlampe... und ins Leere. „Hallo Cutter-chan.“ Die Stimme war völlig fremd. Männlich. Und erinnerte an aneinanderreibende Knochen. „Ausgeschlafen?“ Cutter rückte hektisch ab, bis die kühle Wand an ihrem Rücken jegliches Weiterkommen untersagte. Der unvorteilhafte Kontakt verwandelte Angst in jähe Wut. „Wer sind Sie?! Was gibt Ihnen das Recht, hier einfach so einzudringen?!“ Gleichzeitig streckte sie blitzartig die Hand aus, tastete nach der einzigen Verteidigungsmöglichkeit, ihrer Feuermateria... „Suchst du das hier?“ Etwas Dunkelrotes glühte kurz am Fuß des Bettes auf – und flog dann locker geworfen zusammen mit dem Armband zu ihr hinüber. Cutter streifte die Waffe so schnell wie möglich über, visierte den Schatten an... und lauschte nur Sekunden später dem leisen, spöttischen lachen. „Oh Cutter-chan, sieh dich nur an. Du bist noch fast ein Kind. Dir fehlen sowohl Kälte als auch Stärke, um direkt auf einen Menschen loszugehen. Ganz im Gegensatz zu mir. Aber deshalb bin ich nicht hier. Noch nicht. Vielleicht... auch gar nicht. Es liegt ganz bei dir.“ Cutter versuchte Angst und Irritation zu ignorieren. „Sie sollen verschwinden!“ „Sei nicht so unhöflich!“ Augen von undefinierbarer Farbe glitzerten kurz in der Dunkelheit. „Also, Cutter-chan... Flucht ist sinnlos! Sitz einfach still da und hör zu! Brav. Und jetzt... Aus mir völlig unerklärlichen Gründen bist du im Besitz einer... Sache... die mir ebenso zusteht, auf die ich aber leider keinen Zugriff habe.“ Diese Stimme! Sie schien sich förmlich in ihrem Kopf festzufressen. Jedes Wort schmerzte, aber dem mochte auch die zutiefst empfunden Hilflosigkeit zugrunde liegen. „Du bist ein cleveres Mädchen und wirst schon darauf kommen, was ich meine. Ich möchte, dass du diese Sache mit mir teilst. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, wirst du mir deine Entscheidung mitteilen, verstanden? Wir können diese kleine Ungerechtigkeit friedlich oder gewaltvoll lösen. Ich rate dir zur ersten Variante. Cutter-chan? Mach die Augen zu und zähl bis 10. Laut. Und wenn du die Augen öffnest, bist du wieder allein, versprochen. Fang an!“ Die Augen zu schließen, während sich ein völlig Fremder ungebeten in unmittelbarer Nähe aufhielt... Es schien die größte Dummheit der Welt zu sein! Beinahe schon eine Einladung! Aber der verzweifelte Wunsch, diese Situation zu beenden, war stärker. Cutter schloss die Augen. Wenn du versuchst, mich anzufassen, ich schwöre dir, ich werde beißen, kratzen, treten, ich werde schreien, die Feuermateria einsetzen, ich werde... Aber im tiefsten Grunde ihres Herzens wusste sie, dass sie zu geschockt sein würde, um auch nur irgendetwas zu tun. Sie begann zu zählen, nahm wahr, dass ihre Stimme zitterte und sich nicht beruhigen ließ; gleichzeitig versuchte sie, auf andere, vorwarnende Geräusche zu achten, aber es gab keine. Als sie endlich bei der klärenden `Zehn´ angekommen war, gab es kein Halten mehr. Cutter riss die Augen auf, sprang blitzartig aus dem Bett und rannte in Richtung Tür. Sephiroth stellte gerade die Teilnehmer für eine neue Mission zusammen, als seine Bürotür respektlos aufgerissen wurde und Cutter in den Raum stürmte, kurz vor dem Schreibtisch abbremste... „Beschütz mich!!!“ General Crescent ließ ohne jegliche sichtbare Gefühlsregung den Blick über den vor ihm stehenden, völlig aufgelösten Teenager gleiten, griff nach dem Telefon... „Zackary Fair, solltest du hiermit auch nur das Geringste zu tun haben, darfst du dich ab sofort wieder als Kadett betrachten!“ Auch, wenn seine Stimme klang wie die Innschrift eines Grabsteines, so schmolz sie doch die eben noch empfundene Angst Cutters, brachte ihre aufgewühlten Gedanken zur Ruhe – und schuf die Basis für neue Erkenntnisse. Nach dem überstandenen, gewaltigen Schrecken den sichersten Ort der Welt, Sephiroths Nähe, aufzusuchen, war bestimmt keine schlechte Idee gewesen. Aber dies im Schlafanzug zu tun... In der Hoffnung, die Situation retten zu können, nahm Cutter Haltung an und salutierte. „Und jetzt, Zackary“, fuhr Sephiroth völlig unbeeindruckt mit dem Telefonat fort, „holst du Cutters Uniform aus ihrem Quartier und bringst sie in mein Büro!“ Er beendete das Gespräch, befahl `Badezimmer!´, und der Teenager beeilte sich, hinter der entsprechenden Tür zu verschwinden, bis Zack ihr die Uniform brachte. „Hey Seph“, hörte Cutter ihn höchst amüsiert sagen, nachdem er die Tür wieder geschlossen hatte, „vielleicht hätte ich für uns zwei auch Schlafanzüge mitbringen sollen?“ Die Antwort erfolgte unhörbar, aber als Cutter das Badezimmer verließ, hatte Zack unter dem eisigen Blick des Generals Haltung angenommen, und der Teenager beeilte sich, es dem 1st gleich zu tun. Die nächsten Sekunden vergingen in ohrenbetäubender Stille. „Auch wenn ihr euch nicht einmal ansatzweise vorstellen könnt, wie viel Irrsinn mir täglich präsentiert wird...“, Sephiroths Stimme erinnerte an einen bis zum toten Punkt gedrückten, roten Knopf mit der Aufschrift `Apokalypse´, „so sind wir, wie ich sehe, mit der Kreativität noch nicht am Ende. Was ist hier los?!“ „Sir, Zack hat damit nichts zu tun!“ General Crescent vermochte wie kein Zweiter einzuschätzen, ob sein Gegenüber die Wahrheit sagte. Er warf dem Teenager einen langen, prüfenden Blick zu... „Sie hat Recht, Seph“, schaltete sich Zack ruhig ein und parierte unerschrocken den eben noch allein Cutter geltenden Blick. Im Grunde wusste Sephiroth, dass Cutter sein Büro niemals grundlos auf eine derart respektlose Art und Weise betreten würde, und so bedeutete er ihr, zu sprechen. Als sie endete, gestattete er ihr sich zu setzen und ging in Gedanken das eben Gehörte durch. Eine Sache, die sich im Besitz des Teenagers befand, aber einem Fremden ebenso zustand? „Ich nehme nicht an, dass du die Stimme erkannt hast?“ Er klang jetzt etwas sanfter. Es bestand kein Grund, Cutters Aufregung durch unangebrachte Strenge noch weiter zu steigern. Eben schüttelte sie den Kopf und merkte an, dass es leider auch zu dunkel gewesen sei, um körperliche Details zu erkennen. Somit schieden die 2nd Lines als Suchmöglichkeit aus. „Hast du eine Ahnung, wovon er gesprochen hat?“ Cutter schüttelte den Kopf. „Ich habe“, klinkte sich Zack ein, „mir Cutties Quartier vorhin genau angesehen. Tür und Schloss sind völlig intakt, ebenso das Display für den Zugangscode.“ Aller Albernheiten zum Trotz - es war ein Verhalten wie dieses, welches Sephiroth immer wieder bestätigte, den Mann nicht umsonst zum 1st Class SOLDIER befördert zu haben. Er nickte kurz. Keine Einbruchsspuren. Das hieß, der Einbrecher war in Besitz des Türcodes gewesen. Ein prüfender Blick in Richtung Cutter. Diese verstand sofort, versicherte aber glaubhaft, den Code nicht weitergegeben zu haben. „Das hier allerdings“, fuhr Zack fort, „lag auf dem Boden.“ Er reichte einen Gegenstand zu Sephiroth hinüber, und dieser betrachtete ihn eine Weile schweigend. Es war ein in ShinRas High Tec Computeruniversum völlig veraltet anmutendes Objekt: Ein Schlüssel. „Deiner?“, erkundigte sich Zack. Cutter schüttelte den Kopf. Wie kam so etwas in ihr Quartier? Der Einbrecher musste ihn dort verloren haben. Auf die Variante, der Schlüssel könne mit Absicht zurückgelassen worden sein, kam sie nicht für eine Sekunde. Aber genau dieser Spur folgte Sephiroth. Immer noch betrachtete er eingehend das Objekt in seinen Händen. Ein... sein Schlüssel. Gar kein Zweifel. Es war schon so lange her... aber der völlig überholte Gegenstand erfüllte seinen Zweck, entriegelte die Türen zu tief vergrabenen Erinnerungen und katapultierte so einen Teil der Vergangenheit in die Gegenwart. Logisch gesehen, dachte der General, ist es unmöglich. Du kannst nicht überlebt haben. Aber das hier ist mein Schlüssel. Ein Unikat. Passend zu einem Schloss, umgeben von Stangen. 20 Stangen, angebracht im Abstand von exakt fünf Zentimetern. Fünf Zentimeter Freiheit zwischen fünf Zentimeter dickem Stahl. Stahl, im Viereck angeordnet, plus nochmal jeweils 20 Stangen die Boden und Decke bilden. Der... Mein Käfig im Labor, als ich noch Kind war. Mein `Aufbewahrungsort´, sofern ich ihn nicht für irgendwelche Experimente verlassen durfte. Und diesen Schlüssel... habe ich zum letzten Mal in deinen Händen gesehen. „Seph?“, fragte Zack leise, aber der General antwortete nicht. In seinem Kopf setzte gerade eine Kettenreaktion der unterschiedlichsten Erkenntnisse ein. Vorfälle, an die er seit Jahren nicht mehr gedacht, an deren Rätselhaftigkeit er einst gescheitert war, erklärten sich wie von selbst. Meine Vergangenheit... dieser Schlüssel... Cutter... und du... Es passt alles zusammen. „Cutter...“ Seine Stimme klang wachsam und höchst nachdenklich, „hast du irgendjemandem von den 2nd Lines erzählt? Und sei es nur eine Bemerkung gewesen? Ein Versprecher? Irgendetwas?“ Völlig unabhängig, wer bisher vom Geheimnis des Teenagers wusste – jetzt war es in Hände gelangt, deren befehlender Geist Gefahr versprach. Aber Cutter verneinte. Und Sephiroth traf eine schwerwiegende Entscheidung. „Ich versetze dich bis auf weiteres nach Junon.“ Denn hier, fügte er in Gedanken hinzu, bist du in Gefahr. Du glaubst mir nicht?, dachte Cutter entsetzt. Aber ich habe wirklich nicht... Bitte, bitte glaub mir! Dann sickerte die eigentliche Botschaft zu ihr durch. Junon?! „Was soll ich denn in Junon, Sir?“ „Unter anderem über die Vorzüge nachdenken, dem Feind, der sich dein größtes Geheimnis aneignen will, nicht in die Hände zu fallen.“ „Oh“, machte Cutter automatisch. Aber mein größtes Geheimnis ist doch, dass ich dich liebe. Was soll denn der Feind mit dieser Information? Dann runzelte sie die Stirn. Der... „Feind?“, wiederholte sie. „Ich würde jemanden, der ungebeten in dein Quartier eindringt und dich bedroht, nicht unbedingt als `Freund´ bezeichnen. Außerdem schätze ich, dass du die angekündigte zweite Begegnung vermeiden möchtest.“ Cutter hatte ein wenig Mühe, Sephiroths raschen Gedankengängen zu folgen, nickte aber dann heftig. Und fragte leise: „Wenn es wirklich um die 2nd Lines geht... bin ich schon wieder in Schwierigkeiten, oder?“ Das bist du ständig, dachte Sephiroth leicht amüsiert. Nur die Stärke variiert. „Deine Versetzung nach Junon sollte die Situation entschärfen, bis mir weitere Informationen vorliegen und wir handeln können.“ Vielleicht würde eine der zahlreichen Überwachungskameras brauchbares Material liefern. Aber Sephiroth rechnete nicht wirklich damit. „Bleib trotzdem wachsam. Wenn dir irgendetwas seltsam vorkommt, ruf mich an! Junon hat einen Blue Wanderer angefordert, es dürfte also keine Fragen geben. Hier sind die entsprechenden Papiere, du fliegst innerhalb der nächsten Stunde. Das wäre alles. Wegtreten.“ Jetzt schon??, dachte Cutter entsetzt. Der Abschied kam zu plötzlich, und Sephiroth hatte nicht einmal gesagt, wie lange sie dort bleiben sollte... Sichtlich unglücklich nahm sie die Papiere an sich und verließ das Büro. Sephiroth sah ihr nach. Sie war zu ortsgebunden! Ein guter Blue Wanderer war in der Lage, überall zu arbeiten. Die Versetzung würde ihren Horizont diesbezüglich erweitern. Nicht für einen Sekundenbruchteil kam ihm in den Sinn, er könnte der Grund für Cutters Trauer sein. Zacks Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Ausgerechnet die 2nd Lines... so ein Mist. Was kann ich tun?“ „Geh ihr nach und sorg dafür, dass sie weder den Flug verpasst, noch ihre Papiere vergisst!“ Der 1st nickte und verließ das Büro. Sephiroth führte ein kurzes Gespräch mit dem Sicherheitsdienst, dessen Antwort ihm nur wenig später in Form eines Überwachungsvideos vorlag. Die Cutters Flur kontrollierende Kamera war kurzzeitig ausgefallen, der Grund dafür nur zu offensichtlich. Das kurz nach Eintritt der Störung automatisch losgeschickte Reparaturteam hatte allerdings keinerlei Defekt feststellen können und, wie ein weiteres Telefonat klärte, auch auf dem Flur nichts Verdächtiges bemerkt. Es war, als sei niemals etwas geschehen. Sephiroth drehte und wendete den Schlüssel. Recherche... Planung... Durchführung... Rückzug... Ein perfekter erster Auftritt nach all den Jahren. Reicht aber nicht aus, um mich zu beeindrucken. Du hast also tatsächlich überlebt. Interessant. Und jetzt bist du zurück. Auf welcher Seite stehst du? Nicht auf meiner. Bleiben noch zwei weitere Möglichkeiten... Mein Gefühl sagt mir, dass ich mit deiner Wahl nicht einverstanden sein werde. Rail. Einige Straßen vom ShinRa HQ entfernt wandte sich ein harmlos aussehender Fußgänger um, warf einen Blick zurück auf den mächtigen Gebäudekomplex. Um die Lippen der Person spielte ein Lächeln. Bald. Der Fußgänger setzte sich in Bewegung, und verschwand schon nach wenigen Schritten hinter einer Kurve. Nur ShinRa könnte so etwas bauen!, dachte Cutter begeistert, während der Black Hawk Helikopter das riesige Wahrzeichen Junons, die gigantische, zum Meer hin zeigende Kanone mit dem Spitznamen „Sister Ray“, überflog, und wenig später zur Landung ansetzte. Viel Zeit zum Staunen blieb dem Teenager aber nicht, denn laut Sephiroths Befehl hatte sie sich sofort nach der Landung zu melden, um weitere Anweisungen zu erhalten, und sie plante nicht, jetzt schon Ärger zu machen. Wenig später packte sie ihre Tasche im neuen Quartier aus, und begann, ihren unbekannten Aufenthaltsort genauer zu inspizieren. Zu ihrer Freude gab es etliche Lines, für die ihr eine Übersetzung fehlte, ideal um gegen Langeweile vorzugehen. Vielleicht würde es doch nicht so schlimm werden. Abgesehen davon war zumindest eine der beiden so vertrauten Stimmen nicht weiter weg als ein paar Tastenberührungen auf dem Handy. Sephiroth fiel ihr wieder ein, und für einen Augenblick überkam sie bodenlose Trauer. Hat er mir wirklich nicht geglaubt? Aber ich möchte, dass er mir glaubt... Sie seufzte leise. Wäre ich nur nicht so ein verdammtes Schussel! Aber andererseits... vielleicht hätte er mich auch so hierher geschickt. Und ich kenne mein Problem. Und arbeite daran. Momentan jedenfalls bin ich nicht mehr in Midgar und somit nicht in Gefahr. Was soll hier schon großartiges passieren? Sie begann, entspannt vor sich hin zu summen. Zwei Tage später saß Sephiroth in seinem Büro und widmete sich den Berichten bezüglich der aktuellen Rebellenaktivitäten, tief konzentriert und fest entschlossen, das Treiben des ihm gegenüber befindlichen Zacks zu ignorieren. Der 1st hasste es, Missionsreporte zu schreiben. Für gewöhnlich tat er es nur in einigermaßen akzeptabler Form, wenn ihm die Sache am Herzen lag, er irgendwelchen Unsinn damit verknüpfen konnte – oder dazu gezwungen wurde. Wie jetzt. Sephiroth hatte ihn kurzerhand im Büro eingeschlossen. Zacks Rache erfolgte (nachdem er etwa die Hälfte aller ausstehenden Reporte hinter sich gebracht hatte) in der für ihn typischen Art und Weise. „Huuuiiiii!!!“ Es klang zu begeistert. Und obwohl Sephiroth wusste, dass er es bereuen würde... „Zackary Fair, einmal mehr entspricht dein Verhalten nicht dem eines ShinRa 1st Class SOLDIERs!“ Zack hatte seinen Sessel in ein Karussell verwandelt und drehte sich in beachtlichem Tempo und laut jauchzend um die eigene Achse. Jetzt aber stoppte er die wilde Fahrt, sprang auf die Füße und erkundigte sich mit allem verfügbaren Entsetzen: „Heißt das etwa, du hast mich nicht mehr lieb??“ Sephiroth realisierte das noch lange nicht verklungene Schwindelgefühl im Blick des sich mit beiden Händen am Schreibtisch festhaltenden Karussellfahrers... und konnte nicht widerstehen. Zack versuchte reflexartig, den ihm entgegengeworfenen Gegenstand zu fangen, verlor augenblicklich das Gleichgewicht und... ging polternd zu Boden. Der General konnte sich ein amüsiertes Grinsen nicht verkneifen, bevor er die Vorstellung mit einem gefühllosen: „Nicht einmal dazu bist du in der Lage!“ quittierte und sich wieder dem PC zuwandte. „Cutter würdest du nie so behandeln“, murrte es von unten. Dann erschienen Arme und Kopf des 1st am Rand der Schreibtischoberfläche. „Unser Lieblingsteenager...“ „Sie ist weder das Eine, noch das Andere!“ „... hat mich übrigens heute morgen angerufen. Es geht ihr gut, aber sie vermisst mich. Und“, er kniff grinsend ein Auge zu, „dich auch! Was sagst du dazu?“ Sie vermisst mich? , dachte Sephiroth. Warum? Sie befindet sich in keiner Situation, die mein Einschreiten erfordert. Sie braucht mich nicht. Dann fügte er hinzu: Noch. Bei Cutter weiß man nie. Laut kommentierte er: „Dass ihr diese Aussage nicht den geringsten Vorteil bringen wird.“ „Darum geht’s doch gar nicht, Seph“, antwortete Zack sanft, aber einmal mehr erschüttert über die rationale Denkweise seines Generals. „Sie hat das gesagt, weil sie uns mag.“ Sein Gegenüber aber hatte die ungeteilte Aufmerksamkeit bereits wieder dem nächsten Antrag zugewandt. Zacks diesbezügliche Entrüstung entlud sich in einem aus tiefsten Herzen kommenden Satz. „Junge, du bist echt frustrierend!“ „Du hast seit 25 Sekunden Feierabend, Zackary.“ „Du auch! Hey, geniale Idee! Ein paar von den Jungs und ich wollen noch was trinken gehen. Ich nehme dich einfach mit!“ Ungeachtet der Tatsache, dass Sephiroth aufgestanden war und auf ihn zukam, fuhr er fort: „Wir könnten richtig einen draufmachen und morgen früh mit einem mordsmäßigen Kater wach werden!“ Es war unerheblich, dass ihn der General am Kragen packte. „Und dann“, Zacks Begeisterung ließ sich nicht einmal davon bremsen, mühelos in Richtung Tür gezogen zu werden, „machen wir Katerfrühstück, bejammern unsere Kopfschmerzen und sprechen die legendären Worte: `Nie wieder Alkohol!´ Na, was sagst du dazu?“ Nur ein leises – klick -. Zack saß allein vor der jetzt geschlossenen Bürotür des Generals. „Ist das ein `Nein´? Seph?“ Eine Antwort blieb natürlich aus. Zack kam mit einer schwungvollen Bewegung wieder auf die Beine. Diese Runde ging glasklar an Sephiroth, aber... aufgeben kam nicht in Frage! Die nächste Gelegenheit, ihn an seine Menschlichkeit zu erinnern, würde bestimmt nicht lange auf sich warten lassen, und zur Not würde Zack sie einfach herbeiführen. Wie schon so oft. Hinter der Tür verharrte Sephiroth einen Moment lang bewegungslos und gestattete sich einen unauffälligen Augenblick der Schwäche, indem er sich seinem Groll hingab. Warum konnte dieser verdammte Zackary sich nicht einfach von ihm fern halten wie alle anderen auch? Weshalb versuchte er immer wieder, die endlose Distanz zu überbrücken? Konnte er nicht einfach die Aussichtlosigkeit dieses Unterfangens akzeptieren und aufgeben? Selbst wenn Sephiroth den Wunsch nach einer Änderung des aktuellen Zustandes verspürt hätte... Ich bin nicht wie andere. Meine Existenz ist... einzigartig. Gewisse Extras erinnern mich ständig daran! Und mit einer Mischung aus Trauer und Gleichgültigkeit fügte er hinzu: Vermutlich habe ich nicht einmal eine eigene Line. Zurecht. All die Besonderheiten zu ignorieren... jemanden... etwas wie ich es bin gleichzusetzen mit allen anderen ist lächerlich! Ich... weiß ja nicht einmal selbst, was ich bin... Seitdem er denken konnte, begleitete ihn diese Frage. Sie ließ sich verdrängen und überdecken, aber sie verschwand nicht. Es gab Personen, die einen strahlenden Helden in ihm sahen. Oder ein Versuchskaninchen. Ein Monster. Einen Freund. Oder den mentalen Fokus. Aber all das waren die Antworten anderer. Seine eigene... war nicht darunter. Aber ich werde nicht aufhören, danach zu suchen! Selbst, wenn ich sie niemals finde... Ich habe es mir versprochen... Der Feierabend setzte ein und entfachte einmal mehr jene Leichtigkeit, die Menschen zum Lächeln brachte. Ausbilder drückten vielleicht ein Auge zu. Bürozicken begannen, sich kollegial zu verhalten. Kadetten entspannten sich vorsichtig. Pläne ganz anderer Art rückten in den Vordergrund, Pläne, die nichts mit Taktik und Töten zu tun hatten. Freizeit. Die sich schlagartig ändernde Atmosphäre im HQ erinnerte Sephiroth daran, dass es auch andere Welten gab. Und unwillkürlich fragte er sich einmal mehr, wie es sich anfühlen mochte, so zu sein wie die in diese Welten aufbrechenden Personen. Normal. Nur für einen Moment... Das Klingeln des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken, und Sephiroth wusste, wer ihn zu sprechen wünschte, noch bevor er abgehoben hatte. Er behielt auch dieses Mal Recht. „Komm ins Labor!“ Nur diese drei Worte, ein scharfes Klicken und dann Stille. Die Stimme erinnerte ihn daran, wie sinnlos die gerade noch geführten Gedankengänge waren hinsichtlich der auf ihn wartenden Schlachtfelder, und, dass der Kern dieser Fragen vielleicht alles war, was er jemals in seinem Leben haben würde: Die Ahnung auf etwas anderes. Mit einem Augenausdruck, der den härtesten Stein wie Butter in der heißen Sonne hätte wirken lassen, verließ Sephiroth das Büro. In Junon schloss Cutter ihr eigenes (!) kleines Büro ab und verstaute den Schlüssel sicher in der Tasche. Das Leben hier war gar nicht so schlecht, und die ihr anvertrauten Aufgaben ließen sich mit Hilfe der Lines schnell und problemlos lösen. Die Leute verhielten sich einigermaßen freundlich, und als Gegenleistung bemühte sich der Teenager um möglichst wenig Schusseligkeit. Ansatzweise hatte sie sich ihr Dasein als ShinRa Blue Wanderer immer so vorgestellt. Hätte sie all das in Midgar haben und mit Sephiroth und Zack teilen können – es wäre perfekt gewesen. Aber das wird schon, dachte Cutter. Ich kämpfe mich durch! Irgendwann darf ich bestimmt wieder nachhause! Und dann hielt sie für einen kurzen Moment inne. Nachhause... Der Ort, nach dem sie sich so gesehnt hatte... war eigentlich kein... Ort. Es waren zwei Menschen, die sich hauptsächlich dort aufhielten, ohne die sie sich ihr Leben kaum noch vorstellen konnte. Und zu denen sie hoffentlich bald zurückehren durfte. Sie setzte ihren Weg in die Kantine fort, gedanklich schon beim Abendessen - und somit gänzlich unvorbereitet bezüglich des harten, sie urplötzlich um die Taille haltenden Griffes. Etwas Nasses, Weiches drückte sich auf Mund und Nase, unbekannter Geruch zerschlug binnen zwei Sekunden jeden Gedanken und ließ ihr Bewusstsein abtauchen in tiefste, unnatürliche Finsternis. Kapitel 23: Konsequenzen ------------------------ Hojo hielt nichts von Computern. Vermutlich, weil sie nicht bluten konnten. Er misstraute Sicherheitskopien in elektronischer Form und zog die altbewährten Ausdrucke vor, was das Laborarchiv zum größten seiner Art werden ließ, und man munkelte, dass es unter Berücksichtigung aller Experimente mindestens doppelt so groß gewesen wäre. Was mich angeht, dachte Sephiroth, wird mit Sicherheit alles archiviert. Wenn ich nur wüsste, wo... Hier nicht, soviel steht fest. Er hatte das Archiv in unzähligen Etappen genauestens durchsucht, heimlich und ohne Spuren zu hinterlassen – leider aber auch ohne hilfreiche Ergebnisse. Es musste noch einen anderen Aufbewahrungsort für die sensiblen Daten, in denen die Antworten auf alle seine Fragen schlummerten, geben! Nur wo? Dem gewünschten Ergebnis so nah und doch so fern zu sein, war eines der frustrierendsten Gefühle in Sephiroths Universum und wurde nur noch von der Anweisung, ins Labor zu kommen, übertroffen. Diesmal hatte es sich um eine für Hojos Begriffe eher flüchtige Untersuchung gehandelt, aber der Professor war pfeifendmit dem abgenommenen Blut zur Auswertung verschwunden... Eben kam er wieder zurück, summend, die Augen fest auf die gewonnenen Daten gerichtet, hielt unmittelbar vor dem immer noch auf dem kalten Metalltisch sitzenden Sephiroth an, schob die Brille zurück... „Dieser Wert hier...“ er tippte auf das Blatt oberhalb des Klemmbrettes in seinen Händen, natürlich ohne seinem `Patienten´ einen genaueren Blick zu gewähren, „gefällt mir gar nicht! Fühlst du dich in letzter Zeit ein wenig... anders?“ Du genießt dieses Vorspiel, dachte Sephiroth gereizt, nicht wahr? Weder sagst du mir, um welchen Wert es sich genau handelt, noch definierst du mögliche Symptome. Warum sagst du nicht einfach `Leg dich hin!´, bringst die Fixierungen an und beginnst? Wartest du darauf, Angst in meinen Augen zu sehen? Diese Zeiten sind vorbei! Für immer! „Nein“, beantwortete er die Frage mit erhabener Kühle. „So, so. Interessant.“ Er schob die rutschende Brille zurück an ihren Platz. „Nun, ich werde mich trotzdem davon überzeugen müssen, ob diesem wirklich seltsamen Wert keine ernsthaften Erkrankungen zugrunde liegen. Sei ein guter Junge und leg dich hin!“ In Wahrheit, das wussten beide, gab es keinen seltsamen Wert. Es war nur der Vorwand für ein neues Experiment. Sephiroth wollte protestieren. Im Geiste sah er sich aufstehen und das Labor verlassen. Rein körperlich wäre Hojo kein Gegner gewesen. Auf anderen Ebenen allerdings war er... übermächtig. Selbst für den großen General Crescent. Eiserne Hand und Fußfesseln klickten leise. „Entspann dich.“ An einem anderen Ort versuchte Cutter mit aller Selbstbeherrschung, nicht in Panik zu geraten. Die Luft unter der ihren Kopf vollständig bedeckenden Kapuze war heiß, verbraucht und jeder Atemzug machte es schlimmer. Cutter hatte alles versucht, um den Störfaktor loszuwerden – erfolglos. Ihr Herz raste mit nie gekannter Schnelligkeit, laut rauschte das Blut in ihren Ohren und ergab mit dem völlig gestörten Zeitgefühl einen dem freien Fall ähnlichen Zustand. Zwar verrieten die Lines einen fortwährenden Aufenthalt in Junon – jetzt allerdings in einem der leerstehenden Kellerräume und mit groben Stricken an einen Stuhl gefesselt. Die Form des Knotens war dem Teenager bekannt, aber er war zu festgezogen um ihn lösen zu können. Immer wieder rutschten Cutters nasse Finger davon ab, und gemessen an dem Schmerz war die Feuchtigkeit längst kein Schweiß mehr. Viel nervenaufreibender jedoch war das Bewusstsein, sich in Begleitung des Kidnappers zu befinden. Dessen Beweggründe... mittlerweile hatte er sie genannt. Sephiroths Vermutung war völlig richtig gewesen: Es ging um die 2nd Lines. Ein Albtraum, der wahr wurde. Und doch... Ruhig... bleib ruhig... denk nach! Wenn du das hier überlebst, musst du Sephiroth-sama so viele Infos wie möglich geben...! „Sie sind auch ein Blue Wanderer, oder?“ „Natürlich! Weshalb sollte ich dich sonst entführen?! Also, wie komme ich in die 2nd Lines?“ Unmöglich zu sagen, wie oft er diese Frage schon gestellt hatte. „Das werde ich Ihnen nicht sagen!“, fauchte Cutter ein weiteres Mal so unerschrocken wie möglich. Ihr Kidnapper seufzte unhörbar. Diese Kinder heutzutage hatten einfach viel zuviel Selbstvertrauen. Auch dieses Exemplar. Aber letztendlich... war es nur ein Kind. Stur – aber unerfahren. Der richtige Druck an der richtigen Stelle und der Widerstand würde bedingungslos brechen. „Werde mir nicht lästig, Cutter-chan! Du bist zu schwach für die Konsequenzen! Beantworte meine Frage und ich lasse dich laufen.“ Trotz ihrer Angst... Cutter wusste, dass er log. Er tötet mich, sobald er das Geheimnis kennt. Bislang droht er mir nur. Und wenn er genug davon hat... Fruchtlosen Diskussionen folgt stets Gewalt. Ich bin ihm hilflos ausgeliefert. Wie komme ich hier nur wieder raus?? Der einzig sichere Ort (zumindest für ihren Geist) waren die 2nd Lines. Kein äußerlicher Einfluss vermochte dorthin zu folgen. Cutter hatte bereits mehrfach versucht zu flüchten – aber Angst und Anspannung waren zu stark. Körper und Geist bleiben weiterhin verbunden. Sephiroth-sama, Zack, wo seid ih... „Cutter-chan...“ Die Stimme erklang unvermittelt genau neben ihrem Ohr. Cutter zuckte unwillkürlich zusammen und versuchte, soviel Distanz wie möglich zwischen sich und ihren unsichtbaren Peiniger zu bringen. Aber die Stimme folgte ihr. „Du hältst mich für einen Lügner, nicht wahr? Manchmal – meistens – bin ich das auch. Aber nicht jetzt. Ganz im Gegenteil, ich bin auf deiner Seite. Hast du mal überlegt, welche Vorteile dir durch einen zweiten 2nd Lines Blue Wanderer entstehen könnten?“ Geh weg, dachte Cutter. Bitte, geh einfach nur weg! Wenn sie ihn wenigstens hätte sehen können! Aber in ihrem jetzigen Zustand war das nicht möglich. Abgesehen davon war ihr Kidnapper ein Blue Wanderer wie sie selbst und besaß somit keine eigene Line. Cutter war blind auf allen Ebenen. Aber, als habe der Mann sie verstanden, vergrößerte er die Distanz wieder. Cutter atmete auf. „Du bist nicht wie die anderen Blue Wanderer!“, fuhr ihr unsichtbarer Entführer fort. „Der Preis dafür ist Einsamkeit – und unbeantwortete Fragen. In mir hättest du einen zuverlässigen Partner. Wir könnten uns gegenseitig nützlich sein. Du wärst nicht mehr allein. Überleg es dir.“ Gute, sinnvolle Argumente. Sanft vorgetragen wirkten sie mehr als logisch auf einen zermürbten, ängstlichen Geist. „Ich habe nicht vor, dich zu töten. Kinder stellen keine Bedrohung für mich dar. Sag mir einfach, wie man in die 2nd Lines kommt, und ich lasse dich laufen.“ Wie um seine Worte zu bekräftigen, rollte er die Kapuze etwas nach oben. Cutter atmete die sauerstoffhaltige Luft gierig ein, aber sie fühlte sich wie eine Ertrinkende, der man nur eine Hälfte des Rettungsringes zugeworfen hatte. „Du brauchst nur diese kleine Frage zu beantworten, und alles wird gut. Ich verspreche es dir.“ Der sanfte Tonfall, die guten Argumente, die Erschöpfung, die Chance, all das zu beenden... Der Teenager konnte spüren, wie ihr Widerstand zu bröckeln begann. Wie groß konnte die Chance, mit dem ersten und einzigen Versuch den eigenen mentalen Fokus und somit den Weg in die 2nd Lines zu finden, schon sein? Zu versagen war viel wahrscheinlicher - und der Wahnsinn diesmal bestimmt endgültig. Dann fiel ihr ein, dass auch sie damals einen Volltreffer gelandet hatte. Es war möglich, unter den Milliarden von Optionen die einzig Richtige zu wählen. Und dieser Mann... Er ist nicht wie ich. Er ist... böse. Ich darf ... die 2nd Lines nicht ausliefern... Aber ich bin ganz allein... Wenn kein Wunder geschieht, wird er früher oder später gewinnen, ich weiß es... Und ob ich noch ein Wunder übrig habe? „Ich meine es gut mit dir, Cutter-chan.“ In der Stimme lag ein entwaffnendes lächeln. Klar, dachte der Teenager müde – und schüttelte heftig den Kopf. Die daraufhin einsetzende Stille war entsetzlicher als jedes Geräusch. Und sie dauerte an. Endlos. Alles Grauen der Welt schien sich in ihr zu versammeln und auf den Angriffsbefehl zu warten. Das erneute Erklingen der Stimme ließ Cutter unwillkürlich zusammenzucken. „Du willst also tatsächlich die harte Tour. Na schön.“ Abermals zog sich die Kapuze über ihr Gesicht. „Willkommen zum einzigen Platz in der ersten Reihe!“ Stunden später bemerkte niemand das Kurs auf die offene See nehmende, völlig unauffällige Fischerboot. Der Kapitän überzeugte sich genau, unbeobachtet zu sein, ehe er den sicher in einem Sack verstauten Ballast über Bord gehen ließ. Der Ozean vor Junon war tief und dunkel, und egal, wie viele Geheimnisse sich bereits auf dessen Grund verbergen mochten – für eines mehr war mit Sicherheit noch Platz. Als Kälte und Nässe ihren Weg ins Innere des Sackes fanden, kam Cutter wieder zu sich, wollte wie gewohnt Luft holen, aber was sie einatmete war nicht das Erwartete, sondern... Wasser?? Ich bin im Wasser?? Ich kann nicht atmen unter Wasser!! Pure Panik ergriff Geist und Körper, mobilisierte aber gleichzeitig jeden Funken an Kraft. Cutter versuchte verzweifelt, sich zu befreien... aber das an ihren Füßen befestigte Gewicht zog sie unaufhaltsam in die lichtlose Tiefe, und ihr entsetzter Schrei verwandelte sich in lautlose Luftblasen, die fröhlich der rettenden Oberfläche entgegentanzten, ohne den schweren Körper mitnehmen zu können. Dem Gefühl, von innen heraus zerfetzt zu werden, folgte eine Ohnmacht mit der Intensität eines großen, schweren Hammers. Alles endete. Es vergingen Stunden, ehe Sephiroth endlich das Verlassen des verhassten Labors gestattet wurde, und er tat es in nahezu provozierender Ruhe. Er trödelte sogar ein wenig. Seine Rückkehr in den offiziellen ShinRa Alltag verriet mit keinem Detail die Ereignisse der letzten Stunden, denen er allerdings kaum eine tiefere Bedeutung zuwies. Ungeachtet aller Qualen – wie üblich war kein Laut über seine Lippen gekommen. Die perfekte körperliche Kontrolle – sie war ihm nicht entglitten. Sie würde es niemals. Für keinen! Jetzt war er bereits wieder auf dem Weg in sein Büro. Die verlorene Zeit aufzuholen würde nicht leicht sein, aber sich von Hojo zurückwerfen zu lassen war keine akzeptable Option! Viel seltsamer jedoch war das dumpfe Gefühl von Panik, das den General irgendwann ergriffen hatte. Auf rätselhafte Art und Weise fühlte es sich nicht wie seine eigene an, des weiteren entzog sie sich seinem mentalen Griff mit nebelhafter Geschmeidigkeit wann immer er versuchte, sie festzuhalten um eine nähere Definition vornehmen zu können, allerdings ohne schwächer zu werden. Es... ähnelte ein wenig dem kurz empfundenen Schmerz, als Cutter angeschossen worden war... Sein Handy begann zu klingeln. Er warf einen Blick auf das den Anrufnamen anzeigende Display, klappte das Gerät auf. „Was gibt es, Cutter?“ „Hallo, großer General.“ Nicht die erwartete Stimme. Mehr noch. Sephiroth war sicher, diese Stimme niemals zuvor gehört zu haben. Er kombinierte blitzschnell. Cutters Handy. Ihr erstes. Sie behandelte es mit äußerster Sorgfalt. Natürlich hätte sie es trotzdem verlieren können. Aber seinem Instinkt vertrauend wusste er, dass dem nicht so war. Er beschloss, sich nicht mit sinnlosen Fragen aufzuhalten, sondern direkt zum Punkt zu kommen. „Die Stimme zu verstellen ist sinnlos. Was willst du, Toron?“ „So kalt...“ Es klang fast verletzt. Und dann... änderte sich die Stimme. „Früher war ich immer Rail für dich, weißt du noch?“ „Beantworte meine Frage!” „Kein Small Talk? Kein `Ich freue mich, dass du noch lebst?´ Kein `Wie ist es dir ergangen in all den Jahren?´ Schade, dabei hatte ich mich so darauf gefreut... Von dir will ich gar nichts, Sephiroth. Entspann dich. Sagt Hojo das eigentlich immer noch zu dir, bevor er anfängt?“ Ein lachen. „Er wird sich nie ändern.“ Sephiroth ignorierte das angeschnittene Gesprächsthema. Toron hatte Cutters Handy. Und somit auch Cutter. Verdammt... Befand sich Toron immer noch in Junon? Und war Cutter in der Nähe? In welchem Zustand? Zumindest eine der Fragen ließ sich unwiderruflich klären. „Rufst du nur an um deine und meine Zeit zu verschwenden?“ Gleichzeitig öffnete er lautlos die Türen seines Büros, trat zum Schreibtisch und entnahm einer der Schubladen einen Gegenstand, den er nie hätte besitzen dürfen: Ein Gerät zur Anrufrückverfolgung. Er brachte es ohne das geringste Geräusch zu verursachen am Handy an und startete das entsprechende Computerprogramm. „Nicht doch“, hörte er Toron antworten. „Ich wollte dir nur sagen, dass du einen sehr interessanten Blue Wanderer in deinen Reihen hast. Oh, hattest. Vergangenheitsform. Ich entschuldige mich.“ Sephiroth starrte auf den Bildschirm vor sich. Das Programm suchte mit Höchstgeschwindigkeit, gleichzeitig zeichnete ein anderes das Gespräch auf. „Hatte?“, wiederholte der General, sich sehr dumm stellend, um Zeit herauszuholen. „Was soll das bedeuten?“ „Dass der einzige 2nd Lines Blue Wanderer ab jetzt nicht mehr für dich arbeitet. Es hat mich einige Mühe gekostet, sie zum sprechen zu bringen, aber letztendlich... Kinder! Überschätzen sich gerne.“ „Nicht nur Kinder begehen diesen Fehler, Toron!“ „Nun, dieses Exemplar wird gar keine Fehler mehr machen.“ „Du hast sie getötet“, übersetzte der General völlig ruhig. „Ersäuft wie eine Katze“, antwortete Toron fröhlich. „Ganz ehrlich, was soll die Welt mit zwei 2nd Lines Blue Wanderern anfangen? Einer reicht völlig aus.“ Das Programm suchte immer noch. „Du lügst.“ „Sag das dem Stein, der sie in die Tiefe des Meeres gezogen hat. Eigentlich... ist es fast schade um sie. Irgendwie habt ihr niedlich zusammen ausgesehen.“ „Niedlich.“ „Weißt du, deine Skepsis ist nicht gerade anziehend. Deshalb bist du auch immer noch Single. Werde mal ein bisschen lockerer.“ Rotes Licht flammte auf dem Monitor auf, blinkend, triumphierend. Junon! Gleichzeitig öffnete sich ein neues Fenster, zeigte ein gestochen scharfes Satellitenbild der telefonierenden Person. „Tja, Großer, ich bin fertig und mache mich jetzt vom Acker. Hab gehört, das Militär soll hier stark vertreten sein. Denk über meine Worte nach und sei nicht sauer wegen der Kleinen. Ciao!“ Ein leises klicken, dann Stille. Das Bild auf dem Monitor wurde, zeitgleich mit dem Abschalten des Telefons, dunkel. Sephiroth legte den Sensor zurück in die Schublade, in Gedanken schon an einem Plan arbeitend. Junon mit einer Hetzjagd aufzuschrecken schied allerdings aus. Dank der Lines würde Toron immer einen Ausweg finden, und wenn die eben gehörten Worte der Wahrheit entsprachen... war dem so? Sephiroth wusste, wie stur Cutter sein konnte, wenn es um Dinge ging, die ihr am Herzen lagen. Sie hütete das Geheimnis der 2nd Lines zuverlässig. Aber mit einem Gegner wie Toron? Nach allen bisherigen Ereignissen... Ich muss wohl davon ausgehen, die Wahrheit erfahren zu haben. Eine Fahndung herauszugeben erschien am sinnvollsten. Nerven hat Toron, dachte Sephiroth. Schleicht sich in Junon ein – in Junon! -, verhört und tötet Cutter und erzählt es mir brühwarm. Aber mich herauszufordern ist bisher noch keinem gut bekommen – 2nd Lines hin oder her! Innerhalb weniger Minuten würde jedem ShinRa Mitglied eine Fahndungskopie vorliegen. Erfolg war nur eine Frage der Zeit. Er startete das entsprechende Programm, und dann, gänzlich unvermittelt... hielt er inne. Cutter...? Widerspruch war immer eine gute Strategie um Zeit zu schinden. Jetzt aber schienen Torons Worte urplötzlich aus Blei zu sein. Tief sanken sie in Sephiroths Bewusstsein ein. Das ist absurd, dachte der General. Sie ist... viel zu schusselig, um zu sterben. Und dann, ein wenig trotzig: Außerdem fehlt ihr dafür meine Genehmigung! Aber er fand nicht eine plausible Begründung für eine Lüge seitens des Kidnappers. Nur diese seltsame... fremde... Panik. Auch, wenn sie fast verblasst war und so das Ende eines unbekannten Vorganges verriet - sie hatte eine niemals zuvor verspürte Art der Stille hinterlassen. Sie zwang förmlich zum lauschen. Sephiroth tat genau das, tief konzentriert. Dann schüttelte er den Kopf. Absurd! Aber es betraf Cutter. Ein letztes kurzes Zögern. Dann folgte er dem Ruf. Die Durchsuchung seines Appartements erfolgte schnell, gründlich und lautlos – allerdings ohne Erfolg. Letztendlich blieb nur das Schlafzimmer übrig, dessen Tür er auf alles gefasst öffnete. Nur Sekunden später kniete er neben der bewegungslos am Boden liegenden Person. Während er versuchte, Cutter aufzuwecken, nahm er etliche Details wahr: der grobe, Arme und Beine fesselnde Strick. Der Steinbrocken an den Füßen. Die Pfütze um den völlig durchnässten Körper. Sephiroth befreite das Mädchen, brachte sie auf dem Bett zum liegen und wandte eine Heilmateria an. Gesichtsfarbe und Atmung wurden daraufhin etwas besser, aber gegen die nasse Kleidung war die Materia wirkungslos... Dennoch musste sie entfernt werden. Er zögerte. `Privatsphäre´ war... etwas seltsames. In seiner Welt hatte sie jahrelang nicht existiert. Es war ihm anfänglich schwer gefallen, sie bei Begegnungen als solche zu identifizieren und sein Handeln danach auszurichten. Dies bereitete ihm mittlerweile keine Probleme mehr, aber er zog es vor, die auf dieser Ebene stattfindenden Konfrontationen mit anderen Menschen auf Missionen und den ShinRa Alltag einzuschränken. Hier hatte er einen sehr speziellen Fall von `Privatsphäre´ vor sich. Er nahm an, dass es andere Menschen nicht schätzten, unbewusst ihrer Kleidung entledigt zu werden – hätte aber nicht gezögert, dies im Fall einer lebensbedrohlichen Lage dennoch zu tun. Dem war jedoch momentan nicht so! Folglich gab es keine Rechtfertigung. Dennoch musste es geschehen... Er seufzte leise und griff zum Handy. Schon sehr bald würde er einer gewissen Abteilung einen Gefallen schulden. Wenig später schloss er die Tür hinter einem der wenigen weiblichen Turks wieder und kehrte zurück ins Schlafzimmer, ließ sich auf dem Stuhl neben dem Bett nieder und sah schweigend zu dem so fehlplatzierten (aber mittlerweile unter der Decke in einem trockenen Hemd steckenden) Teenager hinüber. Cutter Tzimmek – wie viele Leben hast du eigentlich? Und weshalb überschneiden sie sich ständig mit meinem? Ich bin dein kommandierender Offizier und mentaler Fokus, aber das lässt mich nicht zu deinem persönlichen Schutzengel werden! Es ist... auch so verwirrend genug. Selbst für mich. Er seufzte leise. Ich muss aufhören, es zu leugnen. Der mentale Fokus eines Blue Wanderers zu sein bedeutet... wesentlich mehr, als diesem Hin- und Rückweg in die 2nd Lines zu ermöglichen. Als du angeschossen wurdest, hat sich ein Teil des Schmerzes auf mich übertragen – ohne Zweifel, um mich von den Geschehnissen in Kenntnis zu setzen. Jetzt diese Geschichte. Und das... ist nicht alles. Wann immer der Teenager auf einer Mission gewesen war, Ort und Zeitpunkt ihrer Rückkehr waren Sephiroth, ohne diese Information gezielt begehrt zu haben, nie verborgen geblieben. Es ging tiefer als Instinkt. Ein flüchtiger Moment tiefer Gewissheit, ein Echo dessen Empfänger er war, ausgelöst durch ihr auftauchen irgendwo in seiner Nähe. Genau das hat mich dich auch jetzt finden lassen. Aber wie bist du bloß hierher gekommen? Noch dazu in diesem Zustand. Er zog die Fesseln aus seiner Tasche hervor, betrachtete sie nachdenklich. Eigentlich gab es nur eine Erklärung. Sie war absurd – und gerade deshalb so wahrscheinlich. Es zuzugeben fällt mir schwer, aber es scheint, als hätte ich die Lines ein weiteres Mal unterschätzt. Sie... Vor ihm seufzte Cutter leise und kuschelte sich tiefer in das – sein – Bettzeug, ganz offensichtlich auf dem besten Weg, endlich aufzuwachen. Sephiroth beschloss, die Sache zu beschleunigen. Der vertraute Klang ihres Namens ließ das Mädchen behutsam blinzeln. Wärme und das Gefühl absoluter Geborgenheit hüllten sie ein, erschufen die Illusion von friedlicher Schwerelosigkeit. Dieses Bett war so herrlich flauschig und weich... und dieser Duft... „Se... phi... roth...“, murmelte der Teenager glücklich, kuschelte sich tiefer in das Gefühl vollkommener Sicherheit... „Cutter, wach auf!“ Das Mädchen blinzelte abermals, noch immer schlaftrunken. War etwas los? Schlimm konnte es nicht sein. Nicht in Verbindung mit diesem kuscheligen Bett und Sephiroth in der Nähe, und... Das Bett war... was? Seit wann?! Und Sephiroth... Sephiroth war hier?? Ruckartig setzte sie sich auf, und der General begegnete einem Blick, in dem alle Fragen der Welt gleichzeitig zu liegen schienen, schwieg aber abwartend, beobachtete Cutters Orientierungsversuche und, Schiffbrüchig auf dem endlosen Meer der Möglichkeiten, ihre Rückkehr zu ihm. „Midgar“, beantwortete er die unausgesprochene Frage ruhig. „Mein Appartement im HQ. Mein Schlafzimmer. Und nein, du träumst nicht. Ich habe dich hier gefunden, bewusstlos und völlig durchnässt.“ Er wusste, wie verwirrend diese Informationen sein mussten, aber je schneller Cutter die noch deutlich in ihrem Blick sichtbare Benommenheit abschütteln konnte, je besser für beide. Das Gefühl, etwas entsetzlichem entronnen zu sein... Es stieg aus den Tiefen von Cutters Seele auf, wurde stärker und stärker... – und dann brach der Damm. Erinnerungen kamen mit der alles vernichtenden Intensität eines Tornados zurück, ließen den Teenager entsetzt aufkeuchen. „Cutter, woran erinnerst du dich?“ Er konnte, durfte jetzt nicht sanft sein. Informationen aus erster Hand waren unbezahlbar. Abgesehen davon... um die Vorgänge verarbeiten zu können, musste sie darüber sprechen. Jetzt! Stockend begann das Mädchen zu berichten, und als sie erschöpft innehielt, hatte Sephiroth keinerlei Schwierigkeiten, die Pause nachzuvollziehen. SOLDIER und Armymitglieder wurden für das mögliche Eintreten einer Entführung mit anschließendem Verhör gezielt ausgebildet. Simulationen – aber der General hatte mehr als einen unter dem psychischen Druck völlig zusammenbrechen sehen. „Ich konnte nicht flüchten... Weder körperlich, noch geistig. Ich war... einfach zu angespannt, ich...“ Sie verstummte. Sephiroth beschloss, vorerst keine weiteren Fragen mehr zum eigentlichen Verhör zu stellen. Unter diesen Umständen zu kollabieren und das Geheimnis der 2nd Lines zu verraten... Er hätte ihr keinen Vorwurf machen können, selbst, wenn er dies gewollt hätte. „Du bist sicher, dass dich dieselbe Person ertränken wollte?“ „Ich glaube schon.“ Und dann, völlig tonlos: „Ich... er hat versucht, mich umzubringen!!“ Körperhaltung, Stimmlage, das allgegenwärtige Zittern... Zweifelsfrei befand sich ein Teil ihrer Selbst immer noch unter Wasser. Kein akzeptabler Zustand. „Cutter – sieh mich an!“ Und als sie den Kopf in seine Richtung drehte, fuhr er ruhig, aber beinahe triumphierend fort: „Dein Gegner hat versagt! Du lebst!“ „Sicher?“ Nur ein flüstern. „Ich führe keine Selbstgespräche.“ Er rollte mit den Augen. „Auch, wenn das manchmal – nicht jetzt - die einzige Chance einer sinnvollen Unterhaltung wäre.“ Obwohl die Heiterkeit Cutters nur Sekunden andauerte, so reichte sie doch aus, ihre angespannte Haltung wie geplant ein wenig zu lockern. „Jedenfalls“, fuhr sie etwas ruhiger fort, „ist das meine letzte Erinnerung.“ Sie schüttelte verwirrt den Kopf. „Wie bin ich bloß aus dem Meer hierher gekommen??“ Dafür gab es für Sephiroth nur eine einzige Erklärung. Fast behutsam zog er die Stricke aus der Tasche und hielt sie Cutter entgegen. Diese starrte einen Augenblick lang feindselig darauf. „Damit hatte er mich gefesselt.“ „In exakt diesem Zustand habe ich dich hier gefunden. Gefesselt. Cutter. Ich denke, die Lines haben dich auseinandergenommen und hier wieder zusammengesetzt.“ Er schwieg, ließ dem sichtlich verblüfften Teenager Zeit zum sortieren und begreifen. Dieser schüttelte irgendwann langsam den Kopf. Der General erriet ihre Gedanken. „Die Frau im Dschungel sagte, ein Blue Wanderer habe keine eigene Line, aber auch das dennoch vorhandene, sichere Wissen des Planeten um eure Existenz. Und du bist ein 2nd Lines Blue Wanderer. Anscheinend bedeutend genug, dich nicht sterben zu lassen.“ Es klopfte an der Tür, und während Sephiroth den Raum verließ, versuchte Cutter die Flut aus neuen Perspektiven zu ordnen. Es gelang ihr kaum. Einen Menschen auseinandernehmen und wieder zusammensetzen... Sind die Lines wirklich so mächtig? Und könnte ihnen ein Schussel wie ich so wichtig sein? Sephiroth... erklärt mir meine Welt, ohne sie je gesehen zu haben... Und es klingt alles so... einleuchtend... Eben kam er zurück und legte einen kleinen Stapel ordentlich gefalteter Kleidungsstücke auf die Kommode. Cutter erkannte ihre Uniform erst nach einem ganzen Moment - und, dass sie selbst momentan nicht nur ein fremdes und viel zu weites Hemd trug, sondern darunter auch völlig nackt war. „Oh...“, murmelte sie überrascht und errötete. „S- Sephiroth-sama? Ha... hast du mich etwa...?“ Der General schüttelte den Kopf. „Die Turks verfügen über weibliches Personal.“ Cutter ließ den Kopf leise murrend zurück auf die Knie sinken und schloss die Augen. Ihr war überdeutlich anzusehen, wie unangenehm ihr die Situation dennoch war. Einen Augenblick lang blieb es ganz still, dann erkundigte sich der Teenager: „Sephiroth-sama? Wie spät ist es?“ Die Antwort ließ sie hochschrecken. Es war mitten in der Nacht, und ihre Gegenwart hielt General Crescent davon ab, selbst ins Bett zu gehen... dabei gab es gar keinen Grund mehr, seine Zeit weiter zu beanspruchen. Zu ihrem großen Erstaunen wurde sie unmissverständlich, aber nicht unfreundlich gebremst. „Bis auf weiteres“, Sephiroths Stimme klang fast sanft, „solltest du hier bleiben. Toron glaubt, du seiest tot. Halten wir diesen Glauben noch eine Weile aufrecht, indem wir dich bis auf weiteres verstecken und nutzen die Wahrheit für unsere Strategie.“ Das war also sein Name. Toron. Cutter versuchte unwillkürlich, sich das zu der knochengleichen Stimme und den zielstrebigen Handlungen passende Gesicht vorzustellen. Es gelang ihr nicht. Aber Sephiroths Worte ergaben Sinn. Das Mädchen nickte und ließ sich wieder zurücksinken, sah zu, wie er aufstand, sich umwandte... Erneut wallte Angst in ihr auf. Geh nicht weg, dachte sie unwillkürlich. Bitte bleib hier... Lass mich nicht allein. Sephiroth hielt inne, als er den unerwarteten Zug spürte, wandte den Kopf, streifte mit seinem Blick die ihn sachte festhaltende Hand und glitt schließlich zu Cutters Gesicht. In Augen und Gesichtsausdruck tobte eine Bitte... aber für eine Übersetzung fehlten ihm die nötigen Vokabeln. „Ruh dich aus. Du bist sicher hier, Cutter.“ Dieses Appartement beinhaltete eine der größten Gefahren Gaias: Ihn. Ein letztes Zögern, dann zog das Mädchen die Hand wieder zurück. Sephiroth verließ den Raum und informierte den in Junon für Cutter zuständigen Offizier durch ein kurzes Telefonat, der Teenager sei nach Midgar zurückgerufen worden. Erst dann gestattete er sich einen ersten Gedanken an Schlaf. Der Tag war nicht einfach gewesen, und manche Personen betreffend nur ein Vorspiel für weitere Aktionen. Sephiroth warf der geschlossenen Schlafzimmertür einen undefinierbaren Blick zu. Nie zuvor hatte jemand außer ihm in diesem Bett gelegen... Nun gut, es würde eine einmalige Angelegenheit sein. Er entledigte sich aller nicht mehr benötigten Kleidungsstücke, streckte sich auf der Couch aus, platzierte Masamune griffbereit und schloss die Augen. So müde er gewesen war – viel Zeit verging nicht bis zu seinem nächsten Erwachen. Sein erster Gedanke galt dem Grund für die noch nicht ganz vergangene Nacht auf der Couch, und er stand auf, um unauffällig nach ihr zu sehen. Schon der erste Blick genügte, um den wahren Grund seines Erwachens zu klären: Cutter kämpfte mit einem Albtraum. Sephiroth wusste, Träume waren bei der Verarbeitung zurückliegender Ereignisse wichtige Helfer, aber ihm war auch die Erholung eines tiefen, ruhigen Schlafes bekannt, und so streckte er die Hand aus und legte sie auf die Schulter des Mädchens in der Absicht, sie aufzuwecken. Aber stattdessen geschah etwas anderes: Cutter beruhigte sich. Warum, dachte der General fast ein wenig erschüttert, hat eine einzige Berührung die Macht, einem anderen Menschen Frieden zu bringen? Aufwand und Wirkung stehen zu keinem Verhältnis zueinander. Aber es funktioniert... Dann fiel ihm etwas anderes auf: Das Hemd, in dem der Teenager schlief, war verrutscht, und so lag seine Hand auf einer nackten Schulter, weitaus schmaler und weniger muskulös als seine eigene, aber das war es nicht, was ihn davon abhielt, die Hand zurückzuziehen. Der Kontakt weckte eine alte Erinnerung. Ein einziges Mal, er mochte damals kaum älter als 4 oder 5 gewesen sein, hatte Hojo ihm gestattet, eines der Versuchstiere im Labor zu streicheln. Das durch die Berührung ausgelöste Gefühl war wie ein intensiver, sanfter Schock gewesen. Dann hatte Hojo ihm das Tier wieder weggenommen und dessen Bauch aufgeschnitten. Zu Testzwecken. Das Ergebnis war ein vor Entsetzen brüllender kleiner Junge und ein höchst amüsiert lachender Professor gewesen. Es war so lange her... Aber Sephiroths Hände erinnerten sich und schufen Parallelen. Hier gab es keinen Hojo und keine bluttriefenden Skalpelle. Nur diese Wärme unter seiner Hand... Für gewöhnlich vermied er es, jemanden ohne den Schutz der schwarzen Lederhandschuhe zu berühren, aber Gewöhnlichkeit hatte hier momentan keinen Platz. Behutsam ließ er seine Hand über die Schulter zu Hals und Nacken gleiten. Ja. Hier fühlte es sich genauso an. So warm... Cutter Tzimmek, dachte Sephiroth. Die Front hat wirklich ein ganz besonderes Interesse an dir. Vielleicht sollte ich meine Denkweise dir gegenüber von Grund auf verändern und den Schwerpunkt darauf legen, dich am Leben zu halten... irgendwie... Er zog seine Hand langsam wieder zurück, bemüht, soviel wie möglich dieses seltsamen Gefühls mitzunehmen, bis sich seine Fingerspitzen von der Wärme lösten. Lautlos kehrte er zu seiner Couch zurück und betrachtete im liegen seine Hand, die sich immer noch anfühlte wie ... Es war nicht zu vergleichen mit dem Gefühl, zu töten. Oder der Arbeit im Büro. Es war einfach... völlig anders. Und, dessen war sich Sephiroth sicher, es würde sich nicht wiederholen. Trotzdem hinderte ihn das durch die Berührung ausgelöste Gefühl am erfolgreichen einschlafen. Cutter... Hätte ich dich nicht wegschicken dürfen? Es ist mir ein Rätsel, wie Toron dich so schnell hat finden können. Toron... Rail... Du warst eines der obdachlosen Kinder, die Hojo von der Straße fangen und ins Labor bringen ließ. Um meine Reaktionen auf Gleichaltrige testen und dokumentieren zu können. Und natürlich, um an ihnen zu experimentieren. Das Kind tauchte auf, blieb ein paar Tage – und verschwand spurlos. Ich konnte nichts mit ihnen anfangen. Sie waren mir weder geistig noch körperlich gewachsen, und wenn sie gingen, empfand ich nichts. Aber du warst anders. Geistig wesentlich weiter entwickelt als alle deine Vorgänger, die zu größten Teilen weinend in ihrem Käfig gesessen und nach ihren Eltern oder Freunden gerufen hatten. Du zeigtest von der ersten Sekunde an keine Furcht – eine Eigenschaft, die auch ich mir längst angewöhnt hatte. Uns verband etwas. Dieses Gefühl war mir neu. Es faszinierte mich. Vielleicht fing ich deshalb an, dir zuzuhören, wenn du von deiner Welt erzähltest. Außerdem... beherrschst du einen unglaublichen Trick: Du konntest durch Wände sehen, Objekte orten, und du hattest immer Recht. Heute weiß ich, dass dir dieses Kunststück dank der Lines gelungen ist. Aber damals... in meinen Augen war es Magie. Alles in allem begann ich vorsichtig und ohne mir dessen bewusst zu sein, dir zu vertrauen. Und ich wollte deine Welt kennen lernen. Unser Fluchtplan war im nachhinein betrachtet nahezu lächerlich. Und ging natürlich schief. Bis vor wenigen Tagen dachte ich, du seiest in dem Kugelhagel gestorben, denn auf einmal warst du weg. Und ich war allein auf diesem Flur, Auge in Auge mit zwei Dutzend auf mich gerichteten MG´s. Hojos Auftauchen zwischen all den dunklen, todbringenden Mäulern... „Sephiroth – geh zurück ins Labor!“ Nur diese fünf Worte. Und ich begriff, dass er mich absichtlich so weit hatte kommen lassen. Damals lernte die schmerzhafteste – und wahrste – Lektion meines Lebens: letztendlich ist man immer allein. Und daher ist es sinnlos, andere um sich zu scharen. In jener Nacht hat mir Hojo auch den ersten Chip eingesetzt. „Auf diese Art und Weise bin ich immer bei dir, mein kleiner Sephiroth!“ Sephiroth legte die Hand in den Nacken und tastete nach dem perfekt zwischen Muskeln und Sehnen eingebetteten Fremdkörper. Er erneuert ihn jedes Jahr, und trotz intensivster Recherche kenne ich immer noch nicht alle seine Funktionen, außer der zur Ortung und der Übermittlung meiner Körperfunktionen. Anfangs hatte ihn der Gedanke, Hojo unter der Haut zu tragen, halb wahnsinnig gemacht. Aber alle Versuche, den Chip zu entfernen, endeten nur in einer schmerzhaften Überprüfung und Erneuerung auf dem kalten Untersuchungstisch. Mittlerweile trug der General ihn mit verachtender Würde, unbeeindruckt all der Daten, die Hojo dank seiner Hilfe jederzeit abrufen konnte. Er hatte sich an den Gedanken, einen Körper zu haben, der für den kaltherzigen Wissenschaftler ein offenes Buch darstellte, gewöhnt, ohne es wirklich zu wollen. Sephiroth konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart. Rail Toron hatte immer gesagt, dass Midgar Potential zu etwas wundervollem hätte, wenn die Menschen nur dem richtigen Anführer folgen konnten. Anscheinend hielt sich diese Person für jenen Anführer – oder plante, es mit Hilfe der 2nd Lines zu werden. Aber was Cutter anging... Wie nur kann ich dir diesmal helfen? Er schloss die Augen, ließ völlige Dunkelheit seine Gedanken umhüllen. Ein Schutz... ein flexibler, kurzfristig einsetzbarer, effektiver Schutz... Man müsste diese Dunkelheit um dich legen können und um einige Eigenschaften ergänzen... Das war es! Seine Augen öffneten sich ruckartig. Natürlich! Er verließ die Couch und aktivierte seinen Laptop. Lange musste er nicht suchen, aber das Ergebnis entsprach nicht ganz seinen Anforderungen – ein Zustand, den es zu ändern galt. Sephiroth begann augenblicklich damit. Kapitel 24: Konsequenzen 2 -------------------------- Für gewöhnlich verbrachte Sephiroth auch Samstage im Büro und begann früh mit der Arbeit, aber da es ihm missfiel, eine fremde Person allein in seinem Appartement zu lassen, beschäftigte er sich mit der begonnenen Recherche, bis sich die Tür des Schlafzimmers leise öffnete. „Wenn du schon wieder Wasser vertragen kannst“, informierte der General ohne von der Arbeit aufzusehen, „das Bad steht dir zur Verfügung.“ Hart im Nehmen, kommentierte er wenig später lautlos. Wie üblich... Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht, aber es war von der flüchtigen Dauer eines Flügelschlages. Wenn Toron die Wahrheit gesagt hatte... Das Wissen um den Weg in die 2nd Lines und selbst die erfolgreiche Suche nach dem ganz individuellen, mentalen Fokus – im Grunde war es nicht mehr als eine Gebrauchsanweisung. Um ebenso gut, oder sogar besser als Cutter zu werden, brauchte es eine Menge Übung, die wiederum Zeit in Anspruch nahm. Toron stand erst ganz am Anfang! Und hielt Cutter für tot. Sephiroth sah nachdenklich zu der geschlossenen Badezimmertür hinüber. Im Grunde ideale Bedingungen für einen Überraschungsangriff. Leider ist das in diesem Fall unmöglich. Welche alternative Strategie setzen wir also ein? Dich für immer zu verstecken, ist keine Option. Also wirst du tun müssen, was du am besten kannst. Kämpfen. Einmal mehr um dein Leben. Die Wahl der Waffen allerdings... liegt bei mir. Und ich werde dich entsprechend ausrüsten! Er arbeitete weiter, bis ihn die sich wieder öffnende Badezimmertür dazu brachte, aufzusehen, und dann sah er dem auf ihn zukommenden Teenager schweigend entgegen. Cutter hatte sich fest vorgenommen, nicht neugierig zu wirken – aber schon nach wenigen Schritten vergaß sie ihr Vorhaben. Das Appartement des Generals war riesig und lichtdurchflutet. An fast jeder Wand befanden sich gefüllte Bücherregale. Keine Pflanzen. Weiße Tapete ohne Muster. Keine Bilder, dafür aber der größte Flachbildschirm, den Cutter jemals gesehen hatte. Tiefschwarzes Leder bei der bequem aussehenden Couchlandschaft, dazwischen ein gläserner Tisch. Cutter setzte ihren Weg auf den die integrierte Fußbodenheizung durch entsprechende Wärme verratenden Fliesen fort. An den nicht durch Bücherregale bedeckten Wänden der Westfront glänzten perfekt geputzte, große Fenster. Eine Glastür sowie ein Stück Geländer außerhalb verrieten einen Balkon, von dem aus man bei entsprechender Witterung einen gigantischen Ausblick auf den Sonnenuntergang haben musste. Innerhalb des Appartements konnte man durch eine weitere, nur halb geschlossene Tür einen Blick in die gut ausgerüstete Küche werfen – nicht weniger Hightech als im eben verlassenen Bad. ShinRa Technologie der Superlative, die lässig auf ihren Einsatz wartete. Und (Disziplin schien auch in Sephiroths privatem Bereich eine große Rolle zu spielen) im ersichtlichen Appartement nicht ein Krümelchen Staub oder gar Unordnung. Sephiroth selbst saß in einem der schwarzen Sessel, den Laptop vor sich, und sah dem Teenager entgegen. Cutter wollte sich wirklich zusammenreißen. Aber dann überwog die Begeisterung. „Sephiroth-sama, dein Appartement ist der Hammer!“ Natürlich, dachte der General mit plötzlich aufwallendem Sarkasmus. Den ausdauerndsten Versuchsobjekten stehen immer mehr Privilegien zu als allen anderen... „Allein das Badezimmer!“, fuhr Cutter fort, „Mein Quartier passt da mindestens 4 Mal rein!“ Hinsichtlich so viel ehrlicher Begeisterung blieb dem Sarkasmus nichts anderes übrig, als zu verschwinden. „4 ½ Mal“, stellte Sephiroth klar. Im Grunde war er fast erleichtert über das sich so zwanglos ergebene Gesprächsthema. Es... lockerte die absurde Situation ein wenig auf. Andere hätte meine Gegenwart völlig befangen gemacht. Du hingegen... redest einfach drauflos. „Na ja“, grinste Cutter, „ich bin eben kein General wie du. Und diese Handtücher – superflauschig!“ „Das Wäschereipersonal hat Angst vor mir.“ „Das erklärt einiges“, lachte das Mädchen. Es war... so seltsam, eine andere Stimme außer der Seinen oder denen im Fernseher zu hören. Hin und wieder kam Zack vorbei, aber da Sephiroth auch diese Besuche so bald wie möglich beendete (oder, im Falle eines geänderten Türcodes, der 1st gar nicht erst hereinkam) haftete einer anderen Stimme immer noch etwas... beunruhigendes an. Erst recht, wenn sie so lebendig klang wie die von Cutter. „So viele Bücher... hast du die wirklich alle gelesen?“ Gleichzeitig verzog sie das Gesicht. „Entschuldige bitte, ich bin zu neugierig. Ich... werde mich bremsen.“ „Alle“, beantwortete Sephiroth die Frage, und dann... breitete sich jene Stille aus, mit der er schon viel früher gerechnet hatte. Diese seltsame Ruhe ließ Cutter zu etwas... anderem werden. Es glich einem Staubkorn in völliger Sterilität. Für einen kurzen Moment wusste Sephiroth nicht, wie er mit der ihm völlig fremden Situation weiter umgehen sollte. Dann fiel ihm ein, dass die meisten Leute ihren Tag mit einem Frühstück begannen, erntete auf seine diesbezügliche Frage heftiges Nicken, und schon bald waren von etlichen Scheiben Brot nur noch Krümel übrig. Cutter lehnte sich satt und entspannt zurück, und nahm eine gedankliche Zusammenfassung vor, an deren Ende sie zu der Überzeugung gelangte, dass, wäre die Entstehungsgeschichte nicht so brutal gewesen, die Situation (und vor allem, die Nacht in Sepiroths Bett verbracht zu haben – wenn auch alleine) hätte witzig sein können. Der Teenager sandte ein vorsichtiges Lächeln zu dem Elitekämpfer hinüber, aber die fehlende Erwiderung ließ sie wissen, dass sich eine Fortsetzung des gestern begonnenen Gespräches nicht länger herauszögern ließ. „Was machen wir jetzt?“, fragte sie leise. „Ich finde eine Lösung, und du befolgst meine entsprechenden Befehle.“ Cutter nickte schweigend. Nur so ergab es einen Sinn. Sephiroth war der unaufhaltsame, majestätische Eisbrecher, sie selbst das winzige Ruderboot in seinem Kielwasser. Und wenn sie das offene Meer erreichten, würde er wieder seiner eigenen Wege gehen, bis sein Einschreiten ein weiteres Mal erforderlich war. Und er würde da sein. Kompromisslos und stark. Ich liebe dich, dachte Cutter. Ich kann nichts dagegen tun. Es tut mir leid... Das plötzliche Fingerschnippen genau vor ihrer Nase ließ sie zusammenzucken, und als sie ertappt den Kopf hob, fand sie sich gefangen im eisig grünen Blick des Generals. „Cutter, ich pflege meine Unterstützung erheblich einzuschränken, sollte diese nicht mit der entsprechenden Aufmerksamkeit behandelt werden. Dir rate ich zu verschärfter Aufmerksamkeit, zumal unser Gegner laut eigener Aussage jetzt ebenfalls die 2nd Lines betreten ka...“ Es kam nicht oft vor, dass es jemand wagte, den Großen General Crescent mitten im Satz zu unterbrechen. Diese Unterbrechung besaß Ähnlichkeit mit dem Protestschrei einer Katze, der man gerade versehentlich auf den Schwanz getreten hatte. Sephiroth wartete ab, bis der verbale Funkenregen zu verglimmen begann, dann fasste er die so emotional gelieferte Kernaussage zusammen. „Toron hat geblufft.“ Cutter nickte heftig. „Weil“, fuhr der General fort, „du es irgendwann trotz aller Widrigkeiten geschafft hast, dich in die 2nd Lines zu flüchten. Dein Geist und Körper haben sich dann erst unter Wasser wieder vereint.“ „Muss eine Schutzvorrichtung sein, keine Ahnung, aber Toron weiß nichts von den 2nd Lines!! Definitiv!“ Cutters Augen funkelten, und ihre Stimme vibrierte förmlich vor Wut. „Oh, ich bin so sauer!! Wenn du ihm irgendwann begegnest, Sephiroth-sama, mach ihn platt!!“ Sephiroth saß bewegungslos da, seine Kaffeetasse in der Hand, und blickte zu dem immer noch sehr aufgebrachten Teenager hinüber. Eigentlich, dachte er, müsstest du tot sein. Wieder mal. Stattdessen sitzt du hier und konfrontierst mich mit soviel... Leben. Nicht viele Menschen haben das bisher gewagt. Eigentlich nur einer. Aber du... bist ein Wirbelsturm. Oder der das Feuer entfachende Funken. Im Grunde schätzte er Temperament. Im richtigen Moment war es unbezahlbar. Und obwohl er Cutters Wut nachvollziehen konnte – ihr diesen Gefühlsausbruch ohne Zurechtweisung durchgehen zu lassen... „Cutter.“ Seine Stimme klang leise, aber tief in ihr grollte es unheilvoll. „Du siehst mich als deinen Freund, nicht wahr? Wie Zack.“ Seine Worte spülten unwissentlich eine finstere Erinnerung des gestrigen Tages an Cutters Bewusstseinsoberfläche - die Stimme ihres Kidnappers. „Wozu dieser sinnlose Widerstand, Cutter-chan? Um etwas beschützen zu können, muss man stark sein, und das bist du nicht! Oder geht es dir um etwas anderes? Anerkennung vielleicht? Der von Sephiroth? Ich weiß, du magst ihn sehr. Vermutlich siehst du ihn als Freund, aber weißt du was? Für ihn bist du nur ein Befehlsempfänger. Er interessiert sich nicht für deine Gefühle. Er braucht deine Freundschaft nicht!“ Das ist nicht wahr!, dachte Cutter. Wenn er mich nicht mögen würde – weshalb sollte er mir immer wieder helfen?? Außerdem darf ich ihn beim Vornamen nennen! Wer sonst darf das schon?! Nach außen hin nickte sie heftig und machte sich bereit, so viele Dinge zu erklären... Aber Sephiroth war schneller. Seine Stimme klang leise – besaß jedoch einen Kern aus eisiger Schärfe. „Schlag dir das aus dem Kopf!“ Denn ich, fügte er in Gedanken hinzu, weiß nicht, wie das geht. Wie man ein `Freund´ ist. „Ich bin...“ ... für diesen Zweck absolut ungeeignet... „... dein Vorgesetzter. Als solcher ist es meine Aufgabe, deine von dir in SOLDIER Dienst gestellten Fähigkeiten so vorteilhaft wie irgend möglich einzusetzen. Ich wähle die Missionen aus, an denen du teilnimmst, fördere deine Talente, helfe dir bei Problemlösungen...“ ... versuche, dich zu beschützen... „und übernehme einen großen Teil der Verantwortung für dich. Als Gegenleistung erwarte ich von dir...“ ... dass du überlebst... „... volle Leistung, unabhängig von Zeit und Ort, sowie ein Mindestmaß an Disziplin. Äußerungen wie `mach ihn platt´ gehören nicht dazu.“ Auch, wenn ich genau das zu tun beabsichtige. „Aber“, murmelte Cutter völlig verwirrt, „ich darf dich doch beim Vornamen...“ „Als Ausgleich für alles, was dir aufgrund des Vertrages verwehrt wurde. Ansonsten gilt die eben von mir getätigte Aussage! Haben wir uns verstanden?“ „Ja, Sir“, murmelte Cutter erschüttert. In ihrem Kopf waren alle Gedanken erstarrt. „In Ordnung.“ Seine Stimme verlor etwas an Schärfe. „Ich kann dich bis auf weiteres in dein Quartier bringen, wenn du möchtest. Alternativ gäbe es noch die M.I.A. Akten.“ Wenig später betraten sie gemeinsam das Büro und begannen zu arbeiten. Cutter war dabei unnatürlich schweigsam, und auch, wenn Sephiroth wusste, dass er der Auslöser für ihr untypisches Verhalten waren – er bereute kein Wort. Ich weiß nicht, was in deinem Kopf vorgegangen ist. Es geht mich auch nichts an. Aber du wirst dich jetzt wieder besser aufs Wesentliche konzentrieren können. Er ahnte nicht, wie sehr es ihn etwas anging, und dass seine Gegenwart für Cutter noch nie so bedrückend gewesen war. Das Mädchen versuchte erfolglos, seine Worte zu verdrängen – aber diese hatten sich in ihrem Kopf festgekrallt und ließen nicht mehr los. Er hat Recht, dachte sie irgendwann den Tränen nahe. Er ist... und ich bin... Er hat mir immer geholfen. Niemand hat das je für mich getan. Und ich habe mich zum ersten Mal in meinem Leben geborgen gefühlt. Dabei habe ich... ihn völlig missverstanden. Fast genauso schlimm war die Tatsache der korrekten Situationsbeurteilung durch eine fremde Person. Toron hatte noch mehr gesagt. Unglaubliche, Sephiroth betreffende Dinge. Entsprachen auch sie der Wahrheit? Cutter hoffte mit jeder Faser ihrer Seele, dass dem nicht so war. Und wenn doch... Nein! Absolut unmöglich! Er hat das alles nur gesagt, um meinen Willen zu brechen! Es ist nicht wahr! Niemals! Für den Rest des Tages riss sie sich so gut es ging zusammen, aber nachdem Sephiroth sie auf ihr Quartier gebracht hatte und gegangen war, reichte ihre Kraft gerade noch aus, um sich auf das Bett fallen zu lassen und in Tränen auszubrechen. Es tut so weh... Und damit muss ich jetzt leben? Wie soll ich das schaffen? Schluchzend vergrub sie den Kopf unter dem Kissen. Der Auslöser für Cutters bodenlose Trauer ahnte nichts von den Tränen. Er befand sich in seinem Appartement, bemüht, sich auf das Erscheinen einer bestellten Person vorzubereiten. Sofern dies möglich war. Eigentlich regelte Sephiroth seine Angelegenheiten alleine, um die gewünschte Kontrolle zu erzielen - diesmal allerdings überstieg ein Teil der zu bewältigenden Aufgabe selbst seine Fähigkeiten, und war ohne das Wissen einer in diesem Bereich sehr geübten Person nicht durchführbar. Ausgerechnet... er. Aber es führte kein Weg daran vorbei. Als das Klopfen erklang, öffnete der General die Tür. Zack grinste ihm selbst für seine Verhältnisse nahezu unnatürlich fröhlich entgegen – die Hände hinterm Rücken versteckt. Kein beruhigendes Zeichen... „Hi, Seph! Danke für die Einladung, und du wirst dich freuen – ich habe die optimale Beschäftigung für zwei gutaussehende Singlemänner wie uns mitgebracht.“ Schwungvoll präsentierte er den Inhalt seiner Hände. „Tadaaa! Pornos, Bier und Pizza! Wir...“ Sephiroth schloss die Tür augenblicklich. Er öffnete sie erst wieder, nachdem sich Zack selbstständig vom ursprünglichen Vorhaben auf `nur Bier und Pizza´ heruntergehandelt hatte, konfiszierte aber sicherheitshalber die DVD´s, bevor er den 1st eintreten ließ. Dieser stürmte ohne zu trauern in die Küche, und stellte wenige Minuten später die heiße Pizza auf dem Tisch zwischen ihm und dem General ab, ließ sich in einen der freien Sessel fallen und begann, den eben benutzten Ofen mit Lob zu überhäufen. „Du hattest ein ähnliches Modell“, erinnerte Sephiroth. „Bis zu dieser absurden Episode mit den Feuerwerkskörpern.“ „Das war ein Kindheitstraum von mir“, strahlte Zack und griff nach dem ersten, mit weiteren Zutaten inklusive einer doppelten Portion Käse aufgemotzten Pizzastück. „Das zum ShinRa Trauma wurde“, ergänzte der General. „Sämtliche Psychologen und der Kindergarten wollten dich unter ihre Fittiche nehmen.“ Es hatte ihn mehrere höchst langwierige Telefonate gekostet, um alle Involvierten davon zu überzeugen, dass 1st Class SOLDIER Zackary Fair weder selbstmordgefährdet, psychisch labil oder auf der geistigen Ebene eines Achtjährigen war. Sondern einfach nur... Zackary Fair. „Ich möchte in diesem Zusammenhang anmerken“, fuhr Sephiroth zuckersüß fort, „dass ich dich sofort an den Kindergarten ausgeliefert hätte, wäre dein Fehlen missionstechnisch nicht als äußerst unvorteilhaft zu bewerten gewesen.“ Zack lachte vergnügt. „Ich hoffe, der nächste Backofen hält mehr aus.“ „Du wirst, solange du einer meiner SOLDIER bist, nie wieder einen eigenen Backofen haben. Und damit beende ich diese sinnlose Diskussion und komme zum Thema. Cutters ungebetener Besuch ist in Junon aufgetaucht und hat versucht, sie zu töten. Unglücklicherweise benötige ich deine Hilfe bezüglich der weiteren Vorgehensweise.“ Er nannte ein paar Zahlen. „Sind das Cutters Maße?“ Keine Reaktion. Zack saß da, ein Pizzastück noch in der Hand, und starrte ihn wie eingefroren an. „Zack! Der Käse tropft gleich auf den Sessel.“ Keine Reaktion. „Zackary!“ Keine Reaktion. Sephiroth griff nach dem flüchtenden Pizzastück, beäugte es einen Moment lang skeptisch, um sich von dessen Leblosigkeit zu überzeugen, dann biss er hinein. Es schmeckte wider Erwarten gut. Kauend sah er zu dem immer noch bewegungslos dasitzenden Mann hinüber. „Verzeihung“, sagte dieser gerade. „Kannst du das nochmal wiederholen? Ich meinte dich nämlich sagen zu hören, dass auf unsere Cuttie ein Anschlag verübt wurde.“ „Korrekt. Und es ist nicht `unsere Cuttie´.“ Zack sprang in heller Panik auf. „Wo ist sie? Wie geht es ihr? Hat man ihr was getan? Warum sitzen wir hier so ruhig rum und essen Pizza?? Himmel, Seph, rede mit mir!!“ „Sie ist körperlich unversehrt und momentan nicht in Gefahr“, antwortete Sephiroth kühl. „Beantworte meine Frage!“ Verblüfft korrigierte Zack die Zahlen ein wenig. Dann runzelte er die Stirn. „Was hast du vor? Willst du...“ Schlagartig veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Aus Neugier wurde verblüffte Erheiterung. „Nein! Das?? Ernsthaft?? Das Ding existiert noch?? Oh, das wird sie nicht mögen, Seph, Cuttie ist nicht der Typ für schwarze...“ „Danke. Und jetzt verlass bitte mein Appartement. Mit dieser Pizza und sämtlichen Bierflaschen. Cutter befindet sich in ihrem Quartier, es steht dir frei, sie zu besuchen. Die DVD´s werde ich selbst vernichten.“ Zack stemmte entrüstet die Hände in die Hüften. „Hey, weißt du eigentlich, wie viele Leute bereit sind, die Freizeit mit ihrem Vorgesetzten zu verbringen, ihn auch noch mit wundervoller Unterhaltung und Bier zu ver... bin schon weg.“ Sephiroth ließ Masamune erst sinken, als die Tür sich hinter Zack schloss. Dann vernichtete er die DVD´s und war nur wenig später auf den Fluren des ShinRa Gebäudes im Rahmen einer Mission unterwegs, die im Laufe dieser Nacht etliche noch ahnungslose Angestellte diverser Abteilungen um ihren Schlaf bringen und somit daran erinnern würde, wie wichtig es war, geschmeidig zu bleiben. Speziell, wenn er im Spiel war. Er gestattete sich ein verstohlenes Grinsen. Die offizielle ShinRa Hausordnung untersagte alles außer Atmen und Arbeiten. Die inoffizielle Version enthielt zudem nützliche Tipps und Tricks fürs Überleben in Extremsituationen. Einer dieser Tipps lautete: `Versuchen Sie niemals mit General Crescent zu diskutieren!´, und wurde, wie Sephiroth mit milder Erheiterung feststellte, ausnahmslos befolgt. Die Wiederbelebung eines totgesagten Projektes war ein bürokratischer Kraftaufwand, der sich für gewöhnlich über Wochen oder gar Monate hinzog, und das Ergebnis stellte selten zufrieden. Er jedoch hatte genau das Gewünschte bekommen. Innerhalb einer einzigen Nacht! Eben gab er eine letzte Anweisung und nickte zufrieden. Projekt „NOIR“ war wieder zum Leben erwacht – auch, wenn dieses keinen glücklichen Eindruck machte. Cutter betrachtete fassungslos und mit hochrotem Kopf all das mattglänzende, ihren Körper zu 98 % bedeckende, hautenge Schwarz. Es fühlte sich nicht an wie Kleidung. Eher wie... Luft. Der Teenager sah hilfesuchend in Zacks Richtung. Dieser war heilfroh, das Mädchen noch unter den Lebenden zu wissen (seelisch etwas durcheinander, körperlich allerdings unversehrt), konnte den wahren Grund für ihre momentane Befangenheit problemlos nachvollziehen - eine Rettung jedoch war unmöglich. „Sieh mal, Cuttie, er ist ganz dünn. Mit der Uniform drüber wird keiner was merken.“ Sephiroth warf Zack einen missbilligenden Blick zu. Was für Cutter Trost sein sollte, war für ihn lediglich ein unwillkommener Zwischenruf. Vor dem Schreibtisch versuchte der Teenager, sich zu entspannen, scheiterte aber gründlich. „Das... das ist...“, stammelte sie. „Ein für den Nahkampf entwickelter Spezialanzug“, vollendete Sephiroth den Satz. „Allerdings ging er nie in die Massenproduktion. Er widersteht den unterschiedlichsten Konfrontationen; Kugeln, Feuer, Säure... selbst Schwertern. Außerdem besitzt er einige Extrafunktionen. Zum Beispiel...“, er hatte große Mühe, sich nicht zu verraten, „... berühr Zack und press gleichzeitig Daumen und Mittelfinger deiner rechten Hand zusammen.“ Völlig arglos befolgte Cutter die Anweisung. Ein elektrisches `bzzzzzt´ war zu hören, gleichzeitig zuckte ihr Zielobjekt heftig zusammen, stieß einen Schmerzenslaut aus – und flüchtete. Wenige Sekunden später starrten sich SOLDIER und Teenager über meterweiten Sicherheitsabstand hinweg zu gleichen Teilen verblüfft wie entsetzt an, dann wanderten ihre Blicke zu dem mittlerweile grinsenden Sephiroth und konstatierten schließlich zeitgleich: „Der Anzug hat einen Elektroschocker???!“ „Bei Höchsteinstellung tödlich.“ „Das zahl´ ich dir heim“, murrte Zack. „General hin oder her.“ „Jederzeit.“ Er wandte sich wieder Cutter zu und schob eine Mappe zu ihr hinüber. „Lies das hier gut durch, damit du die anderen Extrafunktionen auch bedienen kannst.“ Cutter hatte eine durch Liebeskummer bedingte, schlaflose Nacht hinter sich und gerade einer der wichtigsten Personen ihres Universums einen Elektroschock verpasst. Ihr war zum heulen zumute! Trotzdem griff sie tapfer nach den Dokumenten, fest entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen. Sie hatte keine Ahnung, dass die Schrecken noch nicht vorbei waren. „Des weiteren“, fuhr der General fort, „werden wir deine Nahkampffähigkeiten verbessern.“ „Ich kriege ein Schwert?“, jubelte Cutter mit vor plötzlicher Begeisterung funkelnden Augen. „Ehrlich??“ Im Geiste sah sie sich schon mit einer Mischung aus Katana und Busterschwert in den Kampf ziehen. Sephiroth warf einen scharfen, die Frage: `Hat sie das von dir?!´ beinhaltenden Blick in Zacks Richtung, den dieser allerdings mit vollem Körpereinsatz verneinte. Erst dann platzierte der General ein schwarzes, rechteckiges Kästchen auf dem Tisch und öffnete es. „Du hast einen Platz im SOLDIER Materia Trainingsprogramm.“ Es war die einzige Möglichkeit. Cutter starrte auf die bunten Kugeln. Sie hatte immer davon geträumt, ein eigenes Materiaset ihr Eigen zu nennen... Erst ganz langsam sickerte die wahre Bedeutung des unverhofften Besitzes und der Worte Sephiroths zu ihr durch. „Ich soll lernen, wie man tötet??“ Bodenloses Entsetzen, vermischt mit der Hoffnung, etwas falsch verstanden zu haben, lag in der Frage. Aber die Antwort des Generals fegte alle Zweifel beiseite. „Korrekt.“ Cutter wich unwillkürlich zurück. In letzter Zeit geschahen zu viele Dinge gegen ihren Willen oder ohne überhaupt zu fragen; das Gefühl totaler Hilflosigkeit war allgegenwärtig - und jetzt das! „Das kann ich nicht, Sephiroth-sama“, flüsterte sie kopfschüttelnd. „Niemals! Ich bin... Alles, aber niemand, der andere tötet. Bitte, bitte zwing mich nicht dazu. Nein, ich... ich lasse mich nicht zwingen, beim allem Respekt. Das... das ist zuviel...“ Es war, das verstanden alle im Raum Anwesenden, ein ernstzunehmender Protest. Cutters erster – gegen einen Befehl Sephiroths. Dieser nahm die Reaktion mit einer Ruhe zur Kenntnis, die verriet, dass er mit genau diesem Szenario gerechnet hatte. Dennoch wurde Zack einmal mehr bewusst, welche Verantwortung auf den Schultern des Generals lastete. Alle ShinRa Mitarbeiter waren in der Pflicht, an Weiterbildungen teilzunehmen, sollte dies nötig sein. Eine Weigerung ließ die betreffende Person automatisch zu einem allgemeinen Risiko werden. Um dies zu verhindern, pflegte man, die störrischen Exemplare unverzüglich `auszusortieren´. Eine Kündigung war noch das humanste Mittel... Als General hätte er unverzüglich und hart auf die Befehlsverweigerung reagieren müssen. Aber als Cutters mentaler Fokus? Sephiroth wusste nur zu genau, in welch brutalen, inneren Konflikt mit dem eigenen Gewissen er den Teenager ohne jegliche Vorwarnung gestürzt hatte. Selbst allerdings war er niemals Teil eines solchen Kampfes gewesen. Ich wurde `erschaffen´, wie Hojo es immer genannt hat, um andere zu töten. Eine gnadenlose Kampfmaschine ohne Gewissen. Bei dir, das weiß ich, ist es anders. Aber das ändert nichts. Diese Weiterbildung ist deine einzige Chance! Cutter sah das anders. „Ich kann niemanden töten, Sir!“, flüsterte sie kopfschüttelnd. „Das... ist absolut unmöglich!“ Ihr eine Kündigung anzudrohen war ebenso sinnlos, wie der Versuch, sie zu zwingen. Eine Diskussion... Sephiroth hatte es allein aufgrund seines Ranges nicht nötig, sich darauf einzulassen. Aber er tat es dennoch. „Toron wird von deinem Überleben erfahren, das ist sicher. Du kannst also ShinRa verlassen und dein restliches Leben in Angst vor Entdeckung verbringen. Oder du absolvierst das Training erfolgreich und bist bei einer erneuten Konfrontation in der Lage, dein Leben effektiv zu verteidigen. Die Entscheidung liegt ganz allein bei dir.“ Cutter antwortete nicht, aber sie war unbewusst noch weiter zurückgewichen. Sie hatte keine Zweifel an den Worten des Generals. Aber die Vorstellung, jemand anderen zu töten, um selbst weiterleben zu können, war zu extrem. Abermals schüttelte sie heftig den Kopf. Zack beobachtete das sich ihm bietende, auf einen ungewissen Hafen zusteuernde Szenario wortlos. Dass Sephiroth diskutierte, war selten genug. Kaum jemand wagte es, auf einen seiner Befehle hin zu protestieren. Cutters entsetzte Sturheit hingegen war mehr als nachvollziehbar. Aber all das konnte eine bald zu fällende Entscheidung nicht verhindern. Sephiroths Blick lag auf dem verstörten Teenager. Bisher war alles genau wie vorhergesehen gelaufen. Und jetzt war der General an diesem Punkt, über den er sich in der vergangenen Nacht schon den Kopf zerbrochen hatte: Wenn Befehle, Druck und Zwang außerstande waren, etwas zu tun, blieb nur der seelische, der gefühlsbetonte Weg. Und Sephiroth besaß nicht genug Erfahrung, um ihn erfolgreich zu gehen. Deshalb hatte er Zack hergebeten. Menschlich gesehen überstiegen dessen Fähigkeiten die des großen Generals. Sie öffneten Türen, die aller Gewalt widerstanden hätten, mit einem Lächeln, einem Wort... oder einer Umarmung. Wie jetzt. Es dauerte nur Sekunden, ehe sich Cutters Hände in seine Uniform krallten. „Ich will hier nicht weg!“, wisperte der Teenager. Wieder so alleine zu sein wie früher... Die Kälte würde jetzt, wo sie die Wärme anderer Personen kennen gelernt hatte, unerträglich stark sein. Und sie zerbrechen lassen. „Ich weiß“, antwortete Zack ebenso leise. Einige Sekunden lang war in dem großen Büro kein Laut zu hören, und Sephiroth konnte förmlich spüren, wie Cutter Kraft sammelte. Schließlich wandte sie den Kopf, sah zu ihm hinüber. „Denkst du wirklich, er wird es wieder versuchen?“ „Kannst du es nicht beherrschen“, antwortete der General ruhig, „verbünde dich mit ihm. Kannst du dich nicht mit ihm verbünden – töte es. Die Anzahl der Versuche ist unerheblich.“ „Es ist so absurd“, wisperte Cutter. „Toron behandelt mich wie einen richtigen Gegner. Mich!“ „Du bist mehr als das! Deine Fähigkeiten innerhalb der Lines sind einzigartig – und du hast sie in den Dienst ShinRa´s gestellt. Du bist eine Waffe! Wenn du das nicht begreifst, und dein Denken danach ausrichtest, kannst weder du dich selbst, noch irgendeine Macht der Welt dich beschützen.“ Und lautlos fügte er hinzu: `Auch ich nicht.´ „Es ist“, wiederholte er, „ganz allein deine Entscheidung.“ Der Anblick einer hoffnungslos überforderten, mit den Tränen kämpfenden Cutter weckte in ihm den Wunsch, mehr zu sagen... anders... aber es gelang ihm einfach nicht, das irgendwo tief in sich empfundene Gefühl in Worte umzuwandeln. Einmal mehr war es Zack, der ihn verblüffte. „Du musst“, hörte Sephiroth ihn leise sagen, „jetzt lernen, dich neu zu definieren ohne dich zu verlieren. Ich weiß, das ist schwer, aber du bist auf alle Fälle nicht allein.“ Das war es, dachte der General. Genauso hat es sich angefühlt. Cutter ließ langsam ihren Kopf gegen Zacks Brustkorb sinken und schloss die Augen. Er hatte Recht. Sie hatten beide Recht. Cutter öffnete die Augen wieder, blickte zu Sephiroth hinüber. Sie wusste noch nicht genau, ob und wann sie seinen Befehl... seine Worte... würde in die Tat umsetzen können. Aber sie nickte. „In Ordnung. Start morgen Punkt 0800 Uhr in Simulatorraum 7, such dir die Wegbeschreibung jetzt heraus, damit du dich morgen nicht verläufst. Trag den Anzug, bringt die Materia mit. Und sei pünktlich!“ Abermals nickte der Teenager, löste sich mit einem leisen `Danke, Zack´ aus dessen Umarmung, zog sich im Bad um und trat anschließend wieder vor den Schreibtisch. Zack hatte Recht behalten. Bis auf den hohen Kragen und die Handschuhe ließ die Uniform den Schutzanzug völlig unsichtbar werden. „Ich erwarte, dass du diesen Anzug innerhalb kürzester Zeit bedienen kannst. Erlaubnis zum Wegtreten erteilt.“ Cutter nahm das Materiaset an sich, salutierte, näherte sich der Tür – hielt aber noch einmal inne, wandte sich um und zupfte mit einem schüchternen Lächeln an ihrem hohen Kragen. „Der sieht aus wie deiner.“ „Hat sich bewährt.“ In seinen Mundwinkeln hockte die Andeutung eines Lächelns. Und Cutter begriff. Du hättest mich auch genauso gut feuern können. Aber du hast es nicht getan. Mir scheint, du... möchtest weiterhin über mich wachen? „Sephiroth-sama? Danke schön. Und... ich werde nicht sterben. Versprochen!“ Das wäre auch besser, dachte der General unwillkürlich. „Ich glaube, du hast ein Handbuch durchzuarbeiten, Cutter.“ Verstärkte sich das Lächeln ein klein wenig? Cutter war fast sicher. Wärme begann, sich in ihr auszubreiten und verwandelte sich in Gedanken. Ich weiß, das... gehört jetzt überhaupt nicht hierher, aber... ich habe das Gefühl, als würde, solange du, ich und Zack zusammen sind, alles irgendwie gut werden. Was dich und mich angeht... wir schlafen unter demselben Himmel. Das jedenfalls kann mir keiner nehmen. Zack sah ihr nach, wie sie das Büro verließ. Ihm war längst klar, weshalb er zu diesem Gespräch ebenfalls hatte erscheinen sollen, und obwohl er sich hätte ausgenützt fühlen können – er war froh, hier gewesen zu sein. Cutter ganz alleine in dieser ihre Fähigkeiten nicht akzeptierenden Welt zu wissen, verfolgt von einem in fast allen Punkten überlegenen Gegner... Die Vorstellung wäre für ihn unerträglich gewesen. Aber es gab einen Punkt, der ihn dennoch ärgerte. „Du hättest“, murrte er, „mich ruhig in den gesamten Plan einweihen können! Von Killertraining war bisher keine Rede!“ „Du hättest dir den gesamten Plan denken können, 1st Class SOLDIER Zackary Fair!“ Zack verzog das Gesicht. Dass Sephiroth seine Treffer immer so zielsicher landen musste... „Trotzdem“, murmelte er. „Das ist... so viel in so kurzer Zeit. Sie ist noch so jung, Seph. Ich mache mir Sorgen.“ „Sorgen bringen uns im Moment nicht weiter“, lautete die sachlich kühle Antwort. „Nur ein entsprechendes Training.“ Und, fügte er in Gedanken hinzu, die laufende Fahndung. Vielleicht haben wir ja... Glück? „Cuttie ist doch ein Blue Wanderer.“ Zack klang fast verzweifelt. „Fürs töten war sie nie vorgesehen. Und sie hatte keine Zeit, sich darauf vorzubereiten...“ „Dann nenn sie mir!“, unterbrach Sephiroth gefährlich leise. „Eine ultimativere Verteidigung und Alternative zu einem zukünftigen Leben als Bodyguard für einen Teenager!“ „Es gibt keine“, stöhnte Zack gequält. „Ich weiß es ja selbst. Es macht mich nur so fertig, ihr das nicht ersparen zu können!“ „Sie wird es schaffen.“ Es war nicht direkt `Glaube´. Sondern vielmehr die typische, fast schon arrogante Überzeugung des Generals, alle seine Leute seien zu mehr in der Lage, als sie es sich selbst zutrauten. Entsprechend hoch waren die gestellten Anforderungen – und die Fehlschläge auffallend gering. Und so nickte Zack, aber es war die höchst seltene, bekümmerte Variante. Nur darum geht es, dachte er bitter. Eine Grenze überwinden – oder davor sterben. Der Verlust von Unschuld hatte nicht immer etwas mit Sex zu tun. Das Leben bot Milliarden Möglichkeiten, Unschuld und den eigenen Glauben zu verlieren, langsam, Stück für Stück, bis nichts übrig blieb außer menschlichen Hüllen, so leer und brüchig, dass sie bei der geringsten Erschütterung in Tausend Bruchstücke zerfielen. Cutter war im Begriff, weitere Teile ihrer Unschuld und ihres Glaubens auf dem Altar ShinRa´s zu opfern, um den Verlust ihres einzigen Zuhauses zu verhindern. Konnte so etwas gut gehen? Durfte es gut gehen? Zack sandte ein stummes, aber inbrünstiges Gebet an alle ihm bekannten Götter, und bat sie um Schutz für den so lieb gewonnen Teenager. Ihm gegenüber verspürte Sephiroth zwar nicht den Drang, zu beten, aber auch seine – gänzlich untypischen - Gedanken schweiften immer wieder von der erneut begonnenen Arbeit ab. Hilfe zu erbitten war... ein Zeichen von Schwäche. Und dennoch... Ohne Zacks Hilfe hätte ich heute... anders reagieren müssen. Mir fehlt das Geschick, auf dieser Ebene mit derselben spielerischen Leichtigkeit zu agieren, wie er es tut. Heute wäre es mir von Vorteil gewesen. Aber ich... bin nicht sicher, ob ich es mir aneignen könnte. Oder möchte. Für gewöhnlich empfinde ich diesbezüglich nur Gleichgültigkeit. Cutter... weshalb stellt deine Existenz eine derartige Ausnahme dar? Weil... du es bist? Reicht das als Begründung? Nein! Es ist, weil... du ShinRa´ s bester Blue Wanderer bist. Dich zu beschützen, ist nicht verkehrt. Und dein Wissen über die Lines... mein Instinkt sagt mir, dass es eines Tages von unschätzbarem Wert sein wird. Ich habe dir bezüglich keinen Fehler gemacht. Er arbeitete weiter, bis ihn ein seltenes Geräusch aus den komplizierten Gedankengängen riss. Eine SMS. Ganz offensichtlich war Cutter bei der Durcharbeitung des Handbuches bei Funktion Nr. 5 angekommen. Eine Beantwortung war Dank der hochentwickelten Technik, die den Sender um einen korrekten Eingang beim Empfänger wissen ließ, eigentlich nicht notwendig, aber ... Sephiroth zögerte. Dann aber bestätigte er den Erhalt, wollte die SMS löschen... und hielt inne. Der Schreibtisch quoll über vor Arbeit, mit Sicherheit würde sich die Nachrichten auch zu einem passenderen Zeitpunkt entfernen lassen. Er legte das Handy weg und griff nach der nächste Akte. Zwei Tage später holte er die ersten Informationen bezüglich Cutters Materiatraining ein. Sie entsprachen seinen Erwartungen. Der Teenager konnte die Attacken problemlos auslösen – hatte jedoch erhebliche Schwierigkeiten, diese zu steuern, und somit schon zweimal einen Ausbilder zu heilloser Flucht veranlasst. Im Allgemeinen hielten die Trainer das Mädchen für äußerst begriffsstutzig und schusselig. Sephiroth sah das ein wenig anders. Niemals war von einem Blue Wanderer etwas ähnliches verlangt worden, und er hatte die Anforderungen hoch geschraubt; das Unheil saß Cutter wie eine tiefschwarze Gewitterfront im Nacken, und die einzige Chance auf Rettung lag in einer kontinuierlichen Weiterentwicklung. Cutter wusste das ebenfalls. Aber obwohl sie, wie üblich, alle Kräfte mobilisierte und es schließlich schaffte, die Materia zielgerichtet zu lenken – als es daran ging, die Attacken auf simulierte Menschen, deren Reaktionen ihren realen Vorbildern entsprachen, auszulösen, zeigte sich erst, wie stark die innere Barriere wirklich war. Es gab kein Weiterkommen. Sephiroth hielt sich bewusst im Hintergrund, aber seine Präsenz war dennoch für alle Beteiligten deutlich zu spüren. Kein Zustand, in dem es sich angenehm arbeiten ließ - aber alle behielten die Nerven. Noch. Davon völlig unbeeindruckt gingen die restlichen Kämpfe weiter. Kapitel 25: Finstere Überraschungen ----------------------------------- Sephiroth besaß ein feines Gespür für die Vorgänge innerhalb SOLDIER. Er wusste, wann die Dinge anfingen, aus dem Ruder zu laufen, und brachte sie zurück in die richtigen Bahnen, bevor unkontrollierbare Eigendynamik entwickelt werden konnte. Manchmal jedoch galt es, genau das zu erreichen. Eigentlich bestand der ursprüngliche Plan darin, Cutter nicht vor erfolgreichem Abschluss des `Killertrainings´ wieder an Missionen teilnehmen zu lassen. Dieses Vorhaben legte Sephiroth gerade auf Eis, indem er den Teenager via Kurzmitteilung für einen morgen geplanten Einsatz unter seinem Kommando zuteilte. Zur Abwechslung. Als Herausforderung. Hinsichtlich der Antwort, die zum einen Teil aus korrekter Militärsprache, zum anderen Teil aus purer Begeisterung und – als Höhepunkt - diesen furchtbaren `Smileys´ bestand, konnte er nur abermals den Kopf schütteln. Doppelpunkte mit halben Klammern dahinter würden Cutter morgen kaum helfen. Auch nicht in mehrfacher Version! Er zweifelte nicht daran, dass sich der Teenager beim Training im Simulatorraum alle Mühe gab, aber... Ich will Resultate! Vielleicht ist alles, was sie braucht, ein kleiner Stoß in die korrekte Richtung. In den Slums fand so gut wie immer Feindkontakt statt. Und selbst, wenn Cutter überfordert war, so gäbe es immer noch ihn – und er würde sie nicht aus den Augen lassen! Sein Instinkt sagte ihm, dass Entwicklungen bevorstanden, und er erwartete sie mit gelassener Spannung. Einen Sekundenbruchteil später begann das Telefon zu klingeln. Natürlich, dachte Sephiroth. Das war dein Stichwort, nicht wahr, Hojo? Was wird es diesmal? All sein Denken befahl ihm, das Telefon nicht anzurühren... aber seine Hand griff bereits wie ferngesteuert danach. „Weshalb hat das so lange gedauert?! Komm ins Labor!!“ Sephiroth ließ den Hörer sinken, endlose Müdigkeit im Blick, legte die Arme auf den Schreibtisch und ließ den Kopf darauf sinken. Tagelang war es still gewesen - in Bezug auf Hojo ein mehr als beunruhigendes Signal. Es bedeutete, dass er etwas plante. Etwas Großes. Warum, dachte Sephiroth verzweifelt, kann ich jedem helfen außer mir selbst? Er nahm wahr, dass er zitterte und hasste seinen Körper dafür – dann erlangte er die vollständige Kontrolle über selbigen und seine Gefühle zurück. Völlig egal, was Hojo plante, er, General Sephiroth Crescent, würde es überleben! Mit verachtender Gelassenheit verließ er das Büro, und wie üblich erstarrte dort, wo er vorbeikam, das Leben für einen Sekundenbruchteil in entsetzter Bewunderung, verhallend in dem unausgesprochenen Wunsch, wie er sein zu können. Aber spätestens jetzt, dachte Sephiroth nachdem sich einmal mehr die eisernen Fixierungen um seinen Körper geschlossen hatten und Hojo das trügerisch weiße Tuch von den für den heutigen Test bereitgelegten Instrumenten entfernte, würdet ihr euren Wunsch widerrufen! „Das könnte ein bisschen wehtun“, kommentierte Hojo lächelnd. Fahr zur Hölle!, kommentierte Sephiroth lautlos. Aber einmal mehr war es nicht Hojo, für den diese Reise begann. Die Zeit im Labor ließ sich nicht auf die gewohnte Art und Weise messen. Hier bestand sie aus Geräuschen, den Reaktionen seines Körpers, und dem Machtkampf mit der so geduldig wartenden Besinnungslosigkeit, die, würde er ihr eine Übernahme gestatten, zwar Frieden brächte – aber auch einen Moment des Triumphes für den Dämon im trügerisch weißen Arztkittel. Sephiroth kämpfte mit aller Kraft dagegen an. Und blieb einmal mehr Sieger. Das Labor verließ er scheinbar völlig unbeeindruckt, teils für sich, teils für die allgegenwärtige Kameraüberwachung im ShinRa Komplex. Er musste mehrere der durch die fortgeschrittene Uhrzeit glücklicherweise menschenleeren Flure hinter sich bringen, um einen zu erreichen, der für die gnadenlosen Augen einen toten Winkel aufwies, und hier verhielt er einen Augenblick lang erschöpft. Bewegung machte den rasenden Schmerz schlimmer. Von der klaren Botschaft seines Körpers an den Geist, einmal mehr besiegt worden zu sein, ganz zu schweigen. Sephiroth stöhnte leise. Die Welt vor seinen Augen schien alle Festigkeit verloren zu haben. Er versuchte es zu ignorieren, Herr der Lage zu bleiben, erfolterte eine weitere Bewegung... und ging zu Boden, als seine Beine vorwarnungslos unter ihm nachgaben. Nur mühsam gelang es ihm, wenigstens auf alle Viere zu kommen. Reiß dich zusammen! Hoch mit dir! Hier kannst du nicht... „S... phi…oth… ma?“ War da gerade ein Geräusch gewesen? Das viel zu laut in seinen Ohren rauschende Blut ließ keinen klaren Schluss zu. Sephiroth versuchte, etwas zu erkennen, aber die Welt war zu verschwommen, um... Die Berührung erfolgte völlig unvermittelt. Und seine Reaktion entsprach an Heftigkeit dem empfundenen Schmerz: Ein mit unkontrollierter Kraft ausgeführter Stoß. „Fass mich nicht an!“ Es war ihm egal, wie er aussah, wie seine Stimme klang... „Fass mich nicht...“ Er brach zusammen ohne den Satz beendet zu haben, röchelnd, und außerstande, irgendetwas dagegen zu tun. Auch Cutter bewegte sich nicht. Die unerwartete Attacke hatte sie hart an die Wand geschleudert, und jetzt schoss der vorerst am ganzen Körper empfundene Schmerz in ihr linkes Handgelenk – aber der Teenager nahm es kaum wahr. Gefangen in einem wahren Tornado der unterschiedlichsten Gefühle sah sie zu Sephiroth hinüber. Das kann nicht sein... Das kann einfach nicht sein!! Sie hatte die finsteren Erinnerungen an die Entführung in Junon im Keller ihres Herzens angekettet, mit der festen Absicht, nie wieder darüber nachzudenken. Aber jetzt... gaben die Fixierungen unter dem Druck nach. Die Finsternis kam zurück. Torons Stimme, die völlige Gefühlslosigkeit, deren Kern allerdings Arroganz bildete... „Du hältst ihn für stark, deinen General Sephiroth. Aber es gibt Momente, in denen ist er einfach nur ein zerschlagenes, zitterndes Etwas, das im tiefsten Grunde seines Herzens nach einem Ort zum Sterben sucht! Ich möchte dir etwas über ihn erzählen. Eine Insiderinfo. Unser Lieblingsgeneral wurde in ShinRa´ s Labor zur Welt gebracht, vielleicht sogar dort gezeugt, und ein Professor Namens `Hojo´ nahm ihn unter seine Fittiche. Hojos größte Freude besteht darin, Experimente an lebenden Menschen durchzuführen, und weißt du was? Dein strahlender Held ist bis zum heutigen Tage sein Lieblingsversuchsobjekt! Oh, du solltest ihn mal erleben, wenn Hojo mit ihm fertig ist. Du würdest ihn kaum wiedererkennen...“ Lügen! Miese, hinterhältige, aus der Luft gegriffene Lügen! Nichts und niemand auf dieser Welt war stärker als Sephiroth! Niemals hätte er zugelassen, sich von einer anderen Person derart missbrauchen zu lassen! Es gab keinen Grund! Daran hatte Cutter felsenfest geglaubt. Bis jetzt. Pures Entsetzen hatte diesen Glauben soeben in Tausend Scherben zerschlagen. Es hinderte den Teenager sogar daran, den Blick von dem Mann, den alle nur als die Verkörperung des Stolzes sahen, abzuwenden. Eben versuchte er wieder aufzustehen, sank aber schon nach wenigen Bewegungen abermals zitternd in sich zusammen. Und so sehr sich Cutter einen Albtraum einzureden versuchte – sie wusste, dass sie wach war. Ihr Denken setzte wieder ein, zuerst knirschend und ruckelnd, dann mit beinahe zügelloser Hektik. Ich muss etwas tun, ich muss etwas tun, ich muss etwas tun... Denk nach, denk nach, denk... Zack!! Vorsichtig griff sie zu ihrem Handy. Es dauerte nur wenige Minuten, ehe der 1st in dem Flur auftauchte und Cutter bedeutete, sich mit langsamen, ruhigen Bewegungen aus der direkten Gefahrenzone zu bewegen. Gleichzeitig zwang er die in ihm tobenden Gefühle zu erstarren, bis nur noch absolute Ruhe und äußerste Wachsamkeit existierten. Auch in seinem jetzigen Zustand handelte es sich bei dem Mann vor ihm um eine perfekt funktionierende, im äußersten Fall tödliche Kampfmaschine, deren jetzige Reaktionen einzig und allein dem Selbsterhaltungstrieb dienten. Erst als die innere Umstellung vollständig abgeschlossen war, näherte sich Zack vorsichtig dem immer noch am Boden liegenden Sephiroth, dessen Atemzüge klangen, als kämpfe er mit äußerster Kraft um jeden einzelnen von ihnen. „Seph?“, flüsterte Zack, erhielt aber keine Antwort. „Seph!“ Nichts. Aber Sephiroth musste hier weg, schnell, bevor es noch mehr Zeugen geben würde. Er entschloss sich zum Äußersten, legte vorsichtig seine Hand auf den Arm des Generals... Sephiroths Kopf ruckte nach oben. Vor Schmerz gleißendes Grün, nur unterbrochen von zu dünnen Strichen zusammengezogenen, vertikal stehenden Pupillen, fraß sich in Zacks Blick. Der gleichzeitig durchgeführte Angriff wäre für andere völlig unerwartet gekommen, aber der 1st blockte die Attacke mit der Schulterrüstung, als habe er darauf gewartet und griff todesmutig mit beiden Händen nach dem Gesicht des mittlerweile wieder auf allen Vieren befindlichen Generals, brachte ihn zum aufsehen. „Sieh mich an, sich mich an! Ich bin´s! Wir verschwinden jetzt von hier, ok? Ok!“ Es gelang ihm nur mit äußerster Kraftanstrengung, den großen Mann auf die Beine zu bekommen. Cutters entsetzten Blick ignorierend bat er sie, den Lotsen zu spielen, um das Appartement des Generals ohne weitere Zeugen zu erreichen. Gleichzeitig aktivierte er den mitgebrachten Sender, um das Übertragungsbild der die Flure überwachenden Kameras zu stören - nicht genug, um das Reparaturteam auf den Plan zu rufen, aber doch ausreichend um für einige Sekunden kein klares Bild liefern und sich vorbeischleichen zu können. Einmal mehr waren die 2nd Lines Fähigkeiten des Teenagers die Rettung. Dennoch schienen Stunden zu vergehen, ehe Zack endlich die Tür zu Sephiroths Appartement öffnete und selbiges zusammen mit dem immer noch schwer atmenden General betrat. Cutter wollte folgen, aber der 1st versperrte ihr kopfschüttelnd den Weg, schickte sie in ihr Quartier und schloss die Tür. „Oh, dieser Bastard!“ Vorsichtig bugsierte er seine kostbare Last in eine sitzende Position auf die Couch. „Wir sollten ihn umbringen, Seph, nur du und ich, wir...“ „... verschwinde...“ Es war vor Zittern kaum zu verstehen. Zack jedoch schüttelte entschlossen den Kopf und legte seine Hände auf die Rüstung, zweifelsfrei mit dem Ziel, diese zu entfernen... Sephiroths Hand fuhr rasend schnell vorwärts, griff hart zu, brachte den 1st mittels einer einzigen Bewegung auf Augenhöhe.... „Befolge meinen Befehl, SOLDIER!“ ... und stieß ihn so energisch von sich, dass Zack nur mit Mühe das Gleichgewicht halten konnte. Die Sprache in Sephiroths Augen war, jetzt, wo die sonst perfekt sitzende Maske fehlte und er mit Schmerzen kämpfte, die jeden anderen längst in tiefe Besinnungslosigkeit katapultiert hätten, mehr als deutlich. Verschwinde, sonst werde ich dich auf der Stelle töten. Es war keine Drohung, sondern eine Prophezeiung. Und Zack wusste, dass er Sephiroth, auch wenn dieser es weder in der Vergangenheit, noch heute oder in naher Zukunft einsehen würde, lebend nützlicher war als tot. Aber als er die Tür hinter sich schloss, standen Tränen in seinen Augen. Tränen der Verzweiflung, der Wut... der Besorgnis. Er hielt inne, lehnte den Kopf an die kühle Wand und verpasste selbiger, auf der verzweifelten Suche nach einem Ventil für die empfundene Hilflosigkeit, einen heftigen Schlag. Sephiroth in diesem Zustand vorzufinden... es war nicht das erste und würde nicht das letzte Mal sein. Aber Schock und Wut sickerten bei jeder derartigen Begegnung etwas tiefer, und Zack fragte sich, wann er es nicht mehr würde ertragen können. Wann er den Fehler begehen würde, zu versuchen, diesen Zustand selbst zu verändern. Mehr als alles andere auf der Welt wünschte er sich, seinen besten Freund zu befreien. Aber die Kraft dazu war ihm nicht gegeben. Einzig und allein Sephiroth selbst war dazu in der Lage. Und gelänge es ihm nicht, dessen war sich Zack sicher, würde er eines Tages im Labor sterben, qualvoll und einsam. Mindestens genauso grausam wie die Tatsache, seinem besten Freund nicht helfen zu können, war jedoch Cutters Verstrickung in diese Sache. Und jetzt würde er zu ihr gehen müssen, um sie zu beruhigen, denn vermutlich war gerade eine kleine Welt für sie zusammengebrochen. Wenige Minuten später nahm er neben der bewegungslos auf dem Bett liegenden Cutter Platz und begann, mit langsamen, ruhigen Bewegungen ihren Rücken zu streicheln. „Das hättest du nicht sehen sollen, Cuttie.“ Seine Stimme klang leise und war schwer von Trauer und Besorgnis. „Alles... aber das nicht.“ „Habe ich aber“, antwortete der Teenager völlig emotionslos. Und dann, absolut unvermittelt: „War das Hojo?“ Für Zack fühlte sich die Frage an, als risse ihm jemand den Boden unter den Füßen weg. „Cuttie“, fragte er mühsam, „woher weißt du von... Hojo?“ „Toron.“ „Dieser Mistkerl!“, wisperte Zack. „Cuttie, warum hast du nichts gesagt?“ „Ich habe... Hojos Line gecheckt. Er ist... von seiner Arbeit im Labor besessen, aber er... wäre körperlich nicht in der Lage Sephiroth-sama all diese grauenhaften Dinge, von denen Toron erzählt hat, anzutun.“ Sie schüttelte matt den Kopf. „Ich habe ihm nicht geglaubt...“ Zack hätte gerne etwas gesagt. Aber all seine Gedanken waren in purer Hilflosigkeit erstarrt. Und so konnte er Cutter nur weiter zuhören. „Dann ist alles, was mir Toron außerdem erzählt hat, auch wahr? Dass Sephiroth-sama in diesem Labor aufgewachsen ist? In einem Käfig? Und, dass die Experimente ohne jegliche Betäubung stattfinden? Auf diesem... Tisch?“ Zacks Grauen wuchs mit jedem gehörten Wort, aber das war Nichts im Vergleich mit seiner Wut auf Toron. Auf Cutters Frage hin hätte er nur zu gerne gelogen – aber momentan, das spürte er genau, fehlte ihm dazu die nötige Glaubwürdigkeit. „Es ist wahr“, antwortete er mit einer Stimme, die wie geborsten klang. Neben ihm brach Cutter in Tränen aus. „Aber es ist doch Sephiroth!!! Wieso lässt er das zu?? Ich habe Hojos Line gecheckt, Zack, er ist viel kleiner und schwächer als... als... er sollte das nicht tun können, niemand sollte das, wieso... Wieso lässt er zu, dass man ihm so weh tut???“ Genau diese Frage hatte sich Zack unzählige Male selbst gestellt. In seinen Augen gab es nur eine einzige Begründung. „Er kennt es nicht anders, Cuttie.“ Seine Stimme klang sehr sanft. „Seph ist in und mit diesem Labor und Hojo groß geworden. Es ist... wie ein Teil von ihm. Hojo duldet keinen Widerspruch, und Seph war noch ein Kind, als es begann.“ Vielleicht, fügte er in Gedanken hinzu, sogar noch ein Baby. „Er konnte sich nicht gegen die Experimente wehren. Und Hojo war immer stärker. Das hat sich in Sephs Kopf zu einer unverrückbaren Grundlage entwickelt. Für ihn ist dieser Bastard nahezu allmächtig. Ich habe versucht, es ihm auszureden – er hat mir nicht zugehört. Ich habe versucht, ihn mit Gewalt davon abzuhalten, ins Labor zu gehen – er hat mich fast getötet. Es ist sinnlos, glaub mir.“ „Und warum tut dieser Hojo das??“ „Er ist Wissenschaftler. Einer von der kaltblütigen, perversen Sorte, aber... eben doch Wissenschaftler. Und Sephiroth ist... nicht wie wir. Er ist... “ Details und Erinnerungen formten eine Feststellung, von der Zack lange gebraucht hatte, um sie zu akzeptieren und, soweit dies möglich war, zu ignorieren, ohne dabei sein eigenes Todesurteil zu unterzeichnen. „... anders“, vollendete er den Satz. „Das ist keine Begründung!“ „Für Hojo schon.“ Abgesehen davon, fügte er lautlos hinzu, braucht dieser Dreckskerl keine Begründung! Er sieht Sephiroth als sein persönliches Eigentum, mit dem er nach Belieben verfahren kann, und es ist mir unmöglich, etwas dagegen zu tun! „Ich... denke, er will Seph bis ins Detail erforschen.“ Wie eine verdammte, neuartige Spezies... „Und das geht nur so??!?“ Es war ein einziger, vor Grauen betäubter Protestschrei – wurde jedoch nur Sekunden später wieder zu leiser, purer Hilflosigkeit. „Aber Sephiroth-sama ist doch viel stärker!“ Tränen liefen über Cutters Gesicht. „Er könnte ihn mit einem einzigen Schlag...“ „Für Seph ist Hojo kein körperlicher Gegner, sondern ein mentaler, verstehst du? Ich würde ihn mit bloßen Händen umbringen, wenn Seph das helfen würde, aber dem wäre nicht so!! Diesem Kampf, diesen mentalen Prozessen, die sich entwickelt haben und anfangen zu laufen, sobald die Beiden sich begegnen, muss sich Seph alleine stellen, und er muss den Sieg auf eine Art und Weise erringen, die für ihn zu 100 % akzeptabel ist.“ Er hielt einen Augenblick lang erschöpft inne. Auf dem körperlichen Schlachtfeld konnte 1st Class SOLDIER Zackary Fair stundenlang kämpfen, ohne müde zu werden, aber Gespräche wie dieses wurden auf eine andere Art und Weise ausgetragen. Er hielt nie lange durch. „Es ist Seph´ s Kampf“, wiederholte er. „Gegen Hojo. Gegen, mit, für sich selbst. Und deshalb... dürfen wir uns nicht einmischen. Wir müssen... ihn diesen Kampf um seine Seele... allein austragen lassen.“ Cutter sah mit Tränen in den Augen zu ihm auf, stellte fest, dass Zacks Augen auf dieselbe Art und Weise glänzten... und begriff die brutale Wahrheit. Weder sie, noch der 1st waren diesem Schlachtfeld auf irgendeine Art und Weise gewachsen. „Was soll ich jetzt machen?“, wisperte sie. Die Stimme des 1st klang ernst und sehr eindringlich. „Niemandem von dieser Nacht erzählen. Es wäre dein Todesurteil! Was da unten im Labor vor sich geht, obliegt der höchsten Geheimhaltungsstufe. Wenn ShinRa wüsste, was ich weiß, würde man mich auf der Stelle verschwinden lassen, spurlos. Und dich auch. Sie sind dazu in der Lage. Wir können nur versuchen, Seph zu helfen, indem wir unseren Job gut machen. Kriegst du das hin?“ „Ich muss.“ Ihre Stimme war aufgrund der geringen Lautstärke kaum zu verstehen. „Oder?“ „Ja“, antwortete Zack auf dieselbe Art und Weise. „Es ist deine einzige Chance.“ Niemals zuvor hatte er sich so müde gefühlt wie in diesem Augenblick. Und Cutters mattes Nicken ließ ihn wissen, dass es ihr ebenso ging – und noch etwas anderes. „Möchtest du jetzt gerne allein sein?“ „Ja. Zack? Danke, dass du mir die Wahrheit gesagt hast.“ Der 1st fand nur noch die Kraft für ein knappes Nicken. Dann verließ er das winzige Quartier, langsam, erschöpft und ohne die geringste Ahnung, wohin er jetzt gehen sollte, denn der Schmerz würde ihm überall hin folgen. Und Zack wusste, dass diese Nacht sowohl für ihn, als auch für Sephiroth und Cutter von Qualen unterschiedlichster Art und Weise bestimmt sein würde, auf Schlachtfeldern, die jeweils nur einer einzelnen Seele gehörten. „Verdammt sind wir“, flüsterte der 1st tonlos. „Alle miteinander!“ Völlig unbeeindruckt von den Schrecken der zurückliegenden Nacht - der nächste Morgen kam. Zaghaftes Licht kroch über die Schlachtfelder und begrüßte die Überlebenden. Cutter hatte in der zurückliegenden Nacht kein Auge zugetan, zu der Müdigkeit kam das Gefühl völliger Überforderung – und Angst. Angst um Sephiroth, den sie zum letzten Mal in diesem dem Tod näher als dem Leben scheinenden Zustand gesehen hatte. Die Erinnerung und die entsetzliche, ihn betreffende Ungewissheit waren quälender als alles bisher erlebte und ließen im Kopf des Teenagers ein Horrorszenario nach dem nächsten entstehen. Cutter nahm kaum wahr, die Erste an der Sammelstelle für die heutige, von Sephiroth geleitete Mission, auf die sie sich gestern noch so gefreut hatte, zu sein. Alles erschien schlagartig so nebensächlich... Selbst Zack realisierte sie erst, als er unmittelbar neben ihr anhielt und ihr in gewohnter Manier, aber bei weitem nicht so lebhaft wie sonst, mit beiden Händen durch die Haare fuhr. „Lebt er noch?“, wisperte Cutter. „Kopf hoch“, flüsterte der 1st. „Er kommt. Du wirst sehen.“ Cutter nickte tapfer. Wenn jemand die Situation beurteilen konnte, dann Zack, denn ganz offensichtlich hatte er etwas wie gestern Abend nicht zum ersten Mal erlebt. Aber dennoch... Wie soll ich mich jetzt verhalten? Soll ich... darf ich was sagen? Oder wird Sephiroth-sama von mir erwartet, dass ich den gestrigen Abend einfach ignoriere? Ich möchte... ihn so gerne fragen, wie es ihm geht, aber warum sollte er mir antworten? Was soll ich nur machen? Vorerst blieb ihr nur, weiterhin unentwegt nach ihm Ausschau zu halten – und als er endlich auftauchte, fühlte sie ihr Herz einen Schlag aussetzen vor Erleichterung. Zu ihrer Überraschung verhielt sich der General wie gewohnt und informierte, ohne ihr oder Zack auch nur einen einzigen überflüssigen Blick zuzuwerfen, alle Anwesenden über das Ziel der heutigen Mission: Es galt, ein Versteck der Rebellen in den Slums auszuräumen. Die Truppe setzte sich in Bewegung. Es dauerte nicht lange, und Zack schob sich neben seinen General. „Es tut gut, dich lebend zu sehen“, sagte er behutsam, hoffend, dass Sephiroth die Metapher zu `Wie geht es dir?´ verstehen und antworten würde. Dieser verstand sehr genau. Aber... Was spielt mein Zustand für eine Rolle? Ich habe eine Mission und werde sie erfüllen. Nur das zählt. Niemand würde es jemals erfahren. Aber in der vergangenen, halb wachend, halb besinnungslos verbrachten Nacht, hatte er sich zum ersten Mal gewünscht, einfach sterben zu können, um dem alles überwältigenden Schmerz zu entkommen. Erst gegen Morgen war es ihm gelungen, sich irgendwie unter die Dusche zu schleppen, wo er eine gefühlte Ewigkeit verweilte, unter heißem Wasser mit einem vor Kälte zitternden Körper und einem Geist, der wie ein verwundetes Tier darin festsaß und verzweifelt einen Ausweg suchte. Letztendlich hatte er die optische Kontrolle zurückgewonnen – innerlich jedoch kämpfte er mit stumpfen Sinnen, etlichen anderen Nebenwirkungen und um die Kraft der kontinuierlichen Vorwärtsbewegung, das Kunststück, sich nichts anmerken zu lassen, das Idol zu bleiben, dem so viele nacheiferten. Sein Schmerz war nicht für ihre Augen bestimmt. „Geh auf deinen Posten!“, befahl er unbewegt. Zack aber blieb unerschrocken an seiner Seite. Es gab etwas, das sein bester Freund unbedingt wissen musste... „Seph“, sagte er leise, „Toron hat Cuttie...“ „Ich werde mich nicht wiederholen, SOLDIER!“ Er wusste, dass dieser Titel Zack daran erinnern würde, was ein Mann in diesem Rang war, warum, und wie er es bis hierher geschafft hatte. Und, dass es Momente gab, in denen man unempfindlich sein musste, um nicht an den Geschehnissen oder sich selbst zu zerbrechen. Er atmete unbemerkt auf, als sich Zack wieder zurückfallen ließ und kniff gleichzeitig kurzfristig die Augen zusammen, als die Welt vor diesen ein weiteres Mal unscharf wurde. Sephiroth, reiß dich zusammen! Konzentrier dich auf die Mission oder auf... Wo steckt eigentlich Cutter?! Für gewöhnlich mogelte sie sich in einer Situation wie dieser hier immer nach vorne, bis er sie daran erinnerte, wo der korrekte Platz eines Blue Wanderers war und zurückschickte. Diesmal jedoch, das bestätigte ein kurzer Blick, befand sie sich genau an der richtigen Position. Der Anblick ließ ein seltsames Gefühl in ihm aufsteigen. Als... solle ihm dieser kampflos aufgesuchte Platz etwas mitteilen... Eine Art... Code? Unsinn, schimpfte er sich. Cutter hat endlich eingesehen, wo ihr Platz ist. Das ist alles! Oder... hat es doch damit zu tun, was Zack mir sagen wollte? Meine Erinnerungen an den gestrigen Abend sind so... verschwommen... Aber jetzt fehlte zum Nachdenken die Zeit. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder der aktuellen Mission zu – und dem anderen Gefühl. Seit Verlassen des HQs war es immer stärker geworden. Nur bevorstehender Ärger von einer unerwarteten Seite aus konnte sich auf eine solche Art aufbauen. Lüften würde sich das Geheimnis bald, denn in wenigen Augenblicken würden sie die Slums betreten. Militär in diesen Straßen war zwar nichts ungewöhnliches – die Präsenz General Crescents jedoch würde sich mit rasender Geschwindigkeit herumsprechen. Um genau das und eine vorzeitige Warnung an die Rebellen zu verhindern, wurden die SOLDIER unmittelbar nach dem Betreten der Slums förmlich zu Schatten, die sich erst unmittelbar vor dem Zielobjekt, hinter einigen scheinbar leerstehenden Häusern, erneut sammelten. Cutter versuchte, sich zu konzentrieren, aber es gelang ihr stets nur kurzfristig. Immer wieder wanderten ihre Gedanken zu der vergangenen Nacht. Das Handgelenk... schmerzte trotz stundenlanger Kühlung immer noch, und die Schwellung verhieß nichts gutes. Aber das war nicht das Schlimmste. Irgendetwas tief in ihr war zerbrochen, und alle Versuche, den mentalen Scherbenberg zu etwas Neuem zusammenzusetzen oder die Bruchstücke wenigstens zu sortieren, waren fehl geschlagen. Letztendlich war ihr nur die schmerzhafte Gewissheit geblieben, momentan nichts tun zu können. Was Sephiroth anging... er war hier, aber war er wirklich OK? Er verhielt sich normal, aber... „Cutter, ich rede mit dir!“ Das Mädchen zuckte erschrocken zusammen und sah ihn an – dieses Mal jedoch zwangen sie die in ihrem Kopf knirschenden Scherben, dem unergründlichen (und sonst so furchtlos erwiderten) Makoblick auszuweichen. Sie sieht sofort weg, wie alle anderen?, dachte Sephiroth. Seit wann das? Was ist hier los? Zack... was wolltest du mir sagen? „Überprüf das Haus auf dessen Inhalt!“ Binnen weniger Sekunden bestätigte Cutter die Angaben des Geheimdienstes. In dem Gebäude befanden sich außer Menschen auch noch massenhaft Munition, Waffen, und... „Da ist eine ganz seltsame Line, Sir.“ Ihre Augen waren fest geschlossen, ein Zeichen höchster Konzentration. „Sie... ist aus mehreren Komponenten zusammengesetzt, wie... Bauteile. So etwas ist mir noch nie begegnet.“ „Eine Waffe?“ „Es hat definitiv einen Abzug, aber... ob es gefährlich ist... Keine Ahnung, Sir.“ Sephiroth dachte einen Augenblick nach. Ihm lagen keine neuartigen Waffenentwicklungen der Rebellen vor, aber das musste nichts heißen. Fortschritt zeichnete sich durch Bewegung aus. Das Gefühl von sich aufbauender Gefahr war stärker geworden – synchronisiert sich jedoch nicht mit Cutters Angaben. Da musste mehr sein! Aber vorerst... „Wird als Waffe eingestuft bis uns nähere Details vorliegen. Gesondert im Auge behalten und Veränderungen melden!“ Er wandte sich wieder dem Zielobjekt zu. Da man von Wachen ausgehen konnte, plante er nicht, die vor dem Haus liegende, freie Fläche zu überqueren. Aber für gewöhnlich gab es auf dem Dach immer einen Zugang in die unteren Etagen, und die Häuser hier standen dichtgedrängt und wirkten verwahrlost und verlassen. Eines von ihnen ungesehen zu betreten, auf dessen Dach zu gelangen und den Weg von dort aus bis zum Hauptziel fortzusetzen, schien die schnellste und vielversprechendste Lösung darzustellen. Auf sein Signal hin teilte sich die Gruppe in zwei Einheiten auf. Sephiroth überzeugte sich unauffällig von Cutters – akzeptabler – Deckung, dann gab er das Zeichen zum Aufbruch. Nur Sekunden später betraten er und sein Team unbemerkt eines der leerstehenden Häuser. Wenige Augenblicke später konnte der General hören, wie die zurückgebliebene Gruppe das Feuer eröffnete und selbiges nach einigen Schrecksekunden erwidert wurde. Alles lief nach Plan. In ihrer Deckung beobachtete Cutter tief konzentriert die Lines, wobei ihr besonderes Augenmerk der Großen Unbekannten galt. Neue Lines waren immer spannend. Aber diese hier vermittelte durch ihre seltsame Zusammensetzung mehr und mehr das Gefühl von tödlicher Gefahr, die mit jeder aktionslosen Sekunde stärker wurde. Irgendwas Furchtbares wird passieren, dachte Cutter, ich weiß es, ich spüre es, ich... Die Line verriet einen Stellungswechsel, den der Teenager sofort an Sephiroth meldete. Und dann... betätigte irgendjemand in dem feindlich besetzten Haus den Abzug. Eine faustgroße, einzelne Patrone jagte auf die Stellung der Ködertruppe zu, explodierte – ... Blauweißes Feuer, so mächtig wie die Wut eines Drachen, verschluckte den Boden, den Himmel, die Nachbargebäude. Und Cutter, deren Deckung ein wenig hinter denen der anderen lag, musste entsetzt mit ansehen, wie die Berührung des Feuers alles während der unaufhaltsamen Vorwärtsbewegung dahinschmelzen ließ wie Eis in der Sonne. Auch menschliche Körper. Manchmal lag die einzige Überlebenschance in bedingungsloser Flucht. Cutter rettete sich in eines der leerstehenden Häuser, aber die Sicherheit entpuppte sich als Illusion. Es vergingen nur wenige Sekunden, ehe die massive Wand begann, widerstandslos zu schmelzen, und erst jetzt dämmerte dem Teenager, wie unüberlegt es gewesen war, vor einem unbekannten Gegner ausgerechnet in einem fremden Haus Deckung zu suchen. Hektisch sah sie sich nach einem Ausweg um, aber die einzige auf dieser Etage befindliche Tür war durch das Feuer hoffnungslos blockiert - es blieb nur die Treppe. Cutter hatte erst wenige Stufen hinter sich gebracht, als die Wand endgültig nachgab. Blauweißer Tod strömte gierig in den Raum. Cutter rannte, gedankenlos. Das Haus war bis auf die Wände, das Dach und die Treppe nie fertiggestellt worden, und so konnte sie auf ihrer Flucht sehen, wie sich die Hölle aus fauchendem blau und weiß unter ihr empor streckte und dabei Stufe um Stufe schmolz wie ein gefräßiges Untier... Erst in der oberen Hälfte des Hauses verlor das Feuer seine vernichtende Wirkung und fiel langsam in sich zusammen. Der Teenager verhielt schwer atmend und mit wild schlagendem Herzen einen Moment, um wieder zu Kräften zu kommen, dann sah sie sich um. Der Rückweg... existierte nicht mehr. Blieb nur, dem Verlauf der Treppe weiter zu folgen. Vielleicht würde sich auf dem Dach eine neue Möglichkeit eröffnen? Sephiroth sah wie gebannt zu dem durch den Angriff der Rebellen stark beschädigten Nachbargebäude hinüber. Zwei seiner Männer waren in dem blauweißen Feuer gestorben, ohne dass er oder sie das Geringste dagegen hätten tun können, und er nahm diesbezüglich kalte Wut, der das seltene Gefühl von Hilflosigkeit zugrunde lag, wahr. Er und seine restlichen Männer befanden sich bereits auf dem Dach des Zielobjektes, und einer von ihnen war dabei, mit Hilfe einer kleinen Sprengladung den blockierten Eingang zu den unteren Etagen frei zu räumen. Die entscheidende Änderung der Situation stand kurz bevor, aber bis dahin... Sephiroth lauschte der unnatürlichen Stille, und konnte förmlich spüren, wie sich der Tod auf den nächsten Schlag vorbereitete. Der geringste Hinweis auf ein Versteck des Gegners würde das Inferno erneut entfesseln. Er hatte keinerlei Zweifel, dass seine SOLDIER dies wussten und ihre Deckung nicht verlassen würden. Was Cutter anging… Sie lebte, dessen war er sicher. Und stellte genau daher ein potentielles Risiko dar – auch für sich selbst. Sephiroth wechselte auf ihre Funkfrequenz.... ... und sah den Teenager einen Sekundenbruchteil später auf dem gegenüberliegenden Dach auftauchen – unvermittelt, vor allem aber gut sichtbar. Schussel!, dachte Sephiroth. „Keeper 5, Deck...“ Triumphierendes Fauchen verschluckte den Rest des Satzes. Eine weitere Patrone schoss davon und detonierte nur Sekunden später mit dem anvisierten Ziel. Etwa eine Sekunde lang schien es, als führe die ohnehin schon schwer beschädigte Hauswand erbitterte Verhandlungen mit dem blauweißen Angreifer. Dann setzte der unaufhaltsame Schmelzprozess ein. Das Dach begann, sich gefährlich zu neigen, katapultierte Cutter in einen Kampf um ihr Gleichgewicht und einer verzweifelten Suche nach einer Alternative zu unten und fallen. Aber es gab keine. Nur die sich immer schneller neigende Ebene, welche ... „Keeper 5, spring!“ Sephiroths Stimme, kristallklar und schneidend scharf durch Cutters Headphone dringend, zerstörte das scheinbar unbeeinflussbare Ende. Es gab noch ein Gebäude in unmittelbarer Nähe, aber die Dächer waren nicht auf derselben Höhe, ein Zutritt somit ausschließlich durch eines der zahlreichen, glücklicherweise unverglasten Fenster möglich... Auf dem wie lebendig wirkenden Dach gab Cutter alles, um der kurzen und immer steiler abfallenden Strecke das ultimative Tempo herauszuholen, näherte sich der Kante... „Das schafft sie nie!“, murmelte einer der SOLDIER auf Sephiroths Dach. ... legte alle Kraft in den Absprung - Die Staub- und Schuttwolke, erzeugt durch die ersten den Boden erreichenden Trümmer des zusammenbrechenden Hauses, war so dicht, dass nicht einmal Sephiroth erkennen konnte, wie der Sprung ausgegangen war. Aber ohnehin musste er seine Aufmerksamkeit jetzt anderen Dingen zuwenden: Der Weg zu den unteren Etagen war frei geräumt, und der Schwerpunkt dieser Mission lag nicht darin, auf einen Teenager aufzupassen. Lautlos betraten die SOLDIER das Gebäude. Es dauerte eine Weile, ehe Cutter den Kampf um ihr Bewusstsein gewann. Ihr ganzer Körper schmerzte, und der nach oben gerichtete Blick lieferte eindeutige Gründe: Der Boden/die Decke der einzelnen Etagen bestand nicht etwa aus Beton, sondern... Holz. Die Lines bestätigten, dass es völlig morsch und auch auf der aktuellen hölzernen Ebene äußerste Vorsicht geraten war. „Du durchschlägst drei Stockwerke und hast keine Schramme? Respekt!“ Cutter zuckte erschrocken zusammen. Sie war nicht allein? Die weibliche Eigentümerin der Stimme stand in lässiger Pose neben einem der Fenster und sah mit unverhohlenem, fast schon aufdringlichem Interesse zu dem Teenager hinüber. Irgendetwas Seltsames ging von ihr aus – oder lag es nur an der immer noch andauernden Benommenheit? Cutter schüttelte heftig den Kopf in der Hoffnung, die durcheinandergewirbelten Sinne wieder zu ordnen, dann sah sie abermals auf. Diese Frau... irgendwie glich sie einem brennenden Streichholz unmittelbar vor einer sehr kurzen Zündschnur. Aus einem Grund, den Cutter nicht nachvollziehen konnte, sah sie Fremden immer zuerst direkt in die Augen. So auch jetzt. Zuerst war ihr nicht klar, was sie störte. Dann wusste sie es. Der bei allen anderen Menschen farbige Ring um die tiefschwarze Pupille war hier... völlig weiß. Es ließ die Augen wirken wie die Doppelmündung einer Waffe. Abgesehen davon sah die Frau aus wie eines der Models in den teuren Hochglanzmagazinen, groß, schlank, mit seidig glänzenden Haaren und einem Gesicht, das ebenso gut einem Engel hätte gehören können. Eine absolute Schönheit. Eine Verführerin, wie sie im Buche stand. Was tat eine solche Frau hier, in den Slums? Noch dazu in der Nähe des Schlachtfeldes? Vorsicht!, flüsterte Cutters innere Stimme. Steh auf! Schnell! „Glück gehabt“, antwortete sie beim aufstehen fast verlegen auf die zuvor geäußerte Bewunderung. Und dann, etwas selbstsicherer: „Sie sollten besser gehen, es ist gefährlich hier.“ Zivilisten in ShinRa Angelegenheiten zu verwickeln war niemals eine gute Sache. Aber diesmal... „Ich weiß.“ Die Frau lächelte, sah kurz aus dem Fenster und dann wieder zu Cutter hinüber. „Meine Leute haben deine Leute ziemlich unter Druck gesetzt.“ Zuerst glaube das Mädchen, sich verhört zu haben. Die Benommenheit war immer noch nicht vollständig gewichen, und so wiederholte der Teenager nur: „Ihre Leute?“ Pass auf, wisperte es hinter ihrer Stirn, pass auf, pass auf!! „Ganz recht. Cutter-chan.“ „Woher kennen Sie meinen Namen??“ „Oh...“ Sie hob die Hand zum Mund und kicherte leise. „Verzeihung. Ich vergaß. Vielleicht... kommt dir diese Stimme bekannter vor?“ Cutter zuckte entsetzt zusammen und wich hastig zurück. Diese Stimme... genau dieselbe wie vor einigen Tagen in ihrem Quartier... und dann in Junon, neben der Angst die einzige Gesellschaft... ein Klang wie aneinanderreibende Knochen. „Cutter-chan... Ich habe dich mit eigenen Händen im Meer von Junon versenkt. Du solltest friedlich im Lebensstrom treiben. Und doch sehe ich dich schon wieder – lebendig und unversehrt. Ich frage mich, wie du das gemacht hast.“ Cutter schluckte mit weit aufgerissenen Augen und trockener Kehle. „To... ron?“ Das kann nicht sein, das kann absolut nicht sein, Toron ist ein Kerl! Oder? Oder??? „Du glaubst mir nicht? Schade!“ Die beiden Schüsse kam völlig vorwarnungslos und zu schnell, um ausweichen zu können, schleuderten Cutter zurück auf den gefährlich ächzenden Boden. Es tat weh, es tat so entsetzlich weh... „Verstehe.“ Torons Stimme haftete etwas enttäuschtes an. „Sephiroths Idee, nehme ich an.“ Cutter versuchte, trotz des Schmerzes einen Sinn in den gehörten Worten zu finden, aber dieser blockierte alle Gedanken. „Tut aber trotzdem weh, oder? Nochmal?“ Weshalb, dachte der Teenager mühsam, kann ich sie immer noch hören? Sie hat mich zweimal getroffen, müsste ich nicht tot sein?! Dann, blitzartig, begriff sie. Der Anzug!! Schutz gegen Feuer, Säure, Schwertklingen... und Kugeln. Der Schmerz hatte sie dennoch an den Rand der Besinnungslosigkeit katapultiert, und das Ende von weiteren Treffern somit vorprogrammiert. In letzter Sekunde gelang es ihr, dem erneuten Angriff und allen folgenden auszuweichen. Dass sie dabei vorwärtsgetrieben wurde, registrierte sie erst, als es zu spät war und sie sich genau dort befand, wo Toron sie hatte haben wollen: In einer der Raumecken. Cutter versuchte zu flüchten, aber ihr Gegner versperrte ihr mittels eines gezielten Sprunges den Weg. Hart grub sich Torons Hand in die Haare des Teenagers, riss deren Kopf zurück, drückte die eisige Pistolenmündung an ihre Schläfe, sah dem Mädchen direkt in die angstgeweiteten Augen. „Sag Goodbye, Cutter-chan!!” Zu schnell, zu stark, zu entschlossen. Ihr Blick... Sie würde abdrücken. Kein Ausweg mehr. Keine Fluchtmöglichkeit. Keine Chance, das Blatt zu wenden... Pures Adrenalin jagte durch den Körper des Teenagers, schob alle Angst zur Seite, übergab Unterbewusstsein und Selbsterhaltungstrieb die volle Kontrolle. Wie ferngesteuert presste Cutter Daumen und Mittelfinger fest aufeinander, aktivierte den im Anzug integrierten Elektroschocker... und bewirkte nichts. Außer einer Bewegung des am Abzug der Waffe liegenden Zeigefingers... Es dauerte einige Sekunden, ehe Cutter registrierte, dass sie nicht mehr Torons, sondern ihren eigenen Blick erwiderte. Er spiegelten sich in einer perfekt polierten, scharfen Klinge, lang, dünn, aber von verheerender Durchschlagskraft. Eine Waffe von legendärer Einzigartigkeit. Masamune. Die Spitze des Schwertes lag direkt am Hals des Gegners, drückte langsam zu. Toron wich zurück. Hinter all dem glänzenden Tod betrat Sephiroth den Raum. Holz ächzte warnend unter seinen Füßen. Morsch, dachte der General sofort. Eine falsche Bewegung und der Boden wird nachgeben. Er hielt inne und benutzte die gigantische Länge des Katanas, um die Distanz zwischen seinem Gegner und Cutter zu vergrößern. Torons Reaktion allerdings schien völlig unangebracht. Sie lächelte. „Es ist lange her.“ Jetzt klang ihre Stimme wieder wie die einer Frau. „Aber endlich sehen wir uns wieder. Sephiroth.“ Das letzte Wort erklang mit unerwarteter Zärtlichkeit. Und nur eine Sekunde später sorgte Toron für eine neue Überraschung. Sie neigte den Kopf bis die todbringende Spitze des Katanas nicht mehr an ihrem Hals lag, schmiegte ihre Wange an die ungefährliche Seite der Klinge und folgte deren Verlauf, langsam, den Blick unverwandt auf Sephiroth gerichtet. Dieser bewegte sich nicht. Er hielt sogar still, als Toron unmittelbar vor ihm stehen blieb, ihre Arme auf seine Schultern legte und zu ihm aufsah. Lachte. „Du bist so groß geworden! Und berühmt! General Sephiroth Crescent.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe dich so vermisst. Aber wie ich sehe, hat Hojos Fürsorge dir gut getan. Aus dir ist ein wunderschönes Monster geworden.“ „Und aus dir ein Rebell.“ Obwohl er diese Erkenntnis erst seit wenigen Sekunden besaß – Torons Aufenthalt ausgerechnet hier und jetzt machte einen Zufall unmöglich - seine Stimme klang sachlich wie gewohnt, und ohne die hinter jedem Wort befindliche Stärke zu unterdrücken. „Oh, nicht irgendein Rebell, alter Freund.“ Ihre Stimme vibrierte seltsam, schien sich förmlich an der Seinen zu reiben, lustvoll, und ihre Augen funkelten arrogant und verspielt gleichzeitig. „Sondern ein Rebell, der in der Lage ist, die Lines zu sehen. Und... die Anführerin!“ „Sieht so dein Plan zur Rettung Midgars aus?“ Es klang sowohl spöttisch als auch enttäuscht. „Von dir hatte ich immer mehr erwartet.“ „Apropos `Midgar retten´... Wie hat dir unser `FireBooster´ gefallen? Beeindruckend, nicht wahr? Euer Material liefert immer eine hervorragende Basis, ist aber leider noch nicht ganz ausgereift. Wir nehmen die Feineinstellungen vor, und schon wird das Ganze akzeptabler.“ „Ich nenne eine Attacke, die einmal ausgelöst unkontrollierbar umherwabert und dabei wahllos Dinge verschlingt `Fehlschlag´. Ihr werdet noch etwas basteln müssen.“ Toron lachte vergnügt. „Ich werde deine Kritik an unsere Techniker weiterleiten.“ Langsam konnte Cutter dem Gespräch wieder folgen. Eine Sache allerdings stand im absoluten Vordergrund ihres Denkens: Sephiroth und Toron... kannten sich. Das Verhalten der Rebellin erweckte in dem Teenager eine Mischung aus Irritation und Faszination. Niemals zuvor hatte sie irgendjemanden so mit Sephiroth umgehen sehen. Und... warum unternahm er nichts?! Irgendwann setzte die Erkenntnis ein, dass die Beiden miteinander spielten, sich mit ihren Handlungen und Äußerungen umkreisten, einander nicht aus den Augen ließen. Es glich einem Tanz mit dem Ziel, Informationen zu gewinnen, den Gegner einzuschätzen um dessen nächste Bewegung zu erraten und einen Sekundenbruchteil eher reagieren zu können als erwartet. In diesem Fall war Toron zu langsam. Masamunes Länge mochte bei einem bereits so nahen Gegner ein Nachteil sein – nicht aber mit der Kenntnis körperlicher Schwachstellen und in der Horizontalen. Sephiroth benötigte nur einen Sekundenbruchteil, dann lag das Katana erneut an einer äußerst empfindlichen Stelle am Hals der Rebellenführerin, übte indiskutabel starken Druck aus. Toron blieb nichts anderes übrig, als abermals zurückzuweichen. „Dazu wirst du nicht mehr kommen.“ Die Stimme des Generals klang wie das Grollen eines tiefschwarzen Gewitters. „Aber unsere Verhörspezialisten freuen sich schon auf dich.“ „Verhör?“ Sie lachte vergnügt. „Oh Sephiroth, glaubst du wirklich, ich bin hier, um mich von dir abführen zu lassen? Ich wollte nur `Hallo´ sagen.“ Sie sah zu Cutter hinüber. „Und was dich angeht... Herzlichen Glückwunsch zur Rückkehr auf Platz 1 meiner Todesliste!“ Die Bewegung ihrer Hand war minimalst – die Auswirkungen allerdings gigantisch. Cutter hatte nicht gewusst, dass ein so winziger Gegenstand innerhalb einer einzigen Sekunde für solch dichten Nebel sorgen konnte. In ihm schoss ein Schatten blitzartig auf sie zu, und noch während der Teenager versuchte, so effizient wie möglich auszuweichen, ächzte von der Tür her Holz, wies auf einen Angriff Sephiroths hin, und dann... kollabierte der morsche Boden aufgrund der ihm zugemuteten Belastung. Kapitel 26: Neue Erkenntnisse ----------------------------- Es ging so schnell. Ohrenbetäubendes Krachen, Bersten und Splittern begleitete den sich über mehrere Sekunden hinziehenden Absturz, und dann... war es vorbei. Beinahe unnatürliche Stille senkte sich Vorhanggleich herab. Sephiroths Blick kletterte durch die Löcher der von seinem Körper durchschlagenen, hölzernen Fußböden/Decken nach oben. Niemals zuvor hatte er sich in einer ähnlichen Situation wiedergefunden, und es schien ihm mehr als angebracht, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Ich bin... heute nicht fit. Es ist mir weder gelungen, den Sturz abzubremsen, noch, mich bei der Landung abzufangen. Und Toron ist auch noch entkommen. Schwach, General Sephiroth. Wirklich schwach. Im tiefsten Grunde seines Herzens wusste er, dass hauptsächlich Hojo für dieses Desaster verantwortlich war. Aber sich die selbst außerhalb des Labors auf seinen Körper ausgeübte Macht dieses Mannes einzugestehen... Sephiroth stemmte sich mit aller mentalen Kraft dagegen. Meine Mission! Mein Fehler! Ich habe Toron unterschätzt. Das passiert mir nicht noch einmal! Dann fiel sein Blick auf Cutter. Sie befand sich in unmittelbarer Nähe, die Augen fest geschlossen, und für einen Moment fragte sich Sephiroth, ob der Tod vielleicht schlicht und ergreifend kein Interesse an dem Teenager hatte. „Cutter.“ Für gewöhnlich hätte er in einer solchen Situation völlig anders reagiert. Aber momentan fühlte selbst er sich zu zerschlagen. Und so wohnte auch seiner Stimme ein Hauch höchst seltener Müdigkeit inne. „Bist du bei Bewusstsein?“ Und nachdem die matte Bestätigung verklungen war, bat er das Mädchen, den von ihr im Rahmen dieser Mission gemachten Fehler, der letztendlich zur aktuellen (und höchst absurden) Situation geführt hatte, zu nennen. Mit Verbesserungsvorschlag. „Ich bin aufs Dach gegangen“, antwortete der Teenager nach einigen Sekunden. „Ohne mich um Deckung zu kümmern.“ Ihre Augen waren immer noch geschlossen. „Das war nicht gut durchdacht. Ich entschuldige mich, und passe nächstes Mal besser auf, Sir.“ „Cutter, Dächer sind dir nicht wohl gesonnen. Ich erinnere besonders an unsere erste Begegnung. Ich möchte, dass du dich ab jetzt von ihnen fern hältst, bis du herausgefunden hast, wie du sie besiegen kannst. Hast du noch Fragen?“ Einen Augenblick lang blieb es ganz still. Dann aber... „Sephiroth-sama? Sind wir tot?“ Sephiroth spürte, wie sich seine Mundwinkel in kurzfristiger Erheiterung hoben – dann verneinte er. Tote konnten sich nicht mit Schmerzen rühmen... „Wir leben ganz sicher noch?“, vergewisserte sich Cutter mit nach wie vor fest geschlossenen Augen. „Ganz sicher. Also...“, er klang immer noch völlig ruhig, „geh runter.“ Geh runter? dachte Cutter. Wieso `geh runter´? Sie öffnete vorsichtig die Augen. Sephiroth erwiderte ihren Blick mit gewohnter Erhabenheit – allerdings aus kürzester Distanz. Die unerwartete Nähe war für Cutter wie ein süßer, schwerer Schock. Er machte sie völlig bewegungslos und ließ die restliche Welt sowie jeden Gedanken sanft verblassen, als sei nichts mehr wichtig außer diesem Moment außerhalb von Raum und Zeit. Die Erinnerung an ihren ersten Kuss schmiegte sich warm in den Kopf des Mädchens, und obwohl die Berührung nur wenige Sekunden gedauert hatte... der behütete, heimliche Wunsch, es zu wiederholen, diese Wärme noch einmal zu spüren, das Gefühl zu behalten... löste sich von seinen durch Vernunft und Respekt auferlegten Fesseln und... „Das war ein Befehl!“ Die Schlachtfeld-Kommandostimme rückte die Grenzen augenblicklich wieder zurecht. Und erst jetzt realisierte Cutter die Position, in der sie sich befand: Lang ausgestreckt auf der SOLDIER Legende liegend. Das Mädchen stieß einen erschrockenen Laut aus, kam blitzartig auf die Beine, wandte sich mit hochrotem Kopf ab und begann, sich hektisch zu entschuldigen. Sephiroth erhob sich und wollte eben anmerken, er habe sie im Fallen gefangen, um Verletzungen vorzubeugen – aber dazu kam es nicht. Die genaue Lokalisierung des immer noch sehr intensiv empfundenen Schmerzes verdrängte alles andere. Nein... Zu tiefgängigeren Gedanken war er vor Entsetzen nicht in der Lage. Nein...!!! Er musste ihn irgendwann in dem Versuch, den Sturz zu bremsen, ausgebreitet haben... Und jetzt... Mit einem Hauch Verzweiflung sah er zu Cutter hinüber, aber der Teenager, mit dem Rücken zu ihm stehend und sich weiterhin entschuldigend, hatte noch nichts mitbekommen. Sephiroth wiederholte die verhasst-vertraute Bewegung, aber der scharfe Schmerz verkündete höhnisch die andauernde Enthüllung des Geheimnisses aus unzähligen, schwarzen Federn. Es gab keinerlei Erinnerungen an ein Leben vor dem gewaltigen, nachtfarbenen Flügel, der sich jetzt gut sichtbar hinter der rechten Schulter des Generals erhob. Für gewöhnlich ruhte all die Dunkelheit sicher verborgen irgendwo in seinem Körper – perfekt an diesen angepasst. Fremdeinwirkung? In Verbindung mit Hojo war alles möglich. Aber warum nur einer? Keine Fremdeinwirkung? Weshalb hätte jemand mit nur einem Flügel zur Welt kommen sollen? Hojo, der mit Sicherheit alles darüber wusste, kicherte nur – und gab immer dieselbe Antwort: „Du bist ein Monster. Und das ist der Beweis!“ Es war Sephiroth nach wie vor unmöglich zu definieren, ob ihn die Aussage an sich, oder die Person, von der sie stammte, mehr erschütterte. Als Monster fühlte er sich nur bei den Experimenten im Labor, wissend, dass kein normaler Mensch zu einem Überleben unter diesen Bedingungen fähig war – aber unsicher, ob sich durch diese Erkenntnis eine ganze Existenz definieren ließ. Was Hojo anging... Sephiroth hatte immer wieder über das seltsame Verhältnis zwischen sich und ihm nachgedacht, (auch darüber, wie sinnlos es war, darüber nachzudenken), und sich gefragt, wer richtig lag. Fakt war: Der Flügel gehörte zu den bestgehütetsten Geheimnissen des Generals. Solange niemand außer ihm selbst, Präsident ShinRa und Hojo davon wusste, blieb Sephiroth wenigstens vom Äußeren her für andere... menschlich. Definiert. Jetzt allerdings... Er versuchte ein weiteres Mal, all die Dunkelheit an ihrem gewohnten Platz zu verstecken. Erfolglos. Cutters leises „Sephiroth-sama?“ hätte ihn beinahe zusammenzucken lassen, und für einen Augenblick befahl dem General jeder einzelne Sinn, den Teenager zu töten. Es würde keine Fragen geben. Nicht nach diesem Absturz! Seine Hand schloss sich fester um Masamune, Cutter nicht aus den Augen lassend. Diese stand ganz ruhig da und sah zu ihm hinüber. In ihrem Blick tobte Chaos, aber weder Argwohn noch Angst, – und Sephiroth nahm wahr, dass er zögerte. Warum kannst du nicht normal reagieren und einfach weglaufen? Begreifst du nicht, in welcher Gefahr du dich befindest?! Was du siehst? Was ich... vielleicht... bin? Auch Cutters Gesichtsausdruck verriet tiefes Nachdenken. Und schließlich, völlig ernst... „Sir? Kriegt man als General von SOLDIER Flügel?“ Sephiroth starrte zu dem Teenager hinüber, die intensivste Verblüffung seit Jahren empfindend, und dann... begann er leise zu lachen. Das Geräusch war dunkel, und ebenso anschmiegsam wie seine Stimme, wenn er ihr nicht den harten, militärischen Klang verlieh. Melodiös. Unaufdringlich. Warm. Und Cutter fühlte sich innerhalb einer einzigen Sekunde süchtig danach werden. Aber es endete ebenso unverhofft, wie es begonnen hatte. Sephiroth sah zu dem Teenager hinüber, murmelte: „Oh, Cutter...“, schüttelte den Kopf... und verwarf die halbherzigen Mordpläne, um mit einer Mischung aus Resignation und Spannung auf weitere Reaktionen zu warten. Cutter hatte sich nicht bewegt. In ihrem Kopf erklangen Zacks Worte: `Sephiroth ist nicht wie wir. Er ist... anders.´ Ob der 1st das gemeint hatte? Der Blick des Mädchens hing an dem Flügel. Er gehörte zu Sephiroth... irgendwie... und war bisher gut versteckt gewesen... irgendwo... Warum war er jetzt so offensichtlich zu sehen? „Ist er... bist du verletzt?“ „Es wird heilen“, antwortete der General mit gewohnter Erhabenheit. „Er ist wunderschön“, sagte Cutter leise, streckte gedankenverloren die Hand aus... und zuckte entsetzt zusammen, als ihr Handgelenk in scharfem Schmerz lautlos aufschrie. Ihr sich unmissverständlich ändernde Gesichtsausdruck ließ einen Hauch Irritation durch Sephiroths Blick huschen. Ich habe ihren Sturz aufgefangen, außerdem trägt sie den Anzug. Sie sollte nicht verletzt sein... „Was ist mit deiner Hand?“ „Verstaucht!“, beteuerte Cutter, zog die Hand eng an den Körper und legte die andere schützend davor. „Bestimmt nur verstaucht!“ Es durfte einfach nicht schlimmer sein. Sephiroth überlegte kurz und logisch. Die Verletzung musste sich vor der Mission ereignet haben. Aber ihm lag keine – nicht einmal eine mentale - Benachrichtigung darüber vor, also wie... Eine unscharfe Erinnerung begann in ihm aufzusteigen. Gestern Abend auf dem Flur... war nicht vor Zack schon jemand dort gewesen? Eine Person, deren Berührung er mit einem heftigen Schlag beendet hatte? Und... war nicht sein Name gefallen? `Sephiroth-sama...´ Ich habe dich verletzt!, dachte der General. Und du hast es nicht gemeldet. Zack... Zack wollte mir vorhin sagen, dass Toron dir vom Labor erzählt hat. Du wusstest, was du gesehen hast. Niemals hättest sehen dürfen. Und wolltest nicht der Auslöser für noch mehr mich betreffende Schwierigkeiten sein. Stattdessen nimmst du lieber verletzt an einer Mission teil. Du hast immer noch nicht begriffen, was Verantwortung bedeutet! Und Egoismus! All diese Ansichten mochten korrekt sein – verhielten sich jedoch äußerst seltsam gegenüber des absurden, von Cutter in die Tat umgesetzten Wunsches, ihn zu beschützen. Dabei, dachte Sephiroth finster, kann ich das in bestimmten Situationen nicht einmal selbst. Und du... tust es einfach. Dessen aber völlig ungeachtet, ich muss mich um deine Verletzung kümmern. Das Ausstrecken seiner Hand glich auf seltsame Art und Weise mehr einer Bitte, als einem Befehl, und der General rechnete nicht mit einer Reaktion. Das von anderen gegen ihn gehegte Misstrauen... Mit Sicherheit war es nun auch in Cutter erwacht. Zurecht! Aber noch während er darüber nachdachte, legte sich die Hand des Teenagers in seine. Und Sephiroth begriff zum ersten Mal in seinem Leben, dass es einen Unterschied zwischen `Gehorsam´ und `Vertrauen´ gab. Es war diese Hand, verletzt, angreifbar, die sich einer wesentlich stärkeren Macht auslieferte. Freiwillig. Und furchtlos. Trotz allem. Während er die Hand des Teenagers vorsichtig aber gründlich untersuchte, dämmerte es ihm, dass er das soeben Erhaltene – und sei es nur in diesem einen Fall - nicht als die Reaktion auf eine von einem ranghöheren Offizier gegebene Aufforderung hinnehmen durfte. Aber wie sollte er reagieren? Vorerst beschränkte er sich auf die Diagnose: „Auch gebrochen“, und wandte eine Heilmateria an. Cutter fühlte dem verblassenden Schmerz nach und wünschte sich, er möge das immer noch in ihrem Kopf tobende und vom knirschen der Scherben untermalte Chaos mitnehmen, aber natürlich geschah nichts dergleichen. Und noch während sie versuchte, wenigstens etwas Ruhe zu erschaffen, erklang Sephiroths Stimme. Leise. Und fast schüchtern. „Ich kann... die Berührungen anderer nur mit äußerster Selbstdisziplin ertragen. Das gestern Abend...“ Er verstummte. Was mache ich hier?! Und warum? Ich sollte nicht darüber sprechen, zu keinem! Und dennoch... Es lag Sephiroth fern, Mitleid mit seinen Feinden zu haben oder gar Reue zu empfinden. Aber Cutter war kein Feind. Eine derart harte Behandlung wie gestern Abend... hatte sie nicht verdient. Er sah von der immer noch in seiner eigenen Hand gehaltenen Hand auf, begegnete Cutters Blick... und wurde Zeuge, wie sich das bis vor wenigen Sekunden noch darin tobende Chaos legte. Bis jetzt, dachte das Mädchen, war ich immer der Meinung, du hältst die Leute aufgrund deiner hohen Position auf Distanz. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit, oder? Du möchtest verhindern, dass sie sehen, was ich gesehen habe. Und ich dachte, jemand wie du hätte keine Probleme. Ich war so ein Idiot! Was den Scherbenhaufen angeht... das ist meine Schuld. Ich habe es restlos übertrieben. Es tut mir leid. „Es war... ein unkontrollierter Moment“, vollendete der General seinen Satz. „Das gestern Abend“, antwortete Cutter völlig ruhig, „warst nicht du.“ Oh doch, dachte Sephiroth finster. Mein anderes, in mir mit den Ketten meiner Selbstdisziplin gefesseltes Ich. Die Stimme, die mich im Traum besucht, mich schweißgebadet hochfahren lässt, der Teil von mir, der auf den Schlachtfeldern nach Blut lechzt und niemals genug bekommt... Der Dämon in mir. Aber jetzt... genug davon! Die Hand des Teenagers ließ sich wieder schmerzfrei bewegen. Der General verstaute die Heilmateria griffbereit und nahm das Ende des unfreiwilligen Sturzes näher in Augenschein, den mit allem möglichen Gerümpel vollgestellte Keller des Hauses. Wohl oder übel mussten sie hier die Heilung des Flügels abwarten. In Cutters Kopf tobten Fragen. Wo der andere Flügel war, zum Beispiel. Oder warum Sephiroth die Heilmateria nicht auf sich selbst anwandte. Aber hinsichtlich ihres mehr als gedeckten Bedarfes an dunklen Geheimnissen ließ sie es bleiben und vergrub sich schweigend in die Lines. Wofür normale Körper Wochen gebraucht hätten, erledigte das Sephiroths Körper durchströmende Mako innerhalb kürzester Zeit, und als der Flügel geheilt und wieder sicher versteckt war, brachen sie ohne weitere Verzögerung auf. Die Gedanken des Generals kreisten um die kürzlich gewonnen Informationen bezüglich Torons. Ein Blue Wanderer. Und die Anführerin der Rebellenorganisation `Liberation´! Das jedenfalls erklärt deren gezielte Angriffe auf unsere Schwachstellen. Die IT Abteilung ist damit nicht mehr betroffen. Und ich werde mit Shinra sprechen müssen. Wie überaus lästig! Während er in Gedanken das Gespräch vorbereitete, warf er der neben sich gehenden Cutter einen kurzen Blick zu. Ihr ungewöhnliches Schweigen verriet tiefes Nachdenken. „Toron ist eine Frau“, murmelte sie irgendwann. „Und du... hast das gewusst. Und nichts gesagt. Das war... ganz schön gemein von dir. Sir.“ Also das, dachte Sephiroth milde amüsiert über die Furchtlosigkeit des Teenagers, hat mir so direkt noch nie jemand gesagt. Gleichzeitig beschloss er, ihr die Kritik durchgehen zu lassen. „Es spielt keine Rolle“, antwortete er. „Oder glaubst du, deine Angst in Junon wäre mit diesem Hintergrundwissen geringer gewesen?“ „Ja.“ Es klang ein wenig trotzig und beinhaltete somit genau dasselbe, wie das halblaut gegrollte `Cutter´ des Generals, nämlich die feste Überzeugung: `Das glaubst du doch selbst nicht!´ „Hast recht“, murmelte der Teenager und seufzte leise. So tröstend und beruhigend Sephiroths Anwesenheit war – diesmal schien es nicht genug zu sein. Seine Hand befand sich in unmittelbarer Nähe. Cutter hätte gerne danach gegriffen, konnte sich aber schon denken, dass die Konsequenzen keinesfalls dem Gewünschten entsprechen würden. Und so ließ sie es sein. „Warum hat sie in Junon ihre Stimme verstellt?“ „Ein psychischer Trick. Sie wollte dich so massiv wie möglich verängstigen, um dich zum Sprechen zu bringen.“ In Gedanken fügte er hinzu: Diese Stimmimitationen beherrschte sie schon im Labor. `Ihr´ Hojo war nahezu perfekt. Sie hat ihn Sachen sagen lassen, die... mich zum Lachen gebracht haben. Eigentlich dachte ich, das würde nie wieder jemandem gelingen, aber vorhin... hast du es geschafft. Gleichzeitig quittierte er Cutters leises `Danke schön fürs Retten, Sephiroth-sama´ mit einem knappen Nicken, ohne auf das in der Betonung versteckte `Wenn du das oft genug machst, bin ich bestimmt eines Tages in der Lage, es alleine zu schaffen´ einzugehen. Stattdessen warf er seiner Begleiterin einen verstohlenen Blick zu. Cutter war dabei, mit finsterem Gesichtsausdruck die Einschusslöcher im Stoff ihrer Uniform zu befühlen. „Sie hat auf mich geschossen.“ Es klang höchst vorwurfsvoll. „So ein... Biest!“ „Melde dich in der Kleiderkammer wegen einer neuen Uniform“, wies Sephiroth gelassen an. Es war nur Material. Der darin steckende Teenager allerdings beschwor eine den gestrigen Abend betreffende Frage herauf, die er unmöglich selbst beantworten konnte. Kein Mensch war in dem einem mehrstöckigen Labyrinth gleichenden HQ in der Lage, einen anderen Menschen ohne genaue Positionsangabe finden. Dennoch war Cutter genau das gelungen. Sephiroth glaubte weder an Zufälle, noch an Schicksal. Die Geschehnisse des gestrigen Abends... mussten in eine andere Kategorie gehören. Er erkundigte sich danach. Die stockend gegebene Antwort ließ beide einen Moment innehalten. Cutter war in der vergangenen Nacht aus einem Albtraum erwacht in dem unbestimmten Gefühl, mit Sephiroth oder Zack könnte etwas nicht stimmen, hatte die Lines gecheckt und sich dann besorgt (und in ihrer Eile ohne den schützenden Anzug) auf die Suche gemacht – in der Hoffnung, sich zu irren, und wenn nicht... helfen zu können. Irgendwie. „Ich wollte nicht spionieren oder in deine Geheimnisse stolpern, ich...“ Sephiroth hob die Hand, ließ das Mädchen verstummen. Unabhängig von allem gerade gehörten, es gab eine Information, die bedeutsamer – und schockierender - war als alle anderen, und es gelang ihm nicht ganz, seine Überraschung zu verbergen. „Ich habe eine Line?“ „Natürlich!“, antwortete der Teenager verblüfft. „Warum solltest du keine haben?“ Weil es eine Menge gute Gründe dafür gibt!, dachte Sephiroth fast aggressiv, bremste sich jedoch. Oder... ist dies die Antwort, nach der ich schon so lange suche? Aber... die Lines sind so detailliert, so gewissenhaft, und ich bin nicht wie andere. Dies einfach so zu übersehen... passt nicht zu ihnen. Wo ist der Haken? Er überschlug kurz alles von Cutter über die 2nd Lines gelernte, ehe er die nächste Frage stellte. „Welche Farbe hat sie?“ Cutter schwieg einen Augenblick. Dann aber... „Wenn du in einer sternenklaren Nacht zum Himmel aufsiehst – das ist sie.“ „Sie ist schwarz?!“ „Mit winzigen, silbernen Pünktchen drin. Sie ist...“ ... die Schönste von allen.. . „wunderschön.“ Schwarz, dachte Sephiroth. Wie die Grenzline, deren Überschreitung alle außer Cutter wahnsinnig werden lässt. Wie überaus passend! Dann fiel ihm wieder ein, dass jede Farbe und jedes Muster in den 2nd Lines einzigartig war. Unter diesem Standpunkt durch eine schwarze mit silbernen Punkten vertreten zu werden... war nicht monströs. Sondern nur ebenso Einzigartig wie alle anderen. Und damit... normal. Ich könnte, dachte Sephiroth, diese Aussage akzeptieren, und nie wieder darüber nachdenken. Aber er spürte mit nicht zu ignorierender Gewissheit, dass noch nicht alles gesagt war. Erfahrung hatte ihn um die Existenz von Momenten gelehrt, in denen man sein Gegenüber besser mit vollem Rang ansprach. Um zu erinnern, zu warnen... oder Akzeptanz klarzustellen. Wie jetzt. Ihm die gewünschte Antwort zu liefern... nur eine einzige Person war dazu in der Lage. „Und was, Ghost Walker Cutter Tzimmek, unterscheidet meine Line dennoch von allen anderen?“ Das Mädchen erstarrte mitten in der Bewegung. Warum, dachte sie, weiß er immer, wenn man versucht, etwas vor ihm zu verheimlichen? Weshalb stellt er immer die richtigen Fragen? Und warum... bin ich so eine schlechte Lügnerin? Sephiroths Line besaß eine Besonderheit, der Cutter niemals zuvor begegnet war. Eigentlich hatte der Teenager beschlossen, es als eines der Geheimnisse des Generals zu betrachten und nicht mehr darüber nachzudenken. Aber jetzt... „Ich kann sie nicht lesen“, antwortete sie schlicht. „Ich hab´ s versucht, gestern Abend. Zum ersten Mal. Aber es hat nicht geklappt. Sie sagt mir nur, wo du bist... ungefähr, aber längst nicht so klar wie bei anderen, ich habe gestern fast 30 Minuten in den Fluren nach dir gesucht... und ich habe ihren Puls ... mehr nicht.“ Und damit, dachte Sephiroth, passt doch wieder alles zusammen. Nicht einmal die Lines wissen genau, was ich bin. Oh, das würde Hojo gefallen, ich bin sicher, er würde jubeln. „Aber“, jetzt klang Cutters Stimme wieder gewohnt lebhaft, „das hat auch Vorteile. Niemand wird dich jemals ausspionieren können. Es ist... ein bisschen, als hättest du keine.“ Sie lachte. „Kein Wunder, dass du so gut mit den Lines klar kommst, du bist ja selbst fast ein Blue Wanderer!“ So einfach ist das für dich?, dachte Sephiroth. Du machst mich zu einem `fast Blue Wanderer´ und schon ergibt es für dich einen Sinn. Für einen Augenblick wünschte er sich, die Situation mit derselben Leichtigkeit betrachten zu können. All die Unerfahrenheit und Unschuld, den Glauben nutzen um für etwas Unerklärliches eine Erklärung zu finden. Und damit glücklich zu sein. Wie gut, wie schön musste sich das anfühlen! Aber ohne sie zu kennen spürte Sephiroth, dass die Wahrheit eine andere war, und, dass er ihr eines Tages begegnen musste – um sie zu akzeptieren oder daran zu zerbrechen. Weshalb habe ich das Gefühl, als stünde nur diese entsetzliche Ungewissheit zwischen mir und einer die ganze Welt betreffenden Katastrophe? Dann schüttelte er den Kopf. Was für ein Unsinn. Nicht einmal ich wäre in der Lage, etwas so mächtiges heraufzubeschwören. Er fokussierte seine Konzentration wieder auf die aktuelle Situation. „Warum hast du dich nicht gewehrt, als Toron dich packte? Der Anzug verfügt über genug Möglichkeiten.“ „Ich habe den Elektroschocker eingesetzt.“ Cutters Stimme klang frustriert. „Aber er hat überhaupt nichts geholfen.“ „Vielleicht wirkt er nur bei Zack“, kommentierte Sephiroth mit dem für ihn typischen, unerwarteten Humor, wurde aber gleich darauf wieder ernst und ließ sich die Kontakte des Elektroschockers zeigen. „Sie zeigte keinerlei Reaktion?“, vergewisserte er sich. Die Kontakte waren in Ordnung. „Nicht mal ein Zucken! Ob er kaputt ist?“ Sephiroth schwieg, aber seine Gedanken waren in Aufruhr. Hojo, das wusste er mit Sicherheit, hatte auch Toron nicht mit seinen Experimenten verschont. Ob es da einen Zusammenhang gab? Ein Blick in die entsprechende Akte hätte helfen können, aber Hojo dokumentierte letztendlich nur Erfolge, Besonderheiten – und neue Tests. Toron... in welche Kategorie gehörst du? Wie kann ich das ohne deine Akte herausfinden? In Hojos Labor verliert man seinen Namen und wird zu einer Nummer – aber du hast mir deine, ich bin ganz sicher, nie genannt. Unser Fluchtversuch... in welchem Stadium befand sich das dich betreffende Experiment? Und wenn es noch nicht abgeschlossen war – wie interessant war es für Hojo? Genug um eine Akte anzulegen? Er hasste unbeantwortete Fragen, das weiß ich, und du bist ihm entkommen... Er könnte deine Akte aber auch vernichtet haben um Spuren zu verwischen... Sephiroth lächelte düster. Wirklich, in diesem Punkt sind wir uns sehr ähnlich. Dann allerdings verschwand das Lächeln wieder. Sogar ein Kind kann sich Hojos direktem Wirkungsbereich entziehen. Und ich bin... längst keines mehr. Es sollte mir so leicht fallen... „Ich werde den Anzug überprüfen lassen“, beantwortete er die Frage des Teenagers. Lautlos fügte er hinzu: ... und ihn um eine Kleinigkeit ergänzen. Dann kehrten seine Gedanken zurück zu Toron. Als Blue Wanderer besaß sie keine eigene Line, mit der man sie hätte aufspüren können... welche Möglichkeiten gab es noch? Er beriet sich kurz mit Cutter. Die Waffe der Rebellin war ein Standardmodell. Keine Auffälligkeiten. In Midgar an jeder Straßenecke erhältlich. Der `FireBooster´ hingegen bestand aus mehreren Komponenten, deren genaue Definition in der kurzen Zeit nicht hatte stattfinden können, und die ursprünglich von Cutter entdeckte `richtige´ Line entstand nur durch ein Zusammensetzen aller Teile. „Das war ziemlich clever von ihr“, murmelte der Teenager düster. „Nicht clever genug. Nach Abschluss dieser Mission werden wir die vorliegenden Daten in meinem Büro auswerten. Und noch etwas, Cutter.“ Seine Stimme gewann an Schärfe. „Du wirst dich von meiner Line fernhalten!“ Einem dumpfen Gefühl folgend fügte er hinzu: „Dasselbe gilt für die von Hojo! Das ist ein Befehl!“ Cutter hatte keine andere Möglichkeit, als zu nicken. Sie verließen das Haus. Die anderen SOLDIER warteten mit den gefesselten und scharf bewachten Gefangenen vor dem ehemaligen Zielgebäude. Sephiroth genügte ein einziger Blick in die Gesichter der Männer, um zu wissen, dass keiner von ihnen reden würde, und so gab er lediglich Anweisung, einen Jeep zum Abtransport anzufordern. Aus den Augenwinkeln sah er Cutter mit Zack sprechen und wusste instinktiv, dass es um Toron ging. Die Reaktion des 1st bestand in einer Umarmung des Teenagers, und dieser entspannte sich. Sephiroth meinte sogar, auf ihren Lippen ein kleines, dankbares Lächeln zu erkennen. Es erinnerte ihn an die Nacht, in der sie in seinem Bett geschlafen und er sie von dem Albtraum befreit hatte. Und obwohl es nach wie vor unlogisch schien... die Nähe eines anderen Menschen konnte beruhigend wirken. Noch eine Erfahrung, die ich nie gemacht habe. Ich musste von Anfang an alleine klar kommen. Um `keine Schwächen zu entwickeln´. Immer stark zu sein. Und ich war... bin es! Aber... es scheint etwas... Gutes zu sein, diese `Nähe´. Etwas... Tröstendes. Ob ich dazu in der Lage wäre? Die für ihn so untypischen Gedanken beschäftigten ihn so sehr, dass er die Observation, deren Mittelpunkt die kleine ShinRa Truppe darstellte, nicht bemerkte. Toron verhielt sich jetzt wieder sehr vorsichtig. Sie wusste, der Überraschungsmoment war vorbei, und eine erneute Konfrontation mit Sephiroth wäre unmöglich zu ihren Gunsten ausgegangen. Das leise hinter ihr erklingende Geräusch brachte sie nicht einmal dazu, sich umzusehen. Sie kannte diese Schritte nur zu gut. „Weshalb bist du nicht auf deinem Posten, Tyrer?!“ „Wollte nach dir sehen. Werde würdig vertreten, keine Sorge.“ Der große Mann runzelte die Stirn. „Weshalb so grimmig?“ Wenige Sekunden später griff er nach dem ihm entgegengehaltenen Fernglas, folgte beim durchsehen den Richtungsangaben Torons... und lachte schließlich höchst trocken und erheitert auf. „Dass ich den Tag, an dem die große `Liberation´ Führerin Rail Toron einen Fehler macht, noch erleben darf...“ „Ich habe keinen Fehler gemacht!“, fauchte die Angesprochene. Dann wurde ihre Stimme zu einem leisen Zischen. „Weshalb lebt sie noch?!“ Sephiroth konnte ihr unmöglich geholfen haben und Toron schloss eigene Fehler völlig aus, also wie... „Sachte, Boss. Die Sache in Junon war eine deiner Privatmissionen. `Liberation´ und ich haben damit nicht das Geringste zu tun.“ Torons Antwort bestand in einem wütenden Zähnefletschen, gleichzeitig riss sie das Fernglas wieder an sich. „Geh zurück auf deinen Posten! Ich habe nicht umsonst dich dort platziert!“ „Schon gut, schon gut...“ Tyrer hob abwehrend beide Hände. „Befreien wir unsere Leute jetzt oder später?“ Toron sah abermals durchs Fernglas. „Diese Grünschnäbel? Weder jetzt, noch später!“ „Sie könnten reden“, bemerkte Tyrer. „Wir ziehen um.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Sie kennen längst nicht alle unserer Verstecke. Und ich predige euch allen ständig, euren Kram griffbereit zu haben. Unter anderem deshalb kriegt uns ShinRa nicht, Tyrer – wir sind zu mobil. Heute hier, morgen dort. Alles, was zu schwer zum Tragen ist...“ „... taugt nichts. Ich weiß. In Ordnung. Ich lasse unsere Leute abrücken.“ Toron nickte und sah abermals durchs Fernglas. Diesmal blieb ihr Blick an dem Mann hängen, der die gegnerischen Befehle gab, und unwillkürlich schlossen sich ihre Hände fester um das Fernglas. Sephiroth... Cutter erneut zu treffen war unterhaltsam. Aber dir nach all den Jahren wieder zu begegnen war... purer Schmerz. Nach langer Zeit, endlich wieder dieser so lang entbehrte Schmerz... Ich hatte völlig vergessen, wie es sich anfühlt... So heiß und mitreißend... Wie sich erst dein Tod für mich anfühlen wird? Sie seufzte leise. Bis dahin würde es wohl noch eine Weile dauern... Aber der Tag, daran zweifelte sie keine Sekunde, würde kommen. Herbeigeführt durch ihre Wut und allem bisher Verlorenen. Sie lächelte. Pass schön auf, Sephiroth. Sorg dafür, dass es für uns beide gut wird... so gut... Ich werde meinen Teil dazu beisteuern! Erst das Eintreffen der Jeeps brachte Sephiroths Gedanken zurück in die Realität. Verladung und Abtransport der Rebellen verlief mit routinierter Schnelligkeit, und im ShinRa HQ angekommen gab der General den Spezialisten der Verhörabteilung explizite Anweisungen bezüglich der gewünschten Ergebnisse, dann übergab er die Gefangenen und suchte gemeinsam mit Cutter sein Büro auf, wo sie die Auswertung der neuen Daten vornahmen und mit dem entsprechenden Vermerk an die Entwicklungsabteilung weiterleiteten. Vielleicht würde es schon bald neue Erkenntnisse geben. Sephiroth ließ Cutter wegtreten und arbeitete, bis ihn die sich schlagartig öffnende Bürotür unterbrach. „Hey Seph! Ich bringe dir was zu essen!“ „Eher bringst du dich in Schwierigkeiten!“, antwortete Sephiroth kühl und machte keinerlei Anstalten, die ihm von Zack entgegengehaltene, verführerischen Duft verströmende Tüte anzunehmen. Woraufhin der 1st sie einfach auf den Schreibtisch plumpsen ließ, selbst in einem der Sessel davor Platz nahm und seine eigene Tüte öffnete. „Kalt schmeckt´s nicht mehr“, warnte er irgendwann kauend. „Ich bin nicht hungrig.“ „Essen kann man immer“, hielt Zack so unschuldig wie möglich dagegen. „Bestimmt hast du den ganzen Tag noch nichts gegessen. Aber vermutlich“, fügte er dann ein wenig düsterer hinzu, „sollte ich einfach nur froh sein, dass du lebst und atmest!“ „Es geht mir gut, Zackary!“ „Iss was, und es wird dir noch besser gehen. Garantie vom Koch in der 74sten!“ So sehr es dem General missfiel, behandelt zu werden wie ein Dreijähriger – mit seinen Ansichten über fehlende Mahlzeiten hatte Zack recht. Und es gab nur eine Möglichkeit, ihn wieder loszuwerden... Mit Todesverachtung im Blick griff Sephiroth in die Tüte. Zack atmete rein innerlich auf. Er wusste, der Körper seines besten Freundes funktionierte... anders. Zurückzuführen ließ sich das auf viele Dinge: Die höheren Makodosierungen, das Labor, der gesamte Tagesablauf... Potions und auch Materia zeigten kaum Wirkung, und so bestand die einzige Möglichkeit zur Auffüllung der körperlichen Energiedepots in Mahlzeiten, je regelmäßiger, desto besser. Leider ließ Sephiroth diese gerne ausfallen, um sich seines Erachtens nach wichtigeren Dingen zu widmen. Ihn jetzt endlich kauen zu sehen, erfüllte Zack mit tiefer Erleichterung. Bald wird es dir besser gehen, Seph. Etliche Minuten lang war nichts zu hören außer dem leisen Rascheln von Papier. Erst als sie satt waren, erkundigte sich Zack leise: „Hat Cuttie mit dir gesprochen? Wegen... allem?“ „Ich bin von alleine drauf gekommen“, antwortete Sephiroth. Die eingenommene Mahlzeit begann, sich in Energie umzuwandeln. Ein gutes, beruhigendes Gefühl. Es verlieh ihm die Gewissheit, bald wieder vollständig bei Kräften zu sein – war aber andere Bereiche betreffend völlig wirkungslos. „Sie hätte nie von Hojo erfahren dürfen.“ Er flüsterte fast. „Niemand hätte jemals...“ Er verstummte und schüttelte den Kopf, um die Sinnlosigkeit des Protestes wissend und bemüht, das in ihm aufsteigende Gefühl zu unterdrücken. Er war sehr, sehr selten dieser Wunsch, getröstet zu werden. Oder zu weinen. Wenn ich nur noch wüsste, wie das geht... Man scheint sich danach besser zu fühlen. Irgendwie. Aber ich weiß es nicht mehr. Ich... habe manchmal das Gefühl, endlos viel nicht zu wissen. Aber das hier... „Ich wollte Cutter nicht in diese Sache mit hineinziehen. Oder dich. Aber jetzt ist sie Teil davon, und in Gefahr, und... ich bin nicht sicher, ob ich etwas dagegen tun kann...“ „Oh Seph...“ Jeden anderen hätte er längst in den Arm genommen. Aber Sephiroth befand sich in einem äußerst labilen Zustand – und auf der höchst schwierig zu erreichenden und somit selten besuchten Ebene namens `Nähe´. Ein winziger Fehler, und aus ihm würde binnen eines Sekundenbruchteils wieder der unnahbare General werden. Es galt, genau das zu verhindern, zu vermitteln, dass jeder Schwäche zeigen durfte. Selbst der große General Crescent. „... das wissen wir doch. Du kennst mich. Mehr muss ich dazu nicht sagen, oder? Und Cutter... war schon immer unberechenbar. Verdammt, sie schafft es sogar, sich selbst zu überraschen.“ Sephiroth sah zu ihm hinüber, schweigend, und mit einem Blick der - für ihn unbewusst - klar machte, wie nötig er jedes der gehörten Worte brauchte. „Ich werde alles Nötige tun, um sie von der Sache mit dir und Hojo fern zu halten. Mach dir keine Sorgen. Sie wird es für sich behalten.“ Denn wenn es eine Person gibt, für die Cutter alles Leid der Welt ertragen würde, dann bist du das. „Glaub mir.“ Er lächelte wissend. „Versuch es wenigstens.“ Der General nickte. Zack hatte recht. Cutter war, von den Missionen abgesehen, immer noch ein völliger Außenseiter. Niemand würde ihr glauben. Abgesehen davon... Sie hat versucht, mich zu beschützen. Mich! Es ist sehr, sehr lange her, dass jemand das zum letzten Mal für mich getan hat... Er zwang seine Gedanken zurück in die Gegenwart. „Strategisch gesehen war die heutige Lektion wertvoll. Cutter weiß jetzt, wie ernst die Lage ist.“ „Menschlich gesehen wäre sie heute beinahe draufgegangen.“ Er schüttelte den Kopf. „Seph – in unserer Cuttie steckt ein Phoenix, ich sag´s dir!“ „Es ist nicht `unsere Cuttie´. Sie hatte Glück, sie hatte den Anzug.“ Und mich. „Deshalb hat sie überlebt. Was ist eigentlich in der Tüte neben deinen Füßen?“ „Unser Nachtisch?“ Diesmal schmunzelte der Große General sachte. „Her damit.“ In ihrem Quartier lag Cutter auf dem Bett, ließ die Ereignisse des gestrigen und heutigen Tages an sich vorbeiziehen und war heilfroh, alles lebend überstanden zu haben – auch, wenn sich gewisse Dinge grundlegend verändert hatten. Behutsam tastete sie nach den Scherben in ihrem Kopf. Sie waren immer noch da, fühlten sich aber wesentlich stumpfer an als noch vor ein paar Stunden. Vielleicht – hoffentlich – würde sich irgendwann etwas Neues aus ihnen zusammensetzen lassen. Aber eine Gewissheit würde bleiben: Sephiroth war nicht Ok. Nach allem, was Cutter erfahren und gesehen hatte... Kein Mensch konnte unter diesen Umständen OK sein. Und obwohl der General in ihren Augen nichts an Stärke verloren hatte, so wusste sie doch: Die Bilder würden sie noch lange, lange Zeit begleiten. Vielleicht sogar für den Rest ihres Lebens. Um sie daran zu erinnern, wie leicht eine Fassade einstürzen und wie brutal die dahinter verborgene Wahrheit sein konnte. Und apropos `Wahrheit´... Er hat versucht, es zu verbergen, aber ich habe gesehen, wie überrascht er war, als ich ihm sagte, er habe eine Line. Dabei haben doch alle Menschen eine Line, es sei denn, sie sind Blue Wanderer wie ich. Er ist definitiv keiner, also warum diese Überraschung? Etwa wegen des Flügels? Schlagartig fiel ihr ein, wie Toron Sephiroth genannt hatte. `Monster´. So ein Quatsch, dachte Cutter ärgerlich. Bloß, weil er einen Flügel hat, ist er doch kein Monster! Seine Line befindet sich bei denen der Menschen! Blue Wanderer haben überhaupt keine Line. Sind wir deshalb Monster?! Nein! Sie hielt einen Augenblick in ihren Überlegungen inne. Gut, ich kann seine Line nicht lesen. Aber was heißt das schon? Obwohl... könnte nicht dieser Hojo da überall mit drin hängen? Toron hat gesagt... Schluss jetzt! Ich will nicht über Toron nachdenken oder ihr glauben! Sie ist eine fiese, brutale Kidnapperin und Rebellin, sogar Rebellenführerin, hat keinen Respekt vor Sephiroth, auf mich geschossen, und überhaupt... Sie ist wunderschön. Trotz dieser seltsamen Augen. Ob sie krank ist? Vielleicht ist sie deshalb so schlecht drauf... Ich wüsste zu gerne, woher sie Sephiroth-sama kennt... Habe ich nicht vorhin `Schluss!´ gedacht?! Sie zwang ihre Gedanken in eine andere Richtung. Sephiroth war... heute kurzfristig so anders gewesen. Sanft. Ob er ein schlechtes Gewissen gehabt hatte? Vielleicht sogar Schuldgefühle? Das wäre aber doch Unsinn. Er kann nichts dafür... Aber irgendwie hatte Cutter das Gefühl, als habe sie heute eine verborgene Seite an dem sonst so distanzierten General entdeckt. Und sein Lachen... Die Erinnerung ließ einen warmen Schauer über den Rücken des Mädchens laufen. Am liebsten hätte sie es immer wieder und wieder gehört. Da dies jedoch völlig ausgeschlossen war, blieb ihr nur, es irgendwo in ihrem Herzen zu verwahren. Dabei war die Frage absolut ernst gemeint... Und... hat er mich nun aus- oder angelacht? Dann ließ sie eine andere Erinnerung unwillkürlich grinsen. Er hat mich `Ghost Walker´ genannt... Das heißt dann wohl, mein Antrag ist doch bewilligt? Auch, wenn es nur zwischen uns beiden ist. Noch ein Geheimnis, das wir uns teilen. Und was diese andere Sache angeht... „Du bist kein Monster“, wisperte der Teenager. „Ganz egal, was andere sagen! Du bist keins!“ Irgendwo in den Slums verzog Tyrer skeptisch das Gesicht und sah zu seiner Diskussionspartnerin/Chefin hinüber. „Muss diese Aktion wirklich sein? Sie wird nichts bringen.“ „Oh Tyrer, wir haben das schon mindestens einmal diskutiert, und du kennst meinen Standpunkt. Man muss den Feind immer beschäftigen. Und die Gelegenheit ist günstig!“ „Ich bin dagegen. Bitte ignorier es diesmal nicht.“ „Tyrer, du bist eine Spaßbremse! Na schön, ich überlege es mir.“ „Danke. Ich bin in ein paar Tagen wieder da. Versuch... noch da zu sein, bis ich zurückkomme.“ Mit äußerst gemischten Gefühlen verließ er das Versteck und mischte sich unter die Bewohner der Slums. Die zurückgelassene Rail griff nach einem Bleistift, der die Firmeninitialen der Electric Power Company trug, begann, ihn hin- und herzudrehen... und zerbrach ihn schließlich ruckartig in zwei Teile, betrachtete das in der Mitte gespaltene ShinRa Logo. Konnte es ein besseres Omen für ein geplantes Attentat geben? Rail lächelte zufrieden und rollte die Pläne auf dem Tisch aus. Kapitel 27: Anschlag mit Folgen ------------------------------- Es war einer jener Tage, in denen von Anfang an Dynamit in der Luft zu liegen schien, die zu erhöhter Vorsicht rieten und dem Unterbewusstsein das Bevorstehen von uneingeplanten Aktionen zuflüsterten. Sephiroth lauschte sehr genau, um die Stimmung richtig einschätzen zu können und nahm letztendlich seinen gewohnten Platz im ShinRa Universum mit erhöhter Aufmerksamkeit ein. Bis auf weiteres jedoch liefen alle Vorgänge in den gewohnten Bahnen. Sephiroth verhinderte Dramen (oder ordnete sie an), bearbeitete seine Mails, den üblichen Papierkram, erledigte Anrufe und nahm gegen Mittag wie gewohnt die Post entgegen. Für gewöhnlich befand sich unter all den Mitteilungen nichts aufsehenerregendes. Diesmal jedoch... Er schmunzelte. Nicht die erheiterte, mit Sternschnuppengeschwindigkeit vorbeiziehende Version, sondern die düstere `Sei froh, dass der Lebensstrom auch einzelne Körperteile annimmt!´ Variante. Verstehe. Du willst, das ich über dich nachdenke. Mich frage, was du wohl vorhast. Ich mag Anspannung, weißt du? Und ich hatte schon zu lange keine mehr... Die Erinnerung an das vor einigen Tagen bezüglich Torons geführte Gespräch mit Shinra und dessen beinahe gelangweiltes `Kümmern Sie sich darum, General Crescent´ erwachte. Es schien, als würde sich eine entsprechende Gelegenheit in Kürze ergeben... Ohne das düstere Lächeln fallen zu lassen, führte er ein Telefonat, und nur wenige Minuten später nahm Cutter nach entsprechender Aufforderung vor dem Schreibtisch Platz. „Sir, wenn es um das Simulatortraining geht...“ „Negativ. Wir haben Post.“ „Wir?“, fragte der Teenager überrascht. „Toron lässt dich schön grüßen und teilt mir mit, dass sie sich `etwas ausborgen´ möchte. Keine näheren Angaben zum eigentlichen Zielobjekt, daher habe ich dich rufen lassen. Du bist die Einzige, die innerhalb kürzester Zeit sowohl Gegenstände, als auch Personen aufspüren kann. Bis es soweit ist, beschäftige dich mit den M.I.A. Akten.“ Lange, das sagte ihm sein Instinkt, würde es nicht dauern, bis ein zerknirschter oder panischer Hilferuf bei ihm einging. Und ich, dachte der General, werde es regeln. Tief in sich spürte er finstere Freude aufsteigen. Seit Tagen hatte er nur an diesem Schreibtisch gesessen um den verdammten Papierkram zu erledigen. Die angekündigte Rebellenaktivität bot eine willkommene Möglichkeit, all die aufgestaute Energie abzubauen, und Sephiroth fühlte sein Herz ein wenig schneller, beinahe ungeduldig, schlagen. Ihm gegenüber griff Cutter nach einer der bereitgelegten M.I.A. Akten, hielt inne... „Weißt du“, sagte sie leise, „es klingt absurd, aber irgendwie... hatte ich gehofft, Toron hätte mich vergessen oder angenommen, ich sei bei dem Sturz gestorben oder... irgendwas in der Art.“ „Diese Hoffnung kannst du jetzt getrost begraben.“ Cutter nickte wortlos, seufzte leise und begann mit der Arbeit. Es dauerte Stunden. Aber dann... klingelte das Telefon. Unterwürfig. Sephiroth ließ es einige Male läuten, ehe er das Gespräch annahm. „Ich kümmere mich darum“, sagte er schließlich, legte auf und holte Cutter nur mittels direktem Blickkontakt aus den Lines zurück. „Die Army“, teilte er nach kurzer Zeit und nicht ohne einen winzigen Funken Heiterkeit mit, „erbittet mit Dringlichkeitsstufe 1 Blue Wanderer Unterstützung.“ Eine mehr als außergewöhnliche Anfrage. Army und SOLDIER waren nicht besonders gut aufeinander zu sprechen... Aber Cutter verkniff sich jeden Kommentar. „Was soll ich suchen?“ „Drei Raketenwerfer vom Typ ZYK 666.“ Jetzt allerdings blinzelte der er Teenager verblüfft. Der ZYK 666 war eine der beeindruckendsten Armywaffen. 50 Raketen mit immenser Durchschlagskraft konnten mit ihm transportiert und nahezu gleichzeitig abgeschossen werden. Der Clou bestand in der Möglichkeit, die Raketen einzeln zu lenken. Eine extrem schwer einschätzbare Waffe. Außerdem war sie riesig und auffällig. So etwas zu verlieren... Cutter prustete vergnügt. „Das ist nicht witzig“, grollte Sephiroth. „Doch, ist es! Und im Grunde bist du auch amüsiert, du kannst dich nur besser beherrschen als ich!“ „Finde sie bitte... trotzdem, bevor Toron Gelegenheit zur Aktivierung bekommt.“ Cutter grinste, ging ohne ein weiteres Wort zu verlieren on-line und meldete nach kurzer Zeit: „Gefunden. Beziehen gerade in der 46sten Stellung und richten sich aufs ShinRa HQ aus – was habe ich gerade gesagt???“ Showtime!, dachte Sephiroth und brachte mittels einer Tastenkombination das Sicherheitssystem an den toten Punkt kurz vor dem Alarm und den damit verbundenen, automatisch auslösenden Schutzvorrichtungen am HQ. Seine folgenden Befehle an Cutter waren klar und unmissverständlich. Nur Sekunden später griff er nach Masamune und verließ das Gebäude auf dem schnellsten und unauffälligsten Weg, allein, denn einerseits reichte die Zeit nicht aus, um Verstärkung zu rufen - andererseits war sie unnötig. Sephiroth benutzte die Hausdächer, um ungesehen und schnell vorwärts zu kommen, überwand auf seinem Weg mühelos Hindernisse, die andere weit zurückgeworfen hätten und ließ den ShinRa Komplex hinter sich zurück. Nichts deute darauf hin, dass sich dieser nur schlafend stellte. In wenigen Sekunden würde Cutter den Alarm auslösen, das Gebäude in Verteidigungsstellung versetzen – somit die Rebellen warnen, aber bis dahin würde er schon zu nahe sein... Unaufhaltsam näherte er sich seinem bereits sichtbaren Ziel. Die ZYK mochten beeindruckend sein – aber sie besaßen auch Schwachstellen. Das Computerbetriebssystem war grundsätzlich überlastet und neigte zu Abstürzen, die einen kompletten Systemneustart erforderten. Solange der Bordcomputer hochfuhr, war die gewaltige Waffe gelähmt. Die Army hatte mehrfach auf diesen Zustand hingewiesen – erfolglos. Jetzt eröffnete diese Fehlfunktion eine winzige (und von ShinRa genau einkalkulierte?) Chance, die drohende Katastrophe abzuwehren. Zwei der Maschinen waren, besorgt beobachtet von Dutzender bewaffneter Gestalten, immer noch dabei, sich mühsam in Angriffsposition zu ruckeln. Der dritte Raketenwerfer war zweifellos schon bereit, die 50 tödlichen Geschosse abzufeuern. Sephiroth beschleunigte das Tempo noch einmal, fegte über die Dächer wie die schwarzsilberne Inkarnation von Tod und Verderben. In seinem Büro lehnte sich Rufus Shinra in seinem bequemen Sessel zurück und verschränkte nachdenklich die Arme. Er verfolgte die Geschehnisse um sich herum stets mit größter Aufmerksamkeit, um nicht eines Tages von ihnen überrumpelt zu werden. Seine Augen und Ohren waren überall, und man sagte ihm nach, zu wissen, was andere planten, noch bevor sie selbst es wussten. Er liebte es, die Kontrolle zu haben und andere dies wissen zu lassen. Die Anweisungen einer anderen Person anzunehmen gehörte nicht zu den bevorzugten Optionen. Speziell nicht, wenn sie ursprünglich von Sephiroth kamen. Diese Tzimmek Cutter... Von allen Blue Wanderern war sie die Einzige, deren Fähigkeiten sich trotz intensivster Beobachtung nicht so exakt einschätzen ließen wie die ihrer Kollegen, deren Grenzen Rufus bestens bekannt waren. Sie war... anders. Außerdem arbeitete sie eng mit Sephiroth zusammen. Zu eng? Obwohl Rufus über alles diesen Mann betreffende bis ins letzte Detail informiert wurde, gelang es Sephiroth immer wieder, zu verblüffen und rätselhaft zu bleiben. Außerdem wusste Rufus, dass er dem General nicht im falschen Moment den Rücken zuwenden durfte, wenn er nicht frühzeitig im Lebensstrom enden wollte. Wie also ließ sich die durch Tzimmek übermittelte, ursprünglich von Sephiroth in Auftrag gegebene Anweisung, den Schutzraum aufzusuchen, einschätzen? Elenas „Sir?“ riss ihn aus seinen Gedanken. Alle Anrufe aus Sephiroths Büro wurden automatisch auf den Lautsprecher des Telefons gelegt, und so waren auch die beiden Turks im Büro informiert. Rufus traf eine Entscheidung. „Wir bleiben hier!“ In seine Worte mischte sich das Heulen des von Cutter ausgelösten Alarms. Sephiroth konnte den durchdringenden Warnton förmlich spüren, ebenso wie das rhythmische Flackern der roten Hinweislichter in den Fluren und Büros der hochrangigen Offiziere; dasselbe galt für die sich blitzartig vor die Fenster schiebenden Stahlplatten. Er lächelte düster. Seine Berechnungen waren perfekt gewesen. Die ZYK und deren Wachleute befanden sich unmittelbar vor ihm am Boden, und ihre gesamte Aufmerksamkeit galt dem urplötzlich in Verteidigungsstellung befindlichen ShinRa Gebäude. Niemand rechnete mit ihm... Der General stieß sich kraftvoll vom letzen Dach ab, sprang. Sonnenlicht ließ die Klinge des legendären Katanas aufgleißen in der lautlosen Versicherung absoluter Gnadenlosigkeit, ein letzter Funken Licht, bevor es für viele dunkel werden würde. Den ersten, todbringenden Schlag erhielt ein unvermittelt auftauchendes Monster. Mit Halsband!, dachte Sephiroth. Wie damals in Sumpf und Dschungel. Der Plan zur weiteren Vorgehensweise stand klar vor seinem geistigen Auge, noch bevor der General zwischen den Rebellen landete. Sephiroth wartete nicht ab, bis sich deren Entsetzen über sein unvermitteltes Auftauchen in Aggressivität verwandelte. Mit im wahrsten Sinne des Wortes mörderischem Tempo näherte er sich seinen wahren Zielen. Ein weiteres Monster stellte sich in seinen Weg. Sephiroths Antwort bestand in einem doppelten `Eis 3´ Zauber, den er wirkte, ohne sich auch nur einen Sekundenbruchteil aufhalten zu lassen, und dasselbe galt für die ihm entgegenrasenden MG Salven, von denen nicht klar zu erkennen war, warum sie ihr Ziel letztendlich doch verfehlten. Zu schnell, zu chaotisch war der Kampf. Die ZYK 666 befanden sich jetzt in direkter Reichweite. Mit Masamune wäre es eine Kleinigkeit gewesen, die Maschinen mittels eines einzigen Schlages zu zerstören. Aber aktueller Stand und die Bestückung mit scharfer Munition ließen eine derartige Vorgehensweise nicht zu. Sephiroth entschied sich für eine andere, ungefährlichere und wesentlich kostengünstiger zu reparierende Variante. Jede Maschine war nur so gut wie ihre Kabel. In diesem Fall verliefen die anvisierten Schwachpunkte durch das stählerne Verbindungsstück zwischen Transportfahrzeug und Abschussgestell der Raketen, und die einzige Chance auf Erfolg bestand in der Zerstörung aller Verbindungsstücke – gleichzeitig. Blitze aus blaulilaner Energie zuckten um die Klinge des Katanas, während der General sein Ziel fixierte und dann mit einer kraftvoll beherrschten Bewegung die Attacke von sich schleudert. Ein heftiges Zittern durchlief die Abschussvorrichtungen. Und dann... langsam... ganz langsam... begannen sie zu schwanken, zu rutschen, kippten über und landeten donnernd auf den Transportfahrzeugen, deren Reifen unter der unsanft abgelegten Last platzten wie Luftballons. Armyschrott, dachte Sephiroth unwillkürlich und sah sich gleichzeitig aufmerksam um. Wer nicht tot war, hatte die Möglichkeit zur Flucht genutzt. Die Lage schien soweit unter Kontrolle... aber das Gefühl von drohender Gefahr verblasste ebenso wenig, wie das durch den Körper des Generals rasende Adrenalin. Es war noch nicht vorbei... Komm schon, Toron! Du hast mir diese Einladung nicht geschickt, um der Party selbst fern zu bleiben. Wo bist du? Ganz in der Nähe, soviel stand fest. Makogetränkte Augen scannten die Umgebung auf der Suche nach einem verräterischen Hinweis – und wurden schließlich fündig im flüchtigen Aufblitzen zweier auf ein Fernglas hindeutender Lichter in einem Gebäude etliche Hundert Meter entfernt. Toron ließ die Sehhilfe langsam sinken und stöhnte leise auf, hinsichtlich des sich ihr bietenden Anblickes. Sephiroth kam ihr mit der für ihn legendären Entschlossenheit und Stärke entgegen, einmal mehr die perfekte ShinRa Symphonie des Todes, unaufhaltsam, gnadenlos und so schnell, dass binnen weniger Sekunden jeder Gedanke an Flucht sinnlos war... sie die Wärme seines Körpers fast schon spüren konnte... Erst dann warf Toron ihm eine Kusshand zu, lächelnd – und zückte die bisher hinter ihrem Rücken versteckte Fernbedienung, drückte den roten Knopf... Und aus einem Versteck unmittelbar neben des Hauses erhob sich fauchend und zischend eine einzelne Rakete und steuerte pfeilschnell auf das fast schon vergessene ShinRa Gebäude zu. „Sir, ohne den Anschein von Respektlosigkeit erwecken zu wollen, aber wir sollten uns wirklich in den Schutzraum begeben.“ Elena warf Tseng einen hilfesuchenden Blick zu, und der griff ihr mit einem: „Dort sind Sie in Sicherheit, Sir!“, unter die Arme. „Seit wann sind die gefürchteten Turks solche Spielverderber?“ Kopfschüttelnd wandte er sich wieder seiner Arbeit zu. Tseng und Elena wechselten entnervte Blicke. Bisher hatte ihr sturer Chef alles, was andere in seiner Position augenblicklich in einen sicheren Schutzraum getrieben hätte, konsequent und arrogant ignoriert: Die Warnung, den nur wenige Sekunden später ausgelösten (und immer noch blökenden) Alarm, die Tatsache, dass sich vor sein Bürofenster – als einziges im ganzen Komplex - keine schützenden Stahlplatten geschoben hatten... „Und stellt diesen albernen Alarm ab, bevor ich Kopfschmerzen bekomme!“ Elena führte den Befehl aus, wandte sich wieder um... „Sir.“ Ihre Stimme klang völlig beherrscht. „Wir sollten gehen. Jetzt!“ „Turk, Sie fangen an mich zu stören. Das ist nicht ungefährlich!“ „Natürlich Sir.“ Sie nickte verstehend. „Aber ich befürchte, die auf uns zukommende Rakete ist das ebenso.“ Präsident Shinra warf einen gelangweilten Blick über die Schulter. Wenige Hundert Meter von dem herrlichen Panoramafenster entfernt glänzte das Sonnenlicht fröhlich auf einer sich rasch nähernden Rakete auf direktem Konfrontationskurs mit dem Büro. „Tatsächlich“, kommentierte Rufus mit der Coolness eines ganzen Eisberges – und wandte sich gänzlich unbeeindruckt wieder seiner Arbeit zu. „Sephiroth wird sich darum kümmern.“ Das Verhältnis zwischen Präsident Shinra und General Crescent glich einem Schachspiel, dessen Oberfläche das Universum der Electric Power Company darstellte. Jeder der beiden Männer besaß eine den Gegner betreffende Strategie, die – je nach Herausforderung – in unterschiedlichen Erkennungsstufen dargelegt wurde. Einerseits sah Rufus in Sephiroth nur eine Marionette, die an den von ihm und Hojo geknüpften Fäden hing. Andererseits jedoch... bisher hatte noch jeder, der den General unterschätzte, mit dem Leben bezahlt. Sephiroth hingegen war klar, dass Rufus und Hojo eng zusammenarbeiteten um Macht und Einfluss ShinRas weiter auszubauen und zu stärken. Und Rufus wusste, dass sowohl er, als auch der kaltherzige Wissenschaftler durch die Hand des Generals sterben würden, sobald sich die Gelegenheit dazu bot. Genau hier lag der Schlüssel für die momentane Gelassenheit des Präsidenten. Sephiroth würde nie zulassen, dass mich eine simple Rakete erledigt. Er will das selbst tun und mir dabei in die Augen sehen. Momentan habe ich nichts zu befürchten. Tseng und Elena wechselten einen weiteren Blick, gaben sich gegenseitig gleichzeitig das Signal zum Eingreifen. Präsident ShinRa würde nicht in Gegenwart zweier Turks sterben! Ihre Ehre als Elitekämpfer ließ das nicht zu. Rufus entging nicht, wie sich ihre Körper anspannten und ließ sich zu einer Warnung herab, welche das ursprüngliche Vorhaben seiner Leibwächter ausbremste. Ich will ihn sehen... Tseng schätzte die momentane Entfernung der Rakete auf knapp 400 Meter. 300... 200... 150... 100... 50... Eine Explosion aus lebendigem Silber und Schwarz unmittelbar vor dem Fenster. Das Glühen zweier grüner Augen, hinter denen reines Mako tobte. Der energische und präzise Schlag mit einer Waffe, die noch nie ihr Ziel verfehlt hatte... Eine Wand aus Feuer zerriss die Sicht, verwandelte den Angreifer in einen schwarzen Schatten und verschlang ihn in sich, schlug hart gegen die Scheibe, sandte eine ungefähre Ahnung der tatsächlichen Hitze in den Raum... und verwandelte sich nur eine Sekunde später in Myriaden aus davon wirbelnden, großen und kleinen harmlosen Funken. Inmitten des zerschlagenen Feuers wandte Sephiroth den Kopf in Richtung Scheibe. Rufus hatte seinen Sessel mittlerweile vollständig gedreht. Die beiden Turks flankierten ihn. Nur getrennt von Sicherheitsglas begegneten sich zwei Blicke. Dein Tod gehört mir!, dachte der gefürchtetste Schwertkämpfer ganz Gaias. Dein Tod gehört mir!, dachte der einflussreichste Mann ganz Gaias. Die körperlose Begegnung dauerte nur eine Sekunde. Dann verschwand Sephiroth genauso urplötzlich, wie er aufgetaucht war und ließ eine Aussicht zurück, der alle gewonnenen, verlorenen oder noch aktiven Kämpfe ziemlich wenig bedeuteten. Es dauerte über eine Stunde, ehe der General sein Büro wieder betrat. Seine Ankunft ließ Cutter aufspringen. Mit Hilfe der Lines hatte sie den Kampf genau verfolgt, aber was Toron anging... „Hast du sie???“ Sephiroth Antwort bestand in einem riesigen, runden Gegenstand, den er im Vorbeigehen um den Hals des Teenagers legte, ehe er in aller Ruhe wieder seinen Platz hinter dem Schreibtisch einnahm. „Ich schätze“, murmelte Cutter, „das heißt `Nein´... Mist.“ Das empfundene Gefühl ließ sich nicht als `Enttäuschung´ definieren. In einem solchen Kampf innerhalb eines Sekundenbruchteils zwischen `töten´ oder `retten´ entscheiden zu müssen... Der Schutz des Präsidenten hatte Vorrang. Immer! Aber... „Wenn er in den Schutzraum gegangen wäre“, murrte sie, „hättest du gewonnen! Warum...“ Sie verstummte. Erst nach einem Augenblick fragte sie leise: „War das naiv, zu erwarten, er würde auf jemanden wie mich hören?“ „Vergiss Shinra“, ordnete Sephiroth ruhig an. Mit Sicherheit hatten auch Tseng und Elena versucht, ihren Chef zum Gehen zu bewegen – ebenso erfolglos. Rufus Shinra gehörte zweifellos zu der Sorte Menschen, die Anweisungen nur dann befolgten, wenn sie einen Sinn darin sahen. Cutter versuchte, nicht zu niedergeschlagen zu wirken. Gezielt ignoriert zu werden beinhaltete eine ganz besondere Art von Schmerz. Nicht einmal die Gewissheit, keinen Fehler gemacht zu haben, tröstete. Um sich abzulenken nahm sie den immer noch um ihren Hals baumelnden Gegenstand näher in Augenschein. „Das ist ein... Halsband.“ „Erinnerst du dich an unsere gemeinsamen Missionen im Sumpf und im Dschungel?“, erkundigte sich der General. „Die Monster dort trugen exakt dieselben Halsbänder. Anscheinend haben die Rebellen eine Möglichkeit gefunden, Monster zu zähmen oder wenigstens zu kontrollieren.“ Cutter drehte und wendete den Gegenstand. „Und hiermit werden sie kontrolliert?“ „Ich halte es eher für ein Erkennungszeichen. Die soeben gegründete Spezialabteilung versucht gerade, näheres herauszufinden.“ Das von Sephiroth eingefrorene Monster war binnen Rekordzeit ins HQ gebracht worden. „Ich möchte wissen, ob es an diesem Halsband irgendetwas außergewöhnliches gibt.“ Während Cutter mit der Untersuchung begann, widmete sich der General wieder dem Bildschirm - und unterdrückte ein verächtliches Schnauben hinsichtlich der letzten e-mail. Präsident Shinra ließ ihn wissen, dass ihm die Reparaturkosten der drei Raketenwerfer vom Typ ZYK 666 vom nächsten Gehalt abgezogen werden würden. Für einen Sekundenbruchteil wollte sich der General zu einer Antwort hinreißen lassen. Dann jedoch ließ er es sein. Der Tag wird kommen, Shinra, an dem du wesentlich mehr zu beklagen haben wirst als deine Waffen! So finster seine Gedanken waren, die Cutters liefen im völligen Kontrastprogramm. Ihre Erleichterung über seine Unversehrtheit war stärker als alles andere. Es ist unglaublich. Er kämpft gegen Monster, Rebellen, Raketen, MG´s... ganz alleine... und hat nicht einen einzigen Kratzer. Er hätte sterben können gerade. Stattdessen sitzt er hier und verhält sich, als sei nichts gewesen. Aber... wenn dieser Hojo ihn ruft, wird er wieder ins Labor gehen, und zulassen, dass man ihm weh tut... Ich verstehe das nicht. Trotz Zacks Erklärung. „Stimmt etwas nicht, Cutter?“ „Mh? Nein, nein, alles in Ordnung, ich... überlege... nur...“ Ich verstehe es nicht. Sie riss sich zusammen, so gut es ging, untersuchte das Halsband weiter und entdeckte schließlich eine in das Leder eingravierte Buchstaben- und Ziffernfolge – eine Frage später allerdings war klar, dass dieses Rätsel nicht für sie bestimmt war. Der Klang von Sephiroths dunkler Stimme allerdings brachte sie dazu, abermals (wie um sich erneut von seiner Existenz in diesem Raum zu überzeugen) aufzusehen. Du hättest tot sein können... Einfach so... „Sephiroth-sama? Darf ich was fragen?“ „Schließt das diese Frage mit ein?“ In seiner Stimme schwang ein Hauch Heiterkeit mit – gerade genug, um eine Erlaubnis zu verdeutlichen. „Das vorhin... dieser Alleingang...“ Ihre Stimme klang ganz leise. „Hattest du keine Angst?“ Es war einer jener seltsamen Momente, die nur Cutter heraufbeschwören konnte, indem sie Fragen wie diese stellte, Augenblicke schuf, in denen sich Sephiroths Empfinden und Logik ineinander verbissen und nicht wieder losließen. Ihn dazu brachten, anders zu denken. Sich zu erinnern. Ich weiß es nicht. Früher hatte ich bestimmt oft... Angst. Es gab genug Gründe. Aber... Hojos beherrschende, eisige Stimme erklang in seiner Erinnerung. „Gefühle sind nur unnötiger Ballast, Sephiroth! Ganz speziell deine interessieren niemanden, also wirf sie weg!“ Wie oft hatte er diesen Satz gehört? Wann hatte er begonnen, daran zu glauben, sich danach zu richten? Seine Empfindungen einzusperren? Den Eispanzer um sein Herz zu errichten und zu verstärken? Und was, dachte er mit unwillkürlicher Gereiztheit, spielen diese Fragen für eine Rolle?! Dennoch klang seine Stimme völlig ruhig – und beinhaltete sogar eine gewisse Art Erheiterung. „Ich ziehe es vor, Angst auszulösen.“ „Aber du hättest sterben können! War dir das ganz egal?“ Sephiroth schwieg einen Moment. Während eines Einsatzes zu sterben... Wann hatte er zum letzten Mal daran gedacht? Es musste... Jahre her sein, so fremd erschien ihm dieser Gedanke mittlerweile. Und so absurd. Ich schätze, das sollte... anders sein. Es dauerte länger und geschah seltener – aber auch SOLDIER konnten sterben. Viele von ihnen schrieben daher vor schwierigen Einsätzen Briefe, Worte, die ihnen auf der Seele brannten und noch jemanden erreichen sollten um... irgendetwas zu bewirken. Abgeschickt wurden sie meistens durch im HQ zurückgebliebene Personen. Freunde. Zack (Spaßvogel Zackary Fair!) gab seine Briefe prinzipiell bei Sephiroth ab, und einer von ihnen... Einer von ihnen ist für mich. Dem mittlerweile doch sehr ramponierten Zustand nach zu urteilen, immer derselbe. Ich habe mich noch nie gefragt, was darin steht... Und bisher habe ich ihm diesen und jeden anderen Brief stets ungeöffnet wieder mitgegeben. Mitgeben können? Jemand wie Zack stirbt nicht. Das ist... absolut unmöglich. Sephiroth selbst hätte ebenfalls Briefe schreiben können. Bergeweise, gemessen an seinen zahlreichen, höchst gefährlichen und komplizierten Einsätzen. Aber es gab niemanden, dessen Name das Adressfeld füllen konnte. Und so gab es auch keine Briefe. Abgesehen davon... ich wüsste nicht, was ich schreiben sollte. Und wozu. Und... ob es den Empfänger überhaupt interessieren würde. Ich schätze, das ist auch der Grund für meine Furchtlosigkeit. Ich habe keinerlei Interesse daran, zu sterben. Und obwohl ich natürlich nicht unsterblich bin - der Tod scheint mein Desinteresse zu respektieren. „Hattest du“, antwortete er schließlich auf die eigentliche Frage des Teenagers, „seitdem du die 2nd Lines gefahrlos betreten kannst, jemals Angst davor?“ Und als Cutter den Kopf schüttelte, fuhr er fort: „Warum, denkst du, ist das so? Weil dir bewusst ist, dass nur du es tun kannst. Und irgendjemand... muss es tun.“ Cutter erkannte die Parallelen und nickte langsam. Niemand außer Sephiroth wäre vorhin in der Lage gewesen, so schnell und erfolgreich zu handeln. Aber Furchtlosigkeit konnte so viele weitere Gründe haben. Routine. Provokation. Druck. Zwang. Unwissenheit. Gleichgültigkeit. Mut. Die Liste ließ sich nahezu endlos fortsetzen. Was trifft auf dich zu? Die dunkle Stimme des Generals riss sie aus ihren Gedanken. „Hast du schon Ergebnisse?“ Cutter schüttelte den Kopf. Außer der Größe wies das Halsband keinerlei Besonderheiten auf und hätte, linestechnisch, leicht mit der Hundeversion verwechselt werden können. Toron hat ganz bewusst gängige Materialien verwendet, dachte Sephiroth. Kein schlechter Schachzug. Mal sehen, was der Computer zu dem Code sagt. Ich habe eine dunkle Ahnung... Seine Finger glitten über die Tastatur, und dann lag das nüchterne Ergebnis vor ihm. Toron... Hiermit bist du nie in Kontakt gekommen. Diese Informationen gehören zu ShinRas größten und finstersten Geheimnissen. Wenn sie publik werden, wird Midgar ein nie da gewesenes Blutbad erleben. Und nicht nur Midgar. Kein ShinRa Mitarbeiter auf ganz Gaia wird mehr sicher sein! Und wenn die Information im PC nicht korrekt war? Er warf einen Blick auf das entsprechende Kürzel. Es bestätigte ihm die 100%ige Richtigkeit der Angaben. Woher weißt du hiervon? Die diesem Status zugrunde liegenden Informationen werden ausschließlich zwischen Hojo und Shinra ausgetauscht, schriftlich wie verbal. Kein Dritter ist involviert. Mein diesbezügliches Wissen ergibt sich von selbst. Wie also kannst du... Er schüttelte den Kopf. Ich muss wissen, ob es ein Zufall ist, und ich kann nicht auf die Ergebnisse der Spezialabteilung warten. Ich brauche mehr von diesen Halsbändern! Und mehr Monster! Das wird interessant. Er sah zu dem Teenager hinüber und grinste. „Stell dich auf einen langen Arbeitstag ein!“ Stunden später, gerade als die Sonne über den Rand des östlichen Horizontes blinzelte, beendete der General den Einsatz und ließ den Blick über die Beute wandern. Die Jagd nach Monstern war nichts außergewöhnliches – diesmal allerdings hatte der Schwerpunkt auf den mit Halsband ausgestatteten Exemplaren gelegen. Die meisten von ihnen waren getötet worden, eine bestimmte Anzahl allerdings befand sich jetzt in fixiertem Zustand in den Händen der Spezialabteilung. Mit Sicherheit aber lagen dem General genügend Informationen vor, um sich des Codes betreffend zu vergewissern. Tote oder Verletzte unter den SOLDIER gab es nicht. Nur einen... Verschollenen, und auf dessen Rückkehr konnte Sephiroth noch eine Weile verzichten. Er war zufrieden, auch mit Cutters Leistung, die im Aufspüren der Zielobjekte gelegen hatte. Die jetzt noch anstehende Arbeit sah ihre Hilfe vorerst nicht mehr vor. Er ließ den Teenager wegtreten, widmete sich ganz den über Nacht gesammelten Informationen und war in tiefem Nachdenken versunken, als sich die Tür öffnete und (der kurzfristig Verschollene) Zack hereinmarschiert kam, vier weitere Halsbänder auf den Tisch und sich selbst in einen der Sessel fallen ließ, die Füße auf dem Tisch platzierte und verkündete: „Seph – ich bin verliebt!“ Unbeeindruckt und wortlos griff der General nach den Halsbändern. Die ihm eben unangefordert übermittelte Information war eine von Zacks häufigsten Aussagen und somit gänzlich uninteressant. „Diesmal...“, fuhr dieser fort, „diesmal ist es für immer! Ich spüre es!“ Sephiroth warf ihm einen spöttischen Blick zu. „Nein, Zackary. Was du spürst, sind die in deiner Kleidung feststeckenden Holzsplitter. Lass deinen Kopf untersuchen, die Füllung scheint herauszukommen.“ „Splitter? Oh ja... Splitter.“ Er seufzte. „Weißt du, ich war hinter diesem Monster her und bin abgestürzt und in dieser Kirche gelandet und da war dieses Mädchen...“ Er hielt inne und seufzte abermals leise. „Sie war so...“ Er schüttelte den Kopf. „... so... Ach Seph, ich glaube, ich sterbe.“ Und als er keine Antwort erhielt: „Ihr Name ist Aerith... Und ich muss sie wiedersehen. Ich muss! Ich... ich werde alle diese Holzsplitter aufbewahren, als Erinnerung an unsere erste Begegnung.“ Sephiroth hielt den Zeitpunkt für mehr als gekommen, um Zacks Gegenwart auszublenden und sich wieder wichtigeren Dingen zuzuwenden. Ausnahmslos alle Halsbänder besaßen einen Code – aber nicht jeder Code war in der ShinRa Datenbank vertreten. Sie ist wählerisch, dachte der General mit düsterer Erheiterung. Und ich... weiß zuwenig. Ich brauche mehr Informationen! Speziell über die gefangenen Monster... Aber vorher... „Zack! Draußen steht eine einsame Parkuhr, die darauf brennt, ihre Zeit mir deiner Geschichte zu verbringen, hier hast du 10 Gil um sie zu bezahlen – raus!“ Zack verstummte. Dann aber lachte er vergnügt, stand auf, stützte sich mit beiden Armen auf dem Schreibtisch ab, lehnte sich nach vorne... „Weißt du, was ich dir wünsche, Seph? Dass auch du dich eines Tages verliebst! Das volle Programm: Schmetterlinge im Bauch, rosa Brille, Wolke Sieben... Alles! Danke für das Geld, ich werde was schönes für Aerith dafür kaufen.“ Immer noch lächelnd verließ er den Raum. Sephiroth schüttelte den Kopf. Kaum zu glauben, dass derselbe Mann in der Lage war, 4 Monster im Alleingang zu erledigen! Aber sobald Frauen ins Spiel kamen, wurde aus Zack jemand... etwas... anderes, mit dem sich der General nicht verständigen konnte. Dieses `verliebt sein´ musste einen entsetzlichen Zustand beschreiben. Absolut unverständlich, dass Zack sich ständig darin wiederfand... Die Gedanken wieder auf wichtigeres lenkend griff Sephiroth zum Telefon, um sich über die Fortschritte der Spezialeinheit zu informieren. „Ist das alles?“, erkundigte er sich dann mit bedrohlicher Sanftheit. „J-ja, Sir.“ Der Angstschweiß auf der Stirn des Mannes am anderen Ende der Leitung war förmlich hörbar. „Wi-wir arbeiten weiter dran, Sir.“ „Arbeiten Sie schneller!“ Er legte auf und ließ sich zu einem verächtlichen Schnauben herab. Wenn nicht sehr zügig brauchbare Ergebnisse vorlagen, würde er sie selbst einholen. Abgesehen davon... Er wusste, dass man ihn fürchtete – aber diese Angst so offen zu zeigen... Erbärmlich! Cutter würde niemals... Er schüttelte den Kopf. Weshalb denke ich jetzt an Cutter?! Ärgerlich über sich selbst griff nach einem der Halsbänder. Wenn die Spezialabteilung nichts findet, wird es kompliziert. Aber mein Instinkt sagt mir, dass es irgendetwas gibt. Diese Halsbänder wären sonst sinnlos. Wenn ein Leben vergeht, tritt es in den Lebensstrom ein. Materielle Dinge bleiben zurück. Als Wegweiser... Es sei denn, die Fährte ist falsch. Wir werden sehen. Sein Blick heftete sich abermals auf den eine bestimmte Information anzeigenden Bildschirm. Die Ergebnisse der Spezialabteilung werden meine Ahnung untermauern. Nur... wie gehe ich dann vor? Muss ich wirklich zum Äußersten greifen? Das Telefon klingelte. „S-Sir, wir haben erste Auswertungen. Ich versichere Ihnen, dass unsere Gerätschaften sich in einwandfreiem Zustand befinden, Sir, wir haben sie mehrfach überprüft, sie arbeiten normal, aber...“ „Was haben Sie gefunden?“ „M-Mako, Sir. Im Blut der Monster. Bei unseren Geräten liegen keinerlei Fehlfunktion...“ „Und was noch?“ „E-eine fremde Substanz. Wir ha-haben alles versucht, sie lässt sich nicht analysieren, a-außerdem löst sie sich langsam auf. Was... was sollen wir machen, Sir?“ „Versuchen Sie es weiter! Die gewonnenen Informationen sind bis auf weiteres ausschließlich an mich weiterzuleiten!“ Er beendete das Gespräch. Mako im Blut der Monster... Keine Überraschung. Was die fremde Substanz anging... Eigentlich weiß ich jetzt schon, was es ist. Aber solange mein Wissen sich nicht in Zahlen und Buchstaben verwandelt, ist es, als würde es nicht existieren. Und damit genau das passiert, muss ich... Muss ich wirklich? Er griff nach einem Stift und begann, damit langsam auf die Schreibtischoberfläche zu klopfen, versank tief in Gedanken. Aber alle seine Überlegungen drehte sich im Kreis. Mako ist sein Gebiet. Und niemand bei ShinRa weiß mehr darüber als er, ich kann es nicht leugnen. Aber gibt es denn keinen anderen Weg?! Denk nach! Es muss eine andere Möglichkeit geben! Aber dem war nicht so. Sephiroth wusste es nur zu genau, und die Existenz eines sich immer mehr verkleinernden Zeitfensters ließ längeres Zögern einfach nicht zu... Trotzdem wählte er die Nummer langsam, mit äußerstem Widerwillen, machte immer wieder Pausen, um der Inspiration neue Chancen zu eröffnen, aber letztendlich war nur noch eine Ziffer übrig. Sephiroth sagte sich, dass die Wissenschaft nicht sein Schlachtfeld, und er auf vor Blut dampfendem Boden besser aufgehoben war, alternativ auch hinter diesem verdammten Schreibtisch... Aber in dem klaren Bewusstsein, dass sein baldiger Gesprächspartner diesen Anruf als köstlichen Triumph auffassen würde, gelang es ihm nicht, das verhasste Gefühl einer Niederlage abzuschütteln. Ausgerechnet ihn an einem Lösungsweg beteiligen... So weit habe ich noch nie gehen müssen. Es kostete ihn alle Selbstüberwindung, die letzte Nummer zu aktivieren. Ein klingeln... ein weiteres klingeln... noch eines... „Ja?!“ „Professor Hojo...“ Obwohl es sich anfühlte, als zerrisse er sich innerlich selbst, seine Stimme klang völlig ruhig und gefasst. „... SOLDIER benötigt Ihre Unterstützung.“ Einen Augenblick lang herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. Und dann erklang das Kichern. Es sagte mehr als Tausend Worte, dauerte etliche Sekunden an, und selbst als es endete, schien es noch endlos nachzuhallen. „Und wie“, in seiner Stimme saß mehr Erheiterung als man es bei jemandem wie Professor Hojo hätte für möglich halten können, „kann ich dem großen General Crescent behilflich sein?“ Die nach dem Gespräch empfundene Müdigkeit war so groß, dass Sephiroth für einen Augenblick lang einfach nur bewegungslos mit halb geschlossenen Augen verharren konnte. Er fühlte sich entsetzlich. Geschlagen auf allen nur erdenklichen Ebenen. Wie von sich selbst getötet. Noch während er versuchte, einzuschätzen wie lang und tief der seinem Stolz zugefügte Riss war, öffnete sich die Tür und Zack marschierte grinsend auf den Schreibtisch zu... „Ich wollte dir nur zeigen, was aus deinen 10 Gil geworden ist.“ ... griff in seine Tasche und entnahm ihr ein sehr schmales Päckchen und diesem ein langes, rosafarbenes Band, ideales Material um eine Schleife zu binden. Eigentlich hätte Zack mit einem sofortigen Rauswurf gerechnet. Aber stattdessen – er musste ungläubig blinzeln - griff Sephiroth fast vorsichtig nach dem Band, ließ es durch die Finger gleiten und sagte schließlich leise: „Es ist hübsch, Zack.“ „Seph? Fehlt dir was?“ Sephiroth antwortete nicht sofort. Wenn man das Band auf eine bestimmte Art hin und her bewegte, begann es beinahe schüchtern zu glänzen, und für ein paar Sekunden war nichts faszinierender. Aber letztendlich verneinte er die Frage des 1st, steigerte dessen Besorgnis aber noch. Fürsorglich schob Zack den gerade erst gezogenen Kaffeebecher zu seinem besten Freund hinüber. Dieser aber reagierte nicht. Sein Blick war nach Innen gerichtet, und es dauerte eine ganze Weile, ehe sich dieser Zustand änderte. Was soll´ s. Lass Hojo diesen Triumph. Letztendlich wird er dir nur den Beweis für etwas liefern, über das du längst Gewissheit hast. „Weshalb gerade Rosa?“, erkundigte er sich und gab die Schleife zurück, griff nach dem Kaffeebecher. Das Getränk aus dem Standardautomaten würde furchtbar schmecken – war aber wenigstens warm. „Alle Mädchen lieben Rosa!“, hörte er Zack antworten. „Cutter nicht.“ „Cutter nicht? Was dann?“ „Dunkelrot. Fast Schwarz.“ „Rosa ist nur eine hellere Variante von Rot. Ich sag´ s doch, alle Mädchen lieben Rosa.“ Sephiroth warf dem strahlenden 1st einen ärgerlichen Blick zu. Er hatte große Lust, diese Sache auszudiskutieren, aber wenn man den aktuellen Zustand seines Gesprächspartners bedachte... „Du solltest dieser Aerith die Schleife bringen, Zackary, und das schnell.“ „Ja, Sir!“ Vergnügt wandte er sich um... Er hat zum ersten Mal etwas in seinen Augen sonst so nebensächliches wie eine Lieblingsfarbe erwähnt. Mir scheint, Cutters Einfluss macht sich langsam bemerkbar. Wie schön! ... und verließ das Büro. Sephiroth wandte sich wieder seiner Arbeit zu, das erneute Klingeln des Telefons erwartend. Wie es von einem Profi zu erwarten gewesen war, dauerte es nicht lange. „Komm zu deinen Geschwistern!“ Danke für die Erinnerung, Hojo, dachte der General. Vielleicht sind diese Monster und ich das tatsächlich, aber wir wollen nicht vergessen, wem wir das zu verdanken haben, nicht wahr? Er griff nach Masamune und machte sich auf den Weg. ********************************************************** Überarbeitung vorgenommen in Kapitel 25 `Finstere Überraschungen´((hoffentlich) bessere Ausarbeitung der Szene, in der Zack Cutter tröstet.) Kapitel 28: Vorbereitungen -------------------------- Der Weg durch die Flure des ShinRa HQ war gesäumt von der üblichen Bewunderung. Sephiroth ignorierte sie, wie immer, und betrat nur kurze Zeit später den Raum, in dem sich die Monster befanden, bewegungslos gemacht durch Eiszauber. Hojo stand unmittelbar vor ihnen, die Hände in der für ihn typischen Geste hinter dem Rücken verschränkt und schien die körperlichen Merkmale der Wesen genauestens zu studieren. Schöpfer und Geschöpfe, dachte Sephiroth unwillkürlich. Was für eine nette Familie! Beim Klang der auf ihn zukommenden Schritte wandte Hojo den Kopf, grinste, schob die ewig rutschende Brille zurück an ihren Platz, öffnete den Mund... Aber der General war schneller. „Es ist ein Makoblocker, korrekt?“ Hojos Gesicht zuckte kurz, verriet den Treffer, und als er wieder zu den Monstern sah, gestattete sich Sephiroth ein flüchtiges Lächeln. Völlig gelassen trat er neben den Professor und fügte hinzu: „Guten Abend, Mr. President.“ Rufus Shinra trat aus dem Schatten und gesellte sich wie zufällig zu dem ungleichen Duo. Für einen Augenblick hing Schweigen wie eine dicke Decke über den drei Männern, von denen jeder auf ganz unterschiedliche Art und Weise eine Machtvariante verkörperte. „Korrekt“, bestätigte Rufus schließlich. „Ich frage mich, wie die Rebellen in den Besitz dieses ursprünglich ausschließlich in unseren Händen befindlichen Serums gelangen konnten. Haben Sie vielleicht vergessen, mich über den entsprechenden Einbruch zu informieren, Professor Hojo?“ Wenn es um sein Unternehmen ging, stand Rufus Shinra nur auf einer Seite: Der eigenen. „Das von Ihnen in Auftrag gegebene Mittel war ein Fehlschlag, Mr. President. Schwierig herzustellen, noch schwieriger zu vervielfältigen und in der Wirkung äußerst unzufriedenstellend. Die Chancen einer ernsthaften Verwendung unter diesen Umständen lagen bei unter einem Prozent! Ihre wertvolle Zeit mit dieser kleinen Lappalie zu beanspruchen wäre...“ „Offensichtlich“, unterbrach der Präsident der Electric Power Company die begonnene Schmeichelei scharf, „wurde die Chance dennoch genutzt. Professor, ich toleriere keinerlei Geheimnisse bei meinen Mitarbeitern, speziell dann nicht, wenn diesen mein Geld zugrunde liegt! Sie werden nicht bezahlt, um Forschungsergebnisse zu verlieren! Ich erwarte, dass Sie General Crescent alle verfügbare Unterstützung zur Verfügung stellen, die er benötigt, um diese Sache zu klären!“ Für gewöhnlich hätte Sephiroth diese Zurechtweisung – ungeachtet, dass sie seinem größten Peiniger galt – sowie dessen unterwürfiges „Natürlich, Mr. President“ völlig kalt gelassen. Jetzt allerdings stieg ein höchst seltsames Gefühl in ihm auf. Zwar dauerte es einige Sekunden, ehe der General es als `Schadenfreude´ deklarieren konnte, dann jedoch war er mit der Empfindung mehr als einverstanden. „Guten Tag, Gentlemen!“ Sichtlich unamüsiert, aber ohne unelegant zu wirken, verließ Präsident Shinra den Schauplatz. Sephiroth warf dem Mann neben sich einen verstohlenen Blick aus den Augenwinkeln zu. Der Ärger über die seines Erachtens nach unangebrachte Behandlung war Hojo deutlich anzusehen, und obwohl es nicht ungefährlich war – diese Gelegenheit ungenutzt vorüberziehen zu lassen... Wortlos und ohne direkten Blickkontakt herzustellen streckte der General in einer fast schon herablassend wirkenden Bewegung die Hand aus – und spürte nach einigen Sekunden, wie sich der gewünschte Gegenstand hineinlegte. Widerwillig. Sephiroth lächelte. „Danke.“ Was er jetzt in der Hand hielt, war eine mit klarer Flüssigkeit gefüllte Ampulle: Der Makoblocker, bis vor kurzer Zeit noch Teil im Blut der Monster, jetzt wieder in seinen reinen Ursprungszustand versetzt. Niemand außer Hojo hätte das in einer derartigen Geschwindigkeit vollbringen können, dachte Sephiroth mit widerwilliger Bewunderung. Dann sah er zu den im Eis erstarrten Monstern auf. Ich weiß... eigentlich... müsste ich traurig sein. Oder wenigstens betroffen. Aber ich empfinde nur Gleichgültigkeit. In ihrem vorherigen Zustand waren sie nützliche Werkzeuge. In diesem Stadium sind sie für mich wertlos – bis auf das letzte zu lüftende Geheimnis. Es gehörte zu den finstersten der ShinRa Electric Power Company. Rufus hasste Verschwendung – auch die menschlichen Lebens. Und so stand Hojo ein unendlicher Nachschub für das Labor zur Verfügung. Es spielte keine Rolle, was diese Menschen vorher gewesen waren. Obdachlose von der Straße waren Hojo ebenso willkommen, wie ShinRa Mitarbeiter, die aus diversesten Gründen `aussortiert´ worden waren. Für ihn stellten sie nichts als Körper dar, mit denen er nach Belieben verfahren konnte. Makoexperimente gehörten zu den beliebtesten Handlungen des Wissenschaftlers. Die Reaktionen der `Testobjekte´ waren zu gleichen Teilen entsetzlich wie kurios: Sie wurden zu Monstern. Bestien, die ganz Gaia unsicher machten – und gegen die etwas getan werden musste. Eigentlich, dachte Sephiroth, werden sie gleich zweimal getötet. Einmal als Mensch und dann als Monster. Ich habe immer geahnt, dass ihnen ein Funken Menschlichkeit erhalten bleibt, wenigstens für kurze Zeit. Toron hat das auch herausgefunden. Sie versucht, sie abzufangen, gibt ihnen den Makoblocker, verpasst ihnen als optischen Hinweis für Eingeweihte Halsbänder, und solange der Blocker wirkt, kämpfen sie auf Seiten der Rebellen. Das heißt auch, sie sind in ihrem jetzigen Zustand noch in der Lage, die menschliche Sprache zu verstehen... Können sie diese auch noch selbst anwenden? Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. „Sie sollten besser in Deckung gehen, Professor!“ Die Antwort bestand aus einem spöttischen Lächeln. Hojo wusste, dass sein Lieblingsversuchsobjekt nicht zulassen durfte (oder konnte), dass ihm etwas zustieß. Er bewegte sich um keinen Millimeter und demonstrierte somit äußerst anschaulich, für wie nebensächlich, um nicht zu sagen, lächerlich, er die Aufforderung des Generals hielt. Du nimmst mich nicht ernst, dachte Sephiroth. Wäre ich an deiner Stelle.... würde ich anders handeln? Schwer vorstellbar. Mit einer Mischung aus selbstbezogener Wut und Resignation deaktivierte er die eisigen Gefängnisse der Monster. Aus der unnatürlichen Erstarrung befreit, spannten sich mächtige Muskeln an zum Sprung, ließen Körper vorwärts schießen, Augen, Mäuler, Krallen, Magie, einzig und allein gerichtet auf die beiden ihnen furchtlos entgegensehenden Männer... Sephiroth legte nicht einen Finger an Masamune. Er hielt lediglich die kleine Ampulle mit dem Makoblocker hoch – und jegliche Bewegung innerhalb des Raumes erstarrte. Nichtmenschliche Augenpaare fixierten sich auf die Winzigkeit in der Hand des Generals. Totenstille herrschte bis Sephiroth sprach. Nur zwei Worte. „Ich höre!“ Als Hojos Stimme das nächste Mal erklang, haftete ihr etwas beinahe vorwurfsvolles an. „Du hast ihnen versprochen, sie frei zu lassen!“ „Ich habe sie befreit“, antwortete Sephiroth, schob Masamune zurück in die Schutzhülle und wandte sich zum Gehen. Hinter ihm begann Hojo leise zu kichern. „Deine Bemühungen um Menschlichkeit sind höchst interessant und erheiternd, lieber Sephiroth, aber vergiss nicht: Du bist ein Monster, wie sie, und du wirst immer eins bleiben! Nur die äußerliche Hülle unterscheidet euch. Im Kern seid ihr...“ „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, Professor, ich habe zu arbeiten.“ „Natürlich, natürlich. Geh nur, geh.“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren oder gar hastig zu wirken, verließ Sephiroth die Halle. Das Gespräch (oder war es doch eher ein Verhör gewesen?) mit den Monstern hatte zwar all seine Ahnungen bestätigt – allerdings weiter keine neuen Erkenntnisse gebracht. Die Bestien wusste nichts über bevorstehende Rebellenaktionen. Ihre rauen, dunklen Stimmen waren ebenso wie ihre Augen erfüllt von Wut über die zurückliegenden Ereignisse, aber in ihnen spiegelten sich ebenso Verzweiflung und die Angst, auch noch den letzten Funken Menschlichkeit zu verlieren, wieder. Und der General glaubte ihnen. Sie dennoch zu töten war eine Art Gnadenakt gewesen, denn irgendwann hätte selbst der Makoblocker die Umwandlung nicht mehr aufhalten können. Sephiroths Gedanken wanderten zu Toron. Zukünftige Pläne für sich zu behalten und alle Teilnehmer erst kurz vor Beginn der Aktion zu informieren, war strategisch gesehen ein kluger Schachzug. Ich selbst mache es mit meinen Leuten nicht anders. Gerade um in Situationen wie dieser nicht schlagartig in die Defensive zu geraten... Und ich weigere mich, die aktuelle Lage als `festgefahren´ zu bezeichnen. Ich habe einen Ansatzpunkt! Er kehrte in sein Büro zurück, beorderte Cutter ein weiteres Mal zu sich und erteilte ihr den Auftrag, mit Hilfe der die Flüssigkeit symbolisierenden Line (welche er ganz bewusst nicht als Makoblocker bezeichnete, denn Dinge, die offizielle nicht existierten, besaßen auch keinen Namen) herauszufinden, wo das Serum hergestellt wurde. Der Teenager nickte und machte sich an die Arbeit. Gleichzeitig klingelte das Telefon. Sephiroth nahm das Gespräch an... und legte wenige Sekunden später äußerst gereizt wieder auf. Weshalb sollte er sich ausgerechnet jetzt im Labor einfinden?! Hatte es noch etwas mit dem Makoblocker zu tun? Oder... Nein. Vermutlich nicht. Sephiroth kämpfte um die Kraft, den durch diesen Befehl ausgelösten Vorgang zu unterbrechen... Aber sein Körper war wie auf Automatik geschaltet. Er wies Cutter an, die gewünschten Informationen auf dem Schreibtisch zu hinterlegen, verließ das Büro und fand sich schließlich im Labor wieder. „Professor Hojo, das ist kein guter Zeitpunkt, ich habe eine Mission vorzubereiten!“ „Natürlich, natürlich. Laut Präsident Shinra habe ich dir alle nötige Unterstützung zu gewähren um dich diese wichtige Mission erfolgreich beenden zu lassen. Und deshalb... werde ich sichergehen, dass du dich in Topform befindest.“ „Ich bin...“ „Das entscheide ich!“ Sephiroth letzter Widerstand erlosch wie eine Kerzenflamme im Sturmwind, und er hasste sich dafür und für die abermals einsetzende Automatik, die ihn wie ein Kleinkind `Ja, Professor´ antworten ließ, ihn dazu brachte, alles an Schutz abzulegen, auf dem von jeder Faser seines Körpers gehassten Untersuchungstisch Platz zu nehmen und auf weitere Anweisungen zu warten. Diese kamen in gewohnt unfreundlicher, schneller Reihenfolge, und Sephiroth befolgte sie zügig, aber (mit sinnloser) Wachsamkeit. Was Hojo durchführte, trug den Deckmantel einer Routineuntersuchung – glich aber dem Vorspiel für weitaus größere Aktionen. Wie immer. Wenn er auch nur den geringsten Grund für eine Beanstandung findet, gerät die Mission in Gefahr. Und wenn es keinen gibt, mach dir keine Illusionen, erfindet er einen. Bis auf weiteres allerdings gab es keinen Grund für gesteigerte Unruhe. Sephiroth kannte alle Anzeichen einer baldigen Beendung der Untersuchung, aber selbst als sie endlich einsetzten wagte er es nicht, Erleichterung zu empfinden, sondern zog er es vor, weiterhin wachsam zu bleiben und sich auf ruhiges, gleichmäßiges Atmen und eine normale Herzfrequenz zu konzentrieren. Hojo kam mit den Röntgenbildern zurück und widmete sich deren näherer Untersuchung. Sephiroth ließ ihn nicht aus den Augen. Bisher war alles viel zu reibungslos abgelaufen. Sein Gefühl sollte ihn nicht trügen. „Und was haben wir hier?“ Das Röntgenbild zeigte nun eine Aufnahme des Flügels. Der vor einigen Tagen entstandene Bruch war gut verheilt, die Überbleibsel so minimal, dass sie jemand anderem vermutlich erst auf den vierten Blick aufgefallen waren. Hojo jedoch... „Ich warte auf eine Antwort, Sephiroth!“ „Nichts erwähnenswertes, Professor.“ Hojo wandte langsam den Kopf. „Nichts sieht anders aus! Was, wann, wo, und weshalb wurde ich nicht informiert?!“ Das Gespräch begann, in eine unangenehme Richtung zu laufen, deren Ausgang sich bereits abzeichnete. Vielleicht lag die einzige Chance einer Kursänderung in einer schnellen und wahrheitsgemäßen Antwort. „Ein Bruch. Vor einigen Tagen während einer Mission. Keine Komplikationen bei der Heilung und daher kein Bericht an das Labor.“ Hojo sah zu ihm hinüber. „Sephiroth, Sephiroth, Sephiroth.“ Er schüttelte den Kopf wie jemand, der zum wiederholten Mal denselben Gauner bei dergleichen Missetat erwischte. „Du wolltest es vor mir verbergen.“ Er kicherte. „Das kannst du nicht. Ich kenne deinen Körper besser als du.“ Als ob mir das nicht bewusst wäre, dachte Sephiroth finster. Es gibt keine Stelle, die du nicht auf irgendeine Art und Weise genauestens inspiziert hast. Den Blick des Professors jedoch erwiderte er mit der üblichen, unantastbaren Kühle, die keinen Funken seiner Gedanken verriet. Hojo mochte in der Lage sein, ihm bei vollem Bewusstsein das Hirn aus dem Schädel zu schälen, aber Gedanken blieben letztendlich auch für ihn unantastbar. Eben wandte sich der Dämon im trügerisch weißen Kittel wieder dem Röntgenbild zu, immer noch leise Kichernd. Sephiroth beschloss, den Aufenthalt hier zu beenden. Cutter hatte die Daten mit Sicherheit längst ermittelt, und jetzt galt es, auf deren Grundlage eine Mission vorzubereiten! Jede Sekunde zählte! „Was haben wir denn vor?!“ „Professor“, begann er, ohne die angefangene Bewegung langsamer werden zu lassen, während er blitzartig Worte schichtete und die dumpfe Stimme tief in seinem Inneren, die ihm die Aussichtslosigkeit jeglicher Gegenwehr versicherte, „... es warten...“ Hojo wedelte mit einer Hand in der Luft umher. „Unwichtig. Deine Gesundheit geht vor.“ „Ich bin...“ „Zu clever, um zu wiedersprechen, ich weiß! Also, sei ein braver Junge und tu, was ich dir sage. Wir wollen doch eventuelle Spätschäden ausschließen, nicht wahr?“ Es würde keine Spätschäden geben! Der Flügel ließ sich problemlos und völlig schmerzfrei bewegen! Eine erneute Behandlung war unnötig, blanker, purer Irrsinn, Zeitverschwendung... Er wagte es, zu zögern?! Hojos Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, hinter denen es unheilvoll zu funkeln begann. Gleichzeitig schob er langsam die Brille auf ihre ursprüngliche Position. Ein Signal, dessen Bedeutung sich Sephiroth nur zu bewusst war. Wenn er jetzt nicht tat, wie ihm befohlen war, würde er es zu einem anderen Zeitpunkt mit jeder einzelnen Faser seines Körpers bedauern. Gegen seinen eigentlichen Willen senkte er den Kopf. „Ja, Professor.“ Eine kalter Handschuh tätschelte seine Wange. „Braver Junge. Es wird nicht lange dauern, also... entspann dich.“ Einmal mehr klang das Zuschnappen der eisernen Hand- und Fußfesseln wie Hohngelächter. Es dauerte Stunden, ehe Sephiroth endlich sein Appartement betrat, die Rüstung ganz entgegen seiner sonstigen Angewohnheit einfach zu Boden gleiten und sich selbst der Länge nach auf die Couch fallen ließ, das Gesicht in einem der weichen Kissen barg und einen Augenblick lang in völliger Bewegungslosigkeit verharrte. Hojo hatte den Flügel – natürlich – ein weiteres Mal an derselben Stelle gebrochen, allerdings vorher, um den Heilungsprozess genauestens dokumentieren zu können, alle `Fremdkörper´ von der entsprechenden Stelle entfernt. Haut, Fleisch, Sehnen... Wie üblich ohne Betäubung. Das jedoch war nicht das Problem. Sondern die vorgezogene Makobehandlung. `Um eine schnelle Heilung zu gewährleisten´. Somit war jeder Gedanke an die erfolgreiche Durchführung einer Mission innerhalb der nächsten 24 Stunden irrelevant. Sephiroth stöhnte leise. Eine kaum verheilte Wunde in Verbindung mit Mako war... nicht angenehm. Sein Flügel fühlte sich entsetzlich an. Der General breitete ihn vorsichtig aus und ließ ihn dann langsam zu Boden sinken, in der Hoffnung, so dem Schmerz ein wenig Einhalt zu gebieten. Gleichzeitig gab er sich Mühe, nicht an den Zettel zu denken, der auf seinem Schreibtisch gelegen und die von Cutter angeforderten Angaben übermittelt hatte. Ich habe alle Informationen, die ich brauche, dachte er wütend, und bin außerstande, etwas damit anzufangen! Er hatte mehrfach versucht, in diesem makotrunkenen Zustand zu kämpfen, und war an seine absolute Grenze gestoßen. Schlafen... alles, was er jetzt tun konnte... tun musste... war schlafen -und auf die durch das Mako geweckten Bedürfnisse seines Körpers eingehen. Und warten bis die Substanz Eins mit seinem Körper geworden war. Sephiroth tat genau das. Irgendwann begann Müdigkeit nach seinem Bewusstsein zu greifen, zog es sanft mit sich in samtene, tröstende Dunkelheit irgendwo jenseits aller höheren Gewalt. Etliche Flure unter ihm versuchte Cutter verzweifelt, einzuschlafen – aber die um sie herum und mit ihr stattfindenden Geschehnisse ließen sie einfach nicht zur Ruhe kommen. Sephiroth war nicht ins Büro zurückgekehrt, und da der Teenager die Anweisung, sich von seiner Line fernzuhalten, befolgte, hatte sie einfach nur gewartet, nach Stunden den Zettel auf den Schreibtisch gelegt und dann ihr Quartier aufgesucht, im festen aber bisher erfolglosen Vorhaben, einfach nur einzuschlafen. Ihre Gedanken aber waren in Aufruhr. Wo er wohl sein mag? Hoffentlich nicht wieder im Labor...! Und wenn doch? Dann kann ich überhaupt nichts dagegen machen... Warum kann ich nie selbstständig was unternehmen?! Ich könnte mit Hilfe seiner Line... aber er hat es mir ganz klar untersagt. Und Zack, gewissermaßen, auch. Am Ende bringe ich Sephiroth-sama nur in Schwierigkeiten. Sie seufzte leise. Ich muss jetzt endlich einschlafen und Kraft sammeln, sonst bin ich nicht fit für die Mission! Wenn er mich überhaupt mitnimmt. Unter den Umständen... Wenn wir Toron begegnen... Ich könnte sie immer noch nicht... töten. Ich wäre nur ein Hindernis. Dabei... wollte ich doch etwas ganz anderes werden. Warum bin ich es nicht? Sie versank in tiefes Nachdenken. Und dann, ganz unvermittelt, wusste sie es. Die Erkenntnis war so simpel, dass Cutter sich unwillkürlich fragte, warum sie erst jetzt darauf gekommen war. Langsam schwang sie die Beine aus dem Bett, legte ihre Uniform an und verließ ihr Quartier. Wenige Minuten später, und an einem gänzlich anderen Ort, wurde ihr klar, dass sie die dümmste Idee ihres bisherigen Lebens in die Tat umgesetzt hatte. Sephiroth blinzelte schlaftrunken in die Dunkelheit. Irgendetwas... hatte ihn geweckt. Aber was? Um ihn herum herrschte Stille, auch sonst deutete nichts auf Gefahr hin. Er richtete seine Aufmerksamkeit nach Innen. Das Mako begann langsam zur Ruhe zu kommen, aber Körper und Geist waren dennoch weit von den sonstigen Höchstleistungen entfernt. Müde schloss der General die Augen, fest entschlossen, wieder einzuschlafen... aber diesmal befand sich inmitten all der Schlaftrunkenheit noch etwas anderes. Es hatte Ähnlichkeit mit einem leisen, aber äußerst beharrlichen Warnton. Cutter, dachte Sephiroth unwillkürlich, was hast du diesmal angestellt? Und dann... öffnete er ruckartig die Augen, lauschte sehr intensiv, nahm wahr, wie das Gefühl all die durch Mako bedingte Taubheit beiseite drängte und zu Panik wurde - fremd. Aber lupenrein. Und... vertraut. „Cutter!“, stieß Sephiroth durch zusammengebissene Zähne hervor, kam auf die Füße, taumelte, fing sich wieder, legte die Uniform an, griff nach Masamune. Sekunden später war er bereits außerhalb des Appartements unterwegs, das Handy am Ohr, die Nummer des Teenagers im Display. Aber niemand meldete sich. Die Panik in ihm wurde immer stärker, steuerte ohne Frage auf den Höhepunkt zu... Sephiroth erreichte Cutters Quartier, öffnete die Tür... und starrte in einem leichten Anflug von Fassungslosigkeit auf das leere Bett und den friedlich über der Stuhllehne hängenden Schutzanzug. Toron?? Wieder Toron? Oder... Er griff nach dem Anzug, verließ das Quartier, wählte eine andere Nummer. „Zack, ist Cutter bei dir?“ „Was? Kannst du ein bisschen lauter reden, die Musik ist so... warte. Jetzt. Was?“ „Ist Cutter bei dir?“ „Nein. Ist sie nicht in ihrem Quartier?“ Sephiroth legte, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, auf, schloss die Augen, lauschte ohne weiter nachzudenken auf jene seltsame Kraft, die ihn mit Cutter verband... und dann ging oder lief er nicht. Er rannte. Schlitterte um Kurven, nahm jede nur erdenkliche Abkürzung, erreichte schließlich die Simulatorkontrollräume, stürmte in Nr. 7 und hämmerte, ohne einen Blick auf die laufende Simulation zu werfen, die Faust auf den großen roten `Not Aus´ Schalter neben dem Computer. Erst dann warf er einen Blick auf dessen Bildschirm und die vorgenommenen Einstellungen. `Kameraüberwachung: Deaktiviert´ `Anzahl Gegner: Maximum´ `Munition: Real´. `Unterbrechung der Simulation mittels Stimmenerkennung: Deaktiviert´. Sephiroth knirschte mit den Zähnen und betrat den Simulatorraum. Cutter, mit dem Rücken an einer halbwegs intakten und vor einer völlig zerschossenen Mauer sitzend, ließ langsam die zum Schutz hochgerissenen Hände sinken, sah sich geschockt über die plötzlich herrschende Stille um... und begegnete dem grün lodernden Blick des auf sie zukommenden Generals. Nur Sekunden später hielt dieser vor ihr an. Der Ausdruck seiner Augen war niederschmetternd. Cutter sank in sich zusammen, wartete auf die scharfe, mehr als gerechtfertigte Rüge und die mit Sicherheit folgende Ankündigung einer entsprechenden Strafe – aber stattdessen geschah etwas, mit dem sie niemals gerechnet hätte. Sephiroth seufzte leise und dann... ließ er sich wortlos neben ihr nieder. Es dauerte nur Sekunden, ehe die mühsam aufrecht erhaltene Selbstbeherrschung Cutters in sich zusammenfiel und zu haltlosem Schluchzen wurde. „Tut mir Leid!!“ Sie war kaum zu verstehen. „Ich... ich will eigentlich gar nicht heulen, und ich hör auch sofort wieder auf, aber ich... ich... `Informationsbeschaffung und strategische Planung, aus dem Hintergrund mit Hilfe der Lines!´ Das sollte ich können! Von töten war nie die Rede, niemals... niemals... Du und Zack... ihr seid SOLDIER! Ihr wusstet von Anfang an, dass ihr... eines Tages andere Menschen töten würdet, aber... aber ich doch nicht... ich bin... bin doch ein Blue Wanderer... ich... dachte, wenn niemand im Kontrollraum aufpasst und... reale Bedingungen... “ Sephiroth machte nicht einen Versuch, den Dammbruch aufzuhalten oder dessen Verlauf zu beeinflussen. Er schwieg und wartete. Es dauerte sehr lange. Aber irgendwann wurde das Mädchen ruhiger, ließ ihren Kopf gegen seine Schulterrüstung sinken. Dem General reichte ein einzigen Blick, um zu erkennen, dass sie sich ihres Handelns nicht wirklich bewusst war. Und so ließ er sie gewähren. Die Schulterrüstung war hart und kalt – dies aber konstant und beinhaltete somit weitere Teile dessen, was Cutter nun brauchte. Irgendwann atmete das Mädchen tief ein und aus und murmelte: „Danke schön fürs trösten, Sephiroth-sama“. Das ist `trösten´?, dachte der General. Aber... „Ich habe kein Wort gesagt.“ Oder, fügte er in Gedanken hinzu, dich berührt, wie Zack es immer tut. „Du warst da“, antwortete Cutter in einer Erschöpfung, die sie sonst nur gedachte Dinge einfach sagen ließ. „Du bist immer da. Wenn ich nicht mehr weiter weiß, oder mich in große Schwierigkeiten gebracht habe, tauchst du auf. Wie machst du das nur?“ Sephiroth schwieg einen Augenblick. Er hatte keinerlei Probleme, Reden zu halten oder generell mit anderen Leuten zu sprechen (Arbeitstechnische Dinge betreffend) – aber es war ihm unmöglich, dem Teenager von dem seltsamen, sie mit ihm verbindenden Gefühl zu erzählen. „Instinkt“, sagte er schließlich. Das war immer eine gute, akzeptable Begründung. So auch jetzt. „Der mich immer wieder rettet“, murmelte Cutter. „Wenn du da bist, wird alles gut.“ Der letzte Satz hinterließ ein langes Echo in Sephiroths Kopf. Es stimmte, er bereinigte Situationen. Aber... wurde es dann wirklich gut? Die Lage veränderte sich, schlagartig, aber... Warum nur habe ich das Gefühl, wir meinen zwei völlig unterschiedliche Dinge? „Bist du fertig?“, erkundigte er sich schließlich höflich und spürte die leichte, Zustimmung signalisierende Bewegung an seiner Schulter. Diese Berührung zu beenden war längst überfällig. Eigentlich sogar hätte es niemals so weit kommen dürfen. Aber... die zuverlässig selbst Schwerter blockierende Schulterrüstung würde wohl auch den Kopf eines Teenagers noch eine Weile verkraften können. „Cutter.“ Er klang völlig ruhig. „Was bist du?“ Ihr Blick sagte: `Jemand, der gleich mächtig Ärger mit seinem General bekommt´. „Außer müde, traurig, ärgerlich und deprimiert? Ein ShinRa Blue Wanderer.“ „Falsch. Du bist ein ShinRa Ghost Walker. Ich weiß, niemand hat dich gefragt, ob du dies sein möchtest, du hattest keine Chance, es abzulehnen, und keiner wäre geeignet, eine diesbezügliche Beschwerde anzunehmen. Stimmst du mir bis hierher zu?“ Als Cutter nickte fuhr er fort: „Du hast es akzeptiert. Aber das bedeutet auch immer eine Erweiterung des eigenen Horizontes, und je größer deine Welt wird, je gewaltiger werden die auf dich wartenden Herausforderungen.“ Cutter lauschte der dunklen Samtstimme schweigend und sah, den Kopf noch immer an der Schulterrüstung gelehnt, zu dem Mann auf, dessen Blick nicht auf ihr, sondern weit, weit außerhalb des Simulatorraums zu liegen schien. Und der Teenager begriff, dass diese Worte Erkenntnisse waren, die Sephiroth im Laufe seines Lebens gewonnen hatte – manche davon bestimmt nicht im Handumdrehen, und so rührte sie sich nicht, sondern hörte weiter zu. „Aber mit jeder Aufgabe, die du erfolgreich bewältigst, wirst du stärker. Die Welt nimmt dies wahr und reagiert mit immer neuen Herausforderungen - bis zu deinem Todestag. Was ich damit sagen will...“ Er wandte den Kopf, sah Cutter nun direkt in die Augen... „die Herausforderungen eines Ghost Walkers sind größer als die eines Blue Wanderers. Und in deinem Fall kannst du sie bewältigen – oder sterben. Der Tod ist immer eine Alternative. Ob sie gut oder schlecht ist, liegt im Auge des Betrachters.“ „Ich will nicht sterben“, flüsterte Cutter. „Ich will hier bleiben. Aber jemand anderen zu töten...“ „Ist in deinem Fall die einzige Möglichkeit.“ „Sephiroth-sama?“ Cutters Stimme klang ganz leise. „Wie fühlt es sich an?“ Der General antwortete nicht sofort. Sein phänomenal gutes Gedächtnis gestattete ihm, sich bei Bedarf an jeden Menschen zu erinnern, der jemals durch seine Hand gestorben war, aber er rührte nicht an diesen Erinnerungen. Sie bedeuteten ihm nichts. Gibt es eigentlich... irgendetwas... das mir etwas bedeutet? Ich habe an vielen Dingen Interesse. Aber das sind ShinRa und SOLDIER Angelegenheiten. Sie betreffen meine Person als General Crescent. Aber was ist mit Sephiroth? Und wie definiert sich dieses `bedeuten´? Niemand hat es mir jemals erklärt... Wäre ich überhaupt dazu in der Lage? Möchte ich... dazu in der Lage sein? Seine Worte allerdings spiegelten keinen der so gegensätzlichen Gedanken wieder. „Ich töte schon solange ich denken kann. Angefangen bei meiner Mutter, die kurz nach meiner Geburt starb...“ ... und von der Hojo mir bis zum heutigen Tag so gut wie nichts erzählt hat... „über die Schlachtfelder der Vergangenheit, bis zu denen der Gegenwart. Und ein Ende ist noch nicht in Sicht.“ Vielleicht, fügte er grimmig in Gedanken hinzu, gibt es auch keines. Wer weiß, welches Ziel Hojos Experimente tatsächlich verfolgen. „Ich fühle nichts“, beantwortete er die Frage letztendlich. „Nicht mal Triumph, oder so?“ „Nein.“ „Verstehe“, murmelte Cutter. Und ein paar Herzschläge später: „Das mit deiner Mum tut mir Leid.“ „In wiefern?“ Er klang fast erstaunt. „Es tut mir Leid, dass ihr euch verloren habt. Ich bin sicher, sie wäre furchtbar stolz auf dich.“ Sephiroth war dem Teenager einen halb amüsierten, halb verlegenen Blick zu, sagte aber nichts. Niemals zuvor hatte jemand so von der Frau, die er nie kennen gelernt hatte, an die er keine Erinnerungen besaß und von der er nur den Namen – Jenova – kannte, gesprochen. Habe ich mir jemals auf diese Art und Weise Gedanken über sie gemacht? Nein. Sie mag... ein Bruchstück meiner Identität sein, aber... sie beeinflusst mich nicht. Andere hingegen... Er unterbrach seine Überlegungen abrupt und sah zu Cutter. Deren Augen verrieten, dass ihre Gedanken längst nicht mehr im Simulatorraum weilten. „Ich frage mich, was Toron gerade tut.“ „Wenn sie schlau ist – fliehen. So weit und schnell wie möglich. Ansonsten bereitet sie einen neuen, sinnlosen Angriff auf irgendetwas oder irgendjemanden vor.“ „Sie hat dich ganz schön angemacht“, murmelte der Teenager. „Sowas habe ich noch nie gesehen. Aber du warst total beherrscht.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich könnte das nicht.“ „Alles eine Willensfrage.“ Dann aber verzog er völlig unvermittelt das Gesicht, rollte mit den Augen und fügte hinzu: „Ich lege trotzdem keinerlei Wert auf eine Wiederholung.“ Ich auch nicht, dachte Cutter. Denn um ehrlich zu sein... ich glaube, ich war ein bisschen eifersüchtig. „Hast du ihre Augen gesehen?“ Und als Sephiroth nickte, fuhr sie fort: „Warum sind sie so... farblos?“ Für gewöhnlich wäre es ihm unmöglich gewesen, diese Frage wahrheitsgemäß zu beantworten. In diesem speziellen Fall jedoch... Er hatte kaum noch etwas zu verlieren. Entsprechend knapp fiel seine Antwort aus. „Experimente.“ „Bei ihr also auch.“ „Ich habe versucht, die damaligen Geschehnisse zu rekonstruieren, um uns ein präziseres Feindbild erschaffen zu können. Leider konnte ich nichts finden.“ „Ich wette“, murmelte der Teenager, „Hojo wüsste Bescheid.“ Sie schüttelte den Kopf. „Den fragen wir nicht!“ „Im Grunde ist sein Wissen unwichtig. Toron fangen oder töten. Nur darum geht es.“ In Gedanken fügte er hinzu: Womit wir wieder beim Thema wären... Abermals senkte sich Stille über das ungleiche Duo. Cutter nahm wahr, wie sich tief in ihrem Inneren ein urgewaltiges Gefühl aufstieg, immer stärker wurde, und schließlich... Es war Sephiroth nie ganz gelungen, zu verstehen, weshalb Menschen weinten. Niemand hatte es ihm jemals erklärt – aber... Ich habe auch nie gefragt. Es war... nicht wichtig, weil Tränen nichts ändern. Im Gegensatz zu Taten. Habe ich jemals geweint? Ich bin... nicht mehr sicher... Aber deine Reaktion... Ich glaube, ich kann sie verstehen. Wenigstens ein bisschen. Dennoch... „Cutter, warum weinst du?“ „Weil es mir so leid tut, es nicht hinzukriegen, und dir nicht helfen zu können... Ich will dich nicht belasten! Aber irgendwie bin ich immer nur ein Ärgernis für dich!“ „Und du glaubst, deine Tränen helfen?“ Cutter schüttelte den Kopf, verstand die versteckte Aufforderung allerdings sofort, wischte sich energisch über die Augen und gewann die Kontrolle über sich zurück. Ihr Kopf allerdings lag weiterhin an seiner Schulterrüstung. Sephiroth warf seiner zerknirschten, müden, erschöpften aber sonst in einwandfreiem Zustand befindlichen Gesellschaft einen Blick von der Art eines flüchtig aufglitzernden Schneekristalls zu. Cutter Tzimmek es ist nicht leicht, dein General zu sein. Aber ich sehe es ein, es ist auch nicht einfach ein Ghost Walker zu sein. „Eins wollen wir klar stellen: Ich betrachte dich nicht als Ärgernis.“ „Nein?“ Reines Erstaunen lag in der winzigen Silbe. „Nein. Du bist eine meiner persönliche Herausforderung in Punkto Kreativität.“ „Ehrlich?“, flüsterte der Teenager. Sephiroths Antwort bestand in einer geschmeidigen Bewegung, die ihn wieder auf die Füße brachte. Er wandte sich zu dem Teenager um... „Du sagtest etwas von `trainieren unter realen Bedingungen´...“ ... und streckte die Hand aus. Cutter ergriff sie. Sephiroths Hände waren einzigartig. Groß und warm, stark selbst dann, wenn sie sich sanft verhielten. Sie vermittelten auch immer einen Funken Todesurteil, ähnlich der flüchtigen Berührung mit einem unter Spannung stehenden Stromkabel, aber die ausgeübte Stärke war immer angebracht. So wie jetzt. Der General holte den Teenager mühelos auf die Beine und drückte ihr den mitgebrachten Schutzanzug in die Hände. Cutter nickte und verschwand in einem der Häuser, um sich umzuziehen. Sephiroth sah ihr nach. Im tiefsten Grunde seines Herzens fühlte er sich zu erschöpft für ein Spezialtraining – war aber viel zu stur und stolz, sich den Bedürfnissen seines Körpers zu ergeben. Und so aktivierte er den Simulationscomputer, um ein winziges, der speziellen Situation mehr als entsprechendes Detail ins elektronische Leben zu rufen. Die folgenden Stunden wurden für Cutter die durch den General kontrollierte Hölle auf Erden. Denn dieser hatte kein vom Computer programmiertes Feindbild gewählt, sondern, um den Schockmoment einer realen Begegnung so gering wie möglich zu halten, eine exakte Kopie Torons erstellt – auch was die Aggressivität anging. Zwar schützte der Anzug das Leben Cutters, aber der Schmerz, wenn die von Toron abgefeuerten Kugeln trafen, war ebenso real wie die Wut des Teenagers. Sie stieg mit jedem Treffer weiter an. Sephiroth beobachtete das und den laufenden Kampf mit uneingeschränkter Aufmerksamkeit. Hin und wieder unterbrach er die Simulation um auf Feinheiten hinzuweisen - Lektionen eines gnadenlosen Killers zum Thema `Töten´. All das reichte noch nicht aus, um die letzte Blockade hinwegzufegen, aber in der Luft lag für Lehrer und Schüler gleichermaßen gut hörbar ein deutliches Knirschen. Es vergingen Stunden, ehe er Cutter in ihr Quartier zurückbrachte und abermals sein eigenes Appartement aufsuchte, wo er zum zweiten Mal in dieser Nacht Rüstung und Schwert ablegte, bevor er sich auf sein Bett fallen ließ und sofort einschlief, gedankenlos und verdient. Kapitel 29: Provokationen ------------------------- Der durch eine kürzlich stattgefundene Makobehandlung herbeigeführte Schlaf glich einem in unvorstellbare Tiefen sinkenden Stein, und so dauerte es nach dem Aufwachen immer einige Zeit, ehe das Bewusstsein wieder so klar und scharf wie gewohnt arbeitete. Kaum war der Vorgang abgeschlossen, verließ Sephiroth das Bett und stand nur wenig später mit halb geschlossenen Augen unter genau auf seine Bedürfnisse abgestimmtem, heißen Wasser, das seinen Körper mal in Tropfen, mal in breiten oder dünnen Strömen umschmeichelte oder massierte, und genoss jeden Augenblick. Dieser Körper... Jahrelanges, gezieltes Training und unzählige Einsätze hatten ihn geformt. Er konnte weich und geschmeidig sein – und nur eine Sekunde später ein unüberwindbares Hindernis. Sephiroth war stolz auf das Ergebnis seiner Arbeit, hütete sich aber, sein Training in fauler Selbstzufriedenheit zu vernachlässigen. Er konnte keine Fehler gebrauchen. Momentan allerdings war nur das heiße Wasser von Interesse, und er nahm sich viel Zeit, ehe er das Bad verließ, nur die schwarzen Hosen und ein um die Schultern gelegtes Handtuch tragend, mit dem er sich hin und wieder durch die erst halb trockenen Haare fuhr und letzte Tropfen auffing. Er kam eben mit einer Getränkedose aus der Küche, als es an der Tür klopfte – heftig. Sephiroth warf der Tür einen missbilligenden Blick zu, öffnete aber. Cutter nahm augenblicklich Haltung an, salutierte... „Guten Morgen, Sir!“ Und dann, mit aller momentan empfundenen Aufregung: „Sie ist weg!!!!“ Eigentlich hätte er sofort logisch nachfragen müssen. Aber stattdessen... „Endet und beginnt jetzt jeder meiner Tage mit dir, Cutter?“ „Mmmh... nein, Sir?“ Völlig aus dem Konzept geworfen, aber sehr ernst, fuhr sie fort: „Es sei natürlich denn, ich wäre deine Freundin.“ Sephiroths Selbstbeherrschung entschied sich zu einer spontanen Pause und ließ ihren Besitzer in keineswegs unfreundliches, sondern höchst amüsiertes Gelächter ausbrechen. Nicht sehr laut. Und nicht für lange. Aber er lachte. Und winkte den völlig überrumpelten Teenager in das Appartement, schloss kopfschüttelnd, aber immer noch sehr erheitert, die Tür, und erkundigte sich schließlich fast gespannt: „Was ist weg?“ Cutter antwortete nicht sofort. Sein unerwartetes Lachen hatte ihre Gedanken völlig durcheinandergebracht, außerdem glänzte hier und da immer noch etwas Wasser auf dem durchtrainierten Oberkörper... Es dauerte einige Herzschläge lang, bis es dem Teenager gelang, sich wieder zu fangen. „Die Line!“, stieß sie schließlich aufgeregt hervor. „Die Line, deren Ursprung ich gestern finden sollte - sie ist weg! Gestern Abend war sie noch da, und jetzt...“ Sephiroth hielt mitten in der Bewegung inne. Gleichzeitig wich jegliche Heiterkeit aus Gesichtsausdruck und Augen, ließ die gefürchtete, harte und kalte Distanz zurückkehren. Die Getränkedose in seiner Hand knackte – und faltete sich dann unter dem erbarmungslosen Druck zu einem Bruchteil ihrer ursprünglichen Größe zusammen. „Wir waren zu langsam!“ „Meinetwegen?“, wisperte Cutter erschrocken. Sephiroth hatte ihr gestern (wieder) geholfen. Was, wenn genau diese Zeit entscheidend gewesen war? Zu ihrer Erleichterung schüttelte der General den Kopf. „Nein.“ Meinetwegen, fügte er in Gedanken hinzu. Ich hätte dieser unnötigen Untersuchung Einhalt gebieten müssen, irgendwie... Meine Unfähigkeit hat uns nun um Tage, vielleicht sogar Wochen zurückgeworfen! Zeit, in der uns Toron weiter auf der Nase herumtanzen kann... Was kann ich dagegen unternehmen? Und wann? Der heutige Tag war mehr als ungünstig. Eine der großen Sitzungen, an der alle hohen Tiere (und solche, die sich für selbiges hielten) der ShinRa Hierarchie teilnehmen würden, stand an, und speziell die Gegenwart General Crescents wurde von allen erwartet. Und es würde dauern. Den ganzen verdammten Tag. Aber reden, dachte Sephiroth grimmig, bewirkt in diesem Fall keine Veränderung. Nur Taten! „Cutter, dein freier Vormittag ist hiermit gestrichen! Wir gehen auf eine Mission!“ Wenige Minuten später verließen er und Cutter das HQ – waren aber bei ihrer Rückkehr dank Torons perfekter Beweismittelvernichtung keinen Schritt weiter. Die Rebellenführerin hatte als kleinen (und höhnischen) Gruß lediglich einen Haufen Sprengfallen in dem durch die Lines als Ursprungsort des Makoblockers identifizierten Gebäude zurückgelassen. Den vorsätzlich durch Sephiroth ausgelöste Explosion wohnte mehr Heiterkeit inne, als es den Sprengsätzen zustand, und verbesserte die Situation in keinem Fall. „Und jetzt?“ Cutter klang hörbar deprimiert. Wenn es ihnen wenigstens gelungen wäre, irgendetwas zu finden... Aber so? Wie sollte es jetzt weitergehen? Auch Sephiroth war unzufrieden, allerdings zu Erhaben, um etwas wie Frustration zu empfinden. In Gedanken sortierte er die neusten Erkenntnisse und Fragen bezüglich des Makoblockers. Für gewöhnlich wäre ihm eine Verfolgung desselbigen zu vorhersehbar gewesen. Momentan jedoch... Er ist unsere einzige heiße Spur. Und selbst, wenn sie mich nur auf eine falsche Fährte locken soll, mein Instinkt sagt mir, dass Abwarten der falsche Weg ist! Toron mochte dieses Duell für sich entschieden haben – aber Sephiroth hatte noch ein paar Asse im Ärmel. Zwei von ihnen hießen `Cutter Tzimmek´ und `Azrael Geryll´. Letzterer war ein leidenschaftlicher Maler. Ein auf die Lines spezialisierter Maler! Mit Cutters Hilfe sollte es ihm äußerst leicht fallen, Bilder des Makoblockers und der seltsamen Schusswaffe zu erstellen. „Plan B. Cutter, hör zu! Du und Geryll werdet...“ Zwei sich blitzschnell um seine Taille schlingende Arme unterbrachen den Satz. Sephiroth reagierte mit der für ihn typischen, hart an der Grenze zur Brutalität befindlichen Entschlossenheit, um sich zu befreien. „Was willst du, Zackary?!“ Zack rieb sich mit entsprechendem Gesichtsausdruck die schmerzhaft getroffenen Stellen und richtete dann seinen mehr als anklagenden Blick auf den General. „Dich finden! Du bist schon 3 x ausgerufen worden. Anscheinend kommen sie in ihrem blöden Meeting ohne dich nicht weiter.“ Das wäre das erste Mal, dachte Sephiroth. Aber vermutlich dient es nur als Vorwand, um mich zurechtweisen zu können... Im tiefsten Grunde seines Herzens hätte er das verdammte Meeting zu gerne ausfallen lassen! Aber sein Pflichtgefühl ließ derartige Schwächen nicht zu. Abgesehen davon war es selbst ihm diesmal unmöglich, etwas ohne die entsprechende Unterstützung zu unternehmen. Er wandte sich Cutter zu, teilte ihr den entworfenen Plan mit, und der Teenager machte sich unverzüglich auf den Weg zu Azrael. Sephiroth und Zack sahen ihr nach, der eine versonnen, der andere kritisch. „Sie wird langsam erwachsen“, sagte Zack leise. „Auf ihre ganz eigene Art und Weise. Findest du nicht auch?“ „Die Geschehnisse lassen ihr keine andere Wahl. Cutter hat... zuviel gesehen und erlebt, um sich nicht zu verändern.“ Unfreundlich klang diese Beurteilung nicht. Zack schien es sogar, als würde sich darin ein Hauch Stolz verbergen. Auf einen Teenager, der sich im Kampf befand und gar nicht daran dachte, aufzugeben. Und so schmunzelte der 1st lediglich, sagte aber nichts. Die nur wenige Sekunden später über die im gesamten Gebäude verteilten Lautsprecher erklingende Aufforderung an General Crescent, sich in Konferenzraum 1 einzufinden, riss die beiden SOLDIER aus ihren Gedanken. „Die geben nicht auf!“, murrte Zack. „Lass dich nicht ärgern!“ Sephiroth warf ihm einen spöttischen Blick zu und setzte sich wortlos in Bewegung, mental bestens vorbereitet auf die entrüsteten und verärgerten Blicke, die sein verspätetes Eintreffen hervorrufen würde, und bereit, sie alle zu ignorieren. Es war mitten in der Nacht, als das (wie erwartet völlig sinnlose) Meeting endlich zu Ende ging und Sephiroth sein Büro ansteuerte. Sein Arbeitstag würde jetzt erst richtig losgehen... Als er um die letzte Kurve bog, bot sich seinen Augen ein Bild, das für einen Sekundenbruchteil ein fast dankbares Lächeln über sein Gesicht huschen ließ – dann allerdings kehrte die legendäre Kälte zurück. „Zackary Fair, weshalb sitzt du wie ein geprügelter Hund vor meinem Büro?!“ „Weil du abgeschlossen hast und ich nicht rein konnte?“ Sephiroth verpasst dem 1st einen relativ sanften Tritt mit der Stiefeloberseite. „Steh auf!“ Gleichzeitig öffnete er die Tür, betrat den Raum und nahm hinter seinem Schreibtisch Platz, startete den Computer. Zack ließ sich in einem der Sessel nieder. „Wie war das Meeting?“ Sephiroth antwortete nicht, sondern checkte seine Mails auf der Suche nach... da war sie! Interessante Farben, dachte er beim Anblick der den Makoblocker und den FireBooster symbolisierenden Lines, dann schickte er Kopien der Bilder mit der Anweisung, gezielt nach diesen Lines zu suchen, an alle Befähigten und verfasste noch eine weitere Mitteilung, ehe er sich zurücklehnte und tief durchatmete – aufmerksam beobachtet von Zack, dessen mehrfache Aufforderung, zu verraten, ob es bei dem Meeting Tote gegeben hatte, ignorierend. Irgendwann begann das Handy des 1st zu piepsen. Dieser sah sofort nach. „Nein! Seph, du wirst nie raten, von wem ich gerade Post bekommen habe!“ „Von mir, Zack“, seufzte der General. Ihm war völlig klar, dass die schwarzhaarige Nervensäge versuchte, ihn aufzumuntern – erfolgreich, aber er würde das nicht offen zeigen. Niemals! „Weißt du, ich stehe genau vor dir, du hättest auch einfach mit mir sprechen können.“ Ich werde, dachte Sephiroth, mich nicht auf diese Diskussion einlassen. Er hat gesehen, dass die Mitteilung an alle verfügbaren SOLDIER geschickt wurde. Also... „Befolge einfach die Anweisungen, Zackary!“ „Ja Sir, großer General, mein Held, Boss und Idol...“ Er ignorierte den ihm zugeworfenen, warnenden Blick. „... ich eile. Ich fliege! Wohin auch immer du mich schickst!“ „Großartig. Du brauchst nicht zurückzukommen.“ „Vielleicht sollte ich Aerith deine Handynummer geben. Wenn ich längere Zeit ohne Begründung fern bleibe, kann sie dich anrufen und solange nerven, bis du ihr sagst, wo ich bin oder eine Suchaktion startest! Ha, genialer Plan!“ Hin und wieder wünschte sich der General eine Falltür direkt vor dem Schreibtisch. „Zackary! Befolge meinen Befehl!“ Der 1st nahm augenblicklich Haltung an, salutierte (aber ohne auch nur einen Sekundenbruchteil mit dem frechen Grinsen aufzuhören) und machte sich auf den Weg zur Tür – verfolgt von Sephiroths undefinierbarem Blick. Wenn ich nicht genau wüsste, dass dieser Mann wie üblich außerordentlich gute Arbeit leisten wird, hätte ich... Ich hoffe, ein Monster frisst ihn! Noch während Zack den Raum verließ nahm der General die zuvor begonnenen Gedankengänge wieder auf. Den durch Midgar patrouillierenden SOLDIER ab sofort einen Blue Wanderer zuzuteilen, der gezielt nach halsbandtragenden Monstern Ausschau halten sollte, würde sehr schnell zeigen, wie wichtig die Bestien für die Rebellen waren, und vielleicht sogar zu überstürzten Handlungen zwingen. Meine Front steht, Toron. Ich erwarten deine Antwort. Für einen Augenblick übertönte das typische Geräusch von bewegtem Wasser die leisen Klänge des Radios, dann gewann die Musik wieder die Oberhand. Rosenblätter klebten im weißen Schaum, dem flüssigen Inhalt der Wanne und dem Körper darin. Dampf lag in der Luft. Rail lehnte sich zurück und schloss die Augen, lauschte. Wartete. Bis ihr die Lines verrieten, dass sich Besuch näherte. Wenig später verdeutlichten sich nähernde, schwere Schritte eine nicht gerade geringe Menge an aufgestauter Wut, und das Öffnen der Badezimmertür gestaltete sich entsprechend. Tyrer schnappte hinsichtlich all der Hitze nach Luft – dann fiel sein Blick auf die Frau in der Badewanne. Er atmete tief ein... und Toron griff beinahe gelangweilt nach dem Gegenstand unter dem in unmittelbarer Nähe liegenden Handtuch, richtete ihn auf ihren Besucher. „Hinsetzen! Schnauze halten! Ich sagte: Hinsetzen, Tyrer!“ Die Waffe begleitete die befohlenen Bewegungen, bis diese endeten. Toron schüttelte den Kopf. „Ich bin schreckhaft heute. Da könnte leicht was passieren, also wähle deine Worte und den Tonfall mit Bedacht.“ Sie lächelte. „Schön, dass du wieder da bist.“ Tyrer fixierte die tiefschwarze Mündung der immer noch auf ihn gerichteten Pistole. „Weißt du“, grollte er, „die Straßen wimmeln seit ein paar Stunden von SOLDIER, die es einzig und allein auf unsere Monster abgesehen und den Bestand bereits jetzt schon so drastisch reduziert haben, dass wir so gut wie alle Pläne überarbeiten müssen! In diese Lage hast du uns gebracht! Du hast versprochen, die Sache mit den Raketenwerfern nicht durchzuziehen, solange ich weg bin!“ „Nein.“ Es klang sowohl beleidigt als auch verspielt. „Ich habe gesagt, ich würde es mir überlegen. “ Sie legte den Kopf schief. „Bist du sauer?“ „Sauer? Sauer?!??! Rail, verdammt... Wir brauchen die Monster! Ich habe sämtliche Reaktoren gecheckt, sie werden alle zu streng bewacht! Wir kommen nicht durch!“ „Diese Wachposten sind nicht unsterblich.“ „Einer von denen tötet zwei Dutzend unserer Leute bevor er stirbt! Tu nicht so als wäre dir das neu!“ Er schüttelte den Kopf und stieß zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: „Die Aktion nächste Woche können wir abhaken!“ „Tyrer, du jammerst wie ein kleines Mädchen! Wir haben ein paar Monster verloren, na und?! Wir haben immer noch den FireBooster! Selbst ein 1st ist dagegen machtlos.“ „Wir haben nur zwei Exemplare! Und laut deiner eigenen Aussage ist deren Line...“ „Ich weiß.“ Sie ließ sich tiefer in das Wasser sinken. „Wir brauchen mehr davon und das bis nächste Woche. Ruf deine Kontakte an wegen der Alpha-Einzelteile. Sag ihnen, wir bezahlen das Doppelte des vereinbarten Preises, wenn sie bis morgen liefern können. Als nächstes rufst du unsere Monster zusammen und entfernst die Halsbänder. Aber als erstes, lieber Tyrer, hörst du auf, mich anzusehen wie ein getretener Hund! Wir sind `Liberation´! Wir lassen uns nicht aufhalten! Der Anschlag nächste Woche wird stattfinden, komme, was wolle!“ Für einen Augenblick sah es so aus, als wolle Tyrer protestieren. Dann hob er lediglich die gespreizten Hände, verkündete: „Du bist der Boss“, und stand wieder auf. Dabei konnte er die Augen nicht von der Frau in der Wanne nehmen, der einzigen Person die er liebte, wirklich liebte, und die es schaffte, ihn mit einem einzigen Blick fast wahnsinnig zu machen. Und sie war auf seiner Seite! Nicht auszudenken was aus mir geworden wäre, wenn wir uns nicht begegnet wären... Deine Existenz... für mich ist sie ein Wunder. Auch, wenn du immer noch einen hohen Preis dafür bezahlst... „Willst du nicht langsam diese Waffe runternehmen?“ Er trat neben die Wanne, tauchte eine Hand ins Wasser... und zog sie nur einen Sekundenbruchteil später entsetzt zurück. „Verdammt, Rail, das Wasser ist kurz vorm Kochen! Willst du dich umbringen?! Wo ist das Thermometer?!“ „Kaputt.“ „Und du musst natürlich trotzdem...“ Energisch drückte er die Pistole zur Seite, beugte sich nach vorne und drehte den Hahn für kaltes Wasser auf. „Warum sagst du nichts?! Du Irre!“ „Ich kann alleine auf mich aufpassen!“ „Ja, das beweist die Temperatur deines Badewassers!“ Er drehte den Hahn wieder zu. „Ich besorge dir ein neues Thermometer und zwar, bevor ich alles andere erledige! Bis dahin - Finger weg vom heißen Wasser!“ Rail sah ihm nach, wie er das Badezimmer verließ, fest entschlossen, ihr etwas Gutes zu tun. Fast so, wie es ein Kind getan hätte. Alles in allem war Tyrer, wenn nicht spannend, so doch wenigstens unterhaltsam. Und so leicht zu kontrollieren... Ganz im Gegensatz zu einem anderen Wesen, das sowohl nah, als auch fern war. Sephiroth... Ich dachte wirklich, du würdest dich auf mich konzentrieren. Oder die Line des FireBoosters. Aber du tust das genaue Gegenteil. Und zwingst mich zur Umarbeitung aller Pläne. Wirklich, das hat schon lange niemand mehr geschafft. Ich setzte es auf die Liste all der Dinge, für die ich dich büßen lassen werde, wenn die Zeit gekommen ist. Wann es allerdings soweit sein würde... Rail wusste es nicht. Nur, dass sie bereit und wachsam sein, die Zeichen richtig deuten musste. Wenn es Zeichen gegeben hätte. Denn ihr Ziel verfügte über keinerlei Schwachpunkte, die man hätte angreifen und es somit gefügig machen können. Es dennoch in greifbarer Nähe zu haben war ein Zustand, der Rail in manchen Momenten an den Rand des Wahnsinns trieb. Um dich in meinen Händen zu halten... dich leiden zu lassen wie niemals zuvor... zu sehen, wie du zerbrichst... mein Leben würde ich dafür hingeben! Aber noch hatte Sephiroth ihr nicht den geringsten Hinweis gegeben, wie dies zu bewerkstelligen sei. Aufmerksame Beobachtungen würden das vielleicht eines Tages ändern, aber bis dahin konnte Rail ihre Kraft nur mit relativ sinnlosen Attacken verschwenden. Was Cutter anging... Solange sie lebte, stellte sie eine Gefahr dar, die aus der Welt geschafft werden musste – auch, wenn das Geheimnis der 2nd Lines somit für immer eines bleiben würde. Vielleicht... ließ sich die dauerhafte Vernichtung des Mädchens mit der für die nächste Woche geplanten Aktion... verbinden? Der Anschlag würde zu 99 % ein Erfolg werden – warum keinen Doppelerfolg daraus machen? Rail griff nach dem neben der Wanne stehenden Champagnerglas und lächelte, als die Idee in ihrem Kopf an Klarheit gewann. „Ich möchte nächste Woche wirklich nicht in eurer Haut stecken. Sephiroth und Cutter-chan.“ „… bezweifle ich sehr, dass du wirklich alle guten Gründe hören willst, warum ich meinen Papierkram in deinem und nicht in meinem Büro bearbeite. Außerdem ist der Ort auch völlig egal, denn `the show must go on´.“ Sephiroths Blick glitt vom fröhlichen Gesicht Zacks zu dessen respektlos auf dem Schreibtisch platzierten SOLDIER Stiefeln und hätte diese mit Sicherheit in Flammen aufgehen lassen, wären sie nicht so robust gewesen. „Hey“, erkundigte sich der 1st heiter, „wen willst du eigentlich für den Transport des Reaktorteils übermorgen haben?“ „SOLDIER die in der Lage sind, zu gehen!“ „Ist das die versteckte Aufforderung `Nimm deine Füße von meinem Schreibtisch?´?“ Die Antwort bestand in einem Blick, der ein ganzes Gebirge gezwungen hätte, die Position zu verändern. Aber Zack war kein Gebirge... „Vorschlag: Ich nehme meine Füße runter und du sagst mir, ob ich bei dem Transport dabei bin oder nicht. Deal?“ „Solltest du teilnehmen, wirst du ebenso kurzfristig informiert wie alle anderen auch.“ „Aber ich bin dein bester Freund“, protestierte Zack. „Du solltest es mir freiwillig sagen!“ Als auch das nichts half, änderte er schlagartig die Taktik. „Heikle Sache, dieser Transport“. Jetzt klang seine Stimme wie die eines SOLDIER. „Schon ohne Rebellen... Aber die werden da sein, garantiert. Wie viele, was meinst du?“ Für viele andere wäre diese Frage nur etwas gewesen, auf das man eine unbestimmte Antwort hätte geben können. Für den General war es eine Metapher zu `Wird Toron dabei sein?´ und `Willst du Cutter mitnehmen?´ Sephiroth unterbrach seine Arbeit, hob langsam den Kopf, fixierte den 1st ihm gegenüber. „Wenn ich in die Zukunft sehen könnte, Zackary, wäre ich nicht hier, sondern im Fernsehen bei 7 Live und würde in eine Kristallkugel starren. Völlig unabhängig, wann und wo die nächste Begegnung stattfinden wird - verschwende nicht einen Gedanken daran, Cutter beschützen zu wollen!“ „Wird mir schwer fallen.“ Er seufzte leise. „Ich mag sie, und will nicht, dass ihr etwas passiert.“ „Das hier ist das Militär, kein Streichelzoo!“ Zack schwieg einen Augenblick. „Spielst du wieder den bösen General?“, erkundigte er sich dann so unschuldig wie möglich. „Ich bin der böse General!“ Er warf einen unauffälligen Blick zur Uhr. „Du wirst dir jetzt einen Kaffee holen gehen und erst in exakt 15 Minuten zurückkehren!“ „Ich will aber doch jetzt gar keinen Kaffee...“ „Doch!“ Zwei Sekunden vergingen in völliger Stille. „Hey, irgendwie kriege ich gerade unbändige Lust auf Kaffee!“ Sephiroth verkniff es sich, dem 1st zu dieser wundervollen Erkenntnis zu gratulieren – ließ sich aber zu einem Kopfschütteln herab, sobald dieser verschwunden war. Wozu diese Ungeduld? Zack würde noch früh genug erfahren, dass er für die Mission eingeteilt war. Ebenso wie alle anderen, die dem FireBooster schon einmal begegnet waren – Cutter inklusive. Besonders deren Anwesenheit würde einmal mehr unbezahlbar sein. Abgesehen davon... sich seinen Ängsten zu stellen war die einzige Chance, diese zu überwinden. Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken, und nur wenige Sekunden später betrat Cutter den Raum - pünktlich auf die bestellte Sekunde. (Vermutlich hatte sie, aus Angst sich zu verspäten, bereits seit mehreren Minuten vor der Tür auf diesen Moment gewartet.) Sephiroth bot ihr einen Platz an und erkundigte sich über das Wissen des Mädchens bezüglich der in Kürze stattfindenden Mission. „Mmh... nicht viel, Sir. Nur, dass wir ein Reaktorersatzteil zu transportieren haben – auf dem Landweg, weil die Luftroute zu gefährlich ist – und dass 1st Class SOLDIER dabei sein werden.“ Wie erwartet, dachte Sephiroth. Auf die Gerüchteküche ist Verlass... „Die Rebellen“, sagte er, „werden sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen, und eine erneute Konfrontation mit ihrer neuen Waffe ist mehr als wahrscheinlich. Daher bist du für diese Mission eingeteilt. Dein Crashkurs im Abseilen vom Helikopter beginnt in 10 Minuten in Simulatorraum 3.“ Cutter runzelte die Stirn. Abseiltraining? Wozu? Das Ersatzteil sollte doch über den Landweg... „Das war nur ein Gerücht??“ Sephiroth legte den Zeigefinger an die Lippen und zwinkerte dem Teenager verschwörerisch zu. „Der Landweg wird genutzt. Ganz so, wie ich es habe verbreiten lassen. Allerdings von einer zweiten Einheit, die ein defektes Ersatzteil mit sich führt. Toron ist ein fähiger Blue Wanderer. Aber diese Ersatzteile sind für Uneingeweihte kaum verständlich. Mit etwas Glück...“ Er verstummte und bedeutete Cutter, den Satz selbstständig zu beenden. „... stürzt sie sich auf das falsche Ersatzteil und wir können unseres in aller Ruhe einbauen!“ Ihre Augen funkelten begeistert. „Genial!!“ Das wird sich noch zeigen, dachte Sephiroth. Dieser Transport ist seit Wochen die erste Gelegenheit für die Rebellen, uns zu schaden. Und ich weiß, dass Toron sie nutzen will. Er gab Cutter Befehl zum Wegtreten, und diese verließ das Büro. Sephiroth sah ihr nach. Soviel ehrlicher Enthusiasmus... Das Abseiltraining würde ihr leicht fallen. Ob sie ihm hinterher völlig begeistert davon erzählen würde? Vermutlich. Wirklich, dachte er schmunzelnd. Du machst aus den Dingen immer etwas Besonderes. Und aus deinen Gefühlen niemals ein Geheimnis. Nicht einmal mir gegenüber. Begegnungen mit dir sind... immer so intensiv, weil du so stark fühlst. Ganz anders als ich... Und doch... wenn er ehrlich zu sich war, musste er sich eingestehen, dass es genau dieser Kontrast war, der ihn in letzter Zeit immer häufiger dazu brachte, nachzudenken. Über eine Person, deren Gefühlswelt er, wie es ihm jetzt schien, in den vergangenen Jahren entsetzlich vernachlässigt hatte: Ihn selbst. Wobei `vernachlässigt´ vielleicht nicht das richtige Wort war. Es schien vielmehr so, als würde Cutters offene, freundliche und vertrauensvolle Art all diese Gefühle aus ihrer Regungslosigkeit befreien. Als sei sie ein Codewort, das tief in ihm Vorgänge startete, von denen man ihm seit seiner frühesten Jugend eingetrichtert hatte, sie seien unnütz und wertlos. Was er in diesen Momenten irgendwann stets empfand, war selbstbezogener Ärger – aber gleichzeitig auch etwas, das sich anfühlte wie... vorsichtig schmelzendes Eis. Und er, der große General Sephiroth Crescent, SOLDIER Legende und ... konnte nichts dagegen tun. Es beunruhigte ihn allerdings nicht direkt. Was konnte schon unter all dem Eis sein? Höchstens noch mehr Eis. Oder? Schon wieder!, dachte Sephiroth verärgert. Es geschieht schon wieder. Ich will nicht über mich nachdenken. Oder über dich! Ich bin hier, um meine Arbeit zu erledigen und auf deine Rückkehr zu wart... Schluss jetzt! Zacks erneutes Auftauchen half ihm, sich auf etwas anderes als Cutter oder sich selbst zu konzentrieren - aber ganz verdrängen konnte er die Gedanken an den quirligen Teenager auch nicht. Nachdem der 1st das Büro pünktlich zum Feierabend verlassen hatte, dauerte es nicht mehr lange, ehe Cutter selbiges abermals betrat – um völlig begeistert vom Abseiltraining zu erzählen. Und einmal mehr entlockte sie Sephiroth jenes kaum wahrnehmbare Lächeln, von dem er bis vor kurzem nicht gewusst hatte, dass er dazu fähig war. Auf den Hinweis, die Mission würde, allen Gerüchten zum Trotz, bereits morgen stattfinden, reagierte sie verblüfft, aber keinesfalls ängstlich, und so entließ sie der General mit der Anweisung, sich auszuruhen. „Verstanden, Sir! Mh... Sephiroth-sama?” Auf einmal wirkte sie sehr verlegen. „Darf... darf ich...“ Aber dann verstummte sie, schüttelte den Kopf, salutierte und verließ den Raum. Sephiroth sah ihr nach. Er war sich ziemlich sicher, worauf ihre Bitte hinausgelaufen wäre – noch hier bleiben zu dürfen – aber warum? Er wusste, sie hatte alles richtig verstanden, und ihr die Möglichkeit zu geben, Kraft zu tanken war völlig korrekt... Er schüttelte den Kopf. Teenager! Speziell dieser... Auf dem Flur schimpfte Cutter mit sich selbst. Du wolltest doch alles andere vergessen und einfach nur ein guter Blue Wanderer/Ghost Walker sein, erinnerst du dich?! Bitte, Cutter, reiß dich zusammen! Du willst ihm doch helfen! Auch, wenn es dir schwer fällt, konzentrier dich einfach nur aufs Arbeiten und vergiss, dass du verliebt bist. Der Plan hörte sich richtig an. Mit ein wenig mehr Selbstdisziplin sogar durchführbar – auch, wenn die Gewissheit, mit `ihrem´ Sephiroth doch ein etwas anderes Arbeitsverhältnis zu haben als alle anderen, wenig hilfreich war. Aber Cutter war fest entschlossen, an sich zu arbeiten. In ihrem Quartier angekommen, ließ sie sich aufs Bett fallen und versuchte, sich auszuruhen. Morgen, das spürte sie mit zweifelsfreier Klarheit, würde es schwierig werden. Der Einsatzbefehl erreichte die Teilnehmer in den frühen Morgenstunden, und obwohl er allen Gerüchten zum Trotz einen Tag früher als erwartet kam, so wirkte doch keiner der sich an den Heliports einfindenden SOLDIER überrascht. Vielmehr herrschte die typische Coolness der 1st´s. Und ich, dachte Cutter, habe die ganze Nacht kein Auge zugetan vor Aufregung, dabei wusste ich viel mehr als sie. Ich habe wirklich noch einiges zu lernen. Aber zum Glück nicht innerhalb der nächsten fünf Minuten. Sephiroths Missionsbesprechung fiel kurz aus, beinhaltete aber alle dem Teenager bereits bekannten Punkte: Parallel zu dem bereits auf dem Landweg gestarteten, ein identisches - allerdings defektes - Reaktorbauteil mit sich führenden Team, würde die Gruppe des Generals mit dem voll funktionsfähigen Ersatzteil den Reaktor auf dem Luftweg ansteuern. Hinter der kleinen Truppe starteten die Helikopterpiloten die Rotoren ihrer Maschinen, und es dauerte nicht lange, ehe der das Ersatzteil und alle Teilnehmer transportierende Black Hawk zusammen mit zwei kleinen, aber äußerst gut bewaffneten Kampfhubschraubern abhob. Cutters Blick lag auf der Transportbox, in der sich das Ersatzteil befand. Groß konnte es nicht sein – aber mit Sicherheit wichtig genug um, wie sich Zack ausgedrückt hatte, `schärfer bewacht zu werden als Präsident Shinras Luxuskarosse´. Bis zum Erreichen des Reaktors würde es einige Zeit dauern. Cutter checkte ihre Materia und tat es dann den meisten SOLDIER gleich, schloss die Augen. Und als sei dies der Startschuss gewesen, stürzten sich schlagartig alle bisher erfolgreich verdrängten Ängste auf sie. Wenn die Rebellen nicht auf die Ködertruppe reinfallen, werden wir auf Toron treffen. Ob sie wieder versuchen wird, mich zu töten? Ich kann es immer noch nicht. Was also soll ich dann machen? Weglaufen? Sie wird mich verfolgen. Und dann? Sephiroth-sama hat den Anzug modifiziert, ich habe jetzt einen Gesichtsschutz. Aber... ob das reichen wird? Sie öffnete die Augen wieder und checkte ihre Materia. Allerdings... Toron ist doch diesmal hinter dem Ersatzteil her? Vielleicht bin ich gar nicht interessant für sie? Aber... wenn wir uns tatsächlich begegnen... und sie mich angreift... muss ich zurückschlagen. Ich muss! Ich habe Angst. Abermals überprüfte sie ihre Materia – unauffällig beobachtet von Sephiroth. Cutter, dachte dieser, ich kann deine Angst bis hierher spüren. Und wie sie anfängt, dein Selbstvertrauen zu untergraben. Aber ich möchte sehen, ob du dich selbst befreien kannst. Eine halbe Stunde (und zwei Materiachecks) später allerdings entschloss er sich, helfend einzugreifen. Und als sie ihre Waffen das nächste Mal überprüfen wollte, öffnete er lediglich die Augen und sah zu ihr hinüber. Begegnete einem Blick, der ihn anflehte, die Angst zu verjagen, eine Basis zu schaffen, auf der sich agieren ließ. Sephiroth beschloss, der stummen Bitte zu entsprechen. Es war ohnehin Zeit für ein paar an alle gerichtete Worte. „Drei Elemente“, begann er und war augenblicklich Zentrum aller Aufmerksamkeit, „entscheiden über Sieg oder Niederlage: Geist, Körper und Bewaffnung. Befinden sich diese drei im Einklang, lässt sich jeder Kampf lebend überstehen.“ Er machte eine kurze Pause. „Ihr alle wisst, wir haben noch keine Antwort auf die neue Waffe der Rebellen. Es liegt an uns, das zu ändern. Angst und Unsicherheit zu empfinden lässt sich nicht immer verhindern. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass diese Gefühle unsere Handlungen bestimmen. Und etwas sollten wir ebenfalls nicht vergessen: Wir alle hier... sind die Elite! Lassen wir unseren Gegner dies einmal mehr spüren!“ Zustimmendes Gemurmel setzte ein, und Cutter erkannte zu ihrer Überraschung, dass sie sich anscheinend nicht als Einzige Sorgen gemacht hatte. Sie sandte ein stummes `Danke´ zu der SOLDIER Legende hinüber und schloss die Augen, um tief in sich nach dem Einklang zu suchen, der wie sie wusste, existierte, und den sie jetzt zum Überleben brauchte. Dank der einzigartigen Verbindung zwischen ihnen konnte Sephiroth spüren, wie sich Cutter irgendwann innerhalb einer einzigen Sekunde entspannte. Gut so, Ghost Walker. Vertrau deinen Fähigkeiten, erinnere dich an dein Training und du wirst überleben. Abgesehen davon... ich bin auch noch da... und habe ein Auge auf dich. Die Helikopter setzten den Weg fort. Cutter war tief in die Lines, welche die Welt unterhalb des Helikopters betrafen, versunken, jederzeit darauf gefasst, der auf die neue Waffe hinweisenden Line zu begegnen – aber alles blieb ruhig. Vorerst. Als die Flugzeit bis zum Ziel nur noch etwas über einer halben Stunde betrug, meldete der Teenager die entsprechende Line – sagte jedoch einen auf die am Boden befindliche Ködertruppe gerichteten Angriff voraus, eine Information, die sofort weitergegeben wurde und sich nur wenige Minuten später bewahrheitete: Die Ködertruppe meldete starken Feindkontakt und verhielt sich entsprechend der zuvor erhaltenen Anweisungen, verteidigten das defekte Bauteil und zogen sich mit glaubhaftem, aber keinesfalls übertriebenem Entsetzen zurück, als die Rebellen ihre neuste Waffe einsetzten, starteten noch einen Scheinangriff, wurden zurückgeschlagen... und überließen den ShinRa Gegnern das gewünschte Objekt um – anscheinend besiegt – den Rückzug zum HQ anzutreten. Sie haben uns also, wie erwartet, überwachen lassen, dachte Sephiroth. Teil 1 des Plans hat seinen Zweck erfüllt. Widmen wir uns Teil 2. Er ließ den Boden von Cutter genauestens untersuchen, und als sie nichts verdächtiges meldete, seilten sich die Missionsteilnehmer ab, um die restliche Strecke zu Fuß hinter sich zu bringen und so die Landezone für den wartenden Helikopter zu sichern. Der anvisierte Makoreaktor befand sich, höflich ausgedrückt, in einer eher ländlichen Gegend, gerade durchquerte die kleine Truppe ein Waldgebiet, und einmal mehr fiel Sephiroth auf, wie gut Cutter mit der Situation zurechtkam. Sie bewegte sich auf dem anspruchsvollen Gelände ebenso lautlos und fast so schnell wie die SOLDIER, zweifelsfrei eine Kombination aus körperlichem Geschick und Erfahrung aus den zurückliegenden Einsätzen. Für einen Moment fragte er sich, ob dem Teenager bewusst war, dass andere Blue Wanderer den hohen Schwierigkeitsgrad nicht mit der von ihr an den Tag gelegten, spielerischen Leichtigkeit hätten schaffen können - dann allerdings konzentrierte er sich wieder auf die aktuelle Situation. Sie gefiel ihm nicht. Die Wälder dieser Gegend wimmelten in der jetzigen Jahreszeit für gewöhnlich von Tieren, bei denen die Paarungszeit in vollem Gange war. Eigentlich hätten sie hier überall zu sehen oder wenigstens zu hören sein müssen, aber der Wald war wie leergefegt. Er beschloss, sich Gewissheit zu verschaffen. Eine Handbewegung, und wenige Sekunden später war Cutter neben ihm, lauschte, nickte, ging in die Lines und lieferte die gewünschten Daten, hinsichtlich der Sephiroth innerlich mit den Zähnen knirschte. Die ganze Situation war die reinste Provokation! Dass ich Cutter mitnehme, war für Toron vorhersehbar. Vermutlich hat sie die Lage deshalb fast völlig durchschaubar gestaltet. Und sie scheint ernsthaft zu glauben, dieser lächerliche FireBooster sei unbesiegbar! Im tiefsten Grunde seine Herzens brannte er förmlich darauf, ihr das Gegenteil zu beweisen. Aber vorerst gab er nur die von Cutter ermittelten Informationen an seine Truppe weiter und erteilte neue Befehle, die unverzüglich befolgt wurden. Schon sehr bald würde sich zeigen, wer dieses kleine Spiel gewinnen würde, und Sephiroth war nicht an einer Niederlage interessiert. Das würde auch Toron bald feststellen – ob sie wollte, oder nicht! Kapitel 30: Konfrontationen --------------------------- „Wollten die nicht schon längst hier sein?“ Reaktorwache 1 nahm den Helm ab und fuhr sich durch die kurzen Haare. „Das nervt! Dieses verdammte Warten hält ja kein Mensch aus!“ Er wandte den Kopf und warf dem hinter ihm liegenden Reaktor einen missbilligenden Blick zu. „Die anderen da drin können wenigstens ungesehen Karten spielen, aber wir hier draußen...? Dieses Ding zu bewachen ist der langweiligste Job, den ich jemals hatte. Mach ich nie wieder!“ „Wenn du dafür eingeteilt wirst“, ließ sich Wache 2 vernehmen, „hast du gar keine andere Wahl. Es sei denn, du willst Ärger mit dem Boss.“ Wache 1 verzog das Gesicht. „Ob wirklich der General hier auftaucht?“ „Wer sonst? Etwa deine Schwester?“ Ein urplötzliches Knacken unterbrach das Gespräch. Beide Männer brachten augenblicklich ihre MG´s in Stellung, visierten einen bestimmten Teil des Waldrandes an, den Finger am Abzug... und ließen die Waffen augenblicklich sinken um hastig Haltung anzunehmen und zu salutieren, als General Crescent zwischen den Bäumen auftauchte – allein. „Sie schicken nur ihn?!“, wisperte Wache 1. „Wo ist das verdammte Ersatzteil?“ Sephiroth kam näher, ohne hastig oder gar angespannt zu wirken. Er hatte die beiden Wachen aus seinem gut gewählten Versteck lange genug beobachtet, um sich ein detailliertes Bild über deren zu erwartendes Verhalten zu machen. Die Reaktionen beim absichtlichen Zerbrechen des Astes und die Schnelle des Salutes entsprach ShinRa Standard. Der Rest allerdings... Es lag ihm fern, zu spielen. Diesen Auftakt einer Schlacht zügig hinter sich zu bringen, um den eigentlichen Kampf zu beginnen, war das höchste Bestreben des Generals. Ganz dicht trat er an die beiden Männer heran. „Ich gebe euch Beiden und den anderen im Reaktor genau 5 Sekunden Zeit zum Kapitulieren.“ Seine Stimme war nur ein kaum hörbares Flüstern, beinhaltete aber die Schärfe eines blutrot gefärbten Schwertes. „Die Zeit läuft.“ „Falsch, großer General.“ Wache 1 grinste. „Sie ist schon um!“ Beide Rebellen rissen ihre Waffen empor und sanken nur einen Sekundenbruchteil später leblos in sich zusammen, als Masamune ihre Leben mit der Schnelligkeit eines Gedankens beendete. Gleichzeitig explodierte der Eingang des Makoreaktors förmlich nach außen. Monster drängten sich, unterstützt durch urplötzlich aus dem Reaktor peitschenden Kugeln, durch die Öffnung in die Freiheit und wurden von den Schwertern der aus unterschiedlichen Richtungen aus dem Wald stürmenden SOLDIER in Empfang genommen. Der Kampf begann. Kugeln, gewaltige Klauen, furchteinflößende Krallen und gigantische, körperliche Stärken prallten gegen scharf geschliffene Schwerter und Magie. Die SOLDIER mochten kleiner sein, aber ihre Entschlossenheit machte diesen Mangel schnell wieder wett. Außerdem verfügten sie über größere körperliche Beweglichkeit, und so dauerte es nicht lange, bis dunkelrotes Glühen erste Verluste auf Seiten der Rebellen verkündete. Aber irgendetwas... Irgendwas stimmt hier nicht, dachte Cutter. Sie war Sephiroths Befehl befolgend im Wald geblieben, beobachtete gut versteckt die tobende Schlacht und lauschte auf das immer stärker werdende, unheilverkündende Gefühl tief in ihrem Inneren, bemüht, dessen Ursprung herauszufinden, um ihn genauer analysieren zu können. Irgendwann wurde ihr klar, was sie störte: Die Monster kämpften... seltsam. Brutal, ja – aber irgendwie nicht so zielstrebig, wie man es von ihnen gewohnt war. Als hätten sie es in Wahrheit gar nicht auf die SOLDIER, sondern etwas völlig anderes abgesehen. Oder bilde ich mir das nur ein? Aber sie halten immer wieder inne und sehen sich um... Sie suchen etwas... Warten sie vielleicht auf Verstärkung? Bestimmt auf diesen entsetzlichen `FireBooster´! Kann dieses blöde Teil nicht einfach kaputt gehen? Sie hielt nach Sephiroth und Zack Ausschau und wurde schon bald fündig. Es war lange her, dass sie die beiden 1st Class SOLDIER in derselben Schlacht erlebt hatte, und einmal mehr nahm sie die von ihnen ausgehende, einzigartige Atmosphäre völlig gefangen. Beide schienen mit Monstern und den MG Salven der im Reaktor verschanzten Rebellen förmlich zu spielen. Ihre Bewegungen waren elegant und zielstrebig, von verheerender Kraft und dem Gegner immer einen Schritt voraus, aber keiner der Beiden quälte seine Opfer unnötig. Sie brachten den Tod schnell und endgültig. Eben sprintete Zack unerschrocken auf den Eingang des Reaktors zu. Augenblicklich konzentrierte sich der mörderische Kugelhagel auf ihn, aber der 1st wich den Kugeln mit beeindruckender Präzision aus, oder brachte sie mit dem Busterschwert aus der Bahn ohne das Tempo auch nur für einen Sekundenbruchteil zu verlangsamen. Binnen weniger Sekunden hatte er als Erster der kämpfenden SOLDIER den Eingang erreicht und verschwand in der Öffnung... ... aus dem nur einen halben Herzschlag später blauweißes Feuer nach draußen quoll. Cutter konnte spüren, wie sie kreidebleich wurde und ihre Beine zu zittern begannen, gleichzeitig fühlte es sich an, als risse man ihr den Boden unter den Füßen weg. Nicht Zack!, dachte sie in hilflosem Entsetzen. Bitte, bitte nicht Zack...! In ihrem Schrecken bemerkte sie erst in letzter Sekunde, dass die blauweiße Attacke über das Schlachtfeld genau auf sie zugewabert kam. Cutter musste ausweichen! Sie versuchte, zwischen den Baumstämmen in Deckung zu bleiben, kam aber bei weitem nicht so schnell vorwärts, wie es die Situation erforderte. Notgedrungen verließ sie das schützende Dickicht, schaffte es, dem Feuer zu entgehen, und noch während sie von ihrem neuen Versteck aus den Verlauf der scheinbar unaufhaltsamen, blauweißen Flammen verfolgte, spürte sie heißen Atem in Nacken, dicht gefolgt von einer Flüssigkeit, die langsam und klebrig an selbigem herunterrann. Langsam, ganz langsam wandte Cutter den Kopf. Das Monster war größer als es jemals hätte werden sollen, Krallen und Zähne unterstrichen die in den Augen funkelnde Mordlust. Es hob den Kopf und brüllte, ein Schrei, der für einen Augenblick die gesamte Schlacht zu dominieren schien. Gleichzeitig schlug es mit den Vorderpranken zu. Cutter rollte sich blitzartig zur Seite, entging der Attacke um nur wenige Millimeter, kam auf die Füße. Ein erneuter Angriff des Monsters zwang sie, nach hinten auszuweichen. Sofort folgte ihr das Ungetüm, setzte seine Angriffe fort, hielt den Teenager in Bewegung. Und Cutter begriff, dass ihre Einschätzung völlig richtig gewesen war. Die Monster hatten jemanden gesucht. Sie selbst. Und gefunden. Jetzt wurde sie vorwärtsgetrieben, wobei das Verhalten des Monsters wirkte, wie eine lange Reihe von spannungsgeladenen Punkten, an deren Ende etwas Furchtbares wartete, und der Teenager konnte sich schon denken, wer. Der erste Fluchtversuch scheiterte, und ab dem zweiten gab ihr das Monster keine Möglichkeit mehr für einen dritten Anlauf. Unbarmherzig trieb es den Teenager auf den Reaktoreingang zu. Wenn es mich durch diese Tür drängt, hab ich verloren, dann habe ich für immer verloren... Warum, warum kann ich nicht einfach mit meiner Materia angreifen?? Weshalb greift mein Training nicht?? Toron ist da drin, ich spüre es, ich weiß es, komm schon, Cutter, du kannst es! Die Verachtung, mit der das Monster ihren ausgestreckten Arm beiseite fegte, war unübersehbar, gleichzeitig verpasste es dem nicht ernstzunehmenden Mädchen einen Stoß, der sie rückwärts taumeln ließ und erst wieder von den harten, zum Reaktoreingang führenden Stufen schmerzhaft gebremst wurde. Kugeln fegten an ihr und dem Monster vorbei, trafen aber nicht. Cutter startete einen erneuten Fluchtversuch – und zerriss den Geduldsfaden des Ungetüms. Riesige Zähne schlossen sich blitzartig mit der Kraft eines gigantischen Schraubstockes um ihren Arm, gleichzeitig preschte die Bestie vorwärts und zog ihr sich trotz allem heftig sträubendes Opfer mit in den Reaktor. Diesmal musste Sephiroth sich keine Fragen stellen. Zu vertraut, zu intensiv war die empfundene Panik. Eine letzte Bewegung erledigte seinen momentanen Gegner, und schon scannten die Augen des Generals das Schlachtfeld, suchten nach Cutter – und blieben an einer sich langsam aus dem verglühenden Wald rollenden, blauweißen Feuerfront hängen. Sie wollen uns von zwei Seiten in die Zange nehmen? Wie einfallslos... Wo ist Cutter?! Dann spürte er Heiterkeit in sich aufsteigen. Man sollte doch meinen, ich würde die Schwerpunkte dieses Kampfes anders setzen... Aber das änderte nichts am jähen Verschwinden des Teenagers. Beinahe beiläufig fiel Sephiroths Blick auf den Reaktor, aus dem immer noch MG Salven peitschten. Konnte es wirklich sein? Aber die aktuelle Situation gestatte keine nähere Überprüfung. Eben erreichte die zweite Feuerwand das Schlachtfeld. Cutter hatte schon viele Geschichten über Makoreaktoren gehört, war aber nie davon ausgegangen, jemals einen zu betreten, und auch, wenn sich diese Annahme mittlerweile geändert hatte – begeistert über den Grund und die Art war der Teenager nicht. Immer noch schleifte sie das Monster rücksichtslos vorwärts, ungeachtet aller Versuche seiner Beute, sich irgendwo festzuhalten oder zu befreien. Es knurrte nicht einmal, wenn einer der heftigen Tritte traf, sondern zerrte das kostbare Opfer mit sich, über Stufen und Etagen, vorbei an Schläuchen, Kabeln, purer ShinRa Technologie, immer tiefer in den Reaktor hinein. Immer näher zu Toron! Und dann, urplötzlich, hielt es an. Gewaltige Kiefer öffneten sich, aber gleichzeitig landete eine riesige Pranke auf Cutters Brustkorb und verhinderte so jeden weiteren Fluchtversuch. „Lass mich los!!“ Mittlerweile rasend vor Wut und Angst hämmerte Cutter mit den Fäusten auf die Pranke ein, aktivierte zum wiederholten Mal den Elektroschocker, trat wild um sich, traf auch, erreichte aber nicht das Geringste. Ihr Überlebenswille jedoch gestattete es ihr nicht, aufzugeben. Toron war mit Sicherheit schon unterwegs... Ich muss dieses verdammte Monster loswerden, aber wie?! Es ist viel größer und stärker als ich, und ich... Wenn ich doch nur endlich meine Materia benutzen könnte... Nein, nein, nein, denk nach, denk nach!! Es muss noch eine andere Möglichkeit geben, es muss... Hektisch sah sie sich um. Momentan befanden sie sich auf einem der untereinandergelegenen, geländerlosen Gänge, die zweifelsfrei für Reparaturarbeiten genutzt werden sollten. Zwar lag dieser nicht auf der obersten Etage, war aber dennoch ein gutes Stück vom Boden entfernt. Weder von der Seite, noch von unten gab es etwas Hilfreiches zu entdecken. Cutter sah an dem furchteinflößenden Kopf des Monsters vorbei nach oben. Es war Instinkt, gemischt mit purer Verzweiflung und einer nicht ganz unwesentlichen Menge an Wut, die den Teenager eine ihrer Materia aktivieren ließ. Sie hatte keine Ahnung, ob die nach oben geschleuderte Attacke stark genug war, um die gewünschten Konsequenzen auszulösen, sie hatte nicht einmal richtig zielen können... aber der Angriff traf das anvisierte Reaktorteil. Löste es von seinem Ursprungsort. Ließ es fallen, die beiden Gänge über Cutter krachend durchschlagen, näherte sich mit rasender Geschwindigkeit... Das Mädchen kniff die Augen zusammen, drehte den Kopf weg, machte sich auf explosionsartigen Schmerz und das Gefühl, abzustürzen, gefasst – aber es erklang nur ein dumpfes Röcheln, untermalt von grauenhaftem Quietschen überbeanspruchten Metalls, das sich gefährlich bog... aber nicht brach, wie die beiden vorherigen Gänge. Cutter öffnete die Augen. Vor ihr glühte der Körper des Monsters in empörten Dunkelrot... und verschwand. Nur das durch den Angriff abgetrennte Reaktorteil und Bruchstücke der durchschlagenen Gänge blieben zurück. Es mussten zwei absolut perfekte Treffer gewesen sein. Zeit, sich über den Erfolg zu freuen, blieb allerdings nicht, das signalisierte die dem Übergang gehörende Line überdeutlich. Hastig kam Cutter wieder auf die Beine, ließ ihre Bewegungen jedoch augenblicklich langsamer und vorsichtig werden, als unter ihren Füßen warnendes Stöhnen überbeanspruchten Metalls erklang. So behutsam wie möglich verließ das Mädchen den stark beschädigten Übergang, orientierte sich kurz, und begann, Etagenweise in Richtung des rettenden Ausgangs zu laufen – ein mehr als nervenzerfetzendes Unterfangen, denn zu überquerenden Gänge waren untereinander angeordnet, und über ihnen knirschte und kreischte das Metall des durch das schwere Reaktorteil völlig überlasteten Reparaturganges, dränge, warnte, schien förmlich zu schreien: `Lauf!´. Irgendwann würde das Metall nachgeben, und die letzten 50 Meter bis zum Ausgang verliefen ebenfalls genau unterhalb des letzten Reparaturganges... Cutter war sich ganz sicher, an MG Schützen vorbeigezerrt worden zu sein, konnte aber keine mehr entdecken und musste sich unwillkürlich fragen, was außerhalb des Reaktors geschehen war. Und was war mit Zack? Über ihr wimmerte Metall. Für gewöhnlich hatte Sephiroth für Personen, deren stärkste Fähigkeit darin lag, sich aufzuspielen, nur ein mitleidiges Lächeln übrig, bevor er ihnen eine schmerzhafte Niederlage bescherte. Diesmal hielt er sich nicht mit einem körperlichen Beweis seiner Verachtung auf. Die Rebellen waren sich ihres Sieges so sicher, dass sie sich offen zeigten, um die SOLDIER mit MG Salven unter Beschuss zu nehmen. Gleichzeitig walzten zwei aus unterschiedlichen Richtungen abgefeuerte Attacken des `FireBooster´s auf das Schlachtfeld zu – zweifelsfrei um, sich dicht aneinander vorbeischiebend, endgültig aufzuräumen. Sephiroth hielt die Zeit für mehr als gekommen, an ein paar grundlegende Dinge zu erinnern. Zum Beispiel daran, dass man sich besser nicht mit ihm anlegen sollte. Er nahm festeren Stand, hob Masamune in Augenhöhe und visierte über die unvergleichliche Klinge eine der beiden Feuerwände an. Im Reaktor erreichte Cutter das Erdgeschoss. Jetzt trennten sie nur noch 50 Meter vom rettenden Ausgang, nur ein kurzer, letzter Endspurt vor der ersehnten Freiheit, dem Ausweg aus der Falle... Toron tauchte völlig unvermittelt vor dem Teenager auf... – und Cutter bremste ab, entsetzt, erschüttert, und keine 25 Meter vom Ausgang entfernt, starrte in die tiefschwarze Mündung des `FireBooster´s... und wich zurück. Toron folgte ihr, langsam und siegessicher. „Der Trick mit dem Monster war gut, Schätzchen, aber wirkungslos. Du willst mir immer noch nicht sagen, wie ich in die 2nd Lines komme, nein? Dann endet dein Leben hier.“ Sie lächelte eisig. „Bleib stehen!“ Wieso gerade hier?! Instinktiv überprüfte Cutter die Lines – und begriff, überwältigt von eisigem Entsetzen. „Ganz recht“, fuhr Toron immer noch lächelnd fort. „Genau dort, wo du jetzt stehst, landet gleich das Reaktorstück. Es wird deinen Schädel zerschmettern, und du wirst in den Lebensstrom eingehen. Freust du dich?“ Ihre Überheblichkeit, das Kreischen des sich immer weiter biegenden Metalls, die scheinbar ausweglose Situation vor einer knapp 25 Meter entfernten Rettung... und die neu erweckten Erinnerungen an die Entführung in Junon, die erneute Hilflosigkeit... „LASS MICH DURCH!“, fauchte Cutter mit einer Wut, die sie selbst überraschte. Gleichzeitig nahm sie tief in sich eine Hitze wahr, die ihren Körper förmlich von innen heraus zu pulverisieren schien. Toron aber warf nur den Kopf in den Nacken, begann schallend zu lachen, und als sei dieses Geräusch der letzte Auslöser gewesen, gab Metall über Cutter seinen Widerstand endgültig auf. Das Bruchstück fiel erneut, riss Böden mit sich, wurde zu einer Lawine des Todes, raste mit unaufhaltsamer Gnadenlosigkeit heran... Und tief in Cutter verwandelte sich heiße Wut binnen eines Sekundenbruchteils zuerst in Eis und dann in völlige Emotionslosigkeit. Das harte Training mit Sephiroth... griff. Ergänzte uralte Überlebensinstinkte. Fegte alle Barrikaden beiseite. Und übernahm die Kontrolle. Es ließ Cutter in einem perfekten Blitzstart nach vorne jagen, direkt auf Toron zu, und entfesselte gleichzeitig die Gewalt eines direkt auf die Rebellenführerin gerichteten Materiaangriffes. Tödliches Feuer verschlang die Welt. Cutter streifte wie auf Automatik geschaltet noch im Rennen den neuen Gesichtsschutz über, stieß sich mit aller Kraft vom Boden ab. Die zwischen ihr und dem rettenden Ausgang tobenden Flammen hüllten ihren Körper ein, raubten ihr die Luft zum atmen, mehrere Sekunden lang, und dann... Sephiroth wusste, dass sich sein Ghost Walker in möglicherweise tödlichen Schwierigkeiten befand – diesmal jedoch war es ihm nicht möglich, helfend einzugreifen. All seine Aufmerksamkeit lag auf der anvisierten blauweißen Feuerwand und dem Schwert in seinen Händen. Seitdem er das legendäre Katana führte, war nichts auf ganz Gaia in der Lage gewesen, ihn aufzuhalten. Der General plante diesbezüglich keinerlei Änderung! Die Attacke erfolgte in einem kraftvollen Sprung mit punktgenauer Landung unmittelbar vor dem sich immer noch bewegenden Zielobjekt. Die Waffe der Rebellen mochte furchtbar sein - konnte jedoch keine Energie aus der verursachten Zerstörung gewinnen. Verschiedene physikalische Gesetze bewirkten eine Abschwächung der gigantischen Kraft im Laufe der vernichtenden Vorwärtsbewegung, bis hin zum endgültigen Verlöschen. Und hier lag der Schlüssel. Nur in Bewegung entfaltete sich die ganze Stärke des blauweißen Feuers! Was, wenn man dieser Stärke einen ebenbürtigen Gegner in den Weg stellte? Masamune kollidierte mit einer Facette des Todes, die es in dieser Form noch nie gegeben hatte, die bisher unaufhaltsam ihren Weg des Terrors und der Vernichtung gegangen war, für die Hindernisse nicht existierten... – und fegte sie mühelos zur Seite. Direkt, und somit ganz nach Plan, in die Bahn des von der anderen Seite heranrollenden Angriffes. Nur eine halbe Sekunde später prallten zwei völlig identische Kräfte aufeinander, unterbanden einander die Vorwärtsbewegung, bäumten sich auf in dem Versuch, einander zu verschlingen, um den Regeln ihrer Existenz zu gehorchen – und scheiterten. Die der Explosion folgende Druckwelle war so stark, dass es selbst Sephiroth trotz des wiedererlangten Abstandes nur mit Mühe gelang, sich auf den Beinen zu halten und zeitgleich das Gefühl, in tausend Stücke gerissen zu werden, auszublenden. Und dann... war es vorbei. Dem vorherigen Lärm folgte eine Stille, die sich förmlich zurückzulehnen schien um: `Und jetzt?´ zu fragen. Der General sah sich aufmerksam um. Schwaden des Feuers schwebten zahlreich und in unterschiedlicher Höhe, aber verloren und harmlos über dem Schlachtfeld wie Teile einer auseinandergetriebenen Herde. Am Boden zeigte sich Leben in anderer Form, Schatten, mal bewegungslos am Boden, mal auf allen Vieren, mal aufrecht gehend. Sephiroth erkannte viele seiner SOLDIER an deren Bewegungen – Zack war allerdings nicht darunter. Und der General hatte ihn den Reaktor keinesfalls verlassen sehen... Der Idiot wird doch nicht... Energisch rief er sich zur Ordnung. Wennschon... Aber es gab noch jemanden, dessen Verbleib ihn interessierte. Sephiroth lauschte einen Augenblick lang in sich hinein – dann setzte er sich zielstrebig in Bewegung. Cutter konnte sich nicht mehr an eine Landung erinnern. Irgendetwas Mächtiges hatte ihren aus dem Feuer kommenden Körper gepackt, als dieser den Reaktor verließ, davon geschleudert wie ein bedeutungsloses Blatt im Wind und letztendlich wieder fallen lassen, irgendwo und nicht gerade sanft. Das Mädchen stöhnte leise. Der metallische Geschmack frischen Blutes füllte ihren Mund aus, ließ sie husten und beschwor ein Gefühl von alles beherrschender Übelkeit herauf, das sich erst nach etlichen Sekunden wieder legte. Cutter sah sich vorsichtig um, befragte lautlos alle Komponenten des Augenblicks, ob die Stille nur trügerisch oder der Kampf wirklich vorbei war – dann fiel ihr Blick auf ein nur wenige Meter von ihr entfernt am Boden liegendes Objekt. Cutter zuckte wie elektrisiert zusammen, ging in die Lines und erhielt die endgültige Bestätigung: Es war einer der `Fire Booster´. Cutter kam so schnell auf die Beine, wie es ihr schmerzender Körper zuließ, näherte sich dem Zielobjekt... Zu sagen, woher der Schuss kam, war ihr unmöglich. Aber er traf. Katapultierte ihr Bewusstsein auf die schmale Grenze zur Besinnungslosigkeit und ließ ihren Körper zusammenbrechen. Ich... darf... nicht... Finsternis begann sich am Rand ihres Blickfeldes auszubreiten. Ich... muss... Los! LOS! Ausschließlich auf das nur wenige Meter von ihr entfernte Zielobjekt konzentriert, begann der Teenager sich auf dem Bauch liegend vorwärts zu schieben, Zentimeter um Zentimeter. Dem näher kommenden Sephiroth genügte ein einziger Blick, um zu erkennen, was vor sich ging, und wenn er in sich hinein lauschte, konnte er Cutters Wut spüren, ihre Entschlossenheit, ihren Schmerz... Ein Gefühlsinferno, welches ihn um die Sinnlosigkeit eines jeden Befehls wissen ließ. In Ordnung, Ghost Walker, dachte er. Du holst die Waffe. Ich kümmere mich um den Schützen! Er war schlau. Schoss und wechselte danach sofort die Stellung. Er spielte. Und Sephiroth zweifelte nicht daran, dass der letzte Schuss der geheimnisvollen Waffe gelten würde, um diese zu zerstören. Aber trotz aller Gerissenheit... es gab eine gewisse Grundrichtung aus der die Kugeln kamen! In seinem Versteck legte der Scharfschütze abermals an. Aus irgendeinem Grund vermochten seine Angriffe nicht zu töten, aber das bedeutete nicht, dass es keinen Spaß machte... Erneut betätigte er den Abzug, ließ den anvisierten Körper zusammenzucken, wechselte rasch die Stellung, betätigte erneut den Abzug... Aber die Attacke erreichte niemals das Ziel. Eine wahre Explosion aus Silber und Schwarz teilte die Geschosse säuberlich in zwei harmlose Hälften und sorgte gleichzeitig dafür, dass die Bewegung des Zeigefingers die Letzte gewesen war. Sephiroth sah nicht einmal zu, wie der Körper in den Lebensstrom einging. Er kehrte zum eigentlichen Schlachtfeld zurück, Cutters letzte Position anstrebend. Das Mädchen kam ihm bereits nach wenigen Schritten entgegen. Sie humpelte, und ihre Uniform wies etliche Brandlöcher auf, unter denen der schwarze Schutzanzug zu sehen war, aber der Blick des Teenagers war zu größten Teilen klar. Wortlos übergab das Mädchen ihrem General den `FireBooster´ - dann allerdings griff sie sich mit beiden Händen in die Haare und konstatierte mit einer Stimme, der die Strapazen der vergangenen Stunden deutlich anzumerken waren: „Oh Sephiroth-sama, mein Kopf tut so weh!“ Jeder andere, dachte die SOLDIER Legende, hätte jetzt versucht, sich und den Erfolg so vorteilhaft wie möglich zu präsentieren. Und ich hätte es ignoriert, die Waffe an mich genommen und wäre gegangen. Aber du... bringst mich immer wieder in Situationen, die mich aus meinem üblichen Handlungsmuster reißen. Und ich... lasse mich darauf ein. Er legte den ehemaligen Trumpf der Rebellen zu Boden und untersuchte vorsichtig den Kopf des Teenagers, bis er eine leicht blutige Stelle fand. Fast behutsam fuhr er durch die schweiß- und blutverklebten Haare (einmal zu oft, wie er sich sofort lautlos rügte), und erklärte schließlich: „Du hast einen Kopfschuss abbekommen. Dein Schädel ist unversehrt, aber ich tippe auf eine Gehirnerschütterung. Nimm den Schmerz als Beweis, dass dein Körper nicht über dem Hals einfach aufhört.“ „Um ganz ehrlich zu sein“, murmelte Cutter, während sie nach der ihr entgegengestreckten Potion griff, „ich habe schon zweimal gefühlt, ob da wirklich noch etwas ist.“ Sephiroth beobachtete sie aufmerksam. Er wusste, dass sie in Gefahr gewesen war, und sein Instinkt sagte ihm ganz klar, wer sie bedroht hatte – da sie aber lebte... „Trainingsziel erreicht!“, konstatierte er mit einem Hauch Triumph in der Stimme. Cutters Blick verdunkelte sich augenblicklich, gleichzeitig ließ sie die Potion ungenutzt sinken. „Sie... war im Weg...“ Ihre Stimme war nur ein kaum hörbares Flüstern. „Und wollte ihn nicht freigeben... Ich...“ Intensives, selbstbezogenes Entsetzen nach all dem Adrenalin ließ sie verstummen. Und obwohl Sephiroth (in diesem sehr speziellen Fall) bereit war, hilfreich auf den Schrecken einzugehen – jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür. „Trink deine Potion, Cutter!“ Der Teenager nickte müde, nahm ein paar Schlucke und spürte, wie der Schmerz nachließ, Raum für andere Gedanken schuf. Suchend sah sie sich um. „Wo ist Zack?“ „Ich fürchte“, antwortete Sephiroth wenig begeistert, „genau hinter dir.“ Cutter wandte sich um – und atmete erleichtert auf. Zack marschierte auf das ungleiche Duo zu, grinsend und völlig unversehrt. Das Mädchen schlang die Arme fest um den 1st, sobald dieser nahe genug war. „Ich dachte wirklich“, murmelte sie, „diesmal hat es dich erwischt.“ „Mich doch nicht“, schmunzelte Zack und wuschelte ihr durch die Haare. „Wenn man sie eine Weile beobachtet, wird selbst eine solche Attacke berechenbar. Aber ich glaube, du brauchst eine neue Uniform.“ Dann lachte er sowohl mitfühlend als auch erheitert: „Langsam wirst du teuer, Cuttie-cut!“ Nur Sekunden später fiel sein Blick auf den Gegenstand in Sephiroths Händen. „Ist das etwa...?!“ „Die Schmusestunde ist hiermit beendet!“ Seine Stimme klang eisig, und sie behielt diesen Klang auch während der Erteilung neuer Befehle bei. Bis zu deren Ausführung vergingen nur wenige Minuten. Der Black Hawk landete, das Reparaturteam begann, sich einen Überblick zu verschaffen und war schon bald in lautstarken Streitigkeiten versunken. Sephiroth sah zu ihnen hinüber und schüttelte innerlich den Kopf. Solche Diskussionen waren auf seinem Schlachtfeld nicht vorstellbar... Eine noch nie da gewesene Empfindung riss ihn aus seinen Gedanken. Irgendjemand zupfte ihn an der Uniform, sehr sachte und vorsichtig, aber allein die Tatsache, dass es jemand wagte... „Sephiroth-sama? Ich habe auch was kaputt gemacht...“ Die geplante, scharfe Rüge des Generals verblasste hinsichtlich des zerknirschten Ausdruckes in Cutters Augen. Schweigend lauschte er der Schilderung des Kampfes gegen das Monster im Reaktor - und machte den auf die Schäden zurückzuführenden Schuldgefühlen des Teenagers mit einer für ihn völlig untypischen Handbewegung zunichte. „Wird auf die Liste der von den Rebellen verursachten Schäden gesetzt. Das heißt, keine Konsequenzen für dich.“ Ihren Gesichtsausdruck richtig deutend, ergänzte er: „Ich will keinen Protest hören!“ Cutter wusste, dass sie seinen Worten glauben konnte, und so nickte sie einfach nur und begrub wenigstens dieses eine Schuldgefühl – gab somit jedoch einem weitaus Größeren noch mehr Platz und Macht. Als die Abenddämmerung herankroch, begannen einige der SOLDIER, Zelte aufzustellen und Feuerholz heranzuschaffen, während der Rest aufmerksam die Umgebung im Auge behielt oder dem immer noch (oder schon wieder) streitenden Reparaturteam lauschte. Dessen völlig ungeachtet loderten schon bald die ersten Flammen. „Wie idyllisch!“, seufzte Zack. „Lagerfeuerromantik. Und ich habe keine Gitarre dabei.“ „Weil du keine besitzt!“, grollte Sephiroth. „Ich könnte mir eine kaufen.“ „Tu mir einen Gefallen, Zackary. Bleib im nächsten Kugelhagel einfach ruhig stehen.“ Zack machte seinem direkten Vorgesetzten durch ein breites Grinsen klar: `Ich weiß, du meinst das nicht ernst!´, ignorierte, dass er ignoriert wurde und setzte sich augenblicklich in Bewegung, als vom Feuer her der Beginn des Abendessens verkündet wurde. Sephiroth war weder nach essen, noch nach Gesellschaft zumute, und so blieb er allein in der mittlerweile allumfassenden Dunkelheit zurück. Die Äste der nahen Bäume bewegten sich im leichten Wind, und von den sanften Bewegungen glitt der Blick des Generals höher, zum nachtschwarzen Firmament, an dem bereits unzählige Sterne funkelten. Kein seltener Anblick. Aber diesmal erklang tief in Sephiroth die Stimme eines gewissen Teenagers. „... wenn du in einer sternklaren Nacht zum Himmel aufsiehst – das ist sie.“ Meine Line, dachte der General. Die Finsternis war dominant, keine Frage. Aber all das Glitzern und Funkeln... wie die letzten, beharrlich kämpfenden Reste alter Hoffnung... auf irgendetwas... irgendjemanden? Ich glaube, dachte Sephiroth fast bedächtig, ich mag sie. Sein Blick wanderte zurück zu den SOLDIER. Bis auf die Wachen saßen alle kauend um die Flammen, Cutter wie üblich ein wenig abseits, und der General konnte ihr ansehen, dass sie tief in Gedanken versunken war. Ob sie müde ist?, dachte er. Eine Sekunde später rief er sich hart zur Ordnung. Der Teenager würde bis auf weiteres wach bleiben müssen! Ihr Zustand spielte keine Rolle! Fast ein wenig ärgerlich über sich selbst suchte er sein Zelt auf, führte eine nähere Untersuchung des `FireBooster´s durch und verfasste eine äußerst detaillierte Berichtanfertigung über den bisherigen Missionsverlauf. Stunden vergingen. Es war weit nach Mitternacht, ehe Sephiroth Cutter zu sich kommen ließ und ihr die Möglichkeit eröffnete, etwas zu schlafen. „Hier?“, fragte der Teenager schüchtern. „Wo sonst?“ „Und wenn die Rebellen zurückkommen? Wir haben doch eine ihrer wertvollsten Waffen...“ „Wir haben“, antwortete Sephiroth nicht unfreundlich, „wie du selbst am besten wissen dürftest, noch viel mehr als das. Genau deshalb werden sie sich hier nicht mehr blicken lassen, sondern sich verkriechen und eine neue Strategie ausarbeiten. Geh schlafen.“ „Ja, Sir“, murmelte Cutter, streckte sich dankbar auf der Pritsche aus, zog die Decke über sich, schloss die Augen... Das ging ja schnell, dachte Sephiroth. Eigentlich war er davon ausgegangen, sie würde den gesamten Schlafplatz für sich beanspruchen, aber Cutter hatte sich nur am äußersten Rand ausgestreckt und so einen beachtlichen Freiraum übrig gelassen – ideal um sich vorsichtig zu setzen und mit der Arbeit an dem kleinen Tisch fortzufahren. Einige Minuten lang arbeitete er konzentriert, dann, fast unabsichtlich, warf er dem schlafenden Mädchen einen kurzen Blick zu. Deren Decke war etwas verrutscht und ließ die dunkelblauen Ausläufer eines dank des Schutzanzuges nicht tödlichen MG Treffers am Hals erkennen – eine Verletzung, gegen die eine Potion nichts ausrichten konnte. Sephiroth hatte in seiner bisherigen Laufbahn schon wesentlich grausamere Verletzungen gesehen und sich unberührt davon abwenden können. Diesmal allerdings... Er wusste, wie empfindlich die Haut dort war. Dieser Treffer musste besonders schmerzvoll gewesen sein. Und trotzdem, dachte er, hat sie nicht aufgegeben, sondern die Stellung gehalten und gekämpft. Ich... sollte dieses Verhalten einfach erwarten, aber... sie hat ihre Sache großartig gemacht. Er griff nach der verrutschten Decke, zog sie behutsam wieder über die Schultern des Mädchens und setzte so ungewollt eine ganze Kette von Ereignissen in Gang: Cutter erschauerte kurz im Schlaf und dann, völlig unvermittelt... schmiegte sie sich vertrauensvoll an ihn. Sephiroth erstarrte. Für einen Augenblick vergaß er sogar, zu atmen. Nur seine Gedanken rasten, gleichzeitig unterdrückte er mit aller Kraft den durch die Berührung ausgelösten Wunsch, zu flüchten. Verdammt!, dachte er, als ihm dies wieder möglich war. So war das nicht geplant! Für einen kurzen Augenblick war er fest entschlossen, das Mädchen zu wecken und scharf zurechtzuweisen – dann entschied er sich anders, begann vorsichtig abzurücken... und hielt nach wenigen Millimetern inne. Sieh sie dir an. Liegt hier, als sei das... als sei ich... völlig normal. Nach allem, was sie gesehen hat, nach allem, was sie über mich weiß... Es scheint sie überhaupt nicht zu belasten. Außerdem... Niemals zuvor hatte er Cutter so handeln sehen. Nicht einmal bei Zack. Du... kuschelst dich nicht einfach so an andere. Ist das... wirklich nur für mich? Fast unbewusst ließ er sich zurücksinken gegen Wärme, die ihn so vorbehaltlos empfing, als sei sie nur seinetwegen hier, habe nur auf ihn gewartet, und dann konnte er spüren, wie die von dem Mädchen ausgestrahlte Ruhe begann, auch auf ihn überzugehen, behutsam, fast fragend, als wolle sie seine Gefühle nicht verletzen. Und seine Anspannung wich. Irgendwann versuchte er, weiterzuarbeiten, aber seine Konzentration verhielt sich nicht ihrem legendären Ruf entsprechend. Immer wieder ertappte er sich bei Blicken zu Cutter, durch deren Hände mittlerweile Strähnen seines langen, silberfarbenen Haares liefen – allerdings ohne den geringsten Zug auszuüben. Mach dir nicht mehr Ärger, als du verkraften kannst, dachte Sephiroth warnend – und kam sich im selben Augenblick vor wie ein Idiot: Eine Warnung zu denken, statt sie auszusprechen... Er startete einen weiteren, energischen Versuch, die Arbeit wieder aufzunehmen. Diesmal gelang es ihm. Einige Stunden blieb es ganz still in dem kleinen Zelt. Dann streckte Zack den Kopf zum Zelteingang herein. „Seph, die Techniker haben die... “ Der sich ihm bietende Anblick einer schlafenden, eng an den Körper des gefürchteten Generals gekuschelten Cutter, katapultierte den angefangenen Satz augenblicklich ins Nirgendwo. Zack setzte seinen ursprünglich nur für besonders niedliche Tierkinder reservierten Gesichtsausdruck auf und flüsterte: „Oh wie...“ „In deinem eigenen Interesse, SOLDIER, sollte das nächste Wort nicht `süß´ sein!“ Selbst flüsternd konnte seiner Stimme noch eine Schärfe innewohnen, die andere nur mit lautem Brüllen erreichten. Zu seinem Leidwesen war Zack flexibel. „Wie wäre es mit `goldig´? Oder `niedlich´? Nein? Schade...“ „Was willst du?!“ „Ich wollte was? Was... Oh ja, richtig. Die Techniker haben die Liste mit den zusätzlich benötigten Ersatzteilen fertig. Ist ziemlich lang geworden, die Rebellen waren nicht gerade zärtlich mit dem armen Reaktor.“ „Nach Midgar durchgeben und den sofortigen Versand der Einzelteile veranlassen. Sicherheitsstufe bleibt unverändert. Ich dulde keinerlei Verzögerungen!“ Normalerweise lässt er sich von keinem freiwillig berühren. Aber Cutter... Ich wusste schon immer, dass er sie mag! Es scheint stärker geworden zu sein. Wie schön! Vielleicht gelingt es ihr, seinen Eispanzer ein wenig anzuschmelzen. Auf alle Fälle... verändert sich Seph. Ob ihm das bewusst ist? Aber er lässt es zu... Und Cutter ist bis über beide Ohren in ihn verliebt, das steht außer Frage. Ich bin mir aber zu 99,9 % sicher, dass ihm genau das nicht klar ist... Trotzdem habe ich ihn noch nie so gesehen... Es war eines der Szenarien, die Zack sich für seinen besten Freund von ganzem Herzen gewünscht hatte, und dass es jetzt wahr wurde, machte ihn sehr, sehr glücklich, zeigte es doch eines überdeutlich: Hojo war es nicht gelungen, Sephiroths Seele völlig zu zerstören. Aber gleichzeitig eröffnete sich ein neues Problem von ungeahnter Schwere: Cutter war zu jung. Und ihre Entwicklung noch nicht abgeschlossen. Sephiroth aber brauchte eine Person mit abgeschlossenem Charakter und gefestigter Persönlichkeit. Jemanden, der von sich selbst genau wusste, wo er stand, der zur Not mit aller Kraft widersprechen konnte und auch bereit war, die Konsequenzen zu ertragen ohne unter ihnen zusammenzubrechen. Cutter zeigte gute Ansätze. Aber für Sephiroth war es einfach nicht genug. Sollte ich mich einmischen? Mehrere Sekunden lang kämpften die Stimme seiner Logik und die seines Gefühls erbittert um die Vorherrschaft – dann stand ein Sieger fest. Zack beschloss, sich zurückzuhalten und die weiteren Entwicklungen abzuwarten. Dann machte er sich daran, den erhaltenen Befehl auszuführen. Im Zelt legte Sephiroth seine Hand auf Cutters Schulter, und das Mädchen erwachte, blinzelte müde, setzte sich schließlich halb auf... „Ich bin wirklich ganz fest eingeschlafen?“ Sie rieb sich über die Augen, sah zu Sephiroth auf und murmelte: „Das ist deine Schuld.“ „Meine Schuld?“, wiederholte der General mit einer Verblüffung, die zu tief ging, um sich restlos verbergen zu lassen. „In deiner Gegenwart fühle ich mich immer so geborgen...“ Sie schüttelte den Kopf. „Gaia... ich habe geträumt, ich hätte mich an dich gekuschelt. So ein Blödsinn.“ „Tatsächlich.“ Gleichzeitig räkelte er sich wie zufällig. Schwarzes Leder rieb sich an der Uniform des Teenagers. Cutter schluckte. „Das... war kein Traum? Oh... Verzeihung, Sephiroth-sama!!“ Sie rückte ab, hielt aber urplötzlich inne, verzog, begleitet von einem leisen Schmerzenslaut, das Gesicht und rieb sich über den Oberschenkel. „Dieser blöde Scharfschütze!“ „An den wirst du dich noch eine ganze Weile erinnern“, prophezeite Sephiroth. „Aber ich werde nicht sterben.“ Sie lächelte. „Ich hab´ s meinem General versprochen.“ Sephiroth konnte ein flüchtiges Schmunzeln nicht unterdrücken. Diese Sorte der Erheiterung... Niemand außer Cutter vermochte sie in ihm wecken. Deren lächeln schwand allerdings gerade. „Denkst du, sie ist wirklich tot?“, fragte sie ganz leise. „Der menschliche Körper ist nicht darauf ausgelegt, hochstufige Materia wie deine heil zu überstehen. Und ein Angriff dieser Stufe tötet sehr schnell.“ „Das hoffe ich“, wisperte der Teenager. „Ich hoffe es wirklich so sehr... Ich hab ihr gesagt, sie soll mich durchlassen, aber...“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich wollte ihr nicht weh tun, ich wollte nur, dass sie... Warum ist sie nicht einfach zur Seite gegangen? Ich hätte das nicht tun dürfen!“ „Cutter. Feinde unterliegen aus einem einzigen Grund: Weil sie ihren Gegner unterschätzen.“ „Ich habe mich ja selbst unterschätzt. Und jetzt... bin ich ein Mörder.“ „In erster Linie bist du Überlebende einer Schlacht.“ „Schon. Aber andere gehen für eine ähnliche Tat jahrelang ins Gefängnis.“ „Zivilisten. Wir sind das Militär. Muss ich dir den Unterschied erklären?“ Die Betonung, eine Mischung aus gespieltem Entsetzen und ehrlicher Erheiterung, ließ ein flüchtiges Grinsen über Cutters Gesicht huschen. „Ich werde“, sagte sie schließlich leise, „versuchen, das nicht zu vergessen. Aber... ich brauche bestimmt eine Weile. Ist das in Ordnung?“ Sephiroth nickte. Dann informierte er den Teenager: „Die Techniker haben die Liste fertig, und die Ersatzteile werden in Kürze über den Luftweg geliefert. Überwach zusammen mit unserem Funker den Transport.“ „Schon unterwegs.“ Vollständig wach kam sie auf die Beine, näherte sich dem Zelteingang, hielt inne, wandte sich um... „Sephiroth-sama? Darf... darf ich dir noch was sagen? Was persönliches? Ja? Dein Körper ist unglaublich warm.“ Der General hatte schon viele Aussagen über seinen Körper gehört oder gelesen. Er wusste: Für nahezu alle Kadetten war er das Maß aller Dinge. Hojo sah in ihm nur etwas, in das man Nadeln jagen oder ein Skalpell senken konnte. An seinen (albernen) Fanclub mochte er nicht einmal denken. Aber die gerade von Cutter getätigte Aussage... Sephiroths Gesichtsausdruck veränderte sich und wurde zu einem schüchternen Lächeln. „Warm?“, wiederholte er leise. Und als Cutter nickte, fuhr er fast ein wenig verlegen fort: „Er kann unmöglich wärmer sein als deiner. Das ist... du bist...“ Er verstummte. Diese Ebene. Nur Cutter konnte ihn darauf bringen. Und es geschah immer so, dass er es erst zu spät bemerkte. Seltsamerweise gewann er einmal mehr den Eindruck, als ginge es ihr ebenso, denn ihr Gesicht war wesentlich röter als noch vor ein paar Sekunden, und im Großen und Ganzen wirkte sie, wie ein Musterbeispiel für Verlegenheit. „Du solltest dich beeilen“, rettete er sich (und sie?) wieder auf sicheres Terrain, und Cutter nickte fast dankbar und verließ das Zelt. Sephiroth starrte auf die Stelle, an der sie bis vor wenigen Sekunden noch gestanden hatte, und lauschte den von ihr losgetretenen Gedankengängen. Sie... hat Recht. Mein Körper ist warm. Sehr sogar. Unter anderem, weil ich... lebe. Wann habe ich das vergessen? Ich darf es nie wieder vergessen! Die fremde Wärme war längst wieder zu seiner eigenen geworden, die durch sie vermittelte Botschaft jedoch rumorte in seinem Herzen, bis sie ein behagliches Fleckchen gefunden hatte. Dort lag sie, still - aber bereit, sich bemerkbar zu machen, sollte er je wieder Zweifel haben. Es dauerte nur wenige Stunden, ehe die Helikopter mit den gewünschten Ersatzteilen landeten. Cutter hätte mit einem mehrtägigen Aufenthalt gerechnet, aber zu ihrer Überraschung traten sie und der General noch am selben Tag den Heimweg an. „Und die Rebellen??“ „Werden sich nicht rühren!“ Sein Instinkt sagte ihm, dass `Liberation´ zu geschockt über den Verlust ihrer Anführerin sein würde, um etwas zu unternehmen. Im HQ angekommen übergab der General die eroberte Waffe sofort der entsprechenden Abteilung, machte klar, dass er binnen Rekordzeit Ergebnisse wünschte und kehrte in sein Büro zurück, um den Bericht an Präsident Shinra weiterzuleiten und den Krieg gegen den gewohnten Papierkram fortzusetzen. Es wurde spät, ehe er an diesem Tag sein Appartement betrat, duschte und zu Bett ging, aber die Ruhe hielt nicht lange an. Irgendwann wachte er auf in der sicheren Gewissheit, dass irgendetwas nicht stimmte. Fehlte. Und nach minutenlangen Versuchen, es zu definieren... wusste er es. Letzte Nacht um diese Zeit... war ich nicht alleine. Sephiroth war niemand, der vor einer Wahrheit flüchtete. Diesmal jedoch wehrte er sich mit aller ihm zur Verfügung stehenden, mentalen Kraft gegen die sanfte Gewissheit, dass es Cutters so warmer, respektlos an seinen eigenen geschmiegter Körper war, dessen jetziges Fehlen dieses seltsame Gefühl eines Verlustes in ihm heraufbeschwor. Aber den Teenager irgendwo schlafen zu lassen, alleine, war absolut inakzeptabel gewesen, und gleichzeitig die Pritsche im Zelt als Sitzmöglichkeit zu nutzen hatte sich nicht vermeiden lassen. Suche ich gerade nach Entschuldigungen für mein eigenes Verhalten? Anfänglich war es ihm kaum möglich gewesen, die Berührung zu ertragen, auch wenn sie... keinen Schmerz ausgelöst hatte. Und warm gewesen war. Sehr... warm. Vorsichtig rief er die Erinnerung ein wenig näher zu sich. Cutter hatte sich so vorsichtig an ihn gekuschelt, als fürchtete sie, ihn zu zerbrechen... Ihn! Er versuchte, es logisch zu sehen. Die Nächte waren kalt geworden. Sich unter diesen Umständen einer Wärmequelle zu nähern war... ganz natürlich. Und in diesem speziellen Fall die respektvollste Respektlosigkeit, der Sephiroth jemals begegnet war. Jetzt verweigerte es ihm sogar den Schlaf. Mit beiden Händen fuhr er sich in einer fast hilflos wirkenden Geste über das Gesicht und durch die Haare. Was ist mit mir los? Es ist nur Cutter. Cutter! Das größte Schussel unter meinem Kommando! Gerät ständig in Schwierigkeiten! Verschafft mir schlaflose Nächte! Ist absolut unberechenbar! Aber die seltsame Wahrheit hatte es sich bereits in seinem Kopf gemütlich gemacht. Es kann nicht sein! Ich... bin nicht geschaffen, um etwas wie Wärme zu vermissen. Etwas zu vermissen bedeutet, Gefallen daran gefunden zu haben. Sich abhängig zu machen! Ich bin nicht... War das wirklich nur für mich? Niemand war ihm jemals für längere Zeit so nahe gekommen. Niemand außer Hojo, und auch das lag nur an den eisernen Hand- und Fußfesseln. Aber diesmal... hatte es nichts von alle dem gegeben. Nur diese Wärme. Die ihn dennoch ebenso am Platz gehalten hatte. Völlig zwanglos. Dabei hätte ich doch... Warum habe ich nicht... Ich bin so verwirrt. Warum? Sein Blick fiel auf Masamune. Das Katana schien die Dunkelheit anzuziehen und in verstärkter Form wieder abzugeben, und Sephiroth streckte die Hand aus, fuhr beinahe zärtlich über den schwarzweißen Griff und spürte, wie die schäumende Irritation ein wenig nachließ. Den Rest der Nacht verbrachte er in seinem privaten Trainingsraum, und als der Morgen dämmerte, waren seine Gedanken zu der vertrauten Kühle zurückgekehrt, die ihn dort überleben ließ, wo andere starben. Er war wieder er selbst – zwar bereit, diese seltsame, Cutter betreffende Wahrheit zu akzeptieren... sich aber auf keine Art und Weise darauf einzulassen. Es war ihm unmöglich, die Undurchführbarkeit des Planes zu erkennen, was allerdings nicht zuletzt auch an den um ihn herum stattfindenden Entwicklungen lag, denen sich Sephiroth einmal mit voller Aufmerksamkeit widmen musste. Kapitel 31: Entwicklungen ------------------------- Auf manchen Ebenen war das Wort des legendären General Sephiroth Crescent Gesetz. Es entschied über Schicksale. Ebnete Wege oder errichtete unüberwindbare Hindernisse, ließ Träume zerplatzen oder verhalf zum nächsten Schritt auf der Karriereleiter, beschützte oder richtete hin. Niemand außer Präsident Shinra, Hojo und Zack hatten dem jemals etwas wirkungsvolles entgegenzusetzen gehabt. Jetzt allerdings gesellte sich eine vierte Person hinzu – wenn auch denkbar unfreiwillig. Sephiroth war intensiver auf Cutters Schuldgefühle eingegangen, als jemals zuvor bei einer anderen Person. Seiner Ansicht nach hatte er alle Gewissensbisse neutralisiert. Aber er irrte sich. Und bei aller strategischen Brillanz – diesmal wusste selbst er nicht, wie er dem Mädchen helfen konnte, ohne schädliche Konsequenzen heraufzubeschwören. Den Teenager weiterhin auf Missionen zu schicken war aus vielen Gründen unabdingbar, und Cutter leistete, wie üblich, gute Arbeit – aber sie litt. Nicht zuletzt, weil sich auf Einsätzen innerhalb Midgars das feindliche Feuer kurz- oder langfristig stets auf sie konzentrierte. Die Stadt wusste um den Tod der Rebellenführerin, ließ den Teenager dies überdeutlich spüren, und Cutter akzeptierte die Bestrafung und den Schmerz für eine immer noch als Fehler empfunden Tat mit einer für sie absolut unpassenden Ergebenheit. Sephiroths Aufmerksamkeit hätte dieser Tage auf anderen Ereignissen liegen müssen (zum Beispiel war es der Waffenabteilung in gewünschter Rekordzeit gelungen, Aufbau und Funktionsweise des `FireBooster´s zu entschlüsseln, die Arbeit an einer entsprechenden Antwort fand im 3 Schichtbetrieb statt und Ergebnisse standen kurz bevor) - aber sie tat es nur bedingt. Cutters Verhalten weckte tief in ihm eine undefinierbare Art von Zorn und ließ ein erneutes Gespräch unaufschiebbar werden. „27“, wiederholte der General die eben erhaltene Information. „27 im Laufe der vergangenen Missionen erhaltene, auf Schusswaffen zurückzuführende Treffer. Nicht tödlich, dank des Anzuges. Darf ich fragen, wann du anfangen willst, dich zu wehren?!“ „Ich... ich habe Angst, die anderen Missionsteilnehmer in Gefahr...“ „Deine Teamkollegen“, unterbrach Sephiroth scharf, „sind SOLDIER! Cutter, du wirst dein Verhalten ändern! Augenblicklich!“ „Ja, Sir“, murmelte der Teenager mit gesenktem Kopf. „Cutter...“ Etwas in seiner Stimmlage veränderte sich, wurde weicher ohne an Eindringlichkeit zu verlieren. „Wo ist dein Stolz? Du hast keinen Fehler gemacht! Du verdienst diesen Schmerz nicht! Du...“ Warum kann es mir, solange du deine Arbeit ordentlich erledigst, nicht einfach egal sein? Weshalb möchte ich, dass du dich selbst besiegst? Dass es dir gut geht? Dich so leiden zu sehen... Alles ist falsch! Aber ich kann nicht tatenlos mit ansehen, wie du an dir selbst zugrunde gehst. Ich kann... dich nicht allein lassen. „... hast nicht so hart gekämpft, um dich jetzt als Sandsack benutzen zu lassen. Wehr dich! Du hast alles, was du dafür brauchst. Benutz es!“ „Ich versuch´ s.“ „Nein!“ Das `weiche´ in seiner Stimme wich schlagartig dem harten, militärischen Tonfall. „Du wirst es schaffen! Haben wir uns verstanden! Wegtreten!“ Nur Worte, dachte er. Mehr kann selbst ich diesmal nicht tun. Du treibst mich, den großen General Crescent, an eine meiner wenigen Grenzen. Ich dürfte das nicht zulassen. Ich nicht... Und doch ist dem so. Ich hoffe, meine Worte bewirken etwas... Aber er wusste - wenn selbst ihm nicht mehr blieb als Hoffnung, war die Situation nahezu unlösbar. Er war nicht der Einzige, der sich sorgte. Auch Zack behielt seinen Lieblingsteenager im Auge, und als er sicher war, dass sich die Situation nicht bessern würde, fing er das Mädchen eines Abends in den Fluren ab und nahm sie mit auf den am höchsten gelegensten (und eigentlich für Normalsterbliche ohne Genehmigung nicht zugänglichen) Punkt oberhalb der Platte: Das Dach des mächtigen ShinRa HQs. Es war bereits dunkel, eine ungewöhnlich klare und kalte Nacht. Cutter fröstelte. „Was...“, begann sie, und Zack schüttelte den Kopf und wies nach oben. „Es müsste jeden Moment soweit sein.“ Cutter hob den Kopf. Über ihr leuchteten Milliarden von Sternen am tiefschwarzen Firmament. Sephiroths Line kam ihr in den Sinn, aber dann zog etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich: Eine Sternschnuppe. Es dauerte nur wenige Sekunden, ehe sie wieder verglühte – aber ihr folgte eine zweite. Und eine dritte. Und diesen Unzählige. Leuchtende Bahnen, die sich lautlos nacheinander und gleichzeitig durch die Dunkelheit zogen und verblassten, lange, kurze, mal sehr hell, dann wieder fast schüchtern. Wie Wünsche, die für einen flüchtigen Augenblick Gestalt angenommen hatten. Es dauerte mehrere Minuten, ehe das seltene Schauspiel vollständig vergangen war. „Wow“, hauchte Cutter hingerissen. „So etwas geschieht erst in 150 Jahren wieder“, sagte Zack neben ihr leise. „Und wenn du dich im Reaktor nicht gewehrt hättest, wäre es dir vielleicht für immer versagt geblieben.“ Er schwieg einen Augenblick. „Leben ist... etwas seltsames, Cutter-chan. Manche halten es für sinnlos, weil es, wie sie sagen, sowieso dem Tod geweiht sei, und deshalb wehren sie sich nicht, wenn ihr Leben in Gefahr ist. Aber wenn du dich mal umsiehst, wirst du überall gute Argumente entdecken, die dagegen sprechen. Nimm die Tierwelt, zum Beispiel. Selbst schwer verletzt würde jedes Tier noch um sein Leben kämpfen, egal, wie aussichtslos die Lage ist. Und warum tun sie das? Weil sie ihr Leben lieben. Es ist... ein Geschenk. Und dieses Geschenk mit allen Mitteln zu verteidigen, liegt in ihrer Natur. Genau wie bei uns.“ „Aber ich habe Toron getötet, Zack! Dazu hatte ich kein Recht!“ „Weißt du, es gibt da eine Grundformel. `Wer angreift, muss mit Widerstand rechnen.´ Leben begegnet Bedrohungen nicht mit demutsvoll gesenktem Kopf und harrt der Dinge, die da kommen. Leben nimmt festeren Stand und ist bereit zum Kampf! So wird es immer sein. Oder denkst du, Toron hätte sich an deiner Stelle anders verhalten?“ Cutters Kopfschütteln machte diese wichtige Erkenntnis zwar klar, aber Zack spürte, dass es immer noch nicht ausreichte, um das Mädchen von ihren Schuldgefühlen zu befreien – und vorher würde keiner von ihnen dieses Dach verlassen! Er wechselte die Strategie. „Als ich zu ShinRa kam, wollte ich nur eines werden: SOLDIER 1st Class. Im Training versuchen sie, einen auf alles mögliche vorzubereiten. Auch aufs Töten. Irgendwann dachte ich, ich sei bereit, und es würde mir nichts ausmachen. Aber als es dann soweit war...“ Er schüttelte den Kopf. „Es gibt Dinge, auf die ist man niemals vorbereitet. Ich habe mir dieselben Fragen gestellt, wie du jetzt. Hätte ich es verhindern können? Hätte es eine andere Möglichkeit gegeben? Welche Konsequenzen hat meine Tat ausgelöst, und bin ich stark genug, damit klar zu kommen? Eine Weile ging es mir nicht besonders gut, genau wie jetzt bei dir. Aber dann... habe ich es begriffen.“ Er nahm den Teenager in den Arm, und als er wieder sprach, klang seine Stimme leise, aber eindringlich. Fast, wie eine Zauberformel. „Du hast um dein Leben gekämpft und das großartig! Das ist kein Fehler!“ Jedes seiner Worte schien Finsternis und Zweifel in Cutters Herzen ein wenig zurückzudrängen, Raum zu schaffen für neue Gedanken. Wie eine kleine Insel inmitten eines gigantischen Ozeans aus Schuldgefühlen. Bis schließlich... Er hat Recht, dachte Cutter irgendwann. Es ist mein Leben. Wer soll darum kämpfen, es beschützen, es leben, wenn nicht ich selbst? Ich habe diesen Streit nicht angefangen. Ich habe Toron niemals bedroht. Ich war... ein Rädchen in ihrem Plan, das nicht wie erwartet funktioniert hat. Deshalb wollte sie mich töten. Aber ich war stärker! Ich habe `mich´ beschützen können... Und das war gut! Über ihr erklang abermals Zacks leise Stimme. „Jeder in deiner Lage hätte dasselbe getan.“ Er schnaubte. „Außer diesen Schwachköpfen, die glauben, Leben sei es nicht wert, darum zu kämpfen.“ In seinen Armen begann Cutter, leise zu lachen – zum ersten Mal seit Tagen voller Finsternis und Zweifeln. Und Zack wusste, dass es ihm gelungen war, den erdrückenden Ring aus Schuldgefühlen um ihre Seele zu sprengen. Gleichzeitig konnte er spüren, wie sie sich an ihn drückte, ein wortloses, aus tiefstem Herzen kommendes `Danke´. „Bitte, bitte“, grinste der 1st. „Überweis einfach den üblichen Betrag wie gewohnt auf mein Konto.“ Abermals musste Cutter lachen, dann atmete sie befreit auf. Die Schwere war fast vollständig aus ihrem Herzen verschwunden, und an ihren Platz war etwas anderes getreten: Die Gewissheit, sich auch in jeder noch folgenden Schlacht mit allen ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten verteidigen zu dürfen. Und das schloss sämtliche Missionen in Midgar mit ein! Vier Tage und etliche extrem gut gezielten Materiaangriffe später war den Rebellen die Lust, auf den sich schlagartig mit äußerster Entschlossenheit verteidigenden Teenager zu schießen, gründlich vergangen. Etwas wie Normalität kehrte zurück. Und Sephiroth, dem Zack natürlich von dem Gespräch auf dem Dach erzählt hatte, und der völlige Gleichgültigkeit hätte empfinden müssen, wusste nicht, ob er erleichtert sein oder sich ärgern sollte, an einer Situation gescheitert zu sein. Nur eine Erkenntnis blieb. Früher wäre es mir völlig egal gewesen. Nein, nicht einmal das. Ich hätte gar nichts gefühlt. Aber jetzt... Ich habe mich weiter entwickelt. Rein innerlich. Ich bin nicht sicher, ob das gut ist. Aber ich kann es nicht rückgängig machen. Also bleibt mir wohl nur, es weiter zu beobachten... Auf alle Fälle ist das immer eine gute Strategie, wenn man nicht weiß, in welche Richtung die Dinge sich bewegen. Dann schmunzelte er sachte. Cutter ist wieder in Ordnung. Vielleicht hat Zack doch Recht, und es steckt tatsächlich etwas wie ein Phoenix in ihr. Ich sollte mir abgewöhnen, seine Aussagen zu schnell zu verurteilen. Gerade Zack kann... sehr weise sein. Auf seine Art. Vermutlich war er es schon immer. Ich habe es nur nie akzeptiert... Es gibt so viele Dinge, die mir erst seit kurzem richtig bewusst werden. Dinge, die mich stören oder aufregen oder ärgern oder... freuen. All diese Gefühle waren schon immer da, eingefroren in dem Eispanzer um mein Herz und meine Seele... Ich war wohl einfach der Ansicht, sie nicht zu brauchen und habe ihr Erwachen nicht zugelassen. Aber jetzt... Meine Sicht auf diese Welt... ändert sich. Und damit auch meine Welt. Alles nur, wegen Cutter! Dennoch, ich bin... gespannt, wohin die Reise führt. Neue Entwicklungen allerdings gestatteten es ihm nicht, sich länger mit Gedanken wie diesen zu befassen, denn Hojo hielt die Zeit für gekommen, ihn mit einer Langzeitstudie zu beschäftigen. Sephiroth konnte länger als jeder andere SOLDIER ohne Schlaf auskommen – nach etlichen Tagen und Nächten ohne Erholung allerdings, begann auch seine Konzentration zu schwanken. Hojos letzte Injektion ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Und wenn er jetzt einmal mehr mitten in der Nacht ziellos durch die Gänge des HQs streifte, dann nur in der Hoffnung, den Schlaf durch Bewegung herbeiführen zu können oder wenigstens das Konzentrationstief zu überwinden, um mit seiner Arbeit fortzufahren. Dabei der ebenfalls schlaflos durch die Flure wandernden Cutter zu begegnen, war nicht Teil des Plans gewesen – von ihrer Reaktion, nachdem er sie zu guter Letzt wieder vor ihrem Quartier absetzte, ebenso wenig. Sephiroth hielt seine Verblüffung zurück, bis er sein Quartier erreichte. Erst dann betrachtete er den Gegenstand in seiner Hand eingehend, legte ihn schließlich kopfschüttelnd weg und suchte das Badezimmer auf. Als er es wieder verließ, warf er dem in seinem Appartement seltsam fremd wirkende Gerät einen erneuten, kritischen Blick zu, betrat das Schlafzimmer, schlug die Bettdecke zurück, hielt inne, seufzte – und ging hinüber zu dem Tisch, auf dem er den Gegenstand abgelegt hatte. Ein... Cutters... MusicPlayer. „Ich höre zum Einschlafen immer Musik, aber diesmal... klappt´s irgendwie nicht. Vielleicht funktioniert es ja bei dir?“ Sephiroth wusste einmal mehr nicht, was er fühlen sollte. Er hatte von der hilfreichen Wirkung, die Musik haben sollte, gehört, aber es selbst einmal auszuprobieren... Dabei weiß ich nicht einmal, ob ich Musik mag... Diese Erkenntnis stimmte ihn für einen Augenblick sehr nachdenklich und brachte ihn dazu, die von ihm ein wenig hervorgehobenen Dinge aufzuzählen. Viele waren es nicht. Masamune, natürlich. Seine perfekten Kampftechniken. Eine in allen Punkten erfolgreich durchgeführte Mission mit nur wenigen oder gar keinen Verlusten auf der eigenen Seite. Ein von allem Papierkram befreiter Schreibtisch. Die Ruhe seines Appartements. Ein gutes Buch. Aber... wie wichtig war die Erkenntnis, etwas zu mögen, überhaupt für jemanden, dessen Welt in jeder einzelnen Sekunde überdurchschnittliche Leistungen und Erfolge verlangte? Und... wie würde ein solches Universum auf zusätzliche Methoden, sich zu definieren, reagieren? Bei allen anderen schien es zu funktionieren... Das Bewusstsein, nicht wie andere zu sein, drängte sich kalt und scharf in den Vordergrund seiner Gedanken – und stieß, zum ersten Mal seit Sephiroth denken konnte, auf Widerstand. Zaghaft. Aber existent! Korrekt. Ich bin nicht wie andere. Aber... habe ich es jemals versucht? Habe ich mich jemals `normal´ verhalten? Bewusst `menschlich´? Ich kann... mich nicht erinnern. Ich musste immer perfekt sein, um so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten, und, ich kann es nicht leugnen – es hat Vorteile. Aber jetzt habe ich das Gefühl, als sei mir diese Perfektion... als sei ich mir selbst im Weg. Menschen sind nicht `perfekt´. Sie haben Fehler und Stärken und Schwächen... All das ist Teil ihrer Persönlichkeit. Eine Persönlichkeit habe ich auch, aber besteht meine wirklich nur aus `Stärke´? Ich weiß jetzt wieder, wie sich `Verzweiflung´ anfühlt. Oder `Sorge´. Oder `Hilflosigkeit´. Oder... `Freude´. `Erheiterung´. Das sind keine Schwächen, sondern Gefühle. Habe ich Schwächen? Es muss doch wenigstens eine geben, etwas, das Hojo übersehen hat... Er dachte einen Augenblick lang nach, kam zu keinem Ergebnis, griff fast grimmig zum Telefon, wählte... „Zack! Habe ich Schwächen? Oder einen... Tick? Irgendetwas?“ „Oookkeeey, was hat dir Hojo diesmal verabreicht?“ „Nichts. Beantworte meine Frage!“ Einen Moment lang blieb es ganz still am anderen Ende der Leitung. „Du bist ein verdammter Ordnungsfanatiker, Seph!“, sagte der größte Chaot ganz ShinRa´s schließlich bestimmt. „Ich meine, die Bücher in deinem Appartement sind nicht nur nach Themen, sondern auch nach Dicke, Größe und farblichem Einband sortiert. Bei dir liegt niemals was rum, immer ist alles ordentlich. Und staubfrei! Sogar dein Fußboden ist immer sauber. Das ist unheimlich! Und es nervt!“ „Verstehe. Danke.“ Er legte auf, bevor Zack Gelegenheit bekam, näher nachzufragen, ignorierte das wiederholte Klingeln des Handys und ließ seinen Blick durch das Appartement schweifen. Was Sauberkeit und Ordnung anging, hatte der 1st Recht. Ich kenne es nur so. Im Labor war und ist bis zum heutigen Tag immer alles ordentlich aufgeräumt, weil Hojo Unordnung jeglicher Art und Weise verabscheut. Ich... muss das übernommen haben. Unbewusst. Ordnung ist mit Sicherheit ein Vorteil, aber vielleicht habe ich es übertrieben? So zu sein wie Hojo, und sei es nur ein Punkt, ist... Er schüttelte sich unwillkürlich. Dabei fiel sein Blick auf eines der großen Bücherregale. Auch die Ordnung hier hatte Zack bemängelt, und noch während Sephiroth die wohlstrukturierten Armeen aus Buchstaben betrachtete, kam ihm eine Idee. Wenn ich wirklich herausfinden will, ob auch ich mich zusätzlich auf andere Art und Weise definieren kann, muss ich aus meinem bisherigen Schema ausbrechen. Etwas verändern. Nicht schlagartig. Aber irgendwo muss es anfangen. Er griff nach einem erst kürzlich gelesenen (und somit in nächster Zeit nicht aktuellen) Buch – hielt inne, schüttelte fast ärgerlich den Kopf, wählte ohne genau hinzusehen ein anderes Exemplar und platzierte es ans Ende der langen Reihe, trat zurück und ließ den Anblick auf sich wirken. Das Buch wirkte fehlplatziert, unordentlich, brachte das Schema durcheinander... und ließ das gesamte Regal anders wirken. Lebendig. Sephiroth nickte, teils zufrieden, teils überrascht von dem großen Effekt, den eine solch geringe Veränderung haben konnte, dann betrachtete er abermals den eigentlichen Auslöser für das kontrolliert verursachte Minichaos, den MusicPlayer in seiner Hand, seufzte leise... und gab sich geschlagen. Er kehrte ins Schlafzimmer zurück, zog die Decke über sich, platzierte die Stöpsel und aktivierte das Gerät. Töne, dunkel und hell gleichzeitig, begannen in seinem Kopf zu tanzen, mal langsam, dann wieder schnell, fast als spielten sie miteinander. Sie schwangen sich wie auf unsichtbaren Flügeln getragen hoch auf, und dann wieder hinunter, beschrieben sanfte oder auch steile Kurven, wirbelten umeinander, schienen einander zu umarmen und nur wenige Herzschläge später loszulassen um einander nur Sekunden später erneut zu begegnen... Das ist also deine Musik.., dachte Sephiroth. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und ließ sich tiefer in das fremde, aber nicht bedrohliche Tonuniversum sinken. Als das sechste Lied begann fiel ihm ein, dass Cutter einen Satz anfangen und verlegen abgebrochen hatte. „Lied Nummer sechs erinnert mich immer an...“ An mich, dachte Sephiroth irgendwann. Es erinnert dich an mich. In deinem Kopf habe ich ein eigenes Lied? Ich frage mich, was du mir noch alles gewidmet hast... Aber eine Antwort blieb aus. Und so hörte er den Liedern einfach weiter zu, seltsam fasziniert und nachdenklich. So schön die Musik war – ein Erfolg blieb leider aus. Sephiroth war gezwungen, seinen neuen Arbeitstag ebenso müde zu beginnen, wie er den alten beendet hatte, und seine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Dennoch schaffte er es, die Dinge wie gewohnt zu regeln ohne anderen einen Grund zur Beanstandung zu geben. Die einzige Störung belief sich auf den uneingeplanten Besuch eines Offiziers, der eine in den folgenden Tagen stattfindende Mission leiten sollte und irgendwie den Mut aufgebracht hatte, bezüglich der vom General getroffenen Mitgliederauswahl Bedenken anzumelden. Sephiroth war schlicht und ergreifend zu müde für Zurechtweisungen oder gar Diskussionen (außerdem hatte er sich über Nacht fest vorgenommen, ab sofort jeden Tag eine Kleinigkeit `anders´ zu machen als bisher). Er übernahm die Mission selbst und ließ den Grund dafür antreten. „Cutter, ich habe dich einer Mission in die Eiszapfenregion zugeteilt. Was sagt dir das?“ „Meterhoch Schnee, Eis, Kälte, mögliche Schneestürme, Schneeverwehungen, Rutschgefahr, potentielles Risiko einer Schneeballschlacht...“ Der General lauschte den (wie er sich eingestehen musste, durch seine ungenaue Frage förmlich herausgeforderten) Ausführungen und dachte darüber nach, dass er diese Mischung aus höchstwahrscheinlich eintretenden Befürchtungen und Absurditäten bis vor wenigen Monaten noch mit einem scharfen Verweis unterbrochen hätte. Jetzt lauschte er diesen mit einer sanften, immer weiter steigenden Heiterkeit, bis endlich der gesuchte Begriff fiel. „Korrekt“, bremste er den Teenager, „Ausrüstung. Hol sie in der Kleiderkammer ab, hier ist das entsprechende Dokument. Überprüf alles, besonders die Schuhe, am besten zweimal, denn sollten Probleme auftauchen - ich werde dich auf keinen Fall tragen.“ Cutters `Ja, Sir!´ klang durch und durch professionell – innerlich aber führte sie einen Freudentanz auf. Die letzte Mission gemeinsam mit Sephiroth war ihres Erachtens nach schon viel zu lange her. Sie nahm den Schein an sich, hielt inne... „Mh... hat das mit der Musik geklappt?“ Und als Sephiroth verneinte, seufzte sie leise: „Schade.“ „Es spielt keine Rolle.“ Ein wenig würde er noch ohne Ruhe auskommen können. Cutter jedoch sah das anders. „Sag das nicht. Schlaf ist wichtig – sogar für dich.“ Sie verzog das Gesicht. „Das war respektlos. Ich bitte um Verzeihung, Sir!“ Das will ich dir auch geraten haben!, schien der Blick des Generals zu sagen. „Wenn du möchtest“, sagte Cutter und wirkte sehr verlegen, „dann... behalte den Player noch ein bisschen, weil... manchmal muss man Musik öfter hören, ehe sie einen zum Einschlafen... Ich hole die Sachen aus der Kleiderkammer!“ Sie salutierte und verließ den Raum. Sephiroth stöhnte leise und schüttelte den Kopf. Früher oder später würde er schon Schlaf finden, entweder weil sein Körper kollabierte oder weil die Wirkung der Injektion nachließ. Alles eine Frage der Zeit. Dass Cutter ihm so gerne helfen wollte, war... Er wusste selbst nicht genau, was es war. Aber er hätte sich sehr gewundert, wäre ihr Verhalten anders gewesen. Er wandte seine Aufmerksamkeit der in Kürze stattfindenden Mission zu. Die Gegend war bekannt für ihre tückischen und urplötzlich auftretenden Schneestürme, und die Chancen, sich in einem wiederzufinden, standen in dieser Jahreszeit extrem gut. Nicht zuletzt deshalb hatte der General Cutter dieser Mission zugeteilt. Er wusste, dass sie die Nerven behalten würde. Zwei Tage später blickte ein Teenager mit relativ ungutem Gefühl dem sich immer weiter entfernenden Black Hawk Helikopter nach – ein immer kleiner werdender Punkt inmitten eines Himmels, der fast so weiß war, wie der den Boden bedeckende Schnee. Der Transport war bisher ruhig verlaufen, dann hatte Sephiroth ein Schneetraining angeordnet, was bedeutete, dass die kleine Truppe den restlichen Weg zum eigentlichen Missionsziel zu Fuß zurücklegen würde. Keine leichte Aufgabe bei einem Untergrund, der einen stellenweise bis zu den Knien einbrechen ließ, aber die SOLDIER waren schlau genug, ihren Unwillen nicht zu zeigen. Besonders einer gab sich restlos begeistert. „Hey“, jubelte Zack, „hier ist es so kalt – ich kann meinen Namen in die Luft hauchen!“ Ein nahezu etwas krakeliges `Z´ stieg in die kalte Luft auf, dicht gefolgt von einem `A´ und einem perfekt geformten `C´. Sephiroth reagierte unverzüglich und verwies den Atemluftkünstler ans Ende der Truppe. Zack nahm den Platz schmollend ein, dann setzte sich die kleine Truppe in Bewegung. Natürlich war der General nicht so naiv, anzunehmen, der äußerst unvorteilhafte Platz würde dem 1st die Albernheiten austreiben, und so wandte er sich irgendwann um. Die Hauchbuchstaben hielten sich eine ganze Weile in der Luft, ehe sie zerfaserten, und so ließ sich das Resultat der letzten Minuten nach wie vor gut lesen. `S´ `E´ `P´ `H´ `I´ `R´ `O´ `T´ `H´ `I´ `S´ `T´ `D´ `O´ Sephiroth warf Zack einen Blick zu, der einen Kontinent hätte spalten können, und Zack hauchte mit absoluter Unschuldsmiene den Rest des Satzes in die Luft. `C´ `H´ `L´ `I´ `E´ `B´ `.´ Ich bring ihn um, dachte der General. Eines Tages bring ich ihn um! Was dich angeht... „Cutter, wo ist dein Platz?!“ Der Teenager bewegte sich schon seit etlichen Minuten ihres Erachtens nach völlig unauffällig neben ihm her. Jetzt hob sie den Kopf und antwortete zu gleichen Teilen todernst wie unschuldig: „Der Platz eines Blue Wanderers ist hinten, aber ich bin ja ein Ghost Walker, und die gehören nach vorne!“ „Die gehören nach vorne?“ Seine Stimme war eine Mischung aus Missbilligung und Erheiterung. „Wie konnte ich das nur vergessen... Ich nehme an, du möchtest diese Position beibehalten?“ „Ja, Sir!“ Sie grinste. „Nun gut. Ich bin sehr gespannt, ob dir das im Schneesturm gelingt.“ „Schneesturm?“ Sephiroth wies in Richtung des Himmels. Noch war dessen Hauptfarbe weiß – nicht weit entfernt allerdings hatte sich ein schwarzer Fleck gebildet, der rasend schnell an Größe zunahm. Der Wind frischte merklich auf. Cutter sah zu Sephiroth hinauf. Dieser erwiderten den Blick. Und grinste. Das war also einer der berüchtigten Schneestürme der Eiszapfenregion, dachte Cutter. Der wird mir für den Rest meines Lebens in Erinnerung bleiben, keine Frage! Sie hatte Bilder gesehen und Geschichten gehört, aber niemals mit einer solchen Urgewalt gerechnet. Eisiger Wind, der einem hart ins Gesicht schlug und in den Augen brannte, Schnee, in dem man förmlich versank, dazu Abermilliarden von tanzenden Flocken, die einem jegliche Sicht nahmen und das Gefühl vermittelten, gegen eine weiße Wand zu laufen... Das Erreichen der winzigen Ortschaft, nahe des eigentlichen Missionszieles inmitten dieses Infernos aus Eiskristallen, war daher nicht zuletzt auch Cutters Verdienst, aber sie fühlte sich weder stolz noch glücklich, sondern einzig und allein bestrebt, wieder aufzutauen – allerdings ließ der Wunsch, in die hell lodernden Flammen des riesigen, vor ihr befindlichen Kamins zu kriechen, langsam nach. Zeitgleich kam das Interesse für alles außer dem wärmenden Feuer vorsichtig aus seinem Versteck und sah sich neugierig um. Die Ortschaft mochte klein sein – besaß aber einen Gasthof mit genug freien Zimmern für eine Nacht und einer reichhaltigen Speisekarte. Letzteres zu großen Erleichterung der hungrigen SOLDIER, welche die zurückliegenden Strapazen wesentlich besser vertragen hatten. Cutter warf ihnen einen verstohlenen Blick zu, seufzte leise, wünschte sich ähnliche Fähigkeiten und drehte sich, um auch ihren Rücken weiter aufzutauen. Dabei fiel ihr Blick auf eine kleine Gruppe Gäste in unmittelbarer Nähe, die zu ihr hinübersahen – mehrere Sekunden lang schweigend. Dann aber sagte einer von ihnen laut genug um sicher zu gehen, dass auch Cutter es hörte: „Tatsächlich. Ein Mädchen. Noch fast ein Kind. Wie verzweifelt muss das arme Ding gewesen sein, diesem Verein beizutreten?“ Cutter wandte sich wieder dem Feuer zu, streckte die Arme aus... Ein Kind?, dachte sie nachdenklich. Immer noch? Man scheint mir nicht anzusehen, was ich schon alles erlebt habe. Ich darf es ihnen nicht übel nehmen. Bestimmt meinen sie es nicht böse. Die lebhafte (und gut hörbare) Diskussion hinter ihr allerdings, an der sich immer mehr Gäste beteiligten, lief auf das genaue Gegenteil hinaus, und machte sehr schnell deutlich, welches Ansehen ShinRa hier genoss. `Terror-Regime´, `Ausbeutung´, und `Diktatur´ waren nur ein paar der immer wieder aufgegriffenen Bezeichnungen. Als einer der Gäste anmerkte, es sei eine Schande, dass sich ShinRa jetzt auch noch ungestraft an kleinen Mädchen vergreifen dürfte, explodierte Cutters aufgestaute Wut. „Schluss jetzt!“, fauchte sie energisch. „Ich arbeite gerne bei ShinRa! Falls Sie es noch nicht mitbekommen haben, wir sind hier, um Ihnen zu helfen! Wie wäre es mit ein bisschen mehr Freundlichkeit?! Und ganz abgesehen davon sind ja wohl die Rebellen die Bösen, und nicht wir!“ Einige der Anwesenden begannen, höchst erheitert zu lachen. Andere blickten den entrüsteten Teenager mit einer Mischung aus Mitleid und Verwirrung an. „Helfen wollt ihr uns?“, zischte schließlich irgendjemand. „Dann zieht wieder ab!“ „Sachte“, bremste ein älterer Mann. „Bring dich und deine Familie nicht in Gefahr. Mir scheint, sie erzählen den Kindern immer noch Märchen.“ Er wandte sich Cutter zu. „Da bist du bei mir an den Richtigen geraten, Kleine. Ich will dir mal die Wahrheit über ShinRa sagen!“ An seinem Tisch auf der anderen Seite des Raumes hob Sephiroth den Kopf und gab Zack lautlos den Befehl, einzugreifen. Der 1st nickte, marschierte los und tauchte nur Sekunden später wieder vor dem General auf, die wutschnaubende Cutter vor sich herschiebend. „Hast du das gehört?!“, fauchte der Teenager ohne jemanden gezielt anzusprechen. „Wir kämpfen uns stundenlang durch diesen gigantischen Schneesturm, um hier alles in Ordnung zu bringen, und dann kommt sowas?! Wenn die uns nächstes Mal rufen, bleiben wir im HQ, wo es warm ist, und trocken!“ „Vor allem“, Sephiroths Stimme klang ruhig, beinhaltete aber wohldosierte Portion Missbilligung, „habe ich gehört, wie du dich hast provozieren lassen. Ich lege keinen gesteigerten Wert auf eine Wiederholung dieses Szenarios.“ „Aber...“ Die sich langsam hebende, silberfarbene Augenbraue verwandelte Cutters geplanten Protest in ein gemurmeltes: „Ja, Sir.“, - aber sie verstand die Welt nicht mehr. Wenn Sephiroth alles gehört hatte – warum war er dann nicht auf ihrer Seite?! Und warum nahm sie hier eigentlich niemand ernst?! „Guck mal“, jubelte Zack erleichtert, „da kommt unser Essen!“ Die Bedienung, eine Frau, der man ihre Gutmütigkeit schon von weitem ansah, näherte sich dem Tisch, stellte das Essen ab und - entdeckte Cutter. „Oh! Dich habe ich ja noch gar nicht gesehen. Du bist aber niedlich! Möchtest du eine Tasse heißen Kakao?“ Hinter Cutter begannen die SOLDIER, schallend zu lachen. Selbst Zack und Sephiroth hatten Mühe, ernst zu bleiben. Vor ihnen schnappte Cutter entrüstet nach Luft. „Kakao ist doch was für kleine Kinder! Ich bin... ich bin... “, sie suchte nach einem überzeugenden Argument, „... ein brutaler und kaltherziger Killer...“ ... hinter ihr steigerte sich die Erheiterung hörbar ... „ich will trinken was... was General Crescent trinkt!“ „Du trinkst, was ich trinke?“ Es war ihm unmöglich, die Erheiterung in seiner Stimme zu verbergen. „Ja, Sir!“, lautete die entschlossene Antwort. „Wenn das so ist...“ er wandte sich der Bedienung zu, „... nehme ich eine Tasse heißen Kakao.“ „Gerne. Mit Sahne?“ „Warum nicht.“ „Kommt sofort.“ Völlig perplex beobachtete Cutter, wie die Bedienung davon eilte. Gleichzeitig erklang Sephiroths dunkle Stimme, freundlich und dennoch warnend. „Versuch nie wieder, mich herauszufordern, Cutter. Die Konsequenzen könnten weniger süß sein als diesmal.“ „Ja, Sir!“, antwortete der Teenager in einer Betonung, die größtenteils Dank über die Nachsichtigkeit des Generals, aber auch eine winzige Dosis Unmut verriet. Die Bedienung kam nur kurze Zeit später mit den bestellten Getränken zurück, wünschte einen `Guten Appetit´, lächelte die innerlich leicht bis mittelschwer ramponierte Cutter noch einmal fröhlich an und verschwand in der Küche. „Oh, nun schmoll nicht, Cuttie!“, versuchte Zack zu versöhnen. „Dein Essen wird kalt.“ „Und dein Kakao“, ergänzte Sephiroth freundlich. „Du warst völlig durchgefroren und er ist heiß, also trink ihn.“ Gnadenlos geschlagen ließ sich Cutter auf ihren Platz fallen. „Der Kakao ist übrigens wirklich sehr lecker“, grinste Zack. Er hatte sich aus Solidarität mit dem völlig überstimmten Teenager ebenfalls eine Tasse bestellt. Das Mädchen warf ihm einen finsteren Blick zu – dann allerdings begann ihr Magen auf eine Art und Weise zu knurren, die keinerlei Verzögerung der Nahrungsaufnahme mehr zuließ, und es dauerte nicht lange, ehe von ihrer Portion kein Krümel mehr übrig war. Mit der Sättigung kam die Müdigkeit. Cutter gähnte hinter vorgehaltener Hand, dann legte sie die Arme auf den Tisch, murmelte: „Ihr hattet Recht... Der Kakao war heiß. Und hat gut geschmeckt...“ ließ ihren Kopf auf die Arme sinken und schloss die Augen. Sephiroth beobachtete sie schweigend. Wenn er sich richtig erinnerte, wollten Teenager niemals vor den `Erwachsenen´ ins Bett, und es lag ihm fern, Cutter auf erdrückende Art und Weise zu bevormunden, jetzt allerdings... Für gewöhnlich hätte er den Teenager wecken lassen, aber da sich ihm heute noch keine Möglichkeit ergeben hatte, etwas `anders´ zu machen... Sephiroth überlegte einen Augenblick, dann stieß das Mädchen auf eine sehr sanfte Art und Weise mit der Schulter an und erreichte ein mattes Blinzeln. „Cutter, du bist todmüde. Geh schlafen.“ „Ja, Sir“, murmelte der Teenager, erhob sich, salutierte so respektvoll wie möglich und machte sich auf den Weg in das ihr zugeteilte Einzelzimmer. Sephiroth sah ihr nach, unauffällig – und auf exakt dieselbe Methode von Zack beobachtet. Ich habe mich nicht geirrt, dachte dieser gerade. Früher hätte er niemals freiwillig körperlichen Kontakt zu einem anderen Menschen gesucht, erst recht nicht außerhalb des Schlachtfeldes. Aber das gerade... Er verändert sich. Ganz vorsichtig, aber er tut es. Viel Glück, mein Freund. Du wirst es brauchen... Es dauerte nicht lange, ehe viele aus der ShinRa Truppe ebenfalls die ihnen zugewiesenen Schlafplätze aufsuchten, und schon bald wurde es still in der Gastwirtschaft. Sephiroth wusste nicht, ob es an der Erschöpfung, dem Nachlassen der Injektion oder dem mitgenommenen MusicPlayer lag – aber in dieser Nacht gelang es ihm zum ersten Mal seit einer Ewigkeit, wieder ein paar Stunden zu schlafen. Als er aufwachte, herrschte vor dem Fenster seines Einzelzimmers Dunkelheit jener Sorte, die es nur jenseits der großen Städte gab, wie Samt, und mit völliger Stille gesegnet. Und doch... war dort irgendetwas. Er trat ans Fenster. Der Schneesturm hatte sich gelegt und eine Landschaft hinterlassen, die wie neu erschaffen wirkte. Lediglich ein Element entzog sich diesem Anblick. Sephiroth seufzte leise, kleidete sich an, griff nach Masamune und verließ das Gasthaus. „Sich unerlaubt von der Truppe zu entfernen zieht harte Konsequenzen nach sich, Cutter!“ „Entschuldigung, Sir“, murmelte der Teenager ohne die geringste körperliche Reaktion und mit einem Blick, der in weite Ferne gerichtet war, „aber ich... Die Nacht ist so schön. Ich musste einfach raus.“ „Und genau dafür muss ich dich jetzt bestrafen!“ Seine Stimme wurde etwas weicher. „Aber zuerst findest du den kürzesten Weg zum eigentlichen Ziel dieser Mission.“ Cutter nickte, überprüfte die Lines und lieferte innerhalb weniger Sekunden die gewünschte Antwort. „Darf ich mitkommen?“, fragte sie dann leise. „Du sollst sogar mitkommen. Teil der Konsequenzen.“ Sie begannen, die Magie der Nacht zu durchqueren. Die am tiefschwarzen Himmel leuchtenden Sterne und der silberfarbene Halbmond brachten den Schnee am Boden förmlich zum Glühen. Hin und wieder begleiteten die Schatten von halb oder vollständig unter unzähligen Eiskristallen begrabenen Gegenständen die beiden Wanderer. Bis auf das leise Knirschen des Schnees unter ihren Füßen herrschte absolute Stille. Atemwolken zerfaserten langsam in der kalten Luft. Cutter war gefangen in all der melancholischen, kalten Schönheit der Landschaft – und Sephiroths Nähe. Er bewegte sich neben ihr her wie eine Metapher des Augenblicks, schweigend, aber nicht gelangweilt, wachsam, aber nicht angespannt. Die Strecke war schnell zurückgelegt, und die Beiden hielten am Rande des den Hauptgrund der Mission darstellenden Sees. ShinRa hatte in entsprechenden Regionen eine Menge dieser Wasservorräte anlegen lassen und je nach Bedarf mit entsprechender Technik versehen – dieser Teich hätte niemals zufrieren dürfen, war aber laut dessen Line erstarrt bis zum Grund. Gezielter Einsatz von Materia legte die Technik frei. Sephiroth überprüfte sie auf Fehler, aber befreit vom Eis arbeiteten die Geräte völlig normal. „Sabotage?“, fragte Cutter leise, und als der General nickte fragte sie nachdenklich: „Denkst du, die Bewohner waren es selbst?“ „Möglich. Aber unerheblich. Sie können frisches Wasser auch durch das Schmelzen des Schnees gewinnen. Was wir hier haben, ist... abgelehnter Luxus.“ Gemeinsam schmolzen sie das restliche Eis des Sees. Während Cutter mit Hilfe der Lines das Auftauen der zum Dorf führenden Wasserleitung verfolgte, hing sie ihren Gedanken nach. Das Verhalten der Bewohner ergab keinen Sinn. Und Sephiroths Reaktion... Die gezielten Provokationen von vorhin zu ignorieren, war Absicht gewesen. Aber warum hatten die Gäste überhaupt damit angefangen? Cutter sah zu ihrem Begleiter auf, und dieser erwiderte ihren Blick. In seinen makogrünen Augen schien eine Aufforderung zu sitzen. `Frag mich...´ „Weißt du“, sagte sie leise, „ich habe die Lines dieser Menschen gecheckt. Ihre Gefühle... sie waren voll von Misstrauen und Angst und Wut uns gegenüber, und ich... verstehe nicht, warum. Wir wollen ihnen doch nichts Böses!“ Und dann, in einem jähen Anflug Zweifel: „Ich hab doch Recht – oder, Sephiroth-sama?“ Cutters Gesichtsausdruck... ihr bröckelnder Glaube... und die gleichzeitige Hoffnung, sich zu irren... Sephiroths linke Hand wollte dem Teenager unwillkürlich tröstend durch die Haare streicheln, wie Zack es immer tat. Er beherrschte sich im letzten Augenblick. „Gehen wir zurück“, sagte er schließlich, und als sie die ersten Schritte hinter sich gebracht hatten, begann er zu erklären. „ShinRa hat die Gesetze dieser Welt rücksichtslos zu eigenen Gunsten verändert. Die Menschen fühlen sich machtlos und übergangen, regiert von einer überdimensionalen Macht, die sie nicht einschätzen können. Sie möchten mehr Beständigkeit. Sicherheit. Vertrauen in ihre Führung. Aber an all diesen Dingen hat ShinRa kein Interesse.“ Cutter wusste, wie entsetzlich es sich anfühlte, nicht gefragt zu werden, und nickte verstehend. Aber `Vertrauen in ihre Führung´? ShinRa kümmerte sich doch um... Nein. Sephiroth-sama kümmert sich um mich. Das... ist nicht dasselbe. „Anlagen wie diese hier“, fuhr der General fort, „verbessern den Lebensstandard, bedeuten aber vor allem Eines: Abhängigkeit. Bedenke, ein Knopfdruck reicht, um einer ganze Region angenehme Dingen wie warmes Wasser und Energie zu nehmen. Somit stellen wir für viele eine Bedrohung dar, gegen die sie sich wehren möchten. Abgesehen davon sind viele der Ansicht, unsere Reaktoren würden dem Planeten Energie absaugen, welche dieser zur Regeneration benötigt.“ Langsam begannen die harten Worte der Diskussionsteilnehmer im Gasthaus Sinn zu ergeben. Von einer solch uneinschätzbaren Macht regiert zu werden, war nicht gerade beruhigend. „Aber jeglicher Widerstand gegen ShinRa bewirkt nur erhöhtes Interesse. Jeder, der sich nicht anpasst, wird als potentieller Rebell angesehen. Genau wie diese Leute hier ab heute. Sollte sich hier ein ähnlicher Vorfall innerhalb der nächsten Zeit wieder ereignen, werden wir hart durchgreifen. Unser Präsident duldet keine vorsätzliche Beschädigung seines Eigentums.“ Cutter schwieg einen Moment lang. Dann fragte sie leise und sichtlich erschüttert: „Wir sind... also doch... die Bösen?“ Sephiroth wusste, das Verhältnis des Teenagers zu ShinRa ließ sich nicht mit dem anderer vergleichen. Viele Dinge waren dafür verantwortlich: Der Vertrag, Cutters Fähigkeiten... die Tatsache, dass ShinRa ihrem Leben eine nie zuvor gekannte Beständigkeit verlieh. All das ließ den General die einzig richtige Antwort geben. „Diese Frage kannst du dir letztendlich nur selbst beantworten.“ Nachdenkliche, minutenlange Stille kehrte nach seinen Worten ein. „Hätte ich es wissen müssen?“, fragte Cutter schließlich leise. „Wie... respektlos ShinRa mit dieser Welt umgeht? Die Lines erzählen nichts darüber. Und das mit den Reaktoren... ich dachte immer, diese Energie erneuert sich selbstständig...“ „Vergiss nicht, wie kompliziert die Wahrheit sein kann, wie gerne sie sich tarnt und versteckt. Sie bleibt selten für lange Zeit dieselbe. Denk an dich: Alle hielten dich für einen kompletten Versager. Dabei bist du etwas absolut Außergewöhnliches. Das ist eine simple Feststellung, Ghost Walker. Kein Grund zu erröten.“ „Das sagst du so einfach!“, flüsterte Cutter. Ihr Gesicht fühlte sich heiß an, und ihre Gedanken drehten sich wild um die eigene Achse. Er hat recht, es ist eine simple Feststellung, also reiß dich zusammen! Aber... es kommt von ihm... von meinem Sephiroth... Ich... Es ist schön. Und fühlt sich so warm an... Neben ihr seufzte der General: „Ich glaube, ich muss deinen Kopf etwas kühlen, bevor er explodiert.“ Die Handvoll Schnee traf den Teenager schmerzfrei – und völlig unvermittelt. Cutter erstarrte in der stärksten Verblüffung ihres bisherigen Lebens, während auf ihrem Kopf Eis zu Wasser wurde und langsam ihren Nacken herunterrann, sah zu Sephiroth hinüber. Dieser stand ebenfalls völlig bewegungslos da und... war es tatsächlich ein grinsen auf seinem Gesicht oder spielte das Mondlicht ihr einen Streich? Cutter wusste es nicht. „Was?“ Seine Stimme klang undefinierbar. „Sieh es außerdem als Konsequenz fürs unerlaubte Entfernen von der Truppe. Oder... willst du deinem kommandierenden Offizier widersprechen?“ Das diesmal gut sichtbare Grinsen auf seinem Gesicht... der zweite Schneeball in seinen Händen... „Allerdings!!“ Mit beiden Händen griff Cutter in die unbegrenzte Munition. Eine Schneeballschlacht angedroht zu bekommen (Zack), von einer zu hören oder unfreiwilliger Zuschauer zu werden... Bisher hatte er sich verständnislos abgewandt. Jetzt aber war er aktiver Teilnehmer einer solchen – zum ersten Mal in seinem bisherigen Leben. Und es machte Spaß! Sephiroth hätte mit Leichtigkeit jede Kugel in ein tödliches Geschoss verwandeln können, aber Cutter zu treffen ohne sie zu verletzen war viel interessanter. Cutter verhielt sich völlig ungezwungen. Sie wich seinen Attacken mit der für sie typischen körperlichen Beweglichkeit aus, zögerte allerdings keine Sekunde einen Angriff zu starten, wenn sich die Gelegenheit ergab, und Sephiroth musste mehr als einmal ausweichen, um nicht selbst getroffen zu werden. Letztendlich beendete er den für ihn mehr als ungewöhnlichen Zeitvertreib mit einem geschickten Manöver, das ihn hinter seinen Gegner brachte, fing ihre Hände ab und fixierte ihren Körper indem er blitzartig seine Hand auf ihren Bauch legte. Er hätte mit Widerstand gerechnet. Aber stattdessen ließ sich Cutter gegen ihn sinken. Ihr Körper war noch wärmer als sonst, und sie war ein wenig außer Atem, aber dabei völlig entspannt. Und dann... sah sie zu ihm auf mit diesem seltsam offenen Blick. Sephiroth begegnete diesem nicht zum ersten Mal. Aber jetzt war er... war irgendetwas in ihm... intensiver als jemals zuvor. Und es ließ sich immer noch nicht deuten. Ein Geheimnis so tief wie der Himmel und rein wie frisch gefallener Schnee. Oh bitte, dachte Cutter, ihr Götter Gaias... lasst die Zeit still stehen... ich flehe euch an... Der Körper hinter ihr war so groß und stark. Warm. Und Sephiroths lächeln genau dasselbe wie vor wenigen Wochen im Zelt, fast schüchtern... Ich liebe dich! Ich hab dich so wahnsinnig lieb... Es tut mir leid... so leid... Cutter wollte den Moment nicht zerbrechen. Aber ihr war klar, dass sie es tun musste. Ohne zu wissen, woher die Kraft kam, gelang es ihr, frech zu grinsen. „Gibst du auf?“ Heiteres Lachen antwortete ihr, gleichzeitig gaben sie die seltsam fremden, aber so warmen Hände wieder frei. „Habe ich eine andere Wahl? Bei einem so furchterregenden Gegner...“ Diesmal musste Cutter lachen. Gleichzeitig begann sie, die wenigen Trefferspuren abzuklopfen. „Deine körperlichen Fähigkeiten haben sich schon wieder verbessert“, bemerkte Sephiroth. „Jaa, weißt du“, begann der Teenager völlig ernsthaft, „es gibt da diesen furchtbaren General, der mich ständig von einer Mission zur nächsten jagt...“ Besagter General schnaubte amüsiert und schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Von dem habe ich gehört. Eine gefährliche Persönlichkeit.“ „Ich mag ihn sehr.“ Gleichzeitig hätte sie sich auf die Zunge beißen können, aber glücklicherweise ging die SOLDIER Legende nicht auf die letzte Äußerung ein, sondern nahm den Rückweg wieder auf. Cutter schob sich neben ihn, und für mehrere Minuten blieb es zwischen ihnen völlig still. Sephiroth hing seinen Gedanken nach. Das zurückliegende Verhalten war... Er wusste selbst nicht, was es war. Nur, dass Cutter ihn dazu gebrach hatte. Einmal mehr nicht gezielt. Und, dass er sich mit keiner anderen Person auf dieser Welt etwas ähnliches hätte vorstellen können. Cutter schien seine Gedanken zu erraten. „Noch ein Geheimnis, das wir uns teilen“, schmunzelte sie. „Hm“, lautete die nachdenkliche, ganz und gar unmilitärische Antwort des Generals. Die Aussage des Mädchens weckte die Erinnerung an eine Situation, verbunden mit einem Verhalten, das er nicht verstand. Die dazugehörige Frage... er hatte sie nie stellen wollen. Jetzt aber... „Cutter...“ Seine Stimme klang ganz leise. „Als wir damals zusammen abgestürzt sind... Du hast den Flügel gesehen. Und keine einzige Frage gestellt. Warum?“ „Es war keines deiner Geheimnisse, das du freiwillig mit mir geteilt hast“, lautete die ruhige Antwort. „Ich... hatte kein Recht, zu fragen.“ Kein Recht, zu fragen? „Es ist ein einzelner schwarzer Flügel!“, knurrte Sephiroth gereizt. „Jeder andere...“ „Und ich“, unterbrach Cutter ruhig, „bin, wie du vorhin gesagt hast, nicht wie Andere. Aber... wenn ich eine Frage stellen dürfte...“ „Du darfst.“ Es war eine schnelle, intuitive Entscheidung. Fast reflexartig. Und Cutter nahm sie an. „Kannst du wirklich richtig fliegen?“ „Rein physikalisch ist es nicht möglich. Aber... ja. Wenn es nicht anders geht. In manchen Momenten ist der durch ihn erreichbare Schub außerordentlich hilfreich. Aber... ich setzte diesen Flügel so selten ein, wie möglich.“ „Du magst ihn nicht, oder?“ „Nein.“ Cutter schwieg einen Augenblick. „Ich habe mir immer Flügel gewünscht“, sagte sie dann leise. „Menschen sollten keine Flügel haben. Es ist ihnen vorherbestimmt, zu laufen. Abgesehen davon...“ ... jetzt klang seine Stimme fast bitter ... „Was nützen einem Flügel, wenn man doch immer wieder zum Boden zurückkehren muss?“ „Sie schaffen Distanz“, antwortete Cutter ernst. „Manchmal braucht man Entfernung, um etwas wirklich zu begreifen. Und nach der Landung kann man die gewonnenen Daten ausarbeiten und eine neue Strategie entwickeln. Ich würde versuchen, meine Flügel so einzusetzen. Wenn ich welche hätte. Aber das wird wohl ein Traum bleiben.“ Sie lächelte verlegen. „Entschuldige, ich rede zuviel. Danke schön, dass ich fragen durfte. Ich weiß, wie schwer dir das gefallen sein muss. Ich habe... auch Geheimnisse, über die ich lieber nicht sprechen möchte.“ „Zum Beispiel der Blick von vorhin?“ Cutter schluckte heftig. „Welcher Blick?“, fragte sie dann ein wenig zu schnell. „Oh, der...“ Er hat es gemerkt, er hat es gemerkt, verdammt! Und jetzt?? „Hat nichts zu sagen. Absolut nichts. Beruht auf... Ist völlig unwichtig. Wollen wir bis zum Gasthof joggen?“ Sie kam genau einen halben Meter weit, ehe Sephiroths Hand nicht hart, aber unmissverständlich nach ihrem Uniformkragen griff und so jede weitere Vorwärtsbewegung verhinderte. Cutter hielt inne, mit heftig klopfendem Herzen und rasenden Gedanken. Das... ist nicht richtig. Ich... kann das nicht einfach so sagen, ich... „Befiehlst du mir, zu antworten, Sephiroth-sama? Dann werde ich es tun, aber... Das soll keine Herausforderung sein, auch, wenn es wie eine klingt... Aber ich bin nicht sicher... nein, ich bin ganz sicher, dass du es nicht verstehen wirst... Verstehst du?“ Es klang fast verzweifelt. Und Sephiroth begriff, dass Cutter versuchte, etwas zu beschützen. Vor ihm, und vielleicht sogar vor sich selbst. Er ließ den Teenager los. „In Ordnung. Aber lass dich bitte nur in von mir lösbare Schwierigkeiten verwickeln.“ „Ich versuch´s.“ Sie erreichten das winzige Dorf, zogen vorbei an noch schlafenden, dick eingeschneiten Häusern, und betraten schließlich den Gasthof. Als sich die Tür hinter ihnen schloss, trat in einer der vermeidlich ruhenden Behausungen die nette Bedienung aus dem Gasthaus vom Fenster zurück und griff zum Telefon. Die nach Midgar übermittelten Informationen waren knapp – aber von äußerster Wichtigkeit. So ist das also, dachte Tyrer. Sephiroth... `Liberation´ ist noch nicht am Ende! Du und ShinRa werdet das bald spüren! Wir werden euch für alles büßen lassen! Er wandte den Kopf als leises Klirren aus dem Nebenzimmer erklang. Speziell für eure Vergehen Rail gegenüber. Diesmal wird euer Blut die Erde tränken! Kapitel 32: Durchbruch ---------------------- Unerwartete Fortschritte Kaum im Gasthaus angekommen, wurde aus Sephiroth wieder jene berechnende, scheinbar so unnahbare und kaltherzige Persönlichkeit, die alle kannten. Er ließ unverzüglich seine SOLDIER antreten, einen Helikopter anfordern, und schon bald befand sich die kleine Truppe wieder in Midgar, wo neue Herausforderungen nicht lange auf sich warten ließen. Cutter versuchte, das Gespräch in der Winternacht und die Schneeballschlacht nicht verliebt, sondern logisch in ihre kleine Welt einzufügen, aber es gelang ihr nur bedingt. Das Verhalten des Generals war zu untypisch gewesen, um nicht darüber nachzudenken, und so machte der Teenager ein klein wenig mehr Fehler als sonst. Zwar gelang es ihr immer noch rechtzeitig, diese irgendwie wieder auszubügeln – aber ihr war anzumerken, dass sie etwas beschäftigte. Im großen und ganzen glich die Situation einem Topf, dessen brodelnder Inhalt jeden Augenblick überkochen konnte – mit Folgen, die für alle Beteiligten unabsehbar waren. Cutter wusste, dass sie irgendetwas tun musste. Aber was? Trotz ihrer Unerfahrenheit waren zwei Dinge völlig klar. Erstens (das vermittelte ihr die Stimme ihres Verstandes): Sie konnte sich unmöglich vor den legendären General Sephiroth Crescent stellen und sagen: `Ich habe mich in dich verliebt.´ Und vielleicht – höchst wahrscheinlich – sei es am besten, gar nicht zu sagen. Zweitens (das wisperte die Stimme ihre Herzens): Fände Cutter selbst keine Lösung, so würde das brodelnde Gefühl dies für sie erledigen – zu einem gänzlich unpassenden Zeitpunkt. Bis auf weiteres jedoch fehlte jede Chance, dem vorzubeugen. Der Teenager jagte von Mission zu Mission, was einerseits anstrengend war, andererseits jedoch den Kontakt mit Sephiroth (und somit eine mögliche Eskalation der Lage) auf ein Minimum beschränkte. Cutter sah es als eine Art Chance und hielt Augen und Ohren offen um, sollte sich eine Gelegenheit eröffnen, ihre Gefühle nicht aufdringlich und dennoch klar zu bekennen, bereit zu sein. Von all dem ahnte Sephiroth nichts. Er realisierte den Missionsberichten Cutter betreffend einen etwas angestiegenen Fehlerquotienten und nahm sich vor, das Mädchen zu einem Gespräch zu bitten, sollte nicht in Kürze eine Verbesserung dieses Zustandes eintreten. Ansonsten allerdings gab es auch erfreuliche Nachrichten. Die von der ShinRa Waffenabteilung entwickelte Antwort auf den `FireBooster´ wurde seit einigen Tagen in den Straßen Midgars getestet – erfolgreich. Generell konnte man momentan sagen, dass die Angriffe der Rebellen deutlich nachgelassen hatten. Nur zu verständlich, wenn man vom Verlust ihrer Anführerin ausging, und so positiv sich dies für ShinRa auswirken mochte... Sephiroth hatte Zweifel. Er wusste, die von Cutter angewandte Materia war in der Lage, einen Menschen zu töten. Aber gemessen an der Unerfahrenheit des Teenagers und der bisher von Toron an den Tag gelegten Gerissenheit war deren `Tod´ zu glatt verlaufen. Und wann immer der General an die Rebellenführerin dachte, schlug sein Instinkt an, ähnlich einer flackernden, roten Alarmlampe. Äußerste Wachsamkeit und sofortige Reaktionsfähigkeit waren nach wie vor höchst angebracht, auch, wenn sein Alltag in den gewohnten Bahnen verlief. Zumeist hauptsächlich. Eines Tages, er war gerade dabei, eine von Präsident Shinra gewünschte (und im Grunde völlig unwichtige, nebensächliche, zeitraubende und überflüssige) Auflistung vorzunehmen, klingelte das Telefon. Sephiroth warf einen Blick auf das die Rufnummer anzeigende Display und ignorierte das Läuten. Der Apparat würde das Gespräch nach dem sechsten Klingeln automatisch abweisen. Leider wusste der Anrufer das auch. Und, dass der General das Telefon brauchte. Mit einer freien Leitung! Irgendwann hob dieser ab. „Was willst du?!“ „Seph...“, die Stimme am anderen Ende war nur ein dumpfes Röcheln, „ich sterbe!“ „Diesen Gefallen, Zackary, würdest du mir nie tun!“ Er legte auf. Die Ruhe währte nur wenige Sekunden. „Du nimmst mich nicht ernst!“ „Korrekt!“ Er legte auf. Abermals begann das Telefon zu klingeln. „Zackary! Dir wurde heute die doppelte Makodosis verabreicht, weil du die vorletzte Behandlung ohne Angabe von Gründen hast ausfallen lassen! Also reiß dich zusammen und ertrage es wie ein 1st Class SOLDIER!“ „Aber es geht ja gar nicht wirklich um mich...“, wimmerte das geplagte Etwas am anderen Ende. „Sondern um Aerith...“ Für einen kurzen Augenblick wollte Sephiroth die Schnur durchbeißen und den Apparat aus dem Fenster werfen. Er beherrschte sich im letzten Augenblick. „Ich wollte“, fuhr Zack in seiner wehmütigsten Stimme fort, „ihr heute ein Handy bringen für den Fall, dass sie mich mal braucht... Es wäre mir wirklich wichtig! Könntest nicht du...?“ Sephiroth stöhnte unhörbar. Er wusste, bei einem `Nein´ würde Zack immer wieder und wieder anrufen - und so die Leitung blockieren. „Frag Cutter! Und ruf mich nicht wieder an! Am besten nie wieder!“ Er legte auf. Diesmal blieb es, zu seiner Erleichterung, still. Mehrere Stunden lang. Dann allerdings... „Wolltest du nicht schon vor Stunden sterben, Zackary?“ „Und dich allein lassen? Kommt nicht in Frage. Seph, ich hab dir doch von Aerith erzählt?“ „Ja“, antwortete Sephiroth mit einer Betonung, welche die Anweisung, unverzüglich auf den Punkt zu kommen, sowie große Langeweile verriet. In Wahrheit allerdings hatte Zack bereits zuviel über Aerith erzählt, um nicht einen Hauch Interesse zu wecken. Irgendetwas Unbekanntes umgab die Freundin des 1st. Etwas Mysteriöses. Fremdartiges. Und wie bei Cutter bemerkten es die restlichen Menschen – reagierten jedoch völlig anders. Egal wohin Zack und Aerith gingen, die Leute lächelten sie an. In Restaurants bekamen sie stets den besten Platz, auch ohne Vorbestellung. Waren sie im Auto unterwegs waren, hatten sie prinzipiell eine Grüne Phase. Gab es irgendwo Sonderangebote, schien immer ein Exemplar speziell auf Aerith zu warten. Am rätselhaftesten jedoch war die von Zack immer wieder erwähnte Gabe des Blumenmädchens, mit dem Planeten zu sprechen, eine Aussage, die nicht als Metapher zu verstehen war. Aerith wusste von Dingen, bevor sie geschahen. Und irrte sich nie. Außerdem verfügte sie über die Fähigkeit, körperliche Verletzungen ohne Hilfsmittel zu heilen. Alles in allem eine höchst interessante Mischung... „Soll ich´ s dir noch mal erzählen?“, erkundigte sich Zack fast munter. „Scherz. Seph, hör zu. Cutter hat ihr doch das Handy gebracht, und eben ruft mein Mädchen mich an und meint...“ Er verstummte in dem Versuch, die von Aerith erhaltenen Informationen auf den Kern zu beschränken. Sephiroth würde sich nicht für deren Gabe, menschliche Auren sehen zu können, interessieren. Vielleicht ein wenig für die Aussage, dass Cutters seltsam farblose Aura noch nicht vollständig abgeschlossene Entwicklungen verriet. Entwicklungen, deren Ausgang nicht vom Willen der betreffenden Person abhingen. Was aber Aerith letztendlich dazu gebracht hatte, Zack sofort anzurufen, war die unerwartete Feststellung, dass der Planet selbst auf den Teenager reagierte. Es glich dem tobenden, sich an eine bröckelnde Mauer werfenden Meer. Und konnte nur eins bedeuten. „Aerith meint, dass Cutter in großer Gefahr schwebt und wir ein ganz besonderes Auge auf sie haben müssen!“ „Zackary!“ Ein ganzes Universum hätte sich ängstlich unter Stimmlage und Betonung hinweggeduckt. „Gib deiner Existenz die Möglichkeit, die Makobehandlung zu verarbeiten. Jetzt!“ Ohne auf eine Reaktion zu warten, beendete er das Gespräch. Dann lehnte er sich zurück und gestattete er sich ein tiefes, langgezogenes Seufzen. Cutter in Gefahr! Das war sie ständig, ob unverschuldet oder nicht. Sie hatte gelernt, damit umzugehen. Außerdem war sie jetzt in der Lage, ihr Leben ultimativ zu verteidigen. Es gab momentan wichtigere Dinge als Sorge um sie! Abgesehen davon... Sorge an sich ändert nichts. Gute, strategische Planung... vielleicht. Aber `Sorge´ an sich ist nicht hilfreich. Sein Blick fiel auf den abgeschlossenen Stapel der verteilten Missionen. Eine, der Cutter zugeteilt war, lag ganz oben. Sephiroth zog sie zu sich heran... und runzelte die Stirn. Griff zum nächsten Arbeitseinsatz des Teenagers – und sortierte schließlich alle ihre geplanten Tätigkeiten aus dem Stapel heraus. Dann gestattete er sich einen Augenblick restloser Verblüffung. All diese Einsätze bestachen durch – für SOLDIER Maßstäbe - beinahe erschreckende Einfachheit. Weshalb hatte er ausgerechnet ihnen Cutter zugeteilt?! Sein Ghost Walker würde hoffnungslos unterfordert sein! Habe ich nicht hochkonzentriert gearbeitet? Er sah alle anderen Missionspläne durch. Sie entsprachen besetzungstechnisch seinen Vorstellungen. Cutters Einteilung blieb nicht nachvollziehbar. In einem jähen Anfall von selbstbezogener Wut pflückte er die sie betreffenden Pläne auseinander und gestaltete sie neu, teilte Cutter ausschließlich Missionen mit hohem Schwierigkeitsgrad zu. Es entsprach ihrem Können. Es war richtig! Warum fühlte es sich dennoch falsch an? Der Teenager fand sich zurecht! Nicht immer problemlos, aber bisher war sie immer unversehrt zurückgekommen. Abgesehen davon... Ich würde spüren, wenn sie sich in ernsthafter Gefahr befände! Das verdanke ich der Tatsache, ihr mentaler Fokus zu sein. Außerdem warte ich bei jeder ihrer Missionen auf das zuverlässige, ihre Rückkehr signalisierende Gefühl tief in meinem Innern. Und dann... hielt er in jähem Entsetzen inne. Ich tue – was?! Niemals! Aber er erinnerte sich. An Stunden, die er hinter seinem Schreibtisch verbracht hatte, arbeitend – und wartend. An die seltenen, freien Abende in seinem Appartement, in der Hand ein Buch, lesend – und wartend. Auf das Echo, welches ihn um die sichere Rückkehr seines Ghost Walker wissen ließ. Wann habe ich eigentlich damit angefangen?! Und warum?! Aber er konnte sich nicht mehr erinnern. Es musste irgendwann begonnen haben. So sachte wie ziehende Wolken. Oder eine sich ankuschelnde Cutter. Er seufzte leise. In letzter Zeit waren die Dinge stellenweise furchtbar kompliziert geworden. Zum Beispiel sein festes Vorhaben, jeden Tag eine Kleinigkeit anders zu machen als sonst. Anderen mochte es möglich sein, Veränderungen radikal durchzuführen. Aber wenn man ständig im Zentrum aller Aufmerksamkeit stand und sich noch nicht sicher war, wohin der eingeschlagene Weg führen sollte, musste man anders vorgehen. Langsam. Und wesentlich behutsamer. Was im Klartext bedeutete, dass die Änderungen hauptsächlich an und in seinem Appartement vorgenommen wurden. Die Bücherschränke wirkten mittlerweile sehr lebendig, und Sephiroth war der Anblick schon nach erstaunlich kurzer Zeit nicht mehr falsch vorgekommen. Es gab Pizza im Gefrierfach des Kühlschrankes, und, seit gestern, ein Bild an einer der Wände – kleine, aber bedeutsame Schritte für jemanden wie ihn. Früher hatte Sephiroth all diese Sachen für nebensächlich gehalten. Jetzt begann er zu begreifen, dass es genau dieser `Kleinkram´ war, der etwas über den Bewohner dieser Räume verriet. Er war sich noch nicht sicher, wie viel er über sich verraten wollte (wie viel es überhaupt gab!). Aber konnte der eine oder andere Hinweis schaden? In jedem Fall fühlte sich das Appartement jetzt anders an. Mehr wie... ein kleiner Teil von ihm. Und nicht verkehrt. Sephiroth plante, Veränderungen vorsichtig auch auf seinen Schreibtisch übergreifen zu lassen. In all den Papierbergen würden sie vermutlich sowieso lange unentdeckt bleiben. Es sei denn, man... strukturierte all die Daten ein wenig um... Bis er sich vorsichtig an andere Menschen herantasten könnte, das wusste er mit Sicherheit, lag noch ein langer Weg vor ihm. Er hatte andere immer bewusst auf Distanz gehalten, für diese war der Zustand normal geworden, und sie erwarteten diesbezüglich keine Änderung. Sephiroth schüttelte den Kopf über seine eigenen Gedanken. Meine zukünftigen Pläne unterscheiden sich so sehr von allem, was bisher war... Aber Menschen sind... kompliziert. Und ob jemand wie ich in der Lage ist, ihrer Nähe die entsprechende Anerkennung zukommen zu lassen? Nicht alle sind so stur wie Zack... Oder Cutter... Warum habe ich Cutter diese simplen Missionen zugeteilt?! Ein leises Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken, dann öffnete sich die Tür. Sephiroth hatte zwar nicht mit dem Auftauchen des Teenagers, über den er gerade nachdachte, gerechnet, winkte sie aber trotzdem zu sich. Cutter nahm vor dem Schreibtisch Haltung an, salutierte, entspannt sich wieder und ließ ihren Blick über den Schreibtisch gleiten. Schließlich murmelte sie schockiert: „Meine Güte. So schlimm war es schon lange nicht mehr. Wollen die dich hinter all diesen Papieren einmauern und vergessen?“ „Über die Hälfte hiervon ist pure Zeitverschwendung“, knurrte der General unwillkürlich. „Weißt du, rein zufällig habe ich Feuermateria bei mir...“ „Dazu wärst du imstande.“ In seiner Stimme schwang ein Hauch Heiterkeit mit. „Wenn du die sinnlosen Sachen einfach nicht bearbeiten würdest, was wäre die Konsequenz?“ „Bergeweise unbearbeitete, sinnlose Sachen.“ Er hielt inne. „Ich hasse diesen Papierkram! Er hält mich von Tätigkeiten ab, die wesentlich wichtiger sind!“ Cutter stutzte einen Sekundenbruchteil. Sie wusste, dass Sephiroth sonst nie über seine Gefühle sprach... Der aktuelle Zustand seines Schreibtisches musste ihn wirklich sehr ärgern! Dann bekam sie sich wieder in den Griff und seufzte: „Ja, ich finde es auch blöd, zu jeder Mission einen Extrabericht schreiben zu müssen. Hey, könnten wir das nicht irgendwie kombinieren?“ Sephiroth sah zu einem grinsenden Teenager hinüber. „Ghost Walker Cutter Tzimmek – seit genau 3 ½ Minuten verhältst du dich meinem Rang gegenüber nicht korrekt!“ „Und du lässt dich drauf ein.“ Erwischt, dachte der General. Nun gut, das war mein `anders´ für den heutigen Tag. Gleichzeitig erkundigte er sich nach dem eigentlichen Grund des unangemeldeten Besuches und ging somit zum offiziellen Gesprächsthema über. „Mh“, sagte Cutter, „eigentlich...“ Die Stimme ihrer Vernunft meldete sich nur für sie hörbar, dafür aber lautstark zu Wort. `... eigentlich bist du irre und lebensmüde, Cutter Tzimmek! Lass es!´ Gleichzeitig wisperte die Stimme ihres Herzens: `... eigentlich weißt du, dass du die richtige Entscheidung getroffen hast! Zieh es durch!´ „... hab ich nur neulich gesehen, dass du fast keinen Zucker mehr hast und wollte dir welchen bringen.“ „Zucker“, wiederholte Sephiroth, seine Irritation perfekt verbergend. „Für meinen Kaffee.“ Und dann mit einer Stimme, die klang als gleite Samt über eine sehr scharfe Schwertklinge: „Versuchst du dich einzuschmeicheln, Cutter?“ „Nein, Sir! Ich trainiere mein Teamwork. Außerdem war er im Angebot. Ich lege ihn in die Schublade zu dem anderen, ja?“ Ohne eine Antwort abzuwarten und mit wild klopfendem Herzen öffnete sie die Schublade, wehrte sich mit aller Kraft gegen die ihr lautstark einen Abbruch befehlende Stimme ihrer Vernunft und verstaute den Zucker. Großartig, wisperten die beiden so unterschiedlichen Stimme in ihrem Kopf gleichzeitig. Und was immer jetzt passiert, ... passiert. Sephiroth nahm die leichte Nervosität des Teenagers wahr, ignorierte sie aber. Er wusste, wenn es wichtig war, würde sie das Gespräch mit ihm suchen. Weil es sich gerade anbot, übergab er ihr den fertiggestellten Missionsplan und beobachtete, wie Cutter das Dokument überflog und schließlich mit einem gelassenen Nicken quittierte. Als hätte ich ihr eine List mit Spaziergängen gegeben, dachte der General, und nicht eine Planung von Missionen der höchsten und gefährlichsten Schwierigkeitsstufe... Sicher ist diese Coolness das Resultat aller bisherigen Geschehnisse, aber... Es ging nicht anders. Er musste einfach fragen. „Cutter...“ Seine Stimme klang ein wenig nachdenklicher als geplant. „Was hättest du gesagt, wenn ich dich ausschließlich für Anfängermissionen eingeteilt hätte?“ Cutter grinste. „Ich hätte dich ziemlich verblüfft gefragt, was ich angestellt habe, um so langweilige Missionen zu kriegen.“ Ja, dachte Sephiroth amüsiert. Das hättest du. Ich habe es überdeutlich vor mir. Du verstellst dich nie... nicht einmal mir gegenüber. Genau wie Zack. Anfänglich hat mich das irritiert, dann misstrauisch gemacht, dann geärgert. Ich habe versucht, euch durch Kälte und Distanz umzuerziehen – und bin an soviel Ehrlichkeit gescheitert. Es gibt nicht viele Dinge, die mich scheitern lassen. Aber ihr gehört dazu. Ich habe mich oft gefragt, warum das so ist. Und jetzt habe ich vielleicht eine Antwort: Weil ihr – ob bewusst oder nicht – versucht, mir etwas beizubringen. Aber ich bin kein einfacher Schüler. Und vor allen Dingen... bin ich euer kommandierender Offizier! Das sollte keiner von uns jemals vergessen! „Muss ich dich daran erinnern, dass dein nächster Einsatz in weniger als fünf Minuten beginnt?“, erkundigte er sich mit einer Kühle, die nur eine einzige Antwort zuließ. „Äh... Nein, Sir?“ „Dann solltest du dich in Bewegung setzen. Jetzt.“ Er gestattete sich das leichte Schmunzeln erst, nachdem Cutter den Raum verlassen hatte. Ihre Arbeitsweise außerhalb der Lines mochte immer noch nicht perfekt sein, aber ihre Coolness in Extremsituationen hatte sich herumgesprochen – mit dem Ergebnis, dass dem General für sie doppelt so viele Anfragen wie für ihre Kollegen vorlagen. Wer hätte gedacht, dass du jemals so gefragt sein würdest? Zu ärgerlich, dass für dich nicht dieselben Kriterien gelten wie für die Anderen. Aber... das ist einfach ein Teil deiner Selbst. Du und ich, wir... ähneln uns in manchen Punkten. Es... gibt nicht viele Menschen, die mir ähneln... Seine eigenen, vor gar nicht allzu langer Zeit ausgesprochenen Worte erwachten in seiner Erinnerung. `Du bist etwas absolut Außergewöhnliches´. Habe ich damit wirklich nur ihre Fähigkeiten gemeint? Ich... müsste es wissen. Aber ich weiß es nicht. Was ich mit Sicherheit weiß, ist, dass dieser Papierberg vor mir nicht von alleine verschwinden wird. Oder indem ich über sie nachdenke. Er seufzte leise. Ich hätte das Angebot mit der Feuermateria annehmen sollen. Missmutig griff er nach dem nächsten Antrag. Von seinen Augen ungesehen leitete die entsprechende Line die Bewegung des Blattes weiter, und auch, dass der Antrag nur Sekunden später auf einem Stapel landete und schon bald von weiteren Anträgen bedeckt wurde. Nur eine Line unter vielen, vielen anderen. Zuverlässig vermittelten sie dem Planeten alle Bewegungen auf dessen Oberfläche, ihr Puls leicht und ruhig, sanfte Auf- und Abbewegungen der unterschiedlichsten Farben. Mal liefen die Lines parallel zueinander, mal schlängelten sie sich über- und untereinander durch. Manche schmiegten sich eng aneinander, als teilten sie ein Geheimnis, andere wiederum schienen bemüht, so viel Abstand wie möglich zu wahren. Aber jede einzelne von ihnen transportierte in jeder Sekunde Informationen. Und der Planet nahm all diese Daten in sich auf, wertete sie aus, speicherte sie, löschte, zog Schlüsse, reagierte – oder auch nicht. Aber so gewissenhaft die 1st Lines auch mit den ihnen zugehörigen Objekten umgingen – sie waren blind, taub und hilflos gegenüber der menschlichen Fähigkeit, in ihnen zu reisen und auf die übermittelten Informationen zuzugreifen. Falls die 1st Lines ein eigenes Bewusstsein besaßen, so existierten die Menschen für sie nicht. Wäre dies anders gewesen – vielleicht hätten sie sich hinsichtlich des ein oder anderen menschlichen Geistes kurzfristig zusammengerottet, um über ihn zu diskutieren. Oder sich ängstlich zu ducken. Wie jetzt. Das durch all die bunten Farben rasende Bewusstsein war angefüllt mit Wut. Ich! In diesen inakzeptablen Zustand versetzt! Von einem lächerlichen Teenager! Der noch dazu für ShinRa arbeitet! Im Grunde war sie überhaupt kein Gegner! Nicht für jemanden wie mich! Dass sie es dennoch geschafft hat, mich aufzuhalten... Ich lasse mich nicht aufhalten! Nicht für lange Zeit! Die Stunde meiner Rache wird kommen, und dann werde ich... Sie und alle anderen werden es noch bitter bereuen, sich mit mir angelegt zu haben, das schwöre ich! Das menschliche Bewusstsein kam zum Stillstand, verhielt einen Augenblick lang unschlüssig, stupste zaghaft die ein oder andere Line an, las die Informationen und vergaß sie augenblicklich wieder. Sie waren bedeutungslos. Was jetzt wirklich gebraucht wurde, was unbedingt nötig war, lag... tiefer. Keine Erwartungen. Kein Druck. Nur sanfte, stille Gelöstheit. Und im Herzen ein Gefühl von fallendem Schnee. Nur diese Formel vermochte es, die schwarze Line aus ihrem Versteck zu locken. Die schwarze Line, diese verdammte Grenze zwischen allem was war und allem, was sein konnte. Unter ihr war eine verschwommene Ahnung der so heißbegehrten 2nd Lines zu erkennen. Sie wirkten so... anders. Voller Antworten und Möglichkeiten, Möglichkeiten, von denen bislang nur Ahnungen existierten... Eifersucht, heiß und rasend, stieg in dem menschlichen Geist auf. Warum?! Warum gerade sie? Und nicht ich?? Sie hat diese Gabe nicht verdient! Ich bin besser als sie! Mein bisheriges Leben war härter, schmerzhafter, verlustreicher und trauriger als alles, was sie jemals erleben wird! Mir gebührt diese Gabe ebenso! Mehr als jedem anderen! Aber sie... hat alles, was ich haben will. Die 2nd Lines! Sephiroths Nähe! Eine Zukunft... Oh, wie ich diesen verdammten Teenager hasse! Ihre ganze, verdammte Existenz! Und dann löschten Selbstzweifel Eifersucht und Wut aus. Was mache ich falsch? Kann ich es besser machen? Wie? Ich muss etwas gravierendes übersehen haben, aber was? Und wo? Wo habe ich nicht aufgepasst? Ich habe mir mein gesamtes Wissen über die Lines selbst angeeignet, jedes Buch, jeden Artikel gelesen. Jedes Gespräch schriftlich festgehalten und analysiert. Aber nichts und niemand verrät mir das Geheimnis der 2nd Lines! Bin ich vielleicht nicht würdig genug? Aber sie ist ein verdammter Teenager! Wie kann eine solche Person begünstigter sein als ich? Noch dazu auf der Seite des Feindes... Es ist nicht richtig! Und den Gegner so zu unterschätzen... Lässt mein Urteilsvermögen nach? Werde ich vielleicht sogar... schwächer? Nein. Nein! Auf keinen Fall! Aber ich habe einen Fehler gemacht und muss die Konsequenzen tragen. Wie nur konnte das passieren? Und ich will doch nur... Ich bin... so traurig. Am liebsten würde ich die ganze Sache hinschmeißen. Aber ich kann nicht. Ich kann... sie alle... nicht gewinnen lassen. Verraten, woran ich jahrelang geglaubt, für das ich so hart gekämpft und gelitten habe... Ich kann nicht. Ich darf nicht verlieren! Das menschliche Bewusstsein verdunkelte sich zunehmend hinsichtlich soviel bodenloser Hilflosigkeit. Ich habe alles versucht. Alles! Und dennoch... bin ich keinen Schritt weiter. Überschätze ich meine Fähigkeiten? Oder werde ich sabotiert? Dieser Planet birgt so viele Geheimnisse... Aber dieses... Kind arbeitet für ShinRa! ShinRa!! Sie ist nur eine kleine Mitläuferin! Hätte ich ihre Gabe, ich würde mit diesem Pack aufräumen...! Aber ich habe sie nicht. Ich... habe nur meine Bewegungsunfähigkeit und Pläne, die vielleicht niemals wahr werden. Aber ich will die 2nd Lines haben! Um jeden Preis! Ich würde andere töten und selbst sterben für einen Schlüssel in diese Welt!! Aber ich kann nichts tun, nichts! Überschreite ich die schwarze Line in meinem jetzigen Zustand, bleibt mir nur ein kurzer Moment des Triumphes, bevor mich der Wahnsinn packt! Dann wäre meine Niederlage endgültig! Aber ich darf nicht unterliegen! Ich muss siegen! Für mich, für Midgar... Midgar. Mein Midgar. In meinen Träumen siehst du anders aus als jetzt. ShinRa ist besiegt. Die arm von reich trennende Platte ist verschwunden. Die Menschen vertrauen einander wieder, und sehen nicht aufeinander herab. Sie lächeln und lachen. Sind glücklich! Wir können den Wiederaufbau schaffen, gemeinsam, ich weiß es! Aber nicht, solange ShinRa noch an der Macht ist... ShinRa schickt diesen gefühlsarmen, bemitleidenswerten... starken, wunderschönen Sephiroth, und alle unsere Pläne zerfallen zu Staub! Alleine ist er furchtbar. Zusammen mit Cutter-chan... Wie nur konnte ich zulassen, dass sie mir mehrfach entwischt? Was kann ich tun, um das Rätsel zu lösen, ebenso gut und besser zu werden als sie es ist? Was? Unruhig wanderte der menschliche Geist am äußersten Rand der schwarzen Line entlang, verhaltene Kraft demonstrierend, wie ein Tiger in seinem Käfig aus eisernen Stangen. Für gewöhnlich stellte diese Kombination das perfekte Abbild von Sicherheit dar. Aber manchmal... sehr selten, aber zweifelsfrei belegt durch Geschichten... wies der Käfig... Schwachstellen auf. Mangelhafte Wartung der Eisenstangen. Unterschätzte Kräfte des Tigers. Eine nur ge- aber nicht verschlossene Tür. Ein doppelter Boden. Oder der Besitz des Schlüssels, dem es egal war, in wessen Händen (oder Pranken) er sich befand. Dieser Tiger lag auf dem Boden, eng an die verhassten Gitterstäbe der schwarzen Line gepresst, und tastete mit Pfoten und erschreckend scharfen Krallen nach dem außerhalb des Käfigs liegenden Schlüssel. Er schien auf seltsame Art und Weise näher zu kommen. Die Missionen in Cutters Arbeitsuniversum folgten so dicht aufeinander, dass Tage vergehen konnten, ohne dass sich der Teenager dessen wirklich bewusst wurde. Hin und wieder sah sie auf den Kalender und erschrak – aber im Großen und Ganzen hatte sie sich an die Situation gewöhnt und angepasst (zum Beispiel gelang es ihr jetzt, gezielt innerhalb weniger Sekunden einzuschlafen, wenn die Situation dies gestattete). Um Erfahrungen zu sammeln, war der aktuelle Zustand ideal. Jede Sekunde eines jeden Tages konnte Auftakt für ein neues Abenteuer sein, neue Erkenntnisse... neue Bekanntschaften. „Keine Sorge, Sir, ich komme klar.“ Sergeant Ryko warf dem ihm für diese Mission zugeteilten Blue Wanderer einen halb finsteren, halb undefinierbaren Blick zu. Er hielt nicht von Frauen beim Militär. Nicht, weil er sie als unbegabt einstufte, sondern weil es seiner Meinung nach ca. 1 Million bessere (und sichere) Plätze für sie gab, als ein Schlachtfeld, auf dem jede Aktion des Feindes tödlich sein konnte. Außerdem versuchte er prinzipiell, sie zu beschützen, was sich nicht immer als vorteilhaft herausstellte, wenn die Damen aufgrund ihrer Ausbildung, Talente und Instinkte sehr gut in der Lage waren, dies für sich selbst zu erledigen. Sein `Problem´ musste sich herumgesprochen haben. Von daher konnte er Tzimmek ihre (fast schon freche) Reaktion auf seinen prüfenden Blick kaum verübeln. Und so hob Ryko nur abwehrend die Hände, brummte: „Ich hab nichts gesagt“, und wandte sich wieder dem Rest der Truppe zu. Cutter schmunzelte verhalten. Es war nicht ihr erster Einsatz mit ihm, und sie hatte sich entschlossen, ihn aus verschiedensten Gründen zu mögen. Einer von ihnen war, dass Ryko ihren Rat annahm, (statt ihn zu ignorieren oder Diskussionen zu starten, wie es trotz des großen Erfolges des Blue Wanderer Projektes immer noch einige Offiziere taten), und so befand sich die kleine Truppe wenig später irgendwo in den Slums von Midgar in perfekter Deckung. Cutter überprüfte die Lines. Sie war konzentriert, wie immer... aber irgendetwas fühlte sich schon seit Stunden seltsam an. Nicht mit den Lines! Es schien... an ihr zu liegen und hatte Ähnlichkeit mit einem plötzlich auftretenden Riss... irgendwo... Nein. Es glich mehr der Ahnung eines in Kürze auftretenden Risses. Irgendwo. Konnte es so etwas geben? Ich habe ein ganz, ganz mieses Gefühl... Wenn ich es nur näher orten könnte! Vorerst musste sie sich darauf beschränken, die aus den Lines gewonnenen Informationen weiterzugeben. Ryko nickte, und ein paar Handzeichen später setzten sich einige seiner Männer vorsichtig, aber zügig wieder in Bewegung. Cutter beobachtete sie und auch alle relevanten Lines weiterhin aufmerksam – so aufmerksam, wie es das immer stärker werdende, seltsame Gefühl zuließ. Kopfschmerzen begannen einzusetzen, leicht, aber mit dem sicheren Versprechen auf baldige Steigerung. Druck baute sich auf und fiel in das Versprechen mit ein. Cutter massierte vorsichtig ihre Schläfen. Was ist hier los?! Gaia... bitte, lass nicht schon wieder mich betreffende Dinge gegen meinen Willen geschehen... oder warte wenigstens, bis die Mission zu Ende ist... Bitte! Aber Gaia stellte sich taub. Kopfschmerzen und Druck wurden stärker. Das Gefühl, ein winziges Stück Treibholz inmitten eines gigantischen, tiefschwarzen Strudels zu sein, erwachte, machte völlig klar, dass `etwas´ kurz bevor stand, es schlimm werden würde – und Cutter machtlos dagegen war. „Sephiroth-sama!!“, wisperte der Teenager kaum hörbar, aber voller Verzweiflung. Vor ihr gab Ryko das Zeichen zum Angriff. Den von General Crescent durchgeführten Inspektionen wohnte immer ein ganz besonderer Schrecken inne. Seinem scharfen Blick entging nichts, außerdem war sein Gedächtnis phänomenal gut, und er pflegte jeden Regelverstoß direkt mit den Betroffenen zu klären. Und, im Gegensatz zu anderen Offizieren, gab es bei ihm niemals Diskussionen mit den Zurechtgewiesenen. Aber alle Bewunderung der Welt reichte nicht aus, um die den beendeten Inspektionen folgende Erleichterung zu unterdrücken. Sephiroth ließ sich nichts anmerken, aber er wusste von dem Allgemeinen, hinter seinem Rückens stattfindenden Ausatmen. Als würde ich sie auffressen, dachte der General. Dabei würde sich das überhaupt nicht lohnen. Zu wenig Fleisch und zu viele Knochen. Wenn wir natürlich anfingen, sie besser zu füttern... „Du grinst“, ließ sich der neben ihm gehende Zack vernehmen. „Das macht mir Angst.“ „Tatsächlich? Ich sollte öfter grinsen.“ „Lieber nicht. Weißt du, irgendwie erinnert es an...“ Es geschah völlig unvermittelt, aber so klar und deutlich, dass Sephiroth unwillkürlich innehielt und sich suchend umsah. „Was ist?“, erkundigte sich Zack – erntete aber nur ein kurzes Kopfschütteln. „Nichts. Ich dachte nur...“ ... Cutter würde nach mir rufen... „... nichts.“ Zack warf seinem kommandierenden Offizier einen Blick zu, der mehr als deutlich sagte: `Ich weiß, dass du lügst. Ich weiß aber auch, dass du mir keine andere Antwort geben wirst, also werde ich so tun, als hätte ich nichts bemerkt – und dich aufmerksam im Auge behalten!´ Sephiroth lauschte in sich hinein. Cutter befand sich auf einer Mission. Gut möglich, dass sie in Schwierigkeiten geraten war, dies jedoch hatte sich bisher immer nur in auf ihn übertragenen Gefühlen geäußert. Ihre Stimme so klar zu hören war... neu. Und verhieß nichts Gutes. Von der Restwelt völlig unbemerkt stellte der General alle inneren, den Teenager betreffende Antennen auf vollen Empfang, und versuchte, sich auf die schlimmste aller Möglichkeiten einzustellen, wie auch immer diese aussehen mochte. Das fremde Bewusstsein kämpfte immer noch mit der viel zu lang gültigen Tatsache, am äußersten Rand der schwarzen Line gefangen zu sein. Ich werde das so nicht länger hinnehmen! Ich brauche diese Welt, diese Daten... Für mich! Für Midgar! Diese Stadt aus ihrem apathischen Zustand zu holen... wie lange träume ich schon davon? Fast mein ganzes Leben. Nur dafür habe ich gekämpft, gelitten! Wenn man sich nicht daran macht, seine Träume zu verwirklichen, welchen Sinn haben sie dann? Midgar zu befreien ist... mir so endlos wichtig... In ihrer Deckung krallte Cutter in dem verzweifelten Versuch, die inneren Schmerzen durch äußere zu betäuben, ihre Hände noch fester in die Haare, aber es war sinnlos. Ihr Kopf fühlte sich an, als stünde er kurz vor einer Explosion – und es wurde mit jeder Sekunde schlimmer. Außerdem war es ihr längst nicht mehr möglich, den Schmerz optisch zu verbergen. Sergeant Ryko war ein zu guter Beobachter und Offizier, um nicht trotz des begonnenen Kampfes hin und wieder einen Blick zu den weiter hinten postierten Teammitgliedern zu werfen. Was er jetzt entdeckte, zwang ihn förmlich zu einer sofortigen Rückkehr. Er sprintete über eine deckungslose Fläche und ließ sich, ungeachtet der über ihm einschlagenden Kugeln, neben den förmlich in sich zusammengekauerten Teenager fallen. „Tzimmek, bist du verletzt?“ Keine Antwort. Der Atem des Blue Wanderers ging stoßweise und keuchend, ihre Augen waren weit aufgerissen, die Hände fest in den Haaren vergraben. Ein Schockzustand, keine Frage. Ryko griff nach den Händen des Mädchen und zog sie, auf der Suche nach einer Verletzung des Kopfes, beiseite, konnte aber nichts feststellen. „Tzimmek, rede mit mir!“ Obwohl sie momentan nicht so aussah – Cutter war bei klarem Verstand. Dem Befehl Folge zu leisten allerdings war unmöglich. Ihre ganze Existenz schien aus alles beherrschenden, lähmenden Kopfschmerzen zu bestehen. Sie steuerten etwas Entsetzlichem entgegen. Die schwarze Line schien... mit einem Mal... anders zu sein, aber dem menschlichen Geist fiel es nicht auf. Zu sehr war dieser mit der andauernden Gefühlsanalyse beschäftigt. Genau. Nur dafür bin ich den ganzen Weg bis hierher gegangen und habe nicht aufgegeben. Um Midgar zu retten. Mein Midgar. Meine Mission. Es ist... die... wichtigste... Sache... meiner... Welt!! Irgendetwas zerbrach. Ein neuer Kern wurde zwischen den Scherben sichtbar, griff mit Strahlen aus gebündeltem Gefühl um sich und schloss sich schließlich fest, aber ohne Druck auszuüben, um den einzigen Gedanken, der imstande war, sich derart fesseln zu lassen. Eine neue Brücke in die 2nd Lines wurde erschaffen. Der Schmerz explodierte urplötzlich von Innen heraus. Er ließ Cutter aufschreien, auf die Knie und von da auf den Boden fallen, wo sie verhielt, wimmernd, fast schluchzend, den Kopf schützend zwischen den Händen haltend. Ryko folgte ihr augenblicklich und zog den Teenager mit einem harten Ruck zurück in die sichere Deckung. „Verdammt noch mal, Mädchen, General Crescent bringt mich um, wenn seinem Blue Wanderer während meiner Mission was zustößt!“ Gleichzeitig aktivierte er eine Heilmateria. Irgendetwas, Sephiroth hatte keine Zweifel, war gerade geschehen. Etwas Cutter betreffendes. Es war kein Schmerz. Oder Panik. Auch keine Angst oder Verwirrung. Es fühlte sich an, als fiele etwas sehr Schweres mit gleichbleibender Geschwindigkeit in einen bodenlosen Abgrund. Und ich, dachte der General mit einem Hauch Verzweiflung, kann diesen Posten jetzt nicht verlassen. Weshalb muss Shinra gerade jetzt hier auftauchen?? Cutter... du musst es allein schaffen. Die Heilmateria verfehlte ihre Wirkung. Mittlerweile zitterte der Teenager am ganzen Körper. „Das kann nicht sein!“ Ihre Stimme klang hoch, fast schrill, geprägt von beinahe unmenschlichem Erstaunen. „Das ist absolut unmöglich!! Sie kann nicht...“ Sergeant Ryko aktivierte die Heilmateria ein zweites Mal, ehe ihm klar wurde, dass sie die Ebene, auf der Cutters Schmerz stattfand, niemals würde erreichen können. Er konnte das Mädchen nur zwingen, weiterhin in Deckung zu bleiben – und tat genau das. Irgendwo in den Slums öffnete Rail die seit Tagen geschlossenen Augen und begann, hysterisch zu lachen. Der neben ihr stehende Tyrer zuckte erschrocken zusammen und ließ das Verbandsmaterial fallen. Zu gleichen Teilen verärgert wie verblüfft beobachtete er die höchst amüsierte Frau in dem Bett vor sich. „Das ist es??“, jappste diese gerade. „Das? Nicht mehr?“ Sie begann abermals zu lachen, aber diesmal überwog der Triumph. „Wie einfach... wie lächerlich einfach...“ Tyrer wusste nicht, was er tun oder sagen sollte. Dass Rail Cutters Materiaangriff überlebt hatte... sicher war es zum Teil auch sein Verdienst gewesen. Die im Laufe der Rettungsaktion davongetragenen Verbrennungen schmerzten immer noch, waren aber unbedeutend im Gegensatz zu den Verletzungen, von denen sich die Rebellenführerin erholen musste. Heilmateria (leider nur der niedrigsten Stufe und daher begrenzt wirksam), Medikamente, spezielle Verbände und vor allem Ruhe sollten ihr dabei helfen – allerdings... Rail war... anders. Sie verhielt sich nicht so, wie es irgendjemand in derselben Situation getan hätte. Um sie zur Ruhe zu bringen, war der immer noch andauernde Einsatz von 4 Handschellen und einem höchst stabilen Bett nötig. Was Tyrer einen nicht unerheblichen Haufen an Beschimpfungen, Schmeicheleien und, als bisherigen Höhepunkt, sogar Morddrohungen eingebracht hatte. Letztere waren der Grund für äußerste Vorsicht – speziell jetzt. „Was ist los?“ Sie hatte seit Tagen nicht mit ihm gesprochen. Jetzt aber wandte sie den Kopf, grinste ihn mit funkelnden Augen an... „All unsere Pläne sind hiermit verworfen!“ „Aber...“ „Nein! Vergiss sie.“ Rail begann abermals vergnügt zu kichern. „Ich entwickle neue...!“ Der uneingeplanten Begegnung mit Shinra folgte ein uneingeplantes Meeting mit Shinra, und es war weit nach Mitternacht, ehe Sephiroth dieses endlich verließ. Er tat es in einem Zustand tiefster, innerer Unruhe. Zum einen war ihm unmöglich gewesen, Kontakt mit Cutter aufzunehmen, und zum anderen... das Gefühl, dieses `fallen´, hatte im Laufe der vergangenen Stunden nichts von seiner Intensität verloren. Was auch immer der Auslöser gewesen war – es dauerte an. Der bereits auf ihn wartende Bericht von Sergeant Ryko bestätigte die Cutter betreffende Befürchtung – und steigerte die Sorge. Sephiroth wusste, dass er gegen das Gefühl nichts tun konnte, und verzichtete auf Gegenwehr. Stattdessen versuchte er immer wieder und wieder, den Teenager auf dem Handy zu erreichen. Aber sie meldete sich nicht. Und so blieb dem General nichts übrig, als für einen Moment die Augen zu schließen und sich auf sein Gefühl zu verlassen. Wenige Minuten später betrat er den Flur, auf dem sich sein Appartement befand, und steuerte die seiner Appartementtür gegenübersitzende, in sich zusammengesunkene Person an. Als er nahe genug war, hob diese langsam den Kopf. Cutter sah furchtbar aus. Das Haar hing ihr strähnig und wirr ins blasse Gesicht, ihre Augen waren blutunterlaufen und glänzten merkwürdig. Körperhaltung und Aura wirkten, als seien sie stundenlang hinter irgendetwas wesentlich stärkerem hergezerrt worden. „Was...“, begann Sephiroth und verstummte, als das Mädchen sprach, zwar nur langsam und flüsternd, aber der sich in ihrer Stimme verzückt windende Horror war unüberhörbar. „Sie... weiß... es... Ich habe... keine Ahnung warum... und wie... aber sie... lebt. Und sie... weiß... es...“ Die Fähigkeit, eine Kerninformation aus Bruchstücken zu entnehmen machte sich einmal mehr bezahlt. Sephiroth ließ sich vor dem Teenager in die Hocke gleiten, baute Blickkontakt auf. „Toron lebt und hat einen Weg in die 2nd Lines gefunden.“ In seiner Stimme klang nicht ein Hauch Überraschung mit. Cutter, mittlerweile am ganzen Körper zitternd, nickte. „Es war... wie ein Blitzschlag in meinem Kopf...“ Ihre Hände gruben sich in die wild durcheinanderstehenden Haare. „Und ich... wusste, was los ist... Ich wusste es einfach... Es hat so weh getan, und ich habe das Gefühl, als wäre sie in meinem Kopf... würde mein Wissen über die 2nd Lines kopieren... Und ich kriege sie nicht raus... Ich versuche schon seit Stunden, an irgendetwas anderes zu denken, aber ich...“ Urplötzlich schlossen sich zwei Arme um den Hals des Generals, Hände krallten sich in schwarzes Leder, ein warmer, zitternder Körper drückte sich an den Seinen. Cutters Stimme wurde zu einem verzweifelten Wimmern. „Mach, dass es aufhört, Sephiroth-sama!!“ Einen Augenblick lang bewegte sich keiner von ihnen. Sephiroth wusste, er hätte zurückweichen und dem Teenager einen scharfen Verweis erteilen müssen... Stattdessen legte er eine Hand auf den Rücken des Mädchens und zog sie auf die Füße, indem er sich erhob. Die Umarmung löste sich. Er wandte sich um und öffnete die Tür zu seinem Appartement. „Komm rein.“ Etwas später war die Situation unter Kontrolle. Cutter war zwar immer noch blass, aber Dank einer behutsam dosierten Mischung aus Medikamenten (selbst eine Wirkungslosigkeit von 99% hielt Zack nicht davon ab, seinen General mit den neuesten Mitteln zu versorgen – immerhin gab es eine Wirkungschance von 1 %) wesentlich ruhiger ohne benebelt zu wirken. Insgesamt war genug Zeit vergangen, um sich eine Strategie zur weiteren Vorgehensweise einfallen zu lassen. Sephiroth sah zu dem ihm gegenübersitzenden Teenager. „Sie ist also tatsächlich noch am Leben.“ Der Einstieg war nicht besonders originell, aber er reichte aus. Cutter nickte – und schüttelte eine Sekunde später den Kopf. „Ich weiß, dass ich sie voll getroffen habe! Wie kann sie das überlebt haben?! Das ist jetzt überhaupt nicht wichtig, oder?“ Sephiroth schüttelte mit einem leichten Schmunzeln den Kopf. „Und jetzt?“, fuhr Cutter fort. „Wenn sie weiß, was ich weiß, wird sie... Sie wird unsere Stellungen aufrollen, unsere Strategien durchkreuzen, sie wird alles wissen, alles! Was machen wir denn jetzt, Sephiroth-sama??“ „Nicht in Panik geraten wäre ein guter Anfang.“ „Aber wir sind alle in Gefahr!“ „Wann sind wir das nicht?“ „Aber...“ „Die Stellung des Gegners zu kennen, bedeutet nicht den sofortigen Gewinn des Kampfes. Es ist nur ein Detail. Genauso wie Bewaffnung, Krisenmanagement, strategisches Geschick und Durchhaltevermögen. Die Kombination ist ausschlaggebend. Toron kennt unsere Gefühle? Gut, denn wir werden keine Schwäche zeigen!“ „Sollten wir unsere Leute nicht warnen? Irgendwie?“ „Es sind SOLDIER!“, antwortete Sephiroth, als sei damit alles gesagt. „Cutter, ich verstehe deine Aufregung. Aber vergiss nicht: Selbst du hast lange gebraucht, um den jetzigen Stand deines Könnens zu erreichen. Toron wird es nicht anders gehen.“ „Und wenn sie doch irgendwie... in meinem Kopf war?“ „Ich denke eher, dass Torons Fortschritt eine Art mentale Benachrichtigung an alle anderen 2nd Lines Blue Wanderer ausgelöst hat.“ Cutters Blick nach zu urteilen, wollte sie ihm gerne glauben – war jedoch noch nicht vollständig überzeugt. „Denk an deine Retterin im Dschungel“, erinnerte der General. „Hattest du je das Gefühl, sie sei in deinem Kopf?“ Und als der Teenager nach einigen Sekunden tiefen Nachdenkens verneinte, fuhr er halblaut fort: „Es würde mich nicht wundern, wenn auch sie eine Nachricht erhalten hätte. Ihr seid nur sehr wenige. Vielleicht ist der Planet der Ansicht, dass ihr voneinander wissen solltet.“ „Aber es hat so weh getan... Weil sich Torons Art so sehr von meiner unterscheidet?“ „Vielleicht tut es immer so weh. Tiefgreifende Erkenntnisse sind meistens schmerzhaft. Gut möglich, dass es deiner Retterin im Dschungel vorhin nicht anders ging. “ „Ich wünschte, sie wäre hier“, flüsterte Cutter. „Ich habe so viele Fragen... und Angst... Und ich weiß, sie hätte die Antworten. Sie war... so viel älter und weiser als ich. Stärker. Ich hingegen bin... einfach nur total verunsichert.“ „Und auf dem besten Weg ins Selbstmitleid.“ Cutter lächelte gequält, nickte aber. „Ja. Also... Schluss damit.“ Sie versuchte, sich innerlich zu versammeln. Schließlich gelang es ihr. „Was wollen wir tun?“ „Es wird jetzt eine Weile sehr still um die Rebellen werden. Wir warten ab, halten aber Augen und Ohren offen. Wenn Toron ihres Erachtens nach gut genug geworden ist, wird sie sich entsprechend zurückmelden. Und wir werden ihr zeigen, dass wir besser sind.“ Cutter, gefangen in schlagartig einsetzender Müdigkeit, nickte matt. Sie nahm kaum wahr, wie ihr Körper begann, sich zur Seite hin wegzuneigen und schließlich der Länge nach auf der Couch landete. Schläfrig blinzelte das Mädchen zu dem ihr gegenübersitzenden General hinüber. „Weißt du, was witzig ist?“, murmelte sie. „All meine Schuldgefühle... waren völlig überflüssig. Ich habe... gar niemanden... getö... tet...“ Sephiroth sagte nichts. Er ließ den Teenager einschlafen, betrachtete sie eingehend und seufzte schließlich leise. Und jetzt? Er hätte sie in ihr eigenes Quartier bringen können – aber durch all die Flure mit einem schlafenden Teenager in den Armen zu laufen... keine Option. Also... lasse ich dich auf der Couch? Einen Augenblick lang kämpfte er mit sich selbst. Dann aber stand er auf, hob Cutter vorsichtig hoch und schlug den Weg in Richtung Schlafzimmer ein. Der Körper des Mädchens hatte sich, seitdem er diesen zum letzten Mal getragen hatte, verändert. Er war jetzt muskulöser und durchtrainierter – aber nicht weniger anschmiegsam. Oder warm. Und während Sephiroth vorsichtig die Tür zum Schlafzimmer öffnete, nahm er wahr, wie sich tief in ihm etwas völlig entspannte. So sehr, dass er es kaum über sich brachte, Cutter auf dem Bett abzulegen. Mir scheint, dachte er, etwas von mir will dich nicht loslassen. Warum? Das Gefühl... ist mir völlig neu. Und dann fügte er hinzu: Jetzt lasse ich dich schon wieder in meinem Bett schlafen... Dabei war ich beim letzten Mal so sicher, dass es sich dabei um einen Einzelfall handeln würde. „Se...phi...sama?“ Sie war zu weniger als einem Drittel wach. „Sergeant Ryko... hat was... witziges... gesagt...“ „Was denn?“, erkundigte er sich halblaut. „Er hat gesagt“, murmelte Cutter, „ich wäre... dein... Blue Wanderer...“ „Das ist Unsinn, und du weißt es.“ Aber so leise, dass sogar er es kaum hören konnte, fügte er hinzu: „Du bist mein Ghost Walker.“ Er wusste nicht, ob die Worte noch zu ihr durchgedrungen waren. Einerseits hoffte er, dass der Schlaf schneller gewesen war. Einen anderen Menschen als sein Eigentum zu bezeichnen... es war nicht richtig. Und andererseits... hoffte er es so sehr... Behutsam zog er die Decke über den Körper des jetzt wieder fest schlafenden Wesens, das ihn immer wieder verwirrte, ohne dies zu wissen oder gar mit Absicht herbeizuführen. Niemand sonst konnte diesen Zustand auslösen... Ich verstehe es nicht. Ich verstehe... mich... nicht. Ein letzter, langer Blick. Dann verließ Sephiroth lautlos das Schlafzimmer. Kapitel 33: Pakt mit dem Teufel ------------------------------- Sephiroth verbrachte die Nacht auf der Couch. Nur hin und wieder stand er auf, um nach dem Teenager zu sehen, aber jedes Mal fand er sie friedlich schlafend vor, eingekuschelt in seine Bettdecke. Ihre Gegenwart in diesem Zimmer, in diesem Appartement, war von einer solchen Unaufdringlichkeit, als habe all das nur auf sie gewartet, als gehöre das Mädchen hierher. Cutter Tzimmek, dachte Sephiroth, was mache ich nur mit dir? Ich kann dich nicht ignorieren. Aber näher kommen lassen – noch näher – geht auch nicht. Also, was soll ich tun? Er stellte diese Frage nicht oft, und wenn, dann war sie ausschließlich an sich selbst gerichtet. Diesmal jedoch galt sie dem gesamten Universum in all seiner Vielfalt. Denn irgendwo dort, vielleicht verborgen im tiefsten Schatten, vielleicht von Licht überglänzt, existierte eine Antwort. Das Universum – das Leben – hatte eine auf alles. Diese jedoch gehörte zu der eher schüchternen Sorte und zeigte sich nicht. Sephiroth beschloss, den momentanen Zustand beizubehalten. Vorerst. Mit etwas Glück würde sich die Situation vielleicht von ganz alleine klären. Der General hatte `Glück´ bisher niemals in seine Pläne involviert, war er doch der Meinung, dass ein zufriedenstellendes Ergebnis allein von der entsprechenden Planung abhing. Und genau deshalb hoffte er auf eine einmalige Ausnahme. Vielleicht hatte sich ja schon genug `Glück´ für eine Ausnahme angesammelt? Als der Morgen kam, erwachte er zur gewohnten Uhrzeit, erledigte einen Anruf und beschloss, sich im Appartement zu beschäftigen, bis Cutter von selbst aufwachte. Er war gerade dabei, ein Logikrätsel, dessen einzige Hilfestellung aus einem Satz mit 4 Wörtern bestand, erfolgreich aufzulösen, als die Schlafzimmertür aufflog und ein entsetzter Teenager in den Raum gestürmt kam. „Ich hab verschlafen! Ich komme zu spät zu meiner Mission! Warum hast du mich denn nicht geweckt, Sephiroth-sama?? Guten Morgen... Darf ich kurz in dein Bad??“ Sephiroth hatte sich im Laufe aller jemals geführten Schlachten, egal in welcher Form, einen gewissen Ruf erarbeitet. Eigentlich sogar mehrere. Einer von ihnen lautete: `Nichts auf dieser Welt kommt an General Crescent vorbei, wenn er es nicht wünscht.´ Mit anderen Worten: Alles ließ sich, völlig unabhängig von allen Details, aufhalten. Wenn man es im richtigen Winkel erwischte. Cutter... offenbarte momentan keinen solchen Winkel. Und so nickte Sephiroth nur knapp und beobachtete, wie der Teenager ins Bad raste, dachte: Ich habe den Sturmwind in diesem Appartement zu Besuch...´ und lehnte sich milde amüsiert zurück, um die weiteren Entwicklungen abzuwarten. Lange dauerte es nicht, bis Cutter wieder aus dem Bad kam. „Wo sind meine... Da!“ Sie sprintete in die entsprechende Ecke und begann hektisch ihre Schuhe anzulegen... „Ich darf doch nicht zu spät kommen... die Mission ist wichtig...!! Und überhaupt – wieso lag ich schon wieder in deinem Bett?“ „Weil ich dich hingetragen habe“, antwortete Sephiroth mit einer Stimme, in der irgendwo ein amüsiertes Lächeln glomm. „Du bist während unseres Gespräches auf der Couch eingeschlafen.“ „Oh“, machte Cutter überrascht. Gleichzeitig veränderte sich ihre Gesichtsfarbe in ein sehr verlegenes, dunkles Rot. Er hat mich getragen, er hat mich getragen... Wie peinlich!! Oder doch... schön? Aber ich habe dabei geschlafen... Wie ärgerlich! Kann ich dabei nicht mal wach sein? Obwohl... vermutlich wäre das gar nicht so gut für mich... Sie warf einen vorsichtigen, sehr kurzen Blick in Sephiroths Richtung und wandte ihre Aufmerksamkeit blitzschnell wieder den Schuhen zu, als sie feststellte, dass ihr Vorgesetzter sie aufmerksam beobachtete. Dieser hielt den Augenblick für gekommen, eine grundlegende Information auszusprechen. „Übrigens, deine erste Mission für heute morgen übernimmt ein anderer Blue Wanderer.“ Der Satz erntete ein verblüfftes: „Ha?“, kombiniert mit einem doppelt so verblüfften Blick und einem dreifach verblüfften innehalten mitten in der Bewegung. Da soll noch mal jemand sagen, dachte Sephiroth, dass man den Sturmwind nicht zähmen kann. Gleichzeitig deutete er sachte schmunzelnd in Richtung Küche. „Frühstück?“ Wenige Minuten später saßen sie in der Küche. Sephiroth, die dampfende Kaffeetasse in der Hand und schon satt, sah zu dem immer noch zufrieden kauenden Teenager hinüber und fragte sich a) wie man so viel Schokobrotaufstrich essen konnte, und b) ob die empfundene Entspannung von Cutter ausging und er eine Übertragung auf sich – bewusst oder unbewusst - zuließ, oder ob sie sich von ganz alleine einstellte. In jedem Fall blieb es ein eher selten empfundenes Gefühl. Einmal mehr, dachte er, stellt dieses verdammte Mädchen alles auf den Kopf. Ärgert mich ihre Gelassenheit etwa? Vielleicht... ein wenig. Ich gehöre zu den tödlichsten Existenzen Gaias, und Cutter weiß das. Sie sollte in meiner Gegenwart nicht so entspannt sein. Zack ist das auch – aber bei Zack handelt es sich um einen 1st Class SOLDIER, wie ich es bin... Die Nacht in der Eiszapfenregion fiel ihm wieder ein, die Schneeballschlacht, das folgende Gespräch... Cutters auf ihn bezogenes: `Ich mag ihn sehr!´ Das habe ich verstanden. Aber kann... darf... sollte man `mögen´ mit `vertrauen´ gleichsetzen und es so praktizieren, wie du es gerade tust? Mir geltendes Misstrauen, Angst, Vorsicht, Wachsamkeit... Damit kann ich besser umgehen als... hiermit. Überhaupt: Du solltest gar nicht hier sein (aber du bist es)! Und vor allen Dingen, Cutter Tzimmek, solltest du nicht so viel von dieser Schokocreme essen, sonst bekommst du Bauchweh. Ich denke gerade Blödsinn. Oder? Auch Cutter hing ihren Gedanken nach. Sie konnte sich noch gut an ihr erstes gemeinsames Frühstück mit Sephiroth erinnern. Damals war die Auswahl auf dem Tisch absolut überschaubar gewesen. Jetzt bog sich dieser förmlich unter der Vielzahl an Lebensmitteln – und die meisten Verpackungen waren geöffnet. Kein Mensch brach gleichzeitig so viele Waren an. Es sei denn, er wollte herausfinden, ob ihm mehr schmeckte als die bereits bekannten Dinge. Und das war nicht die einzige Veränderung. Auch im restlichen Appartement gab es Neues zu entdecken. Cutter wusste noch, wie begeistert sie von den großen Räumen und der hochmodernen Einrichtung gewesen war. Aber erst jetzt, nachdem Sephiroth begonnen hatte, die Wohnung zu gestalten, fiel dem Teenager auf, wie kalt und steril sie vorher gewesen war. Sie hatte etwas wiedergespiegelt. Eine Ansicht, einen Ruf, ein Idol, das Erwartungsgemäße... Aber keine Seele. Das schien sich jetzt zu ändern. Cutter hätte ihre Gedanken gerne laut ausgesprochen, aber... Ich will ihm auf keinen Fall zu nahe treten! Wie er sein Zuhause gestaltet, geht mich nichts an. Aber... vielleicht wartet er auch auf eine Reaktion? Unsinn, weshalb sollte er das tun... Und wenn doch? Was oder wer ihn wohl dazu gebracht hat, diese Veränderungen vorzunehmen? Sie griff ein weiteres Mal nach dem Glas mit dem süßen, dunkelbraunen Brotaufstrich, sah auf, begegnete Sephiroths unergründlichem Blick und lachte. „Diese Schokocreme ist der Hammer!“ „Ich habe gehört, sie soll gut sein.“ „Ist sie. Deshalb lasse ich dir auch was übrig.“ Sephiroth schoss einen warnenden Blick in Richtung seines Gastes ab. Dieser verzog das Gesicht, entschuldigte sich und erntete ein missbilligendes Kopfschütteln. „Cutter, wenn du nicht aufpasst, wird dir eine solche Äußerung eines Tages das Genick brechen!“ Und in Gedanken fügte er hinzu: `Also, pass besser auf!´ Cutter nickte leicht. Dann lächelte sie fast traurig. „Ich glaube, wir müssen generell alle besser aufpassen. Jetzt, wo Toron...“ Sie verstummte und schüttelte den Kopf. „Ich hätte nie gedacht, dass sie es alleine schafft.“ Die Betonung des letzten Satzes beinhaltete die zerschlagene Hoffnung auf eine Art Selbstschutz der Lines, sowie die sich erneut bestätigende Gewissheit, dass `Sicherheit´ nur eine Illusion war und alle zukünftigen Kämpfe noch brutaler als ohnehin werden würden. „Diese Weiterentwicklung“, antwortete Sephiroth, „war von Anfang an möglich. Und gerade Toron gehört zu der Sorte Kämpfer, die sich in ihr Ziel verbeißen und nicht mehr loslassen, bis sie es erreicht haben. Was auch immer sie plant – wir können es nur auf uns zukommen lassen.“ „Denkst du“, fragte Cutter leise, „sie wird wieder mich heraufordern?“ „Möglich. Aber ihr Hauptziel ist und bleibt ShinRa. Sollte sie dir dennoch begegnen, erwarte ich von dir, dass du sie entsprechend begrüßt.“ Er sah auf die Uhr, und Cutter folgte seinem Blick. „Ich muss los, was? Diesmal wirklich. Danke schön für... für alles.“ Sie erhob sich, nahm Haltung an, bat um die Erlaubnis, wegtreten zu dürfen und setzte sich, nach einem knappen Nicken des Generals, in Richtung Küchentür in Bewegung... hielt aber noch einmal inne... und warf einen letzten, langen Blick zurück. Der Ausdruck in ihren Augen sagte mehr, als es Worte jemals hätten ausdrücken können. Nur Sekunden später verriet ein leises Klicken der Haupttür, dass Sephiroth wieder allein war. Er stellte die Kaffeetasse langsam ab und ließ sich zurücksinken. Sie hat es gemerkt, dachte er. Dass ich Dinge in diesem Appartement verändert habe. Und hat nichts gesagt. Warum? Aber... wenn sie mich darauf angesprochen hätte – was hätte ich sagen können? Die Wahrheit, meine Wahrheit, geht nur mich etwas an. Oder? Veränderungen sind auch immer Signale. Und auf diese folgen unweigerlich Reaktionen. Auch Fragen. Wenn ich nicht in der Lage bin, auf diese Fragen einzugehen – darf ich dann überhaupt Signale aussenden? Wieder eine Frage, die er sich nicht selbst beantworten konnte. Und wieder hatte Cutter damit zu tun! Sephiroth seufzte leise. Vielleicht... sollte er sie einfach anrufen und nach dem Grund fragen? Sie würde ihm eine ehrliche Antwort geben. Und dann? Nein, dachte er. Was Cutter gerade praktiziert... es gibt ein Wort dafür. Nicht `Höflichkeit´. `Rücksicht´. In Bezug auf mich nahezu lächerlich, aber ich weiß, sie... kümmert sich nicht darum. Wenn sie nicht weiß, was sie tun soll, hört sie immer auf ihr Gefühl. Auch, wenn manchmal völlig unklar zu sein scheint, wohin das führt... Cutter, du machst mich wahnsinnig! Ihre gestrigen Worte fielen ihm wieder ein. „Sergeant Ryko hat gesagt, ich sei dein Blue Wanderer...“ Für einen kurzen Augenblick war der General fest entschlossen, Sergeant Ryko für diese Aussage zur Rede zu stellen. Dann verwarf er den Gedanken wieder. Es war allgemein bekannt, dass er für schwierige Einsätze nur die Besten mitnahm, und Cutter gehörte dazu. Auf Rykos Aussage einzugehen, wäre nur verdächtig gewesen... Sephiroth schüttelte den Kopf. Ob die Dinge auf dieser seltsam fremden Ebene immer so furchtbar kompliziert waren? Schon wieder so eine Frage! Er beschloss, bis auf weiteres nicht mehr über sich oder Cutter nachzudenken, sondern seine Aufmerksamkeit wichtigeren Dingen zuzuordnen. Toron zum Beispiel! Mit Sicherheit übte sie wie eine Besessene mit den 2nd Lines, und nur die Zeit würde zeigen, wie sie ihre neuen Fähigkeiten einsetzen würde. Die folgenden Tage zeichneten sich durch gespenstische Ruhe aus. Man konnte förmlich spüren, wie in der Stille eine undefinierbare Kraft an Stärke zunahm. Es glich den TV Berichten über eine noch weit entfernte Katastrophe mit direktem Kurs auf die zusehenden, bewegungsunfähigen Personen. Es ließ die Luft elektrisch Knistern, verlieh jedem Detail eine gewisse Zweideutigkeit und hielt die Menschen davon ab, ruhig zu schlafen. Midgar lag geduckt zum Sprung. Und alle konnten es spüren. Sephiroth hielt die Atmosphäre mit beinahe gelangweilter Gelassenheit auf Distanz. Was immer Toron plante, es konnte unmöglich Unaufhaltsam sein. Cutter hingegen... litt. Sie wusste, dass es keine Möglichkeit gegeben hatte, diese in eine gänzlich unvorteilhafte Richtung stattgefundene Situationsentwicklung zu verhindern – aber es tröstete nicht. „Dinge geschehen, wenn die Zeit reif dafür ist“, hatte Zack gesagt. „Wir sind ShinRa und müssen sowieso ständig mit einem offenen Auge schlafen, also hey, mach dich nicht verrückt.“ Cutter hatte zugestimmt. Was hätte sie auch sonst tun sollen? Trotzdem war sie unglücklich – und besorgt, hielt sie die Rebellenführerin doch für sehr geschickt. Mit Sicherheit würde Toron schnell auf den bereits von ihr erlangten Stand kommen, und dann? Auf wen würde sich der Angriff richten? Dieser Gedanke beschäftigte sie ununterbrochen. Er besaß nicht einmal den Anstand, vor der Bürotür des Generals zu warten, während der Teenager die M.I.A. Akten bearbeitete. Immer wieder sorgte er für unerwünschte Ablenkung. Hoffentlich, ließ er Cutter gerade denken, richtet sich der Angriff nicht auf Sephiroth oder Zack. Wenn sie mich direkt attackiert... damit komme ich klar. Wenn es im Laufe einer Mission passiert, kann ich versuchen, sie von den anderen wegzulocken, damit wir die Sache unter uns austragen können. Wenn ich nur wüsste, was ihr mentaler Fokus ist! Vielleicht könnte man mit ihr handeln... Wenn es ein Gegenstand ist, den sie will, und man würde ihn ihr einfach geben... Ob das die Fähigkeit, in die 2nd Lines zu gehen, einfach aufheben würde? Ich wünschte, ich könnte... Sephiroths dunkle Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Cutter, du träumst.“ „Eigentlich nicht, Sir. Ich denke über die Situation nach, aber je intensiver ich das tue, je mehr Fragen tauchen auf, und ich habe auf so gut wie keine eine Antwort, und das deprimiert mich, um ehrlich zu sein.“ Der Satz barg jenen gewissen Unterton, der möglicherweise bereits den Fund einer Lösung verriet. Sephiroth griff ihn auf. „Was möchtest du gegen diesen Zustand tun?“ Die Antwort des Teenagers kam mit der erwarteten Schnelligkeit. „In den Dschungel gehen, meine Retterin von damals finden und mit ihr sprechen. Denkst du, das könnte klappen?“ Sephiroth lehnte sich in seinem Sessel zurück und erwiderte den zu gleichen Teilen hoffnungsvollen wie nachdenklichen Blick. „Ich denke“, sagte er nach einer Weile langsam, „der Erfolg hängt einzig und allein davon ab, ob sie sich finden lassen will. Kannst du dich noch an den Stab erinnern, den sie bei sich trug?“ Cutter nickte. Die Erinnerung an das sanfte, ihren Wahnsinn vertreibende Leuchten, hatte sich unauslöschlich in ihr Herz geprägt. Und eine sichere Gewissheit erschaffen. „Sie war... irgendwie... mehr als ein 2nd Lines Blue Wanderer.“ „Genau das denke ich auch. Und, dass sie ihr Leben in der Einsamkeit aus guten Gründen gewählt hat. Vielleicht unter anderem, um sich in Geschichten wie diese hier nicht verstricken zu lassen.“ „Mit anderen Worten, ich kann meinen Plan vergessen.“ „Ich fürchte, so ist es. Was auch immer geschieht, wir können es nur auf uns zukommen lassen. Und, wenn es soweit ist, die richtigen Entscheidungen treffen.“ Cutter nickte langsam. Im tiefsten Grunde ihres Herzens war ihr die Undurchführbarkeit des Planes klar gewesen. Aber manchmal war eine zweite Meinung notwendig, um etwas endgültig zu akzeptieren. Warum klammerte man sich manchmal trotzdem mit aller Kraft an eine solche Idee? Vielleicht nur, um nicht in Hoffungslosigkeit zu ertrinken? Cutter wusste es nicht. Nur, dass sie sich schlagartig sehr hilflos fühlte. Und sehr, sehr müde. Letzteres war in ihren Augen mehr als deutlich zu erkennen. „Cutter, es ist nach 2300 Uhr. Geh schlafen.“ Abermals nickte der Teenager sachte, legte die M.I.A. Akte weg, erhob sich, ging zur Tür, wandte sich noch einmal um... Sephiroth saß hinter seinem Schreibtisch, die makogrünen, alles durchschauenden Augen auf den Computerbildschirm gerichtet. Wie ein Torwächter oder ein Schutzengel, ein Fels in der Brandung – in jedem Fall aber ein Pläneschmieder und –durchführer. Und einsam, dachte Cutter. Weshalb war mir das früher nie so klar? Weil es so viele Dinge gibt, die darüber hinwegtäuschen. Gute und schlechte. Absichtlich herbeigeführte und solche, die sich von selbst ergeben. Den Unterschied zu erkennen, fällt so schwer... Du bist unglaublich kompliziert! Und dennoch gleichzeitig die Gewissheit, dass alles gut wird, solange... „Sephiroth-sama? Ich bin froh, dass du da bist.“ Dann verschwand sie blitzschnell durch die schlauerweise schon halb geöffnete Tür. Hey, flüsterte Sephiroths militärisches Denken entrüstet, sie hat nicht salutiert! Aber der Protest verhallte wirkungslos hinsichtlich der Ahnung, dass Cutters Aussage ein klein wenig anders gemeint war, als alles bisher in dieser Richtung gehörte. Und ehe es sich der General versah, befand er sich in tiefen, den Teenager betreffenden Grübeleien. Irgendwann schüttelte er fast ein wenig ärgerlich den Kopf, füllte seine Kaffeetasse neu und griff nach dem Zucker... um festzustellen, dass der Karton leer war. Kein Grund für Hektik. Cutter hatte erst letztens neuen mitgebracht. Sephiroth ging zum Schrank, entnahm ihm das Päckchen, kehrte zum Schreibtisch zurück, begann, die Packung zu öffnen – und hielt inne. Runzelte die Stirn. Und verhielt einen Augenblick in tiefer Verblüffung. Es war Zucker, ja, die Farbe stimmte, er war leicht portionierbar, würde sich mit Sicherheit schnell auflösen und süß sein... aber es war nicht die gewohnte, viereckige Form. Diese Zuckerstückchen waren... herzförmig. Sephiroth starrte bewegungslos auf die reinweißen Herzen. Gleichzeitig versuchte er, zu denken, aber es gelang ihm erst nach einer ganzen Weile. Weshalb bringt mir Cutter... Sie sagte, er sei im Sonderangebot gewesen. Aber auf der Packung steht `Limited Edition´. Nr. 1 von 500 Päckchen. So etwas ist niemals im... Ich folge gerade der falschen Spur. Langsam ließ er sich seinen Sessel sinken. Herzen. Ein Herz. Ein menschliches Herz war eine Art Motor, eine Pumpe, die das Blut in Bewegung hielt. Es bestand aus einem rechten und linken Vorhof, sowie den entsprechenden Kammern. Herzklappen sorgten für einen Fluss des Blutes in die korrekte Richtung und verhinderten einen Rückfluss. Aber die Zuckerstückchen besaßen nicht die Form eines solchen Herzens. Sephiroth hatte diese halbrunden und dennoch spitz zulaufenden, perfekt gespiegelten Versionen schon oft gesehen (unter anderem auf der ersten von Cutter erfolgreich bearbeiteten M.I.A. Akte, bevor er dies unterband). Sie standen für vieles. Aber hauptsächlich für diesen seltsamen Begriff namens `Liebe´. Er schüttelte den Kopf, aber das seltsame Gefühl blieb an seinen Gedanken haften. Es fühlte sich an, als ob... Als ob man mir ein in einer fremden Sprache verfasstes Buch in die Hände gedrückt hat und erwartet, dass ich es verstehe. Nein, berichtigte er sich dann selbst, Cutter... erwartet nichts. Das tut sie niemals. Langsam griff er nach seinem Löffel, legte eines der Zuckerstückchen hinein und tauchte es vorsichtig in den Kaffe, beobachtete, wie sich all das Weiß mit Dunkelheit voll sog, bis nur noch ein winziges Fleckchen Weiß übriggeblieben war. Ein Herz, angefüllt mit Finsternis - bis auf eine kleine Stelle Helligkeit. Vielleicht... ein bisschen... wie... mein eigenes? Und du... bist... Der Zucker begann sich aufzulösen und glich somit einer der berühmten Nachrichten, die sich nach Erhalt selbst zerstörten, um keine unnötigen Spuren zu hinterlassen. In Ordnung, Cutter, dachte Sephiroth während er langsam umrührte. Deine Botschaft... ist bei mir angekommen. Ich... brauche nur ein wenig Zeit, um... mir über gewisse Dinge klar zu werden. Und außerdem brauche ich... „Schlaf“, murmelte der General. Die letzten erholsamen Stunden waren schon zu lange her. Dennoch arbeitete er weiter, bis die frisch gefüllte Kaffeetasse leer war. Erst dann machte er sich auf den Weg in sein Appartement. In Punkto `Entspannung´ gab es kaum etwas Besseres als eine heiße Dusche. Auch dieses Mal war sie vor dem Schlafen gehen genau das Richtige gewesen. Im Grunde wollte Sephiroth jetzt nur ins Bett... aber auf dem Weg dorthin fiel sein Blick auf den Laptop. Das Gerät stand auf dem Glastisch zwischen all dem schwarzen Leder und strahlte den schlecht getarnten Wunsch aus, eine Nachricht zu übermitteln. Grüne Makoaugen liebkosten flüchtig das durch die halb geöffnete Schlafzimmertür bereits gut erkennbare Bett... dann siegte die Neugier. Sephiroth klappte den Laptopdeckel hoch, und nur Sekunden später erschien auf dem Bildschirm die Einladung zu einer Videokonferenz – von einem unbekannten Absender. Das Zögern dauerte nur einen Sekundenbruchteil. Dann startete der General ein unauffällig im Hintergrund laufendes Aufnahmeprogramm, machte es sich in einem der Sessel bequem und nahm die Einladung zu der Videokonferenz an. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sich das neue Bild aufbaute. „Du bist gekommen.“ Rail lächelte, und es wirkte ehrlich. „Ich freue mich. Halte mich bitte nicht für feige, diesen Weg der Kontaktaufnahme gewählt zu haben, aber Verbrennungen heilen nur langsam, und ich bin körperlich noch nicht ganz auf dem Damm. Das Risiko, gefangen zu werden, ist zu groß.“ „Ich halte dich nicht für feige.“ „Sondern?“ „Für dumm. Wie alle, die sich ShinRa in den Weg stellen. Du und deine kleine Rebellenhorde führt einen aussichtslosen Kampf.“ „Für die Freiheit zu kämpfen ist niemals völlig aussichtslos. Vielleicht wird irgendwann jemand anderes die Früchte unserer Arbeit ernten können.“ „Und wenn nicht, war euer Tod umsonst.“ „Falls wir sterben.... ist das möglich.“ „`Liberation´ wird mit Sicherheit untergehen.“ Und um völlige Klarheit zu schaffen fuhr er fort: „Nicht einmal deine neuen Fähigkeiten werden daran etwas ändern können.“ Das bis dahin sehr ernst wirkende Gesicht der Rebellenführerin hellte sich auf. „Ah, du weißt also Bescheid. Ich frage nicht, woher du es weißt. Es interessiert mich nicht. Aber ich habe es alleine geschafft, ganz ohne die Hilfe deines kleinen Haustiers. Bist du stolz auf mich?“ Sephiroth hob langsam eine Augenbraue. Es wirkte zu gleichen Teilen spöttisch wie gelangweilt. „Du hast diese Videokonferenz doch nicht eingefädelt, um mich etwas so nebensächliches zu fragen.“ „Eigentlich wollte ich dir von deiner Line erzählen.“ „Nicht nötig.“ „Verstehe. Cutter-chan war schneller. Schade. Hat sie auch erwähnt, dass man deine Line nicht...“ „Lesen kann? Natürlich. Ich kenne meine Line, Toron.“ Die Rebellenführerin seufzte leise. „Ich wollte dich nicht ärgern. Diesmal. Tut mir leid.“ „Was ist der Grund für diese Konferenz?!“ „Eigentlich wollte ich nur deine Stimme mal wieder hören. Sie klingt... anders als früher, aber ich mag sie. Kannst du damit irgendetwas anfangen? Vermutlich nicht. Und ich... kann es dir nicht einmal übel nehmen. All das hier... die Umstände... ShinRa... haben nie zugelassen, dass du... Interesse an solchen Äußerungen entwickelst. Was ausgesprochen schade ist, denn es heißt, dass ich dich nicht, wie andere, mit meinem Sexappeal um den Finger wickeln kann.“ „Korrekt.“ „Ausgesprochen schade. Man kann das lernen, weißt du? Man braucht nur...“ „Kein Interesse.“ „... Vertrauen, den richtigen Lehrer und Geduld. In deinem speziellen Fall vermutlich die Geduld eines ganzen Lebens, aber...“ „Komm zum Thema!“ „... ich würde es versuchen. Ich würde es wirklich versuchen.“ Irgendetwas in ihrer Stimme... Sephiroth konnte es nicht definieren. Aber es hinderte ihn daran, Rail zu unterbrechen. Und so fuhr diese fort. „Als wir zusammen im Labor gefangen waren, wollten wir unter anderem fliehen, damit ich dir meine Welt zeigen kann, weißt du noch? Eine Welt ohne... Gitterstäbe und Schmerzen. Das möchte ich noch immer! Inzwischen ist... so viel passiert, und ich... meine jetzt eine andere Welt. Eigentlich sogar mehrere Welten. Sie existieren noch nicht, aber das heißt nur, dass sie erst aufgebaut werden müssen.“ Für einen kurzen Augenblick musste Sephiroth an einen kleinen Karton mit herzförmigen Zuckerstückchen denken. Seiner Logik erschien es absurd. Sein Instinkt jedoch wisperte ihm zu, dass genau das gemeint war. Eine neue Welt... „Aber alleine schaffe ich das nicht.“ Ihre Stimme klang fast verzweifelt. „Ich brauche Hilfe!“ Die brauchst du allerdings, dachte Sephiroth. Erscheine in meiner Nähe, und ich gewähre sie dir! „Und zwar deine!“ Jetzt klang sie fast trotzig. „Ich will nur deine Hilfe!“ „Meine Hilfe? In Form eines Seitenwechsels?“ „Du hast nichts zu verlieren außer deinem Schmerz und den Demütigungen im Labor. Ich weiß, du definierst dein Wesen zum Teil auch dadurch, aber du brauchst all das nicht! Mir ist bewusst, außer Hojo gibt es niemanden, den du nicht besiegen könntest - mich natürlich ausgeschlossen – aber du müsstest nur...“ Bis zum jetzigen Zeitpunkt hatte Sephiroth das Gespräch für reine Zeitverschwendung gehalten. Nun allerdings spürte er leichten Ärger in sich aufwallen. Du weißt nichts, absolut nichts von mir und Hojo! Wie kannst du es wagen...!! Er beschloss, den Takt des Gespräches von nun an selbst zu bestimmen, und schon seine erste Frage zielte darauf, Rail in die Enge zu treiben. „Apropos“, unterbrach er kalt, „von welcher Art waren die an dir durchgeführten Experimente?“ Rails Gesichtsausdruck verhärtete sich. „Fragst du das als ehemaliger Käfignachbar, als Privatperson, oder als General der feindlichen Truppe?“ Ohne eine Antwort zu erwarten, fuhr sie fort: „Du hast nicht in meine Akte geguckt. Das enttäuscht mich.“ „Es gibt keine.“ Vielleicht wohnte seiner Stimme ein Hauch Trauer inne. „Es gibt keine“, wiederholte Rail sichtlich erschüttert. „Dieser Bastard zerstört mein ganzes Leben und es ist ihm nicht mal eine Akte wert. Das ist...“ „Beantworte meine Frage!“, unterbrach Sephiroth befehlend. „Ich will nicht.“ „Dann ist das Gespräch hiermit beendet.“ Er lehnte sich nach vorne... „Wenn du mich berühren würdest...“ Rails Stimme klang bitter und traurig, „... könntest du Wärme spüren. Ich hingegen könnte mir deine Wärme nur vorstellen. Er hat meinem Körper die Fähigkeit, zu fühlen, genommen, Sephiroth. Ich bin eingesperrt in mir selbst. Weiß du, wie viele Dinge zerbrochen sind, weil ich sie zu fest angefasst habe? Oder wie viele noch zerbrechen werden? Über seelischen Schmerz könnte ich Romane verfassen, aber körperlicher existiert nicht mehr für mich! Ich bin... ein verdammter Roboter.“ „Verstehe. Und dafür willst du Rache.“ „Ich will Blut sehen, richtig. Das von Rufus Shinra, von Hojo... und deins, wenn du dich mir weiterhin in den Weg stellst. Vielleicht ist das primitiv, aber ich mag den Plan. Ich kann jetzt die 2nd Lines bewandern, großer General. Ich bin...“ Sie verstummte einen Augenblick. „Das interessiert dich alles kein Stück, oder?“ „Korrekt. Aber ich kann dir versprechen, dass du Blut sehen wirst. Hauptsächlich das deiner Leute – und irgendwann auch dein eigenes.“ „Ist das dein letztes Wort? Dann sehen wir uns auf dem Schlachtfeld wieder! Und ich rate dir, bis dahin alle verfügbaren Kräfte zu sammeln, denn der nächste Kampf wird für einige von uns der Letzte...“ Sephiroth beendete die Konferenz mit einem lässigen Knopfdruck, als schüttele er etwas Unerwünschtes ab. Dann lehnte er sich zurück und verharrte, tief in Gedanken versunken, versuchte, seine Gefühle zu analysieren. Mitleid war nicht darunter. Dafür aber die Gewissheit, dass ein weiteres Mosaiksteinchen an den richtigen Platz gelegt worden war. Blieben, gefühlstechnisch, noch mehrere Hundert übrig. Und einige von ihnen besaßen die Form von weißen Herzen. Obwohl sie sich völlig unterschiedlich ausgedrückt hatten und seine Verbindung zu diesen beiden Personen sich kaum ähnelte – Sephiroth wusste, dass Cutter und Rail dasselbe meinten. Trotz allem, was war – ich werde Rail aus dem Verkehr zu ziehen. Und Cutter... ich bin ihr kommandierender Offizier, mentaler Fokus und... ja. Und. Was noch? Sie sieht mehr in mir als `nur´ das. Ich konnte es ihr nicht austreiben. Vermutlich... bin ich sogar zum Teil selbst schuld an diesem Zustand. Cutter und Zack sind die einzigen beiden Personen, die mich nicht wie einen Gegenstand behandeln. Wie nur konnte ich es zulassen?! Dass man sich mir auf diese Art und Weise nähert! Ich wollte nie... Oder... wollte ich doch? Unbewusst? Cutter und Zack haben mich immer wieder dazu gebracht, über mich selbst nachzudenken. Mein Verhalten zu analysieren. Und ich... habe begonnen, mich zu ändern. Aber... hat mir das letztendlich etwas gebracht? Warum kann ich diese und alle anderen Fragen nicht selbst beantworten? Er seufzte leise. Ich wünschte, es gäbe jemanden, den ich fragen könnte. Aber, das wusste er mit Sicherheit, es gab niemanden. In ihrem Versteck starrte Rail auf den jetzt wieder schwarzen Übertragungsmonitor, in dem bis vor wenigen Sekunden noch alles gewesen war, was sie sich außer der Rettung Midgars wünschte. Weißt du, dachte sie erschüttert, anfänglich wollte ich dich nur töten. Aber dann... als Tyrer mir die Informationen unseres Kontaktes in der Eiszapfenregion durchgegeben hat... dass du so gut mit Cutter klar kommst, dachte ich... Ich dachte, vielleicht bist du... einsam. Und bewusst oder unbewusst auf der Suche nach... jemandem... Ich dachte, dein Verhalten sei ein Zeichen für mich. Meine Einladung... ich dachte wirklich, du würdest darauf warten. Ich wollte dir klar machen, dass ich... Meine Liebe, das weiß ich jetzt mit Sicherheit, bedeutet dir nichts. Und was du über die bevorstehende Schlacht gesagt hast... Ich weiß, du meinst es ernst. Aber ich auch! Einer von uns beiden wird diesen Kampf nicht überleben. Ein halblautes Klopfen erklang, dicht gefolgt von einem in gleicher Lautstärke gehaltenen: „Rail?“ , und als auch dieses unbeantwortet blieb, öffnete sich die Tür – auf eine Art und Weise, die bei Bedarf (z.B. zielgenau geworfener Gegenstände) ein rasches Schließen ermöglichte. `Liberation´s Nr. 2 streckte vorsichtig den Kopf in den Raum und betrat diesen ganz, als klar wurde, dass kein Angriff erfolgen würde. Rail saß einfach nur da, hatte die Arme auf den Tisch und den Kopf darauf gelegt und starrte bewegungslos auf den schwarzen Computerbildschirm. Der Anblick, speziell die Tränenspuren auf den Wangen der Rebellenführerin, versetzten Tyrer einen Stich. Trotzdem trat er näher, wohlweißlich laut genug, um gehört zu werden, und legte der Frau vor ihm behutsam die Hand auf die Schulter. Er wusste: Sie konnte die Berührung nicht spüren. Aber vielleicht tröstete seine Nähe ein wenig. Hin und wieder, zwischen der sicheren Gewissheit, nur benutzt zu werden, hatte er das Gefühl. Ob es jetzt einer ihrer Tricks war oder nicht. „Es hat also nicht geklappt“, sagte er leise. Rails Kopf ruckte hoch, suchte seinen Blick. Sie hatte über diesen Teil des Planes nicht mit ihm gesprochen! Er konnte es unmöglich wissen! Woher... „Ich bin doch nicht blöd, Rail“, beantwortete er die unausgesprochene Frage ohne lauter zu werden. „Ich habe Augen, um zu sehen, Ohren, um zu hören – und Instinkte. Außerdem bist du nicht meine erste Freundin. Und ich erkenne Konkurrenten. Der hier ist allerdings entsetzlich hartnäckig, auch, wenn es ihm nicht bewusst ist. Und du... liebst ihn immer noch. Du hast nie damit aufgehört, oder?“ Leichtes Kopfschütteln. Tyrer seufzte leise. Ein Teil von ihm wollte Rail packen und schütteln, sie zur Vernunft bringen und jeden Gedanken an diesen verdammten Sephiroth aus ihrem Kopf verbannen – notfalls mit Gewalt. Der andere Teil von ihm wollte die Frau vor sich einfach nur trösten. Irgendwie. „Ich kann es verstehen, weißt du? Aber... manchmal reicht Liebe nicht aus, um andere zu überzeugen. Und dieser Typ braucht keine. Auch deine nicht. Aber ich würde mich sehr darüber freuen.“ Rail sah zu ihm auf, und zum ersten Mal seit langer, langer Zeit war ihr Blick wieder frei von allen Einflüssen und gewährte einen Blick in ihre Seele, diese starke, sture, reine Seele, in die sich Tyrer verliebt, von der er sich geschworen hatte, sie vor allem Übel zu beschützen. „Wenn du es die ganze Zeit gewusst hast“, sagte Rail leise, „warum bist du dann hier geblieben?“ „Weil ich dich liebe, du Idiotin. Reicht das nicht aus? Muss es unbedingt er sein? Du verschwendest dein Gefühl.“ „Ich dachte...“ „Nein. Rail, dieses Wesen wurde, wie du irgendwann selbst gesagt hast, erzogen, um alleine klar zu kommen. Und das tut er. Er braucht weder dich, noch irgendjemand anderen. Er ist nicht auf die Liebe anderer angewiesen. Und daran wird sich niemals etwas ändern.“ Gleichzeitig reichte er ihr ein Taschentuch. „Du weinst.“ „Ehrlich?“ „Schon seitdem ich diesen Raum betreten habe.“ Rail griff nach dem Taschentuch, wortlos, aber sie drückte seine Hand – hoffend, dass es nicht schmerzhaft war. Tyrer schmunzelte. Wieder einer dieser Momente. Vielleicht konnte er dafür sorgen, dass sie sich vermehrten? Sephiroths klare Absage schuf ideale Voraussetzungen. Aber zuvor... „Ich habe dir was mitgebracht.“ Er zog eine schmale, silberne Schatulle aus der Tasche und legte sie vor Rail ab. Die lächelte zaghaft. „Du bist schon fertig? Wow...“ „Weil ich der Beste bin.“ Rails lächeln verstärkte sich. Gleichzeitig öffnete sie die Schatulle, starrte einen Augenblick hinein und entnahm ihr schließlich den Gegenstand, drehte und wendete ihn, betrachtete ihn von allen Seiten. „Es hat alle von dir geforderten Eigenschaften“, erklärte Tyrer. „Klein, leicht, handlich. Gefertigt aus linestechnisch unauffälligen Materialien, es wird also in der geplanten Umgebung nicht auffallen. Für die Munition gilt dasselbe.“ Rail verzog das Gesicht. „Soll ich dich jetzt loben?“ Ah, dachte Tyrer, schon wieder auf dem Weg der Besserung. „Hin und wieder“, murrte er und ging ganz bewusst auf das Dominanzspiel ein, „wäre das ganz schön! Ich habe mir Tage und Nächte mit diesem Ding um die Ohren geschlagen!“ „Das ist dein Job, mein Lieber! Ich schlafe gar nicht mehr.“ „Vielleicht solltest du das nachholen. Ich würde auch aufpassen.“ „Ich schlafe, wenn der Sieg unser ist.“ „Apropos Sieg, ich bin deinen Plan noch mal durchgegangen. Er ist gut, wie alle deine Pläne. Aber es gibt einen Schwachpunkt.“ Rail hörte auf, ihre neuste Waffe hin und her zu drehen, warf Tyrer einen warnenden Blick zu – wurde jedoch ignoriert. „ShinRa“, fuhr Tyrer fort, „verfügt über genug Möglichkeiten, auch auf diese Art und Weise durchgeführte Angriffe erfolgreich zu neutralisieren.“ „Diesmal nicht.“ „Diesmal nicht?“ „Nein. Denn ich werde... ein entscheidendes Element auf unsere Seite ziehen.“ Ihre Stimme wurde zu einem dunklen Flüstern. „Ihn. Höchstpersönlich.“ Tyrer wusste sofort, wen sie meinte, und er schwieg einen langen Moment, versuchte sich einzureden, dass Rail scherzte, seine Reaktion testen wollte, beschwor sich, ruhig zu bleiben... und explodierte. „Du willst – was?! Das kann nicht dein Ernst sein! Rail, das ist Wahnsinn!“ „Ich weiß.“ Sie lächelte sehr zufrieden. „Und hör auf, zu brüllen! Wir sind zivilisierte Rebellen!“ „Ich brülle, wann es mir passt! Jeden anderen wirst du in deine Nähe lassen, aber nicht ihn! Hast du den Verstand verloren?!“ „Wir brauchen ihn!“ „Niemals! Wie kannst du... Es gibt genug andere Möglichkeiten! Ich werde etwas entwickeln! Gib mir drei, nein, zwei Tage Zeit! Rail, ich werde nicht zulassen, dass du dich in solche Gefahr begibst!“ „Du reagierst über!“ „Ich reagiere für uns beide! Bisher habe ich die Durchführungen deiner Pläne mit aller Kraft unterstützt, aber das hier ist seelischer Selbstmord! Er wird sich bei der ersten Gelegenheit gegen dich wenden! Der Mann ist ein verdammtes Monster!“ „Und nützlich.“ „Er wird dich töten, sobald er die Chance dazu bekommt! Verstehst du das nicht?!“ „Ich werde ihm keine Chance geben!“ „Ich dir auch nicht!“ Einen Sekundenbruchteil später schlossen sich Hände um Schusswaffen, rissen sie aus der Deckung, richteten sie auf den in nächster Nähe befindlichen Gegner. Augen starrten einander an ohne zu blinzeln, förmlich brennend vor heißem, inneren Gefühl. Fest entschlossen, zu beschützen. Fest entschlossen, sich nicht beschützen zu lassen. Zeigefinger hielten den Abzug am entscheidenden, toten Punkt. Jetzt würde jedes blinzeln die Entscheidung bringen. „Weißt du, was dein Problem ist, Tyrer? Du denkst zuviel. Sonst hättest du längst abgedrückt.“ „Ich wollte dir nur eine etwas längere Chance geben, zur Vernunft zu kommen.“ „So? Aber ich habe jetzt keine Zeit mehr, und werde die Chance beenden. Verzeih.“ Rails Waffe besaß einen Schalldämpfer. Alle ihre Waffen besaßen Schalldämpfer. Sie sagte sich, dass es gut zu ihrem Charakter, ihrer Geschichte passte. Vor allem aber waren sie nützlich, sorgten für geminderte Aufmerksamkeit bei ungewollten Mitwissern. Und so war das Geräusch kaum mehr als ein dumpfes `Boff´, ähnlich dem einmaligen kläffen eines uralten, zahnlosen Hundes – aber mit wahrhaft durchschlagender, tödlicher Wirkung. Die Rebellenführerin drehte sich nicht einmal weg, um dem Ergebnis ihrer Tat zu entgehen. Teilnahmslos beobachtete sie, wie der Körper vor ihr zusammenbrach und bewegungslos liegen blieb. Dunkelrotes Blut strömte aus der klaffenden Kopfwunde und breitete sich rasch aus. Erst der Eintritt des Körpers in den Lebensstrom beendete das grausame Schauspiel. Rail trat zwei Schritte zurück und lächelte eisig. Nicht nur ein gewisser ShinRa General kam alleine klar. Auch sie würde es schaffen! Die Pläne standen. Sie waren wahnsinnig – und perfekt. Und nichts auf der Welt würde `Liberation´ aufhalten. Sephiroth behielt die Videokonferenz ausschließlich für sich. Er verzichtete sogar darauf, die durch das Programm ermittelten Zieldaten zu überprüfen, wissend, dass sich Rail in einer höchst sensiblen Planungsphase befand und daher nicht den Fehler machen würde, am Übertragungsort zu bleiben. Stattdessen demonstrierte er völlige Gelassenheit, indem er weder die durch Midgar ziehenden Patrouillen verstärkte, noch diese öfter durchführen ließ oder gar stärker bewaffnete. Cutter hingegen verbrachte jede freie Minute im Simulatorraum um zu trainieren – war sie doch der festen Überzeugung, die Entscheidungsschlacht würde in den Straßen von Midgar stattfinden. Sephiroth zerschlug diese beengende Einsicht kurzerhand, indem er in das Simulationsprogramm eingriff und Midgar lediglich zu einer unter zahlreichen Kampfschauplätzen werden ließ. Zuerst protestierte Cutter - dann nahm sie wahr, wie die unterschiedlichen Herausforderungen ihre Flexibilität trainierten und verwendete ihre Kraft ausschließlich dafür, sich ihnen gewachsen zu zeigen. Früher hatte der General das Mädchen ausschließlich beobachtet, um ihre Fähigkeiten einschätzen zu können. Das tat er immer noch, aber jetzt es schien eine Art... zweiten Blick zu geben. Und für diesen ging von jeder Bewegung Cutters, ja selbst von ihr geltenden Gedanken, ein zaghaftes, aber beständiges Leuchten aus. Sephiroth konnte nichts dagegen tun. Dasselbe galt für das Gefühl von schmelzendem Eis tief in seinem Inneren. Es wurde stärker – galt aber ausschließlich ihr. Um die Veränderung zu verbergen, verhielt er sich ihr gegenüber wesentlich distanzierter als sonst, und Cutter zog entsprechende Schlüsse. Er hat den Zucker gefunden und ist sauer. Hättest du dir das nicht denken können?! Wie kann man nur eine so blöde Idee in die Tat umsetzen, Cutter Tzimmek? Damit hast du alles kaputt gemacht! Nur, weil du dich wieder mal von deinen Gefühlen zu irgendwelchen schwachsinnigen Aktionen hast hinreißen lassen! Du lernst es einfach nicht mehr! Ich wünschte, man könnte die Zeit einfach zurückdrehen und Dinge ungeschehen machen... Ob es zwischen ihm und mir jemals wieder so wie früher wird? Wenn nicht... hab ich´s einfach nicht anders verdient! Alles in allem fühlte sie sich entsetzlich. Zerrissen, angreifbar und angekettet zwischen allen Fronten. Sie gab sich Mühe, normal zu wirken, aber ihre Nerven lagen blank. Und das Gefühl einer sich unaufhaltsam nähernden Katastrophe wurde stärker und stärker. Wer lange genug auf Gaia gelebt oder einfach immer nur aufmerksam zugehört hatte, wusste: Ein guter Plan bestand aus folgenden Zutaten: Wissen in allen nur erdenklichen Varianten, Instinkt, Flexibilität, und einem guten Ersatzplan. (Und einem Ersatzplan für den Ersatzplan.) Der Planet war schon immer die Bühne unzähliger in die Tat umgesetzter Pläne gewesen, und auch, wenn Gaia so gut wie nie eingriff, sie beobachtete und speicherte mit Hilfe der Lines alle Vorgänge genauestens. Der Planet durchschaute die Vorbereitungen. Einigen aktuell getroffenen wurde mehr Aufmerksamkeit als anderen gewidmet. Allein die Zusammensetzung verlangte das. (Abgesehen davon war der Planet... neugierig.) Und so war Gaia einmal mehr nur eine stumme Beobachterin, als sich einige Tage später (und mitten in der Nacht) eine kleine Gruppe aus Personen, die zwar ShinRa Uniformen trugen aber keinesfalls Teil der Electric Power Company waren, diese auf höchst geschicktem Weg betraten und nach kürzester Zeit wieder verließen – jetzt allerdings hatte sich die Anzahl der Personen um eine weitere erhöht. Und sie war nicht freiwillig mitgekommen. Der kleinen Truppe, die eben die Welt unterhalb der Platte betrat, kümmerte sich nicht darum, sondern lieferten den Gefangenen in einem der hauptsächlich leerstehenden Häuser ab und ergänzten anschließend die vor dem Haus postierten Wachen. In dem Gebäude überzeugte sich Rail ein letztes Mal von der Stabilität der Fesseln und Handschellen, dann griff sie nach dem bereitstehenden Eimer mit Eiswasser, zielte, holte Schwung... „Aufwachen, Bastard!“ ... und landete einen Volltreffer. Hojo wusste nicht, wie ihm geschah. Eben war er noch im Labor und mit wichtigen Auswertungen beschäftigt gewesen, dann war ihm auf einmal schwindlig geworden. Er meinte sich dumpf an Schritte und das Gefühl, getragen zu werden, zu erinnern – und jetzt kippte ihm jemand Eiswasser ins Gesicht! Der Versuch, auf die Füße zu kommen, scheiterte. Entrüstet wandte er sich an die ihm gegenüberstehende Frau. „Was soll das?! Wer sind Sie?“ Das Wasser war kalt! Es rann seinen Rücken hinunter, durchnässte seine Kleidung und machte ihn wütend. „Binden Sie mich sofort los, sonst...“ Eine zweite Ladung Eiswasser traf ihn mit derselben brutalen Treffsicherheit, ließ ihn jäh verstummen und nach Luft schnappen. „Hallo, Bastard! Erinnerst du dich an mich?“ Hojo musste einen Mundvoll Wasser ausspucken, bevor er antworten konnte. „Ich habe Sie noch nie gesehen! Binden Sie mich sofort los! Wissen Sie überhaupt, wen sie vor sich haben?!“ „Natürlich. Einen menschenverachtenden, kranken Sadisten, ohne Moral, Hemmschwellen oder Gewissen!“ Ihre Stimme klang völlig ruhig. Überlegen. Und ein wenig arrogant, wie immer. Innerlich jedoch... Du erinnerst dich nicht an mich, Mistkerl, weil ich für dich nur ein Körper unter unzähligen war, mit dem du nach Belieben verfahren konntest, aber glaub mir, meine Erinnerungen an dich machen das alles wieder wett! Erfüllt es einen eigentlich mit Stolz, an kleinen, wehrlosen Kindern herumzuexperimentieren? Fühlst du dich großartig, wenn sie weinen und verzweifelt nach ihren Eltern rufen oder um Gnade flehen? Es sind Kinder, du verdammter Mistkerl, was haben sie dir getan?? Was habe ich dir je getan?! Jedes gedachte Wort war ein lautloser Schrei. Hojo fixiert, wie sie es einst gewesen war, direkt vor ihr, und ihr somit hilflos ausgeliefert... Rail hatte von diesem Moment geträumt. Und, wie sie sich an ihm rächte. Aber jetzt... Diesen Mann zu töten entsprach nicht mehr dem Plan. Sie brauchte ihn! Lebend! Und auf ihrer Seite. Also bleib ruhig, Rail! Du kannst das Geschehene nicht mehr rückgängig machen, selbst, wenn du ihn tötest. Reiß dich zusammen! Du kannst das! Du bist stärker als er! Trotz allem! „Diese Aussagen sind lächerlich, Fräulein! Ich bin nichts von all dem! Was wollen Sie überhaupt? Geld? Informationen? Oder...“ ... ein berechnendes Funkeln erschien in seinen Augen ... „möchten Sie mir etwa die Gelegenheit geben, das an Ihnen begonnene Experiment zu beenden?“ Mistkerl!!, dachte Rail und konnte spüren, wie ihr Körper zu zittern begann. „Erstaunlich, dass du noch am Leben bist“, fuhr Hojo fort. „Alle anderen Versuchsobjekte in dieser Testreihe haben bei der ersten Gelegenheit Selbstmord begangen. Mir scheint, du wärst weitere Forschungen wert. Binde mich los und wir können gleich beginnen.“ Rail antwortete nicht. Sie hatte Hojos Kaltblütigkeit unterschätzt. Und dieses Thema... nicht eingeplant. Sie war unvorbereitet. Und so erwischte es sie eiskalt. So kalt, dass sie nicht in der Lage war, es zu beenden. Finstere Erinnerungen stürmten auf sie ein, lähmten alles Denken, verstärkten den Schockzustand. „Meine Probanten sollten es als Ehre empfinden, von mir behandelt zu werden. Deine Flucht damals war lächerlich, denn wirklich entkommen bist du mir nie, nicht wahr? Ein Teil von dir ist für alle Zeiten in meinem Labor gefangen.“ Er hat Recht, dachte Rail verzweifelt. Innerlich war sie längst wieder zu dem hilflosen Kind von früher geworden. Es spielt keine Rolle, was ich tue oder wie weit ich laufe. Meine Vergangenheit... wird meine Zukunft sein, solange ich lebe. Und ich kann nichts dagegen tun. Außer... „Ich wollte dir Unsterblichkeit verleihen!“, fuhr Hojo in gekränktem Tonfall fort. „In Form von weiterverwendbaren Daten. Und als Dank rennst du weg, nur um Jahre später diese absurde Entführung zu inszenieren! Wirklich, das ist... lächerlich!“ „Ich bin zurückgekommen“, wisperte Rail mit einer Stimme, die ihre eigene und auch nicht ihre eigene war. „Nur ein weiterer Beweis für deine Inkompetenz! Was du wirklich willst – ich hätte es dir schon vor Jahren geben können! Aber ich gebe dir noch eine Chance.“ Gleichzeitig ließ er die Handschellen leise Klirren, ein Geräusch, das mehr sagte als 1000 Worte. Und Rail... nickte. Aus ihren Augen war jeglicher Glanz gewichen. Wie nur konnte ich mich jemals gegen dich auflehnen? Durch deine Hände zu sterben ist mein Schicksal, ich wusste es schon, seit man mich damals ins Labor brachte. Meine Flucht hat alles nur verzögert. Und mein Leid verlängert. Wie in Trance nahm sie den Schlüssel für die Handschellen aus der Tasche und trat hinter den gefesselten Mann. Was habe ich seit meiner Flucht letztendlich erreicht? Nichts. Letztendlich... waren alle meine Kämpfe gegen mich selbst gerichtet. Wie nur konnte ich jemals glauben, gewinnen zu können? Ich hätte niemals aufbegehren dürfen! Der Schlüssel schob sich ins Schloss. „Etwas mehr Tempo, wenn ich bitten darf!“ „Verzeihung, Professor!!“ Wirklich... wie konnte ich jemals glauben, stärker zu sein als du? Nicht einmal Sephiroth ist das... Sephiroth... Wir ähneln uns wirklich sehr. Beide sind wir stark – bis du ins Spiel kommst. Du hast etwas in uns zerschlagen, und wir können es nicht wieder heilen. Jede Begegnung mit dir macht uns dies deutlicher. Wir können... nicht... gewinnen. Nicht gegen dich. Der Schlüssel begann sich zu drehen. Und deshalb... solltest nur du es beenden dürfen. Nur dir gebührt diese Ehre. Der erste eiserne Ring schnappte mit einem lauten Klicken auf. Das Geräusch ließ Rail zusammenzucken – und erweckte irgendetwas tief in ihr aus der Trance. Aber was ist mit unserer Ehre? Der von Sephiroth und mir? Und allen anderen Versuchsobjekten? Unsere Ehre als Menschen, unsere Würde, die niemals jemand hätte antasten dürfen? Wer, außer dir selbst, hat dir das Recht gegeben, so mit uns umzugehen?? Unsere Seelen derart zu missbrauchen und zu vergewaltigen? Und... hatte ich nicht einen Plan? Ja. Den hatte ich. Er war irrsinnig und genial, und... dich jetzt schon zu befreien war... nicht Teil davon! Die Handschellen waren eine Spezialanfertigung. Das Lösen eines einzigen Ringes bedeutete nicht die sofortige Freiheit. Auch Hojo bemerkte dies nach einigem zerren, wandte ärgerlich den Kopf... und begegnete einem Blick, der förmlich zu glühen schien. Gleichzeitig griff eine Hand fest nach seiner bereits befreiten und ließ die eiserne Fessel abermals zuschnappen. „He!“, protestierte Hojo. „Was...“ „Oh, du Mistkerl!!“, wisperte es in sein Ohr. „Fast hättest du mich soweit gehabt! Aber ich bin nicht Sephiroth! Ich bin...“ „Eine dumme, nichtsnutzige Närrin!“ „... Toron Rail, Anführerin der Rebellenbewegung `Liberation´ in Midgar! Und nicht mehr eines deiner kleinen Versuchsobjekte!! Ich kämpfe für die Zukunft!“ „Ich bin deine Zukunft!“ „Nein, Hojo.“ Ihre Stimme war erfüllt von spöttischem Mitleid. „Du bist nur ein nasser, gefesselter Irrer auf einem Stuhl vor mir. Mit anderen Worten: Du bist mir hilflos ausgeliefert. Also... sei brav!“ Sie ging an ihm vorbei, lehnte sich an den Tisch vor ihm, verschränkte die Arme und versuchte, ihr wie wild schlagendes Herz zu beruhigen. Ihr war bewusst, wie nahe die Eskalation der Situation gewesen war und fest entschlossen, die Kontrolle kein zweites Mal zu verlieren. „Du hast mich vorhin gefragt, was ich will. `Zukunft´ ist schon ein gutes Stichwort. Aber hierbei geht es nicht um deine oder meine. Sondern um die unseres speziellen Freundes.“ „Wer soll das sein?!“ „Ich dachte, du bist ein Genie? Komm doch bitte selbst drauf.“ „Jen... Sephiroth?!“ „Sehr gut, ich bin begeistert! Weißt du, - du bist ein Bastard. Aber Sephiroth schlägt dich noch um Längen. Er hat meine Pläne einmal zu oft durchkreuzt, aber ich komme weder direkt an ihn, noch an den Teil, den ich zerstören will, heran. Du hingegen schon. Und deshalb habe ich dich herbringen lassen. Ich weiß, du hast ihn schon auf alles mögliche getestet, aber... jemals auf jemanden, den er mag?“ Hojo kicherte. „Sephiroth besitzt solche Schwächen nicht.“ „Oh, ich denke nicht, dass es ihm wirklich bewusst ist. Aber es gibt eine solche Person. Ihr Name ist...“ „Ihr Name?! Eine Frau?!“ Rail verpasste dem Stuhl einen heftigen Tritt. „Ruhe, solange ich rede!! Ihr Name ist Tzimmek Cutter. Sie ist einer von Sephiroths Blue Wanderern, und irgendwie kommen er und sie gut miteinander klar. Frag mich nicht nach dem Grund oder Beweisen, glaub mir einfach. Ich weiß nicht, wie es dir geht...“ ... sie lächelte ... „aber ich sehe hier die Grundlage für ein absolut einzigartiges Experiment!“ Einen Augenblick lang blieb es ganz still. Dann verengten sich Hojos Augen zu schmalen Schlitzen. „Sprich weiter!“ Rails lächeln wurde intensiver. „Sephiroth ist immer Herr der Lage. Aber was, wenn er die Kontrolle verliert? Wenn er hilflos mit ansehen muss, wie etwas, sagen wir... stirbt, an dem er sehr hängt, ohne es zu wissen? Könnte das nicht neue und äußerst interessante Reaktionen hervorrufen?“ „Das wäre zu erwarten, in der Tat. Aber Shinra verfügt über gewisse Hilfsmittel, die Fremdeinwirkungen... erschweren.“ „Ich bin sicher, Sie können diesen Einfluss austricksen, verehrter Professor Hojo.“ „Ich werde etwas Zeit brauchen.“ Rail schob ein Stück Papier in die Brusttasche des Laborkittels. „Meine Handynummer. `Liberation´ ist bereit, wenn Sie es sind! Meine Leute werden Sie jetzt zurück ins Labor eskortieren. Oh, und bevor ich es vergesse...“ Das Skalpell tauchte urplötzlich in ihrer Hand auf, legte sich blitzartig an die Wange des gefesselten Mannes. Hojo versuchte, auszuweichen, aber die fest an seinen Kopf gedrückte, zweite Hand hinderte ihn daran. Langsam senkte sich die Spitze des Skalpells in seine Wange, versichernd, dass jede unerwünschte Bewegung höchst unerfreuliche Konsequenzen nach sich ziehen würde, ließ Hojo vor Schmerz aufkeuchen und bewegte sich unaufhaltsam weiter durch Haut und Fleisch. „Versuch nicht, mich reinzulegen, Bastard!“ Rails Stimme war nur ein bedrohliches Flüstern. „Ansonsten endest du auf meinem Untersuchungstisch!“ Das Skalpell zog sich aus dem weichen, blutenden Fleisch zurück. Rail hätte mit hasserfüllten Blicken gerechnet, aber stattdessen begann Hojo in der für ihn typischen Art und Weise zu kichern. Er verstummte erst, als einer von Rails Männern ihn wieder in den vorherigen Trancezustand schickte. Es verging weniger als eine Stunde, ehe die Welt aufhörte, sich zu drehen, und Hojo sich im Labor wiederfand, am Boden liegen wie etwas benutztes und weggeworfenes. Mühsam kam er wieder auf die Beine. Für einen Moment war er sich nicht sicher, ob er nicht nur geträumt hatte – dann setzte der Schmerz auf seiner Wange ein. Heiterkeit von ungeahntem Ausmaße stieg in dem Wissenschaftler auf, und nahm noch zu, während er die Wunde mit Materia heilte. Dieses neue Experiment versprach, interessant zu werden, und er verspürte... Vorfreude. Dennoch galt es, die Vorbereitungen mit aller Vorsicht zu treffen. Kein Problem für ein Genie wie ihn. Nichts war für ihn ein Problem. Er begann, entspannt vor sich hin zu summen. Kapitel 34: Klare Worte ----------------------- „Oh man“, seufzte Zack, „heute regnet´s echt nur einmal.“ Er stand am großen Fenster in Sephiroths Büro, und die eben gesprochenen Worte waren (innerhalb von 30 Minuten)Versuch Nr. 15, ein Gespräch anzufangen. Aber sein kommandierender Offizier erwies sich gerade heute als äußerst schweigsam. Die Stille nervte Zack. Mehr noch. Sie war dabei, ihn zum Äußersten zu treiben. „Wenn es wenigstens Schnee wäre, dann könnte ich dich mal ordentlich einseifen!!“ Keine Reaktion. „Hättest du vielleicht ein bisschen Zucker für mich?“ Sephiroth wies ohne aufzusehen in Richtung Schrank. „Toll, danke!“ Zack setzte sich in Bewegung. „Und, äh, wie sieht´ s aus mit Kaffee?“ Keine Reaktion. Beide wussten, es gab im ShinRa HQ mindestens 4 Automaten auf jeder Etage, von den unerlaubt hereingeschmuggelten (und im inaktiven Zustand an den phantasievollsten Orten versteckten) Maschinen ganz zu schweigen... Zack erreichte den Schrank, öffnete die Schublade, entnahm der Packung so laut wie möglich eine Handvoll Zucker, wandte sich um – und wurde gerade noch Zeuge, wie auch Sephiroth etwas weißes in seinen Kaffee fallen ließ. Jeder andere hätte es für normalen Zucker gehalten und nicht darüber nachgedacht. Zack jedoch... erkannte die Form des süßen Brockens augenblicklich. Herzförmig, dachte er. Ein herzförmiges Zuckerstückchen. Seph würde so etwas niemals kaufen... Cutter! Oh, Cuttie... Ich wusste es. Aber Seph ist... Schlagartig wurde ihm bewusst, dass er sich seine Entdeckung auf gar keinen Fall anmerken lassen durfte – und deshalb jetzt besonders gut sein musste! Er kehrte zum Schreibtisch zurück, ließ sich schwungvoll in seinen Sessel fallen... Die körperlichen Fähigkeiten eines 1st Class SOLDIER waren legendär, und jedes einzelne Mitglied dieser Elitetruppe war bestrebt, sie weiter auszubauen, zu verfeinern, kurz: Sie zu perfektionieren und so effizient wie möglich einzusetzen. Zack missbrauchte sie gerade auf eine seinem Rang absolut unpassende Art und Weise. Sephiroth beachtete die ihm gegenüber stattfindenden Geschehnisse nicht. Er ließ die Geräusche unkommentiert. Er konzentrierte sich auf die Arbeit und ignorierte ganz gezielt, dass der SOLDIER ihm gegenüber dabei war, Zuckerstückchen in die Luft zu werfen, mit dem Mund zu fangen, lautstark zu kauen und die Showeinlage mit einer höheren Anzahl `Beute´ zu wiederholen. Aber sein Geduldsfaden begann erste Risse aufzuweisen, als sich Zack, in dem Versuch eines der Zuckerstückchen doch noch zu fangen, rittlings quer über den Schreibtisch warf. „Was denn??“ Zack, immer noch quer über dem Schreibtisch auf dem Rücken liegend, erwiderte den Blick des finster auf ihn herabsehenden Sephiroths mit grenzenloser Unschuld. „Wenn du mir keinen Kaffee gibst, muss ich den Zucker eben so essen. Deine Schuld, wenn ich Karies kriege!“ Er kaute das Dank so viel Elan gefangene Zuckerstückchen, schluckte und verkündete begeistert: „Hey, wetten, ich kann den Zucker mit geschlossenen Augen fangen?“ Sephiroths Geduldsfaden riss. Mittels eines heftigen Stoßes befreite der General seinen Schreibtisch von dieser sprechenden Plage namens `Zackary Fair´ und wandte sich abermals der Arbeit zu. Die Ruhe währte genau 5 Sekunden. „Aerith und ich wollen heute Abend grillen! Komm doch mit!“ „Es ist Ende November, Zackary!“, grollte Sephiroth. „Die Grillsaison ist seit Monaten vorbei!“ „Der Holzkohle ist das egal.“ Und als sein Gegenüber abermals schwieg: „Oh, komm schon! Wenn man das Holzstäbchen nicht mitisst, schmecken diese Gemüsespieße besser als sie aussehen, mein Wort drauf!“ Jetzt sah der General doch auf. Zack, das wusste er, würde für ein gut zubereitetes Stück Fleisch ausnahmslos alles liegen lassen. Allein die Vorstellung, dies zu ändern für... „Gemüsespieße“, wiederholte er mit einem Hauch Irritation. „Ja, du weißt schon!“ Zack sah die Chance zu einem Gespräch und war wild entschlossen, sie zu nutzen. „Paprika und Spinat und so ein Zeug. Aerith ist Vegetarierin, aber wenn du mitkommst und behauptest, du hättest das nicht gewusst, und Fleisch mitbringst, muss ich vielleicht doch kein gegrilltes Sellerie essen... Kommst du?? Bitte, bitte, bitteeeee??“ Sephiroth wollte schon antworten, aber ein halblautes Klopfen an der Tür kam ihm zuvor, und auf das `Herein´ des Generals betrat Cutter den Raum. Zacks Gesicht hellte sich augenblicklich noch mehr auf. Er hatte den Teenager seit Tagen nicht gesehen und war kurz davor gewesen, sie ernsthaft zu vermissen. Entsprechend heftig fiel die Begrüßung aus. Cutter gelang es nur mit Mühe, auf den Beinen zu bleiben und die schmale Mappe in ihren Händen aus dem direkten Gefahrenbereich zu halten. „Lässt du mich jetzt los?“, erkundigte sie sich irgendwann. „Mmmh...“ Zack verstärkte den Druck seiner Arme um den Körper des Teenagers etwas. „... noch 5 Sekunden.“ Sephiroth hielt den Zeitpunkt für gekommen, einzuschreiten. „Zackary!“ Andere hätten, um denselben Effekt zu erreichen, mehrere Sätze oder zumindest einen mit spitzen Nägeln versehenen Baseballschläger benötigt. Und bei jeder Person außer Zack wäre der Erfolg sicher gewesen. So jedoch... „Was? Willst du sie auch kuscheln? Cuttie würde bestimmt stillhalten...“ „Zack!“, quietschte der Teenager entrüstet. Allein die Vorstellung, mit Sephiroth zu kuscheln... Mit Sephiroth! Das Mädchen versuchte verzweifelt, nicht rot zu werden. „Zackary Fair!“ „Spielverderber“, murrte der 1st und ließ den Teenager los. Dieser ordnete hastig die verrutschte Uniform, trat an den Schreibtisch, salutierte spät aber vorschriftsmäßig... „Ich wollte die fehlenden Missionsberichte abliefern, Sir.“ „Das hättest du gestern schon tun sollen!“ Zack, mittlerweile wieder in seinem Sessel sitzend, blinzelte irritiert. Sephiroths Stimme beinhaltete keinerlei Sympathie – ein Zustand, der gerade in Bezug auf Cutter mehr als ungewöhnlich war. Normalerweise glomm tief, sehr tief verborgen in all der kühlen Sachlichkeit ein winziger Funken Wärme (der in letzter Zeit stärker geworden zu sein schien). Diesmal jedoch war nichts davon zu erkennen. Und, was Zacks einsetzende Verwunderung noch steigerte, Cutter schien keinesfalls irritiert zu sein. Vielmehr wirkte sie, als habe sie mit der Rüge gerechnet. „Ja, Sir. Tut mir leid, ich...“ „Und weshalb“, unterbrach Sephiroth eisig, „sind es nur 4 Berichte?! Du hast an 5 Missionen teilgenommen!“ „Ja, Sir, aber von der letzten Mission bin ich gerade erst zurückgekommen, und ich dachte, es wäre sinnvoller, zuerst die 4 schon fertiggestellten Berichte...“ „Cutter, ich werde dieses Verhalten nicht tolerieren! Du wirst an einer entsprechenden Schulung teilnehmen und ich erwarte in Zukunft eine pünktliche Abgabe sämtlicher Berichte!“ „Ja, Sir!“ Sichtlich geknickt verließ der Teenager das Büro. Zacks Augen hatten sich im Verlauf des Gespräches erstaunt geweitet, und obwohl er wusste, wie sinnlos diese Frage war – er musste sie einfach stellen. „Äh, du hast schon mitbekommen, dass du gerade mit unserer Cuttie geredet hast, oder?“ „Es ist nicht `unsere Cuttie´! Die Abgabe dieser Berichte ist von höchster...“ „Ach verdammt, Seph, sie deshalb so zur Schnecke zu machen war nicht fair! Sie arbeitet härter als jeder andere Blue Wanderer, und das weißt du! Sie hat...“ „Keinerlei Sonderstatus!“ „Natürlich hat sie den!“, fauchte Zack. „Schon allein wegen ihrer Fähigkeiten! An deren Entwicklung du nicht ganz unbeteiligt bist, und ich auch nicht! Warum musst du immer so tun, als wärst du eine Maschine?!“ „Irgendjemand muss das System am Laufen halten!“ „Und das bist immer du, wie?!“ Jetzt war der 1st wirklich wütend. „Wenn ich diese blöden Berichte auf der Stelle zerreiße, denkst du, das System gerät außer Kontrolle?? Glaubst du wirklich, die Vorgänge hier kommen auch nur eine Sekunde ins Stocken?! Ich will dir mal was sagen, Cutter geht’s seelisch echt dreckig im Moment! Sie ist unsicher, sie hat Angst - und trotzdem arbeitet sie nahezu ohne Pause weiter! Für dich! Und du machst sie auch noch nieder!“ „Sie werden dieses Büro auf der Stelle verlassen, Fair! Des weiteren...“ „Ja, ja, Benimmkurse, schon klar, gib den blöden Wisch her. Oder weißt du was? Behalt ihn, ich weiß auch so, wo dieses Theater stattfindet! Wirklich Seph, manchmal führst du dich auf wie ein Vollidiot!“ Wutschnaubend verließ er das Büro, nicht, ohne die Tür hinter sich zuzuknallen - ein Effekt, der allerdings Dank der Spezialtüren nahezu lautlos verpuffte. Sephiroth starrte auf den jetzt leeren Platz ihm gegenüber... und dann ließ er den Stift fallen und barg in einer fast hilflosen Geste das Gesicht in beiden Händen. „Ich weiß“, wisperte er. „Aber ich weiß nicht, was ich tun soll...“ Das Cutter umgebende Leuchten war nicht intensiver geworden, fühlte sich aber dennoch so an. Es versetzte ihn in einen höchst unangenehmen Gefühlszustand, der sich mit Worten nicht beschreiben ließ, abgesehen davon, dass es ihn schlicht und ergreifend überforderte. Aber um sich genau das nicht anmerken zu lassen... war eine derart harte Reaktion unbedingt nötig gewesen. Dabei wollte ich gar nicht... Ich weiß, wie hart es im Moment für sie ist! Und wie großartig sie kämpft! Ich möchte... das belohnen, irgendwie, aber ich weiß nicht, auf welche Art und Weise... Das jedenfalls war sie definitiv nicht. Seine Gedanken glitten zu der Schublade an seinem Schreibtisch, in der weiße Herzen aus Zucker lagerten... schliefen... warteten. „Ich weiß nicht, wie.“ Seine Stimme war nur ein hilfloses Flüstern. Zack lief mit festen, schweren Schritten durch die Flure des ShinRa HQ, und zum ersten Mal seit Monaten war seine Miene fast düster. Sich mit Sephiroth auf diese Art und Weise zu streiten machte keinen Spaß. Es war... einfach nur erschreckend zu sehen, was aus jemandem werden konnte, der ohne auch nur den Hauch von Freundlichkeit oder Zuneigung zu erfahren, aufgewachsen war. Ich wette, dachte der 1st wütend, diesen Punkt hat Hojo als `erledigt´ abgehakt. Seph... vielleicht habe ich überreagiert, aber Berichte sind nun mal nicht alles! Manchmal sagt ein einziger Blick mehr als ein ganzes Buch, und ich bin sicher, du weißt das... Meine Worte... sie tun mir leid, weil sie deinen Charakter kritisiert haben, aber andererseits auch nicht, weil wir beide wissen, was gemeint ist... Er schüttelte den Kopf. Darüber nachzudenken war momentan völlig sinnlos. Viel wichtiger war es ihm jetzt, Cutter aufzuspüren und zu trösten. Er fand sie in einem stillen Winkel der Bibliothek und nahm wortlos neben ihr Platz. „Ich bin OK.“ Ihre Stimme klang fast normal. „Er hat ja Recht. Die Berichte sind wichtig, und ich habe mir zuviel Zeit gelassen.“ Sie hörte nicht einmal auf, zu schreiben. „Ich werde den fünften Bericht fertigstellen, abliefern und...“ Sie verstummte, als Zack sie in den Arm nahm. „Du liebst ihn“, erkundigte sich der 1st leise. „Oder?“ Eine Sekunde lang entsetzte Erstarrtheit. Dann aber heftiges Nicken. Zack seufzte leise. „Schwierig, Cutter-chan. Sehr, sehr schwierig.“ In seinen Armen begann der Teenager, halt- aber fast lautlos zu schluchzen. „Ich habe wirklich versucht, einfach nur meinen Job gut zu machen, wie du gesagt hast... aber es hat nicht funktioniert... und dann habe ich ihm... herzförmige Zuckerwürfel geschenkt...“ „Ja“, schmunzelte Zack, „die habe ich gesehen.“ „Und jetzt...“ Cutters Hände krallten sich in weichen Stoff, „... ist er sauer auf mich, und redet nicht mehr mit mir, oder wenn, dann nur noch so wie vorhin! Ich habe es total versaut, Zack, ich bin so ein Idiot... Ich hätte doch wissen müssen, dass er... Wie konnte ich das nur machen??“ Der 1st schwieg einen Moment, sammelte Kraft und versuchte, diese in sensible Worte umzuwandeln. „Weißt du, Cuttie, ich denke nicht, dass er sauer ist. Er kann... nur nichts damit anfangen. Die Idee an sich war grandios, und ich versichere dir, wenn mir ein Mädchen herzförmige Zuckerwürfel schenken würde, hätte sie zumindest ein Gratisabendessen sicher. Aber... wir reden hier von Seph. Du weißt, er ist nicht wie andere. Und er reagiert nicht wie andere. Sein Herz ist... wie eine Festung, an der ständig gearbeitet wird, um sie noch uneinnehmbarer zu machen. Aber du und ich... wir haben eine Art geheimen Eingang, von dem er selbst nichts wusste, gefunden. Wir sind in gewisser Weise... drin... aber weder jagt er uns hinaus, noch lässt er uns auch nur einen Schritt weiterkommen. Ich denke, er weiß, dass wir seine Freunde sind. Und ich denke außerdem, dass er... Angst hat, dies zu zeigen. Vergiss nicht, dass er in dem Glauben aufgewachsen ist, Gefühle seien nichts anderes als Varianten von Schwäche. Er... kann... einfach nicht anders. Es ist nicht seine Schuld.“ „Ich weiß“, wisperte Cutter. „Aber ich dachte...“ „Verliebt sein ist... ein schrecklicher Zustand. Wenn deine Gefühle nicht erwidert werden, erst Recht. Aber Cuttie, vergiss nicht, dass du gerade mal 16 Jahre alt bist. Seph ist... viel älter als du.“ „Ich will kein Teenager mehr sein“, schluchzte das Mädchen. „Für die Kleinen bin ich zu groß, und für die Großen zu klein... Ich will endlich Erwachsen sein, jetzt, sofort, und nicht erst in ein paar Jahren!“ „Das kann ich so gut verstehen... Aber... hast du mal daran gedacht, dass du so, wie du jetzt bist, genau richtig für... jemand anderen sein könntest? Ich weiß, die erste Liebe ist... immer anders. Du wirst dich für den Rest deines Lebens daran erinnern. Aber es gibt bestimmt irgendwo jemanden, der nicht so kompliziert wie Seph ist, und nur darauf wartet, von dir gefunden zu werden.“ „Ich will aber nur Sepiroth-sama...“ „Oh Cuttie...“ Zacks Stimme klang immer noch leise und tröstend. Gleichzeitig wiegte er das Mädchen sanft hin und her. „Gib ihn auf. Ganz ernsthaft, der braucht keine Freundin, sondern einen Psychiater. Einen verdammt guten Psychiater. Oder jemanden, der seine verdammte Herzensfestung in die Luft jagt, den Kern freilegt und seine Seele von all dem Mist reinigt, der sich im Laufe der Jahre dort angesammelt hat. Du und ich, wir können es immer und immer wieder versuchen. Aber ganz ehrlich... Ich denke, keiner von uns trägt genug Licht in sich, um diese Finsternis zu besiegen. Seph muss sein eigenes Licht finden. Und das kann er nur alleine. Wie so vieles.“ Cutter schniefte leise. `Gib ihn auf...´ Diese Worte hallten einem sanften Funkenflug gleich durch ihr Bewusstsein, und sie spürte Auflehnung und Akzeptanz zu gleichen Teilen in sich aufsteigen – und den Wunsch, intensiv darüber nachzudenken oder sich abzulenken, um nicht mehr darüber nachdenken zu müssen. Zack schien das zu erraten. „Du hast heute keine Missionen mehr, oder? Mach deinen Bericht fertig und heute Abend hole ich dich ab und wir gehen zu Aerith, grillen!“ Cutter fuhr sich über die verheulten Augen. „Im November?“ Dann huschte ein flüchtiges Lächeln über ihr Gesicht. „Lass mich raten. Der Grillkohle ist die Jahreszeit egal?“ Zack lachte vergnügt. „Du hast etwas Zeit mit mir verbracht, oder? Lass den Kopf nicht hängen, Cuttie-cut. Alles wird gut!“ Cutter nickte, murmelte `Danke schön´, erhob sich und war nach wenigen Schritten verschwunden. Zack blieb noch einen Moment sitzen und reflektierte das eben Gesagte. Ob es zuviel gewesen war? Der 1st hasste es, die Träume anderer zu zerstören, aber seine Worte entsprachen der Wahrheit. Und irgendwann... hatte Cutter es einfach begreifen müssen. Zack war nur froh, dass er diese Klarheit hatte schaffen können. Stunden später stellte sich heraus, dass der Grillkohle die Jahreszeit wirklich egal war – es hätte aber auch an dem halben Liter Spiritus, in dem Zack sie vor dem anzünden badete, gelegen haben können. Cutter und Aerith kamen, obwohl sie sich bisher nur einmal kurz gesehen hatten, wunderbar miteinander aus. Der Abend wurde, obwohl es kein Fleisch gab, schön, und entsprechend spät wurde es, ehe die beiden ShinRa Mitglieder den Heimweg antraten. Obwohl Zack der Ansicht war, dass sich Cutter gut amüsiert hatte, so kannte er sie doch mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass das Thema `Sephiroth´ immer noch nicht abgehakt war. Sie in diesem Zustand alleine zu lassen, war ihm unmöglich. Und so schlug er kurzerhand vor, sich auf die Suche nach einem etwas gleichaltrigeren Freund für Cutter zu machen. Sein an den Tag gelegter Eifer und auch die damit verbundene Besorgnis brachten den Teenager unwillkürlich zum Lächeln. „Vielleicht... wäre das wirklich keine schlechte Idee“, murmelte sie. „Versuch es.“ „Ok! Mach dir keine Sorgen, Cuttie, ich werde die Kandidaten auf alles mögliche checken! Du kriegst eine handverlesene Auswahl, komplett mit Prüfsiegel und Empfehlung! Schlaf gut.“ „Du auch.“ Sie betrat ihr Quartier, schloss die Tür hinter sich... Zack hatte Recht. Und alles, was zwischen ihr und Sephiroth gewesen war, hatte nichts zu sagen. Vor einigen Monaten, dachte Cutter, wollte ich für Sephiroth-sama und Zack und alle, die meine Fähigkeiten brauchen, hell brennen. Furchtlos sein wie der Sturmwind und gewissenhaft wie das Leuchten der Sterne. Und überleben. Von Feuer und Sturmwind ist nichts zu spüren. Ich schaffe es mit Mühe und Not, zu überleben. Wie nur konnte ich annehmen, ich könnte für ihn auch menschlich etwas Besonderes werden? Ich bin... ihm nicht gewachsen. Nicht in meiner jetzigen Form. Ich wünschte, es wäre... anders. Müde zog sie sich um, kroch ins Bett und faltete die Hände. „Lieber Planet... bitte mach, dass...“ Es gab keine passenden Worte. Und so ließ Cutter ihr Herz sprechen, lautlos, bis sie irgendwann der Schlaf übermannte. Sie konnte es nicht wissen. Aber Gaia hatte ihr aufmerksam zugehört. Und eine bedeutende Entscheidung getroffen. Weit, weit über diesem Quartier, in einem der wesentlich luxeriöser ausgestatteten Appartements, lag Sephiroth im Bett und konnte nicht einschlafen. Immer wieder wanderten seine Gedanken zurück zu dem Streit mit Zack. Und Cutter. Vor einigen Monaten, überlegte er, hätte ich an meinem Verhalten ihr gegenüber keinerlei Fehler feststellen können. Ich hätte vermutlich nicht einmal darüber nachgedacht. Jetzt raubt es mir den Schlaf. Ich weiß, ich habe ihr Unrecht getan. Sie verletzt. Aber ich... konnte einfach nicht anders. Solange mein Herz in diesem Eispanzer geschlafen hat, war allein mein Verstand ausschlaggebend für alle Entscheidungen. Aber Cutter... schmilzt dieses Eis. Und jetzt fühle ich mich, als zöge man mich in zwei unterschiedliche Richtungen... Und ich weiß nicht, welche die richtige ist. Aber so... geht es nicht weiter. Er drehte sich unruhig auf die andere Seite, versuchte, das Chaos in sich zu analysieren und zu ordnen, um einen Plan entwickeln zu können. Aber alle seine Gedanken drehten sich im Kreis. Ich muss mit ihr reden. Nur wie? Wie kann ich ihr zum Beispiel dieses `Leuchten´ beschreiben? Oder, dass ich sie, egal was Toron plant, auf keinen Fall bei der entscheidenden Mission dabeihaben will? In Sephiroths Kopf existierten bereits entsprechende Gegenpläne für mögliche Feindbewegungen – und keiner dieser Pläne beinhaltete Cutter. Der General hatte keinerlei Skrupel, die Leben anderer zu opfern, wenn die Situation dies erforderte. Aber allein der Gedanke, dass Cutter verletzt werden könnte... Auch, wenn sie mittlerweile großartig auf sich selbst aufpassen kann... ich möchte sie dennoch zusätzlich... beschützen. So etwas habe ich noch niemals vorher getan. `Verteidigt´, ja. Mit aller mir zu Verfügung stehenden Kraft. Aber `beschützen´... Die beiden Begriffe klingen so ähnlich und fühlen sich gleichzeitig so unterschiedlich an... Noch etwas, das ich ihr nicht erklären könnte. Zack wüsste, was getan werden und wie man dieses Gespräch führen muss. Vielleicht sollte ich ihn um eine diesbezügliche Lehrstunde bitten. Das habe ich nicht gerade wirklich gedacht. Doch. Er schüttelte den Kopf. Wie er es auch drehte und wendete – alles lief darauf hinaus, dass ausschließlich ein Gespräch mit Cutter die ersehnte Ruhe bringen würde. Selbst, wenn diese nur von kurzer Dauer wäre - er würde mit dem Mädchen reden müssen. Irgendwie. Alleine. Und bald. Während Sephiroth noch versuchte, dieses für ihn völlig untypische und doch so wichtige Gespräch zu planen, fand ein anderes gerade statt. Rufus Shinra hielt sich für einen Mann, der jederzeit auf ausnahmslos alles gefasst war, und so war seine Überraschung bezüglich Hojos unangekündigten Besuches entsprechend gering ausgefallen. Hojo war, wie er selbst, ein Arbeitstier, nur dann zufrieden, wenn es Erfolge vorzuweisen galt, und bezüglich Vorgehensweise oder Präsentationszeiten nicht wählerisch. Ganz Herr der Lage hatte Rufus dem Gast einen Platz angeboten, die Zubereitung des grauenhaften Tees verfolgt und währenddessen aufmerksam zugehört. Es gab viele Charaktereigenschaften an Professor Hojo, die Rufus Shinra – höflich ausgedrückt – maßlos ärgerten. Seine Überheblichkeit. Seine Arroganz. Die üble Angewohnheit, für ein bestimmtes Projekt bestimmte Gelder für ein anderes zu verwenden, Budget prinzipiell drastisch zu überziehen und sich dann noch zu beschweren. Die gelieferten Ergebnisse waren immer perfekt. Aber die Vorgänge im Labor ließen sich durch derartige Aktionen nahezu unmöglich kontrollieren. Rufus Ansicht nach wusste Hojo ganz genau, was er tat. Und, dass der Präsident der Electric Power Company ihm keine Hindernisse in den Weg räumen würde, sollte er weiterhin Interesse an erfolgreicher Forschung und schnellen Ergebnissen haben. Im Grunde war es Erpressung. Und ich, dachte Rufus, kann nichts dagegen tun. Denkst du! „Sie möchten also die gängige Heilmateria gegen eine Neuentwicklung austauschen. Der Schwerpunkt Ihrer derzeitigen Forschung liegt nicht bei Materia.“ „Wie Sie wissen, sind meine Schwerpunkte äußerst flexibel.“ „Ebenso wie meine“, lächelte Rufus. „Wenn ich einen Sinn darin erkenne.“ Es ging ihm ebenso wenig darum, seine Mitarbeiter zu schützen, wie es Hojo am Herzen lag, sich um deren Gesundheit zu sorgen. Es war ein reiner Machtkampf. Präsident und Wissenschaftler fixierten sich einen Augenblick lang schweigend über die Distanz des Schreibtisches. „Was ist das tatsächliche Ziel dieses kleinen Spielchens, Professor Hojo?“ Der Angesprochene verzog missbilligend das Gesicht. „Jenova Projekt 1 scheint... auf einer nicht förderlichen Ebene Interesse an anderen Personen zu entwickeln. Ich möchte einiges überprüfen, bevor ich diese unangebrachte Entwicklung beende.“ „Und... hätten Sie die Güte, den Begriff `Interesse´ für mich ein klein wenig näher zu definieren?“ „Das kann ich erst mit erfolgreichem Abschluss des Experimentes.“ Rufus Shinra lehnte sich in seinem bequemen Sessel zurück. Die erhaltenen Aussagen waren, da sie mehr Fragen aufwarfen als beantworteten, nicht annähernd zufriedenstellend. Im Großen und Ganzen eine vertraute Situation, wenn man bedachte, wer der Gesprächspartner war. Was den Präsidenten der Electric Power Company alarmierte, war die Aussage des Professors bezüglich Jenova Projekt Nr. 1´s neuster Entwicklung. Seitdem dieses das Labor verlassen hatte, waren alle seine anderen Menschen gewidmeten Handlungen, wie anerzogen, kühl und distanziert gewesen. (Sogar bei dieser Nervensäge Zackary Fair!) Eine Änderung dieses Zustandes war... höchst unerwünscht, bedeutete der ernsthafte Kontakt mit anderen Menschen doch auch immer eine Erweiterung des eigenen Horizontes, und der von Jenova Projekt 1 war weit genug. Woher stammte dieses plötzliche Interesse?! „Weshalb gerade jetzt?“ Hojo winkte ab und schlürfte einen Schluck Tee. „Unwichtig, Mr. President.“ „Ah...“ Rufus lächelte. „Sie kennen den Grund also auch nicht.“ Hojo verzog in gespieltem Ärger das Gesicht. „Er ist völlig nebensächlich. Nur die Wiederherstellung des Ursprungszustandes ist wicht...“ „Denken Sie, dass Jenova Projekt 1 eine Seele besitzt, Professor Hojo?“ Der Mann in dem trügerisch weißen Laborkittel setzte die Teetasse ab und schob die ewig rutschende Brille zurück auf ihren Platz, ehe er sich dazu herabließ, die Frage mit einer gehörigen Portion Eigenlob in der Stimme zu beantworten. „Ich bin Wissenschaftler, verehrter Shinra, kein alberner Priester. Und als solcher möchte ich an die zur Erschaffung dieses wandelnden Experimentes getroffenen, notwendigen Maßnahmen erinnern. Ein solches... Ding... kann unmöglich eine Seele in sich tragen.“ Er lächelte tückisch. „Jeder Priester würde Ihnen dasselbe sagen.“ So wenig Rufus die Argumentation seines Gegenübers schätzte... es ging um etwas, das niemand besser einschätzen konnte als Hojo. Momentan hielt er sich für einen äußerst geschickten Lügner, aber Rufus Shinra war sich völlig sicher, dass der Professor den wahren Grund für das aufkeimende Interesse des gefährlichsten Projektes auf ganz Gaia kannte. Letztendlich jedoch wurde alles, was hilfreich war, um die einzigartige Psyche von Jenova Projekt 1 durchschaubar zu machen... „Genehmigt. Professor, ich erwarte einen detaillierten Bericht.“ „Natürlich, Mr. President.“ „Auch über den wahren Grund dieser Entwicklung, Hojo!“ Sich dumm zu stellen, konnte durchaus hilfreich sein – jetzt allerdings nicht. Die `Versuch nicht, mich reinzulegen!´ Betonung unterstrich die Ernsthaftigkeit der Forderung und versicherte gleichzeitig, bei Bedarf entsprechende Schritte einzuleiten. Hojo lächelte. Nicht, wie es angebracht gewesen wäre, ertappt. Vielmehr wohnte dem lächeln ein `Du hast meinen Bluff durchschaut. Brav. Ich werde nächstes Mal gerissener vorgehen.´ inne. „Selbstverständlich, Mr. President.“ Er verließ den Raum und wählte, kaum im Labor angekommen, eine bestimmte Nummer. „Materia“, sagte er, sobald jemand am anderen Ende abhob, „wird ständig verbessert, aber bei Neuentwicklungen kann es im Einsatz zu... Störungen kommen. Speziell bei Heilmateria. 48 Stunden, bis genügend Materia vorliegt, um alle relevanten Personen damit auszustatten.“ „Ich hatte sie schneller in Erinnerung, Professor Hojo!“ Rails Stimme klang durch und durch spöttisch, und das fast entrüstete Schnauben am anderen Ende der Leitung zauberte ein zufriedenes Lächeln auf ihr Gesicht, das nicht einmal der erneute Klang von Hojos Stimme vertreiben konnte. „Ich bestehe darauf, dabei zu sein, wenn unser Experiment in die entscheidende Phase tritt!“ „Auf Ihre Wünsche können wir keine Rücksicht nehmen. Aber ich bin sicher, ein Genie wie Sie wird Mittel und Wege finden, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.“ „Apropos Genie... erwähnte ich, dass es eine Möglichkeit gibt, deinen jetzigen Zustand wieder in die bedauernswerte Ursprungsversion zurückzuversetzen?“ Rail erstarrte mit weit aufgerissenen Augen. Ursprungsversion? Wieder fühlen zu können? Wärme, Kälte, Kleidung, Schmerz, Streicheln, Härte, Nachgiebigkeit, Trockenheit, Nässe... Diese tote Hülle, in der ihre Seele steckte, erneut lebendig werden zu lassen? Neu anzufangen, irgendwo... und normal? Sie wollte etwas sarkastisches erwidern, um ihm ihr vorgetäuschtes Desinteresse zu bekunden. Aber kein Laut kam über ihre Lippen. „Natürlich“, fuhr Hojo, der das Schweigen am anderen Ende der Leitung genau richtig deutete, fort, „existiert diese Methode nur theoretisch. Weitere Forschungen sind unabdingbar. Aber diese dürften kaum ein Problem für dich sein. Immerhin existiert `Schmerz´ in deiner begnadeten Welt nicht mehr. Bist du ganz sicher, dass du etwas so störendes zurückhaben willst?“ Bastard!, dachte Rail. Oh, du verdammter Bastard! Ich schwöre, sobald das hier zu Ende ist, statte ich dir einen neuen Besuch ab, und dann... „Komm zu mir, wenn dein kleiner Zirkus beendet ist!“ In Hojos Betonung klang ein weiterer Satz mit. `Und vergiss nicht, dass du dich dann auf meinem Terrain befindest!´ Erinnerung? Warnung? Drohung? Rail besaß nicht die Kraft, zu antworten. Sie legte auf und ließ sich rittlings an der Wand hinunterrutschen, verhielt einen Augenblick lang bewegungslos. Wieder fühlen zu können... Richtig fühlen, wie früher... alles... Es gab nur wenige Sachen auf der ganzen Welt, nach denen sie sich mehr sehnte. Ich dachte, es wäre für immer... und jetzt sagst du mir, es gibt einen Weg, es rückgängig zu machen... Ich darf dir nicht glauben! Ich darf nicht... Aber niemand außer dir wäre dazu in der Lage, das weiß ich... Hast du mich nicht körperlich schon genug gequält? Musst du jetzt auch noch meine Seele foltern? Mit einer Hoffnung, auf die ich nicht gefasst war... Ich darf dir nicht glauben! Aber ein Teil von ihr war bereits auf dem Weg ins Labor. Und Rail wusste mit tiefer, innerer Gewissheit, dass der Rest ihrer übriggebliebenen Existenz folgen würde. Trotz allem. Sie versuchte, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Wie hatte Hojo gesagt? ` Ich bestehe darauf, dabei zu sein, wenn unser Experiment in die entscheidende Phase tritt!´ Unser Experiment, dachte sie mit fast erzwungener Verbitterung. Unser Experiment! Es ist mein Befreiungsschlag! Du bist bestenfalls ein Nebendarsteller! Ihr Blick fiel auf den Stuhl ihr gegenüber. Eigentlich hätte Tyrer dort sitzen sollen. Aber der Platz war leer. Und er würde es bleiben, egal, was die Zukunft bringen mochte. Rail versuchte, die aufsteigenden Erinnerungen und das damit verbundene Schuldgefühl zu verdrängen – und scheiterte. Ich hätte dich nicht töten dürfen, nur, weil du dich mir in den Weg gestellt hast. Ich vermisse dich... Aber es gibt jemanden, den ich noch mehr liebe als dich. Dieser Anschlag gilt allein ihm. Vielleicht werden du und ich uns... schon bald wiedersehen, und vielleicht kannst du mir vergeben. Deine letzte Waffenentwicklung jedenfalls wird dein größter Erfolg, das verspreche ich dir! Ohne zu wissen, ob es nötig war, fuhr sie sich energisch über die Augen. Dann atmete sie einige Mal tief ein und aus, um ihre Gedanken zu beruhigen, und erhob sich – jetzt wieder ganz berechnende, stolze Rebellenführerin. Es verging keine Minute, ehe sie das verabredete Signal an alle `Liberation´ Mitglieder sandte. Das Signal, dem der große Angriff folgen würde. Und überall in ganz Midgar setzten sich Männer und Frauen in Bewegung, um ihre Kraft einer möglicherweise besseren Zukunft beizusteuern. Sephiroths Instinkt brauchte nur fünf Worte des Rundschreibens, um Alarm zu schlagen. Der Rebellenaufstand steht kurz bevor. Weshalb wird gerade jetzt neue Materia ausgeteilt?! Die Erfahrung der letzten Jahre zeigte, dass neue Materia noch niemals voll einsatzfähig war. Es kam zu unerwünschten Pannen und, in den weniger harmlosen Varianten, Todesfällen. SOLDIER zu verlieren war nichts erfreuliches, und wenn es aufgrund unausgereifter Technik geschah, zudem noch absolut unnötig. Der General verfasste eine Mitteilung an Präsident ShinRa, in der er auf diesen (allgemein bekannten) Zustand hinwies, einen späteren Zeitpunkt für den Materiawechsel vorschlug – und erhielt die Ablehnung mit einer Schnelligkeit, die überdeutlich versicherte, seine Kritik bereits erwartet zu haben. Sephiroth knirschte unwillkürlich mit den Zähnen. Na schön, Shinra! Im Anhang des Rundschreibens forderte man ihn auf, die drei in seinem Besitz befindlichen Heilmateria unverzüglich abzugeben. General Crescent tat genau das. Wenige Stunden später schon konnte er die neue Materia in Empfang nehmen. Rein farblich war sie unverändert, aber so leicht ließ sich Sephiroths Instinkt nicht täuschen, misstraute den bunten Kugeln von Anfang an und versicherte, dass der Zeitpunkt einer Bestätigung nicht mehr weit weg war. Er war sogar näher, als es alle Beteiligten jemals für möglich gehalten hätten. Und vielleicht hätte sich sogar der Dreh- und Wendepunkt des anlaufenden Planes, vorläufig wichtigste Person und baldiges Opfer seines eigenen Regimes, in den Schutzraum begeben, hätte er gewusst, was auf ihn zukam. Vorläufig jedoch wurde es lediglich einmal mehr dunkel in Midgar – für einige zu schnell, anderen nicht schnell genug. In dieser Nacht huschten mehr Schatten durch die Straßen als gewohnt. Sie sammelten sich an bestimmten Punkten und zerstreuten sich bereits nach wenigen Sekunden wieder, verbreiteten kontrollierte Unruhe, arbeiteten sich mit gezielter Entschlossenheit auf das ShinRa HQ zu, bezogen unbemerkt von den Wachen Stellung und warteten auf das Angriffssignal. Rail wusste, dass sie den Überraschungsmoment auf ihrer Seite haben würde – wenn auch nur für ein paar Sekunden. Die jedoch mussten reichen. Sie mussten! Ein letztes Mal überprüften sie und vier ihrer treusten und ausdauerndsten Kämpfer ihre Ausrüstung. Die kugelsicheren Ganzkörperanzüge unter der so verhassten und dennoch unbeschreiblich nützlichen ShinRa Uniform schränkten die Bewegungsfreiheit nur minimalst ein und würden sich bezahlt machen. Die Bewaffnung war perfekt auf den bevorstehenden Einsatz angepasst. Alphaplan, Ersatzplan und weitere Vorgehensweisen waren ein letztes Mal durchgesprochen worden. Ein letzter Blick in die Gesichter ihrer vier Begleiter – dann setzte sich die kleine, aber entscheidende Gruppe in Bewegung und bezog ebenfalls Stellung, wurden Teil des Gefühlsorkans aus Wut, Verzweiflung und Hoffnung, der in geballter, vor Anspannung zitternder Form vor den Pforten des scheinbar übermächtigen Feindes wartete, das Angriffssignal ersehnend und zu gleichen Teilen bereit zu leben, wie auch zu sterben. Rail konnte die zu ihr sprechenden Herzen förmlich hören, und für einen Augenblick nahm sie die herrschende Atmosphäre völlig gefangen. Vielleicht war es nur eine einzige Sekunde. Aber diese Sekunde ließ sie ihren innerlichen Schmerz vergessen und wieder fühlen, wirklich fühlen, so, wie es früher gewesen war und sich niemals hätte ändern sollen. Und dann... gab sie das Signal. Einen halben Herzschlag später flackerten Hunderte von Mündungsfeuern auf. Sie waren überall. In den Straßen, hinter Litfasssäulen, in Häusern, auf Dächern, und jede Kugel glich einer Bestrafung für erlittenes Unrecht. Die ersten Wachposten starben, ohne sich dessen wirklich bewusst zu werden. Die anderen gingen in Deckung und versuchten, das Feuer zu erwidern, ein Vorhaben, das hinsichtlich der herrschenden Übermacht wirkte, als versuche man einen Dammbruch mit einem Eimer aufzuhalten. Rails Gruppe hielt sich abwartend im Verborgenen. Die Rebellenführerin hatte die Berichte aller in der Vergangenheit auf das HQ stattgefundenen Angriffe genauestens studiert und ihre Leute informiert. Alle wussten, dass im Falle einer derartigen Attacke von den Wachsposten verlangt wurde, diese aus eigenen Kräften zurückzuschlagen und nur im äußersten Notfall Verstärkung anzufordern. Die von Rebellenseite aus schlagartig durch die Luft rasenden Raketen schienen die Aufschrift `äußerster Notfall´ zu tragen. Die ersten Einschläge fanden wie geplant statt – dann, endlich, begab sich das Gebäude in Verteidigungsstellung. Rail glaubte zu spüren, wie sich ihre Muskeln anspannten. Einer der wichtigsten Geschehnisse des Plans... stand unmittelbar bevor. Auch ohne die 2nd Lines hätte sie gewusst, dass die Verstärkung in den Fluren des HQ zusammenkam und sich dem Ausgang näherte, hauptsächlich 3rd Class SOLDIER – und Armymitgliedern in denselben Uniformen, wie Rail und ihre Gruppe sie trugen. Die Türen des HQ´s öffneten sich nicht. Sie wurden förmlich zur Seite gefegt. Bewaffnete ShinRa Mitglieder stürmten heraus, suchten sich Deckung (oder auch nicht) und erwiderten das Feuer. Es dauerte nur wenige Sekunden, ehe es zu den ersten direkten Zusammenstößen zwischen den Rebellen und ShinRa kam, und wenn Verletzungen bisher nur eine vage Vorstellung gewesen waren, so wurde sie jetzt für machen zur bitteren (und tödlichen) Realität. Körper vergingen und kehrten zurück in den Lebensstrom, der sie aufnahm, ohne Fragen zu stellen oder zu verurteilen. Waren die Rebellen vorher in der besseren Position gewesen, so änderte sich das jetzt durch die wesentlich erfahreneren SOLDIER. Für wenige Augenblicke entstand eine Art wackeliger Gleichstand – genau der Zustand, den Rail und ihre Gruppe hatten herbeiführen wollen. Erst jetzt verließen sie ihre Deckung und griffen mit der von ShinRa Mitgliedern erwarteten Entschlossenheit in den tobenden Kampf ein, begannen, das Feuer auf die Rebellen zu richten – dabei aber langsam zurückzuweichen. Sie erreichten den Eingang unbemerkt, betraten das HQ, entledigten sich der Tage vorher sorgfältig (und optisch unauffällig) unbrauchbar gemachten Schusswaffen und nahmen direkten Kurs auf das eigentliche Ziel des Anschlages. In einer normalen Situation wäre anderen aufgefallen, dass die Gesichter der fünf Personen eine Spur zu hart, ihre Schritte etwas zu entschlossen, der Ausdruck in ihren Augen zu kalt war. Aber in der jetzigen Lage waren es nur fünf Armymitglieder, die sich dem Büro des Präsidenten näherten – ohne Zweifel, um über den Stand der Dinge zu informieren. Schalldämpfer machten die potentiellen Störungsquellen geltenden Schüsse aus diesmal echten Waffen nahezu unhörbar, und Rail selbst öffnete die letzte Tür zwischen sich und dem Hauptziel mit einem heftigen Tritt. Wie üblich (die 2nd Lines logen niemals) befanden sich außer Präsident ShinRa zwei Turks im Büro, und obwohl diese sofort das Feuer eröffneten – gegen die Spezialanzüge der fünf Rebellen konnten die Kugeln nichts ausrichten. Es dauerte nur Sekunden, ehe abermals Ruhe in dem Büro eintrat. Rufus Shinra starrte auf die langsam in den Lebensstrom eingehenden Körper seiner Leibwächter – und dann in 4 auf ihn gerichteten Waffenmündungen. Rail selbst schob ihre Waffe gerade zurück ins Halfter, trat an den Schreibtisch, lächelte... „Guten Abend, Mr. President. Toron Rail, Führerin der Rebellenorganisation `Liberation´ und Ex-Versuchsobjekt Ihres verrückten Lieblingsbastards im Labor. Dies ist eine Entführung! Ihre! Sie werden uns begleiten, und über jeglichen Widerstand, der mir Grund gibt, Ihnen ein paar Knochen zu brechen, würde ich mich sehr freuen!!“ Sephiroth hatte, als der Angriff begann, lediglich einmal kurz den Kopf gehoben, um dann völlig unbeeindruckt mit seiner Arbeit fortzufahren. Seinen Männern lagen schon seit Tagen entsprechende Anweisungen vor. Kein Grund, selbst einzuschreiten. Und, wie er jetzt am Takt der Schüsse hören konnte, waren die Befehle befolgt worden. Die Situation vor den Toren war unter Kontrolle. Schon bald würde es wieder still werden. Und was immer sie erreichen wollten, dachte der General, haben sie jetzt. Das HQ direkt anzugreifen, noch dazu so plump von vorne... Er hatte keine Zweifel daran, dass die ganze Sache als Ablenkungsmanöver für den eigentlichen Plan galt. Früher oder später würde sich dieser offenbaren und neue Handlungsoptionen eröffnen. Wäre es Sephiroths Rebellenorganisation gewesen, hätte diese Attacke nur einen einzigen Sinn gehabt... Aber es war nicht seine, und so gab es momentan andere Dinge, um die er sich kümmern musste. Zum Beispiel, Präsident ShinRa einen dieser sinnlosen und absolut unnötigen Reporte zu überbringen. Schon auf dem Weg in dessen Büro bemerkte Sephiroth die Veränderungen. Plätze, an denen sonst immer jemand saß, waren leer. Flecken dort, wo keine hingehörten. Und als er um die letzte Kurve bog und die untypisch weit geöffnete Tür erblickte, huschte ein anerkennendes Lächeln über sein Gesicht. Also doch. Meinen Respekt, Rail! Er betrat den Raum, ignorierte die anwesenden, stellenweise wutschnaubenden Turks und deren neben einem der Blutflecken am Boden hockenden, sehr ernsten Anführer Tseng, ließ den Bericht auf den Schreibtisch (aber neben die auf dessen Oberfläche schimmernde, dunkelrote Pfütze) fallen, wandte sich um und erkundigte sich sachlich: „Verluste, Tseng?“ „Präsident ShinRa.“ Der Angesprochene löste den Blick vom Boden, erhob sich... „Und zwei meiner besten Leute.“ „Tatsächlich. Wie überaus tragisch. Mein Beileid für den Verlust innerhalb Ihrer Truppe.“ Tseng sah hinüber zu diesem Mann, an dem spurlos ablief, was andere zur Raserei getrieben hätte, und dieser erwiderte seinen Blick kühl, ohne die geringste Gefühlsregung und ohne zu blinzeln, allerdings auch ohne sein Verhalten zu einer Herausforderung werden zu lassen. Sephiroths Weg, dem Oberhaupt der Turks zu versichern, dass die Beileidsbekundung – auf seine Art und Weise – ernst gemeint war. Sephiroth wusste, wie sehr Tseng an jedem einzelnen der Turks hing. Er war ihr kommandierender Offizier. Streng, wenn es erforderlich war, aber er machte auch Ausnahmen, schikanierte niemals jemanden und nahm sich für jeden seiner Leute Zeit – war aber trotzdem im Einsatz ein gnadenloser Killer. Außerdem hatte er, wie Sephiroth selbst, seine Gefühle stets im Griff. Jetzt allerdings verriet, so ruhig seine Gesichtszüge sein mochten, der heftig in seinen Augen flackernde Ausdruck große Wut. „Ohne jeden Zweifel steckte die Rebellenorganisation `Liberation´ hinter diesem Anschlag. Meine Leute werden sich sofort auf die Suche nach Präsident ShinRa...“ Sephiroth schüttelte den Kopf. „SOLDIER wird das erledigen.“ „Mit anderen Worten – Sie, General?“ „SOLDIER“, wiederholte Sephiroth ruhig. „Wir verfügen über eine in solchen Fällen unschlagbare Geheimwaffe. Bleiben Sie mit Ihren Männern in Bereitschaft, ich informiere Sie über die weitere Vorgehensweise.“ Das Phänomen General Sephiroth Crescent. Er schien noch vor dem eigentlichen Problem eine Lösung für selbiges parat zu haben. Einer der Gründe, die ihn für andere so unheimlich werden ließen, aber was Tseng momentan empfand war mehr... Neugier. „Darf ich erfahren, von welcher Art diese Geheimwaffe ist, General?“ Sephiroth, schon halb aus dem Raum, hielt inne, warf einen Blick über die Schulter... „Wenn ich Ihnen das sage, ist es keine Geheimwaffe mehr... Bleiben Sie in Bereitschaft!“ ... und setzte seinen Weg fort, erteilte mit dem Handy mehrere Befehle und betrat schließlich sein Büro. Lange musste er nicht warten, bis der ersten Anweisung Folge geleistet wurde. „Blue Wanderer Cutter Tzimmek meldet sich wie befohlen, Sir!“ „Steh bequem. Präsident Shinra wurde von `Liberation´ entführt. Ich habe die Turks informiert, die SOLDIER Geheimwaffe würde ihn finden.“ Cutter war immer noch viel zu deprimiert, um zu verstehen, was ihr kommandierender Offizier wirklich meinte, und so huschte ein Hauch Irritation durch ihr Gesicht. „W... Was denn für eine Geheimwaffe, Sir?“ „Du“, seufzte Sephiroth. „Oh ja, klar. Natürlich. Verzeihung.“ Sie schloss die Augen, verfiel in tiefes Schweigen... und erteilte schließlich die gewünschte Auskunft. Sephiroth schwieg einen Augenblick. Die Information zu hinterfragen war Zeitverschwendung. Cutter hatte sich der 2nd Lines betreffend noch niemals geirrt. Aber dieser Ort... Ausgerechnet dort! Das ist ein Labyrinth. Stellungswechsel können völlig problemlos vorgenommen werden. Ohne zu wissen, wohin man will, kann man tagelang erfolglos umherirren. Es sei denn, man hat... entsprechende Hilfe bei sich. Wie, zum Beispiel, jemanden, der die Zielperson völlig problemlos aufspüren kann, egal, wo sie sich befindet... Die Falle war viel zu offensichtlich. Und doch würde er sich hineinbegeben müssen! Die Umstände zwangen ihn förmlich dazu. Und rissen auch Cutter mit sich? Es erinnerte ein wenig an die schon so lang zurückliegende Mission im Dschungel. Nur, dass es jetzt völlig umgedreht ist. Logisch gesehen kann ich nur dich mitnehmen. Aber mein Herz, dieses sonst so eisige, distanzierte... verwirrte... Ding flüstert `Lass sie hier!!´, immer und immer wieder... Damals war ich unlogisch und somit Teil deiner gigantischen Weiterentwicklung. Was werde ich diesmal sein? Und was wird aus dir werden? Was, wenn es wieder geschieht? Wenn du wieder in eine Situation gerätst, die sich nicht einmal von mir beeinflussen lässt? Die Bedingungen sind ideal... Er sah zu Cutter hinüber. Das Mädchen wollte mitkommen! Er konnte es in ihren Augen lesen. Sie war bereit, sich allen möglichen Gefahren zu stellen um diesen Kampf endlich zu beenden. Und außerdem... ... hast du mir versprochen, nicht zu sterben. Denk daran, egal, was du tust. „Wir brechen in zehn Minuten auf!“ Cutter nickte. Wie angekündigt informierte Sephiroth Tseng über den ihn betreffenden Teil der bevorstehenden Befreiungsaktion, dann tat er dies bei seinen zusammengerufenen SOLDIER. Kurzfristig würden die beiden Einheiten zusammenarbeiten, aber während es die Aufgabe der SOLDIER sein würde, den Rebellen ihre Schranken zu weisen – ein für alle Mal! - lag der Schwerpunkt der Turks in der sicheren Eskortierung Präsident Shinras zurück zum HQ. Vorausgesetzt, die Befreiung verlief nach Plan... Eben diesen ging Zack noch einmal im Kopf durch. Ins Zentrum des Feindes vorstoßen... Für gewöhnlich liebte der 1st Missionen wie diese, weil sie ihn auf alle nur erdenklichen Arten forderten und Höchstleistungen verlangten. Dieses Mal jedoch verspürte er ein wachsendes Unbehagen, und immer wieder wanderten seine Gedanken zu den (wie üblich vor einem derart schweren Einsatz) in Sephiroths Büro zurückgelassenen Briefen, die im Falle des Todes an die angegebenen Adressen geschickt werden sollten. Einer der Briefe war – wie immer - für Sephiroth selbst. Gesprochen hatten sie seit des Streites allerdings nicht miteinander, und Zack wurde das Gefühl nicht los, als solle er dies nachholen, schnell... aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt. Die Truppe hatte sich längst in Bewegung gesetzt – allerdings ohne die sonstige Vorsicht. Wozu auch? Dank der 2nd Lines würde Toron immer wissen, wo und wie viele sie waren. Worauf es jetzt ankam, waren Schnelligkeit, Entschlossenheit und Durchhaltevermögen. Zack hatte keinen Zweifel an einem endgültigen Sieg SOLDIERs. Aber er wurde das ungute Gefühl einfach nicht los. Und es nahm an Stärke zu. Auch die neben ihm laufende Cutter war unnatürlich schweigsam, und es gab zu viele Gründe, um einen davon endgültig bestimmen zu können. Hätte Zack gefragt, so wäre die Antwort des Mädchens vielleicht folgendermaßen ausgefallen: `Ich habe gerade die Überreste des vor dem HQ stattgefundenen Kampfes durchquert, und all die Blutlachen waren kein schöner Anblick. Wie mit den übriggebliebenen Rebellen verfahren wird, steht also außer Frage, und sie tun mir leid. Aber ich kann nichts tun, um ihnen zu helfen. Rail hat ihre Leute mindestens so gut im Griff wie Sephiroth seine SOLDIER, also hoffe ich nur, dass der Kampf schnell vorbei gehen wird.´ Aber Zack fragte nicht, und so hielt sich der Teenager schweigend an seiner Seite, bis sie Sephiroths Befehl, sich bei ihm einzufinden, befolgte. Cutter wusste: Jetzt kam es allein auf ihren Lotsendienst an, und sie arbeitete routiniert und schnell, hielt irgendwann an und nickte knapp. Sephiroth brauchte nur wenige Sekunden, um den schweren Kanaldeckel anzuheben und beiseite zu rücken. Dampfwolken stiegen in der kalten Luft auf, aber ihnen wohnte nichts Vertrauenerweckendes inne. Zack klopfte Cutter tröstend auf die Schulter, und diese schnitt eine Grimasse. Von allen unangenehmen Orten auf ganz Gaia hatte Rail Toron Präsident ShinRa ausgerechnet in die Kanalisation bringen müssen! Trotzdem folgte Cutter ohne zu zögern Sephiroth, als dieser begann, in das unterirdische Labyrinth zu klettern. Irgendjemand schob den Kanaldeckel wieder an seinen ursprünglichen Platz und brachte schummrige Dunkelheit über die beiden Kletterer. „Lass die Taschenlampe aus!“, befahl Sephiroth nachdem sie den Boden erreicht hatten, und Cutter nickte. Sie würde sich außerhalb der in unregelmäßigen Abständen angebrachten Lichtquellen mit Hilfe der Lines orientieren, er konnte im Dunkeln sehen. Gar kein Problem. Ebenso wenig wie die schwüle Luft, die, angereichert mit allen nur erdenklichen üblen Gerüchen, vor jedem Atemzug die Frage aufwarf, ob dieser wirklich nötig war. Es war nur eine Phase und würde vorbeigehen. Was von Anfang an ein Problem darstellte, war die Stille, in der sie sich vorwärts bewegten. Es war nicht die Einsätze wie diesen automatisch begleitende Ruhe, sondern vielmehr eine Art eisiges Schweigen. Dieselbe von Sephiroth für jedes sonstige Teammitglied verwendete Version. Und vielleicht, dachte Cutter verzweifelt, wird sich daran nie wieder etwas ändern!! Was, wenn ich mich einfach entschuldigen würde? Ach, das würde nichts bringen. Es ist... alles so sinnlos. Wenn ich jemals fast etwas Besonderes für ihn war... jetzt habe ich´s ruiniert. Meine Schuld. Ich komme schon damit klar. Zack... Zack findet jemand anderen. Ganz bestimmt. Ich werde mich auf diesen `jemand´ einlassen, und dann wird alles sehr viel einfacher. Und das hier... steh ich schon irgendwie durch. Kann ich mich nicht großartig selbst belügen? Um sich abzulenken (und auf dem neusten Stand zu bleiben), hielt Cutter immer wieder inne, um die Line des Präsidenten zu überprüfen. So entsetzlich die zahlreichen, im Laufe der vergangenen Stunden zugefügten Knochenbrüche sein mochten – die Hauptgefahr ging von den inneren Blutungen aus. „Wir müssen uns beeilen!“, murmelte Cutter. Und wenn wir trödeln?, dachte Sephiroth unwillkürlich. Gemessen an allem, was Shinra ihm angetan hatte, verspürte er nicht gerade viel Lust, ihn zu retten. Aber eine Hinrichtung durch eine andere Person zuzulassen, kam nicht in Frage! Außerdem warteten seine Leute und die Turks an der Oberfläche. Dieses eine Mal, Shinra, bin ich auf deiner Seite! Gewöhn dich nicht dran! Das ungleiche Duo bog um eine Kurve und geriet unerwartet in eine ganz besonders grauenhafte Geruchswolke. Wenn ich hier rauskomme, dachte Sephiroth und hielt unwillkürlich den Atem an, werde ich einen ganzen Tag lang nur duschen! „Wenn ich hier rauskomme“, hörte er Cutter neben sich mit vor Ekel verzerrten Stimme sagen, „werde ich einen ganzen Tag lang nur duschen!“ Gleichzeitig hätte sie sich auf die Zunge beißen können. Schon wieder erst geredet und dann gedacht, verdammt noch mal, Cutter, du lernst es einfach nicht! Zu ihrer Überraschung erhielt sie eine Antwort. „Ganz mein Gedanke.“ In seiner Stimme klang... Klang darin wirklich nicht mehr ganz so viel Eis mit, wie noch vor ein paar Minuten? Cutter war nicht sicher. Es kam zu unvorbereitet. Um Zeit bis zu einer wirklich guten Reaktion zu gewinnen, checkte sie abermals die Line des Präsidenten. Unverändert. Eine gute Erwiderung allerdings fiel ihr nicht ein, und so senkte sich abermals Schweigen über die Beiden. Sephiroth beobachtete den neben sich gehenden Teenager und schüttelte unbemerkt den Kopf. Ich wollte allein mit dir reden, aber... so war das nicht geplant. Es sollte, wenn möglich... Ein unergründliches Lächeln huschte über sein Gesicht. Mit dir findet man sich eben immer in der absurdesten aller Möglichkeiten wieder. Das scheint eines der Gesetze zu sein, denen du unmerklich folgst. Und ich folge ihnen. Manchmal. Trotzdem, das hier ist... Das Geräusch erklang völlig unvermittelt, ein entsetzliches Kreischen und Quietschen, hallte durch die Gänge, versetzte Sephiroth augenblicklich in Gefechtsbereitschaft, die rechte Hand an Masamune... mit der linken allerdings hatte er Cutter zu sich gezogen und sich gleichzeitig so gedreht, dass er zwischen ihr und einem möglichen Gegner stand. Cutter brauchte einen Augenblick um zu realisieren, was gerade geschehen war. Und wie. Er hält mich mit der linken Hand fest?! Aber das ist doch seine wichtigere Hand, die, mit der er Masamune... Ihre Augen weiteten sich. Das ist ein Versehen! Das kann nur ein Versehen... Oder? Dass er versucht, mich zu verteidigen – ok – aber so?! Sephiroth-sama... bist du... bist du doch nicht sauer auf mich?? Habe ich dich missverstanden?? Ihre Gedanken rasten mit kaum zu verfolgender Schnelligkeit. Sephiroth hingegen verharrte, angestrengt lauschend, noch einen Augenblick, dann gab er den Teenager wieder frei. „Hab ich mich erschrocken!“, wisperte Cutter, bemüht, sich ihre Verwirrung nicht anmerken zu lassen. „Was war das??“ „Das kann... alles mögliche gewesen sein.“ Gleichzeitig hämmerte es in seinem Kopf: Reflex! Nichts weiteres! Du stellst dich allein zwischen die Gefahr und deine Leute, wenn es die Situation erfordert! Und für gewöhnlich liegt deine linke Hand auf dem zu diesem Zeitpunkt... für... dich... wichtigsten... Objekt. Er hatte gelernt, selbst seine Reflexe zu trainieren und kontrollieren. Dass sie ihn jetzt so einfach überrannten, war... nicht angestrebt. Ebenso wenig wie der leichte, durch die vorherige Erkenntnis ausgelöste Schwindel. „Sir?“, hörte er seine Begleiterin leise und fast besorgt fragen, „Ist alles ok?“ „Cutter“, murmelte Sephiroth und gewann die Kontrolle zurück, „hör sofort mit diesem albernen `Sir´ auf, sonst werde ich dich augenblicklich wieder `Tzimmek´ nennen!“ „Uuuh“, das Entsetzen war ihrer Stimme deutlich anzumerken, „gruselige Vorstellung!“ Und dann... grinste sie. Er konnte es deutlich spüren. Und es war nur für ihn. Vorbehaltlos und ehrlich, wie jede ihrer ihn betreffenden Reaktionen. Weil sie gerne in meiner Nähe ist. Und, weil sie... Er war der Wahrheit, jener speziellen Erkenntnis, welche seiner seltsamen Beziehung zu Cutter einen Sinn verlieh, ganz nahe. Aber jeglicher Versuch, Druck oder gar Zwang auszuüben, würde die Entfernung wieder vergrößern... Ich muss die Wahrheit zu mir kommen lassen. Das ist der einzige Weg. Langsam setzte er sich wieder in Bewegung. Und obwohl sie immer noch in dieser grauenhaften Kanalisation unterwegs waren, im Rahmen dieser absurden Mission, obwohl jederzeit ausnahmslos alles geschehen konnte... Die kurzfristig verlorene Basis zwischen ihm und Cutter war wieder hergestellt. Auch Cutter konnte spüren, dass sich etwas verändert hatte – wusste aber nicht, ob es wirklich den gewünschten Punkt betraf und war zu vorsichtig, um sich zu freuen. Aber lange sollte dieser Zustand nicht mehr dauern. Irgendwann hielten der General und sein Ghost Walker an. Bisher war der Tunnel relativ niedrig gewesen, jetzt jedoch streckte er sich meterhoch nach oben. „Hier ist es“, sagte Cutter leise. „Hinter dieser Wand befindet sich Präsident ShinRa, und es geht ihm wirklich, wirklich nicht gut!“ Sephiroth ließ den Blick über das Hindernis gleiten. Die Wand besaß eine eiserne Tür, aber der dahinterliegende Gang war verschüttet – an verschiedenen Details gemessen kein lange zurückliegendes Ereignis. „Ich nehme nicht an, dass uns Gewalt weiterbringt?“ „Laut der Lines könnte der Raum dann einstürzen.“ Sephiroth hob den Kopf auf der Suche nach einer weiteren Zugangsmöglichkeit. Irgendwann folgte Cutter der Bewegung – und hielt inne. Es gab noch einen weiteren Option, eine Art... „... Röhre. Führt genau in den Raum.“ Einen Moment lang sahen sie schweigend nach oben. Beide wussten: Toron rechnete mit einer Befreiungsaktion, und dieses Rohr war von der Größe her nur Cutter zugänglich. „Sie will uns trennen“, murmelte der Teenager. „Und weiß, dass wir mitspielen müssen“, ergänzte der General. Cutter nickte sichtlich besorgt. „Es kann sein, dass sie am anderen Ende auf dich wartet.“ Sephiroths Stimme klang ruhig und fest. „Lass dich nicht aufhalten! Erledige sie, und dann...“ ... er zog einen Gegenstand hervor... „kümmer dich um Shinra.“ Es war Heilmateria – und wie ihre Line verriet, von der alten Sorte. Cutter warf ihrem General einen verschmitzten Blick zu, wusste sie doch, dass diese Materia hätte abgegeben werden sollen. „Was?“ Sephiroth zuckte mit den Schultern, eine für ihn mehr als außergewöhnliche Geste. „In meiner Aufforderung war nur von drei Exemplaren die Rede...“ Man konnte Befehle auch mit einer gewissen Hinterhältigkeit befolgen. Schmunzelnd nahm Cutter die Materia an sich. „Shinra“, fuhr der General fort, „wird dir nicht trauen, ganz egal, was du ihm erzählst. Er wird versuchen, sich bei der ersten Gelegenheit abzusetzen. Lass ihn laufen. Ich werde euch finden, nacheinander, wenn es sein muss.“ In Gedanken fügte er hinzu: Aber dich definitiv schneller als ihn... Und lieber.´ Der Teenager nickte. Wenn es irgendjemandem gelang, sie immer zu finden, so war es Sephiroth. Selbst in diesem Labyrinth. Dann allerdings sah sie fast verzweifelt zu der Röhre hinauf, etwas, das unmöglich unkommentiert bleiben konnte. „Du hast Toron einmal attackiert, du wirst es ein zweites Mal schaffen! Diesmal endgültig! Also...“ ... seine Stimme wurde etwas sanfter... „hab keine Angst.“ „Ich hab doch keine Angst vor Toron!“ Sie klang durch und durch entrüstet. „Aber...“, jetzt kippte die Betonung, „hast du die Spinnweben gesehen?? Die ganze Röhre ist voll davon... Und ich kann keine Feuermateria einsetzen, weil die Wände mit Plastik ausgekleidet sind... Und ein Windzauber fällt auch flach, weil am Ende der Röhre ein Gitter ist, und da würden sie dann alle auf mich warten...“ Sie wimmerte leise und schüttelte sich am ganzen Körper. „Alle Torons dieser Welt sind nicht so furchtbar wie eine einzige Spinne!!“ Dieses Verhalten war so typisch für Cutter. Sie stellte sich einem tödlichen Wesen ohne Angst – würde aber vor einer harmlosen Spinne bis ans Ende der Welt flüchten. Sephiroth schmunzelte und schüttelte den Kopf. „Kannst du ihnen nicht mit Hilfe der Lines ausweichen?“ „Dafür müssten sie erst mal eine haben.“ Für einen kurzen Augenblick glaubte er, sich verhört zu haben. „Tiere haben keine Line??“ Cutter schüttelte den Kopf und ergänzte: „Wobei... um ganz ehrlich zu sein... ich glaube nicht, dass sie keine haben. Ich glaube eher, dass ich sie noch nicht gefunden habe. Tiere sind nicht wie wir Menschen, sie sind... reiner. Stärker mit dem Planeten verbunden. Es würde mich nicht wundern, ihre Lines unterhalb denen der Menschen zu finden, irgendwann.“ Es war ihm unmöglich, nicht zu fragen. „Und was ist mit... Monstern?“ „Ich bin... nicht sicher. Vielleicht verhält es sich ähnlich. Bei den bisherigen Lines sind sie jedenfalls nicht dabei. Ich lasse es dich wissen, wenn ich sie gefunden habe.“ Und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Masamune hat übrigens auch keine Line.“ Sephiroth schmunzelte sachte. „Das wundert mich nicht.“ „Hm... Mich eigentlich auch nicht. Erzählst du... mir diese Geschichte irgendwann?“ Sephiroth zögerte einen Augenblick. Es gab viele Geschichten über die Waffe in seinen Händen. Sie waren alle falsch – aber er widerrief keine von ihnen. Cutter jedoch... würde er die Wahrheit erzählen. Irgendwann. Er nickte. Cutter lachte ihn an, und ihre Freude war echt, wie immer – dann allerdings sah sie zu der Röhre hinauf und fletschte die Zähne. „Bringen wir´ s hinter uns! Aber... wie komme ich da hoch? So weit kann ich unmöglich springen!“ Sephiroth bildete mit den ineinander verschränkten Händen eine Kuhle und beugte sich etwas nach unten. „Halt dich zusätzlich an mir fest“, ordnete er leise an. Cutter schob ihr Knie in seine Hände und griff gleichzeitig nach seinem hohen Kragen, Sephiroth richtete sich wieder auf, und dann... hielt er inne. Seine Augen und die des Mädchens befanden sich exakt auf derselben Höhe, eine Situation erfüllt von einem seltsamen, namenlosen Zauber. Alle anderen, außer Zack, sehen schon nach wenigen Sekunden weg. Aber du... erwiderst meinen Blick, wie es der Himmel tut, oder das Meer, oder der Horizont... Es ist wie vor ein paar Wochen, nach der Schneeballschlacht. Und... mir scheint, ich... habe fast verstanden, was er bedeutet... Die Bewegung hatte nicht nur den Augenkontakt bewirkt, sondern auch das Verrutschen einiger silberner Haarsträhnen. Cutter konnte es, da es hier etwas Licht gab, deutlich erkennen. Und bevor sie wusste, was sie tat, griff sich vorsichtig nach dem vorwitzigen Silber und streichelte es behutsam zurück an den richtigen Platz. Es macht mir nichts aus, dachte Sephiroth und war erstaunt über die Ruhe seiner Gedanken. Deine Berührung... ich empfinde sie nicht als störend. Und dich so zu halten... tut gut. „Du warst nie sauer wegen des Zuckers“, hörte er Cutter flüstern. „Oder?“ Er schüttelte sachte den Kopf und antwortete ebenso leise: „Ich war noch nie sauer auf dich. Ich musste... nachdenken. Über so viele Dinge... Cutter, bist du sicher, dass du...“ Er verstummte, schüttelte den Kopf. „Später. Ok? Fertig?“ Der Teenager nickte – und grinste. „Gib Schub, General!“ Bereits eine Sekunde später fand sie sich in der Luft wieder und erreichte problemlos die Röhre, hangelte sich hinein, wandte sich um... „Sephiroth-sama?“ In ihren Haaren waren bereits erste Spinnweben zu erkennen, aber Cutters Augen funkelten entschlossen. „Mach dir keine Sorgen, ich werde nicht sterben! Versprochen!“ Sie nimmt das wirklich absolut ernst, dachte der General. Und bisher hat sie ihr Wort immer gehalten... Vielleicht sollte ich einfach versuchen, ihr zu... vertrauen. Nach außen hin nickte er nur kurz und beobachtete wenige Sekunden später, wie sein Ghost Walker in die Röhre hineinkroch, hörte sie entsetzt Aufquietschen, aber nur wenige Sekunden später: „Ich warne euch: Mich schickt General Crescent, also wagt es nicht, mich aufzufressen!!“, grollen. Und dann... war sie verschwunden. Sephiroth schickte nicht zum ersten Mal jemanden in eine möglicherweise tödliche Schlacht - aber dieses Mal dauerte es etliche Sekunden, bis er der als eisig und unberührbar geltende Mann den Blick von der Röhre wenden und zum nächsten Plan übergehen konnte. Kapitel 35: Rettungsmissionen ----------------------------- Cutter bewegte sich so lautlos wie möglich und mit fest zusammengebissenen Zähnen durch die Röhre, versuchte, die Spinnweben und huschenden Bewegungen um sich herum ebenso zu ignorieren, wie die aufsteigende Panik und sich stattdessen selbst zu motivieren. Weiter! Komm schon, du kannst es! Sie sind nur ekelig, aber sie tun dir nichts. Es sind nützliche Tiere! (Auch, wenn sie furchtbar aussehen mit ihren acht Beinen und den vielen Augen und...) Nein, nein, nein, hör auf! Schokolade! Du wirst mindestens eine Tafel Schokolade essen als Belohnung, wenn du hier raus bist! Und duschen! Und... Sephiroth wird dir sagen, was er vorhin nicht sagen konnte. Was auch immer es ist. Er ist nicht sauer auf mich, ich bin so glücklich!! Wir können wieder Freunde sein! Alles wird gut! Das bereits durch die entsprechende Line signalisierte Gitter tauchte vor ihr auf. Cutter wischte die davor hängenden Spinnweben vorsichtig beiseite und warf einen Blick hindurch. Der Raum war klein und leer – bis auf den (vielleicht zu) gut sichtbaren Stuhl, auf dem eine bewegungslose, in sich zusammengesunkene Person festgebunden war. Rufus Shinra, keine Frage. Sein Zustand hatte sich im Laufe der vergangenen Minuten erheblich verschlechtert, noch allerdings lebte er. Cutter überprüfte auch die restlichen Lines. Der Raum verfügte als einzige Fluchtmöglichkeit über eine weitere Tür – unverschlossen, und laut der Lines nicht an Fallen gekoppelt, aber welchen Sinn machte ein solch offensichtlicher Fluchtweg, wenn es keine üblen Konsequenzen gab? Oder, dachte Cutter, sie spielt mit mir. Sie will mich verunsichern und verwirren, mich dazu bringen, mir so viele Gedanken über mögliche Fallen zu machen, dass ich die fallenlose Realität gar nicht bemerke und einen entscheidenden anderen Fehler begehe.... Hinter der Tür erstreckte sich ein niedriger, enger Tunnel, der abermals im Labyrinth der Kanalisation mündete, und auch hier konnte das Mädchen keine bösen Überraschungen entdecken. Dasselbe galt für den vor ihr befindlichen Raum – mit einem Gegner wie Toron jedoch war nichts unmöglich. Sie will diesen Kampf um jeden Preis gewinnen und weiß, dass ich diesen Raum nur von hier aus und alleine betreten kann, die Bedingungen für einen Angriff sind also perfekt! Ab jetzt muss ich mit allem rechnen! Und darf dabei trotzdem nicht zu lange nachdenken. Und ich muss vorsichtig sein – aber nicht langsam! Also los! Rufus Shinra war, wie seine Line verriet, bewusstlos, aber vielleicht würde ihn ein Geräusch aufwecken? Vorsichtig kratzte der Teenager an dem Gitter. Keine Reaktion. Von ihm war also vorerst keine Hilfe zu erwarten. Cutter sah sich die Blockade vor ihr genauer an. Keine Schrauben – aber Hinweise auf eine Drehvorrichtung. Das Gewinde sträubte sich nur kurz, offenbarte aber schon nach wenigen Sekunden ein neues Problem: Das gelöste Gitter war zu groß, um es in die Röhre zu ziehen, und es einfach fallen zu lassen schied, hinsichtlich des zu erwartenden Lärms, aus. Verstehe. Du willst meine Hände blockieren. Aber das wird nicht klappen! Cutter brachte sich, das Gitter fest in einer Hand, am äußersten Rand der Röhre in Position, fixierte den knapp 4 Meter unter ihr entfernt liegenden Boden an – dann warf sie das Gitter in die Luft und ließ sich fallen, rollte sich gekonnt ab fing einen Sekundenbruchteil später den zuvor geworfenen Gegenstand auf ohne hinzusehen und ging gleichzeitig in Verteidigungsstellung, bereit, ihre Materia alles und jedem entgegen zu schleudern... Aber nichts geschah. Behutsam lehnte Cutter das Gitter an die Wand, dann näherte sie sich dem bewegungslosen Mann auf dem Stuhl und verzog unwillkürlich entsetzt und mitfühlend das Gesicht. Die äußerlichen Verletzungen standen den innerlichen in Nichts nach. Blut hatte den bestimmt einmal sehr hübschen Anzug durchtränkt, außerdem war er an vielen Stellen zerrissen und der in ihm steckende Körper mit gebrochenen, verdrehten Gliedern auf dem Stuhl festgebunden. Von Präsident Shinras Gesicht war nur noch eine blutende, aufgequollene und verfärbte Masse übrig. Ohne Zweifel war jemand verdammt wütend auf ihn gewesen. Cutter war sofort klar, dass sie zuerst die Fesseln lösen musste, bevor sie die Materia einsetzen konnte, und sie tat genau das. Aus der unnatürlichen Position befreit rutschte der Körper augenblicklich zu Boden und blieb bewegungslos liegen. Cutter aktivierte die Materia und verfolgte angespannt mit Hilfe ihrer Augen und der 2nd Lines die Geschehnisse. Die Heilmateria entlud sich gänzlich – trickste den Tod aber einmal mehr aus. Die entsetzlichen Verletzungen verschwanden vollständig. Rufus Shinra blinzelte mühsam, verhielt noch einen Augenblick bewegungslos, dann erhob er sich langsam und warf dem vor sich stehenden Teenager einen Blick zu, der... Cutter hätte mit allen möglichen Gefühlen gerechnet. Aber nicht mit einem derart kalten Ausdruck, der einen noch dazu zum Sprechen aufforderte. Instinktiv nahm das Mädchen Haltung an und salutierte. „Blue Wanderer Tzimmek Cutter unter dem Kommando von General Crescent auf Rettungsmission, Sir!“ Rufus Shinras Laune war derzeit nicht die Beste. Mit Tendenz zur Verschlechterung. Nicht nur, dass es einer Horde Rebellen gelungen war, ihn aus seinem eigenen Büro zu entführen, Nein, sie hatten ihn auch noch in die ekelerregende Kanalisation Midgars geschleppt, ein Ort, der seiner absolut unwürdig war, und ihn hier stundenlang gefoltert. Und jetzt tauchte ein verdammter Teenager auf, um ihn zu retten?! Unter dem Kommando des einzigen Mannes, der in der Lage war, ihn zu töten?! Wo waren die Turks?? Wofür bezahlte er seine verdammten Leibwächter, wenn diese nicht bei Bedarf sofort zur Stelle waren?? Zum ersten Mal seit Jahren war der Präsident der mächtigen ShinRa Electric Power Company kurz davor, in Panik zu geraten. Die Vergangenheit jedoch hatte ihn gelehrt, selbst in Extremsituationen die Nerven zu bewahren, und mit der Zeit hatten diese die Konsistenz von Drahtseilen angenommen. Äußerlich die Ruhe selbst, klopfte er seine zerrissene, blutbefleckte Kleidung ab, als ließe sich diese dadurch tatsächlich in einen besseren Zustand bringen, und erkundigte sich fast beiläufig: „Wo ist General Crescent?“ „Irgendwo außerhalb dieses Raumes, Sir.“ Und vermutlich, dachte Rufus, auf der Suche nach einem zweiten Eingang. „Du darfst deine... Rettungsmission... fortsetzen.“ Es war Cutters erste direkte Begegnung mit Rufus Shinra. Sie hatte sich durch Geschichten ein ungefähres Bild von ihm machen können und beschlossen, ihn als `undurchschaubar´ einzustufen. Jetzt fügte sie dem den Begriff `arrogant´ hinzu. Und... (sie hatte nicht damit gerechnet, vor Begeisterung erschlagen zu werden, aber ein kleines `Danke´ wäre wohl trotzdem schön gewesen) ... `undankbar´. „Natürlich, Sir.“ Sie steuerte auf die nicht blockierte Tür zu. Nur ein Eisentor – und es ließ sich problemlos öffnen. Das läuft alles zu glatt!, dachte Cutter. Obwohl sie Toron nicht orten konnte, ihre Gegenwart war deutlich spürbar. Die Rebellenführerin konnte jederzeit von überall her auftauchen und zum Angriff übergehen! Abermals begann Cutter, die Lines für die außerhalb liegende Umgebung genauestens zu überprüfen. Rufus beobachtete sie für ca. 2 Sekunden aktionslos. Zwar wusste er genau, was sie gerade tat, war aber nicht gewillt, sich länger in diesem Raum aufzuhalten. Wortlos trat er an ihr vorbei und zwang sie somit, die Überprüfung abzubrechen und ihm zu folgen. Der hinter dem Raum beginnende Tunnel war so schmal, dass man unmöglich nebeneinander her gehen konnte. Cutter hätte gerne die Vorhut übernommen, aber selbst das Überholen war nicht möglich, und tief in ihr brodelte es. Ich sehe ein, dass er mein Boss ist! Davor habe ich Respekt, keine Frage! Aber, verdammt noch mal, er ist unbewaffnet und hat keine Ahnung, ob es weiter vorne Fallen gibt oder nicht! Ich habe Materia und die Lines. Rein strategisch gesehen, wäre es besser, wenn ich vorne gehen würde! Vorerst allerdings blieb ihr nichts anderes übrig, als einfach zu folgen. Glücklicherweise lauerten keine bösen Überraschungen in dem Tunnel. Er führte zurück in die eigentliche Kanalisation – und immer noch verrieten die Lines keinerlei Hinterhalte. Ein Zustand, der Cutter mehr und mehr verunsicherte. Jetzt allerdings schien die Rettung nicht mehr fern, denn die Lines gaben den Weg an die Oberfläche ganz klar an: Erst nach rechts, ein paar weitere Kursänderungen... Im normalen Tempo (und ohne von Toron ausgehende Störungen) würde es nicht länger als ein paar Minuten dauern, bis sie dem hier herrschenden, ein wenig mehr zu `dunkel´ tendierenden Zwielicht und all den anderen unsympathischen Details den Rücken würden kehren können... Neben ihr sah Rufus Shinra kurz in beide Richtungen – und wandte sich entschlossen nach links. „Äh, Sir?“ Cutter hatte Sephiroths Worte nicht vergessen – konnte aber unmöglich schweigen. „Ich möchte nicht unhöflich sein, aber wir sollten besser nach rechts...“ Rufus hielt inne, warf einen Blick über die Schulter und lächelte halb spöttisch, halb warnend. „Blue Wanderer Tzimmek Cutter.“ Der Klang seiner Stimme war zu sanft, um ernst gemeint zu sein. „Versuchst du gerade, mir einen Befehl zu geben?“ „Nein, Sir.“ Cutter schüttelte den Kopf. „Aber die Lines sagen...“ „Tatsächlich.“ Gleichzeitig nahm er seinen Weg wieder auf. Ganz egal, welchen Plan dieses Mädchen zu verfolgen versuchte – er würde die ihm zugedachte Rolle nicht erfüllen! Er würde sich seinen Weg selbst suchen. Ausschließlich deshalb war es ihm gelungen, sich und seinen Konzern an die Weltspitze zu befördern! Abgesehen davon richtete er sich nicht nach den Worten anderer, ganz speziell, wenn Crescent seine Hände mit im Spiel hatte – und er selbst unbewaffnet war. Verblüfft und ein wenig verärgert über soviel Arroganz beobachtete Cutter, wie ihr sturer Arbeitgeben entschlossen in die falsche Richtung marschierte, und eine tiefe innere Stimme riet dem Teenager von jeglichen Versuchen, ihn davon abzuhalten, ab, und ihm einfach nur zu folgen. Cutter schnaubte leise. Als hätte sie eine andere Wahl! Ob Toron dieses Verhalten mit eingeplant und es bisher deshalb keine Fallen gegeben hatte? Weil Rufus Shinra selbst die größte Falle war? Toron... Wenn du mir vorführen willst, wie hilflos ich sein kann – das ist dir, manche Punkte betreffend, gelungen. Gratuliere! Aber weißt du was? Es ist mir egal! Ich werde ihn nicht alleine losrennen lassen! Und wenn du genau das eingeplant hast, ist es mir auch egal! Tauch auf, und ich werde ich dich gebührend in Empfang nehmen, versprochen! Sie beeilte sich, ihrem Boss zu folgen. Dieser bog eben entschlossen um die erste Kurve - und prallte augenblicklich zurück. „Haben wir uns verlaufen, Mr. President?“ Sephiroths Stimme klang wie mitternächtliches Donnergrollen. „Oder spielen wir `Ich sehe einen Ausgang, den du nicht siehst?´ Sollte dem so sein, fange ich an!“ Rufus schluckte trocken, überwand seinen Schrecken und wisperte mit eisiger Stimme: „Vorsicht, Crescent! Ein Wort von mir und Sie sind Geschichte!“ Sephiroths makogetränkte Augen glühten für einen Sekundenbruchteil spöttisch auf. „Geschichten leben ewig, Mr. President. Sofern es noch Leute gibt, die sie erzählen können. Die Geschichte Ihres Ablebens würde sich in jedem Fall sehr interessant berichten lassen – mit einigen kleinen Änderungen, versteht sich.“ Wow, dachte Cutter. Sie war mittlerweile nahe genug, um jedes Wort zu verstehen. Die beiden mögen sich aber gar nicht... So unbeeindruckt Rufus äußerlich schien – seine Gedanken rasten. Flucht oder Kampf waren in jedem Fall sinnlos. Er hatte gesehen, wozu dieser Mann fähig war. Was blieb an Alternativen?? „In Ordnung, Tzimmek. Du darfst den Ausgang auf deine Weise suchen.“ Crescent würde ihn niemals vor Zeugen umbringen! Es sei denn, er würde die Zeugen ebenfalls... Momentan allerdings machte er nicht die Anstalten dazu, sondern ließ sich eine Materia zurückgeben. „Ist leer“, teilte der Teenager halblaut mit, und der Elitesoldier nickte, verstaute die Materia und erkundigte sich nach der voraussichtlich verstreichenden Zeit bis zum Erreichen des nächsten Ausganges. Aus Kostengründen waren bei der letzten Sanierung die Ein- und Ausstiege halbiert worden, was aktuell einen Fußmarsch von mehreren Minuten bedeutete. Zu Rufus heimlicher Erleichterung gab Sephiroth per Handy den geplanten Ausstiegsort, sowie die angepeilte Zeit an jemanden (hoffentlich Tseng) weiter, nickte Tzimmek zu, diese marschierte ohne zu zögern los, und er folgte ihr. Rufus blieb nichts anderes übrig, als dies ebenfalls zu tun – dennoch dachte er nicht einmal daran, sich zu entspannen. Er hoffte, dass die Turks nicht einfach nur dasitzen und warten, sondern die am Telefon gegebene Richtungsangabe nutzen und ihm entgegenkommen würden (hoffentlich mit einem neuen Anzug und einer Waffe!). Zwar war er weit davon entfernt, ihnen zu vertrauen, zog ihre Gesellschaft der Crescents jedoch bei Weitem vor. Die Turks waren loyal! Vorläufig allerdings machte Sephiroth keinerlei Anstalten, anzugreifen. Je nach Zustand der an den Wänden angebrachten Lampen folgte er Tzimmek durch unentschlossenes Halbdunkel und sehr entschlossenes Dunkel, wortlos, und es war für Rufus mehr als seltsam, diesen Mann anderen Anweisungen als den Seinen oder Hojos folgen zu sehen. Dennoch tat er es. Und lieferte somit einen weiteren Beweis seiner Unberechenbarkeit ab. Glücklicherweise dauerte die nervliche Folter nicht lange. Cutter kündigte die sich nähernden Turks schon nach wenigen Minuten an, und das baldige Aufglühen von Taschenlampen gab ihr Recht. Bis sich die so unterschiedlichen Parteien trafen, verging nicht viel Zeit. „Ab hier übernehmen wir, General!“ So freundlich Tseng klang, seine Augen machten mehr als deutlich, dass er bereit gewesen wäre, sein Leben aufs Spiel zu setzen, um sichere Distanz zwischen seinen Arbeitgeber und den undurchschaubaren 1st Class SOLDIER zu bringen. Gleichzeitig überreicht er Rufus dessen persönliche Waffe und einen neuen Anzug, wusste er doch, wie sehr sein Boss jegliche Art von Schmutz hasste, und dieser nahm die Utensilien an sich. Entschlossene Dunkelheit senkte sich herab, als Taschenlampen respektvoll ausgeschaltet wurden, um einen ungestörten Kleidungswechsel zu gewährleisten. „Rebellenkontakt?“, erkundigte sich Sephiroth mit einer Betonung, die verriet, dass er das Gespräch nur begann, um das leise Rascheln von Kleidung nicht mit demütigem Schweigen zu untermalen. „Etwas“, antwortete Tseng. „Ca. 25 haben versucht, uns am Betreten der Kanalisation zu hindern. Verständigung erfolgt via Headphones – ShinRa Material, wie ich nebenbei bemerken möchte -, und sie sind bis an die Zähne bewaffnet.“ „General Crescent...“ Rufus Stimme klang nahe genug, um alle von dem erfolgreich beendeten Kleidungswechsel wissen und erneut Taschenlampen aufflammen zu lassen, „ich erwarte eine endgültige Klärung dieser Rebellensache zugunsten ShinRa´s!“ „Natürlich, Mr. President. Sobald ich die Oberfläche erreiche.“ Mit anderen Worten, dachte Cutter und konnte sich ein grinsen nur mit großer Mühe verkneifen, sobald du aufhörst, zu trödeln. Boss. Auch Rufus hatte den feinen Spott bemerkt, ignorierte ihn jedoch und nahm, flankiert von seinen Turks, den Rückweg wieder auf. „Sollten wir nicht vorgehen?“, wisperte Cutter. Sephiroth schüttelte nur schweigend den Kopf. Gleichzeitig dachte er: `Wenn Rufus nicht bald jemanden erschießen kann, um sich selbst zu beweisen, wie skrupellos er ist, dreht er durch. Speziell Cutter ist hier besser aufgehoben.´ Und so folgten sie in einigem Abstand. Cutter hielt immer wieder inne, um ihren Weg mit Hilfe der 2nd Lines nach möglichen Angreifern zu überprüfen – aber es gab keine. Momentan waren Sephiroth, die Turks, Präsident Shinra und sie selbst die einzig lokalisierbaren Menschen in der Kanalisation. Was Toron anging... Natürlich hätte sie hinter jeder Ecke auftauchen und das Feuer eröffnen können. Aber ergab das jetzt, wo Sephiroth und die Turks hier waren, um verteidigend einzugreifen, überhaupt noch einen Sinn? Langsam keimte der Verdacht eines ganz anderen Grundes für die Entführung in Cutter auf. „Toron... wollte ihn gar nicht töten, oder?“, fragte sie leise. „Sie wollte Rache.“ Sephiroth nickte. Er hielt es ohnehin für angebracht, endlich die ganze Wahrheit zu erzählen. „Hojo sollte im Auftrag von Shinra herausfinden, welche Leistungs- und Belastbarkeitssteigerungen bei Menschen möglich sind, denen man die Fähigkeit, äußerliche Gegebenheiten zu begreifen, nimmt. Rail wurde Opfer eines solchen Experimentes. Sie hat die Fähigkeit, zu fühlen, verloren.“ „Deshalb hat sie damals nicht auf den Elektroschocker reagiert“, wisperte Cutter entsetzt. Und dann... schwieg sie lange Zeit. Nichts mehr fühlen zu können... keine Kleidung, keine naturtechnischen Einflüsse, keine Berührungen – nichts! ... es musste grauenhaft sein. Wie nur hatte Toron all das so lange durchhalten können? Ob `Hass´ wirklich der einzige Motor gewesen war? Mit Sicherheit spielte auch `Verzweiflung´ eine große Rolle. Unter diesen Umständen zu einem Gegner ShinRa´s zu werden war... nachvollziehbar. Und Cutter konnte spüren, wie sich ihre Einstellung zu der Rebellenführerin änderte. „Weißt du“, sagte sie irgendwann leise, „bisher habe ich sie fast gehasst. Aber jetzt... tut sie mir einfach nur noch Leid.“ „Die `Electric Power Company´ hat ihr Leben zerstört. Ihre Wut ist mehr als verständlich.“ In Gedanken fügte er hinzu: `Sogar für mich.´ „Was, denkst du, hat sie jetzt vor?“ „Da es ganz offensichtlich nicht ihr Hauptziel war, Shinra zu töten, ist wieder alles offen, und wir müssen weiterhin höchst wachsam sein. Wenn wir die Oberfläche erreichen, werden die Turks Präsident ShinRa zurück ins HQ bringen. Und du...“ Er verstummte. Ich kann dich nicht kontrollieren, wie andere. In Situationen wie dieser laufen die dich betreffenden Dinge immer aus dem Ruder, selbst, wenn ich dabei bin. Darauf ist Verlass. Was also mache ich mit dir? Irgendwann bemerkte er, dass der seinen Blick erwidernde Teenager... grinste. „Was?“, grollte die SOLDIER Legende. „Keine Sorge, Sephiroth-sama. Ich halte mein Versprechen.“ Wer sorgt sich hier?!, dachte der gefürchtete General entrüstet und fühlte sich für einen Augenblick seltsam durchschaut. Niemand außer Cutter hätte jemals... Wirklich, in deiner Nähe fühle ich mich immer so... lebendig. Und ich weiß immer noch nicht, warum... Wie ich dieses Gefühl beschreiben soll... Er wusste es nicht. Aber auf der Oberfläche waren bereits alle nötigen Vorbereitungen getroffen worden, um diese Frage zu beantworten. Endgültig. Die kleine Truppe erreichte die zum nächsten Ausstieg führende Leiter und Cutter überprüfte – diesmal unbehelligt von unüberlegten Aktionen - die Lines. Überall in den Slums wurde heftigst gekämpft – die nähere Umgebung oberhalb des Kanaldeckels jedoch war davon völlig unberührt. Zur absoluten Sicherheit suchte der Teenager nach allen ihr bekannten Waffenlines, aber es gab keine. Sie wandte sich zu Sephiroth um, zuckte mit den Schultern und schüttelte gleichzeitig den Kopf. „Sauber.“ Tseng trat an ihr vorbei, kletterte die Leiter hinauf, zog seine Waffe, schob den Kanaldeckel beiseite und überprüfte die aktuelle Lage selbst, ehe er die Kanalisation verließ und den anderen mittels Handzeichen bedeutete, ihm zu folgen. „Sie müsste da sein“, wisperte Cutter Sephiroth zu. „Müsste sie nicht da sein? Ich kann nichts verdächtiges entdecken, aber sie muss doch noch irgendetwas vorhaben?!“ „Hat sie“, antwortete der General. „Verlass dich drauf.“ Es war jene Atmosphäre, die großen Explosionen voranging. Das sich in einem See aus leicht entflammbarer Flüssigkeit spiegelnde Licht eines brennenden Streichholzes. Der Finger auf dem berühmten, roten Knopf. Eine Situation so angespannt, dass eine Steigerung kaum möglich war, untermalt von der Möglichkeit, sich im Fadenkreuz einer Waffe zu befinden. Als Sephiroth die Kanalisation verließ, waren alle seine Sinne auf die Umgebung gerichtet, bereit, auch nur die kleinste Unstimmigkeit zu erfassen, korrekt zu bewerten und entsprechend zu antworten. Aber es gab keine! Die Kampfgeräusche waren deutlich zu hören, aber auf andere Straßen konzentriert, und der General wusste, was das zu bedeuten hatte. Sie hat Shinras Line. Sie weiß, wo er sich befindet, immer. Und will ihn ziehen lassen. Weil sie es auf mich abgesehen hat. Oder auf Cutter. Was ist wahrscheinlicher? Die von meiner Line übermittelten Daten sind zu ungenau. Masamune hat keine Line. Cutter ist ein Blue Wanderer wie Toron selbst und besitzt keine Line... Egal, wen von uns beiden sie auswählt, sie wird uns erst finden müssen, bevor sie ihre Attacke starten kann... Und was, wenn es wieder geschieht? Wenn Cutter etwas zustößt? Und ich nichts dagegen tun kann? Urplötzlich war es keine Befürchtung mehr, sondern eisige Gewissheit. Kristallklar und dennoch von der Konsistenz dicken Nebels, der einem die Orientierung raubte, sofern man das Ziel nicht innerlich klar vor Augen hatte. Sephiroths Sicht war momentan extrem eingeschränkt. Ich gehe ins Zentrum der Kämpfe und kann sie unmöglich mitnehmen. Hier lassen scheidet ebenfalls aus. Und wenn ich sie doch mitnehme? Aber wenn sie ihre Materia aufgebraucht hat, ist sie wehrlos. Dieser Gefahr kann ich sie unmöglich aussetzen... Also muss sie hier weg! Sofort! Er wählte die seines Erachtens nach sicherste Lösung. „Cutter, hör zu! Du wirst mit den Turks gehen!“ Allein die Betonung unterband jeglichen Protest. „Tseng! Cutter ist in der Lage, Sie ohne jeglichen Feindkontakt aus den Slums zu führen. Vertrauen Sie ihren Richtungsangaben!“ Tseng war die Bezeichnung `Blue Wanderer´ nichts Neues, außerdem war er Zeuge gewesen, mit welcher Sicherheit der Teenager sich durch das Labyrinth der Kanalisation bewegt hatte, und ihre Angaben bezüglich der Oberfläche waren allesamt korrekt gewesen. Aber dennoch... „Bei allem nötigen Respekt, General, aber...“ Sephiroth unterbrach ihn mit einer eindeutigen Handbewegung. „Ich zweifle nicht an der Kompetenz der Turks!“ Tseng lächelte kaum merklich. So undurchschaubar der Mann vor ihm sein konnte – diesmal meinte er es ernst. „In Ordnung, General. Aber sollten wir getrennt werden...“ „Keine Sorge, Cutter findet den Weg zum HQ auch ohne Ihre Hilfe.“ Er warf seinem Ghost Walker einen warnenden, mehr als deutlich signalisierenden: `Mach bitte keinen Unsinn!´ Blick zu. Cutters Mundwinkel zuckten kurz in jäher Erheiterung, dann erlangte sie die optische Kontrolle zurück – in ihren Augen allerdings tobte jenes vergnügte Lachen, das Sephiroth mittlerweile so gut kannte... und von dem er für einen Sekundenbruchteil fest überzeugt war, es nie wieder zu hören... Mit aller Kraft schüttelte er die düstere Vorstellung ab, dachte: `Du hast es mir versprochen, Cutter! Halte dich daran! Bitte...´ und gab ihr mit einem knappen Nicken den Start der Mission zu verstehen. Die Truppe um Präsident Shinra setzte sich, angeführt vom Cutter und Tseng, in Bewegung. Sephiroth sah ihnen für die Dauer einiger weniger Herzschlägen nach... dann wandte er sich um und marschierte den Kampfgeräuschen entgegen. Vielleicht war die Einstellung für einen 1st Class SOLDIER seltsam, aber im tiefsten Grunde seines Herzens hasste es Zack, andere Menschen zu töten. Diese hier allerdings ließen ihm keine andere Wahl. Selten war er auf erbitterteren Widerstand gestoßen. Was als `Rebellen vs ShinRa´ begonnen hatte, war im Laufe des Gefechtes zu einem `Slums vs ShinRa´ geworden. All die in Jahren aufgestauten Gefühle der hier lebenden Menschen schienen sich innerhalb dieser Nacht zu entladen, und ihre Wut glich einem rasenden Inferno. Zack hatte Gewehrkugeln aus der Bahn gebracht und war Raketen und Steinen ausgewichen. Die Trümmer eines urplötzlich zusammenbrechenden Hauses hätten ihn fast erschlagen. Eine alte Frau war mit einem Stuhl auf ihn losgegangen, und es war ihm gerade noch gelungen, die Lady zurück in ihr Haus zu schieben und die Tür zu schließen, bevor ein Dutzend bewaffneter Gestalten das Feuer auf ihn eröffnet hatte. Dank seiner Geschicklichkeit war es Zack einmal mehr gelungen, einen Sieg davonzutragen, ohne schwer verletzt zu werden, aber all diese Menschen zu töten oder (wenn möglich) lediglich kampfunfähig zu machen, beinhaltete keinen Ruhm, denn egal, mit wem er zusammenstieß: In ihren Augen saß jedes Mal derselbe Ausdruck. Diesem immer wieder und wieder zu begegnen, war ermüdender als jede Attacke mit dem Busterschwert. Sie wissen, dass sie nicht gewinnen können, dachte Zack. Aber sie geben nicht auf... Und wir müssen sie zurückschlagen, ihnen ihre Schranken weisen... Schranken, die wir aufgebaut haben und hinter denen wir sie einsperren wollten... Es ist eines der stärksten menschlichen Bestreben, frei zu sein. Wenn wir auch nur einen Funken Gerechtigkeitssinn zeigen dürften, müssten wir ihnen helfen. Aber als SOLDIER haben wir unsere Befehle und müssen sie befolgen. Gaia, manchmal hasse ich meinen Job! Seine Gedanken wanderten zu Sephiroth und Cutter. Ob es ihnen gut ging? Um den General musste man sich diesbezüglich weniger Gedanken machen, aber der Teenager erlebte zum ersten Mal eine Schlacht wie diese... Zack blieb nur Hoffnung. Eine gigantische Explosion einige Straßen weiter erschütterte die Nacht, und Zack rannte augenblicklich in die entsprechende Richtung. Vielleicht konnte er, nur zur Abwechslung, helfen. Aber als er um die letzte Kurve schlitterte, blieb ihm nur ein abruptes Bremsmanöver übrig. Hier war jeder Gedanke an Hilfe unnötig. General Sephiroth Crescent hatte die Kampfzone betreten. Um ihn herum lagen die Trümmer eines zerstörten Hauses, überall in diesen glühte das unmissverständliche Grün des Lebensstromes, und Zack wusste: Ganz egal, wie hart der Kampf bisher gewesen war – jetzt würde er noch härter werden. Die Explosion hatte auch andere Kämpfer angelockt, Menschen, die beim Anblick des Generals augenblicklich das Feuer eröffneten. Sephiroths Antwort kam schnell und gnadenlos, und er trat an den zusammengebrochenen Körpern der Angreifer vorbei, noch bevor diese wirklich ruhig lagen, und nahm direkten Kurs auf den nächsten Kampf. In strategischen Lehrbüchern wurde in Situationen wie dieser geraten, die vielen kleinen `Ziele´ zusammenzutreiben, um sie danach mit möglichst geringem Kraftaufwand beseitigen zu können. Aber keines dieser Bücher war für ein Szenario wie die Slums von Midgar geschrieben worden. Es gab einfach genug Möglichkeiten für die `Ziele´, sich zu verstecken, auszuweichen oder ihre Gegner in eine Falle zu locken, außerdem war der Heimvorteil auf ihrer Seite. Demzufolge wurde überall erbittert gekämpft, Mann gegen Mann oder auch in weniger vorteilhaften Konstellationen. Etwas allerdings ließ sich nicht mehr in Frage stellen: Die Bewohner der Slums hatten sich auf diesen Tag vorbereitet. Mal erwies sich das als vorteilhaft – mal nicht. Im Simulatorraum hätte Sephiroth ein Szenario wie dieses hier bestenfalls zum Aufwärmen benutzt. So jedoch war es die Realität – und er spielte mit jeder einzelnen der sich ihm bietenden Situation. Wer sich in seinen Weg stellte, wie viele es waren oder deren Alter... es kümmerte ihn nicht. Kalt lächelnd attackierte er seine Gegner, bevor diese Gelegenheit zum ersten Schlag hatten, blockte die seltenen, von ausreichender Schnelligkeit durchgeführten Angriffe oder wich ihnen aus, um gleichzeitig oder nur wenige Sekunden später zum stets tödlichen Gegenangriff überzugehen. Manchmal ließ er seinen Gegnern ganz gezielt den Vortritt in der Wahl ihrer Reaktion auf sein Erscheinen, indem er Masamune nur anhob und sie kalt lächelnd näherwinkte. Ob sie flohen oder blieben – ihr Schicksal war besiegelt. Der eigentliche `Kampf´ dauerte oft nicht länger als ein paar Sekunden. Im Gegensatz zu Zack machte sich der General keine Gedanken um die Gefühle, Ansichten, Träume und Hoffnungen dieser Menschen hier. Sie waren Gegner (nicht die bevorzugte Sorte, aber darauf konnte er momentan keine Rücksicht nehmen) auf einem Schlachtfeld, das ihn unterforderte, aber dennoch eines war, und er selbst war momentan nichts außer dem kalten, grausamen `Silbernen Dämon´, zu stark, zu schnell für die sich ihm in den Weg stellenden Personen, und nur hier, um zu siegen. Gerade erledigte er 4 seiner Gegner gleichzeitig, indem er die von ihnen abgefeuerten Kugeln mit Masamune blockierte und zielgenau zurückschickte, dann kümmerte er sich um eine Raketenwerferstellung im zweiten Stock eines nahen Hauses. Weitere Körper gingen in den Lebensstrom ein, viele würden diesen noch folgen, und davon ganz abgesehen... Als das Geräusch begann, glaubte Sephiroth für einen Augenblick, sich zu verhören. Zu absurd, zu fehlplatziert war der Klang. Er gehörte einem Handy. Seinem Handy. Für einen Augenblick war der General fest entschlossen, es zu ignorieren. Jeder wusste, dass er in den Straßen Midgars kämpfte, also wer war abgebrüht genug für eine derartige Störung? Zack? („Wo bist du, was machst du, hast du mich lieb?“) Toron? („Falls du dich langweilen solltest...“) Cutter? (Bei ihr konnte ausnahmslos alles passieren.) Ein Blick auf das Display schuf Klarheit. Cutter. Vermutlich rief sie an, um ihm mitzuteilen, dass sie gut in ihrem Quartier angekommen war und jetzt ruhig und brav auf seine Rückkehr wartete. Das wäre jedenfalls typisch für sie gewesen... Der General seufzte leise, nahm das Gespräch an und bog gleichzeitig in eine der zahlreichen Seitenstraßen, die durch verdächtige Ruhe bestach, ein - und scheuchte eine Gruppe auf, die gerade dabei war, sich mit neuer Munition zu versorgen. „Mach´s kurz!“, befahl der General dem Teenager am anderen Ende der Leitung relativ eisig. Eine Sekunde lang blieb es ganz still – dann antwortete Cutter. Worte, die so leise waren, dass sie im Kampfgebrüll der auf ihn zustürmenden und bis auf die Zähne bewaffneten, allerdings noch recht jungen Slumbewohner, untergingen. Sephiroth nahm das Handy vom Ohr, holte tief Luft... „RUHE!!“ Die Jungendlichen bremsten ihren Angriff irritiert ab, kamen zum Stehen, warfen einander verblüffte Blicke zu. Keiner von ihnen hatte damit gerechnet, General Crescent höchstpersönlich zu begegnen. Noch dazu, während dieser mitten in der Schlacht telefonierte... Eben hob er das Handy wieder zum Ohr, allerdings ohne die Gegner aus den grün glühenden Augen zu lassen, und forderte seinen unbekannten Gesprächspartner auf, fortzufahren. Einen Augenblick lang lauschte er bewegungslos. Und dann geschah etwas, womit die ihn immer noch wie hypnotisiert beobachtenden Freiheitskämpfer ebenfalls niemals gerechnet hätten: General Sephiroth Crescent, der Mann, dem man nachsagte, eine emotionslose, kaltherzige Killermaschine zu sein... lächelte. „Kannst du das noch mal wiederholen?“, erkundigte er sich in einem Tonfall, der für einen Mann wie ihn viel zu sanft war. Dann schüttelte er, immer noch sichtlich amüsiert, den Kopf. „Ich komme. Bleib, wo du... Ah, ich schätze, du wirst gar keine andere Wahl haben. Bis gleich.“ Er verstaute das Handy wieder und wandte sich der kleinen Rebellengruppe zu – jetzt allerdings gänzlich unamüsiert. Kurze Zeit später war er wieder unterwegs, diesmal in Richtung des von Cutter angegebenen Ortes. Die Häuser, an denen er vorbeikam, waren gezeichnet von in unmittelbarer Nähe stattgefundenen Kämpfen. Menschen waren nicht zu sehen, nur ein großer schwarzer Hund lag vor einem der schwer beschädigten Gebäude wie ein Wachposten. Er fletschte die Zähne, als Sephiroth vorbeiging, aber dieser beachtete ihn nicht. Äußerlich völlig ruhig, innerlich aber mit vor Aufregung wild klopfendem Herzen bog er schließlich in die genannte Straße ein, suchte sich seinen Weg durch das Trümmerfeld und hielt inne, als sich ein Schatten aus der Ruine löste und nach wenigen Schritten zu Cutter wurde. Sie war über und über mit feinem Schutt bedeckt, ein weiterer Hinweis darauf, wie schnell die grob am Telefon beschriebenen Vorgänge abgelaufen sein mussten. Sogar zu rasant, um den Kopfschutz überzuziehen. In diesem Zustand einen heftigen Treffer abzubekommen... Du hättest sterben können. Und es wäre mir unmöglich gewesen, dich wiederzufinden, solange ich lebe. Solange ich lebe... Aber der Teenager war, wie Sephiroth mit geübtem Blick und schüchterner, dafür aber umso ehrlicher Erleichterung feststellte, unverletzt. Sie näherte sich ihm bis auf wenige Meter... und blieb stehen. Einen Augenblick lang sahen sich die beiden so unterschiedlichen Parteien einfach nur an, als warteten sie auf ein Startsignal ihres Gegenübers. „Vollständiger Bericht!“, befahl Sephiroth schließlich. Und Cutter begann, zu erzählen. Voraussagen – zielsichere, verlässliche Voraussagen – hätten sich in einem derart unberechenbaren Einsatz, wie die Eskortierung Präsident ShinRa´ s durch die Slums von Midgar, kaum treffen lassen können. Außerdem durfte man das Misstrauen der involvierten Personen niemals unterschätzen. Hätte jemand Cutter prophezeit, was sie gerade tat, - ihre Reaktion wäre vermutlich eine Kombination aus verblüfftem Blick, Kopfschütteln und einem restlos überzeugtem: `Das glaubst du doch selbst nicht!´ gewesen. Aber eine entsprechende Vorhersage war niemals gemacht worden. Und so musste der Teenager mit der unerwarteten Situation relativ alleine klar kommen. Als die kleine Truppe aufgebrochen war, hatte Cutter angenommen, sie würden sich wie auf einer Mission vorwärts bewegen. Vorsichtig, aber dennoch zielgerichtet, jede mögliche Deckung ausnutzend, aufgeteilt, um vorrückenden Teammitgliedern Feuerschutz geben zu können... Aber das genaue Gegenteil war eingetreten. Rufus Shinra marschierte, flankiert von seinen Turks, völlig entspannt mitten auf der Straße. Die dabei ausgestrahlte Überheblichkeit war fundiert durch die Gewissheit, von Personen umgeben zu sein, die jederzeit ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen würden, um seines zu schützen – verriet allerdings auch die Fähigkeit, sich problemlos selbst zu beschützen, sollte dies tatsächlich nötig sein. Cutter konnte es fast nicht glauben. Sie kannte derart provokantes Verhalten von Sephiroth und 1st Class SOLDIER, die ihre eigenen Grenzen erweitern oder den Feind zu einer unüberlegten Aktion hinreißen wollten – hätte es aber niemals von jemandem wie diesem Mann erwartet. Wie kann man nur so blöd und gleichzeitig so cool sein?! Sie warf dem neben ihr gehenden Turk einen kurzen Blick zu. Tseng wirkte, genau wie seine Leute, völlig ruhig. Als handele es sich bei der momentanen Aktion um einen ungefährlichen Sonntagsausflug. Aber seine Line verriet die derzeitige Anspannung – verpackt in perfekter Selbstbeherrschung. Innerlich schüttelte der Teenager den Kopf. Dieses Verhalten gehörte zu den Rätseln, die sich ihr immer noch nicht ganz erschlossen, und sie hatte das dumpfe Gefühl, als würde es bis zu einer Änderung noch etwas dauern. Cutter tröstete sich mit dem Gedanken, dass die Turks viel erfahrener und älter waren als sie selbst und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf die objektbezogenen Lines, aber viel gab es nicht zu entdecken. Die kleine Gruppe bewegte sich zügig durch nahezu menschenleere Straßen, in denen allerdings stellenweise kein Stein mehr auf dem anderen stand. Hin und wieder säumten Blutlachen den Weg, leere Magazine, Patronenhülsen, unbrauchbar gewordene Waffen aller nur erdenklichen Art. In der Luft hing der unverkennbare Geruch einer immer noch tobenden Schlacht. All das und die Gewissheit, dass immer noch Menschen starben, schnürte Cutter die Kehle zu. Mit Sephiroth hätte sie ohne zu zögern ein Gespräch darüber anfangen können. Aber er war nicht hier. Und sie wusste, dass man von ihr erwartete, die übertragene Aufgabe so professionell wie möglich zu erledigen. Fest entschlossen, den Erwartungen zu entsprechen, hielt sie sich an die Turks und schwieg eisern. Hin und wieder verrieten die Lines Leben in den Häusern, aber es waren hauptsächlich alte und kranke Personen, ab und an aber auch einige Lines, deren Besitzer vielleicht in letzter Sekunde von entschlossenen Familienangehörigen eingesperrt worden waren, um dem Kampf fern zu bleiben. Eine Sache jedoch hatten all diese Menschen gemeinsam: Von ihnen drohte keine Gefahr. Dasselbe galt für die wenigen, denen sie auf der Straße begegneten. Es gab nicht eine Handbewegung, die auch nur im Entferntesten als Angriff hätte aufgefasst werden können. All diese Menschen wollten leben – nicht sterben. Ihre Lines verrieten Wut, Hilflosigkeit, Angst... aber auch Stolz. Jener Stolz, der sie selbst schwer verletzt noch den Kopf heben ließ, als der Mann, der letztendlich für ihr Leid verantwortlich war, an ihnen vorbeiging. Und sie ignorierte. Auf eine Art und Weise, die mehr als deutlich machte, für wie wertlos und nebensächlich er all diese Menschen hielt. Und Cutter wurde mehr und mehr klar, dass sie ihre Kräfte in den Dienst eines Bastards gestellt hatte. Wie fest sich diese Erkenntnis im Kopf des Teenagers verankern und was sie letztendlich auslösen würde, hätte zu diesem Zeitpunkt niemand vorhersehen können. Manche Entwicklungen geschahen so langsam, dass man ihnen dabei förmlich zusehen konnte. Der Punkt für Punkt stattfinde Fortschritt erlaubte es, bei Bedarf entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten. Und Vorgänge zu stoppen, bevor es wirklich gefährlich werden konnte. Andere Entwicklungen hingegen schienen urplötzlich stattzufinden. Das Auftauchen der Frau zwischen den Trümmern ihres einstmaligen Zuhauses geschah für alle, außer Cutter, völlig überraschend. Dieser war die entsprechende Line schon früher aufgefallen, weil es eine zweite, eng angeschmiegte, gab, auf die sich jeder besorgte Gedanke der Frau fokussierte. Mutter und Kind, keine Frage. Die Line des Kindes flackerte heftig, und der Puls war hart und unruhig. Sichere Anzeichen für einen baldigen Tod. Die Frau erstarrte beim Anblick der kleinen ShinRa Truppe – dann drückte sie ihr schwer verletztes Kind enger an sich, humpelte auf die Straße, der Gruppe entgegen... und fiel vor Rufus Shinra auf die Knie. „Bitte helfen Sie uns!!“ In ihrer Stimme und den Augen herrschte pure Verzweiflung. „Wir haben niemals gegen Ihr Unternehmen intrigiert und auch nichts mit den Rebellen zu tun... Mein Kind wurde beim Zusammensturz des Hauses verletzt... und es stirbt...“ Tränen begannen über ihr Gesicht zu laufen. „Bitte... bitte, Präsident Shinra, bitte helfen Sie uns!“ Die Vorwärtsbewegung war längst erlahmt. Alle Blicke lagen auf der immer noch am Boden knienden, in sich zusammengesunkenen Frau mit dem sterbenden Kind in ihren Armen. Es war ein kleines Mädchen, kaum älter als drei oder vier Jahre, ein niedliches Geschöpf in einem rosafarbenen, von kleinen Chocobos verzierten Kleidchen. Cutter fühlte ihr Herz förmlich dahinschmelzen, gleichzeitig verrieten ihr die Lines, dass es selbst den Turks nicht anders ging. Sie, das vermittelten die Lines ebenfalls, besaßen genug Möglichkeiten, um das Leben des Mädchens zu retten... Tseng wandte sich mit einem halblauten „Sir?“ an seinen Boss. Dieser reagierte nicht. Sein Blick, hart und kalt, lag auf dem sich ihm bietenden Szenario wie ein Fallbeil an einem sehr dünnen Seil, von dem niemand sagen konnte, ob es reißen würde oder nicht. Rufus Shinra hatte immer noch äußerst schlechte Laune, und die aktuelle Lage wirkte nicht gerade besänftigend. Niemals gegen sein Unternehmen intrigiert! Nichts mit den Rebellen zu tun! Ha! Hier unten gab es niemanden, der sich nicht schon auf die ein oder andere Art und Weise gegen ShinRa aufgelehnt hatte! Und jetzt wagte es auch noch solch ein armseliges, schwaches Wesen, ganz bewusst seinen Pfad zu kreuzen, ihn sogar aufzuhalten... Abgesehen davon, sich für einen anderen Menschen derart zu erniedrigen war etwas, das Rufus nicht einmal amüsant finden konnte. Alles in allem hielt er die Grenze seiner Freundlichkeit für mehr als überschritten! Die Waffe lag schneller in seiner Hand, als man es bei ihm hätte für möglich halten können. Laut hallten die beiden abgegebenen Schüsse von den Hauswänden wider. Rufus stieg mit einem großen Schritt über die leblosen Körper hinweg und setzte, flankiert von seinen Turks, den Weg fort, als sei nichts geschehen. Cutter stand da wie erstarrt. Zutiefst geschockt beobachtete sie, wie die Körper lautlos in den Lebensstrom zurückkehrten und, als letzte Erinnerung ihrer Existenz, nur zwei Blutpfützen auf dem Boden zurückließen. Der Teenager begegnete dem Tod bei Weitem nicht zum ersten Mal. Aber das hier... war anders. Unbändige Trauer begann, in ihr aufzusteigen. Und Wut, so heiß, dass Cutter glaubte, jeden Augenblick zu verglühen. Letztendlich war es auch diese Wut, die alle Vernunft, allen Respekt und alle Vorsicht beiseite fegte. Der Teenager schloss binnen weniger Sekunden zu der Gruppe um Rufus Shinra auf, wutschnaubend, überholte sie, wandte sich um und fauchte den Präsidenten der Electric Power Company an: „Warum haben Sie das getan?!“ Für einen Augenblick lang glaubte Rufus, zu träumen. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten war es jemandem gelungen, ihn aufzuhalten. Mehr noch! Man... ein Teenager aus den eigenen Reihen blockierte seinen Weg. Und schrie ihn an! „Sie war völlig unbewaffnet und absolut ungefährlich! Sie wollte nur ihr Kind retten! Was gibt Ihnen das Recht, sie einfach so zu erschießen?? Das war Mord! Selbst Sie können nicht einfach so...“ Rufus Shinra wusste genau, wen er vor sich hatte. Crescents seltsamen 2nd Lines Blue Wanderer, ein Wesen, dessen Fähigkeiten ebenso uneinschätzbar waren wie die von Jenova Projekt 1, etwas, das er in seiner Welt nur unter bestimmten Voraussetzungen duldete – und das gerade eine absolute Grenze überschritt, mit Taten, die nur eine einzige Antwort verdienten. Sein perfekt beherrschter Gesichtsausdruck veränderte sich nicht um einen Millimeter, als er zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit seine Waffe zog, auf das Hindernis vor ihm richtete... Später würde niemand mehr sagen können, woher die Rakete gekommen und ob sie gezielt abgeschossen worden war oder nicht. Aber sie existierte. Urplötzlich. Kollidierte mit einem Haus in unmittelbarer Nähe, verwandelte es in ein Inferno aus meterweit umherfliegenden Trümmerstücken und ließ die Umgebung in einer Staub- und Schuttwolke versinken. Es dauerte etliche Minuten, ehe sich die Auswirkungen des Raketeneinschlages weit genug gelegt hatten, um eine erste Überprüfung der aktuellen Lage vorzunehmen. Tseng erledigte dies mit gezogener Waffe und größter Genauigkeit, ehe er die Situation für stabil erklärte. Hinter ihm verließen die restlichen Turks zusammen mit Rufus Shinra das gewählte Versteck und traten nicht minder wachsam ebenfalls auf die Straße. Die Rakete hatte ganze Arbeit geleistet. Das Haus war völlig zerstört, immer noch rauchende Bruchstücke wie Puzzleteile mal haufenweise, mal einzeln über die gesamte Straße verteilt. Die Nebengebäude waren ebenfalls schwer beschädigt und drohten, einzustürzen. Rufus ließ den Blick über die erhebliche Zerstörung gleiten, suchte aber im Gegensatz zu den Turks nicht nach potentiellen weiteren Geschossen oder Gegnern. Letztendlich sagte er lediglich: „Gehen wir!“ – aber der darin verborgene Satz war jedem Turk klar. `Die Kleine hat mehr Glück als Verstand, oder ist schlauer, als sie aussieht.´ Tseng hätte gerne protestiert und zwei seiner Leute hier gelassen, um nach Tzimmek zu suchen. Wenn sie unter den schweren Trümmern verschüttet war, so mit Sicherheit schwer verletzt und hilfsbedürftig. Sie in diesem Zustand zurückzulassen war... unmenschlich. Andererseits, daran hatte er nach den/der eben verklungenen Aussage/n keinerlei Zweifel, würde Shinra sie nach einer erfolgreichen Bergung augenblicklich erschießen. Er duldete kein derart respektloses Verhalten ihm gegenüber. Auch nicht bei einem Teenager. Dann wiederum handelte es sich bei dieser Person um Tzimmek Cutter, die über außergewöhnliche körperliche Fähigkeiten verfügte. Vielleicht war ihr doch die Flucht gelungen. Nach allem, was Tseng über das Mädchen gehört hatte, eine denkbare Alternative. Einige Herzschläge lang ließ er seinen Blick über die Trümmer gleiten, suchte nach einer seine letzte Theorie bestätigenden Hinweis. Tseng war ein Profi. Ein Profi, der seine letztendlichen Ansichten aus unzähligen Details zusammensetzte. Sein Instinkt spielte dabei eine nicht ganz unwesentliche Rolle. Und diese zur Straßenseite hin zeigende, nur noch halb intakte Hauswand zog seinen Blick wie magisch an... Er setzte sich in Bewegung, wurde vor dieser etwas langsamer, passte seine Stimme der herrschenden Unauffälligkeit an... „Bleib in Deckung!“ Der Teenager hatte sich falsch und dumm verhalten - aber mit einer derartigen Energie wissentlich gegen den mächtigsten Mann ganz Gaias vorzugehen, bewies auch großen Mut. Außerdem gehörte sie zur Truppe. Und... es gab da noch etwas. Es war ihm schon in der Kanalisation aufgefallen. Dieser quirlige Teenager und der ewig distanzierte General... Irgendetwas... existierte zwischen ihnen. Zu schwach, um es näher bestimmen zu können. Aber dennoch vorhanden. Tseng hatte lange genug für ShinRa gearbeitet, um Dinge, die man besser ignorierte, als solche zu erkennen. Speziell dann, wenn sie Sephiroth betrafen. Der Mann gehörte zu den bestgehütetsten und mit Abstand tödlichsten Geheimnissen der Electric Power Company und hatte für alles, was er tat, eigene Gründe. Diesbezügliche unangebrachte Neugier war, als schaufele man sich sein eigenes Grab. Tseng plante nicht, das zu tun – würde den Beiden jedoch hin und wieder einen vorsichtigen Blick zuwerfen. Sofern Cutter wieder aus dem Grab, in dem sie `Dank´ ihrer emotionalen Aktion bereits mit einem Bein stand, würde klettern können. „Und kontaktier General Crescent!“ Denn wenn es jemandem gelang, sie zu retten, dann nur ihm. Tseng ließ die Hauswand hinter sich zurück und war schon bald hinter der nächsten Kurve verschwunden. Mit einem halblaut gemurmelten: „Das war´s“, beendete Cutter ihre Zusammenfassung und bereitete sich auf die schärfste Zurechtweisung ihres bisherigen Lebens vor. Einen Augenblick lang allerdings blieb es völlig still. Von außen wirkte Sephiroth wie jemand, der die gehören Worte verarbeitete, um die logischen Konsequenzen zu wählen. Innerlich jedoch – er hätte es niemals zugegeben, aber es entsprach der Wahrheit – war er schlicht und ergreifend sprachlos. Und so abgelenkt, dass er die nähere Umgebung nicht mit der sonstigen Wachsamkeit im Auge behielt. Ein extrem seltener Zustand. Und ideal für Rail, sich in die strategisch richtige Position zu bringen. Wie ein todbringender Schatten war sie Cutter durch das Gewirr der Straßen gefolgt, unaufhaltsam, unbemerkt und stets mit dem entsprechenden Sicherheitsabstand (was in diesem Fall `mehrere Straßen´ bedeutete). Ein derart leichtes Aufspüren hätte unmöglich sein müssen, denn Cutter besaß keine eigene Line... aber es gab ein Objekt, welches dieses Manko ausglich. Der Teenager hatte es immer bei sich. Es sollte sie schützen, ließ sie aber verwundbar werden. Und... sichtbar. Der einzigartige und daher linestechnisch so auffällige Schutzanzug. Rail hatte sich mehr als einmal gefragt, warum sich der Teenager über die Risiken, etwas so auffälliges immer bei sich zu tragen, nicht bewusst war, und, dass es sich bei `Sicherheit´ nur um eine Illusion handelte. Der Plan, sie bei Bedarf mit der Line des Anzugs aufzuspüren, bestand schon lange – und war heute zum ersten Mal in die Tat umgesetzt worden. Mit erwartetem Erfolg. Und Cutter, dieser dumme, naive Teenager, ahnte von nichts! Rail lächelte. Sie war ihrem Ziel so nahe, dass sie den Erfolg förmlich schon greifen konnte. Nur noch ein paar Sekunden... Sie hob vorsichtig ihre winzige, optisch und linestechnisch unauffällige Waffe und visierte das Mädchen an. „Du hast Shinra angeschrieen?“, erkundigte sich der nur wenige Meter von Rails Versteck stehende Sephiroth endlich eisig. „Ich vermute, mit dem für dich typischen Enthusiasmus!“ „Volle Lautstärke“, murmelte Cutter. Dann allerdings kehrte die vorher empfundene Wut zurück. „Er hatte kein Recht, diese Frau und ihr Kind zu erschießen, bloß weil...“ „Verdammt noch mal“, unterbrach Sephiroth mit einer Wut, die sich selbst für ihn unmöglich zügeln ließ, „hast du es immer noch nicht begriffen?! Leute wie Rufus Shinra müssen kein Recht haben! Sie nehmen es sich einfach!“ „Das Mädchen war noch keine fünf Jahre alt!“, fauchte Cutter unerschrocken zurück. „Sie hat ihm nichts getan!“ „Sie war ihm im Weg.“ Es lag ihm völlig fern, Rufus Shinra zu verteidigen. Aber es war ihm wichtig, Cutter verständlich zu machen, wie skrupellos der Präsident der Electric Power Company wirklich war. Für gewöhnlich hätte der Teenager dies sofort verstanden. Jetzt aber war sie in Rage. „Das ist kein Argument!! Ich gehe auch nicht mit einem MG einkaufen, bloß weil ich an der Kasse gleich drankommen will!“ Verzweiflung mischte sich in ihre Stimme. „Wir arbeiten für einen Mörder, einen gewissenlosen, kaltherzigen, menschenverachtenden Bastard!“ In ihrem nahezu perfekten Versteck hatte Rail jedes Wort der bisherigen Unterhaltung gehört. Jetzt schloss sie die Augen und ließ den Kopf langsam auf den Stein vor ihr sinken. Lächelte gequält. Ja, das ist er. Sie alle. Dass diese Erkenntnis ausgerechnet von dir kommt, Cutter-chan, wundert mich allerdings... Du hast ShinRa so treu und begeistert gedient, dass ich nicht umhin kam, dich zu hassen. Ich dachte, du hättest dich in diesen kranken Überzeugungen wiedergefunden. Aber jetzt... beginne selbst ich, daran zu zweifeln. „Du hast `gierig´ vergessen“, ergänzte Sephiroth ruhig. „Willkommen bei ShinRa! Im übrigen wundert es mich sehr, dass er dich nicht hat ausgraben lassen, um dich eigenhändig zu erschießen.“ Vor ihm ließ sich Cutter erschöpft auf einen der Trümmerbrocken fallen und schüttelte müde den Kopf. „Er wollte gerade abdrücken. Die Rakete hat mich gerettet.“ „Und wo befinden er und die Turks sich jetzt?“ „HQ.“ Abermals schüttelte sie den Kopf und wisperte dann kaum hörbar: „Das wollte ich nie! Mich so benutzen lassen. Tatenlos mit ansehen, wie andere Menschen grundlos sterben. Alles nur, weil ich diese verdammten Lines sehen kann und ShinRa auf ganz Gaia das einzige Unternehmen ist, das etwas damit anfangen kann!! Ich wünschte, ich wäre ihnen niemals begegnet!“ Verborgen in all dem Schutt, und mittlerweile sitzend, ließ Rail ihren Kopf hart an die Wand hinter sich fallen. Cutter-chan... ich habe dich unterschätzt. Du bist nicht naiv. Du weißt, was Leid ist. Und du bist genauso unglücklich und traurig, so zerrissen, gefesselt und hoffnungssuchend wie ich. Wären wir uns unter normalen Umständen begegnet... vielleicht hätten wir Freunde werden können. „Aber du bist ihnen begegnet“, hörte sie Sephiroth ruhig antworten. „Und sie dir. Damit musst du leben. Oder kapitulieren.“ „Niemals!“, murrte der Teenager. „Dann bleibt dir nur, die Konsequenzen deiner Handlung zu tragen.“ „Da tue ich!“, knurrte Cutter. „In jeder einzelnen, verdammten Sekunde! Ich verrate mit jeder Mission hier in den Slums Menschen, die mir vermutlich niemals etwas getan haben, oder helfe zumindest dabei, sie zu fangen! Ich bringe Leid über Personen, die ebenso für eine Zukunft kämpfen, wie ich!“ Wesentlich verzweifelter fügte sie hinzu: „Diese Leute hier, wir, und sogar die Rebellen... Wir sind uns so ähnlich! Und ganz im Ernst: Ich kann diese Platte auch nicht ausstehen! Ginge es nach mir...“ „Es steht dir frei, die Fronten zu wechseln“, unterbrach Sephiroth mit beinahe beängstigender Ruhe. „Ich will die Fronten gar nicht wechseln! Ich habe es nur so satt, gegen Menschen zu kämpfen, die mir höchstwahrscheinlich niemals etwas Böses getan haben. Gibt es denn wirklich keine andere Möglichkeit, Frieden in diese Stadt zu bringen, außer unserer Methode?“ Cutter-chan, dachte Rail, ich nehme alles, was ich jemals über dich gesagt oder gedacht habe, zurück. Du hast das Herz am rechten Fleck. Jetzt bin ich ganz sicher, dass wir, unter anderen Umständen, Freunde geworden wären. Und sieh dir Sephiroth an. Er diskutiert mit dir, statt dich scharf zurecht zu weisen. Er hat sich verändert. Vielleicht ist mein ganzer Plan völlig unnötig, und die Dinge fangen schon an, in die richtigen Bahnen zu laufen? Sephiroth sah zu seinem Ghost Walker hinüber und erwiderte ihren hoffungsvollen Blick, ohne auch nur eine einzige Silbe seiner eigenen Gedanken zu verraten. Er wusste: Cutter behandelte alle Menschen so, wie sie selbst gerne behandelt werden wollte, und nichts auf der Welt fiel ihr schwerer, als ihnen unprovoziert Schaden zuzufügen. Es war einer ihrer menschlichsten Wesenszüge. Ihm hingegen fiel alles auch nur im entferntesten in diese Richtung laufende schon schwer. Und auch, wenn er dabei war, diesen Zustand zu ändern... Jetzt, mitten in einer Schlacht, war nicht der richtige Zeitpunkt dafür! Das völlig unerwartete `Aaachtung!´ des Generals, bestechend durch Kälte und Härte, ließ Rail und Cutter gleichermaßen zusammenzucken. Während die Rebellenführerin blitzschnell eine Position einnahm, die ihr eine erneute Überwachung der Lage gestattete, kam der Teenager, dem vergangenen in Fleisch und Blut übergegangenen Drill gehorchend, augenblicklich auf die Füße und nahm unter dem vernichtenden Blick des sie kommandierenden Offiziers Haltung an. „Ghost Walker Tzimmek Cutter!“ Sephiroths Stimme glich, obwohl er nur flüsterte, einem wahren Orkan aus Strenge und Härte. „Du bist Teil von ShinRa und stehst unter meinem Kommando! Das bedeutet: Du wirst meinen Befehlen gehorchen, bedingungslos! Kündige oder stirb – eine andere Möglichkeit, mir und ShinRa zu entkommen, gibt es nicht! Haben wir uns verstanden!“ In ihrem Versteck schloss Rail die Augen und lächelte gequält. Ja, dachte sie, du hast dich verändert. Aber noch nicht genug... Es tut mir nur leid um Cutter. Jetzt. Vielleicht... hätte ich einen noch besseren Plan ausarbeiten können. Aber jetzt gibt es nur diesen einen. Und ich werde ihn in die Tat umsetzen. Tut mir leid, Cutter-chan. Draußen bestätigte der in die Enge getriebene Teenager, die Worte des Generals völlig verstanden zu haben. „Dann entscheide dich, ob du den eingeschlagenen Weg weitergehen willst!“, befahl dieser. „Jetzt!“ Wenn sie jetzt kündigt..., dachte Rail, was dann? Sie weiß zuviel. Und sie braucht einen Job! Sich `Liberation´ anzuschließen, wäre die einzig denkbare Alternative. Sephiroth weiß das! Er wird es mit allen Mitteln zu verhindern wissen. Und das heißt, das er sie töten wird. Vielleicht... wenn ich ihn angreifen und ablenken würde... Cutter ist verdammt schnell. Vielleicht könnte sie flüchten... Unsinn! Niemand (außer mir) entkommt General Sephiroth Crescent! Aber... sie könnte es wenigstens versuchen... In Cutters Kopf waren alle Gedanken erstarrt. Sie befand sich nicht zum ersten Mal in einer solch schicksalsentscheidenden Situation – aber wie üblich war diese zu plötzlich über sie hereingebrochen. „Ich... ich...“ „Das hier ist das Militär, Cutter!“ Die Schärfe in der Stimme des Generals war mit nichts zu vergleichen. „Es funktioniert ausschließlich nach dem `Befehlen und Gehorchen´ Prinzip! Hör auf, so zu tun, als sei dir das nicht vollständig klar!“ Und, fügte er in Gedanken hinzu, wag es nicht, etwas anderes zu sagen als `Ich bleibe´, sonst werde ich... ich werde... Vor ihm schnaubte der Teenager leise und lächelte geschlagen, traurig... Trotz aller positiver Entwicklungen – es gab nach wie vor keine Alternative zu ShinRa. Und das wussten beide. „Wo soll ich denn sonst hin, Sir?“ „Vergiss das niemals!“ Er machte eine kurze Pause. „Dein unangebrachtes Verhalten Präsident Shinra gegenüber wird zwar keine Kündigung, aber dennoch harte Konsequenzen nach sich ziehen. Du hast Erlaubnis, wegzutreten und bis auf weiteres dein Quartier im HQ aufzusuchen!“ Cutter nickte, salutierte und setzte sich niedergeschlagen in Bewegung. Sephiroth sah ihr nach. Er konnte sich nur zu detailliert vorstellen, wie ihr Protest abgelaufen war. Den mächtigsten Mann ganz Gaias anzuschreien... Noch dazu vor Zeugen... Allesamt Leute, die dich mit einer einzigen Handbewegung töten könnten... Wirklich, das bringst nur du fertig. „Cutter?“ Der Teenager hielt inne, wandte sich um. Für einen Augenblick glaubte sie, sich verhört zu haben, denn Sephiroths Gesichtsausdruck änderte sich nicht – und wurde dann innerhalb eines Sekundenbruchteils zu einem fast stolzen Grinsen. „Ich hätte gerne gesehen, wie du ihn angeschrieen hast!“ Cutter blinzelte verblüfft – dann aber erwiderte sie das Grinsen. „Soll ich dich nächstes Mal vorher anrufen?“ „Damit ich dich davon abhalten kann.“ Er schüttelte den Kopf. „Meide auf deinem Rückweg die Lines der Turks und speziell die Shinra´s. Er würde dich augenblicklich erschießen. Am besten, du... schleichst zurück.“ „Auf leisen Pfoten.“ „Auf ganz extrem leisen Pfoten.“ Cutter nickte, gleichzeitig sah sie die Straße hinunter. „Der Kampflärm wird wieder lauter.“ „Sie werden bald hier sein. Meide Kämpfe ebenso. Und jetzt verschwinde endlich!“ Er sah zu, wie Cutter grinste, nickte, den Weg zurück ins HQ wieder aufnahm und begann seinerseits, auf die immer näher kommende Geräuschkulisse zuzugehen. Gemessen an dieser war die Wut der Slumbewohner im Laufe der vergangenen Stunden nicht weniger geworden. Ganz offensichtlich hatten sie sich in den Kampf hineingesteigert und waren fest entschlossen, nicht aufzugeben. Genau wie wir, dachte Sephiroth. Nur, dass wir definitiv siegen werden...! Er hatte etwa 20 Schritte hinter sich gebracht, als er das Geräusch hinter sich hörte. In all dem sich nähernden Lärm fiel es sofort auf: Es war zu leise. Und ihm folgte ein neuer Klang, vertraut und unverwechselbar. Der eines zusammenbrechenden Körpers. ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ Warnung/Hinweis: ** Vorletztes Kapitel ** Kapitel 36: Verluste -------------------- In ihrem Versteck ließ Rail Tyrers Vermächtnis, ein Blasrohr hergestellt aus linestechnisch in den Slums nicht weiter auffallenden Materialien, langsam sinken. Sie hatte einen perfekten Treffer erzielt. Am Hals, knapp oberhalb des hohen Kragens. Eine der wenigen, nicht durch den schwarzen Anzug geschützten Stellen. Das Resultat aller Planung. Und jetzt würde der Teenager innerhalb weniger Minuten sterben. Einige Schritte entfernt wandte Sephiroth den Kopf. Langsam, fast so, als erschien ihm das gehörte Geräusch zu absurd, um es näher zu überprüfen. Gleichzeitig nahm er wahr, wie sich sein Herz an Cutters Versprechen, nicht zu sterben, klammerte. Sie würde mich niemals anlügen! Du hast dich verhört! Sie ist ok! Sie ist... Cutter lag bewegungslos am Boden, stiller, als sie es jemals hätte werden dürfen, das Gesicht von ihm abgewandt. Sephiroth brauchte nur wenige Sekunden, um sie zu erreichen, sich neben ihr auf die Knie fallen zu lassen und den Teenager nicht fest, aber dennoch deutlich spürbar zu schütteln. „Cutter! Cutter!!“ Aber sie reagierte nicht. Ihre Augen waren geschlossen, ihr Atem ging flach und stoßweise. Das vorhin gehörte Geräusch... Irgendetwas musste sie getroffen haben! Was? Und wo? Der winzige Pfeil steckte noch. Sephiroth zog ihn heraus und erstarrte. Er kannte diese Sorte Pfeile. Für gewöhnlich wurde damit eine ganz bestimmte, tückische und extrem schnell wirksame Waffe ans Ziel gebracht: Gift. Sephiroth fletschte die Zähne. Er besaß einen Gift neutralisierenden Ring – in seinem Appartement und somit nutzlos. Was blieb an Alternativen? Nur der Transport ins ShinRa HQ, und das so schnell wie möglich, aber, um die fremde Substanz nicht noch schneller im betroffenen Organismus zu verteilen, ohne den Körper mehr als nötig zu bewegen. Zuerst allerdings... Potions und Materia neutralisierten das Gift zwar nicht, aber mit Sicherheit würden sie die Widerstandsfähigkeit des Teenagers stärken. Es ging ihr schon jetzt schlechter als noch vor wenigen Sekunden. Sephiroth flößte dem Mädchen schnell, aber ohne grob zu werden, etwas Potion ein... aber eine Besserung ihres Zustandes blieb aus. Das Gift war zu stark. Blieb nur noch Materia. Die neue Materia. Die Materia, der er von Anfang an nicht getraut hatte. Jetzt war sie seine letzte, trügerische Hoffnung. Sephiroth aktivierte sie. Nur wenige Augenblicke später bewahrheiten sich alle seine Befürchtungen. Die Materia funktionierte nicht. Er versuchte es ein zweites und drittes Mal. Ohne Erfolg. Die ihm vorher von Cutter übergebene, alte Materia fiel ihm wieder ein. Vielleicht war sie nicht völlig leer. Vielleicht war noch genug übrig, um eine Besserung zu bewirken... wenigstens für ein paar Minuten... „Bitte...“, wisperte er nur für sich hörbar und aktivierte den Zauber. Die Materia begann zu glühen... flackerte... und wurde wieder dunkel. Shinras Rettung hatte ausnahmslos alles an Energie verbraucht. Sephiroth verhielt völlig bewegungslos einen Augenblick, ging seine Optionen durch... und wurde von jähem Entsetzen erfasst, als ihm klar wurde, dass es keine mehr gab. „Nein!“, wisperte er kopfschüttelnd. „Nein!“ Aber sein Protest verging wirkungslos. Und Sephiroth begriff, dass er nichts mehr für Cutter tun konnte, außer, sie nicht alleine zu lassen. Behutsam rückte er näher und brachte den Kopf des Mädchens in seiner Armbeuge zum Liegen. Lange würde... es... nicht mehr dauern. Und ich kann nichts tun... Ich sollte etwas für dich tun können, dich retten... Tu mir das nicht an, Cutter! Ich wollte doch mit dir reden... und ich habe immer noch deinen MusicPlayer... Außerdem... „Du hast mir versprochen, nicht zu sterben...“, flüsterte er. „Und ich habe dir geglaubt! Bitte... bitte brich dein Wort jetzt nicht...“ Der Schmerz in seinem Inneren nahm eine Intensität an, die Sephiroth niemals für möglich gehalten hätte. Nicht bei sich. Unwillkürlich umfasste er den Körper in seinen Armen fester, als könne er diesen so davon abhalten, zu verschwinden. Gleichzeitig fragte er sich, wann es angefangen hatte. Wann es diesem verdammten, vom Himmel gefallenen Teenager gelungen war, sich in sein Leben einzumischen und es derart durcheinander zu bringen. Ich habe mir niemals etwas wie dich gewünscht. Aber du bist trotzdem aufgetaucht... Einfach so. Habe ich dich vielleicht doch gerufen? Unbewusst? Du hast mein Leben verändert. Ich habe mich verändert. Alles ist in Aufruhr. Wag es nicht, mich in diesem Chaos alleine zu lassen... Ich kann es nicht beherrschen, so wie andere Dinge. Es beherrscht mich! Warum? Und warum fühle ich so für dich, sorge mich um dich, will nicht, dass du verschwindest? Weshalb bist du mir nicht so egal wie andere? Warum? Und dann wusste er es. Die Erkenntnis, die Wahrheit, die Antwort auf alle Cutter und ihn betreffenden Fragen war so plötzlich da, als habe sie nur darauf gewartet, von ganzem Herzen gerufen zu werden. „Geh nicht weg“, wisperte Sephiroth. „Du... bedeutest mir etwas...“ So wichtig und einzigartig diese Erkenntnis für ihn war – sie kam zu spät. Cutters sonst so warmer Körper fühlte sich eisig an. Ihr Atem ging unregelmäßig und schwer, ihre Haut war von fahlem Grau und schweißbedeckt. Und hören? Konnte sie ihn überhaupt noch hören? Sephiroth wusste es nicht. Er wusste nur, dass ihn keine Macht dieser Welt von diesem Platz wegbewegen würde. Nicht einmal die immer näher kommenden Kampfgeräusche. Und auch nicht die eben in diese Straße einbiegende Rebellengruppe. Sie eröffneten sofort das Feuer. Sephiroth griff wie in Trance nach Masamune und begann, die Kugeln abzuwehren, im sitzen, ohne den Blick von Cutter zu nehmen und sich somit blind auf seinen Instinkt verlassend. Mit Sicherheit würde er auf diese Art und Weise nicht alle Kugeln von sich fernhalten können. Aber keine einzige würde seinen Ghost Walker berühren! Warum, dachte er, habe ich es nicht früher verstanden? Wie konnte ich so dumm und blind sein? Es hätte doch niemand erfahren müssen. Es wäre ein... unser Geheimnis gewesen. Und jetzt... Die erste Kugel traf, aber er nahm den Schmerz kaum wahr. Durch Cutters Körper pulsierte erstes, wie lebendig wirkendes Grün des Lebensstromes, der sie abholen und in einer Welt abzusetzen würde, die von dieser hier endlos weit entfernt war. Und von mir, dachte Sephiroth. Das ist alles meine Schuld! Ich hätte dich niemals hierher mitnehmen dürfen! Ich hätte dich im HQ, in Sicherheit, lassen und einen anderen Weg zu Shinra finden müssen! Es wäre niemals... Mit einem Mal nahm er die um sich herum herrschende Stille wahr. Er wusste nicht, wie lange sie schon existierte – aber sie hielt an. Wirkte seltsam fehlplatziert. Unnatürlich. Wie... etwas mit Gewalt herbeigeführtes. Nein, nicht `Gewalt´. Mehr wie... eine erhörte Bitte. Und Cutters Körper in seinen Armen... Das Grün des Lebensstromes war immer noch vorhanden. Es pulsierte sanft – wurde jedoch nicht stärker. Fast, als wartete es auf etwas. Sephiroth hob suchend den Kopf... und duckte sich eine Millisekunde später blitzartig, um der auf ihn zurasenden Kugel auszuweichen. Er wartete auf das Geräusch des Aufschlages irgendwo hinter ihm. Aber es blieb aus. Langsam, ganz langsam setzte sich der General wieder auf – und verhielt in jähem Erstaunen. Die Kugel befand sich nur wenige Zentimeter von seinem Kopf entfernt, auf unmittelbarer Augenhöhe. Aufgehalten mitten in der Bewegung. Und nicht nur sie. Alles war erstarrt. Die auf ihn zustürmenden Rebellen, alle in seine Richtung abgefeuerten Kugeln, aufsteigender Rauch, selbst der Lichtschein einer weiter hinten stattgefundenen Explosion. Es glich einem bizarren Gemälde, von dem man Teil und Zuschauer gleichermaßen war. Irgendjemand, dachte Sephiroth irgendwann, hält die Zeit an. Aber welches Wesen besitzt eine solche Macht? Er streckte die Hand nach der vor ihm schwebenden Kugel aus und versuchte, sie aus der Bahn zu bringen. Erfolglos. Wenn jemand die Zeit und mit ihr jede Aktion anhält – weshalb bin ich nicht davon betroffen? Eine Bewegung am äußersten Bereich seiner Wahrnehmung ließ seinen Kopf herumrucken, Masamune heben... Der schwarze Hund kam wie zufällig durch die Trümmer gelaufen, schnüffelte hier und dort, hielt inne, fletschte kurz die Zähne bei Sephiroths Anblick... und dessen Augen weiteten sich in ungläubiger Verblüffung. Ich kenne... diesen Hund? Es ist derselbe wie von vorhin. Nein, er... kommt mir... auf eine andere Art bekannt vor. Damals, im Dschungel, gab es auch einen schwarzen Hund... Er sah diesem hier verblüffend ähnlich... Aber es kann doch unmöglich derselbe sein?! Wenn es derselbe ist, würde das bedeuten, dass sie hier ist, und... „So sehen wir uns wieder.“ Die Stimme klang wie sanft aufsteigender Nebel. „General Sephiroth Crescent.“ Diesmal wandte Sephiroth langsamer den Kopf. Sie stand am anderen Ende des Trümmerfeldes und... stand sie wirklich? Für einen kurzen Augenblick war sich der General fast sicher, dass sie schwebte. Aber ansonsten hatte er keine Zweifel. Die wie weicher Flaum aussehenden Gewänder. Und der Stab, dieser seltsame Stab von der Farbe des Vollmondes, in zwei Varianten gegabelt, eines kurz und rund zulaufend, das andere wesentlich aggressiver, höher und verdreht wie das Muster eines in die Länge gezogenen Schneckenhauses, mit einer gefährlich aussehenden Spitze. Und die von ihr ausgehende Aura... zu friedlich für etwas wie diesen Schauplatz oder Gaia allgemein. Aber dennoch existent. „Du?“ Obwohl er nur flüsterte, schien seine Stimme laut durch die Straße zu hallen. Und Cutters geheimnisvolle Retterin aus dem Dschungel, die mit Abstand letzte Person, mit der Sephiroth jetzt gerechnet hätte... nickte. Dutzende von Fragen formulierten sich hinter der Stirn des Generals. Aber nur eine von ihnen war jetzt von Bedeutung. „Kannst du sie retten?“ Es war ihr schon einmal gelungen. Und wozu hätte sie sonst herkommen sollen? Aber sie schüttelte den Kopf. „Nein.“ „Nein? Aber...“ „Sie kann sich nur selbst retten. Genau wie du.“ „Wie ich? Was willst du schon über mich wissen!“ „Ich weiß alles über dich, Sohn von Lucrecia Crescent und Hojo. Weil der Planet alles über dich weiß. Du musst deine Kämpfe alleine austragen, um die Antworten zu bekommen, nach denen du dich so sehnst. Und Cutter ab jetzt ebenso.“ Sephiroth schüttelte in unerwünschter Verwirrung den Kopf. Der Planet selbst wusste alles über ihn? Und wer, um alles in der Welt, war `Lucrecia´? Der Name seiner Mutter war `Jenova´... Dann fiel ihm auf, dass die Frau `Und Cutter ab jetzt ebenso´ gesagt hatte. Ab jetzt? Ging es doch irgendwie weiter? Aber sie hatte doch gerade gesagt... „Wenn du ihr nicht helfen kannst...“ „Ich sagte nicht“, unterbrach sie leise, „dass ich ihr nicht helfen kann, General. Nur, dass ich sie nicht retten werde.“ Er musste zugeben, dass dies stimmte. Aber es machte die Situation weder besser, noch schlechter. Dann fiel ihm ein, dass unsinnige Antworten oft an unsinnigen Fragen lagen. Er zwang seine Gedanken zur Ruhe, formulierte... „Weshalb bist du hier?“ „Ah.“ Sie lächelte. „Das war eine gute Frage. Ich bin hier, um eine Alternative zum Sterben darzustellen.“ „Kannst du dich etwas klarer ausdrücken?“ Ihr nachsichtiges Schweigen gab überdeutlich zu verstehen, dass er eine falsche Frage gestellt hatte. „Was für eine Alternative? Leben?“ „Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Cutter muss die Entscheidung, ob sie ein weiteres Mal mitkommen möchte, alleine treffen. Ganz alleine! Nur dann ist sie gültig. Aber wenn sie sich für mich entscheiden – wirst du sie gehen lassen können?“ „Wird sie zurückkommen?“ Schweigen. „Werde ich sie wiedersehen?“ Schweigen. „Du weißt genau, was ich meine! Welche Frage muss ich dir stellen, um eine Antwort zu bekommen??“ „Es gibt Fragen, die kann man gar nicht stellen, General Sephiroth Crescent. Diese gehört dazu. Die Zukunft ist voll von Möglichkeiten, und niemand kennt sie alle. Es sind einfach zu viele... Wenn du Cutter gehen lässt, hast du... Hoffnung. Ansonsten bleiben dir nur Erinnerungen an etwas für immer Verlorenes; und die Frage `Was wäre gewesen, wenn´, die du niemals wirst beantworten können. Nur eines steht fest, egal, wie du dich entscheidest: Du kannst sie weder führen, noch, ihr Befehle erteilen oder sie begleiten. Du kannst sie nicht mehr beschützen.“ Es ist dir unmöglich, sie zu führen, ihr zu sagen, was sie tun soll, oder sie zu begleiten. Du kannst sie nicht mehr beschützen.“ Sephiroth ließ den Kopf sinken. Sah zu Cutter, deren sterben keinesfalls besiegt, sondern nur einen Moment lang aufgehalten worden war. Zögerte. Kämpfte. Und nickte schließlich kaum merklich. „Du darfst sie auf keine Art und Weise beeinflussen. Wenn du diese Regel brichst, wird dein Ghost Walker in jedem Fall sterben.“ So sanft die Stimme der Frau klang, die dahinterliegende Ernsthaftigkeit war klar zu verstehen. „Bist du bereit?“ Obwohl er sich keinesfalls bereit fühlte – er nickte abermals kaum merklich. Wenige Sekunden später senkten Hände, die sowohl alt als auch jung zu sein schienen, den mondlichtfarbenen Stab, bis beide Enden den Boden berührten, ein Kontakt, der eine einzelne Welle auf rein emotionaler Ebene auslöste. Sephiroth spürte sie anrollen, brechen, durch sich hindurchschäumen und fühlte ihrem Verschwinden nach, ohne eine Auswirkung auf sich wahrzunehmen. Cutter aber zuckte heftig zusammen... und öffnete mühsam blinzelnd die Augen. Die ihren Blick prägende Benommenheit machte überdeutlich, wie nahe sie dem Lebensstrom bereits war und wie schwer es ihr fallen musste, unter diese Umständen wach zu bleiben. Aber sie kämpfte um ihr Bewusstsein – und gewann. Sah auf und erkannte ihn. Lächelte noch halb schlafend. „Hi“, wisperte Sephiroth und kämpfte gleichzeitig mit aller Kraft gegen den drängenden Wunsch, mehr zu sagen... so viel mehr... Cutter blinzelte müde. Sie wusste nicht genau, was passiert war, warum sie auf dem Boden lag, oder weshalb all ihre Sinne in dieser seltsam dumpfen, aber scheinbar unbedrohlichen Benommenheit verweilten. Aber Sephiroth war hier. So schlimm konnte es also gar nicht sein oder werden. Fast zufrieden und ohne Scheu kuschelte sie sich enger an den warmen Körper in ihrer unmittelbaren Nähe. So... war es gut. Friedlich. Und alle Schrecken, alle Kämpfe, aller Tod und alle Ungerechtigkeiten waren weit, weit weg... Sie schloss die Augen. Die winzige Bewegung ließ das ihren Körper durchziehende Glühen intensiver werden, die Konturen mehr und mehr verschwimmen, machte überdeutlich, dass nicht mehr viel Zeit blieb... Und Sephiroth war es untersagt, beeinflussend einzugreifen. Ihm blieben nur Gedanken, unwissend, ob es dem mehr und mehr verglühenden Leben möglich war, sie auf irgendeine Art und Weise zu empfangen. Nicht einschlafen, Cutter!! Du musst jetzt wach bleiben! Und kämpfen! So, wie immer! Komm schon, Ghost Walker! Wo ist dein Enthusiasmus? Bitte, Cutter, du darfst dich nicht ergeben! Bleib wach!! Für Cutter fühlte es sich an, als sinke ein Teil von ihr langsam und beständig immer tiefer und tiefer. Ein beruhigendes Gefühl. Wie der kurze Moment vor dem Einschlafen, an den man sich sonst nie erinnerte. Jetzt schien er ewig zu dauern. Eine völlig neue Erfahrung. Und vielleicht war es nur sie, welche die einem jeden Lebewesen geschenkte Fähigkeit, Argwohn zu empfinden, in Cutter erwachen ließ. Irgendetwas hier... ist... nicht richtig, dachte das Mädchen irgendwann mühsam. Aber... was? Ich bin... so müde... so endlos müde... Bilder begannen, an ihrem geistigen Auge vorbeizuziehen wie auf einer großen Kinoleinwand, und Cutter verfolgte sie aufmerksam – bis sie diese als Szenen aus ihrem eigenen Leben erkannte. Ah, dachte sie. Das... stimmt nicht. Ich sollte... das nicht... sehen. Ich träume wohl. Oder? Aber ich... war doch gerade noch... im Einsatz... Ich sollte... alles möglich tun, aber... das hier gehört... nicht dazu. Und Sephiroth... das hier ist Sephiroth, richtig? Er hält mich... im Arm. Was schön ist. Aber auch nicht... richtig. Und er hat `Hi´ gesagt. Er hat noch nie `Hi´ gesagt! Was ist hier eigentlich los?! Sie öffnete ruckartig die Augen. Ja!, dachte Sephiroth mit unwillkürlich einsetzender Erleichterung. Gut so! Weiter! Cutter sah zu ihm auf. Die Benommenheit in ihrem Blick war nach wie vor existent – aber jetzt bekam sie Risse. Fragen kämpften sich ihren Weg an die Oberfläche. Der Teenager versuchte zu sprechen, aber kein Laut kam über ihre Lippen. Ihre jetzt fast vollständig klaren Augen allerdings übermittelten die blockierten Worte klar und deutlich. Du hältst mich im Arm? Was ist passiert? Warum kann ich nicht sprechen? Warum redest du nicht mit mir? Bist du sauer? Was habe ich diesmal angestellt? (Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, nichts angestellt zu haben...) Erklär es mir, du hast für alles eine Erklärung, bitte!! Ich darf nichts sagen, dachte Sephiroth verzweifelt. Jedes Wort, jeder Hinweis wird deinen endgültigen Tod herbeiführen... Du musst es selbst begreifen! Du musst einfach... Wenn ich dir nur irgendwie helfen könnte... Aber das war nicht nötig. Erstauntes Entsetzen raste, auch für ihn deutlich spürbar, durch den Geist des Teenagers. Nur einen Augenblick später hob sie den Arm. Starrte auf das ihn füllende, jetzt wieder etwas sanftere Glühen und Pulsieren des Lebensstromes. Und sah abermals zu Sephiroth auf. Ich... sterbe... Ich sterbe?! Wieso? Was ist passiert? Ich will nicht sterben, ich bin gerade mal 16 Jahre alt! Das ist zu früh! Wieso unternimmst du nichts, Sephiroth-sama? Willst du nicht? Nein. Nein, du... du kannst nicht, oder? Warum? Bitte, dachte der General, bitte, sieh einfach nur über die Trümmer, und du wirst alles verstehen... Und als hätte Cutter seine Gedanken gelesen, wandte sie den Kopf. Erstarrte. Krallte ihre Hände in seine Uniform. Sah wieder zu ihm auf, fragend, haltsuchend, Antworten förmlich erflehend... Geh, dachte Sephiroth so sanft und gleichzeitig drängend wie möglich. Und sieh dich nicht um. Nicht nach mir. Nicht nach deiner Vergangenheit. Sieh nur nach vorne. Zu ihr. In die Zukunft. Damit du und ich uns wiedersehen können... irgendwann... und es besser machen.... irgendwie... Vor allem ich. Abermals sah das Mädchen über das Trümmerfeld. Ihr Verstand suchte noch nach Erklärungen. Aber ihre Seele hatte längst begriffen. Jenseits all dieser Zerstörung stand nicht einfach nur eine flüchtige Bekannte, die seltsam, aber nicht bedrohlich zu sein schien. Jenseits all dieser Zerstörung stand die letzte Chance. Ihre. Und Cutter wusste, dass sie zu ihr gelangen musste. Mit größter Anstrengung schaffte sie es, ihre Hand auf den immer noch über ihrem Bauch befindlichen Arm zu legen, versuchte, ihn zur Seite zu schieben. Für einen Augenblick sah es so aus, als seien ihre Bemühungen vergeblich. Aber dann glitt der Arm zur Seite, langsam, als kosteten die Bewegung und damit verbundene Entscheidung endlose Mühe. Cutter versuchte aufzustehen – und scheiterte. Sephiroths Hände zuckte automatisch nach vorne – einen Millimeter, bevor er die Selbstkontrolle zurückerlangte, wissend, dass er nichts tun durfte, hoffend, dass der minimale Ausrutscher ohne Folgen bleiben würde... Vor ihm hielt der Teenager inne, schaffte es mühsam auf die Knie, versuchte abermals, auf die Beine zu kommen, scheiterte erneut... und begriff, dass dieser Körper jetzt anderen Gesetzen gehorchte. Gesetzen, denen sie sich anzupassen hatte, wenn sie dennoch vorwärts kommen wollte. Hier blieb nur eine einzige Möglichkeit. Mit größter Kraftanstrengung arbeitete sich Cutter auf alle Viere und begann, sich unter Einsatz aller noch vorhandenen Kraftreserven vorwärts zu bewegen, langsam, Zentimeter um Zentimeter. Immer wieder verloren Teile ihres Körpers, bemüht in den Lebensstrom zurückzukehren, ihre Festigkeit, immer wieder wurde das Mädchen gezwungen, inne zu halten, eine Stabilisierung abzuwarten, zu erkämpfen, zu erflehen, bis ihr die Gnade, der Sieg, das Mitleid für weitere Bewegungen gewährt, zugestanden, geschenkt wurde. Diese aufdiktierten Pausen nutzen, um sich einfach fallen zu lassen und liegen zu bleiben, die Augen zu schließen und diese Welt zu verlassen... Nicht schien sinnvoller, lockender und erstrebenswerter zu sein. Aber auch nichts endgültiger. Sephiroth spürte, wie der Wunsch, zu schlafen und der Wunsch, zu überleben gegeneinander in Cutter kämpften, sich förmlich ineinander verbissen, abließen, um Kraft zu sammeln und die zugefügten Wunden zu heilen und sich abermals aufbäumten, um mit noch größerer Wucht aufeinander zu prallen, immer wieder und wieder, bestrebt, den anderen rettungslos zu unterwerfen, ein endlos scheinender, kräftezehrender Kampf um eine einzige Seele. Es war einer der wenigen Momente seines bisherigen Lebens, in denen Sephiroth alles darum gegeben hätte, helfend einzugreifen. Aber so blieb ihm nur, sie lautlos mit aller ihm zur Verfügung stehenden, mentalen Kraft anzufeuern. Es schien Jahre zu dauern. Aber irgendwann erreicht Cutter ihr Ziel, brach davor zusammen und blieb bewegungslos liegen. Die Frau ließ sich in die Hocke sinken und streichelte, kaum merklich lächelnd, sanft über den Kopf des völlig erschöpften Mädchens. Gleichzeitig begann der Stab in ihrer Hand zu leuchten. Die Intensität nahm mit jeder Sekunde zu und wurde irgendwann so stark, dass Sephiroth die Augen schließen und wegsehen musste. Und als er nach nur wenigen Sekunden wieder hinsah, waren beide fort. Nicht einmal der bis vor einer Sekunde noch emsig um die Steine herumschnüffelnde Hund war geblieben. Es schien, als seien die letzten Augenblicke niemals... Purer Instinkt ließ ihn ausweichen. Die eben noch in der Luft schwebende Kugel schoss um wenige Millimeter an seinem Kopf vorbei, schlug krachend in der Hauswand hinter ihm ein, und als sei dies im wahrsten Sinne des Wortes der Startschuss gewesen, setzte sich die Welt wieder in Bewegung, drängend und stürmisch, fast aggressiv, als wolle sie versäumtes nachholen. Sephiroth nahm all das kaum wahr. Er saß auf den Knien, im Mittelpunkt dieses Strudels aus Ereignissen, bewegungs- und teilnahmslos, starrte auf die Stelle, an der etwas (bis vor kurzem noch unbewusst) Unersetzliches verschwunden war, ohne eine Spur zu hinterlassen und lauschte seinen eigenen, mühsamen Gedanken. Warum habe ich die Wahrheit erst begriffen, als es zu spät war? Was nützt sie mir jetzt noch? Cutter ist weg, und ich weiß nicht, ob ich sie jemals wiedersehen werde... Er spürte Kugeln in seinen Körper hämmern, nahm aber kaum Schmerz wahr. Wenn ihn Hojos Folter etwas gelehrt hatte, dann, trotz größter Pein bei Bewusstsein zu bleiben. Ich habe mich zu lange in allen nur erdenklichen Varianten gesträubt. Zu lange getrödelt. Ich war so ein Idiot! So ein verdammter, armseliger, begriffsstutziger... Eine Bewegung direkt vor ihm. Schwarze Haare, helle Haut, makogetränkte Augen. „Seph!! Seph, bist du wahnsinnig?!“ Zack. Ein extrem wütender Zack. „Willst du dich erschießen lassen?! Komm hoch!“ Seine Faust traf ihn völlig unvermittelt. „Wird´s bald?!“ Sephiroth musste einen zweiten, mit aller Kraft ausgeführten Schlag einstecken, ehe es ihm gelang, die abermals auf ihn zurasende Faust zu stoppen. „Verdammt, Seph, jetzt komm auf die B...“ Zack verstummte schlagartig mitten im Satz. Nicht freiwillig. Es schien mehr, als habe jemand das begonnene Wort abgeschnitten. Gleichzeitig weiteten sich die Augen des 1st, füllten sich mit bei ihm niemals zuvor gesehenen Entsetzen, Verwunderung – und Ungläubigkeit. Sephiroth kannte diesen Blick. Er fand sich zu 99,9 % bei Menschen, die urplötzlich starke Schmerzen empfanden und noch zu begreifen versuchten, was gerade mit ihnen geschah, warum, und ob sie noch irgendetwas dagegen tun konnten. In Zacks Augenausdruck mischte sich schweres, alles andere überdeckendes Begreifen. Das Busterschwert glitt aus seinen Händen, aus Händen, die es immer sicher und fest gehalten hatten, um sich damit jeder Herausforderung zu stellen. Gleichzeitig fiel der Körper des 1st nach vorne, als habe er einen heftigen Tritt erhalten. Sephiroth gelang es in letzter Sekunde, ihn aufzufangen, und die Hände des Generals berührten Stoff... und Feuchtigkeit. Fast höhnische Nässe, und er wusste, dass ihre Farbe dunkelrot sein würde. Zacks Kopf war an seinem Hals gelandet und er konnte dessen Atem spüren. Noch. Der unregelmäßige Herzschlag des 1st allerdings erschien wie ein Vorgeschmack auf kommende, weitaus schrecklichere Geschehnisse. „Zack...“, wisperte Sephiroth entsetzt. Gleichzeitig erfasste ihn eine neue Erkenntnis mit lawinengleicher Gewalt. Gib auf. Und hör auf, dich selbst zu belügen. Nicht nur Cutter bedeutet dir etwas... mehr als alle anderen. Zack tut dies ebenso. Cutter hast du schon verloren. Vielleicht für immer. Zack kannst du möglicherweise noch selbst retten. Überlebenswille und Entschlossenheit kamen zurück, krallten sich in seinem Bewusstsein fest. Und General Crescent erwachte aus seiner Trance, griff nach Zacks Busterschwert, rammte es als Kugelfänger in die Erde und brachte in dessen Deckung den zerschundenen Körper vor sich in eine Position, die es ihm erlaubte, einen genaueren Blick auf die Verletzungen zu werfen. 1st Class SOLDIER waren darauf trainiert, ihre Missionen selbst mit erheblichen körperlichen Einschränkungen noch erfolgreich beenden zu können. Zacks momentane Verletzungen jedoch überschritten die Grenze alles möglichen – und zu allem Übel befanden sich noch zahlreiche Kugeln in seinem Körper. Materia wäre somit – selbst wenn es fehlerfreie gegeben hätte – wirkungslos gewesen. Blieb nur Potion. Sephiroth flößte dem bewusstlosen SOLDIER jeden vorhandenen Tropfen ein, dann positionierte er den in sich zusammengesunkenen Zack allein in der Deckung des Busterschwertes... „Wag es nicht, zu sterben, SOLDIER!“ ... griff nach Masamune, erhob sich langsam... und hielt einen Augenblick lang inne. Der Schmerz über Cutters Verlust und den seinetwegen schwer verletzten Zacks schienen sein Herz förmlich zu zerreißen, und ihn alle Vorsicht, alle Regeln und alle Zweifel vergessen. Er wandte den Kopf, sah den auf ihn zustürmenden Rebellen entgegen, und noch bevor er den angefangenen Gedanken zu Ende gebracht hatte, begann Masamune vor Kraft förmlich in seinen Händen zu vibrieren, absolute Bereitschaft und Kooperation signalisierend. Schon im normalen Gebrauch stellte das Katana eine ganz besondere, zu 100 % tödliche Waffe dar. Aber alle bisher an den Tag gelegte Energie war nur ein Bruchteil dessen, wozu das Schwert tatsächlich in der Lage war. Sephiroth hatte Masamunes wahre Macht bisher nur einige Male behutsam angerührt – mit verheerenden Folgen für die nähere Umgebung. Jetzt aber, getrieben von nahezu unmenschlichen, seelischen Schmerzen, löste er alle Einhalt gebietenden Schranken. Die immer noch in seine Richtung fliegenden Kugeln erreichten ihr Ziel nicht mehr. Pure, von seinem Körper und Masamune aufsteigende Energie pulverisierte die Geschosse, bevor sie auch nur annähernd gefährlich werden konnten. Und dann wandte der General den Kopf, sah den Rebellen entgegen, mit vertikal stehenden Iris, so schmal, dass man sie in all dem makogrünen Glühen kaum mehr erkennen konnte. Der Kampf selbst schien für einen Augenblick zu erstarren, zuerst entsetzt über die neusten Entwicklungen – dann bestrebt, zu flüchten, so weit weg und schnell wie möglich... Aber es war zu spät. Die Attacke sprengte die Grenze aller jemals General Crescent zugestandenen Zerstörungsmöglichkeiten. Sie breitete sich mit ihm als Mittelpunkt kreisförmig aus, ein gigantischer Schlag, der ganze Häuser zusammenbrechen ließ, massiven Stein schmolz, pulverisierte, Feuer, Kurzschlüsse und Panik verursachte und vernichtend durch die Slums jagte, einzig und allein gesteuert durch Sephiroths Willen. Es nahm Leben – verschonte aber auch. Und gab entsprechende Rückmeldungen. Rail schleppte sich durch endlos scheinende, rauchende und stellenweise noch glühende Trümmerberge. Nur Dank der Lines war es ihr gelungen, dem gigantischen Angriff lebend zu entkommen – aber ihr Körper ließ sich nicht wie gewohnt bewegen. Und Rail wusste, wäre sie in der Lage gewesen, Schmerz zu empfinden, hätte sie sich gar nicht mehr rühren können. Abermals warf sie einen Blick zu ihrem rechten Arm und schüttelte den Kopf. Ich hätte nicht gedacht, dass Knochen so weiß sind... Der rechte Fuß ist auch gebrochen. Und ich blute... überall. Und... mein Herz schlägt so seltsam... So war das nicht geplant... Ich habe Sephiroth unterschätzt... Ich brauche... ein Versteck... Tyrer, wo bist du? Du hattest Recht... Ich hätte auf dich hören sollen... Es tut mir leid! Es tut mir so leid... Ihre Beine gaben auf eine Art und Weise, die ein dauerhaftes Versagen sehr deutlich machte, unter ihr nach, und weder Reflexe, noch körperliche Kräfte reichten aus, um den Sturz abzufangen. Unter Einsatz aller noch verfügbaren Energiereserven arbeitete sich Rail schließlich hinter die trügerische Sicherheit eines riesigen Schutthaufens, hielt dort atemlos und erschöpft inne. Ob sie hier einen Augenblick lang bleiben konnte? Oder auch länger? Sephiroths Attacke hatte die Slums größtenteils in Schutt und Asche gelegt und so zirka 1 Million Verstecke erschaffen. Gute Chancen, nicht gefunden zu werden... Rail schloss, mühsam atmend, die Augen. Nur einen Moment... bitte... Ihr Flehen wurde erhört. Für einige Sekunden. Dann allerdings... Es begann als leichtes Zittern im Boden, wurde aber mit jeder Sekunde stärker. Es bewegte sich. Kam näher. Nicht suchend. Wissend. Und Rail war instinktiv klar, dass es ihr galt. Sie versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, um ihrem Schicksal wenigstens stehend zu begegnen – vergeblich. Erste Schuttbrocken, durch die Vibration des Bodens in Bewegung gesetzt, begannen sich von dem bis vor kurzem noch schützenden Berg zu lösen, rechts und links neben ihr einzuschlagen wie die Vorboten eines wesentlich schrecklicheren Geschehnisses. Aber Rail konnte nichts sehen. Ihr momentaner Zustand war zu benebelt, um die Lines zu befragen, und um sie herum hatte sich die Zerstörung zu allen Seiten meterhoch aufgetürmt. In hilfloser Verzweiflung griff Rail nach ihrer Pistole, entsicherte, legte den Zeigefinger an den Abzug... Die Welt vor ihr explodierte auf eine Art und Weise, die Ähnlichkeit mit einem sich zur Seite wegbewegenden Vorhang besaß. Die eigentliche Bühne bestand jetzt aus einem breiten, völlig trümmerfreien Korridor – und Sephiroth. Er bewegte sich zügig, aber nicht hektisch auf sie zu, den immer noch grün glühenden Blick mit den vertikal stehenden Iris unverwandt auf sie gerichtet. Nichts würde ihn aufhalten, keine Macht auf dieser Welt. Rail hob die Pistole. Feuerte bis nur noch leises, totes Klicken erklang. Aber sie konnte nicht aufhören, den Auslöser zu betätigen. Nicht einmal, als Sephiroth genau vor ihr anhielt. Einen Augenblick lang verhielt er in absoluter Bewegungslosigkeit. Dann, mit einer Bewegung, die so schnell war, dass Rail ihr nicht folgen konnte, fegte er die Waffe aus ihrer Hand ohne dieser auch nur die geringste Verletzung zuzufügen. Rail ließ ihre jetzt leere Hand einfach fallen. Es machte keinen Unterschied mehr. Jetzt. Sephiroths Blick lag immer noch auf ihr, kalt, abweisend. Es war mehr, als die einst so stolze Rebellenführerin vertragen konnte. Langsam ließ sie den Kopf sinken. Sephiroth schob Masamune unter ihr Kinn, drückte den Kopf ruckartig nach oben, zwang sie, ihm direkt in die Augen zu sehen. „Warum gerade Cutter?!“ Rail versuchte, den Blick zu erwidern – und scheiterte. Wollte den Kopf abzuwenden – und scheiterte abermals. Es wirkte wie das düstere Versprechen, sie nicht gehen zu lassen, komme, was wolle, es sei denn... „Warum?“, wiederholte sie nahezu tonlos. „Warum... Weißt du das wirklich immer noch nicht, Sephiroth?“ Sie begann kaum hörbar zu lachen, ein Geräusch voller Leere. „Weißt du... anfänglich wollte ich dich einfach nur töten. Aber dann hat mir Cutter soviel Zeit zum Nachdenken verschafft, dass ich... den alten Plan... aufgegeben habe.“ Sie hielt einen Augenblick lang inne, sammelte Kraft. „Du bist“, fuhr sie schließlich mühsam fort, „heute in die Slums gekommen, um Shinra zu retten. Nicht, weil du es wolltest, sondern weil du wusstest, dass man es von dir erwartet. Solange du immer nur tust, was andere von dir verlangen, kannst du dein wahres Selbst nicht erkennen! Ich bin... war... nur jemand, der mit einer Handvoll todesmutiger Herzen für einen Traum gekämpft hat. Was haben wir verändert? Nichts. ShinRa wird weiter existieren und uns wird man vergessen. Du jedoch... du hast alle Möglichkeiten und jedes Recht dieser Welt, ShinRas Herrschaft zu beenden. Aber du tust es nicht! Stattdessen lässt du dich von Menschen, die dir auf keiner Ebene gewachsen sind, herumkommandieren wie ein dressiertes Zirkustier! Dabei brauchst du all das gar nicht... Du bist kein kleines Kind mehr, das bevormundet werden muss! Werde endlich erwachsen! Und triff deine eigenen Entscheidungen!“ Jeder ihrer Atemzüge und jedes Wort schien endlose Kraft zu kosten. „Deshalb habe ich dieses ganze Szenario erstellt und dir Cutter weggenommen, auch, wenn die Dinge nach meinem Schuss anders liefen als geplant.“ Rail hatte keine Ahnung, wer die seltsame Frau gewesen war. Es spielte auch keine Rolle. Cutter war fort. Nur das zählte! „Ich wollte dir begreiflich machen, dass du eines Tages alles verlieren wirst, wenn du nicht endlich lernst, dich erfolgreich zu widersetzen, um zu tun, was du willst. Ich... wollte dich... aufwecken...“ Ihre Stimme war mit jedem Wort leiser geworden. Längst pulsierte das vertraute Grün des Lebensstromes durch ihren Körper, wurde mit jeder Sekunde stärker. Rail blinzelte müde zu Sephiroth hinauf. „Du hattest sie... gern, nicht wahr?“, wisperte sie schließlich mit geschlossenen Augen. „Vielleicht sogar... lieb?“ Ein lächeln von bodenloser Trauer erschien auf ihrem Gesicht. „Eigentlich... wollte... immer... ich... so... eine... Person... für... dich... sein...“ Erinnerungen, die sie lange Jahre verdrängt hatte, fluteten ihr Herz. Die Zeit als elternloses Straßenkind unter der Platte, dessen Überleben am (zwar durch die Fähigkeit, die Lines sehen zu können, verstärkten, aber dennoch) seidenen Faden hing. Das Kidnapping durch Hojos Leute und die Verschleppung ins Labor. Die erste Begegnung mit Sephiroth, ein Augenblick so glänzend wie gesponnenes Licht, und ihr festes Vorhaben, sich mit ihm anzufreunden. Die Experimente, gegen die sie nichts hatte tun können und der ihnen folgende Verlust eines so wichtigen Sinnes. Die zaghaft beginnende Freundschaft zwischen ihr und Sephiroth. Die Flucht aus dem Labor, nur für sie erfolgreich, und die Rückkehr in die Slums. Tage, in denen sie verzweifelt versucht hatte, diesem tauben Körper seine früheren Leistungen zu entreißen – und ihr scheitern. Der Moment, in dem sie sich nach Tagen ohne Nahrung zum Sterben zurückzog... und von Tyrer gefunden wurde. Ein elternloses Kind wie sie, ein kleiner Dieb, wie sie – und fest entschlossen, zu überleben, um es ShinRa eines Tages heimzuzahlen. Ihre Rettung durch ihn. Die Jahre, in denen sie sich zusammen durchgeschlagen hatten. Die Gründung von `Liberation´. Der professionelle Kampf gegen ShinRa. Cutter. Und, schließlich, die gerade erst vergangenen Stunden. Vergangenheit und Gegenwart verschmolzen miteinander, bildeten aber keine Zukunft mehr. Das grüne Schimmern wurde schlagartig stärker – und dann, urplötzlich, (Sephiroth zog Masamune in letzter Sekunde zurück) bäumte sich Rails Körper auf, als hätte in seinem Inneren eine gigantische Explosion stattgefunden. Die vorher friedlich geschlossenen Augen waren jetzt wieder weit aufgerissen. Purer Schmerz tobte in ihnen... und diesmal war er nicht von seelischer Natur. Die Rebellenführerin wimmerte leise, umfasste mit der unverletzten Hand ihren Arm, aus dem immer noch der gebrochene Knochen ragte, und ließ den Kopf gegen die Schuttbrocken hinter ihm sinken. Sie fühlten sich hart an. Und warm. Der Boden unter ihr war übersät mit großen und kleinen Trümmerstücken, die sich in ihren Körper drückten. Schmerzhaft. Was dessen Rest anging... „... weh...“, flüsterte Rail. „Es tut so weh...“ Tränen liefen über ihr Gesicht, und zum ersten Mal seit endlosen Jahren konnte sie es wieder spüren. Jede einzelne von ihnen schien für eine neu erkannte Gewissheit zu fließen: Dass dieses Gefühl nicht von Dauer sein würde. Dass ihr Leben hier endete. Und, dass Hojo sie ein weiteres Mal betrogen hatte, denn ohne Zweifel war die einengende Taubheit nur Angesichts des in ihr pulsierenden Lebensstromes gewichen. Er duldete keinen Tod... Und dann... war es vorbei. Rails Körper entspannte sich innerhalb eines Wimpernschlages, sank in sich zusammen, gleichzeitig wurde das sie durchströmende Grün intensiver, ohne an Sanftheit zu verlieren. Es löste Konturen auf und verwandelte diese in neue Facetten der zu gleichen Teilen tröstenden, wie beunruhigenden Farbe und nahm Rail mit sich fort, diesmal endgültig und ohne Spuren zu hinterlassen. Sephiroth starrte auf den jetzt wieder leeren Platz vor ihm. Mich... aufwecken...?, dachte er mühsam. Ich war... doch wach? Auf eine bisher nie gekannte Art und Weise? Oder wenigstens dabei, aufzuwachen? Du hattest nicht das Recht, mir das wegzunehmen, Toron Rail... Du bist kein Stück besser, als deine so verhassten Gegner! Und diesen Schmerz... diesen Tod... hast du verdient! Langsam, ganz langsam hob er den Kopf und sah sich, zum ersten Mal seit des gigantischen Angriffes, bewusst um. Von den meisten Häusern der Slums waren nur rauchende Trümmer übriggeblieben, ein Anblick, der zusammen mit dem stellenweise ausgebrochenen Feuer und den verwirrten, verängstigten Rufen der Überlebenden ein Bild des perfekten Chaos erschuf. Von Sephiroth nahm niemand Notiz. Es schien, als existiere er für niemanden, und das gab ihm die Möglichkeit, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Der Schmerz setzte mit einer Intensität ein, als habe er nur auf diesen Moment gewartet, riss den größten Bewusstseinsteil an sich und ließ den dazugehörigen Körper auf die Knie fallen ohne ihm die Chance eines erfolgreichen Protestes zu gewähren. Sephiroth keuchte zwischen zusammengebissenen Zähnen auf vor Schmerz, gleichzeitig rammte er Masamune in den Boden, um Halt zu gewinnen. Vor seinen Augen flackerten die verschwommenen Konturen der Welt zwischen hell und dunkel, gefangen auf der schmalen, Tod und Leben trennenden Grenze, auf der sich heute schon etliche Schicksale entschieden hatten und noch entscheiden würden. Er wusste, dass Kugeln ihren Weg in seinen Körper gefunden hatten, aber es war ihm nicht möglich, zu sagen, wie viele. Eine Menge. Vielleicht zu viele? Jeder Atemzug, jeder Herzschlag, jeder Gedanke schmerzte, gleichzeitig schien das Leben sich immer weiter von ihm entfernen zu wollen. Sephiroth rief es mit aller verbleibender Kraft zurück. Nicht... so!! Steh... auf!! Cutter... Cutter hat nicht aufgegeben! Und Zack... Zack!! Der Gedanke an den zurückgelassenen, ebenfalls schwer verletzten SOLDIER... Freund... ließ seinen eigenen Zustand schlagartig nebensächlich werden. Was, wenn Zack zwischenzeitlich... Nein, ausgeschlossen! Zack hing viel zu sehr am Leben, als dass er... Es konnte nicht, durfte nicht... Als ob der Tod auf Argumente wie diese jemals Rücksicht genommen hätte. Ich muss nach Zack sehen! Er braucht mich jetzt...! Sephiroth kam wieder auf die Beine, entriss seine Sinne dem alles verschlingenden Strudel aus Schwindel, verdrängte den Schmerz – und erlangte die volle Körperkontrolle zurück. Vor ihm ergab sich die Welt seinem Überlebenswillen und schärfte mit einer gewissen Demut ihre Konturen. Nur Sekunden später war der General auf dem Rückweg, eine nie zuvor gekannte Angst im gefühlstechnisch immer noch sehr unerfahrenen Herzen tragend. Was, wenn Zack wirklich... Er begann, zu rennen. Das Verabreichen von Potion war, wenn es um Verletzungen oder Erschöpfung ging, immer eine gute Wahl. Zwar vermochte sie nicht immer zu heilen – füllte jedoch die Energiedepots des Körpers und sorgte so für ein verstärktes Durchhaltevermögen. Ob sich das jedoch als positiv herausstellte, war von der jeweiligen Situation abhängig. Es gelang Zacks Sinnen nur sehr langsam, die unwillkommene Benommenheit abzuschütteln, und einige von ihnen brauchten dafür sehr lange – das Schmerzempfinden gehörte leider nicht dazu. Angeschossen, dachte der 1st mühsam. Wie es sich anfühlt, mehrfach. Und keine der Kugeln ging durch. Großartig. Erinnerungen setzten ein, zuerst ruckelnd, dann immer fließender. Dieser blöde Sephiroth... einfach so im Kugelhagel sitzen zu bleiben... Ich möchte wissen, warum der Idiot das gemacht hat! So etwas krankes hat sich ja bisher nicht mal Hojo für ihn einfallen lassen... Ob es Cuttie gut geht? Sicher tut es das. Cuttie-cut ist unverwüstlich. Ich anscheinend weniger... Oh man... Aerith wird sauer sein... Und Seph wird mir eine seiner berühmten Reden halten und dann... Einzeltraining, ich komme. Korrektes Verhalten unter feindlichem Beschuss. Ob mich Aerith versteckt? Dafür werde ich bis ans Ende meiner Tage Gemüsespieße essen müssen... Ich glaube, ich mache doch das Einzeltraining! Weshalb ist hier Wasser in der Nähe? Wir sind doch immer noch in den Slums, oder? Er war sich ganz sicher, plätscherndes Wasser zu hören – bis sich dieses in das Brummen eines näherkommenden Wagens verwandelte. Freunde oder Feinde? Es ließ sich noch nicht einwandfrei bestimmen, hielt jedoch direkt auf ihn zu. Zack versuchte, die Augen zu öffnen, aber seine Lider schienen aus Blei zu sein. Dafür allerdings schärfte sich sein Gehör weiter. Jeep, meldete das Bewusstsein des 1st. Allradantrieb. Transportfahrzeug. Frontmotor. Könnte neue Reifen vertragen. Der Wagen hielt in unmittelbarer an. Türen öffneten und schlossen sich wieder. Ah, dachte Zack. ShinRa Jeep ZVX 34. Unbequemes Teil. Aber den sich nähernden Schritten nach zu urteilen... ShinRa Stiefel... Jedenfalls die meisten... Hallo, Leute. Ich möchte ein Einzelzimmer auf der Krankenstation mit einer bildhübschen Schwester nur für mich allein. Meine erste Wahl wäre allerdings Aerith in einem Schwesternkostüm. Oh ja, das würde mir gefallen... Seine entspannten Gedankengänge fanden ein jähes Ende, als sich eine Hand in seine Haare grub und den Kopf hart nach hinten zog. Diesmal öffneten sich Zacks Lider völlig problemlos. Sie taten es mit einer gesunden Mischung aus Entrüstung und andauernder Benommenheit... ... und starrten direkt in Hojos eisigen Blick. Zacks Augen weiteten sich in jähem Entsetzen, gleichzeitig fühlte er sich, als hätte man ihn an eine elektrische Leitung angeschlossen. Seine Gedanken erstarrten, fielen zu Boden, zerbarsten krachend und setzten sich zu einem lautlos geschrienen `NEIN!´ zusammen. Vor ihm kicherte Hojo leise. „Interessant. Diesen hier möchte ich in jedem Fall haben!“ Zack wollte protestieren, flüchten, sich verteidigen... irgendetwas tun! Irgendetwas, das ihn davor rettete, ins Labor gebracht zu werden, diesen Ort, der das grausame Zuhause von unmenschlichen Experimenten war, der Ursprung unzähliger Schmerzensschreie, die Räume, aus denen niemals ein lebendiger Mensch (außer Sephiroth, Hojo und dessen Helfern) wieder herausgekommen war, niemals... Aber sein geschundener Körper gehorchte nicht. Hilflos musste er über sich ergehen lassen, von Hojos Helfern nicht eben sanft auf einer Trage abgelegt und in Richtung Wagen getragen zu werden. Oh Gaia, dachte Zack, so endet es also? Tss... Und ich war immer der Ansicht, dass Seph mich eines Tages töten würde. So kann man sich irren... Gaia, lass nicht zu, dass ich als Hojos Versuchskaninchen ende, ich bitte dich, ich flehe dich an... Ich habe doch noch so viel vor, und da unten... da unten warten alle Schmerzen dieser Welt auf einen, gleichzeitig, und irgendwann, wenn dieser Bastard genug hat, lässt er einen elendig krepieren!! Ich habe gesehen, was er Seph angetan hat, und ich kann vieles ertragen... aber nicht das... Bitte, Gaia, bitte!! Zum ersten Mal, seitdem er denken konnte, war Zack in Panik. Und niemanden kümmerte es. Erst als es dem 1st, angetrieben durch ein bisher nie gekanntes Angstlevel, gelang, sich einige Zentimeter in der Trage hochzustemmen, gerieten die Dinge in Bewegung. Kurzfristig. Irritierte Blicke der Träger, eine schwankende Trage... Hojos eisige Stimme. „Stellt ihn endlich ruhig!“ Hände, die Zack für gewöhnlich keine Sekunde hätten aufhalten können, drückten den 1st wieder nach unten, gleichzeitig spürte er den Einstich einer Nadel in seiner rechten Armvene. Feuer schien sich in seinem Körper auszubreiten, ließ den SOLDIER aufkeuchen und begann gleichzeitig, sein Bewusstsein in die Finsternis eines tiefen, erzwungenen Schlafes zu ziehen. Aus, dachte Zack. Vorbei. Verloren. Das war dein letztes Abenteuer in Freiheit und bei klarem Verstand. Dunkelheit breitete sich am Rand seines Wahrnehmungsbereiches aus und nahm schnell an Stärke zu. Die Farben erloschen. Ein letztes Mal versuchte Zack, sich zu befreien, aber sein Körper reagierte nicht. Aerith, dachte der 1st, ich hoffe, dass du hiervor niemals erfährst... Cuttie... kleine Schwester... gib nicht auf, was auch passiert... Seph... Seph... Und dann, urplötzlich, stoppte die Trage. Zack versuchte, sich auf das Gefühl, einfach abgekippt zu werden, vorzubereiten. Aber nichts geschah. Stattdessen glaubte er, neue Stimmen zu hören. Ein Streit? Eine Diskussion? Er wusste es nicht und konnte auch keine Worte verstehen - spürte aber instinktiv, dass es um ihn ging. „Zackary Fair ist ein 1st Class SOLDIER, Professor Hojo! Einer meiner besten Männer! Er steht dem Labor in keinem Fall zur Verfügung!“ „Dieser Mann wird sterben, General. So oder so! Bringt ihn in den Wagen!“ Masamune glitt durch die Luft und verhielt gefährlich glitzernd einen Millimeter vor der Nasenspitze des ersten Trägers. Dieser wich unwillkürlich zurück, aber die scharfe Klinge folgte ihm unbarmherzig. Hojo warf dem unstandhaften Mann einen vernichtenden Blick zu, schob die Brille zurück und wandte sich wieder an Sephiroth. „Diese Leute unterstehen allein meinem Kommando, General! Des weiteren habe ich von Präsident Shinra alle entsprechenden Befugnisse. Sollten Sie an meiner Auswahl der dem Fortschritt unser Forschung dienlichen Testmaterial Kritik einzuwenden haben, so darf ich Sie bitten, diesen Punkt direkt mit unserem gemeinsamen Arbeitgeber zu klären und mir die entsprechenden Dokumente zu überbringen! Ich bin sicher, Präsident Shinra wird Ihnen Gehör schenken.“ Jedes Wort beinhaltete, nur für Sephiroth hörbar, jenen gewissen Unterton, der eine unverzügliche Zurechtweisung für die Frechheit, eine Diskussion zu beginnen, versprach. Genau diese Betonung versuchte er zu vermeiden, wo es nur ging. Sie war es, die ihm nachts Alpträume bescherte, tagsüber verfolgte... und zu einer Marionette werden ließ. Langsam, wie ferngesteuert, ließ Sephiroth Masamune sinken. Hojo lächelte kalt. „Ich danke für die Kooperation, General.“ Und zu seinen Leuten: „Bringt ihn weg!“ Die Träger setzten sich wieder in Bewegung. Sephiroth sah ihnen nach... schob Masamune in die Schutzhülle zurück... schloss für eine Sekunde die Augen, atmete tief durch... und folgte den Trägern, war mit zwei großen Schritten zwischen ihnen, fasste den bewusstlosen Zack mit sicherem Griff, hob ihn von der Trage und wandte sich um. Hojo stellte sich ihm augenblicklich in den Weg. „Hast du dir das gut überlegt, mein kleiner Sephiroth?“ Seine Stimme war nur ein flüstern. „Ich bezweifle es sehr. Ist dir eigentlich bewusst, wie erbärmlich du gerade aussiehst? Deine Erziehung, deine Ausbildung, deinen Ruf zu verraten für... so etwas... minderwertiges!“ Er schüttelte mit einer Mischung aus Mitleid und Abscheu den Kopf. Sephiroth sagte nichts. Was auch hätte er Hojo antworten können? „Warum“, fuhr dieser gerade verächtlich fort, „bist du nur ein solcher Fehlschlag?“ Ein Fehlschlag, dachte Sephiroth. Vielleicht bin ich das wirklich. Aber momentan... bin ich alles, was zwischen meinem einzigen noch in meiner Reichweite befindlichen Freund und dir steht! Und – mach mit mir, was du willst, aber an Zack wirst du keinen Finger legen - ich werde diese Position nutzen! Sephiroth umfasste den bewegungslosen Zack fester und antwortete – ein ebenfalls kaum hörbares Flüstern. „Ich sagte: `Dieser Mann steht dem Labor nicht zur Verfügung!´!“ Nur einen Sekundenbruchteil später setzte er sich wieder in Bewegung, vorbei an Hojo, mit großen, festen Schritten, zielgerichtet und entschlossen, aber dennoch nicht übereilt. Der Professor unternahm nicht einen Versuch, ihn aufzuhalten. Stattdessen trat ein undefinierbares Lächeln auf sein Gesicht, gleichzeitig murmelte er: „Interessant...“, schob die Brille zurück an ihren Platz und ließ die Ereignisse der vergangenen Stunden an sich vorbeiziehen. Sephiroths Aufenthaltsort in den verwinkelten Slums ausfindig zu machen (etwas, das Rail nicht einmal mit Hilfe der 2nd Lines in der gewünschten Präzision fertiggebracht hätte), war ein Kinderspiel gewesen. Der an seinem Hals perfekt zwischen Muskeln und Sehnen eingebettete Chip sandte bei entsprechendem Signal einen unverwechselbare Antwort aus. Ihr zu folgen (bzw. dank ShinRa Technologie die wahrscheinlichste Route errechnen zu lassen) und sich ebenfalls mit Hilfe dieser unauffällig einen Weg zu suchen... Schweißtreibende Arbeit. Aber die Mühe hatte sich gelohnt. Die zum damaligen Zeitpunkt in den Händen des Professors (und jetzt sicher im Jeep liegende) Minikamera hatte einzigartige Daten gespeichert, und Hojo sah der detaillierten Auswertung mit Spannung entgegen. Wie und ob Rail den Kampf überstanden hatte... es kümmerte ihn nicht. Letztendlich war sie – trotz der verhältnismäßig engen und erfolgreichen Zusammenarbeit – nur ein Versuchsobjekt unter vielen. Wenn sie im Labor auftauchte, gut. Wenn nicht... nun, dafür waren Kämpfe wie dieser da. Um die Exemplare mit starkem Überlebenswillen von dem Rest zu trennen, mit dem Hojo nichts anfangen konnte, und bisher ließ sich die Ausbeute sehen. Der Verlust des 1st... nun gut, der Mann würde sowieso sterben. Daran hatte Hojo keinerlei Zweifel. Und so sah er seelenruhig zu, wie Jenova Projekt 1 mit dem bewusstlosen Zack hinter einer der erst kürzlich entstandenen, rauchenden Ruinen verschwand. Hier auf Hojo zu treffen... es hatte Sephiroth nicht sehr verwundert. Der Mann war ein verdammter Aasgeier und überall dort anzutreffen, wo es wehrlose Körper einzusammeln galt. Nach einer Schlachte wie dieser musste er sich wie im Paradies fühlen... Und wenn ich nur eine Minute später gekommen wäre, hätte er Zack... Sephiroths Psyche riss die Kontrolle an sich und ließ seinen Körper in haltloses Zittern ausbrechen ließ, zu stark, um es zu unterdrücken oder zu verdrängen, und er versuchte weder das Eine, noch das Andere. Solange er sich noch bewegen konnte, war nichts entschieden! Aber wohin sollten sie gehen? Oder besser: Wohin sollte er Zack tragen? Die Slums waren fast vollständig zerstört, und mit Sicherheit würde keiner der Überlebenden kostbares Verbandsmaterial für ein ShinRa Mitglied opfern. Das ShinRa HQ war, obwohl die medizinische Hilfe dort besser war, ebenfalls keine Option – zu eng arbeitete die Krankenstation mit dem Labor zusammen. `Hoffnungslose Fälle´ wurden augenblicklich an Hojo übergeben. „Aber das warst du schon immer!“, grollte Sephiroth und rückte den Körper in seinen Armen zurecht. „Zackary Fair, wag es nicht, zu sterben! Es reicht, dass Cutter...“ Cutter. Der Schmerz schlug abermals mit voller Wucht zu, so stark, dass Sephiroth es erst nach etlichen Sekunden gelang, ihn zu verdrängen. ... verschwunden ist, vollendete er den Satz in Gedanken. Sie ist nicht tot! Sie wird kämpfen, siegen... und zurückkommen. Sie hat versprochen, nicht zu sterben... „Und du wirst auch überleben, hörst du mich?!“ Seine Stimme wurde zu einem fast hilflosen Flüstern. „Nur wie?“ Er hätte die Kugeln selbst entfernen können – aber Zack brauchte mehr. Da es momentan keine hilfreiche Materia gab, blieben nur Bluttransfusionen. Stärkende Infusionen. Medikamente. Verbände. Betreuung... wenigstens das! Aber wer? Und wo? Gaia, wenn du vielleicht noch eine Eingebung für mich übrig hast... ich wäre dir sehr... Zacks Stimme erklang urplötzlich in seiner Erinnerung, Worte, die Sephiroth unter `interessant, aber nicht wirklich wichtig´ abgelegt hatte. Jetzt änderte sich deren Prioritäten schlagartig. Vielleicht... vielleicht gab es doch noch Hoffnung. Selbst hier unten. Zack hatte den Weg nur einmal beschrieben, aber Sephiroth erinnerte sich an jede einzelne Silbe – und er folgte ihnen. Ob sie noch steht? Mein Angriff hat so viel Schaden angerichtet... und ich weiß nicht, ob mein Unterbewusstsein sich an diesen Ort erinnert und ihn geschützt hat... Ob er sich vielleicht selbst schützen konnte? Nach allem, was Zack erzählt hat... Er bog um die letzte Kurve... und erstarrte. Sie wirkte baufällig, ... aber die Kirche – Aerith Kirche – hatte den Angriff überstanden. Sei da, dachte Sephiroth und legte die letzten Meter etwas schneller als zuvor zurück. Bitte, sei da... Die Tür öffnete sich mit einer nahezu erstaunlichen Leichtigkeit, fast, als bäte sie ihn herein, und dann fand sich Sephiroth in einer Welt wieder, die aus nichts außer Ruhe und Friedlichkeit zu bestehen schien, fast so, als hätten die Dinge außerhalb dieses Gebäudes keinerlei Zugriff auf dessen Inneres. Der Raum strahlte eine Gelassenheit aus, welche die Bereitschaft, zuzuhören ohne dazwischen zu reden, versicherte. Mehrere Reihen aus schweren Holzbänken zogen sich meterlang beidseitig an einem breiten Mittelgang entlang, luden förmlich zum Hinsetzen und Nachdenken ein. Durch die großen Fenster fiel das für ein Leben unterhalb der Platte typische, schummrige Licht, schien aber auf rätselhafte Art und Weise heller zu werden, sobald es sich im Inneren der Kirche befand. Und jedes der unzähligen, auf ihn einstürmenden Details trug den Glauben in sich, dass – eines Tages – doch noch alles gut werden würde. Sephiroth riss sich fast gewaltsam von diesem seltsamen Zauber los und folgte dem Mittelgang, sah sich suchend um. Die Kirche schien verlassen, aber konnte er das wirklich glauben? „Mrs. Gainsborough? Aerith?“ Sie tauchte völlig unvermittelt hinter den vordersten Bänken auf, wandte sich um... Und war genau so, wie Zack sie beschrieben hatte. Und, auf eine Art und Weise, für die erst noch Worte neu erfunden werden mussten... mehr. So viel... undefinierbar... mehr. Er wusste es nicht. Aber sein Auftauchen katapultierte Aerith für einen Sekundenbruchteil aus der Kirche hinaus, an einen Ort, den sie erst in weit entfernter Zukunft betreten würde, und dort sah sie sich selbst, kniend, betend... und sterbend. Durch seine Hände. Sie sah rotes Blut – ihr Blut – an einer Schwertklinge entlang laufen, die ihren Körper durchstoßen hatte und sah diesen zusammenbrechen, als sich die Waffe daraus zurückzog... Die klare Vision verblasste schlagartig, schleuderte Aerith zurück in die Gegenwart. So wird es also geschehen, dachte das Blumenmädchen. Und du wirst es sein. Aber das ist die Zukunft. Noch befinden wir uns in der Gegenwart. Und ich lebe... Erst in diesem Moment fiel ihr Blick auf die bewegungslose Gestalt in den Armen des Generals, und Aerith fühlte ihr Herz vor Schreck einen Schlag aussetzen. „Zack!!“ „Wir haben... interne Unstimmigkeiten mit unseren Heilungsmethoden...“, begann Sephiroth – wurde aber augenblicklich unterbrochen. „Bringen Sie ihn her. Und am besten legen Sie ihn... dorthin.“ „Zwischen die Blumen?“ Sephiroth hatte noch niemals so viele auf einmal gesehen. Dass sie hier existieren konnten, in Midgar, eine Stadt, die einen persönlichen Krieg gegen alles Schöne und Sanfte zu führen schien... Noch dazu unter der Platte! Aber die Blumen waren da. Und sie sahen gesund aus. Irgendwie zufrieden... Aerith nickte heftig. In ihren Augen waren Angst und pure Besorgnis zu lesen – aber auch eine gewisse Sorte Ruhe. Sephiroth lud seine kostbare Fracht so behutsam wie möglich zwischen den Blumen ab und begann, Rüstung und Kleidung zu entfernen. „Ich hätte diesen Ort nicht ohne Ihre ausdrückliche Erlaubnis betreten, aber die Umstände...“ Aerith schüttelte nur den Kopf. „Dieser Ort und ich gehören zusammen. Er hätte mich beschützt, wenn Ihre Absichten böse gewesen wären. Aber...“ Ihr Blick wanderte über Einschusslöcher in schwarzem Leder und getrocknete, sowie noch feuchte Blutspuren. „... Sie sind auch verletzt, General.“ Dieser stutzte. Dachte: `Ihr Freund ist schwer verletzt, und anstatt sich ausschließlich um ihn zu sorgen, tut sie dies ebenso bei anderen? Fremde, die sie überhaupt nicht kennt? Was für ein Mädchen ist das?´ - und schüttelte den Kopf. „Ich bin momentan nicht wichtig! Aber wenn Sie ihm wirklich helfen können...“ „Ich werde es versuchen.“ „Sie werden entsprechendes Werkzeug brauchen, um die Kugeln...“ „Das mag jetzt verrückt klingen, aber... ich habe alles benötigte hier.“ „Wo?“ Es klang ein wenig skeptischer als geplant – aber die mittlerweile neben Zack in den Blumen sitzende Aerith sah auf... und lächelte auf eine Art und Weise, die sanft und stark gleichzeitig war. „In mir.“ Und Sephiroth wurde klar, dass sie die Wahrheit sagte. Und, dass er hier nichts mehr tun konnte. Langsam ging er auf den Ausgang zu... „General? Ich rufe Sie an.“ Er nickte. Ja. Natürlich würde sie ihn anrufen. Die Nummer hatte sie bestimmt von Zack. Es war strengstens untersagt, diese Nummer an Zivilisten... Es war unwichtig. Ein Notfall. Hatte Zack sie vielleicht nur deshalb... Sephiroth sah sich fast vorsichtig noch einmal um. Aerith kniete neben Zack zwischen den Blumen, die Augen geschlossen, die Hände mit den nach unten zeigenden Innenseiten knapp über dem bewegungslosen Körper haltend. Irgendetwas schien an ihren Händen zu glitzern. Wasser? Licht? Magie? Was auch immer es war, es gehörte Aerith. Und sie würde es mit Zack teilen. Sephiroth verließ lautlos die Kirche, zog die Tür hinter sich zu und verhielt einen Augenblick lang in völliger Regungslosigkeit. Seine eigenen Verletzungen... in Aerith Nähe hatte er sie kaum wahr genommen. Jetzt kämpften sie sich zurück in sein Bewusstsein, ließen ihn wissen, dass auch er nicht mehr lange durchhalten würde, wenn es ihm nicht bald gelänge, die Fremdkörper zu entfernen. Dennoch zwang sich Sephiroth, nicht wie ein verletzter Kämpfer oder ein besorgter, hilfloser Freund zu denken, sondern militärisch. Der Kampf... war vorbei. Wer jetzt noch lebte, interessierte sich ausschließlich für die eigene Rettung oder die anderer. Seine SOLDIER hatten für Fälle wie diesen klare Anweisungen, und Sephiroth wusste, diese würden befolgt werden. Für ihn gab es hier nichts mehr zu tun. Der Rückweg ins HQ schien, obwohl Sephiroth sich mit normaler Geschwindigkeit vorwärts bewegte, ewig zu dauern, und dasselbe galt für den Weg in sein Appartement. Er wusste, dass Hojo die schweren Verletzungen nicht entgangen waren. Vermutlich wartete er bereits mit allen benötigten Instrumenten im Labor auf das reumütige Eintreffen seines größten Fehlschlages, um diesen von den Kugeln zu befreien, aber gleichzeitig neue, mentale Wunden zuzufügen. Wunden, die wesentlich langsamer heilen würden, als die des behandelten Körpers. Ich werde nicht hingehen!, dachte Sephiroth mit aller noch vorhandenen Entschlossenheit. Selbst, wenn diesmal Narben zurückbleiben... Ich werde nicht hingehen! Er legte die Rüstung und all das schwarze Leder ab, betrat das Badezimmer, platzierte das Handy in Reichweite und nahm den kleinen, silbernen Koffer aus dem Regal – mit Abstand das gefühlstechnisch finsterste Objekt im Raum – und öffnete ihn, parierte nicht routiniert aber dennoch gefasst die schweigende Begrüßung von kalt glänzenden, chirurgischen Instrumenten. Wenn Hojo die Kugeln nicht entfernen sollte... musste er es selbst tun. Nicht zum ersten Mal. Sehr selten, aber eben doch hin und wieder, gelang es Fremdkörpern, in seinen Körper einzudringen. Das Inventar des Koffers eröffnete eine echte Alternative zu Hohn und Spott im Labor. Abgesehen davon... war dieser Körper nicht wie andere. Die fremden Objekte verursachten Schmerz und Blutverlust – blieben jedoch stets nach kurzer Zeit stecken. Sephiroth wusste nicht, wem oder was er diesen Effekt zu verdanken hatte. Aber dieses Mal rettete es ihn. Er nahm alle benötigten Desinfektionen vor und begann. Es brauchte seine Zeit. Aber letztendlich landete auch die letzte blutverschmierte Kugel im bereitgestellten Behältnis. Sephiroth atmete tief durch und griff nach dem Verbandsmaterial, versorgte auch die letzte Verletzung und warf, während er das Besteck reinigte, einen erneuten, fragenden Blick zum Handy. Es hatte immer noch keinen Ton von sich gegeben. Lange Wartezeiten endeten so selten glücklich... Sephiroth griff nach dem Gerät, taumelte, fing sich im letzten Moment wieder... Seine körperlichen Grenzen mochten in anderen Verhältnissen existieren. Aber es gab sie. Gerade fand er sich vor einer wieder. Und jeglicher Widerstand war zwecklos. Er nahm kaum wahr, dass er den Weg ins Schlafzimmer einschlug. Niemals zuvor hatte er sich so müde, so zerschlagen, so besiegt gefühlt wie jetzt. Niemals zuvor war er so allein gewesen. Zack und Cutter... auf eine für ihn unverständliche Art und Weise waren sie in Gedanken immer bei ihm gewesen. Das wusste er, jetzt wo er ihr fehlen deutlich spüren konnte, mit untrüglicher Gewissheit. Nun war er es, der mit seinen Gedanken bei ihnen sein musste. Langsam ließ er sich auf das Bett sinken, stellte die Lautstärke des Handys auf `Maximum´ legte es neben das Kopfkissen und rollte sich in die Decke ein. Sie war kalt. Sephiroth hätte einiges darum gegeben, wenn sie es gerade jetzt nicht gewesen wäre. Aber sie war es und er musste es akzeptieren. Die Kälte erinnerte ihn an das Trümmerfeld, in dem er Cutter verloren hatte, und irgendwann wurde ihm bewusst, wie sehr dieser Ort seinem eigenen Herzen glich, so chaotisch, trostlos, abweisend, voller Hindernisse... und so düster. Jetzt mehr denn je. Letztendlich hatten es nur zwei Personen gewagt, sich ihren Weg durch dieses Schlachtfeld zu suchen. Und ich wusste es nicht zu schätzen. Ich habe... nicht rechtzeitig begriffen, was sie für mich sein wollten, obwohl sie immer wieder und wieder versucht haben, es mir klar zu machen, jeder auf seine Art und Weise. Zack, der sich niemals für lange Zeit hat wegjagen lassen. Cutter, die mir immer die Wahrheit gesagt hat. Beide haben mir ihr Vertrauen geschenkt, auf menschlicher Ebene, und ich... konnte es weder annehmen, noch vollständig wegstoßen. Und jetzt wird es vielleicht für immer verlöschen, ohne dass ich auch nur das Geringste dagegen tun kann... Ich möchte etwas dagegen tun! Ich möchte beide wissen lassen, dass ich es endlich kapiert habe und ihr Geschenk annehme... Aber vielleicht werden sie es... niemals erfahren... Sollte es wirklich soweit kommen... habe ich es nicht anders verdient. Es ist meine Strafe für zuviel Zögern und zuviel Ignoranz! Er schob das Handy näher und schwor sich, es weder aus den Augen zu lassen, noch einzuschlafen bevor es klingelte, ganz egal, wie sehr sein Körper sich nach Ruhe sehnte. Mehr als das konnte er momentan nicht für Zack tun. Was Cutter anging... Ich konnte dich nicht beschützen... Als du mich am nötigsten gebraucht hast, konnte ich nichts für dich tun... Ich hätte dich nicht mitnehmen dürfen! Die Falle war so offensichtlich... und ich habe... Zack vor Hojo zu retten war... alles mögliche. Aber es reicht nicht aus, um den dir gegenüber gemachten Fehler auszugleichen. Und vielleicht kann ich das nie wieder gut machen. Vielleicht sehe ich dich nie wieder... Es ist alles meine Schuld! Meine ganz allein. Ich habe alles falsch gemacht. Und Rail... Rail hatte Recht. Ich hätte Shinra in der Kanalisation sterben lassen sollen, und alles wäre gut gewesen! Cutter wäre noch hier. Und Zack auch... Alles wäre anders... Das Handy begann zu klingeln. Sephiroths setzte sich ruckartig auf, ignorierte das augenblicklich einsetzende Schwindelgefühl, griff er nach dem Gerät, klappte es auf ohne aufs Display zu sehen... „Mrs. Gainsborough?“ „Hallo, General Crescent.“ Ihre Stimme klang völlig ruhig und beinhaltete weder Erleichterung, noch Trauer. „Wie geht es Zack?“ Er flüsterte fast. Die Sekunde, bis Aerith antwortete, schien sich weiter als die Ewigkeit zu dehnen. Aber dann erklang ihre Stimme. Klar und deutlich. „Er wird leben. Und wieder ganz gesund. Aber ich kann nicht sagen, wann er aufwacht. Vielleicht in ein paar Tagen, aber es können auch Wochen sein. Oder Monate. Seine Verletzungen waren sehr schwer, und...“ Ihre Worte verschwammen in Sephiroths Ohren. Nur das `Zack wird leben´ wiederholte sich als Endlosschleife in seinem Kopf, und er konnte spüren, wie die Nachricht einen Teil des sich im Laufe der vergangenen Stunden um sein Herz gelegten Panzers aus Schuldgefühlen, Angst und Zweifel zerschlug. Zack würde leben. Es war ihm gelungen, einen seiner beiden Freunde zu retten – wenn auch nicht alleine. Aber das spielte keine Rolle. Zack würde leben. „... mit Ihren Verletzungen, General?“ „Ich bin in Ordnung“, antwortete Sephiroth mit einer Ruhe, die ihn selbst überraschte. „Vielen Dank für Ihre Hilfe, Mrs. Gainsborough.“ „Vielen Dank für Ihr Vertrauen“, gab Aerith zurück. „Sie können ihn gerne besuchen kommen, wann immer Sie möchten. Auch, wenn er nicht wach ist, er wird Ihre Gegenwart spüren. Es wird ihm helfen, zurückzukommen. Menschen spüren immer, wenn man an sie denkt. Es ist... wie ein roter Faden, nach dem man sich richten kann.“ „Verstehe“, antwortete er leise. „Danke.“ Sie legten auf. Sephiroth ließ sich zurücksinken. Zack würde leben. Die Decke fühlte sich jetzt ein klein wenig wärmer an als vorher, beschwor einen Hauch Trost herauf. Ich wünschte, Cutters Rettung würde ebenso gut verlaufen... Ich wünschte, das Handy würde auch für sie klingeln... Ich wünschte, ich... könnte mehr dazu beitragen, außer meine Gedanken. Aber mehr, das wusste er mit Sicherheit, konnte er nicht tun. Vielleicht war sie zu mehr in der Lage... diese seltsame Frau aus dem Dschungel. Sephiroth glaubte nicht an ein Schicksal. Aber ihr unerwartetes Auftauchen exakt in diesem Augenblick konnte unmöglich ein Zufall gewesen sein. Sie hatte gewusst, was geschehen würde. Das war die einzige Erklärung. Da der General Verbindungen zu den Rebellen ausschloss, musste er nach wie vor von einem einzigartigen Wissensaustausch zu dem Planeten selbst ausgehen, was wiederum die Annahme, bei diesem Wesen mehr als einen 2nd Lines Blue Wanderer vor sich zu haben, bestätigte. Aber all das war im Grunde völlig nebensächlich. Sie hatte seine Cutter mitgenommen. Und Sephiroth wusste weder, wohin, noch, was sie mit dem Mädchen vorhatte. Die Auswirkungen des Giftes waren schon so weit fortgeschritten... Was, wenn sie doch... Wider jegliches bessere Wissen versuchte er, den Teenager anzurufen. Aber der Ruf lief, wie erwartet, ins Leere. Ebenso wie seine Gedanken? Sephiroth schüttelte fast trotzig den Kopf. Sie hat mir versprochen, nicht zu sterben! Sie hat mich noch niemals angelogen! Und ich glaube ihr! Ich glaube... ihr... Müdigkeit breitete sich über seine Sinne aus, und er hatte keine Kraft mehr übrig, sich dagegen zu wehren. Der Schlaf brachte ihn zur Ruhe, ließ seine Gedanken inne halten und setzte sie sanft auf einem weichen Boden ab, entspannte den geschundenen Körper, linderte den Schmerz und versuchte, eine klagende Seele zu trösten. Vielleicht lag es wirklich nur am draußen vorbeiziehenden, flüsternden, wispernden Wind, aber in dieser Nacht hatte Sephiroth einen Traum. Er träumte (und war sich seines Zustandes völlig bewusst) von einer endlos scheinenden, sandfarbenen Ebene unter einem Himmel von undefinierbarer Farbe. Die Ebene war unbebaut und schien auf etwas zu warten, geduldig, völlig neutral, und noch während Sephiroth versuchte, sich darüber klar zu werden, was er sah... nahm er die Wärme hinter sich wahr. Die Arme schlossen sich nur einen Sekundenbruchteil später um seinen Bauch, fest und behutsam gleichzeitig, und dasselbe galt für den sich von hinten an ihn schmiegenden Körper. Jetzt war dieser wieder warm, so warm, wie er es immer gewesen war, schon seitdem er sich zum ersten Mal nach dem unfreiwilligen Sturz vom Dach eines Gebäudes hatte fangen lassen. Nur ein einziges Wesen hatte es jemals gewagt, sich ihm auf eine derart stürmische Art und Weise zu nähern. Sephiroth schloss die Augen und schob gleichzeitig seine Hände auf die Cutters. Es war ihm unmöglich, zu sagen, wie lange sie diese Position beibehielten, aber als er die Augen wieder öffnete (niemand hatte es ihm gesagt, es war mehr ein von ihr auf ihn übertragenes Gefühl), war die Ebene nicht mehr wie vorher. Jetzt war sie erfüllt von Schatten, die ihre Farben zu schnell änderten, als dass man sich für eine hätte entscheiden können. Sie türmten sich auf zu unscharfen Objekten, wichen auseinander, formten etwas Neues, zerfielen wieder... gleichmäßige, fließende Bewegungen, hundertfach gleichzeitig ausgeführt und über die gesamte Ebene verteilt. Und Sephiroth begriff, dass er in die Zukunft sah. Eine Zukunft, die allem Anschein nach selbst noch nicht wusste, wie und mit wem sie sich gestalten wollte, eine Zukunft, die aus allen nur denkbaren Überraschungen und unzähligen Möglichkeiten bestand... weil noch nichts entschieden war. Bis auf die konstante Wärme hinter ihm und unter seinen Händen. Sie bekräftigte das absolut ernst gemeinte, nach wie vor gültige Versprechen, nicht zu sterben. In seinem Appartement, eng in die jetzt wieder wärmende Decke gehüllt, huschte ein lächeln über das Gesicht des tief und fest schlafenden Sephiroths. Er hatte verstanden. Und würde warten. Es spielte keine Rolle, wie lange. Er würde warten. ENDE Teil 2 von `Blue Wanderer - In the lines´ ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ ~ ~ Its not what you thought When you first began it... ~ ~ (`Wise up´ - Summersault) ... aber es ist trotzdem eine spannende, wundervolle Reise geworden. Und jetzt sind wir alle hier. Am Ende des 2.ten und vorletzten Teils von `Blue Wanderer´, denn wie einige von euch schon geahnt haben, wird es noch einen 3.ten Teil geben. Und ich bin, nach 16 Wochen regelmäßigem Update, irgendwie alles: Glücklich, traurig, stolz, erschöpft, müde, hellwach... und noch so vieles mehr. Ich möchte mich bei euch allen (auch den stummen Lesern) bedanken. Für eure mir in so vielen unterschiedlichen Varianten geschenkte Begeisterung. Ihr seid großartig! Und ich werde versuchen, mit dem noch kommenden, letzten Teil von `Blue Wanderer´ mindestens genauso großartig zu sein. Also... lasst es euch gut gehen bis dahin! Ihr werdet mir fehlen! Denkt hin und wieder mal an mich, vielleicht sitze ich gerade über einer schwierigen Szene, raufe mir die Haare und brauche einen eurer freundlich-motivierenden Gedanken. Bis (hoffentlich) bald, und viele liebe Grüße B. PS: Möglicherweise werdet ihr hin und wieder Info über ein Update bekommen, aber dabei handelt es sich lediglich um durch entsprechende Hinweise vorgenommene Korrekturen in den bereits bestehenden Kapiteln. Bis das erste Kapitel vom 3.ten Teil on geht, werden definitiv einige (hoffentlich nicht zu viele) Monate vergehen! Um gar keine Zweifel aufkommen zu lassen, werde ich in meinem Profil vermerken, was geändert wurde. Kapitel 37: Endungen und Anfänge -------------------------------- Für gewöhnlich schob sich der rotglühende Sonnenball zügig über den östlichen Rand des Horizontes, fast so, als könne er es nicht erwarten, all das so lange in Dunkelheit getauchte Land wieder zu sehen. An diesem Morgen jedoch, dem Morgen nach der Schlacht in den Slums von Midgar und einem erneuten Sieg ShinRa´s, schien der Aufstieg der Sonne zögerlicher zu sein als jemals zuvor, und die Schatten machten einen deutlich längeren und dunkleren Eindruck, als wollten sie all die Zerstörung vor dem Blick des Lichtes verbergen. Aber letztendlich siegte die Helligkeit. Beziehungsweise was davon in den Slums ankam. Es war nicht viel – aber es genügte. Von dem, was sich die vom Glück etwas weniger beschenkten Menschen durch harte Arbeit und viel Hoffnung aufgebaut hatten, war, wenn man von jeder Menge Rohmaterial absah, kaum noch etwas übrig, und die Betroffenen rückten unwillkürlich näher zusammen, um nicht ganz den Halt zu verlieren. Was wirklich geschehen war ... niemand konnte es mit absoluter Sicherheit sagen. Aber allen war klar, auf wessen Konto die gigantische Zerstörung letztendlich ging, und so wanderte an diesem Morgen mehr als ein nicht freundlich gesinnter Blick durch die (tragischerweise völlig unbeschädigte) Platte in Richtung des ShinRa Hauptquartiers und das am höchsten Punkt liegende Büro. In diesem war es so zögerlich hell geworden als sei das Licht der Ansicht, Rufus Shinra habe dieses Geschenk nicht verdient, aber die Botschaft war aufgrund der unentwegt angeschalteten Deckenlampen nicht angekommen. Und selbst wenn, hätte sie den hinter seinem Schreibtisch sitzenden Mann kaum berührt. Für gewöhnlich war Rufus Shinra ein eiskalter Stratege und niemand, der die Entwicklung von Gefühlen zuließ oder sich ihnen gar hingab. Aber diesmal war er durchaus bereit, eine Ausnahme zu machen. Und beinahe schon beängstigend unzufrieden zu sein. Die letzten 48 Stunden waren nicht nach Plan verlaufen, was im Klartext bedeutete, dass es immer noch Kräfte gab, die sich der mächtigen Electric Power Company nicht unterwarfen. Das zu akzeptieren war für jemanden wie ihn nahezu unmöglich, auch wenn ihm sein Verstand immer und immer wieder sagte, dass ihm derzeit gar keine andere Wahl blieb. Wenigstens hatte irgendjemand die Blutflecken (sein Blut!) auf Teppich und Schreibtisch beseitigt, und somit die optischen Spuren der von der Rebellenführerin Toron Rail verübten, brutalen Entführung. Vermutlich hatte Tseng diese Arbeit übernommen. Von ihm lag Rufus als einzigem Abteilungsleiter schon ein Bericht vor. Mit Sicherheit beinhaltete diese Schnelligkeit die Bitte um Verzeihung, immerhin waren es Tsengs Leute gewesen, die bei der Verhinderung der Entführung kläglich versagt hatten – von ihrer Unfähigkeit, am Leben zu bleiben, um eine entsprechende Strafe zu erhalten, ganz zu schweigen. Zumindest Tseng war noch am Leben. Und würde die volle Verantwortung für die inakzeptablen Leistungen seiner verstorbenen Mitarbeiter übernehmen! Nach der Zurechtweisung, dessen war sich Rufus völlig sicher, würde es niemandem mehr gelingen, unberechtigterweise in sein Büro einzudringen, solange sich dort Turks aufhielten! Was die fehlenden Berichte anging ... Für gewöhnlich war es Rufus, der immer mehr wusste als alle anderen, oder dies zumindest vorgab, um sein Gegenüber zu verunsichern. Aber dieses Mal hatte er tatsächlich keine Ahnung, was wirklich in den Slums geschehen war. Und er konnte ebenso wenig sicher sein, die detaillierte Wahrheit zu erfahren. Wäre dies eine normale Mission gewesen, hätte er auf Crescents Bericht gebaut. Aber sein Instinkt sagte ihm klar, dass der General an der gigantischen Zerstörung beteiligt (und vielleicht sogar der Auslöser) gewesen war. Bei Jenova Projekt 1 war alles möglich, war er doch exakt für Situationen wie diese erschaffen worden. Aber konnte er wirklich solche gigantischen Kräfte entfesseln? Und wenn nicht, was oder wer außer ihm hätte eine derartige Zerstörung anrichten können? Und was war mit den Gerüchten, denen zufolge er verletzt worden war? Rufus grübelte gerade darüber nach, wie er diese Frage beantworten konnte ohne allzu viel kostbare Zeit zu investieren, als sich die Bürotür öffnete. „Sie haben überlebt.“ Die Stimme klang undefinierbar. „Enttäuscht, Professor?“ „Keinesfalls, Mr. President.“ Er betrat das Büro, schloss die Tür hinter sich und nahm in einem der vor dem Schreibtisch befindlichen Sessel Platz. Dabei erreichte die von ihm ausgestrahlte Aura der Selbstzufriedenheit ein Ausmaß, hinsichtlich dessen Rufus fast schlecht wurde. Dennoch blieben die Gesichtszüge des Präsidenten unbewegt. „Professor, mir sind Gerüchte zu Ohren gekommen denen zufolge Jenova Projekt 1 verletzt worden sei.“ „Tatsächlich? Nun, die Gerüchte sind wahr. Er wurde von mehreren Kugeln getroffen. Über die Schwere der Verletzungen allerdings kann ich keine genaue Aussage treffen, da er seinen diesbezüglichen Pflichttermin im Labor nicht wahr genommen hat.“ „Lebt er noch?“ „Er befindet sich in seinem Appartement. Seine Vitalfunktionen sind stabil, was auf ein eigenmächtiges Entfernen der Kugeln hinweist. Die übriggebliebenen Verletzungen dürfte sein Körper selbst heilen können. Ich möchte Sie trotzdem ersuchen, ihn daran zu erinnern ...“ Rufus brachte die angefangene Rede mit einer einzigen klaren Handbewegung zum Erliegen. „Ihn jetzt schon zu verlieren, wäre für unsere Pläne höchst ungünstig!“ „Wir werden ihn nicht verlieren“, antwortete Hojo in einem leicht gereizten `Das sagte ich doch bereits! Hör mir gefälligst zu!´ Tonfall, der allerdings von seinem Arbeitgeber ignoriert wurde. „Nicht, bevor alle Experimente abgeschlossen sind und die S-1 Einheiten in Serie gehen.“ Die S-1 Einheiten. Der überarbeitete Grund für die Existenz von Jenova Projekt 1. Ziel sämtlicher, diesen betreffender Untersuchungen. Ein ... der Traum, die Vision, die strahlende Zukunft der Electric Power Company. Rufus überliefen Schauer des Entzückens, wann immer er daran dachte. „Hat sich hinsichtlich des diesbezüglichen Zeitplans etwas geändert?“ „Wir liegen nicht zurück.“ „Werden aber auch nicht früher fertig! Ich bin nicht zufrieden, Professor!“ „Mr. President, wenn Sie die ultimative Stärke wollen, müssen Sie warten, bis Jenova Projekt 1 diese erreicht hat! Laut meinen Studien und Erkenntnissen sowie den Zusammenfassungen seines Simulatortrainings hat er noch eine Menge Potential. Und ich bin nicht bereit, zweitklassige Arbeit abzuliefern oder mein Lebenswerk der Gefahr des Scheiterns auszusetzen, indem ich übereilt vorgehe. Sie werden sich in Geduld üben müssen!“ Rufus verkniff sich im letzten Moment ein verächtliches Schnauben. „Ich verlange, dass Sie sich nicht mit Nebensächlichkeiten aufhalten!“ „Keines meiner Experimente ist nebensächlich. Wo wir gerade von Experimenten sprechen: Jenova Projekt 1 hat einen seiner SOLDIER, den ich für meine Arbeiten ausgewählt hatte, gerettet.“ „Seit wann lassen Sie sich ein Testobjekt von einem anderen Testobjekt stehlen?“ Der spöttische Unterton war unüberhörbar. „Um wen handelt es sich?“ „1st Class SOLDIER Zackary Fair, diese elende Nervensäge.“ Rufus schwieg einen Moment lang nachdenklich. Dass Jenova Projekt 1 jemanden rettete, der nicht in der Lage war, dies für sich selbst zu tun, war ungewöhnlich. Normalerweise hätte er den Mann seinem Schicksal überlassen müssen. Dass er es nicht getan hatte ... Fair allerdings war ein 1st Class SOLDIER. Aber ob das als Begründung ausreichte? „Mr. President, sofern das entwendete Testobjekt noch lebt, vertraue ich darauf, dass Sie es zurückholen und mir übergeben.“ Hojos Stimme besaß Ähnlichkeit mit einem Raubtier, das dabei war, die Krallen langsam in die zu Boden geworfene, aber noch zappelnde Beute zu bohren. „Personen seines Ranges sind außerordentlich widerstandsfähige Experimentgrundlagen. Selbst wenn er, wie Jenova Projekt 1 sich ausdrückte, `einer seiner besten Männer´ ist – es gäbe eine Menge interessanter Tests, die nur auf einen geeigneten Probanten warten.“ Das hat er gesagt?, dachte Rufus. Seltsam ... Für gewöhnlich verliert er das Interesse an seinen SOLDIER, wenn sie im Sterben liegen. Es scheint doch mehr dahinter zu stecken. „Vor allen Dingen“, wandte er sich an Hojo, „sollten Sie interessiert daran sein, weiter von Jenova Projekt 1 gefürchtet zu werden. Wenn er diese Furcht jemals verliert, haben Sie keine 24 Stunden mehr zu leben!“ Hojos Mundwinkel verzogen sich zu einem verächtliches Lächeln. „Sie auch nicht, Mr. President.“ „Jenova 1 ist Ihr Testobjekt. Halten Sie ihn unter Kontrolle!“ Und dann, gänzlich unvermittelt: „Fair hat ein Mädchen in den Slums. Vermutlich wurde er zu ihr gebracht. Ich werde entsprechende Schritte einleiten. Haben Sie sonst noch etwas auf dem Herzen?“ Hojo dachte einen Augenblick lang nach. Mit Sicherheit hätte der kleine Deal mit der jetzt toten Rebellenführerin Toron Präsident Shinra außerordentlich interessiert. Dasselbe galt für die Videokamera, mit welcher der Professor den Höhepunkt dieses seltsamen Bündnisses festgehalten hatte. Aber einerseits musste selbst Rufus nicht alles wissen, und andererseits waren die Daten auf der Kamera ... nicht vorhanden. Ein Zustand, den sich Hojo nicht erklären konnte. Er kannte dieses Modell in- und auswendig und war sich absolut sicher, es ausreichend präpariert zu haben. Trotzdem fehlte die Speicherkarte. Und das, obwohl der Hebel auf der entsprechenden Position stand. Ohne Speicherkarte hätte im Display unverzüglich eine Fehlermeldung erscheinen müssen. Der interne Kameraspeicher war ebenfalls leer. Der Verlust ... das Fehlen dieser Daten war höchst bedauerlich, aber viel besorgniserregender war die Tatsache, dass auch die Erinnerungen Hojos an alle durch den Sucher der Kamera gesehenen Geschehnisse wie ausgelöscht waren. Dabei war er sich ganz sicher, unglaubliche Szenen miterlebt zu haben ... Aber seine Erinnerungen setzten erst unmittelbar nach dem Vorgang, der die Slums in Schutt und Asche gelegt hatte (nicht einmal an den konnte er sich erinnern) ein. Ihm fehlten Beweise. Und kein Wissenschaftler, der etwas auf sich hielt, machte eine Aussage ohne die entsprechenden Beweise vorlegen zu können. Aber wer oder was hätte einen derartigen mentalen und materiellen Gedächtnisschwund bewirken können? Es gab keine Antwort. Nur eine Kamera, die als Strafe für ihr Versagen langsam in einem Behälter mit Säure verkocht war. Was diesen Blue Wanderer, Tzimmek, anging ... Hojo plante nicht, diesbezügliche Nachforschungen anzustellen, auch wenn sich Toron eindeutig zweideutig ausgedrückt hatte. Jenova Projekt war niemals an Menschen interessiert, nur an deren Fähigkeiten. Die sich problemlos ersetzen ließen. Und so erhielt Rufus auf seine Frage nur ein Kopfschütteln. „In diesem Fall dürfen Sie gehen, Professor.“ Kaum wieder allein, griff Rufus zum Telefon und kontaktierte die Turks. Es war höchste Zeit für sehr klare Anweisungen und die Rückgewinnung der vollständigen Kontrolle über die Electric Power Company. Nichts weiter als eine Kleinigkeit für jemanden wie ihm, dem es im Blut lag, andere zu kontrollieren. Andere Personen wiederum waren momentan noch weit davon entfernt, die gewohnte Kontrolle auszuüben. In seinem Appartement öffnete Sephiroth die Augen, blinzelte in das ihn umgebende Tageslicht. Für einen Augenblick schien es einer der Morgen zu sein, in denen sich der General lediglich etwas mehr Schlaf genehmigte, und der Augenblick war klar, hell, rein und von unvergleichlicher Leichtigkeit. Dann ging er vorbei. Und die Erinnerungen kamen mit der Intensität mehrerer schwerer Bombendetonationen zurück. Die gestrige Schlacht in den Slums. Zack. Cutter. Cutter. Sephiroth griff nach dem Handy, warf einen Blick auf das Display. Keine Anrufe in Abwesenheit. Keine SMS. Keine sonstigen Lebenszeichen. Cutters Nummer befand sich nicht auf dem ersten Platz der gespeicherten Rufnummern. Aber unter den ersten Fünf. Dem wieder und wieder ertönenden Rufton zu lauschen war quälender als vieles bisher Erlebte, aber noch grausamer war, dass niemand das Gespräch annahm. Noch nicht. Er beendete das monotone Klingeln, rollte sich auf den Rücken und schloss die Augen. Hab Geduld. Es ist noch keine 24 Stunden her. Erinnere dich, wie lange es bei ihrer ersten Rettung gedauert hat. Die Umstände sind fast dieselben. Hab Geduld. Und was war mit Zack? Nur zu gerne hätte er auch diese Nummer angerufen, ließ es jedoch bleiben. Aerith hatte gesagt, der 1st würde leben, und das mit einer alle Zweifel vernichtenden Gewissheit. Alles andere, zum Beispiel sein Aufwachen, ließ sich nicht beschleunigen. Sephiroth seufzte leise und setzte sich halb auf. Schmerz schoss wie Feuer durch seinen Körper, versicherte einen noch keinesfalls abgeschlossenen Heilungsprozess - und wurde ignoriert. Es ging nicht anders. Beweisstücke wie die Kugeln und die durch Einschusslöcher unbrauchbar gemachte Uniform mussten vernichtet werden. Und ganz abgesehen davon ... Ich würde meinen Rang verwetten, Rufus weiß, dass ich nicht im Büro, sondern hier bin. Und er lässt die Tür bewachen. Wenn ich mein Appartement nicht in absehbarer Zeit verlasse, wird es gestürmt. Hoch mit dir, General Sephiroth! Beweg dich! Trotzdem gelang es ihm nur mit Mühe, das Schlafzimmer zu verlassen und das Badezimmer zu betreten. Um sich von den Schmerzen abzulenken, ließ er seine Gedanken schweifen, bis diese den (noch) fehlenden Missionsbericht zu den gestrigen Vorgängen in den Slums entdeckten. Unser mächtiger Präsident, dachte Sephiroth grimmig lächelnd, hat keine Ahnung, was in den Slums wirklich geschehen ist. Ich bin mir sicher, das macht ihn fast wahnsinnig. Aber er wird warten müssen. Mein Körper kann sich vollständig erholen, während ich den Bericht anfertige. In meinem jetzigen Zustand werde ich ihm nicht gegenübertreten! Fest entschlossen, seinem Körper soviel Zeit wie möglich zur weiteren Heilung zu geben, begann er mit der Vernichtung der Beweismittel und betrat anschließend die Küche. Im Grunde hatte er keinen Hunger. Aber da Potions und Materia bei ihm nahezu wirkungslos waren, blieb als Energiezufuhr nur Nahrung. Zack wäre mit dieser vernünftigen Handlung bestimmt sehr zufrieden gewesen. Vermutlich hätte er ihm auf die Schulter geklopft und das Ganze mit einem: „Braver Seph! Noch ein Bissen für Zacky ... Mund auf, hier kommt das Flugzeug ...“ kommentiert. Sephiroth hätte einiges dafür gegeben, jetzt die vertraute Stimme zu hören. Aber alles blieb still. Was ihn unwillkürlich auf andere Gedanken brachte. Letztendlich bin ich schuld an Zacks Verletzungen. Ich habe bewegungslos im Kugelhagel gesessen. Er wurde fast getötet, weil er mich retten wollte. Ob er wütend ist, wenn er aufwacht? Ob er überhaupt noch mein Freund sein wird? Ich könnte verstehen, wenn er das nicht mehr sein möchte. Schließlich habe ich ihn fast umgebracht. Aber ich war im freien Fall, ohne die geringste Chance auf eine weiche Landung. Und konnte nichts dagegen tun, absolut nichts. Bei Cutter war es genauso. Ich war meinen einzigen beiden Freunden wirklich keine große Hilfe, gestern. Ob sie mir das jemals verzeihen können? Seltsam. Noch vor ein paar Stunden hätte ich niemals angenommen, auf etwas wie `Vergebung´ zu hoffen. Aber jetzt? Ich habe erkannt, wie wichtig mir Zack und Cutter sind. Und will sie nicht verlieren! Aber welche Macht kann mein Wille in einer solchen Situation haben? Die Erinnerung an den Traum der vergangenen Nacht kam zurück. Eine leere Ebene, auf der die Zukunft symbolisierende, verschwommene Schatten tanzten. Keinerlei Beständigkeit oder gar sichere Prognosen. Bis auf die konstante Wärme von Cutters Körper hinter dem seinen, und ihre um seine Taille geschlungenen Arme. Sephiroth hielt einen Augenblick lang inne, um darüber nachzudenken. Cutters Verhalten hatte keinen wütenden Eindruck gemacht. Vielmehr schien es, als habe sie ihn trösten wollen. Und erinnern. An das Versprechen, nicht zu sterben. Mir scheint, dachte Sephiroth, vorerst bleibt nur das. Und etwas, das ich bisher nur sehr, sehr selten empfunden habe (weil ich es gewohnt bin, die Dinge selbst zu bewerkstelligen). Hoffnung. Ich werde alles daran setzen, den Glauben an diese beiden Dinge nicht zu verlieren, bis du zurückkommst, Cutter, aber es wäre besser, du kommst schnell zurück ... Er beendete das Frühstück und machte sich in seiner völlig identischen Ersatzuniform und den gewohnt energischen Schritten auf den Weg ins Büro, wo er unverzüglich mit der Erstellung des Berichtes begann. Insgeheim hätte er sich gerade jetzt ein wenig Ruhe gewünscht, galt es doch, etwas Akzeptables abzuliefern ohne zuviel Wahrheit zu verraten, aber der ShinRa Alltag duldete keine Sonderwünsche, und so wurde es später Nachmittag, ehe der General an die Tür des Präsidenten klopfte, um den Bericht zu überbringen – dem mit Sicherheit in Bälde erfolgten Befehl, sich persönlich im Büro zu melden, zuvorkommend. Rufus Shinra griff betont gelangweilt nach dem Bericht und begann, ohne seinem Gast einen Platz anzubieten, zu lesen. „Wie ich hier sehe“, sagte er schließlich, „ist es Ihnen endlich gelungen, diese lächerliche Rebellenorganisation zu zerschlagen. Ich bin von Männern in Ihrer Position etwas mehr Tempo gewohnt, General.“ Sephiroth hatte eine derartige Provokation erwartet und nicht vor, sich zu rechtfertigen. Ein Verhalten, das Rufus erwartet zu haben schien, denn er fuhr, ohne eine längere Pause zu machen, fort: „Mir wurde mitgeteilt, Sie seien verletzt worden. Geht es Ihnen gut, General?“ „Ich habe keinerlei Beschwerden“, lautete die fast verächtlich ruhige Antwort. „Das freut mich zu hören“, fuhr der Präsident der Electric Power Company ungerührt fort, obwohl natürlich das genaue Gegenteil der Fall war. „Ich frage mich nur, weshalb Sie sich nach Ihrer Rückkehr ins HQ nicht unverzüglich im Labor gemeldet haben.“ „Erfahrungsgemäß hat Professor Hojo nach Missionen wie dieser genug mit anderen ... Aufgaben zu tun“, antwortete Sephiroth spitz, im Gedenken an all die wehrlosen Verwundeten, deren Körper als neues Versuchsmaterial dienen würden. Einen Herzschlag später bereute er seine Worte zutiefst. Sie eröffneten eine zu gute Möglichkeit für eine Zurechtweisung, fast schon eine Einladung. Und natürlich nahm Rufus Shinra sie an. „Aufgaben, die er, wie er mir glaubhaft versicherte, augenblicklich zurückgestellt hätte, um sich voll und ganz Ihnen zu widmen. Er war sehr betrübt, General. Und da es mir ein großes Anliegen ist, meine besten Mitarbeiter bei guter Laune zu halten, möchte ich Sie an Ihre Pflicht erinnern, Verletzungen ausschließlich von Professor Hojo behandeln zu lassen! Das ist ein Befehl, General, und ich dulde keinerlei Widerspruch und keinerlei Kompromisse. Haben Sie das verstanden?“ Art und Weise der sachlichen Bestätigung war zu entnehmen, dass der Zurechtgewiesene mit etwas Ähnlichem bereits gerechnet hatte. Aber es war nicht genug, um Rufus Shinra die Freude zu nehmen, die ihm dieses Gespräch machte. Er fühlte sich wie jemand, der eine echte Rarität langsam auf sehr kleiner Flamme röstete. Sephiroth hingegen empfand vor allen Dingen Sorge. Nicht um sich oder den Verlauf des Meetings, sondern ausschließlich um Zack und Cutter. Vor allem Cutter. „Wie ich durch Ihren Bericht erfahren habe“, riss Rufus die Aufmerksamkeit des Generals wieder an sich, „wird ein Blue Wanderer vermisst.“ Ghost Walker, dachte Sephiroth unwillkürlich. Mein Ghost Walker. „Bedauerlich“, fuhr der Präsident der Electric Power Company fort. Du hättest sie zu gerne erschossen, dachte der General fast heiter. Aber sie ist dir entwischt. Pech gehabt, Rufus. „Sollte sie zurückkehren, erwarte ich einen entsprechenden Hinweis. Kommen wir zum nächsten Punkt auf meiner Liste. Professor Hojo hat eine weitere, Sie betreffende Beschwerde abgegeben. Sie betrifft die von Ihnen ausgeübte Befehlsverweigerung bezüglich der Übergabe eines geeigneten Testkörpers an das Labor. Ich bin sicher, Sie haben einen Ihrer Meinung nach hervorragenden Grund für dieses Verhalten, aber ich bin nicht bereit, meine Zeit mit Ihren kuriosen Ansichten zu verschwenden. Dieses Unternehmen muss sich weiterentwickeln, um weiterhin die Zukunft bestimmen zu können. Opfer sind unverzichtbar. Auch bei SOLDIER! Ihre eigene Ansicht spielt diesbezüglich keine Rolle. Professor Hojos Arbeit genießt meine volle Unterstützung, und Sie werden diese in Zukunft auf keine Art und Weise mehr behindern, General! Haben Sie das ebenfalls verstanden?“ So ruhig Sephiroths Bestätigung klang – seine Gedanken rasten. Rufus hatte etwas vor. Was? Konnte er wirklich von Aerith wissen? Wenn `Ja´ ging er automatisch davon aus, dass sich der 1st dort befand? Wenn `Ja´ würde er jemanden zur Überprüfung schicken. Turks, natürlich. Die Turks waren ein Phänomen. Sie kamen überall hinein und überall hinaus, auf Befehl unbemerkt, spurlos, und sie verrieten niemals, wie sie es anstellten. War die Kirche, nein, war Aerith Glaube in die Kirche wirklich stark genug, um einer der am besten ausgebildetsten Einheiten ganz ShinRa´s widerstehen zu können? Die Stimme des Blumenmädchens erklang in Sephiroths Erinnerungen. `Dieser Ort hätte mich beschützt, wenn Ihre Absichten böse gewesen wären.´ Galt das auch für Zack? Aber wohin hätte ich ihn sonst bringen sollen?, dachte Sephiroth und empfand etwas, das er nach einigem Zögern als mittelschwere Verzweiflung einstufte. Ich muss Aerith warnen. Sofort! Aber noch komme ich hier unmöglich weg ... Ihm gegenüber blätterte Rufus Shinra seelenruhig in dem vorliegenden Bericht. „Ich vermisse den Grund für die Zerstörung der Slums, General.“ „Sie haben den Befehl selbst gegeben, Mr. President. `Eine endgültige Klärung dieser Rebellensache zugunsten ShinRa´s.´ Ihrer Anweisung wurde entsprochen.“ „Sollte die Platte beschädigt worden sein“, begann Rufus – wurde aber augenblicklich von Sephiroth, der endlich die Chance sah, die Gesprächsführung zu seinen Gunsten zu beeinflussen, unterbrochen. „Die Platte ist völlig unbeschädigt.“ Seine Stimme glich der Tarnung über einer sehr tiefen Grube, auf deren Grund Dutzende von spitzzulaufenden Pfählen warteten. „Sie können sich gerne selbst davon überzeugen. Sollten Sie danach immer noch Zweifel haben, werde ich Ihnen den Unterschied zwischen einem kontrollierten Angriff und dessen Gegenteil mit Vergnügen vor Augen führen!“ Für einen kurzen Augenblick wusste Rufus nicht, was er sagen sollte. Bisher hatte ihm das Verhör wirklich großen Spaß bereitet. Jetzt allerdings empfand er das dringende Verlangen, die Unterhaltung zu beenden. Allerdings nicht, ohne Jenova Projekt 1 daran zu erinnern, wer hier tatsächlich das Sagen hatte. „Es freut mich zu hören, dass dieses Unternehmen auch weiterhin auf Ihre Stärke zählen kann. Und um dessen ganz sicher zu sein, habe ich für Sie einen Check Up Termin bei Professor Hojo vereinbart. Er dürfte bereits auf Sie warten. Danke für Ihre Zeit, General. Sie dürfen gehen.“ Hinsichtlich seiner Sorge um Aerith und Zack verließ Sephiroth das Büro ohne zu zögern und griff, kaum auf dem Flur, zum Handy. Es schien endlos zu dauern. Aber Aerith meldete sich. Lauschte aufmerksam und ohne zu unterbrechen. Und bat ihn schließlich heiter, aber ohne die eben gehörten Worte ins Lächerliche zu ziehen, ihrer Aussage um den Schutzfaktor der Kirche einfach nur zu glauben. „Mrs. Gainsborough, Sie haben keine Ahnung, was die Turks sind! Ich schon!“ „Das mag stimmen, General. Aber Zack und mir wird trotzdem nichts geschehen. Bitte, vertrauen Sie mir.“ Vertrauen, dachte Sephiroth bitter. Ich war gerade erst dabei, diese Lektion in Bezug auf andere zu lernen. Dass ich es jetzt, bei einer fast völlig fremden Person auf Anhieb schaffen soll, ist ... „Unmöglich.“ Aerith Schweigen verriet einen Augenblick tiefster Nachdenklichkeit. „Können Sie mir stattdessen glauben, dass ich Sie sofort anrufen werde, falls sich eine Situation ergibt, die ich nicht aus eigener Kraft bewältigen kann?“ Ein Lächeln huschte über Sephiroths Gesicht. Die Gründe, warum Zack so vernarrt in Aerith war, zeigten sich immer klarer. „Das dürfte machbar sein“, antwortete er nach einer kurzen Pause. „Ich werde dennoch von hier aus zusätzliche Schutzmaßnahmen einleiten.“ Ein leises Seufzen antwortete ihm. „Sie sind wirklich genauso stur, wie Zack immer sagt.“ „Unter anderem deshalb bin ich sein General.“ „Und Sie werden es bleiben“, antwortete Aerith ernsthaft. „Das versichere ich Ihnen.“ Sie beendeten das Gespräch, und Sephiroth, mittlerweile in seinem eigenen Büro angekommen (und somit ganz bewusst Rufus Befehl, sich unverzüglich im Labor einzufinden, ignorierend), aktivierte den PC und rief das Mailprogramm auf. Die getroffene Entscheidung duldete keinen Aufschub. Die Turks waren unterwegs! Es ging um Sekunden! Tasten begannen leise zu klackern. Niemals zuvor war etwas Vergleichbares in die Wege geleitet worden. Jetzt aber galt es einzig und allein, die Aufmerksamkeit des Präsidenten von Zack, der für seinen als gefühlskalt geltenden General ganz offensichtlich eine Art `Sonderstatus´ besitzen musste, abzulenken. Um diesen Status aufzuheben gab es, sofern man die betreffende Person nicht einfach wegschicken oder vernichten wollte, nur eine Möglichkeit der Anonymitätswiederbeschaffung: Man erhob andere Personen auf dieselbe Ebene. General Crescent tat genau das. Bisher hatte Hojo ohne besondere Genehmigung auch unverletzte 1st und 2nd Class SOLDIER für (von Präsident ShinRa klar definierte, nicht tödliche!) Testzwecke in das Labor rufen können. Die jetzt von Sephiroth verfasste Mail berief sich auf genau dieses Privileg, und während er die Sätze formulierte, erklang in seinen Erinnerungen immer wieder die Stimme der jetzt im Lebensstrom befindlichen Rebellenführerin Toron Rail. `Solange du immer nur tust, was andere von dir verlangen, kannst du dein wahres Selbst nicht erkennen ...Werde endlich erwachsen! Und triff deine eigenen Entscheidungen!´ Erwachsen, dachte Sephiroth. Mein ganzes bisheriges Leben lang habe ich geglaubt, es vollständig zu sein. Aber es stimmt nicht. Vielleicht wusste ich es schon immer und war nur zu feige, um darüber nachzudenken, mich mit meinem eigenen Charakter auseinander zu setzen. Nur handeln, aber dabei nichts fühlen ... So wurde ich erzogen. Dort liegen meine Wurzeln. Aber Cutter und Zack sind das hohe Risiko eingegangen, all das zu ignorieren. Sie haben mich ihre Wärme spüren lassen, jeder auf seine ganze eigene Art und Weise. Und einen hohen Preis dafür bezahlt. Zu sagen `Es tut nicht weh´ wäre eine sinnlose Lüge. Denn es tut weh. Sehr sogar. Aber momentan bin ich außerstande, etwas dagegen zu tun. Oder meinen einzigen beiden Freunden so zu helfen, wie ich es möchte. Momentan bleibt mir, Zack betreffend, nur ein Kompromiss. In diesem Fall bestand der Kompromiss aus der Mitteilung an Rufus, dass 1st und bald aufsteigende 2nd Class SOLDIER dem Labor nicht mehr zur Verfügung stehen und bei einer Zuwiderhandlung dieses Befehls strengstens bestraft werden würden. Sephiroth las die sachlich formulierten Worte, die nicht einen Funken des beim Schreiben empfundenen Gefühls in sich trugen, ein letztes Mal durch und schickte es ab. Ihm kam in den Sinn, dass Rail mit dieser Aktion bestimmt äußerst zufrieden gewesen wäre, dann aber schob er den Gedanken beiseite. Rail war tot. Aber Zack, an den er (ebenso wie an alle anderen 1st und 2nd Class SOLDIER) die Befehlsvariante der Mitteilung schickte, lebte. Und war somit weitaus wichtiger! Als nächstes stand der Besuch im Labor an. Schon der erste Blick sagte Sephiroth, dass der bereits auf ihn wartende Hojo in erwartungsgemäß schlechter Stimmung war, aber auch, dass sich dieser Gemütszustand, wie ein Haufen bissiger Kommentare während der Untersuchung bewies, ausschließlich auf die Ereignisse des gestrigen Tages zurückführen ließ. Letztendlich aber ergaben alle Tests nur, dass der geprüfte Körper – wie üblich - keinerlei Defizite aufwies. Er wurde unverzüglich des Labors verwiesen. Der General kehrte in sein eigenes Büro zurück. Fast ehrfürchtige Ruhe empfing ihn, und zum ersten Mal seit Stunden atmete er tief durch, ließ sich hinter seinem Schreibtisch nieder und schloss einen Moment lang die Augen. Analysierte die zurückliegenden Ereignisse. Und kam zu dem Ergebnis, heute mit jeder auf irgendeine Art und Weise wichtigen Person innerhalb seines Universums in Kontakt getreten zu sein. Außer mit der wichtigsten. Sephiroth konzentrierte sich auf die Verbindung zwischen sich und Cutter, versuchte sie zu erspüren, irgendwo, so wie er es immer erfolgreich getan hatte. Aber diesmal lief sein Ruf ins Leere. Immer wieder und wieder. Er konnte nicht ahnen, dass Kräfte, die nur für diese Situationen erschaffen worden waren, gerade alles gaben, um eine Kontaktaufnahme zu verhindern. Finsternis. Allumfassende, beherrschende Finsternis. Und Stille. Perfekte Stille. Es gab kein oben, kein unten, kein links, kein rechts. Keine Nutzlosigkeiten an einem Ort, der überall derselbe war und gleich aussah. Mit einer Ausnahme. Das in all der Dunkelheit befindliche Bewusstsein glitzerte wie ein kleiner Stern, war sich dessen aber nicht bewusst. `Wo bin ich? Es ist so dunkel hier ... und still ... und kalt! Sephiroth-sama? Zack? Seid ihr da? Antwortet mir, bitte!! Ich habe Angst! Ich will nicht ganz alleine hier sein! Bin ich etwa doch gestorben?? Aber das hier ist nicht der Lebensstrom! Nur, was ist es dann? Und warum kann ich mich nicht bewegen? Weshalb kann ich meinen Körper nicht spüren? Habe ich überhaupt noch einen? Aber mir ist so kalt ... Es muss noch einen Körper geben! Hallo?? Kann bitte jemand mit mir sprechen? Irgendjemand? Daran ist garantiert nur diese verdammte Toron schuld! Oh, ich hoffe, Sephiroth-sama macht sie platt! Wie ein Pfannkuchen! Oder, noch besser, wie eine Briefmarke! Und holt mich hier raus ...Wenn ich doch nur ...´ **Sei leise!** `Was? Ich meine – Hurra! Hier ist noch jemand, ich bin so froh!! Bitte, wo bin ich hier? Und wie komme ich hier wieder raus?´ **Du sollst leise sein!** `Aber ...´ **Sssssscht, kleiner Ghost Walker. Die Botschaft kann dich nur erreichen, wenn du leise bist. Und zuhörst.** `Ich höre überhaupt nichts! Außer dir und mir, natürlich.´ **Weil du zuviel redest, du quirliges Wesen. Sei leise. Lausche. Lerne. Eines Tages wird die Finsternis vergehen. Vorausgesetzt, du bist endlich ...** `Leise? Hey, mein ... mein Körper ist weg, oder?´ **Hier brauchst du ihn nicht. Nur dein Bewusstsein ist hier wichtig.** `Super. Und wo ist `hier´? Wer bist du eigentlich? Deine Stimme ist mir völlig fremd.´ Geheimnisvolle Stille setzte ein. `Hey, du kennst Sephiroth-sama, oder? Kannst du ihm was ausrichten?´ **Leider nein.** `Oh. Bleibst ... bleibst du bei mir?´ **Ich bin immer bei dir. Aber den Weg durch die Dunkelheit musst du alleine finden. Wer es allerdings schafft, General Sephiroth Crescents Seele zu berühren, so wie du es getan hast, dürfte mit der vor dir liegenden Aufgabe kaum Probleme haben. Viel Glück, Kleines.** Die Stimme begann zu verklingen. **Tzirka und ich glauben fest an dich ...** `Hey, warte! Ich hab noch ungefähr 1 Million Fragen! Hallo?? Stimme?´ Stille, die klar machte, dass es keine Antworten mehr geben würde, erklang. `Ach, verdammt. Ich will hier raus!! Sofort!! Und nachhause ... Was hat sie gesagt? Leise sein. Lauschen. Lernen. Eines Tages wird die Finsternis vergehen. Und dann darf ich wieder nachhause? Es gibt wohl nur eine einzige Möglichkeit, das rauszufinden ... Hoffentlich geht es schnell! Ich muss Sephiroth-sama doch sagen, dass ich gehört habe, was er zu mir gesagt hat. Dass ich ihm etwas bedeute ... Solange ich hier bin, geht das wohl nicht. Also ... sei leise, Cutter. Ganz, ganz leise ...´ Die Stille kehrte zurück und vereinte sich erneut mit der allgegenwärtigen Finsternis. Aber nichts von all dem war in der Lage, dem leuchtenden Bewusstsein etwas anzuhaben. Jedenfalls ... noch nicht. So sehr Sephiroth mit einer entsprechenden Reaktion des Präsidenten auf sein Schreiben gerechnet hätte, mehrere Tage vergingen – und sie blieb aus. Die SOLDIER des Generals hingegen hielten sich strikt an den Befehl. Mehr noch. Einige von ihnen fanden sogar den Mut, ihrem kommandierenden Offizier für die Entscheidung zu danken, und dieser begriff, dass sie längst überfällig gewesen war, auch, wenn er die Konsequenzen allein zu tragen hatte. Denn jetzt rief Hojo ihn öfter als früher in die weiße Hölle und sparte nicht an Schmerz und verletzenden Kommentaren. Sephiroth gelang es, die Bemerkungen immer und den Schmerz meistens mit Schweigen zu kontern, aber jedes Mal, wenn er das Labor verließ, konnte er spüren, wie ein kleiner Teil seines Selbst dort zurückblieb. Und jetzt gab es keinen Zack mehr, der diese winzigen Stücke einsammelte, zurückbrachte und vorsichtig wieder an ihren Platz schob. Oder eine Cutter, die ihn ablenken und zum Schmunzeln oder vielleicht sogar zum Lachen bringen konnte. Es fühlte sich an, als sei die Zeit stehen geblieben. Um dagegen anzugehen begann der General, Aerith einmal pro Woche anzurufen, um sich nach Zacks Zustand zu erkundigen. Mehr war unter den aktuellen Gegebenheiten nicht möglich. Aerith schien dafür vollstes Verständnis zu haben, denn sie stellte nie diesbezügliche Fragen oder machte Vorwürfe. Auch nicht, nachdem bereits etliche Wochen vergangen waren. Bei dem gerade stattfindenden Gespräch zog sie es vor, sich nach einer völlig anderen Angelegenheit zu erkundigen. „Ich habe die Turks schon lange nicht mehr in der Nähe der Kirche gesehen, General. Ist die Beschattung aufgehoben?“ „Negativ. Lediglich die Priorität wurde heruntergestuft.“ „Oh. Ich hoffe, es lag nicht am Kaffee...“ Sephiroth musste unwillkürlich grinsen. Es waren zwar tatsächlich Turks zu der Kirche geschickt worden, aber ein Zugriff hatte nie stattgefunden. Vermutlich nicht zuletzt aufgrund jener schriftlichen Einmischung des Generals. Während dieser vom HQ aus alles tat, um die Situation nicht zusätzlich zu strapazieren, war Aerith auf ihre ganz eigene Art und Weise in das Psychospielchen ShinRa´s eingestiegen. Die Turks mochten sich zur Observation der Kirche die gerissensten und unauffälligsten Verstecke gesucht haben, Aerith war jeden Morgen um Punkt 0900 Uhr bei ihnen aufgetaucht, um jedem einen Becher Kaffee zu bringen. Gegen die Kälte. Und die Langweile. Die Lockerung der Überwachung entspannte die Lage zwar etwas, aber keinesfalls völlig. Darauf hatte Sephiroth Aerith gerade hingewiesen. Ihre Antwort klang freundlich, wie immer. „Ich sage Bescheid, sobald sich irgendetwas ändert. Aber glauben Sie wirklich, dass jetzt noch etwas passiert?“ „Unterschätzen Sie niemals die Turks, Mrs. Gainsborough. Mitglieder dieser Einheit befolgen immer irgendeinen Befehl.“ Aerith versprach vorsichtig zu sein, und es dauerte nicht mehr lange, bis Sephiroth das Telefon wieder sinken ließ und nachdenklich in den immer dunkler werdenden Himmel starrte. Zwei Monate. Zwei Monate, und Zack schläft immer noch. Seine Verletzungen sind verheilt, aber er wacht nicht auf. Ich habe von Fällen gehört, in denen es Jahre dauerte, bis die Betroffenen aus dem Koma erwachten. Aber was auch geschieht, solange die Turks nicht eingreifen, ist er in der Kirche gut aufgehoben. Und wenn sich die Situation ändert, egal in welche Richtung, wird Aerith mich anrufen. Zwar hatte das Blumenmädchen immer wieder darauf hingewiesen, Zack beschützen zu können – aber Sephiroth wollte ihr diese seinen einzigen noch in Reichweite befindlichen Freund betreffende Aufgabe nicht alleine überlassen. Und Turks waren und blieben Turks! Auch Kaffee und Freundlichkeit konnte daran nichts ändern. Dass sie immer noch hin und wieder nach der Kirche sahen, bewies, dass Präsident Shinra den Vorfall keinesfalls zu den Akten gelegt hatte. Auch andere Geschehnisse waren noch weit davon entfernt, als `erledigt´ angesehen zu werden. Cutters Verschwinden lag ebenfalls 2 Monate zurück, und bisher gab es nicht das geringste Lebenszeichen. Alle Versuche, sie zu erreichen, liefen ins Leere – ins Leere, nicht, wie sich Sephiroth deutlich gemacht hatte, gegen eine alle Hoffnung zerschmetternde Wand. Und einmal mehr musste er darüber nachdenken, dass Zack gesagt hatte, in Cutter steckte ein Phoenix. Der Auftritt eines Phoenix besaß die größte Wirkung, wenn er sich in einem unerwarteten Moment und aus tiefster Asche heraus erhob. Aber obwohl gerade mal 2 Monate vergangen waren ... Angefühlt, dachte Sephiroth, haben sie sich wie zehn. Und obwohl ich weiß, dass sie ... weg ist, versuche ich mir einzureden, sie befände sich nur auf einem Einsatz. Einem sehr langen, ungewissen Einsatz ... Ich benehme mich albern! Aber ich kann nichts dagegen tun. Hoffnung ist etwas so Seltsames. Und ich bin nicht sehr geübt im Empfinden derselbigen. Er schüttelte hinsichtlich des aufsteigenden Gefühls von Melancholie den Kopf, als ließe sich die Stimmung dadurch vertreiben, und trat vom Fenster zurück, nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz und rief die eingegangenen e-mails auf – aber er konnte sich nicht in der gewohnten Stärke konzentrieren. Der fehlende Teil wartete auf ein Lebenszeichen von Cutter und Zack. Er vermisste die Beiden mit jedem Tag etwas mehr. Und er war sich nicht sicher, ob sie ihn noch in der gewohnten Verfassung vorfinden würden, denn in der Zwischenzeit hatten sich seltsame Symptome eingestellt. Die Kopfschmerzen waren merkwürdig. Begonnen hatten sie wie ganz normale, aber sehr schnell waren dem General gewisse Unstimmigkeiten aufgefallen. So schien der Schmerz schwächer zu werden, wenn er arbeitete und verschwand sofort, sobald er kaltherzige Befehle gab. Dachte er hingegen über sich selbst nach, flammte der Schmerz augenblicklich wieder auf. Am schlimmsten wurde die Pein, wenn sich seine Gedanken Zack und Cutter – ganz besonders Cutter – näherten. Als wollte irgendetwas diesbezügliche psychische Bewegungen verhindern. Aber wer oder was hätte so zielgerichtet handeln können, noch dazu in Sephiroths Körper? Der General erklärte sich die Schmerzen durch die Veränderungen, die Cutter und Zack tief in ihm ausgelöst hatten und die stellenweise immer noch nicht zum Stehen gekommen waren. Ansonsten ertrug er sie mit genau derselben Sturheit wie die im Labor und dachte gar nicht daran, sich davon aufhalten oder gar abbringen zu lassen. Und so wurden sie zu seinem beinahe dauerhaften Begleiter. Weitere Monate vergingen, ohne dass sich irgendetwas änderte. Zack lag im Koma. Cutter war unerreichbar. Und eines Abends, als Sephiroth seinen wöchentlichen Anruf bei Aerith tätigen wollte, ging diese nicht ans Telefon. Auch nicht beim zweiten Versuch. Und auch der dritte blieb unbeantwortet. Sephiroth versuchte ruhig zu bleiben, aber es gelang ihm nur mit großer Mühe. Was war passiert? Hatten die Turks doch den Befehl erhalten, zuzuschlagen? Waren die unangenommenen Telefonate vielleicht sogar ein Hilferuf Aeriths? Im Grunde konnte es nur so sein! Der General griff nach Masamune und erhob sich. Ganz egal, was die Turks begonnen hatten, er würde es stoppen! Selbst, wenn dies den Auftakt zu den größten Schwierigkeiten seines bisherigen Lebens darstellen sollte. Er würde nicht zulassen, dass Zack ... Das Klingeln des Handys hielt ihn davon ab, die Bürotür zu öffnen. Sephiroth gestattete sich ein relativ entnervtes Augenrollen. Immer gingen diese verdammten Dinger los, wenn man es am wenigstens brauchen konnte! Für einen Augenblick war er fest entschlossen, den Anrufer zu ignorieren, aber dann ... „Crescent!“ Seine Betonung sagte mehr als deutlich: `Das ist besser wichtig, oder du findest dich im Lebensstrom wieder!´ Aber schon die ersten beiden ausgesprochene Worte des Anrufers ... „Hi, Seph ...“ ... ließen den General alle Drohungen vergessen, und dasselbe galt auch für die eben noch empfundene Angst und Sorge. Und alle geplanten Aktionen. Sephiroth spürte wie eine zentnerschwere Last von seinem Herzen abfiel, hörte sich aber gleichzeitig in gewohntem Tonfall sagen: „Darf ich erfahren, weshalb du nur anrufst, anstatt persönlich vorbei zu kommen, Zackary Fair?!“ „Natürlich. Aerith lässt mich nicht aufstehen.“ „Das bedeutet?“ „Sie sitzt auf mir. Mit verschränkten Armen. Und funkelt mich an. Ich hätte nicht gedacht, dass sie so böse funkeln kann, echt jetzt!“ Sephiroth zwang sich, in Gedanken bis `Drei´ zu zählen, ehe er reagierte. „Zackary, sag deiner Freundin, dass sie runtergehen soll!“ „Ok. Aerith, Seph sagt, dass du runtergehen sollst.“ Stille. „Äh, Seph? Sie sagt `Nein´. Hey, Seph? Ich hatte einen irren Traum.“ „Deine Träume interessieren mich nicht!“ „Ich erzähl´ s dir trotzdem. Ich hab geträumt, Hojo hätte mich nach der Schlacht in den Slums schwer verletzt aufgelesen und wollte mich ins Labor bringen, aber dann bist du aufgetaucht, hast mich gerettet und hierher gebracht. Komischer Traum, was?“ „Dich in Hojos Betreuung zu wissen“, lautete die zuckersüße Antwort, „wäre mir sehr angenehm, weil es keinerlei Ärger mehr von deiner Seite aus bedeuten würde.“ „Ach komm schon, ich weiß du findest Ärger, den ich dir mache, großartig!“ „Negativ, Zackary! Ich erwarte dich in meinem Büro. Bald, ist das angekommen?“ „Yepp, glasklar.“ Für gewöhnlich hätte das Gespräch hier enden können. Aber die ganze Situation war nicht gewöhnlich. Sondern einer der Momente, um den Sephiroth so gebangt, auf den er so gehofft hatte. Ich wollte dir so viel sagen, dachte er. Aber jetzt scheint das alles so nebensächlich zu sein, denn du bist wach und behandelst mich wie immer. Aber ich weiß, diesmal kann ich es dabei nicht belassen. Er nahm allen Mut zusammen, holte tief Luft ... Er wusste, dass seine Stimme wesentlich sanfter als angestrebt klingen würde. Aber er war bereit, es als Preis für ein solches Geständnis zu sehen. Und ohne Reue zu bezahlen. „Zack? Ich habe es verstanden. Dass du mein Freund bist.“ Die Reaktion ließ einen Moment lang auf sich warten. Dann aber ... „Na endlich.“ Das Grinsen in Zacks Stimme war unüberhörbar. „Ich dachte schon fast, du würdest es nie kapieren. Du ... He!“ Der einsetzende Protest wurde schlagartig leiser, dann ertönte ein unverständliches Brummeln, und schließlich erklang Aerith Stimme. „Hi, General. Wie – Nein, Zack, du kriegst das Telefon nicht zurück - Sie gehört haben, ist er wach. Ich sitze übrigens wirklich auf ihm, und er ist viel zu sehr Gentleman, um mich einfach runterzuwerfen, also wird er noch ein paar Tage hier bleiben müssen. Oh ja, das wird er, ob er will oder nicht. Aber vermutlich wird er Sie jeden Tag anrufen, ob Sie wollen oder nicht.“ „Schlafend war er weniger besitzergreifend“, konstatierte Sephiroth mit der für ihn typischen Sachlichkeit – und erntete ein vergnügtes Lachen von Aerith. „Wenn er nicht brav ist, denke ich mir was Gemeines für ihn aus. Bis dann, General.“ Sephiroth ließ das Telefon sinken, atmete tief durch und schloss die Augen. Er ist wieder wach. Und verhält sich wie immer. Das ist typisch für ihn. Aber ... wenn Aerith ihn noch nicht gehen lässt, dauert es bis zu seiner vollständigen Genesung noch etwas. Ich muss also weiter warten. Aber ab jetzt wird es sich leichter anfühlen. Wenigstens etwas leichter. Er sollte Recht behalten. Der Hauptteil an Sorge um Zack war nach dem ersten Telefonat verschwunden, und der Rest verblasste mit jedem Tag ein wenig mehr. Der 1st ließ es sich nicht nehmen, seinen kommandierenden Offizier mindestens einmal in 24 Stunden anzurufen, um zu beteuern, er sei wach. Sehr zu Sephiroths Leidwesen fanden diese Anrufe auch hin und wieder mitten in der Nacht statt, und es war nicht sonderlich angenehm, schlaftrunken ein sehr lautes: „Ich bin waaahaaach (und du ahaaauuch)!!“ ins Ohr trompetet zu bekommen. Aber der General beschwerte sich nicht. Er wartete geduldig auf den Tag X, an dem es kein Telefonat geben, der Tag, an dem sich Zack wieder vollständig in seinem Leben einfinden würde. Und irgendwann war es soweit. Zack schaffte es, genügend Schwung zu holen, um auf den Knien bis unmittelbar vor den Schreibtisch seines Generals zu rutschen, gleichzeitig griff er in seine Taschen, schleuderte den Inhalt seiner Hände über sich, verkündete mit der für ihn typischen Begeisterung: „Tadarataaa!!!!“ und wies mit beiden Händen auf das um seinen Hals hängende Schild. `Rate, wer wieder da ist!´ Sephiroth verschränkte schweigend die Arme vor dem muskulösen Oberkörper und beobachtete die letzten Reste der auf Zack landenden, erschreckend zahlreichen und bunten Konfettischnipsel. „Ich hoffe“, grollte er schließlich, „du hast auch einen Staubsauger mitgebracht!“ „Mal gucken ...“ Abermals griff Zack in seine Taschen und entlud halbe Wagenladungen Konfetti auf sich und den Teppichboden. Schließlich sah der 1st auf und strahlte. „Nein, keiner da.“ Sephiroth warf den bunten Schnipseln einen kritischen Blick zu. Sie wirkten nicht wie ... gewöhnliches Konfetti. Eine unheilvolle Ahnung begann den General zu beschleichen. „Zack? Hast du dieses Konfetti selbst gebastelt?“ „Ja, Sir! Blöderweise ist mir erst nach dem Zerrupfen eingefallen, dass es bunt sein muss. War eine ganz schöne Plackerei, all die Fetzen im Nachhinein anzumalen – beidseitig! - aber es sieht doch ganz gut aus. Freust du dich? Freust du dich??“ Sephiroth griff betont würdevoll zum Telefon. „Wen rufst du an?“ „Den Sicherheitsdienst.“ „Ooh, du gibst eine Party? Nur für mich? Sag ihnen, sie sollen Kevitschi mitbringen, ich liebe Kevitschi!“ Sein freches Grinsen verriet mehr als 1ooo Worte – und unter anderem folgende Gewissheit: Niemand, der ein Leben vor Hojo und dem Labor rettete, verriet dieselbe Person an den Sicherheitsdienst. Niemand! Nicht einmal, wenn diese Person unangemeldet auftauchte und taschenweise selbstgebasteltes Konfetti verteilte. Und so hielt Sephiroth inne. Er war durchschaut worden. Und noch während er versuchte, sich damit abzufinden, konnte er deutlich spüren, wie all die in den vergangenen Monaten im Labor verloren geglaubten, winzigen Bruchtücke seines Selbst zurückkehrten und ihren vorherigen Platz einnahmen. Irgendwann ließ er das Telefon wieder sinken, geschlagen und getröstet gleichermaßen. Vor dem Schreibtisch kam Zack mit einer geschmeidigen Bewegung wieder auf die Beine. „Wenn du jemanden anrufen willst, wie wäre es mit Cuttie? Ich kann verstehen, dass du ihr untersagt hast mich zu besuchen, wegen der Turks und so, aber jetzt ...“ „Zack“, sagte Sephiroth leise. „ ... bin ich ja wieder da, und um ehrlich zu sein, ich ...“ „Zack“, wiederholte der General auf dieselbe fast sanfte Art und Weise. „ ... vermisse sie furchtbar und – hm?“ Sephiroth führte ein Gespräch wie dieses nicht zum ersten Mal, und für gewöhnlich verpackte er die Hauptinformation nicht in seidenweiche Worte oder bemühte sich um Schonung, da die Wahrheit immer dieselbe blieb. Aber die seltsame Verbindung zwischen ihm, Zack und Cutter ließ eine derartige Vorgehensweise nicht zu. Und so rang selbst der große General Crescent einen Augenblick lang nach Worten, obwohl er seit Monaten versuchte, sie für diesen Moment zurechtzulegen. „Cutter“, sagte er schließlich leise, „konnte dich nicht besuchen. Und sie ... würde auch jetzt nicht kommen. Nicht einmal, wenn wir sie zusammen riefen.“ „Was soll das heißen?“, murrte Zack. „Hast du sie weggeschickt? Was hat sie angestellt?“ Aber der immer stärker werdende Ausdruck in seinen Augen verriet, dass er längst begriffen hatte und es im Grunde sinnlos war, die Fragen zu beantworten. „M.I.A. oder K.I.A.?“, erkundigte er sich schließlich mit jener verzweifelten Hoffnung, die allen Menschen, die sich schon einmal um einen Freund gesorgt hatten, vertraut ist. Vermisst oder tot? „M.I.A.“, antwortete Sephiroth so fest wie möglich. Vor ihm ließ sich Zack langsam in einem der vor dem Schreibtisch befindlichen Sessel nieder. „Was ist passiert?“ Und Sephiroth begann zu erzählen. Er bemühte sich um Sachlichkeit, aber es gelang ihm nur bedingt. „ ... sie seitdem nicht mehr gesehen“, beendete er schließlich den leisen Bericht. Über die grundlegenden Dinge war Zack nun informiert. Von dem Geständnis allerdings hatte der General kein Wort gesagt. Zacks Schweigen dauerte noch etliche Sekunden an. Dann aber nickte er sachte. Und fügte leise und sehr eindringlich hinzu: „Nichts von all dem war deine Schuld, Seph! Das weißt du, oder?“ „Ich ...“, begann Sephiroth, verstummte, schüttelte den Kopf. Der plötzlich aufflammende Schmerz in seinen Augen war intensiver als jedes von Zack jemals bei ihm wahrgenommene Gefühl, und der 1st verließ sich bei seinen nächsten Worten blind auf die Stimme seines Herzens. „Ich weiß, du glaubst nicht ans Schicksal, aber vielleicht glaubt das Schicksal an Cutter. Oder irgendeine andere Macht tut es. Diese seltsame Frau tut es definitiv, sonst wäre sie nicht gerade in diesem Moment aufgetaucht. Und wir sollten jetzt genau dasselbe tun. Glauben! Außerdem ist Cutter bisher immer zurückgekommen. Sie ist ein verdammter Phoenix! Und eine Kämpferin. Sie wird zurückkommen!“ Und in Gedanken fügte er hinzu: Weil sie dich niemals länger als nötig alleine lassen würde. Manchmal wurde man sich eines Wunsches erst bewusst, wenn er sich erfüllte. Zacks Stimme war kaum verklungen, als Sephiroth klar wurde, wie sehr er sich gewünscht hatte, genau das zu hören. „Sie hat mir versprochen, nicht zu sterben“, wisperte er. „Na bitte!“, antwortete Zack. „Mach dir keine Vorwürfe.“ Und dann, wesentlich heiterer: „Ernsthaft, Seph, wir reden hier von Cutter! Sie mag unberechenbar sein, aber sie hat noch nie ein dir oder mir gegebenes Versprechen gebrochen.“ „Niemals.“ Und dann lächelte er sachte. „Danke, Zack.“ „Keine Ursache. Kann ich sonst noch irgendetwas beseitigen?“ „Wie wäre es mit den Konfettischnipseln auf meinem Teppich?“ Zack setzte seinen entrüstetsten Gesichtsausdruck auf. „So ein hochmodernes Büro und kein Staubsauger griffbereit? Oder ist sich der Herr General zu fein für solch niedere Arbeiten? Apropos griffbereit, du hast nicht zufällig Schatzi irgendwo gesehen?“ „Falls du dein Busterschwert meinst ...“ „Ja, ja. Schatzi.“ Sephiroth beschloss `spontan´ diesen Spitznamen gänzlich unkommentiert zu lassen. „... ich habe es in dein Appartement bringen lassen.“ „So? Dann will ich gleich mal sehen, wie es ihm geht, hören, ob es mich vermisst hat ... Das Schild lass ich dir hier, damit du mich nicht gleich wieder vergisst! Bye, Seph!“ Der legendären Schnelligkeit eines 1st Class SOLDIERs alle Ehre machend verließ Zack das Büro. Sephiroth blieb allein zurück, verharrte einen Moment lang in völliger Regungslosigkeit – dann erhob er sich, blickte über das `Rate, wer wieder da ist´ Schild auf dem Schreibtisch zu Boden und seufzte. Natürlich gab es mit Staubsaugern ausgerüstetes Reinigungspersonal. Aber die sich unaufhaltsam verbreitende Nachricht, im Büro des gefürchteten General Crescents sei Konfetti gefunden worden, noch dazu in rauen Mengen, riskieren? In Ordnung, dachte Sephiroth grimmig, während er die bunten Schnipsel (von denen es sadistischerweise mehr gab als zunächst angenommen) einsammelte, 1st Class SOLDIER Zackary Fair ist wieder da. Wenn er plant, seine weitere Zeit hier so bunt zu gestalten wie dieses Konfetti, wird es übel. Vor allem für mich als kommandierenden Offizier! Ich schätze, das ist ... typisch für ihn. Typisch gut. Und was Cutter angeht ... Ich weiß nicht, ob Zack mit seinen Ansichten über Phoenixblut und das Schicksal recht hat. Ich weiß nur, dass Cutter mir versprochen hat, nicht zu sterben. Und, dass ich warten werde. Er nickte entschlossen und vernichtete das bunte Konfetti mit einem Feuerzauber. Er würde weiter warten! ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ http://arakiztha.livejournal.com/ Kapitel 38: Sehnsucht --------------------- Und das tat Sephiroth. Warten. Tage, die zu Wochen und schließlich zu Monaten wurden. Anmerken ließ er sich nichts, blieb, was und wer er immer gewesen war: General von SOLDIER, stark, schön, unbarmherzig ... Und war doch innerlich, manche Punkte betreffend, ein anderer geworden. Er bemühte sich jetzt, mehr zu fühlen als früher, den Gefühlen die richtigen Namen zu geben (was die Lektüre von vielen Bücher über Psychologie erforderte) und dachte öfter über sich nach – aber auch das half ihm nicht, die permanent empfundene Unruhe zu vertreiben. Hin und wieder wurde sie so stark, dass der General sich am liebsten selbst auf die Suche nach Cutter gemacht hätte. Aber er wusste nicht, in welche Richtung er gehen sollte. Letztendlich erschien es sowieso am sinnvollsten, genau hier zu bleiben. Damit Cutter ihn finden konnte. Von allen Personen in seinem näheren Umfeld wusste nur Zack, der sich wie erwartet wieder problemlos in den ShinRa Alltag integriert hatte (sogar das erste Treffen mit Hojo im Rahmen der üblichen Makobehandlung war ohne Zwischenfälle verlaufen, was ohne Zweifel nur daran lag, dass Präsident ShinRa auf Sephiroths Strategie hereingefallen war und bezüglich des 1st´s alle außerplanmäßigen, durch Hojo ausgeführten `Arbeiten´ untersagt hatte) von dem Gefühlschaos und versuchte auf seine übliche kreativ-verrückte Art und Weise seinem besten Freund zu helfen – und, vor allen Dingen, Rückfälle zu verhindern. Manchmal ließ sich Sephiroth helfen. Aber meistens wollte er mit sich und seinem Chaos allein sein. Für gewöhnlich versank er dann in tiefes Nachdenken, versuchte, zu entwirren, sich in seiner eigenen Welt nicht fremd vorzukommen, die Kopfschmerzen zu ignorieren und seinen Ängsten keinen allzu großen Spielraum zu geben. Aber diese waren wie Bluthunde auf einer frischen Fährte und ließen sich nur bedingt vertreiben. Eine dieser Ängste betraf Cutters Charakter. Ob dieser nach ihrer Rückkehr noch genau so sein würde, wie vorher? Was, wenn sie sich, wie bei dem vorletzten Treffen mit dieser seltsamen Frau, erneut weiter entwickelt hatte? Wenn sie noch stärker geworden war? Und ihn vielleicht ... gar nicht mehr brauchte? Für gewöhnlich rief er sich in solchen Momenten hart zur Ordnung. Cutter würde sich nicht verändern! Sondern immer dieselbe bleiben. In einem gänzlich unpassenden Augenblick zurückkommen, ihn anlachen und: `Hi, Sephiroth-sama!´ sagen. `Hast du mich vermisst? Ich hab dich furchtbar vermisst!´ Und er würde ... Er hatte sich fest entschlossen, zu lächeln. Kurz. Aber deutlich erkennbar. Ob seine Worte in den Slums noch zu ihr durchgedrungen waren? `Du bedeutest mir etwas.´ Er wollte, dass sie sich daran erinnerte! Absolut! Und wenn nicht, würde er ... Er würde es ihr wieder sagen. Weil es wichtig war! So wichtig wie die Tatsache, seit Neustem immer ein Glas mit Schokocreme im Kühlschrank zu haben. Cutter liebte diesen dunklen, süßen Brotaufstrich. Und vielleicht hatte sie nach ihrer Rückkehr Hunger? Noch aber war es nicht so weit. Und so konnte Sephiroth nur auf `Empfang´ stehen, in der Hoffnung, irgendein Signal zu erhalten. Er war startbereit, egal in welche Richtung. Denn es spielte keine Rolle, wie weit der Weg war. Er würde da sein und Cutter abholen. Oder auffangen, falls sie wieder einmal von einem Dach fiel. Bis auf Weiteres allerdings war er zur Bewegungslosigkeit verdammt. Und zu schlaflosen Nächten, die er für gewöhnlich mit sinnlosen Patrouillen durch Midgar verbrachte. Und in einer dieser Nächte begegnete ihm das Bild. Es befand sich im Schaufenster eines winzigen Ateliers und wurde fast von den anderen, wesentlich prunkvoller gestalteten Bildern verdrängt. Aber dem General fiel es dennoch sofort ins Auge. Und so trat er näher, um es intensiver zu betrachten. `Es´ war die Zeichnung eines Phoenix, der sich soeben aus einem Aschehaufen erhob. Das Gefieder des legendären Fabelwesens war hauptsächlich noch von einer dünnen Schicht Asche bedeckt, aber wo sie fehlte schienen die Farben von innen heraus zu explodieren - ohne aufdringlich zu werden. Am beeindruckendsten jedoch waren die Augen des Phoenix. In ihnen funkelte gut sichtbar ein grinsen. Ein grinsen, das eine ganz bestimmte Botschaft vermittelte. `Ihr habt gedacht, ich komm´ nicht wieder, was? Ätsch!´ Es war genau das Grinsen, welches Sephiroth auf Cutters Gesicht bei ihrer Rückkehr erwartete. Mehrere Minuten lang stand der General ganz still und betrachtete das Bild. Sagte sich, dass es nur ein Bild war und Cutters Rückkehr nicht beschleunigen würde. Dass es überhaupt nicht zu ihm und dem Stil seines Appartements passte. Dass es, eventuell, mehr verraten könnte, als erstrebt. Und noch viele andere gute Argumente. Am nächsten Tag kam er zu dem Laden zurück und kaufte das Bild. Plus eines passenden Rahmens. Einen Platz im Appartement zu finden gestaltete sich etwas schwierig, wurde aber erfolgreich zu Ende gebracht. Und war nicht genug. Erst, als Sephiroth ein weiteres Bild, das den sternklaren Nachthimmel zeigte, daneben platzierte, synchronisierten sich seine Gefühle mit dem jetzigen Anblick. Der General hatte nie viel von Spitznamen gehalten, nicht mal von eigenen. Er duldete den Titel `Silberner Dämon´ (weil dieser sein Wirken auf dem Schlachtfeld am ehesten beschrieb) und Zacks `Seph´ (weil der 1st ... ein Freund war). Aber ihm war niemals zuvor in den Sinn gekommen, freiwillig einer anderen Person einen Spitznamen zu geben. Das änderte sich nun. Cutter rein in Gedanken `Phoenix´ zu nennen, erschien nur sinnvoll hinsichtlich aller Hoffnungen, die er in seinen verschwundenen Ghost Walker setzte. Vor allen Dingen aber brachte es ihn dazu, weiterhin aufmerksam den Aschehaufen zu beobachten. Und auf das erste Aufblitzen einer Farbe zu warten. Er konnte nicht wissen, wie weit das Ziel seiner unzähligen Gedanken tatsächlich von ihm entfernt war. Und, dass der kleine Stern in all der Finsternis flackerte, als sei er kurz vorm Verlöschen. Währenddessen ging der normale ShinRa Alltag weiter. Einem späten Frühling folgte ein kalter Sommer, diesem ein wenig bunter Herbst, und schon bald war es wieder Winter. Sephiroth schenkte den Jahreszeiten keine größere Beachtung. Er schlug seine Schlachten mit dem immer machthungriger werdenden Rufus und dem von seiner Arbeit besessenen Hojo, mit neuen Computersystemen, der Überholung der Makoreaktoren und der Einführung der – wie Zack sich ausdrückte – `Komm, verzieh dich, ich kann alles!´ PHS Geräte. Er kämpfte auf Schlachtfeldern, die sich allein der Schärfe eines Schwertes und dem Intelligenzquotienten unterwarfen und solchen, die sich ausschließlich durch verbales Geschick auszeichneten. Seine SOLDIER siegten oder starben, wurden befördert oder ersetzt. Manch andere Person trafen die Umstände mit doppelter Härte. Azrael Geryll, der einzige Lehrer der Blue Wanderer, wurde das Ziel einer mysteriösen, unheilbaren Krankheit. Rufus zog sofort die Konsequenzen, ließ dem Todkranken eine Kündigung zukommen und traf Vorbereitungen das Blue Wanderer Projekt einzustellen. Sephiroth wusste um die Sinnlosigkeit jeglichen Protestes – trotzdem kämpfte er hinter den Kulissen mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln um eine Weiterführung des Projektes. Offiziell, um bei Missionen nicht auf die oft so nützlichen Lines verzichten zu müssen. Aber inoffiziell ging es ihm nur um Cutters Arbeitsplatz, denn was, außer mit den Lines zu arbeiten, hätte sie nach ihrer Rückkehr hier jemals tun können? So brillant seine Argumentationen waren und so sicher er jede Aussage untermauern konnte – seine Bemühungen hatten keinen Erfolg. Und so verlor nicht nur er den Kampf, sondern auch Cutter jegliche Chance auf Widereingliederung nach ihrer Rückkehr. Andere hätten hinsichtlich dieses Desasters aufgegeben. Sephiroth gestattete sich für ca. 30 Sekunden ein intensives Gefühl der Niedergeschlagenheit, dann beschloss er, Cutters Fähigkeiten nach ihrer Rückkehr so eindrucksvoll in Szene zu setzen, dass Präsident Shinra gar keine andere Wahl blieb, als sie wieder einzustellen. Im Grunde war es immer dasselbe Spiel: Man musste Rufus nur das Gefühl geben, etwas absolut Einzigartiges zu besitzen, und schon war der Mann interessiert. Leute wie er wollten nützliche Dinge immer für sich allein. Und Cutter würde sich als sehr nützlich darstellen! Azrael Gerylls Schicksal jedoch war besiegelt. Er wusste zuviel. Und obwohl es niemanden gab, an den er sich hätte wenden können, sah Rufus doch keinen Grund, ihn am Leben zu lassen. Sephiroth wusste: Wäre Cutter noch hier gewesen, sie hätte ihn darum gebeten, Azrael zu helfen. Vielleicht wäre der General dieser Bitte auch nachgekommen. Aber Cutter war nicht hier. Und Geryll niemand, zu dem der General eine wie auch immer geartete Bindung besaß. Letztendlich gab es niemanden, der sich den Turks bei der Ausführung des Mordes in den Weg stellte. Ein weiteres Leben fand ein gewaltsames Ende. Das Blue Wanderer Projekt wurde nur einen Tag später aufgelöst. Zwar gab es keine Kündigungen der noch aktiven Mitarbeiter, aber eine kosmische Regel besagte, dass alles, dem eine Weiterentwicklung oder Erneuerung untersagt wurde, eines Tages vollständig verschwinden musste, und so kam der Tag, an dem auch ShinRa´ s letzter Blue Wanderer in den Lebensstrom einging. Das Projekt B 14 war endgültig beendet. Zack war dabei, als Sephiroth den entsprechenden Ordner, den Vorschriften folgend, versiegelte und in den Safe räumte. Beide SOLDIER wussten, dass hier mehr weggesperrt wurde, als nur Dokumente. Beide kamen sich vor, als würden sie an einer Beerdigung teilnehmen. Und beide schwiegen, versunken in Erinnerungen. Die Zeit verging, und ShinRa herrschte weiter in gewohnter Manier über den Planeten. Die durch Makoenergie ermöglichten Bequemlichkeiten wuchsen, ebenso wie die Zahl der Makoreaktoren, stetig an. Mittlerweile pumpten so viele den Lebensstrom aus dem Boden, dass aufmerksame Beobachter erste Veränderungen zu erkennen glaubten. Hatten die Flüsse nicht in den vergangenen Jahren noch viel mehr Wasser mit sich geführt? Waren die vergangenen Winter nicht viel zu warm und die Sommer zu kalt gewesen? Weshalb schien die Vegetation an immer mehr Stellen schon vertrocknet aus dem Boden zu sprießen? Und hatte es nicht generell viel mehr Tiere gegeben? Diese und ähnliche Nachrichten machten wispernd und flüsternd die Runde. Viele hielten die Electric Power Company für den Schuldigen – aber niemand wagte es, eine neue Widerstandsbewegung zu organisieren. Das Schicksal `Liberations´ hatte sich rasend schnell herumgesprochen, und obwohl niemand Kontakt mit den Rebellen gehabt haben wollte, so kannte doch zumindest jeder Vierte irgendjemanden, den irgendetwas mit den gescheiterten Freiheitskämpfern verband. Wenn deren Ende etwas mit Sicherheit gezeigt hatte, dann, dass man die Herrschaft ShinRa´s anscheinend nicht mit Gewalt beenden konnte. Aber wenn Gewalt als Methode ausschied, was blieb dann noch übrig? Und wer hätte daraus einen ernstzunehmenden Gegner formen können? Niemand schien in Sicht. Letztendlich blieb den heimlichen Kritikern und Beobachtern, den behutsamen Aufpassern und stetig Wachsamen nur, auf ihren Posten zu bleiben und zu warten. Keiner von ihnen wusste es. Viele hätten es niemals für möglich gehalten. Aber es regte sich neuer Widerstand in nie zuvor gekannter Form. „ ...mehr noch. Sie sagen, seitdem der Makoreaktor gebaut wurde, sei das Wasser im in der Nähe gelegenen Fluss ungenießbar, es riefe Übelkeit, heftiges Erbrechen und Wahnvorstellungen hervor.“ Sephiroths Ruhe parierte Rufus Shinra´s gelangweilten Blick mühelos. „Es existieren“, fuhr der General fort, „weitere Meldungen von verdörrten oder ertragslosen Feldern und allgemeinen Ernteschwierigkeiten. Des weiteren gibt es mehrere Gräber von Menschen, die verhungert sein sollen.“ „Schön!“ Rufus Stimme klang zu gleichen Teilen gelangweilt wie warnend und eisig. „Die Menschen in Wutai können jammern und sterben. Können sie auch andere Dinge? Sich anpassen, zum Beispiel?“ „Die Menschen dort zeichnen sich durch eine besonders starke Naturverbundenheit aus“, schaltete sich Tseng, Anführer der Turks und selbst in Wutai geboren und aufgewachsen, halblaut in die Diskussion mit ein. „Sie werden in dem festen Glauben erzogen, der Planet kümmere sich um seine Kinder. Viele von ihnen sind mit der neuen Situation überfordert, weil sie ihrem Glauben widerspricht.“ „Verstehe. Fließendes Wasser und Elektrizität sind Sünde. Immer noch! Ich frage mich, weshalb meine Zeit mit den veralteten Ansichten von mistgabelschwenkenden Bauern vergeudet wird! General Crescent!“ „Weil es sich keineswegs um die von Ihnen genannten Personen handelt, Mr. President, sondern um Ninjas. Die, wie ich erneut betonen möchte, ebenso gut und besser ausgebildet sind, als es beim ersten Krieg gegen Wutai der Fall war.“ Gleichzeitig fragte er sich, ob Rufus Shinra jemals einen der in letzter Zeit übermittelten Berichte zur Lage in Wutai wirklich gelesen hatte. „Ninjas, General?“, antwortete dieser eben mit gespieltem Erstaunen. „Aus Wutai? Das überrascht mich. Sollten Ihre Leute nicht dafür sorgen, dass genau diese Entwicklung verhindert wird?! Gestatten Sie mir eine Frage, General. Was genau tut SOLDIER in Wutai? Spielen Sie Karten mit den Einwohnern oder sorgen sie vielleicht für sprunghaften Bevölkerungszuwachs, statt zum Beispiel die Neubildung einer Armee und eines Untergrundes zu verhindern?“ Sephiroth hätte auf die dem Präsidenten vorliegende Liste mit Namen der gefallenen SOLDIER verweisen können, aber er sparte sich den Atem. Sollte sich Rufus doch verbal austoben. Das Ende dessen war jetzt schon mehr als vorhersehbar. „Aufgrund des Versagens Ihrer Einheit, Crescent, werden derzeit meine Reaktoren zerstört und vermutlich zu Pflugscharen und Götzenbildern umgearbeitet! Die jetzige, völlig inakzeptable Situation in Wutai geht allein auf das Konto von SOLDIER!“ „Mr. President“, schaltete sich Tseng betont ruhig ein, „wie Sie sich mit Sicherheit erinnern können ...“ „Oh, ich erinnere mich an viele Dinge. Unter anderem daran, Ihrer Einheit den Befehl gegeben zu haben, mir Godo, der die Unfähigkeit von SOLDIER zu seinen Gunsten genutzt hat und jetzt einem Untergrund befehligt, der ebenso wenig existieren dürfte wie eine Ninjaarmee, zu bringen! Wo ist er, Tseng? Ich sehe ihn nirgends!“ „Meine Leute arbeiten daran, Mr. President.“ „Ihre Leute arbeiten daran. Dann kann ich mich ja entspannt zurücklehnen. Wie lange, Tseng? 1 Monat, 1 Jahr, 10 Jahre? Ich frage mich, wie er Ihnen überhaupt entwischen konnte! Hatten Ihre Abteilung nicht den Befehl, jeden seiner Schritte zu überwachen? Weshalb wurde meine Anweisungen ignoriert? Ich bin sehr gespannt auf die Antwort.“ „Sie wurde nicht ignoriert, Mr. President. Lord Godo ...“ „Godo!“, unterbrach Rufus scharf. „Der Titel `Lord´ wurde ihm nach dem ersten Krieg aberkannt!“ „Godo“, wiederholte Tseng ein wenig widerwilliger als es ihm in der derzeitigen Situation gut getan hätte, „hat ...“ „Wissen Sie“, unterbrach Rufus, „im Grunde interessiert es mich nicht. Fakt ist, er tut genau dasselbe wie vor ein paar Jahren. Und keiner meiner angeblich hochintelligenten Offiziere scheint in der Lage zu sein, etwas gegen die von ihm befehligten Angreifer zu tun!“ Neben Sephiroth murmelte Tseng kaum hörbar „Me keo ni Kinri ó Ninja“, und der General wusste, was diese noch aus dem ersten Wutaikrieg stammenden Worte bedeuteten. `Ein Schatten ist leichter zu fangen, als ein Ninja.´ Ganz offensichtlich hatte sich daran nichts geändert. „Soll das eine Entschuldigung sein, Tseng?“, erkundigte sich Rufus, der trotz der geringen Lautstärke jedes Wort gehört hatte, mit beängstigend großem Interesse. „Nein, Mr. President.“ „Gut. Ich werde Ihr Gehalt und das Ihrer Leute trotzdem um die Hälfte kürzen. Bedanken Sie sich bei Ihrer Inkompetenz und Ihren Landsleuten, Tseng, für die Sie ganz offensichtlich noch große Sympathien übrig haben.“ „Nicht nur Sympathie“, antwortete Tseng ruhig, „sondern tiefes Verständnis. Das Verhalten der Bewohner Wutais basiert auf Angst. Die Wunden des ersten großen Krieges sind noch nicht verheilt, die Menschen dort sind überfordert und fürchten um ihr Le ...“ Weiter kam er nicht. „ShinRa heilt nicht! ShinRa herrscht! Auch über Wutai! Wenn Godo Krieg möchte, bekommt er ihn hiermit! Sie!“ Er wandte sich an den immer noch ziemlich blassen und bereits zu Beginn des Gespräches zusammengestauchten Armygeneral. „Sie stellen den Kontakt zu Wutai wieder her! Augenblicklich! Was die Invasion angeht: Ich will Bodentruppen mit entsprechendem Fuhrpark, ich will Flugzeuge und Helikopter! Und ich will Godo! Lebend! Innerhalb der nächsten 14 Tage! Haben wir uns verstanden! Das Meeting ist beendet!“ Während der Armygeneral den Raum fast fluchtartig verließ, taten Sephiroth und Tseng dasselbe mit wesentlich mehr Gelassenheit. Auf dem Flur seufzte Tseng leise und schüttelte den Kopf. „Was für ein Tag. Kann ich Sie zu einem Drink einladen, General?“ „Ich trinke nicht. Außerdem sollten Sie besser sparen, ich habe gehört, dass ihr Gehalt ziemlich mies sein soll.“ Der gänzlich unerwartete, legendäre Humor von Sephiroth Crescent. Tseng stieß einen amüsierten Laut aus. „Sie haben recht, General. Es gibt jetzt wichtigere Dinge.“ Er schwieg einen Augenblick. „14 Tage sind nicht gerade viel, um Lord Godo zu finden.“ Sephiroth konnte nicht anders. Er musste einfach an Cutter denken. Mit ihrer Hilfe hätte all das vorbei sein können, noch bevor es richtig angefangen hatte, denn Lord Godo besaß mit Sicherheit eine Line ... Tseng schien genau dasselbe zu denken. „Sie haben nicht zufällig etwas von Ihrem Blue Wanderer gehört?“ Und nachdem sein Gesprächspartner verneint hatte: „Bedauerlich.“ Dem konnte der General nur lautlos zustimmen – sein Bedarf an Smalltalk war jedoch vorläufig gedeckt. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, ich habe einen Krieg vorzubereiten.“ „Ja. Ich bedauerlicherweise ebenfalls. Man sieht sich, General.“ Die beiden Offiziere trennten sich, aber ihre Gedanken weilten bei dem kleinen Land, das die große Electric Power Company gerade so grandios ärgerte. Trotz seiner Niederlage vor einigen Jahren hatte es sich niemals vollständig ergeben und verfügte jetzt sogar wieder über eine eigene Armee. Rufus Wut war nachvollziehbar. Aber ein Großteil des diesbezüglichen Verständnisses verpuffte, wenn Sephiroth an die in den vergangenen Tagen getöteten SOLDIER dachte. Zu fragen, wann die Übergriffe angefangen hatten, war falsch. Sie waren nie ganz beendet worden. Das Land mit Gewalt zu unterwerfen und die Makoreaktoren zu bauen war vor Anfang an eine reine Machtdemonstration ShinRa´s gewesen. Und ein wenig mehr Göttlichkeit für Rufus. Aber Wutai besaß eigenen Götter. Und die waren nicht verschwunden, bloß weil man einen Tempel niederreißen ließ und dort einen Makoreaktor installierte. Diese Götter waren zusammen mit den in ihrem Sinne handelnden Menschen in den Untergrund gegangen und hatten ihnen geholfen, eine neue Armee zusammenzustellen. Eine Armee, die erst langsam und vorsichtig, dann aber offensichtlich und aggressiv agierte. Die diesbezüglichen Berichte an Präsident Shinra weiterzuleiten war pure Zeitverschwendung gewesen – und der tödliche Befreiungsschlag erfolgt, bevor Sephiroth sich selbst in Wutai hatte umsehen können. Lord Godo hatte perfekte Informationen bezüglich der ShinRa Armee, und seinen Ninjas war es gelungen, diese Informationen optimal zu nutzen. Vor wenigen Tagen hatte die Electric Power Company alle in Wutai stationierten Personen verloren. Alle! Und somit den Kontakt. Es blieben nur Satellitenbilder, auf denen die fortschreitende Zerstörung der Makoreaktoren ebenso deutlich zu erkennen war, wie die neben den einzelnen Bauwerken angebrachten `Viele Grüße aus Wutai!´ Schriftzüge. Die schon seit Jahren tickende Zeitbombe war hochgegangen. Die Frage, ob ShinRa diese Behandlung nicht irgendwie verdient hatte, stand ganz klar im Raum – und im Schatten einer wesentlich wichtigeren Frage. Denn trotz aller guten Gründe Wutais, gegen die Electric Power Company zu protestieren, auch die neue Rebellion würde nichts ausrichten können. Lord Godo mochte wieder über dieses Land herrschen und sogar eine Ninjaarmee befehligen, aber gegen die sich für die Invasion bereitmachende ShinRa Armee hatte er keine Chance! Was weitere Fragen aufwarf. Was, wenn es sich bei Wutai nur um ein Ablenkungsmanöver handelte? Und wenn `Ja´, wovon? Was sollte geschehen? Und wer sollte es ausführen? Welcher Plan war wichtig genug, um so viele Leben zu opfern? Sephiroth hatte eine gewisse Spur aufgenommen. Seine hochrangige Position erlaubte ihm, auf Informationsquellen zuzugreifen, von deren Existenz andere nichts ahnten. Manche dieser Quellen konnte man täglich anzapfen. Andere wiederum glichen tiefen Brunnen, an deren Grund sich nur hin und wieder etwas ansammelte – aber diese wenigen Tropfen waren oft an Reinheit kaum zu überbieten. Und so wusste Sephiroth, dass sich in den Straßen Midgars etwas Neues, etwas noch nie da gewesenes, zusammenbraute. Hätte es eine offizielle Stellungnahme dazu gegeben, so wäre die Information als `Gerücht´ abgestempelt und belacht worden, denn Gerüchte gab es in einer Stadt wie Midgar ständig, und Rufus Shinra war zu arrogant, um jedem Einzelnen von ihnen nachzugehen. Aber Sephiroth war mehr bekannt. Jeder todbringende Strudel begann mit der richtigen Strömung und einer verborgenen Unruhe irgendwo am Boden. Und nach einigen Recherchen besaß der General mehr als nur ein Gerücht, nämlich eine Adresse. Einen Namen. Eine Homepage. Eine Geschäftsidee. Einen Gegner, der anders war, als alle bisherigen. Im Grunde waren es sogar zwei Gegner. `Pass auf´, wisperte Sephiroths Instinkt. `Pass gut auf ...!´ Der General hatte beschlossen, sein Wissen nicht zu offenbaren. Sollte doch jemand anderes den Babysitter für den überheblichen und arroganten Rufus spielen. Ganz abgesehen davon waren die Chancen, ernsthaftes Gehör zu finden, quasi nicht vorhanden – was bedeutete, dass der Präsident der mächtigen Electric Power Company diesmal ganz alleine würde herausfinden müssen, worum es aktuell ging, während Sephiroth schon die ein oder andere erfolgreiche Observation durchgeführt hatte und somit wesentlich mehr wusste. Bis sich Rufus ernsthaft für möglich bedrohliche Vorgänge in `seiner´ Stadt interessierte, schien es besser, niemanden einzuweihen. Und stattdessen, einmal mehr blind dem eigenen Instinkt vertrauend, alle 1st und 2nd Class SOLDIER seit einigen Wochen in Simulatorräumen, die wutaianische Landschaften darstellten, trainieren zu lassen – eine Vorbereitung, die sich schon bald als äußerst hilfreich herausstellen würde. Zwar waren die Leistungen seiner Männer immer noch nicht zufriedenstellend (kaum einer von ihnen hatte jemals Erfahrungen mit Ninjas sammeln können), aber ... Uns bleiben, dachte Sephiroth, noch 7 Tage Zeit. Denn solange wird es dauern, bis uns die Army schweißgebadet um Hilfe anfleht. Vorher werden sie natürlich Rufus Anweisungen befolgen und mit allem, was sie haben, in dieses Land einfallen. Was für Idioten! Er schüttelte den Kopf bei dem Gedanken, dass Männer, die Wutai zum größten Teil noch niemals gesehen hatten, das Land überrollen sollten. Das Desaster war vorprogrammiert. Für ShinRa! 7 Tage lang. Dann würde SOLDIER die Bühne betreten. Und aufräumen! Die sich schlagartig öffnende Tür riss den General aus seinen Gedanken. Zack betrat den Raum, ließ sich in einen der freien Sessel vor dem Schreibtisch fallen und stöhnte: „Bin ich fertig! 12 Stunden Simulatortraining, Programm `Die Hölle von Wutai´! Ich will Kaffee, Sex und Schlaf, und zwar genau in der Reihenfolge!“ „Und was“, grollte Sephiroth, „willst du dann hier?“ „Einen Kaffee trinken“, antwortete Zack glücklich, stellte den Becher auf den Tisch – und bekam das Gefäß augenblicklich weggenommen. „Wie oft bist du gestorben?“, erkundigte sich der General und zog die Beute vorsichtshalber noch etwas näher zu sich. „Das ist egal, gib mir den Kaffee wieder.“ „Zackary!“ „Höchstens einmal. Kaffeeee ...!!“ „Du kennst die Regeln. Kein Kaffee für dich, bis du das Programm fehlerfrei durchlaufen hast!“ „Kafffeeeee“, wimmerte der 1st und brach halb auf dem Schreibtisch liegend zusammen. „Nur ein winziger, winziger Schluck!“ „Du kannst Saft haben, Mineralwasser, kohlensäurehaltige Kaltgetränke ...“ „Seph!“ Jetzt klang Zacks Stimme flehend. „Wenn wir bald echten Krieg gegen Wutai führen, krieg ich schon meine Lieblingsschokolade nicht mehr, die kommt nämlich aus Wutai, ist die beste Schokolade auf ganz Gaia, und sie hat Stückchen, Seph, Stückchen! Weißt du, was das heißt? Es ist irrsinnig, Krieg gegen ein Land zu führen, das Schokolade mit Stückchen herstellt, und wenn ich vielleicht schon bald keine Schokolade mit Stückchen mehr kriege, will ich wenigstens Kaffeeee ...!!“ „Keinen Vorrat angelegt?“, erkundigte sich der General und nahm ungerührt einen Schluck aus Zacks Kaffeebecher. „Von dieser Schokolade? Unmöglich! Die hat ...“ „Stückchen, ich habe es begriffen. Nun, der Entzug dürfte sehr interessant für dich werden.“ Einige Sekunden lang blieb es ganz still. Dann nahm Zack wieder eine sitzende Position ein und erkundigte sich sehr ernst: „Das heißt, wir haben jetzt wirklich Krieg?“ Und als Sephiroth nicht antwortete: „Oh, verdammt. Seph, weshalb tut Godo das? Er hat doch keine Chance gegen uns, und das weiß er! Was hat er vor?“ „Diese Frage ist leicht zu beantworten.“ Sephiroth lächelte gewinnbringend und nahm noch einen Schluck Kaffee, ehe er dem aufmerksam lauschenden Zack verkündete: „Ich habe keine Ahnung.“ Zacks gespannter Blick verwandelte sich in einen entrüsteten. „Was würdest du von einer neuen Vorschrift halten, die es kommandierenden Offizieren untersagt, ihre Leute reinzulegen?“ „Nichts“, lautete die trockene Antwort. „Um aufs eigentliche Thema zurückzukommen: Ich werde noch keine diesbezüglichen Informationen preisgeben.“ Die Betonung des letzten Satzes machte sogar Zack deutlich, dass es diesmal selbst ihm unmöglich sein würde, auch nur die winzigste Information aus seinem General herauszubekommen. Und so seufzte der 1st schwer auf. „Ich schätze, Sex und Schlaf müssen ebenfalls warten. Ich bin im Simulatorraum.“ Sephiroth gestattete sich ein nahezu freches Grinsen. „Danke für den Kaffee.“ Zack verzog das Gesicht. „Verschluck dich nicht dran, Sir.“ „Versuch, weniger als einmal zu sterben“, konterte Sephiroth. Zack verließ grummelnd und brummelnd den Raum (nur hin und wieder konnte man die Worte `lebensmüde´, `Kaffee´ und `Schokolade mit Stückchen´ erahnen) und Sephiroth blieb allein zurück. Noch 7 Tage, dachte der General. Und keine Sekunde länger! Es kam, wie er es vorhergesehen hatte. Trotz der gigantischen Übermacht gelang es der ShinRa Army nicht, sich gegen ihren Gegner, der aus den Fehlern des letzten Krieges gelernt hatte und sie nicht wieder beging, durchzusetzen. Mehr noch. Die schattengleichen Ninjas schienen die Situation nicht als Krieg, sondern als Spiel zu sehen und gaben ihr Bestes, um so viel Verwirrung und Chaos wie möglich zu stiften. Sie waren gut! Sie waren so gut, dass General Crescent sich das ein oder andere heimliche Grinsen nicht verkneifen konnte, wenn er die streng geheimen Berichte der Army las. Nach exakt 7 Tagen erklärte sich der in Midgar gebliebene Armygeneral zähneknirschend und angsterfüllt bereit, das Kommando an SOLDIER abzugeben. Und die Elitetruppe machte sich, mit Sephiroth an der Spitze, augenblicklich auf den Weg. Allein die zeitgleiche und perfekt synchronisierte Landung der Black Hawk Helikopter im ShinRa Militärcamp mitten in Wutai machte überdeutlich, dass von nun an ein anderer Tonfall herrschen würde, und Sephiroths erste Befehle nur Minuten nach der Landung ließen jeden wissen, von welcher Art dieser Tonfall sein würde. Der General schickte nicht nur sämtliche anwesenden hochrangigen Armyoffiziere zurück nach Midgar (sie hatten ihm überdeutlich bewiesen, der Lage nicht gewachsen zu sein und waren somit unbrauchbar), sondern mit ihnen auch alle Sanitäter. Dann ließ er die zurückgebliebenen und sichtlich verunsicherten Armymitglieder antreten. „Ab heute“, eröffnete er den in Bewegungslosigkeit erstarrten Einheiten mit eisiger Erhabenheit, „gehört euer Leben mir! Wenn ich sage `Springt!´ will ich nur zwei Sätze hören: `Ja, Sir!´ und `Wie hoch, Sir!´! Und nichts, außer einem Sieg, wird daran etwas ändern! Angst, Nachlässigkeit und Versagen werden ab sofort nicht mehr toleriert, und durch uns ausgeführte medizinische Versorgung in Form von Materia ist den wahren Kämpfern unter euch vorbehalten! SOLDIER wird jede einzelne eurer Aktionen auf dem Schlachtfeld beobachten, beurteilen und Entscheidungen treffen, die euer Leben verlängern oder beenden. Ich will Erfolge! Und ihr werdet sie mir liefern! Fragen oder Einwände?“ Die Mauer des Schweigens baute sich in rasender Eile noch höher auf, und Sephiroths lächeln machte mehr als deutlich, mit nichts anderem gerechnet zu haben. „Gut. Es freut mich, dass wir uns so schnell den wesentlichen Dingen widmen können.“ In diesem Fall bestanden die `wesentlichen Dinge´ darin, den einzelnen Einheiten neue kommandierende Offiziere in Form von 1st Class SOLDIER zuzuteilen und den allgemeinen Gesundheitszustand der hier stationierten Army auf einem höheren Level zu stabilisieren, denn in ihrer momentanen Verfassung würden die Männer die an sie gestellten Anforderungen auch beim größten Arbeitswillen nicht erfüllen können. Sephiroth nutzte diese Zeit, um sich noch besser mit der Situation vertraut zu machen und studierte in dem entsprechenden Zelt mit größter Aufmerksamkeit die von den Offizieren zurückgelassenen Dokumentationen über den bisherigen Verlauf der Schlacht. Die Daten deckten sich vollständig mit den nach Midgar übermittelten Informationen. Wutai zeichnete sich durch eine üppige Vegetation und unzählige kleine Ortschaften aus. Und Tempelanlagen. Die größten von ihnen waren kurzerhand in Ninjafestungen umgewandelt worden. Insgesamt gab es 6 von ihnen. Der Army war es im Laufe der vergangenen Tage unter erheblichen Verlusten gelungen, eine zu stürmen, was die Summe der von SOLDIER zu unterwerfenden Festungen auf 5 reduzierte. Eigentlich ein kleines Wunder, dass sie mehr als eine Festung erobert haben, dachte der General sarkastisch. Dann aber gestattete er sich ein zufriedenes Lächeln. Es war eine der Situationen, die ihm so zusagten. 5 Festungen innerhalb von nur 7 Tagen ... Es schien unmöglich. Und gerade deshalb würde er es möglich machen. Die von den Ninjas getöteten SOLDIER waren ausschließlich 3rd´s gewesen, größtenteils erst in diesen Status erhoben, unerfahren und hier, um Erfahrungen zu sammeln. Die jetzt nach Wutai gebrachten SOLDIER waren 1st und (vermutlich bald aufsteigende) 2nd Class. Mehr gab es dazu nicht zu sagen. Was Lord Godo anging ... Die Zivilbevölkerung hätte ihn schützen können, aber vermutlich verbarg er sich in einer der noch durch seine Leute gehaltenen Festungen. Diese aus dem Verkehr zu ziehen, schien die sinnvollste Lösung zu sein. Aber nicht, wie die Army es getan hatte, nacheinander ... Sephiroth tippte sein inneres Zeitgefühl an. Noch etwa 30 Minuten. Gewisse Leute, unter ihnen auch 1st Class SOLDIER Zack Fair, würden ihn nicht enttäuschen! Es war zu lange ruhig gewesen, und der General wusste, wie viel Kraft sich in seinen Männern aufgestaut hatte und entladen werden wollte. Wutai war mehr als eine passende Gelegenheit, es war die passende Gelegenheit, der Welt einmal mehr zu zeigen, wofür der Name SOLDIER stand. Er würde Träume entstehen lassen, Angst schüren, ungläubiges Kopfschütteln hervorrufen ... und Erfolge verbuchen. Große Erfolge! Es vergingen ca. 15 Minuten, ehe Sephiroths PHS zum ersten Mal klingelte. „1st Class SOLDIER Zack Fair unterwegs in einer Geheimmission in Wutai meldet gehorsamst: Ich hab hier Schokolade gefunden! Mit Stückchen! Ach ja, und die Ninjafestung haben meine Gruppe und ich gestürmt und eingenommen.“ „Verluste?“ „Ja, ich hab schon zwei Tafeln gegessen.“ „Ich werte das als `Nein´. Was ist mit Lord Godo?“ „Bislang nicht aufgespürt.“ „Verstehe. Verstärkung trifft in Kürze ein.“ „Aber von meiner Schokolade kriegen die nichts!“ Sephiroth rollte mit den Augen und beendete das Gespräch. Das PHS klingelte kurz darauf noch dreimal, und übermittelte – wesentlich ernsthafter vorgetragen – die Stürmung der restlichen drei Ninjafestungen ohne Verluste für ShinRa. General Crescent nickte zufrieden und wandte sich wieder der Karte zu. Blieb nur noch eine Festung übrig. Die größte! Vermutlich würde sich Lord Godo dort aufhalten. Und wenn nicht ... Wäre Cutter hier, dachte Sephiroth unwillkürlich, könnte sie uns ganz genau sagen, wo er ist. Wir wären in der Lage, den Krieg mittels eines einzigen Schlages zu beenden. Aber sie ist nicht hier. Phoenix, wo bist du? Geht es dir gut? Seit ihres Verschwindens war kein Tag vergangen, an dem er nicht auf irgendeine Art und Weise versucht hatte, Kontakt mit ihr herzustellen (und dabei Kopfschmerzen zu bekommen). Doch jeder Ruf war ins Leere gelaufen und in der endlosen Weite versickert wie ein Wassertropfen im heißen Wüstensand. Dennoch hatten Sephiroth alle die Fehlschläge nicht davon abgehalten, es weiter zu versuchen. Und, wenn er sich besonders einsam fühlte, statt der normalen die von Cutter geschenkten, herzförmigen Zuckerwürfel für seinen Kaffee zu benutzen. Mit sternklaren Nächten war es dasselbe. Sephiroth versäumte es nie, und sei es nur für ein paar Sekunden, zu all dem Glitzern und Leuchten aufzusehen, an seine eigene Line zu denken, und von wem er das Wissen über deren Existenz besaß. Cutter hatte es versprochen! Nicht zu sterben. Aber es war schon so lange her ... Manchmal, das wusste Sephiroth aus eigener, schmerzhafter Erfahrung, waren die Dinge stärker als der eigene Wille. Der General schüttelte den Kopf und schloss die Augen. Es gab jetzt wichtigere Dinge, an die er denken musste, aber ... „Komm zurück“, wisperte er. „Ich ... bitte dich ...“ Weit, weit, endlos weit von ihm entfernt, so unerreichbar wie der fernste noch unbekannte Planet der Galaxis, und noch weiter, dort, wo fast nur Finsternis und Stille existierten, hörte ein menschliches Bewusstsein auf, zu flackern. Und erlosch. Dunkelheit füllte die bis vor kurzem noch von einem kleinen Stern gefüllte Stelle, bestätigte die Entscheidung. Und dann war alles wieder so, wie es immer gewesen war. Finster und still. Ein Schicksal war endgültig besiegelt. Der Schmerz tief in Sephiroths Innerem dauerte nicht länger als ein Herzschlag und verblasste augenblicklich wieder, hinterließ aber überhaupt keinen Zweifel, dass gerade irgendetwas geschehen war. Etwas, das starke Konsequenzen auslösen würde. Es hatte mit Cutter zu tun! Das wusste der General mit tiefem, sicherem Instinkt. Aber es war ihm unmöglich, eine nähere Definition vorzunehmen. Außerdem erinnerten ihn die Geräusche vor dem Zelt an den Krieg, in dem er sich befand und den er gewinnen musste. „Mach keinen Unsinn!“, flüsterte er ohne genau zu wissen, wen er damit meinte, und trat vor das Zelt. Seine vorher gegebenen Befehle waren exakt ausgeführt worden – wenn die Army auch relativ verwirrt schien. Die SOLDIER hingegen trugen jenes `Wir wissen mehr als ihr´ Grinsen zur Schau, welches Unwissende bei entsprechender Dauer problemlos in den Wahnsinn treiben konnte. Dessen völlig ungeachtet erteilte der General neue Befehle. Wenige Sekunden später erwachten die Rotoren der größten Transporthubschrauber, die ShinRa zu bieten hatte, zum Leben. Spezielle Tragevorrichtungen erfüllten ihren Zweck und ließen Panzer den Bodenkontakt verlieren. Es vergingen nur einige Sekunden, ehe sich die Helikopter auf den Weg zu ihrem neuen Ziel machten, an Bord SOLDIER und Army, die Panzer unter sich tragend wie große und nicht sehr freundlich wirkende Präsentkörbe. Auch die Black Hawk Helikopter, an Bord ausschließlich Armymitglieder, starteten erneut, steuerten aber in gänzlich unterschiedliche Richtungen und waren schon bald nicht mehr zu sehen. Sephiroths Gedanken weilten bereits beim nächsten Schritt seines Plans – der Errichtung eines neuen Camps relativ nahe vor der siebten Ninjafestung. Diese erforderte eine andere Vorgehensweise als die bereits eroberten Exemplare. Zum Einen lag sie mitten in einem dichten Wald, und zum Anderen ... Nr. 7 war eine echte Ninjafestung! Ursprünglich von ShinRa im ersten großen Krieg zerstört, in perfekter Geheimhaltung von der Bevölkerung Wutais wieder aufgebaut und (vermutlich) erweitert, um die vorliegenden Informationen zu untergraben. Jetzt war dieser Ort, nicht zuletzt Dank der mächtigen Verteidigungsanlagen, alles, was er niemals hätte sein dürfen. Und das letzte Hindernis zwischen ShinRa und dem Sieg. Denn wenn sich Lord Godo irgendwo verbarg, dann dort! Es dauerte einige Stunden, aber dann erreichten die Transporthelikopter den neuen Zielort. Die Gegend wurde gesichert, die Hubschrauber setzten zur Landung an. Unter den wachsamen Augen des Generals wurde ein neues Camp errichtet. Als die Black Hawks mit den zur Erstürmung der Ninjafestungen beauftragten SOLDIER eintrafen, war das neue Camp so gut wie fertig. Zack, sehr glücklich darüber, nicht beim lästigen Aufbau helfen zu müssen, trat neben seinen General und verkündete: „Bei den Unmengen an frischer Luft krieg ich direkt wieder Hunger auf Schokolade.“ Sephiroth warf ihm einen strafenden Blick zu. „Wie kannst du jetzt an Schokolade denken?!“ „An Schokolade kann ich immer denken. An Sex übrigens auch.“ „Ich würde es begrüßen, wenn du für die Dauer unseres Aufenthaltes hier ausschließlich ans Kämpfen und Überleben denken würdest!“ Zack verzog das Gesicht, als denke er angestrengt nach – und verkündete letztendlich strahlend: „Krieg ich hin!“ „Großartig.“ „Also ... wir haben alle Ninjafestungen gestürmt und jetzt hält ein Teil der Army sie besetzt, um eine Rückeroberung durch Lord Godos Leute zu verhindern. Die Gefangenen sind auf dem Weg ins HQ. Im Großen und Ganzen sieht es nach frühem Feierabend aus, aber die letzte Festung, in der sich Lord Godo vermutlich aufhält, ist eine echte! Und liegt mitten im Wald. Diese Bäume sind ... Also, ich will wirklich nicht behaupten, dass unsere Zerberuspanzer schwach sind, aber diese Bäume kriegen selbst sie nicht geknackt. Was hast du vor, oh großer General?“ „Gewinnen!“, antwortete Sephiroth ruhig. „Und zwar innerhalb der nächsten 24 Stunden.“ Aber Wutai hatte andere Pläne. „Was bitte soll das heißen, Sie haben noch keine Ergebnisse bezüglich Godo?“ Rufus Shinra´s Stimme klang zu gleichen Teilen sanft wie bedrohlich und bestätigte einmal mehr die hohe Qualität einer durch die Technik seines Unternehmens stattfindenden, satellitenübertragenen Videokonferenz. „Sie sind doch schon 2 Tage vor Ort, oder etwa nicht, General?“ Sephiroth musste dies bestätigen, ob er wollte oder nicht. Gleichzeitig erwog er für einen Augenblick ernsthaft, dem Präsidenten einen detaillierten Situationsbericht zu übergeben (nicht, um sich zu entschuldigen, denn es gab nichts, wofür er dies hätte tun müssen, sondern um klar zu stellen, wie schwierig die Lage selbst für jemanden wie ihn momentan war) – dann ließ er es sein. Rufus Shinra war nur an einer einzigen Nachricht interessiert: Der Erfolgsmeldung. „Dann“, fuhr dieser fort, „habe ich erhebliche Schwierigkeiten, zu begreifen, warum Sie immer noch keinen Schritt weiter sind. Ich habe nicht gerne Schwierigkeiten mit irgendetwas oder irgendjemandem, General. Und Sie mit Sicherheit auch nicht. Oder ... benötigen Sie Unterstützung?“ Ja, dachte Sephiroth und gestattete sich einen Hauch von Gereiztheit. Du könntest aufhören, mir auf die Nerven zu gehen, Rufus. Das wäre ein guter Anfang! „Negativ, Mr. President. Ich versichere Ihnen, dass es nicht mehr lange dauern wird.“ „Dem würde ich mit ungeteilter Freude entgegensehen!“ Das Fenster der Videokonferenz schloss sich wieder, und Sephiroth ließ einem kleinen Teil seines empfundenen Unmutes freien Lauf, in dem er den Laptopdeckel mit einer heftigen Bewegung zuknallte. Jetzt ging es nicht mehr nur um den unzufriedenen Rufus, sondern vielmehr um die Drohung einer `Unterstützung´. Wenn mir nicht schnell etwas einfällt, habe ich Hojo hier, der sich um mich `sorgt´ und herausfinden möchte, was mir `fehlt´. Er war die absolut letzte Person, die Sephiroth in einer Lage wie dieser hier brauchen konnte – aber vermutlich packte der Wissenschaftler schon die Transporttasche. Es musste eine Möglichkeit geben, den drohenden Besuch abzuwenden und Rufus zufrieden zu stellen. Nur wie? Die einzige Chance bestand in einem Erfolg. Sephiroth öffnete den Laptop erneut und rief eine sehr spezielle Karte des Problems auf. `Shu-Lai-Den´. Es ging ihm auf die Nerven. Es war eine Frechheit! Und der Name der letzten Ninjafestung. `Bär-in-seiner-Höhle´ - kein Name hätte treffender sein können. Zum einen lag die Festung mitten im Wald, gut geschützt durch die dicken Stämme unzähliger Bäume (was die extra hergeflogenen Zerberuspanzer nahezu lächerlich machte, aber Sephiroth vertraute seinem Instinkt) – und den Schutzschild. Dieses verdammte Kraftfeld, das die Festung wie eine riesige Käseglocke umhüllte und jeden von außen stattfindenden Angriff der ShinRa Armee blockierte, aber alle von innen kommende Attacken problemlos passieren ließ. Sephiroth zweifelte nicht daran, die für das Kraftfeld zuständigen Generatoren mit Masamune zerstören zu können. Wenn er gewusst hätte, wo sich diese befanden! ShinRa Techniker arbeiteten an diesem Problem, aber noch bissen sich selbst die gefürchteten Satelliten an dem Schutzschild die Zähne aus. Und das hieß: Die Generatoren brummten nach wie vor ungestört irgendwo hinter dicken Mauern innerhalb der Festung und gewährleisteten optimalen Schutz. Und selbst wenn es uns gelingt, die Generatoren auszuschalten, dachte der General grimmig, der Verlust des Kraftfeldes dürfte sofort auffallen. Bis wir in der Festung sind, ist Lord Godo durch irgendeinen Geheimgang verschwunden. Wir sitzen, strategisch gesehen, fest! Und der Feind feiert das, 24 Stunden am Tag. Lautstark. Wenn der Wind aus einer vorteilhaften Richtung kommt (was er meistens tut), können wir unfreiwilligerweise an der Party teilhaben, und es gibt im Camp schon Männer, die jedes Wort der wutaianischen Siegeslieder mitsingen können. Hojos Auftauchen hier wäre die absolute Krönung! Ich muss eine Möglichkeit finden, das zu verhindern... Nur wie? Einzig die Ergreifung Lord Godos wäre dazu in der Lage. Aber der sitzt – vermutlich - in `Shu-Lai-Den´, lässt uns beobachten und wartet. Er fühlt sich völlig sicher. Und das zurecht. Wenn er jetzt ... Der Gegenstand war urplötzlich da, raste tödlich silberglänzend auf Sephiroth zu ... Dieser reagierte sofort, griff nach Masamune und nur eine unglaublich schnelle Bewegung später rutschte etwas an der noch in der Schutzhülle steckenden Klinge herunter. Ein Wurfstern. Kaum größer als eine Handfläche, aber, wie die scharfen Klingen bewiesen, nicht zu unterschätzen. Diese und ähnliche Aktionen gehörten zu den Lieblingsspielchen der Ninjas. Unvermittelte Angriffe bei Tag und in der Nacht mit dieser oder ähnlichen Waffen, durchgeführt in völliger Lautlosigkeit und mit einem Tempo, das auf jahrelanges, hartes Training schließen ließ. Und somit war die ShinRa Armee zu noch größerer Wachsamkeit verflucht. 24 Stunden am Tag. Jeden Tag. Ohne selbst einen Schlag führen zu können. Und mittlerweile empfand selbst Sephiroth etwas wie Frust. Weder er, noch seine Männer waren eine derartige Situation gewohnt, und der Wunsch, zuzuschlagen, etwas zu verändern, sich überhaupt nur zu bewegen, wurde mit jedem Tag stärker. Eine derartige Hilflosigkeit kannte er sonst nur aus dem Labor. Dieser Vergleich erinnerte ihn daran, dass Hojo mit Sicherheit dabei war, letzte Vorbereitungen zu treffen, um hierher zu kommen. Sephiroth verspürte ein starkes, aus den Tiefen seines Körpers aufsteigendes Zittern und schloss die Augen, konzentrierte sich auf ruhige Atmung und einen gleichmäßigen Herzschlag. Beruhige dich. Noch ist er nicht hier. Noch kannst du etwas unternehmen. Aber was?? Es gibt keine Option, die ich nicht schon im Geiste durchgegangen bin. Es läuft alles auf dasselbe heraus: Lord Godo entkommt im Laufe des Kampfes durch irgendeinen Geheimgang. Wenn ich doch nur in der Lage wäre, seinen Aufenthaltsort genau zu bestimmen ... Cutter, wo bist du? Du könntest ihn mit Leichtigkeit ... Der Luftzug traf sein Gesicht urplötzlich und mit einer Schärfe, die Geschwindigkeit und absolute Tödlichkeit perfekt miteinander vereinbarte. Er war zu nah. Sogar zu nah, um noch rechtzeitig die Augen zu öffnen. Sephiroth vergaß seinen Stolz und ließ sich einfach fallen. Nur einen Sekundenbruchteil später raste etwas über ihn hinweg, kollidierte mit einer der Zeltstangen und bohrte sich, abgelenkt durch den Aufprall, unmittelbar neben den General in den Boden. Sephiroth warf dem Gegenstand einen finsteren Blick zu. Schon wieder einer dieser verdammten Wurfsterne! Die Dinger fingen an, ihn gehörig zu ... Reflex und eine jetzt ungeschützte Klinge teilten einen dritten, diesmal genau in Augenhöhe auf ihn zufliegenden Wurfstern in zwei harmlose Teile. Sephiroth kam wieder auf die Beine und wich einem vierten, sich durch die Zeltwand bohrenden Geschoss, aus. Das war mehr als eine der von so vielen im Camp gefürchteten Blitzattacken. Diesmal starteten die Ninjas einen echten Angriff! Sephiroth verließ das Zelt und wurde nur einen Augenblick später mit einem ganzen Schwarm Wurfsternen konfrontiert. Der Einsatz einer Windmateria brachte die Waffen aus der Bahn, gab dem General kurz Gelegenheit, sich umzusehen. Die ganze Luft war erfüllt von Wurfgeschossen. Sie jagten in unterschiedlichen Höhen und von allen möglichen Richtungen kommend durch das Camp und rammten sich in oder durch jedes Hindernis auf ihrem Weg. Maschinen, Geräte, Zelte, Körper. Alles mit dem Ziel, soviel Schaden wie möglich anzurichten. Ich hoffe, dachte der General grimmig, dass die abgestellten Wachen schon tot sind, denn ansonsten werde ich sie eigenhändig erwürgen! Gleichzeitig verschaffte er sich binnen weniger Sekunden einen Überblick bezüglich der definitiv noch lebenden Armee. Die Army, auf einen derartigen Angriff weder mental noch waffentechnisch vorbereitet, war so gut es ging in Deckung gegangen und versuchte, die kämpfenden SOLDIER mit MG Salven zu unterstützen. In einer derartigen Situation hing alles davon ab, wie schnell man ausbrechen und sich verteilen konnte, um effektiver angreifen zu können. Sephiroths SOLDIER waren dabei, genau das umzusetzen. Schwerter kollidierten mit Wurfsternen, Materiaattacken rasten durch die Luft, schufen genug Freiraum um vorwärts zu stürmen bevor der nächste Angriff blockiert werden musste ... Das Camp zu verlassen hatte jetzt oberste Priorität. Auch, wenn sich die Aufgabe hinsichtlich der rasend schnell und in unterschiedlichen Höhen fliegenden Wurfsterne mehr als schwierig darstellte. Zack war kurz davor, seine berühmte Heiterkeit zu verlieren. Er war nicht nur ein, sondern gleich zweimal getroffen worden, und obwohl die Verletzungen bereits zu heilen begonnen hatten, so schmerzten sie doch entsetzlich. Von dem Gefühl, trotz des harten Trainings nicht schnell genug gewesen zu sein, um diesen verdammten Geschossen auszuweichen, ganz zu schweigen. Aber jetzt hatte er das Camp mit all seinen Sichtblockaden hinter sich gelassen. Jetzt konnte er seine Fähigkeiten frei entfalten! Und endlich sehen, aus welchen Richtungen diese verdammten Wurfsterne auftauchten. Einer von ihnen in rasend schnellem Tempo nachzugehen und den Ninja an deren Ende außer Gefecht zu setzen war nahezu ein Kinderspiel. Eben blockte Zack drei weitere Angriffe, und nahm eine neue Richtung ins Visier, stürmte vorwärts, entging einem weiteren Schwarm Wurfsterne, indem er sich hoch in die Luft katapultierte ... die Sache machte wieder Spaß. Sinnloses Draufhauen konnte jeder. Aber das hier, berechnen, ausweichen, angreifen, siegen und sich einem neuen Ziel widmen, alles in gleitenden, perfekten Bewegungen, wie bei einem Tanz, ohne müde oder gar nachlässig zu werden, dazu waren nur die wenigsten in der Lage. Das war SOLDIER! Für alles andere war die Army zuständig. Das galt auch für Waffen aller nur erdenklichen Art. Um diesen Krieg innerhalb der Frist zu gewinnen, hatte die Army alles mögliche nach Wutai geschleppt – und, wie Zack nach seiner Landung feststellen musste, nicht gut genug darauf aufgepasst. Die beiden aus dem Nichts auftauchenden `Scyths´ nahmen direkten Kurs auf ihn und gaben somit überdeutlich zu verstehen, auf Seiten der Ninjas zu sein. Zack fletschte die Zähne. `Scythe´s! Ausgerechnet! Neuestes ShinRa Material. Flugwaffen. Sie sahen aus wie Frisbeescheiben, verfügten aber über einen Haufen integrierter Elektronik und, als wesentlich gefährlicheren Bestandteil, rasiermesserscharfe Klingen. Einmal aktiviert prägte sich ein `Scythe´ das Bild des Gegners ein und reagierte mit erschreckend hoher künstlichen Intelligenz auf jede seiner Bewegungen. Bis es keine mehr gab. Die Dinger waren nicht nur absolut tödlich, sondern auch in der Lage, miteinander zu kommunizieren. Eben teilten sie sich auf. Zack umfasste den Griff des Busterschwertes fester. Jetzt ging es für ihn wirklich auf Leben und Tod. Ihm gelang das Kunststück, die Flugbewegung beider `Scythe´ s gleichzeitig im Auge zu behalten, aber als diese anhand seiner Augenbewegungen erkannten, dass er Berechnungen hinsichtlich ihrer Route anstellte, begannen sie, sich in wilden Zickzack- und Schlangenrouten zu bewegen. Zack verlor den Überblick – dachte aber gar nicht daran, sich geschlagen zu geben. „Kommt schon, ihr Biester!“ Das Busterschwert war unter anderem mit einer Eismateria bestückt. Ob die `Scyths´ mit einem Panzer aus gefrorenem Wasser noch ebenso gut fliegen konnten? Zack wagte es zu bezweifeln. Eben tauchte wieder eines in seinem Blickfeld auf, schoss direkt auf ihn zu ... und der 1st aktivierte die Materia. Nur einen Sekundenbruchteil später schlugen alle seine Sinne Alarm, und Zack machte, seinem Instinkt blind folgend, einen Rückwärtssalto und führte gleichzeitig eine Attacke mit dem Busterschwert. Jahrelanges Training kollidierte mit neuster ShinRa Technologie ... und verwandelte sie in einen Haufen Schrott. Zack landete, sah sich sofort nach dem ersten, mit der Eismateria angegriffenen, `Scythe´ um ... und fand nur langsam schmelzende Eisbrocken vor. Keine Bruchstücke. Keine Trümmer. Eines der `Scythe´s war noch intakt, aber wo konnte es ... Zacks Instinkt schrie auf, ließ den 1st herumwirbeln. Aber der `Scythe´ war schon zu nahe, würde in jedem Fall treffen! Es gab kein Entrinnen. Und so war Zack mental auf den Schmerz vorbereitet – nicht jedoch auf das Gefühl, urplötzlich den Boden unter den Füßen zu verlieren, zu fallen, und sich schlagartig auf dem Rücken liegend hinter einem Erdwall wiederzufinden, in den sich das `Scythe´ grub und ohne Aussicht auf Rettung stecken blieb. Dunkelbraune Erdkrümel und –brocken fielen auf Zack hinab, aber gemessen an dem erwarteten Szenario war das hier fast zum Lachen. Für einen Augenblick befand sich 1st in absoluter Sicherheit. Und leichter Verwirrung. War dieser Erdwall schon vorher da gewesen und nur von ihm übersehen worden? Nicht, dass Zack dessen Existenz nicht begrüßte, aber er war relativ sicher, dass ... Oder? Er beschloss, später darüber zu grübeln, blickte vorsichtig über den schützenden Rand ... und erstarrte. Sie stand zwar etliche Meter entfernt, ihr Äußeres jedoch war unverkennbar. Lange, dunkelbraune Haare. Weiche, wie Flaum aussehenden Gewänder. Der in ein rundliches und ein wesentlich dominanteres, wie ein in die Länge gezogen und spitzzulaufendes Schneckenhaus geformte, mondlichtfarbene Stab in ihren Händen. Die sie umgebende, fast schon erhabene und dennoch friedliche Aura ... Das gibt´s doch nicht, dachte Zack verblüfft. Sie? Was will sie denn hier? Ob sie Cuttie mitgebra ... Exakt in diesem Moment wandte die Frau den Kopf, sah genau in seine Richtung ... Und grinste. Zack erstarrte noch mehr. Dann fühlte er den Schrei in sich aufwallen. Er kam aus den Tiefen seines Herzens, so überrascht und ehrlich, wie sich nur echte Freude äußern konnte, und nur eine Sekunde später hallte der begeisterte Ruf des 1st lautstark über das gesamte Schlachtfeld. „CUTTER-CHAAAAAAN!!!“ Gleichzeitig kam er auf die Beine, überwand den Erdwall, stürmte auf die so lange vermisste Freundin zu ... und sie ihm entgegen. Sie begegneten sich mitten auf dem Schlachtfeld. „Cuttiiiiiee!!“, jubelte Zack und schlang beide Arme um sie, drückte sie an sich. „Du bist wieder da, du bist wieder da! Das gibt’s nicht ... Wo hast du nur gesteckt? Oh, ich freu mich so, ich freu mich so wahnsinnig, dich wieder zu sehen!“ „Luft...!“, röchelte Cutter, dann aber lachte sie vergnügt. „Hi, Zack!“ „Cuttie, du... Was hast du mit deinen Haaren gemacht?!“ „Die sind gewachsen! So viel in so kurzer Zeit, irre, oder?“ „Kurze Zeit?“ Und dann, ohne nachzudenken: „Du warst 4 Jahre weg!“ Cutters Gesichtszüge entglitten ihr. Gleichzeitig trat Entsetzen, gemischt mit totaler Fassungslosigkeit in ihre Augen. „Wa ... was?“, stammelte sie, und Zack hätte sich selbst ohrfeigen können. Diese Information war zu früh gekommen, viel zu früh! Aber sie ließ sich nicht mehr widerrufen. Der 1st wollte etwas Beruhigendes sagen – dann aber ließ er sich zu Boden fallen und riss die so lang vermisste Freundin mit sich. Einen Sekundenbruchteil später raste eine Ninjawaffe über sie hinweg und grub sich hart in den Untergrund. Cutter hatte die Rettungsaktion kaum mitbekommen. Immer noch prägte Entsetzen ihren Gesichtsausdruck. „4 Jahre“, flüsterte sie. „Zack, das kann unmöglich sein, das wäre ... Bitte, bitte sag, dass du mich auf den Arm nimmst!“ „Mmmh – nein. Leider. Komm! Wir müssen dich in Sicherheit bringen!“ Er sah sich einschätzend um, kam auf die Beine und schlug eine seines Erachtens nach vorteilhafte Richtung ein. Cutter folgte ihm zügig, wie sie es früher in derselben Situation getan hätte, hielt aber dann urplötzlich inne. Auch Zack bremste gezwungenermaßen. „Was ist? Komm schon!“ Aber Cutter schüttelte den Kopf. Jetzt war ihr Blick fest auf den mondlichtfarbenen Stab in ihren Händen gerichtet, und langsam festigten sich auch ihre Züge wieder. Es schien, als erinnere sie sich an etwas. Und dann kämpfte sich Gewissheit in ihren Augenausdruck. „Zack, wo ist Sephiroth-sama? Mach dir keine Sorgen um mich, ich kann mich selbst beschützen, ich ...“ „Cuttie“, unterbrach er 1st fast ungeduldig, „was redest du denn da? Wir stehen mitten auf dem Schlachtfeld, du bist unbewaffnet und ...“ Die Rauchwolke schien aus dem Nichts zu kommen. Urplötzlich verdeckte sie sein Blickfeld, und als sie nach wenigen Sekunden vorüberzog, war Cutter verschwunden. Zack erstarrte. „Shit! CUT ...“ Purer Reflex ließ ihn das Busterschwert schützend hochreißen, und nur einen Sekundenbruchteil später verriet metallisches Klirren das Abprallen von mindestens 2 Ninjawaffen. Die Geräusche erinnerten Zack abermals schlagartig daran, sich immer noch mitten auf einem Schlachtfeld zu befinden und ruhig stehend ein allzu leichtes Ziel abzugeben. Trotzdem sah er sich weiterhin suchend um. Von Cutter aber fehlte jede Spur. Der 1st fletschte frustriert die Zähne und wandte sich wieder dem eigentlichen Kampf zu. Cutter bewegte sich, so schnell es ging, vorwärts. Tut mir leid, Zack, dachte sie. Ich weiß, das war nicht nett von mir, aber ich ... ich kann einfach nicht anders. Ich muss zu Sephiroth-sama! Jetzt! Es war nicht einmal nötig, nach seiner Line zu suchen. Etwas, in dem auch pure Sehnsucht enthalten war, zog Cutter vorwärts. Trotzdem konnte sie die Stimme ihres Gewissens ebenso wenig abschalten, wie die ihrer Vernunft. Letztere wies äußerst beharrlich auf die von Zack übermittelte Information hin. 4 Jahre! 4 Jahre waren nicht auf die leichte Schulter zu nehmen! 4 Jahre bedeuteten ... sie konnten absolut alles bedeuten! Mit Sicherheit aber die Tatsache, nicht mehr auf dem neusten Stand zu sein, und zwar ausnahmslos alle Ebenen betreffend, ganz speziell der, auf der sich Sephiroth aufhielt. Und als sei das nicht genug, flehte die Stimme förmlich darum, dem General nicht bei der erstmöglichen Gelegenheit um den Hals zu fallen ... Halt die Klappe, dachte Cutter. Das ist alles überhaupt nicht wichtig! Wichtig ist nur, dass ich wieder da bin! Ich will ihm so viel sagen, vor allen Dingen, dass ich gehört habe, was er mir vor 4 Jahren in den Slums gesagt hat, und dass ich genauso für ihn fühle ... Mehr noch! Ich ... Sie bog um eine kleine Felsengruppe – und bremste jäh ab. Erstarrte. (Aber ihr Herzschlag glich die jähe Bewegungslosigkeit problemlos aus.) Sephiroth befand sich nur wenige Meter vor ihr, den Rücken zu ihr gewandt, Masamune, an dessen scharfer Klinge dunkles Rot herab rann, gesenkt haltend. So passiv diese Haltung zu sein schien, die ihn umgebende Aura verriet die bei Bedarf gezielt freisetzbare Aggressivität, und das neben ihm verglühende Grün des Lebensstromes untermalte die auf ihre ganz eigene Art und Weise wunderschöne, kühl und grausam wirkende Momentaufnahme. So hätte er vor 4 Jahren auch ausgesehen, dachte Cutter. Er hat sich nicht verändert ... Bitte, hab dich nicht verändert! Die 4 Jahre sind nicht wichtig! Mir sind sie nicht wichtig! „Sephiroth-sama?“ Der Angesprochene reagierte mit einem aus Cutters Perspektive nicht sichtbaren, kurzen Lächeln. Es war schon interessant, wie ein Wunsch die eigene Wahrnehmung beeinflussen konnte. Wenn ich mich jetzt umsehe, dachte Sephiroth, ist hinter mir kein Phoenix. Sondern nur Leere, die meine Enttäuschung füttert. Aber gut. Es kann nur lehrreich sein. Er wandte den Kopf, langsam und erwartungslos ... und konnte nicht verhindern, dass sich seine Augen in jähem Erstaunen ein klein wenig weiteten. Die Kleidung war weder fremd, noch vertraut. Die Haare länger, als sie es jemals gewesen waren. Der Stab in ihren Händen mehr als ungewohnt. Und sie war um mindestens 10 Zentimeter gewachsen. Aber es war zweifellos Cutter. Sein Phoenix war, wie der General es sich selbst immer prophezeit hatte, im unerwartetsten Moment aus dem Aschehaufen aufgestiegen. Jetzt kam sie auf ihn zu, langsam, aber ohne Angst. „Ich bin wieder da“, hörte er sie leise sagen. „Zack hat gesagt, dass ... 4 Jahre vergangen sind, aber ich bin wieder da, und ich...“ Ihre Stimme. Ihr Gesicht. Ihre ganze Gegenwart. Kein Traum. Realität. Jetzt. Einer jener Momente, auf den der General so gehofft hatte. Ein Wunsch, der sich erfüllte. Sephiroth hätte seinen ursprünglich gefassten Plan sofort in die Tat umsetzen können. Aber ... Es war, als lege sich in seinem tiefsten Inneren ein Schalter um. Zu sagen, ob eine Aktivierung oder Deaktivierung stattfand, war unmöglich. Aber das Ergebnis war eindeutig. Das urplötzlich in den Augen des Generals erwachende, befehlende Glühen brachte Cutter fast augenblicklich zum Schweigen, lag einen Moment lang erdrückend auf ihr – und verwandelte sich dann in Eis, härter, kälter und abweisender als jemals zuvor. „Immer noch nicht genug von ShinRa, Tzimmek?!“ Seine Stimme beinhaltete dieselbe Temperatur. Und ihn `Tzimmek´ sagen zu hören, so wie ganz am Anfang ... Ein langes rotglühendes Messer schien sich mit sadistischer Langsamkeit in Cutters Herz zu bohren. Trotzdem fand sie irgendwie die Kraft, den Kopf zu schütteln. „Nichts dazugelernt!“, konstatierte Sephiroth ohne einen Funken Freundlichkeit in der Stimme. Gleichzeitig setzte er sich in Bewegung, hielt neben Cutter an ... „Sei uns nicht im Weg! Speziell mir nicht!“ ... und verschwand hinter den Felsen. Einige Sekunden lang verharrte Cutter bewegungslos. Dann beendete sie ihren vorher angefangenen Satz, flüsternd und tonlos. „... freue mich so, dich wieder zu sehen.“ Und in Gedanken fügte sie hinzu: Ich habe dich furchtbar vermisst. Und dein `Du bedeutest mir etwas´ vor 4 Jahren auf dem Schlachtfeld in den Slums gehört. Ich fühle genauso. Für dich ... Sie konnte es von ihrem Standort aus nicht sehen. Aber auch Sephiroth verhielt einen Augenblick lang hinter den Felsen, mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf. Das war falsch! Ich hatte doch einen Plan! Nur für diesen Moment, den ich so herbeigesehnt habe! Ich wollte sie auffangen ... Stattdessen habe ich sie ungebremst aufschlagen lassen. Wozu habe ich mir eigentlich all die Jahre Gedanken gemacht? Warum konnte ich meine Vorhaben nicht einfach umsetzen? Die Geräusche aus der Richtung des eigentlichen Schlachtfeldes rissen ihn aus seinen Gedanken, erinnerten an die eigentlichen Prioritäten dieser Mission und setzte ihn abermals in Bewegung, jetzt wieder entschlossen und zielgerichtet. Zuerst einmal galt es, diesen Kampf zu gewinnen. Und um alle anderen, inklusive dem mit sich selbst, würde er sich später kümmern! Kapitel 39: Cutters Debut ------------------------- Es dauerte länger als erwartet, aber letztendlich gelang es ShinRa, den Angriff zurückzuschlagen und mit den wenigen Gefangenen ins Camp zurückzukehren. Sephiroth hielt, seinem Instinkt lauschend, speziell nach Zack Ausschau und seine Ahnung bestätigte sich. Cutter war bei ihm. Bei ihrem Anblick verfinsterte sich der Blick des Generals – aber die Reaktion galt ausschließlich sich selbst. Sie ist wieder da, dachte er. Nach 4 Jahren kommt sie endlich zurück. Du hast endlos oft an sie gedacht. Sie jeden Tag gerufen, in der Hoffnung, eine Antwort zu bekommen. Ihre Handynummer auf den ersten Speicherplatz deines PHS gelegt. Sie vermisst. Ihr einen Spitznamen gegeben. Das Bild eines Phoenix und eines, das an deine Line erinnert, in deinem Appartement aufgehängt. Unzählige Male davor gestanden. Immer ein frisches Glas Schokocreme im Kühlschrank gehabt. Dich gegen jegliche Form eines gefühltechnischen Rückfalls gesträubt. Bewahrt, was sie dir gegeben hat. Einen Plan entwickelt. Jetzt ist sie zurück. Und du verhältst dich, als hättest du nicht das Geringste gelernt. Als wäre sie nur irgendeine Person. Und nicht ... sie. Du hast auf ganzer Ebene versagt. Herzlichen Glückwunsch! Aber es war ihm unmöglich gewesen, sich anders zu verhalten. Weil, das wusste er jetzt mit Sicherheit, alles Gelernte und alles Bewahrte noch nicht ausreichte. Nicht dafür. Diese Tatsache verwirrte ihn mehr, als er es jemals zugegeben hätte. War er nicht bis an die Grenzen des für ihn Möglichen gegangen? Hatte er nicht alles getan, um sich auf dem Moment des Wiedersehens vorzubereiten? Bei Zack war er mit dieser Strategie erfolgreich gewesen. Warum nicht auch bei Cutter? Er verstand es nicht. Und er hatte jetzt keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Denn noch war die eigentliche Schlacht nicht gewonnen, und außerdem musste er dafür sorgen, dass Cutter nichts geschah, denn zum Einen hätte sie, selbst wenn er ihr Materia gegeben hätte, mit der neuen Version nicht umgehen können, und zum Anderen bezweifelte der General, dass es ihr nach 4 Jahren Pause möglich gewesen wäre, den ernsthaften Angriff eines anderen Menschen zurückzuschlagen. Was den seltsamen Stab in ihren Händen anging ... Was stellte er dar? Eine Waffe? Ein Symbol? Er mochte über eine furchteinflößende Spitze verfügen, aber das reichte nicht aus, um optimalen Schutz zu gewähren. Und Symbole besaßen nur dann Macht, wenn man sich über die von ihnen ausgesandte Botschaft im Klaren war. Die Situation war zu unsicher! Zack hätte zwar mit Sicherheit sofort die Rolle eines Leibwächters übernommen, aber Sephiroth brauchte den 1st auf dem Schlachtfeld! Und so ergab sich, alle Details zusammengenommen, ein trostloses Bild völliger Schutzlosigkeit. Dem die ruhige, fast erhabene Aura der jungen Frau komplett widersprach, und somit überdeutlich machte, dass irgendetwas in diesen 4 Jahren geschehen war. Aber es gab nicht den geringsten klaren Ansatzpunkt, der es dem General ermöglichte, die Situation zu durchschauen. Zack bemerkte den finsteren Blick seines besten Freundes und sah zu der schweigend neben sich hergehenden Cutter. Er hatte die junge Frau unmittelbar nach Ende des Kampfes ein zweites Mal mitten auf dem Schlachtfeld aufgelesen, verbal für ihr vorheriges Verschwinden zusammengefaltet (diesbezüglich auch keine Begründung gelten lassen, erst recht keine, in der die Worte `Ich kann auch mich selbst aufpassen!´ und `Sephiroth-sama´ vorkamen) und ihr mit aller Strenge befohlen, sich nicht von seiner Seite zu entfernen. Letztendlich war sein Befehl befolgt worden, aber seitdem wirkte Cutter extrem niedergeschlagen. Aber, wie Zack hinsichtlich Sephiroths finsterem Blick begriff, nicht nur deswegen ... „Lief nicht so gut, euer Wiedersehen, hm?“, erkundigte er sich leise, während er die teils verblüfften, teils interessierten Blicke der anderen Campinsassen entweder ignorierte oder mit einem warnenden Funkeln bedachte. Cutter schüttelte den Kopf, seufzte leise und erzählte. „Er hat ...“, begann Zack verblüfft. „Wow.“ Und gleichzeitig dachte er unwillkürlich: Seph, du Idiot! Das war keine Begrüßung, sondern eine Hinrichtung! Cutters leise Stimme riss ihn aus seinen nicht unbedingt respektvollen Gedanken. „Er scheint ... wütend auf mich zu sein.“ Wenn du wüsstest, dachte Zack. Aber es ist nicht meine Aufgabe, dir Sephiroths Gefühle zu offenbaren. Das muss er selbst tun. „Cuttie, was dir passiert ist, war höhere Gewalt! Er kann gar nicht wütend sein. Schau mal, du warst 4 Jahre weg, wir sind im Krieg, Rufus tobt, weil seine Armee nicht in der Lage ist, mit ein paar, wie er sich ausdrückt `halbstarken maskierten Bauern´ fertig zu werden und Seph hat hier seit kurzem das Kommando. Er soll die Sache endlich beenden, damit wieder Ruhe einkehrt, aber die Situation ist ziemlich verzwickt. Er kann deine Rückkehr momentan einfach nicht entsprechend beachten.“ Er machte eine kurze Pause und fügte hinzu: „Weshalb es vielleicht besser wäre, wenn du ... ihn vorerst ausschließlich wie deinen kommandierenden Offizier behandeln würdest.“ Für einen Augenblick sah Cutter aus, als wolle sie protestieren. Dann jedoch nickte sie sachte. Zack hatte Recht. Hinsichtlich aller niemals erahnten Umstände konnte sie einfach nicht erwarten, von Sephiroth freundlich begrüßt zu werden. Auch, wenn sie noch am Leben war. Apropos `Leben´ ... „Zack? Warum sterben hier schon wieder Menschen?“ Und Zack begann zu erklären. Während die junge Frau dem 1st zuhörte, nahm sie wahr, wie viel Mühe es ihr bereitete, all die aus dem Camp auf sie einstürmenden Eindrücke richtig zu beurteilen. Alles war so laut. Und hell! Jedes unvermittelte Geräusch ließ sie erschrocken zusammenzucken, dabei waren dies meistens Laute, die ihr hätten vertraut sein müssen. Und Cutter begriff, dass sie wirklich 4 lange Jahre fort gewesen und einiges verlernt hatte. Sie versuchte, sich an irgendetwas innerhalb der letzten 4 Jahre zu erinnern, aber da waren nur Stille und Finsternis. Weil es nur das gab, dachte die junge Frau irgendwann. Und ich war dort gefangen. Irgendwo. Um zu lernen, was ich jetzt weiß. Aber mir scheint, als hätte ich auch viel verloren ... Ob ich es zurückgewinnen kann? Sie warf Zack einen verstohlenen Blick zu. Der 1st bewegte sich mit der Ruhe eines perfekt bewaffneten Schlachtschiffes neben ihr her, und die immer noch in seinen Augen funkelnde Heiterkeit verriet einen gänzlich unveränderten Charakter. Was Sephiroth anging ... Cutter seufzte leise, versuchte allerdings gleichzeitig, sich Mut zu machen. Zwar hatte der General sie nicht gerade freundlich begrüßt, aber so musste es ja nicht weitergehen. Vielleicht kam es nur darauf an ... Das Zentrum ihrer Gedanken nahm so plötzlich reale Gestalt an, dass die junge Frau erschrocken zusammen zuckte. „1st Class SOLDIER Zackary Fair!“ Die Stimme des schlagartig vor ihr und Zack aufgetauchten Sephiroths besaß Ähnlichkeit mit einem Zug, der unaufhaltsam auf die vor ihm an die Gleise gefesselte Person zuraste. Seit dem Betreten des Camps hatte der General Cutter nicht aus den Augen gelassen. Zu sehen, mit welcher Sorglosigkeit sie sich in dieser angespannten Stimmung bewegte (ganz offensichtlich fest entschlossen, diese zu ignorieren) war mehr als ein guter Grund, wütend auf sie zu werden und ihr zu folgen. Was Zack, der nichts getan hatte um sie davon abzubringen, anging ... „Wie lautet Paragraph 116 b der allgemein gültigen Verhaltensregeln innerhalb eines Einsatzes in feindlichem Territorium?“ Jetzt beinhaltete seine Stimme des Klang von brechenden, splitternden Knochen. „Kannst du nicht nach Paragraph 19 f fragen?“, antwortete Zack unerschrocken. „An den kann ich mich nämlich noch erinnern. Halbwegs.“ „Er lautet“, fuhr der General mit unveränderter Stimme fort, „`Zivilisten, denen im Rahmen eines Verhörs oder des Schutzes vor widrigen Umständen der Aufenthalt im Camp/Stützpunkt gewährt wird, sind bewegungsunfähig zu machen und unter ständige Beobachtung zu stellen, bis der Zweck ihres Aufenthaltes als `erfüllt´ oder `nicht mehr nötig´ deklariert werden konnte. Die Entscheidungen sämtliche weitere Vorgehensweisen betreffend sind durch den kommandierenden Offizier zu treffen.´ Haben Sie auch nur einen Punkt dieser verbindlichen Anweisung erfüllt, Fair?“ Jeder andere hätte jetzt mit einer höchst diplomatischen, höflichen Antwort reagiert oder sich einfach für `schuldig im Sinne der Anklage´ erklärt. Zack hingegen stemmte entrüstet die Hände in die Hüften. „Cuttie ist gerade erst zurück und ich soll sie einsperren? So behandelt man keine Freunde!“ „Wenn ich es befehle, Fair, werden Sie noch wesentlich unbequemere Dinge tun! Auch mit Ihren Freunden! Ihr derzeitiges Verhalten entspricht nicht Ihrem Rang! Ich werde dies entsprechend ahnden.“ Er wandte sich zu Cutter. „Du kommst mit mir!“ „Aber ...“ „Ich diskutiere nicht mit Zivilisten!“ Cutter setzte sich gänzlich überrumpelt in Bewegung und Sephiroth trat augenblicklich an ihre Seite. Diesmal folgte ihnen kein einziger Blick beim Gang durch das Camp. Der General hingegen behielt die junge Frau unauffällig, aber genauestens im Auge. Sie war, wie man an ihrem Gesichtsausdruck überdeutlich erkennen konnte, wütend – wagte es aber nicht, etwas zu sagen. Was Sephiroths Unverständnis hinsichtlich ihres naiven Verhaltens nur noch weiter anstachelte. Wie kann sie sich so unbesorgt verhalten?! Hat sie wirklich nicht begriffen, wie gefährlich es hier für sie ist?! Wie lange glaubt sie, sich mit diesem Stab verteidigen zu können?! Sie muss hier weg. Sie irritiert meine Leute. Und mich auch. Sie erreichten das Zelt des Generals, und dieser erteilte neue Anweisungen. Cutter würde in dem Zelt warten, bis er sie abholte, von einem Helikopter nach Midgar gebracht werden, und sich in einem der zahlreichen Hotels ShinRa´s einquartieren, bis die Lage in Wutai geklärt war, und er weitere Schritte hinsichtlich ihrer Rückkehr unternehmen konnte. Ein momentan akzeptabler Plan. Sephiroth stellte Wachen vor dem Zelt auf, organisierte den Flug nach Midgar und kam wenig später zurück, um Cutter zu holen. Aber sie war verschwunden. Die völlig überraschten Wachen sagten einstimmig und glaubhaft aus, nichts Verdächtiges bemerkt zu haben. Auch das Zelt war völlig unbeschädigt. Das, dachte der General mit einer Mischung aus Ärger und Interesse, hätte sie sich früher nicht getraut. Und jetzt? Letztendlich schickte er den ursprünglich gefassten Plan ins Nirgendwo, informierte die Helikopterbesatzung und begann zu überlegen, wohin diese eigensinnige Person, die sich nicht beschützen lassen wollte, hätte gehen können. Die Antwort war einfach. Überall hin. Sephiroth seufzte leise. Es gab wohl nur eine Möglichkeit, sie zu finden. Er konzentrierte sich und schloss die Augen. Den von ihm auf rein mentaler Ebene ausgeschickten Ruf ... wie oft hatte er ihn in den vergangenen Jahren ausgesandt? Unzählige Male. Und immer erfolglos. Für einen Moment befürchtete der General, es könne wieder so sein. Aber diesmal erhielt er eine wegweisende Antwort. Das nur für ihn spürbare Echo führte ihn aus dem Camp und von dort direkt in den angrenzenden Wald. Wutai lag in einer anderen Klimazone als Midgar, was sich durch eine immergrüne Vegetation auszeichnete und gerade in einem Wald ganz besonders deutlich zur Geltung kam. Wie alle Wälder Wutais war auch dieser erfüllt von geheimnisvoller, tiefer Stille, die für gewöhnlich nur kurzfristig durch die Geräusche von Tieren unterbrochen wurde. Ein seltsamer, ruhiger Zauber schien die Bäume und Pflanzen zu erfüllen, allerdings ohne bedrohlich zu wirken. Fast schien es, als versicherte er völlige Friedfertigkeit und hieß jeden Gast Willkommen. Sephiroth trat vorbei an riesigen Bäumen, die vielleicht so alt waren wie der Planet selbst und deren Äste sich bis fast zum Boden neigten. Er schritt durch hüfthohes, weiches Gras, in dem hier und da seltsam glitzernde Blumen wuchsen, übersprang einen kleinen Bach, und obwohl es keinerlei Spuren eines Wesens, das diesen Weg vor ihm gegangen war, gab, spürte er, dass er seinem Ziel mit jedem Schritt ein wenig näher kam. Er näherte sich diesem so geräuschlos wie möglich weiter, und erreichte schließlich den Rand einer kleinen Lichtung. Und dort, auf einem umgestürzten, moosbewachsenen Baumstamm, saß Cutter, allein bis auf zwei Glühwürmchen, die es sich genau parallel zueinander auf ihrem Rücken knapp unterhalb der Schulterblätter gemütlich gemacht hatten. In den Händen der jungen Frau lag der seltsame Stab. Das spitzzulaufende Ende zeigte zum Boden hin, und nur wenige Zentimeter davon entfernt ... Makogrüne Augen beobachteten die laufenden Vorgänge. Gleichzeitig wurde der dazugehörige Verstand mit einer Erkenntnis von der Gewalt einer einschlagenden Bombe konfrontiert. Sephiroth versuchte, das mentale Nachbeben einzudämmen, aber es gelang ihm erst nach einer ganzen Weile. Er hatte schon viel gehört und noch mehr gesehen. Aber niemals zuvor etwas wie die Geschehnisse vor sich. Nicht einmal etwas Ähnliches. Deshalb war sie die ganze Zeit so gelassen, dachte der General. Sie kann ... Aber trifft das auf ausnahmslos alle zu? Wenn ja, so würde dies bedeuten ... Ich muss es wissen! Jetzt! „Die Wände meines Zeltes scheinen sich innerhalb der vergangenen Minuten extrem ausgedehnt zu haben!“ Vor ihm zuckte Cutter zusammen und wandte den Kopf. „Whoa ... Hast du mich erschreckt!“ Und nach einer Sekunde blitzartigem Nachdenken: „Sir.“ Für einen Augenblick wusste Sephiroth nicht genau, was er sagen sollte. Einerseits verdiente Cutter eine scharfe, ihre Flucht betreffende Zurechtweisung. Andererseits wollte er diese so lang entbehrte Stimme auf keinen Fall erneut zum Schweigen bringen. Und was er gerade gesehen hatte ... „Darf ich fragen“, sagte er schließlich und kam langsam näher, „was du hier tust?“ „Ich übe.“ Sie warf dem Stab in ihren Händen einen kurzen Blick zu – und reichte den seltsamen Gegenstand dann völlig unvermittelt zu Sephiroth hinauf. Dieser zögerte. Es war eines der ungeschriebenen Gesetze eines jeden Kämpfers, die eigene Waffe nicht in fremde Hände zu geben. Er hätte Masamune niemals, und sei es nur für einen Moment ... Cutter kannte diese Regel. Weshalb hielt sie sich nicht daran?! Weil sie mir vertraut. Auch nach all der Zeit. Ich könnte mich völlig verändert haben, aber sie vertraut mir einfach weiterhin. Wie unklug von ihr! Wie naiv! Wie ... ich sollte dieses Vertrauen nicht zurückweisen. Vorsichtig griff er nach dem mondlichtfarbenen Leuchten. Als seine Finger Kontakt herstellten, verspürte er ein leichtes, kurzfristiges Kribbeln – und dann einen langsamen Puls, fast so, als lebe der Stab. Ansonsten fühlte er sich leichter an, als er aussah. „Das“, hörte Sephiroth Cutter leise sagen, „ist die Luna Lance.“ „Luna Lance“, wiederholte der General. Niemals zuvor hatte er einen ähnlichen Namen gehört. Er klang, als käme er nicht von dieser Welt. Und mindestens 100 Mal besser als Zacks `Schatzi´! Vor ihm erklang Cutters Stimme erneut. Erzählte und erklärte. Worte, die Sephiroth noch nie zuvor in dieser Reihenfolge gehört hatte. Und jedes einzelne bestätigte die bereits im Vorfeld gewonnene Erkenntnis. „Wo liegen die Grenzen?“, erkundigte er sich als nächstes, erhielt eine klare Antwort ... und einen Zusatz. „ ... und in meinen eigenen, ganz persönlichen Ansichten von Gut, Böse und Gerechtigkeit.“ „Ich nehme an, deine Retterin hat dich ausgebildet. Wo befindet sie sich jetzt?“ „Tzirka ist im Lebensstrom. Aber ...“, sie lächelte fast verwirrt, „ich weiß nicht, ob sie mich ausgebildet hat. Nur, dass ich all ihr Wissen über die Lines und die Luna Lance habe. Und somit wohl definitiv ihre Nachfolgerin bin.“ Wie kann sie das nicht wissen?, dachte Sephiroth – entschied aber im gleichen Moment, dass es sinnlos war, die Frage so zu stellen. Er wählte eine andere Variante. „Cutter“, seine Stimme klang fast sanft, „wo bist du gewesen?“ Und dann lauschte er abermals dieser so lange vermissten Stimme, die tief in seinem Bewusstsein nachhallte, als handele es sich dabei um einen großen, leeren Raum, der nur darauf wartete, gefüllt zu werden. Gleichzeitig erfuhr er von diesem seltsamen Ort, der sich durch Finsternis und Stille ausgezeichnet hatte, und 4 Jahre lang Cutters Gefängnis und Ausbildungsplatz gewesen war. „Ich weiß nicht, was der Auslöser war“, sagte sie gerade. „Aber auf einmal ... war ich wieder in der normalen Welt, trug Tzirkas Kleidung, besaß die Luna Lance und das Wissen, wie man sie benutzt ... und war in unmittelbarer Nähe des Schlachtfeldes. Ich hatte keine Ahnung, dass hier Wutai, die Zweite, läuft, aber ich wusste, dass du und Zack irgendwo mitmischt, hab euch gesucht und gefunden ...“ „Ohne verletzt zu werden.“ „Ha, mir kommt jetzt keiner mehr krumm! Erst recht keine Präsidenten, die auf mich schießen! Dieser blöde Mistkerl! Ist er immer noch so drauf wie vor 4 Jahren? Sir?“ „Denkst du, wir führen zum Vergnügen Krieg mit Wutai?“ „Ok, Frage beantwortet.“ Gleichzeitig nahm sie die Luna Lance wieder an sich. Sephiroth, der vorerst nichts mehr wissen wollte, schwieg. Vor allem eine Antwort trug maßgeblich dazu bei. Die vorerst am schwierigsten zu Akzeptierende. Sie war es auch, welche die nächste Aktion des Generals bestimmte. „Da du, laut eigener Auskunft, auf keinerlei Schutz mehr angewiesen bist, dürfte meine Gegenwart hier nicht mehr erforderlich sein. Ich kehre daher ins Camp zurück.“ „Was soll ich machen, Sir?“ „Wenn man alle Daten und Richtlinien des aktuell gültigen ShinRa Systems zusammen nimmt, bist du eine tote Zivilperson. Von daher überschreitet es meine Befugnisse, dir Befehle zu erteilen. Mit anderen Worten: Tu, was du willst.“ Damit wandte er sich um und war schon bald spurlos verschwunden. Cutter blickte noch eine ganze Weile auf die Stelle, an der er gestanden hatte. Sonderlich begeistert hatte der General die Informationen nicht aufgenommen. Aber ... ... er war auch nicht desinteressiert. Außerdem hat er mich gesucht. Und gefunden. Wie früher. Und er hat mich wieder beim Vornamen genannt. Das ging schnell, wenn man bedenkt, wie eisig er mich noch vor ein paar Stunden behandelt hat. Aber ich war ja auch 4 Jahre weg. Wir müssen uns eben erst wieder aneinander gewöhnen. Das muss ich akzeptieren. Und wenn sich seine Gefühle mir gegenüber verändert haben, muss ich das ebenso annehmen. Aber letzteres liegt noch völlig im Unklaren. Ich werde es rausfinden müssen. Das kann ich nicht, indem ich hier sitzen bleibe. „Tun, was ich will“, murmelte sie irgendwann, „hm? Ok, großer General. Diesmal werde ich besser auf mich aufpassen. Und auf dich auch. Wenn du mich lässt.“ Sephiroth war, beladen mit den eben gehörten Worten, ins Camp und sein eigenes Privatzelt zurückgekehrt. Was Cutter erzählt hatte, war unglaublich – aber er glaubte ihr dennoch. Jedes einzelne Wort. Aber so gerne er darüber nachgedacht hätte, es gab andere Dinge, die seiner ungeteilten Aufmerksamkeit bedurften, und zwar jetzt. Alles andere war völlig nebensächlich! Er wandte sich dem Tisch mit den Karten und dem Laptop zu, aber kaum hatte er sich erneut in die Thematik eingearbeitet, als ihn ein unverkennbarer Schmerzenslaut vor dem Zelt den Kopf heben ließ. Nur einen Sekundenbruchteil später ertönte ein verblüfftes `Quak´ - und dann Cutters Stimme. „General Crescent, Sir? Ich hab mich erfolgreich verteidigt, aber was soll ich jetzt mit dem Frosch machen?“ Lange vermisste Erheiterung stieg in Sephiroth auf. Das war also die Übersetzung für die vorhin von Cutter getätigte Aussage: `Mir kommt jetzt keiner mehr krumm!´? Ganz offensichtlich hatte sie ihren Humor nicht verloren. Außerdem war es ihr im Laufe der vergangenen 4 Jahre ganz offensichtlich gelungen, andere Lineswelten zu entdecken. Aber alle weiteren Fragen, die sich durch diese Information ergaben, würden warten müssen. „Wie wäre es mit küssen?“, beantwortete er Cutters eigentliche Frage. „Ich küsse keine Frösche! Bäh!“ Richtig, dachte der General. Du küsst, sofern ich weiß, nur mich ... „Darf ich reinkommen, Sir?“ „Ja, aber lass den Frosch draußen.“ Wenige Sekunden später bedachte er seinen Gast mit einem höchst missbilligenden Blick. „Cutter, wie bereits erwähnt bist du eine tote Zivilperson. Du brauchst nicht zu salutieren.“ `Ich wollte nur höflich sein´, sagte der Blick der jungen Frau, aber sie löste ihre respektvolle Haltung. „Mh, General Crescent, Sir? Ich möchte mich für meine vorherige Flucht entschuldigen! Das war respektlos, aber ...“, ihre Stimme wurde leiser, „es ging nicht anders. Ich bin ...“ „... hierher zurückgekommen, weil ...?“, beschleunigte Sephiroth fast etwas ungeduldig. Ihm lief die Zeit davon! „Ich Sie bitten wollte, mich nicht zurück nach Midgar zu schicken. Lassen Sie mich hier bleiben, ich kann helfen, ganz bestimmt!“ Sie kniff verschwörerisch ein Auge zu. „Auch als tote Zivilperson.“ Das `Abgelehnt´ lag schon nach den ersten gehörten Silben auf Sephiroths Zunge. Aber andererseits ... Mit Cutters Hilfe ließ sich das Unmögliche bewirken! Und so viel Unangenehmes abwenden. Sie trug alles in sich, um den Krieg zu gewinnen! Und Hojo von hier fern zu halten. Hojo ... Abermals fühlte Sephiroth jenes schwere Zittern in sich aufsteigen, und er hasste sich dafür, und dafür, Cutter derart auszunutzen, bloß, um einmal davonzukommen. Aber Cutter hatte ihre Hilfe von sich aus angeboten. Konnte man das wirklich als `ausnutzen´ bezeichnen? Ein letztes, kurzes Zögern ... Dann nickte der General, ignorierte den begeisterten Luftsprung und winkte die junge Frau zu sich, ließ sie Platz nehmen, drehte den Laptop zu ihr und rief ein Bild auf. „Das ist Lord Godo. Momentan gibt er in diesem Land die Befehle, und sie gelten allen außer uns. Wir wollen diesen Krieg gewinnen, das heißt: Wir brauchen ihn als Gefangenen. Also ...“ Er senkte den Kopf, bis sein Gesicht nur noch wenige Millimeter von ihrem entfernt war. „ ... finde ihn für mich, Cutter!“ Was all die hochentwickelte ShinRa Technologie nicht fertiggebracht hatte, erledigte Sephiroths Ghost Walker innerhalb weniger Minuten. Und bestätigte die Vermutung des Generals: Lord Godo befand sich in `Shu-Lai-Den´. Als nächstes sprachen sie über die Verteidigungsanlage der Festung – und den eben gefassten Plan des Generals. Er beanspruchte Cutters neue Fähigkeiten in einem von ihr niemals erahnten und ausgeübten Ausmaße. „Ich ... kann das“, murmelte sie zögernd. „Aber es ... ist ziemlich gemein, Sir.“ „Ziehst du dein Angebot zurück?“ Eine harte, kalte Frage. Die junge Frau zögerte. Auf ihrem Gesicht war der innerliche Kampf deutlich zu erkennen. Ich wollte dir helfen, Sephiroth-sama, aber ich habe vergessen, wie brutal du sein kannst, wenn es darum geht, einen Sieg zu verbuchen. Und, wie egal es dir ist, wenn Menschen sterben. Ich hätte mir so sehr ein friedliches, offizielles Debut gewünscht ... Deutlich sichtbar, aber ohne Begeisterung schüttelte sie auf seine Frage hin den Kopf. Und gab somit ihre Einverständnis. Sephiroth reagierte sofort, ließ den für die Panzer zuständigen 1st Class SOLDIER antreten und unterstellte ihn, sowie dessen gesamte Einheit, Cutters Befehl. „Ich will keine Diskussionen, keine Verzögerungen, keine Machtspielchen, keine Fragen, keine Pannen! Wegtreten!“ Der Mann verließ zu gleichen Teilen verblüfft wie gespannt zusammen mit der eine Karte tragenden Cutter das Zelt und ließ auf ihre Bitte hin seine Einheit vor der neusten Panzergeneration, den `Zerberus´, die das ShinRa Logo mit unverkennbarem Stolz zur Schau trugen, antreten. Die folgenden Minuten gehörten ganz allein Cutter. Sie platzierte die Karte und begann einen Plan zu erklären, der niemals funktionieren würde. Jedenfalls konnte sich das keiner der zuhörenden Männer etwas Derartiges vorstellen. Es war zu absurd! Aber wenn General Crescent an diesen Plan glaubte ... Auch der Rest des Camps war mittlerweile auf den Beinen. Überall wurden Waffen und Materia überprüft, Gruppen formiert, letzte Anweisungen gegeben. Die Männer bereiteten sich auf einen Angriff vor, den es so noch nie gegeben hatte. Sephiroths kurze Ansprache erledigte den Rest, und fast erschreckte es Cutter, die Mordlust in den Augen der Männer zu sehen. Andererseits konnte sie es fast verstehen. Zu lange schon waren sie an der Nase herumgeführt worden, zu lange hatten sie still halten und den Siegesliedern des Gegners lauschen müssen ... Sie sind wütend, dachte die junge Frau. Aber sind sie es zurecht? Ich habe damals, als der 1.te Wutaikrieg im Unterricht dran war, nicht richtig aufgepasst als es um die Details ging, aber ich habe sehr gut verstanden, dass ShinRa ihn angefangen hat. Gäbe es Gerechtigkeit, hätte Wutai gewinnen müssen. Aber die gibt es nicht. Auch jetzt nicht. Es gibt nur diese aufgestaute Wut, Sephiroth und Masamune, Zack und das Busterschwert, SOLDIER, die Army, den Befehl, welchem wir alle gehorchen ... und mich. Die Lines. Die Luna Lance. Und diese Festung mitten im Urwald. In der sich unser Gegner völlig sicher fühlt. Noch bevor diese Nacht um ist, werden wir ihn eines Besseren belehren. Sie fühlte Sephiroths Blick auf sich liegen und nickte, wissend, dass der Erfolg bis zu einem gewissen Punkt ausschließlich von ihr abhing. Hinter ihr starteten die `Zerberus´ Panzer ihre Motoren im optional wählbaren Flüstermodus, neueste ShinRa Technologie, ideal um sich anzuschleichen. Cutter kletterte in eines der gepanzerten Fahrzeuge und dann setzte sich die ShinRa Armee in Bewegung und glitt in die Nacht hinaus. Es war eine Nacht wie geschaffen für einen Überraschungsangriff. Neumond. Dazu hingen dichte Wolken am Himmel. Alle außer den 1st Class SOLDIER, die aufgrund des hohen Makogehaltes in ihren Körpern sowieso Nachts sehen konnten, behalfen sich mit Nachtsichtgeräten. Die `Zerberus´ Panzer konnten Dank der hochentwickelten Technologie und der längst zur Standardausrüstung gehörenden Wärmebildkameras `sehen´. Cutter orientierte sich mit Hilfe der Lines. Dass die Army diesmal ganz genau begriffen hatte, was von ihr verlangt wurde, zeigte sich in der Schnelligkeit, mit der die Befehle ausgeführt wurden. Binnen kürzester Zeit umstellten die Panzer und die ihnen von Sephiroth zugeteilte Infanterie in vorher genau festgelegten Abständen das scheinbar undurchdringliche Waldstück, in dessen Zentrum sich die Ninjafestung verbarg. Als auch der letzte Panzer das Erreichen des ihm zugeteilten Zielortes meldete, ließ Cutter die Luke ihres `Zerberus´ öffnen, kletterte nach oben und blickte in den Wald unmittelbar vor ihr. In dessen Mittelpunkt lag die Festung. Gut geschützt durch Hunderte von uralten Bäumen, groß, stark, metertief mit dem Erdreich verwurzelt. Eine unüberwindbare Barrikade. Bis heute Nacht. Cutter hob ihre Luna Lance und gab gleichzeitig das Zeichen zum Aufbruch. Im Inneren ihres Panzers setzte Protest ein. „Sir, wir werden den Panzer ruinieren!“ „Halt´ s Maul und gib Gas!“ Aber insgeheim wartete auch der Offizier auf den ersten Aufprall – der nicht erfolgte. Stattdessen keuchte der für die Bildschirme verantwortliche Mann in einer Mischung aus Begeisterung und Verwirrung auf und wies sprachlos auf die Monitore. Diese zeigten den Wald, aber ... Der Offizier stutzte. Er binzelte. Und griff nach einem der Nachtsichtgeräte, wollte aus der Luke klettern, sich mit seinen eigenen Augen überzeugen ... und erinnerte sich im letzten Augenblick an den strikten Befehl, genau dies nicht zu tun. Ihm blieben nur die Monitore. Und ein verblüffter Kommentar. „Bei Bahamuths Schwingen!!“ Der `Zerberus´ bewegte sich, umgeben von einem Teil der ShinRa Infanterie, in nahezu lautloser Geschwindigkeit durch den Wald, in einer schnurgeraden Linie, auf direktem Konfrontationskurs mit Bäumen, Sträuchern, Gestrüpp und sonstigen Hindernissen, die ... auswichen. Als seien sie schlagartig lebendig geworden. Die Verblüffung darüber beschränkte sich nicht nur auf die Panzerinsassen. Zack tauchte neben Cutters `Zerberus´ auf, erreichte mittels eines geschickten Sprunges einen feststehenden Landepunkt und informierte verblüfft: „Hey, verdammt, entweder der Wald bewegt sich von selbst, oder du bist das, Cuttie! Bist du´s??“ Cutter wandte den Kopf ... und grinste. „Mit diesem Ding?!“, jappste Zack und deutete auf die Luna Lance. „Du kannst mit diesem Ding die Lines beeinflussen?! Alle?!“ „Ohne Ausnahme! Sei nicht sauer, ich weiß, du hast dir Sorgen gemacht, aber ich hab dir doch gesagt, ich kann auf mich aufpassen.“ „Schon, aber ich hab´s nicht recht geglaubt ... Himmel ... Wie?!“ „Die Luna Lance ist ein Verbindungsstück zwischen meinem Willen und den Lines. Ich kann die Lines jetzt nicht nur sehen und lesen, sondern auch beeinflussen. In jede von mir gewünschte Richtung.“ „Das heißt, du könntest diesen Strauch in Schokolade mit Stückchen verwandeln?“ „Ja, aber die beeinflussten Lines vergessen nie, was sie in Wahrheit sind und verwandeln sich irgendwann zurück, es sei denn, die Veränderung entspricht der natürlichen Entwicklung.“ „Dann sollte ich Strauchschokolade besser nicht essen, was? Oh, Gaia ... Cuttie, du bist eine verdammte Geheimwaffe!“ Er sprang wieder zu Boden und huschte davon. Cutters grinsen verblasste augenblicklich. Eine Geheimwaffe, dachte sie. Und der Grund für den Tod von vielen Menschen heute Nacht. Das ist der Preis. Der Preis, den ich zahlen muss, um wieder ein Zuhause zu haben. Ich weiß, nichts auf dieser Welt ist umsonst – aber manchmal wünschte ich es so sehr! Ungeachtet ihrer traurigen Gedanken rollten die Panzer weiter vorwärts. Die Ninjas waren sich ihrer perfekten Festung so sicher, dass sie nicht einmal Wachen in den Bäumen postiert hatten, und so führte Cutter ihre Armee bis kurz vor das Zentrum des Waldes. Jetzt trennten nur noch wenige schützende Baumreihen und der über der Festung flimmernde Schutzschild die Kampfmaschinen davon, vernichtend zuzuschlagen. Und sie warteten, förmlich zitternd vor Anspannung. In der Festung selbst hatte man nichts von dem drohenden Angriff bemerkt. Bis auf die gelangweilt aussehenden Wachen feierte man die übliche Party. „Feiert nur“, hörte Cutter irgendjemanden neben ihrem Panzer flüstern. „Es ist das letzte Mal!“ Ja, dachte die junge Frau traurig. Das ist es garantiert. Dann umfasste sie die Luna Lance ein wenig fester, suchte in all dem Wirrwarr der Lines nach den die schützenden Generatoren verdeutlichenden Exemplaren – und wurde schon nach wenigen Sekunden fündig. Es mochte Jahre gekostet haben, etwas so komplexes wie diese Maschinen zu entwickeln, Menschen auszubilden, die sie bedienten und warteten ... „Tut mir Leid“, wisperte Cutter nur für sich selbst hörbar, holte tief Luft ... Die Generatoren lahm zu legen bedurfte nur eines einzigen Gedankens. Der Schutzschild erlosch. Vorwarnungslos. Etwa eine Sekunde lang blieb es ganz still. Dann verließen die Motoren der `Zerberus´ gleichzeitig den Flüstermodus. Der urplötzliche Lärm glich dem Kampfschrei infernalischer Bestien. Gleichzeitig fegte Cutter die restlichen Bäume beiseite. SOLDIER und Army stürmten vorwärts, gleichzeitig preschten die `Zerberus´ in perfekter Synchronisation aus dem Wald und eröffneten augenblicklich das Feuer. Diesmal prallte der Angriff ShinRa´s nicht an einer schützenden Wand aus Energie ab. Jedes einzelne Geschoss traf und hinterließ Löcher in den Wänden, die wie Hohngelächter wirkten. Die Party war zu Ende. Und Cutter fand sich schlagartig in der Hölle wieder. Nach 4 Jahren in völliger Stille war der jetzt herrschende Krach fast mehr, als ihre Nerven vertragen konnten, und es gelang ihr nur mit äußerster Kraft, die um ihren Hals liegenden Ohrenschützer anzulegen. Der Lärm allerdings reduzierte sich augenblicklich auf ein absolutes Minimum und gestattete es der neusten ShinRa Geheimwaffe, sich voll und ganz aufs Sehen zu konzentrieren. Während sich die Panzer auf die Mauern der Festung und, wer in der entsprechenden Position war, auf das große Eingangstor konzentrierten, befand sich der Hauptteil von SOLDIER und Army bereits auf direktem Weg genau dorthin. Die zurückgebliebenen Armymitglieder nahmen mit Raketenwerfern die Wachtürme in Beschuss. Zwei von ihnen wurden durch gewaltige Energieentladungen zerfetzt – Masamunes Werk, kein Zweifel, und dieselbe Attacke fegte auch das Eingangstor endgültig beiseite. Cutter sah eine sich hauptsächlich durch die charakteristischen Farben Schwarz und Silber auszeichnende Person mit der Gelassenheit der aufsteigenden Dämmerung über die Trümmer steigen und drei heranstürmende Gegner gleichzeitig in den Lebensstrom schicken. General Sephiroth Crescent war unterwegs, und nichts auf der Welt würde ihn aufhalten können. Cutter nahm ihr Headphone aus der Tasche, schob es unter die Ohrschützer und aktivierte es. Jetzt gab es noch einen Auftrag, den sie erfüllen musste. Sephiroth bestätigte knapp, die Stimme in seinem Ohr zu empfangen, dann folgte er den so übermittelten Richtungsangaben. Dabei gab er sich keine Mühe, vorsichtig zu sein. Wer sich in seinen Weg stellte, machte tödliche Bekanntschaft mit Masamune, und erst jetzt, so kurz vor dem Ziel, registrierte der SOLDIER wie nervenzehrend die Situation in Wutai wirklich gewesen war. Nichts gegen den Kampf! Die Ninjas waren interessante Gegner gewesen. Aber diese Schlacht zog sich schon zu lange hin und flehte förmlich um ein Ende. Sephiroth würde es herbeiführen – aber nicht, indem er sich zum Anführer der Ninjas, Lord Godo, vorkämpfte. Der Plan sah, diesen Punkt betreffend, eine andere Strategie vor. Cutters leise Stimme in seinem Ohr lotste ihn direkt in eine Sackgasse. Hier sah jeder Stein gleich aus, aber als Sephiroth einen von ihnen gezielt berührte, glitt eine der Wände nahezu lautlos beiseite und gab den Weg in den dahinter verborgenen Geheimgang frei. Hier herrschte, nachdem der General eingetreten war und sich die Tür hinter ihm erneut geschlossen hatte, tiefe Finsternis. Ein weiterer geschickter Trick. Selbst wenn es jemandem durch Zufall gelang, den Gang zu betreten, ohne Licht konnte man sich nur langsam vorwärtsbewegen. Die Ninjas hingegen kannten sich auch hier aus und brauchten kein Licht. Sephiroth, der im Dunkeln sehen konnte, benötigte ebenfalls keines. Er folgte dem Gang bis zu einer für seinen Plan vorteilhaften Stelle, verharrte hier fast entspannt an die Wand gelehnt und lauschte, wartend wie eine tödliches Raubtier in perfekter Deckung. Viel Zeit verstrich nicht, bis sich Schritte näherten. Es waren insgesamt vier Personen, die eine Fünfte in ihre Mitte genommen hatten und ohne Zweifel dem noch in einiger Entfernung liegenden Ausgang entgegensteuerten. General Crescent gestattete ihnen, sich ihm bis auf wenige Meter zu nähern. Erst dann ließ er seine Stimme erklingen, leise aber deutlich, auf eine Art und Weise, die an über eine Schwertklinge laufendes Blut erinnerte. „Guten Abend, Lord Godo.“ Die Ninjas von Wutai waren geschickte, schlaue und erbitterte Kämpfer. Von den Besten hieß es, sie könnten, wenn es nötig war, mit ihren Waffen in völliger Dunkelheit eine Mücke im Flug töten. Diese hier waren mit Sicherheit einige der Besten. Die Zielsicherheit, mit der sie die aus völliger Dunkelheit erklingende Stimme angriffen, bewies dies. Wütende Funken sprühten auf, als Ninjawaffen mit Masamune kollidierten und in die Wände geschickt wurden, zu tief, um sie wieder herauszuziehen. Es war die letzte Waffe, deren Funkenprotest beim Kontakt mit dem Katana einen kurzen Lichtschimmer auf das Gesicht des unbekannten Gastes warf und keinen Zweifel mehr über dessen Identität zuließ. Sephiroth sah, wie sich die Körper der Ninjas anspannten und machte sich bereit zum letzten Kampf vor dem endgültigen Sieg ... Aber der Klang einer bisher schweigenden Stimme beschwor eine völlig neue Situation herauf. „Nein. Es reicht.“ Lord Godo hatte selbst gesprochen. Seine Stimme klang ruhig und gefasst. „General Crescent, ich weiß nicht, wie Sie diesen Geheimgang finden konnten. Aber ich ergebe mich, wenn Sie meine Männer gehen lassen.“ „Ihre Männer interessieren mich nicht, Lord Godo.“ Dieser nickte den ihn umgebenden Ninjas zu. Eine knappe, einsame Bewegung – aber unter Ninjas konnten genau diese Anweisungen mehr aussagen, als man in einem gesamten Buch hätte unterbringen können. Die Männer wichen zurück und verschwanden in dem hinter ihnen liegenden Gang. „Ich wusste, dass Sie es sein würden, General.“ Gleichzeitig setzte er sich langsam in Bewegung, schlenderte fast den Gang entlang. Sephiroth folgte ihm. „Aber nicht, dass es so ... infernalisch werden würde. Machen Sie mir die Freude zu verraten, wie Sie es mit den Panzern durch den Wald geschafft haben oder wie es Ihnen gelungen ist, die Generatoren zu zerstören?“ „ShinRa Technologie“, lautete die alles und gleichzeitig nichtssagende Antwort. Lord Godo schmunzelte. „Verstehe.“ „Gestatten Sie mir eine Frage. Glauben Sie wirklich, dass Sie und Ihr Bruder ShinRa schlagen werden?“ Lord Godos Stimme erklang erst nach einer ganzen Weile wieder. „Gestatten Sie mir eine Gegenfrage. Glauben Sie an die Zukunft, General Crescent?“ Sephiroth wusste, es war eine von Lord Godos Spezialitäten, seine Gesprächspartner in tiefsinnige, größtenteils sehr persönliche Diskussionen zu verstricken, plante nicht, darauf hereinzufallen, und so bestand seine Antwort aus nachhaltigem Schweigen. „Verzeihen Sie die unterschwellige Kritik, General – aber ich glaube an mehr. Zum Beispiel daran, dass die Zukunft zu zerbrechlich ist, um sie kampflos in die Hände eines machtbesessenen Unternehmens wie ShinRa zu geben. Jeder sollte seine eigene Zukunft bestimmen dürfen. Und glücklich werden. Denken Sie nicht?“ „Ich denke vor allem, dass dieser Krieg sinnlos war und ihr Plan nicht aufgehen wird.“ „Das wird sich noch zeigen, General.“ Das Lächeln in Lord Godos Stimme war unverkennbar. „Keine Diktatur dauert ewig. Auch nicht die ShinRa´s! Das werden Sie schon bald erfahren.“ Sephiroth antwortete nicht. Es war nur zu offensichtlich, dass Lord Godo an die eben ausgesprochenen Worte glaubte und sich ganz sicher war, wohin sie führen würden. Der General allerdings wagte dies stark zu bezweifeln – zog es jedoch vor, seinen Gefangenen schweigend den Tunnel entlang zu treiben, und schon bald ließ der ihnen entgegenkommende, typische Geruch des Waldes keinen Zweifel darüber, wo der Gang endete. Auch war bereits ein Licht zu erkennen – künstlichen Ursprungs, aber definitiv Licht, und als General Crescent mit seinem Gefangenen den Tunnel verließ, fand er sich in dem erwarteten Szenario wieder. Scheinwerfer, bewaffnete ShinRa Mitglieder, ein Jeep zum Abtransport des Gefangenen, Zack – und Cutter. Der Ausdruck in ihren Augen war anders als der in den Augen aller anderen Anwesenden, und für einen Augenblick wusste Sephiroth nicht, was er tun und wie er damit umgehen sollte. Dann entschied er sich, ihn zu ignorieren, übergab den Gefangenen mit der strikten Anweisung, ihn unverzüglich ins HQ zu bringen, und ordnete den Rückmarsch ins Camp an. Die ShinRa Truppen verließen den Wald, wie sie ihn betreten hatten, und als der letzte Panzer aus dem Dickicht herausrollte und der letzte Baum wieder seinen ursprünglichen Platz einnahm, war es, als habe der Vormarsch niemals stattgefunden. Nur die dicke, aus dem Zentrum des Waldes aufsteigende Rauchwolke schien gegen die trügerische Unversehrtheit ankämpfen zu wollen. Aber niemand beachtete sie. Der zweite Wutaikrieg war vorbei. ShinRa hatte abermals gesiegt. Nur einen Tag später befand sich Sephiroth bereits wieder im Büro und arbeitete an einem Bericht, der den Tatsachen über die Festnahme Lord Godos entsprach, und somit wesentlich detaillierter als die an die Medien übermittelten Informationen ausfallen würde. Vor allem, weil Cutter in der für den Präsidenten bestimmten Dokumentation eine tragende Rolle spielte. In den offiziellen Nachrichten hingegen wurde sie mit keinem Wort erwähnt. Und ich, dachte der General, werde dafür sorgen, dass es vorerst so bleibt. Sie hatte, laut eigener Auskunft, im Laufe dieser 4 Jahre keinerlei Kontakt zu anderen Menschen. Ich will sie nicht mit der Welt überfordern. Oder will ich die Welt nicht mit ihr überfordern? Ich ... Die sich öffnende Bürotür riss ihn aus seinen Gedanken. Zack betrat den Raum, in jeder Hand einen Kaffeebecher (die in Wutai prophezeite Strafe bestand darin, Sephiroth 4 Wochen lang täglich jeden Morgen mit einem Becher zu versorgen), unter dem Arm eine Zeitung – und grinsend. So breit, dass ihm sein kommandierender Offizier mit nichts außer einem warnenden Blick begrüßte, der sich mit jeder Sekunde steigerte ... und absolut nichts bewirkte. Zack stellte den Kaffee ab, nahm Haltung an, salutierte . . . „Sir, ich möchte mich bedanken, für Sie arbeiten zu dürfen, Sir, ein Idol, ein Held, Bezwinger Wutais, Schrecken des Dschungels...“ Er brach ab und schüttelte sich vor Lachen, gleichzeitig hielt er Sephiroth eine Zeitung hin. „Hast du das gelesen?“ Der General nahm die Zeitung an sich und ließ sie ohne hinzusehen in den Mülleimer fallen. „Ah“, grinste Zack und nahm in dem Sessel vor dem Schreibtisch Platz, „du hast sie gelesen. Phantasie haben die Redakteure, das muss man ihnen lassen.“ „Sie wissen genau so viel, wie ich sie wissen lasse, und dichten sich den Rest dazu!“ „Ganz ehrlich? Ich glaube, sogar ein paar unserer Leute haben keine Ahnung, was im Wald passiert ist. Ich meine – diese Bäume sind zur Seite gewichen. Zur Seite gewichen!! Cuttie hat ... Es war unglaublich, das ...“ Sephiroth hielt es für angebracht, den 1st daran zu erinnern, als kommandierender Offizier dabei gewesen zu sein. „Sorry. Ich bin wohl immer noch etwas ... überrascht.“ Zack schüttelte den Kopf, wurde dann aber wieder ernst. „Cuttie ist wieder da. Sie ist ... wirklich wieder da. Und wie! Ich habe sie gestern Abend zu Aerith gebracht. Bis auf Weiteres kann sie dort bleiben.“ Dann grinste er abermals. „Und? Brauchst du Hilfe bei dem Vorhaben, eine offiziell tote Person mit Fähigkeiten, die sich in keinem Fall verbergen lassen, in ein Unternehmen zurückzubringen, das jemanden wie sie nirgends vorsieht und dessen Präsident sie am liebsten sofort erschießen würde?“ Sephiroth sandte einen zutiefst spöttischen Blick zu Zack hinüber, ehe er sich zu einer Antwort herabließ. „Es ist eines von Rufus kleinen Hobbys, Leute erschießen zu lassen oder selbst zu erschießen. Aber du könntest Cutter helfen, indem du sie einigermaßen auf den neusten Stand bringst, was interne ShinRa Vorgänge angeht.“ „Wird erledigt Boss, Sir, mein General!“ Dann aber, wesentlich ernster: „Die Chancen, dass er sie wieder einstellt, sind ziemlich gering, oder?“ „Sie liegen bei ca. 1 Prozent. Das ausschließlich auf Cutters Einzigartigkeit zurückzuführen ist. Rufus liebt es, derartige Dinge in seinem Besitz zu wissen.“ „Na bitte!“, strahlte Zack. „Wir haben ein ganzes Prozent! Das ist eine Chance!!“ „Es wäre trotzdem besser, wenn Cutter ihre Chancen höher schätzt. Damit sie keinen Unsinn macht. Und das bedeutet, ich muss diese Sache alleine mit Rufus klären.“ „Der offizielle, ganz formelle Dienstweg, inklusive sämtlicher Papiere.“ Dann rollte er röchelnd mit den Augen. „Das wird Wochen dauern, Seph!“ „Und du wirst Cutter solange in Zaum halten! Beschäftige sie mit ... irgendetwas. Und sag ihr nicht, dass es schlecht aussieht, verstanden?“ „Ja, Sir!“ Gleichzeitig aber schüttelte er schmunzelnd den Kopf. „Es ist wie früher, oder? Cuttie taucht auf und schon wird es kompliziert.“ „Sie war schon immer eine Herausforderung“, stimmte Sephiroth leise zu. In Gedanken ergänzte er: Jetzt mehr denn je. Aber ich sehe die größte Herausforderung in Rufus. Cutters Existenz ist in seinen Augen kein Vorteil. Es muss mir gelingen, diese Ansicht zu ändern. Und wie ich Rufus kenne, wird er sich nicht sofort überzeugen lassen. „Und sag ihr, sie soll Geduld haben. Das heißt“, stellte er klar, „`Ruf mich nicht jeden Tag an, um nach Neuigkeiten zu fragen!´“ „Schade“, seufzte Zack und beschloss, einen kleinen Vorstoß zu wagen. „Ich glaube, sie hat dich ziemlich vermisst.“ „Weshalb bist du noch hier, Zackary?!“ „Oh, in Wahrheit siehst du hier nur eine fehlgeleitete Projektion aus dem Paralleluniversum, mein wahres Ich ist schon längst auf dem Weg zu Cutter.“ „Dann sag deinem wahren Ich, es soll zurückkommen und die fehlgeleitete Projektion mitnehmen, bevor ich sie selbst zurück ins Paralleluniversum schicke.“ „Ok. Soll ich Cuttie schön von dir grüßen?“ „Nein.“ „Ich grüße sie trotzdem. Bis ba-hald!“ Wieder allein gestattete der General sich ein halblautes Seufzen. Die zukünftigen Ereignisse versprachen interessant zu werden, und er war sich nicht sicher, in- wiefern er sie wirklich zu seinen Gunsten beeinflussen konnte. Vorerst bestand seine Strategie darin, den Sieg in Wutai hauptsächlich auf Cutters Hilfe zurückzuführen. Vermutlich würde diese Taktik keinen Erfolg herbeiführen, aber wertvolle Zeit verschaffen. Zeit, in der er sich Gedanken über weitere Aktionen machen konnte. Aber würde Cutter sich wirklich ruhig verhalten, bis eine endgültige Antwort vorlag? Früher, dachte Sephiroth, hätte sie in derselben Situation keine Sekunde gezögert, selbst etwas zu unternehmen. Irgendeine völlig undurchdachte, strategielose Aktion – aber voller Entschlossenheit. Vielleicht sogar mit Erfolg. Und heute? Ihre Fähigkeiten bezüglich der Lines haben sich auf eine nicht vorhersehbare Art und Weise verändert. Aber trifft das auch auf Cutters Charakter zu? Ich kann es nicht beurteilen. Ich weiß nur, dass ich jederzeit mit allem rechnen muss. Und, dass ich einen Bericht fertig zu stellen habe. Vielleicht haben wir ja ... Glück. Er wandte sich wieder seinem Bericht zu. Die Ruhe dauerte exakt 2 Stunden, 11 Minuten und 45 Sekunden. Dann öffnete sich die Bürotür. Zu langsam, um etwas Gutes verheißen zu können. Und der eintretende, sich aufmerksam umsehende Zack glich einem Jagdhund, der sich nicht ganz sicher war, auf der richtigen Fährte zu sein. Aber er vergewisserte sich. Sah hinter die Tür, zur Decke hinauf, in jede Ecke. Als er vor dem Schreibtisch auf alle Viere ging, um darunter zu sehen, hielt es Sephiroth für mehr als angebracht, den 1st mit dem glücklicherweise noch in der Schutzhülle befindlichen Masamune wieder auf die Füße zu jagen. „Au!“, murmelte Zack, rieb sich die getroffene Stelle und sandte seinem kommandierenden Offizier einen entrüsteten Blick zu – der allerdings an dessen eisigem Augenausdruck hoffnungslos abrutschte. Der 1st seufzte leise. „Oh, Mist.“ „Wie darf ich das übersetzen, SOLDIER?!“ „Sie ist wirklich nicht hier, oder?“ Zwei Sekunden lang herrschte absolute Stille. „Du hast Cutter aus den Augen verloren“, konstatierte der General. „Typisch! Darf ich fragen, was du ihr gesagt hast?“ „Dass es nicht gut aussieht, aber du es garantiert hinbiegen wirst, immerhin ist sie einzigartig und Rufus ist verrückt nach Einzigartigkeiten und ... “ „Zack! Genau das solltest du nicht sagen!“ „Wirklich? Oh ...“ Die Moralpredigt lag binnen einer Sekunde vom ersten bis zum letzten Wort auf Sephiroths Zunge – wurde jedoch vom Klingeln des Telefons abgeschmettert. Der General bedeutete dem 1st, sich nicht um einen winzigen Millimeter in Richtung Tür zu bewegen, und nahm das Gespräch an. „General“, Rufus Stimme klang herablassend wie gewohnt, „ich schicke Ihnen jemanden zur Verstärkung Ihrer Truppe. Enttäuschen Sie mich nicht bei der Umsetzung des soeben an Sie gemailten Arbeitsvertrages.“ Er legte auf, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Sephiroth legte das Telefon ebenfalls beiseite, verschränkte die Arme vor dem muskulösen Oberkörper, lehnte sich zurück und fixierte die Tür. Er wusste ganz genau, wer gleich dieses Büro betreten würde – und sollte sich nicht irren. Cutters grinsen hatte jeden einzelnen Muskel ihres Gesichtes, inklusive Augenausdruck, fest im Griff. Die junge Frau trat vor den tiefschwarzen Schreibtisch und verkündete glücklich: „Ich glaube, Sie haben Post, Sir.“ Sogar ihre Stimme grinste. Sephiroths Reaktion bestand aus Schweigen und einem durchdringende Blick. „Einmal lebend, einmal schriftlich, wie?“, erkundigte er sich schließlich und wandte sich dem PC zu. „Ja, Sir! Quasi eine Expresslieferung!“ Es war ein Siegesgrinsen. Das glücklichste jemals von Sephiroth gesehene. Und er musste einiges an Selbstbeherrschung aufbringen, um sich nicht davon anstecken zu lassen. Außerdem gab es da noch etwas ... Im Grunde hasste es der General, vorhersehbare Fragen zu stellen. Er schätzte die Überraschung, das Unerwartete, und das damit verbundene Entsetzen. Diesmal allerdings ... „In Ordnung. Ich frage. Was hast du getan?“ „Oh“, antwortete die schlagartig noch breiter grinsende Cutter, „das war ganz einfach.“ Die nächsten Minuten gehörten der haarsträubendsten Geschichte, die dem General und Zack im Laufe der vergangenen 4 Jahre zu Ohren gekommen war. Rufus Shinra´s Arbeitszeiten zeichneten sich durch außerordentliche Flexibilität aus. Was in seinem Fall hieß, dass er sehr lange arbeitete und kaum Pausen machte. Manchmal sehr zum Leidwesen seiner Leibwächter, deren Aufgabe, solange der Präsident im Büro weilte, lediglich darin bestand, Türen und Fenster im Auge zu behalten. Speziell Reno (obwohl er niemals nachlässig wurde) verabscheute langweilige Tätigkeiten wie diese zutiefst. Sein Partner Rude hingegen meisterte das Kunststück, ausnahmslos jeder Tätigkeit dasselbe hohe Maß an Interesse und Aufmerksamkeit entgegenzubringen. So gesehen war Präsident Shinra in guten Händen. Aber keiner von ihnen ahnte, was sich gerade mit höchster Zielstrebigkeit über die Flure des HQs auf sie zu bewegte. Es geschah kurz nach der Unterzeichnung eines Todesurteils. Die Tür des Büros öffnete sich und ... Für Reno und Rude fühlte es sich an wie ein unvermitteltes, aber ausgesprochen starkes Schwindelgefühl, das ihre Sinne für einen Augenblick trübte und dann spurlos wieder verschwand. „Was zum ...“, wisperte Reno überrumpelter, als er es sich jemals eingestanden hätte, schüttelte den Kopf und warf seinem Partner Rude einen fragenden Blick zu, der nicht erwidert wurde. Weil Rude sich nicht mehr an der vermuteten Stelle befand. Stattdessen stand er unmittelbar vor dem Schreibtisch und drückte die Mündung seiner Waffe an den Kopf der urplötzlich in dem gerade noch leeren Sessel sitzenden Person. Reno brauchte genau eine Sekunde, um die eigene Waffe zu ziehen und an die freie Schläfe des unerwarteten Gastes zu drücken. Dieser allerdings blieb erstaunlich ruhig. Mehr noch. Sie, denn es war eine junge Frau, schien die beidseitige Bedrohung überhaupt nicht wahr zu nehmen. Ihre ganze Konzentration galt dem Mann ihr gegenüber. „Hi, Mr. President. Ich wollte mir meinen neuen Arbeitsvertrag abholen.“ Längst hatte sie mit Hilfe der auf ihren Knien ruhenden Luna Lance Kontakt zu der Munition in den an ihre Schläfen gedrückten Waffen hergestellt. Denn der Überraschungsmoment war vorbei, und Cutter wusste: Die beiden Turks waren sauer und warteten nur auf den Befehl, ihrem Unmut freie Bahn zu lassen. Sollte es wirklich soweit kommen ... würden sie eine zweite Überraschung erleben. Ganz unabhängig davon, ob sie grüne Gummidrops (denn zu nichts anderem würden die abgefeuerten Kugeln augenblicklich werden) mochten, oder nicht. Im tiefsten Grunde ihres Herzens allerdings hoffte Cutter, dass sich ihre eigene Ruhe übertragen würde, nicht zuletzt auch auf Rufus Shinra, und gleichzeitig wunderte sie sich über ihre Gelassenheit. Tsss ... Vor 30 Minuten war ich noch in Aerith´ Kirche, hab nach dem Gespräch mit Zack spontan beschlossen, Nachhause zu gehen, und jetzt sitze ich uneingeladen im Büro meines Chefs. Äh, zukünftigen Chefs. Und ich habe absolut keine Ahnung, was ich als nächstes sagen oder tun soll. Ich weiß nur, was garantiert nicht passieren wird, dass noch niemand versucht hat, mich zu erschießen – und, dass ich nicht ohne Arbeitsvertrag hier rausgehen werde! Rufus Shinra betrachtete den ungeladenen Besuch regungslos. Er hatte bereits Gerüchte, die Tzimmek Cutters Rückkehr galten, gehört, auch, was angeblich Dank ihrer Hilfe in Wutai möglich gewesen war – hatte auch mit einem Antrag auf Neueinstellung seitens Crescents gerechnet ... aber nicht damit, diese Tzimmek so bald vor sich zu haben. Noch dazu so frech! Und dennoch ... „Ihr dürft eure ursprünglichen Plätze wieder einnehmen“, wies er die beiden immer noch schussbereiten Turks an. Diese kamen dem Befehl zwar augenblicklich nach, aber jede ihrer Bewegungen verriet höchste Wachsamkeit, und ihre Augen lösten sich keinen Augenblick von dem unerwünschten Eindringling. „So sieht man sich wieder.“ Rufus Stimme klang völlig ruhig. „Tzimmek Cutter. Ich erinnere mich an dich.“ „Gut. Das spart Zeit.“ „Meine Erinnerungen beinhalten keinerlei Vorteil für dich.“ „Ganz ehrlich? Dito. Sie hätten mich damals fast erschossen. So was behält man sich. Aber wissen Sie was, Sir? Heute müsste keine fehlgeleitete Rakete auftauchen, um mich zu retten. Sie könnten ihre gesamte Munition auf mich abfeuern, wenn Sie fertig wären, hätte ich keinen einzigen Kratzer. Und das ist nur einer meiner vielen Vorteile. Wie viele es wirklich sind, könnten Sie rauskriegen, indem Sie mich wieder einstellen. Sir.“ Gleichzeitig fragte sie sich, ob sie nicht gerade zu hoch pokerte. Sicher, Rufus Shinra besaß eine Line, die beeinflusst werden konnte, was ihn somit zur unterlegenen Kraft innerhalb dieses Raumes werden ließ – aber so forsch voranzuschreiten? Wenn das mal gut ging ... Währenddessen begann sich tief in Rufus erster echter Ärger zu regen. Gut, die Person vor dem Schreibtisch war offensichtlich wild entschlossen, zurückzukommen – aber Widerspruch gehörte dennoch nicht unbedingt zu den Reaktionen, an die er gewöhnt war. Erst recht nicht, wenn sich ihm dieser in einer so aggressiven Form wie hier präsentierte. „Das“, fuhr Cutter ungerührt fort, „würde ich Ihnen jedenfalls raten.“ Sie konnte das `wie´ und `warum´ nur ahnen, aber mit der neuen Fähigkeit, die Lines zu beeinflussen, war es ihr außerdem möglich, die 2nd Lines zu betreten ohne wie früher von der Außenwelt abgeschnitten zu sein. Momentan hatte sie Rufus Line – und den darin summenden Ärger – genau vor sich. „Es ist nämlich so: Eigentlich wollen Sie mich hier haben. Sie wissen es nur noch nicht.“ „Ist das so?“ „Absolut!“ Rufus blätterte eine Weile in einer Akte, die nichts mit Cutter zu tun hatte, bevor er seinen Gast betont gelangweilt und ohne aufzusehen wissen ließ: „Keine abgeschlossene Ausbildung. Fehlende Kenntnisse bezüglich des aktuell hier gültigen Systems. Untrainiert und respektlos. Des weiteren wird man dir die Stillegung des Blue Wanderer Projektes mitgeteilt haben. Weshalb also sollte ich mein Imperium mit einer bremsenden Überbleibsel wie dir belasten?“ „Weil ich Dinge tun kann, die niemandem sonst fertig brächte.“ Sie grinste und brachte die Luna Lance in eine neue Position. „Demonstration gefällig?“ „Tja“, beendete Cutter ihren `Bericht´, „und nach der Demonstration hat er hier angerufen. Und schon bin ich wieder da. Was mich sehr, sehr freut!“ Daran zweifelte Sephiroth keine Sekunde. Trotzdem hielt er es für mehr als angebracht, den sich vor ihm abspielenden Höhenflug ein wenig zu dämpfen, indem er auf den mittlerweile ausgedruckten und sehr genau durchgelesenen Vertrag tippte. Es gab etliche Punkte, die einer Warnung bedurften. „Die Menge deines Arbeitspensums hat sich nicht verändert. Man wird sogar noch mehr von dir verlangen.“ „Ich habe 4 Jahre nicht gearbeitet. Und freue mich darauf, endlich wieder etwas zu tun!“ „Gilt dasselbe für die Tatsache, dich erneut unterzuordnen? Deine neuen Fähigkeiten zu zügeln? Befehlen zu gehorchen, die dir zutiefst widersprechen?“ Diesmal dauerte es ein wenig länger, bis Cutter antwortete. „Ich werde es versuchen.“ „Lasse ich nicht gelten! Ja oder Nein?“ Cutter schwieg. Alles, was sie sich im Laufe der vergangenen 4 Jahre immer wieder gewünscht hatte, war, nachhause zu gehen. Dass damit auch gewisse Bedingungen verbunden waren ... Es ließ sich nicht länger verdrängen. Nicht einmal für den kleinen Teil ihres Bewusstseins, der die gestrigen Vorgänge immer wieder als `Ausnahme´ deklarieren wollte. Und doch zögerte sie, wissend, dass die jetzt getroffene Entscheidung wesentlich zu ihrem Schicksal beitragen würde. „Ich weiß nicht, was Zack dir erzählt hat.“ Sephiroths Stimme klang sanft und hart gleichzeitig. „Aber der ShinRa Alltag ist wesentlich härter als noch vor ein paar Jahren. Wenn du klug bist, suchst du dir irgendwo einen anderen Job.“ Wenn ich klug bin, dachte Cutter. War ich das jemals? Ich weiß nur: Was mich durch die Finsternis geführt hat, war nicht Klugheit. Nur mein Wunsch, dich und Zack wieder zu sehen. Besonders dich. In eurer Nähe zu sein. Ihr seid nun einmal mein Zuhause. Ich werde euch nicht wieder verlieren, niemals! Und deshalb lautet meine Antwort ... „Ich schaffe das!“ Sephiroth wartete noch einige Herzschläge lang. Erst dann entließ er sie aus seinem durchdringenden Blick und sah wieder auf den Arbeitsvertrag. „Dein Gehalt hat sich nicht verbessert.“ „Vermutlich hätte ich gar keine Zeit, es auszugeben, vor lauter Missionen. Also ... damit komme ich klar! „Ich nehme an, das gilt auch für deine neue, von Präsident Shinra bestimmte, Bezeichnung. Death Walker Cutter Tzimmek.“ „Ach, das ist – was?!“ Die in dem kleinen Wörtchen liegenden Emotionen `Empörung´ und `Verblüffung´ schienen es förmlich sprengen zu wollen. „`Death Walker´?! Was ist das denn für ein blöder Name?! Ich will wieder ein Ghost Walker sein, wie früher!“ „Vielleicht“, antwortete Sephiroth völlig ruhig, „hättest du deine Vorstellung – worin auch immer sie bestanden haben mag - etwas weniger enthusiastisch aufführen sollen.“ „Vielleicht. Aber meine Version hat geklappt. Also ... kann ich jetzt den Vertrag unterschreiben?“ „Sag später nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“ Gleichzeitig schob er den Vertrag und einen Stift zu Cutter hinüber. Diese griff danach, begann zu lesen und murrte irgendwann: „Death Walker! Ich habe niemanden getötet! Dieser Name besitzt keine Rechtfertigung!“ Oh doch, dachte Sephiroth. Er verrät überdeutlich, was Rufus in dir sieht. Und du hast es, ganz offensichtlich, nicht verstanden. Aber einmal mehr bist du nicht aufzuhalten. Also wirst du es selbst herausfinden müssen. Vor ihm unterzeichnete Cutter mit energischen Bewegungen den Vertrag (für sie fühlte es sich trotz allem ein wenig an, wie ein Pakt mit finsteren Mächten), und reichte ihn immer noch halblaut protestierend zu Sephiroth hinüber. Dieser nahm ihn an sich und öffnete eine der Schreibtischschubladen, entnahm ihr einige Dokumente und reichte sie der jungen Frau. „Hier sind die entsprechenden Berechtigungen für ein PHS ...“ „Ein – was?“ „ ... Kleidung, Schuhe, Bettwäsche, etc. – inklusive eines Staubtuches, denn du erhältst dein altes Quartier zurück, und es steht seit 4 Jahren leer. Der Türcode ist unverändert. Ich übersende dir eine List der Schulungen, an denen du teilnehmen wirst. Unser Gespräch ist hiermit beendet. Wegtreten!“ Cutter erkannte, dass sie die erste Runde der Namensdiskussion verloren hatte und es jetzt besser nicht auf eine zweite ankommen lassen sollte. Sie verstummte, nahm Haltung an, salutierte ... und wurde fast von Zacks stürmischer Umarmung von den Füßen gerissen. „Willkommen Zuhause, Cuttiiiiiieee!!“ „Ich hab´s geschafft, ich hab´s geschafft!! YES!! Wie cool!!“ Ein halblautes Räuspern erinnerte an die Existenz einer dritten, nicht vor Freude vor dem Schreibtisch auf- und abhopsenden Person. Cutter wandte den Kopf – und erstarrte. Auf Sephiroths Gesicht lag – zum ersten Mal seit sie sich nach 4 Jahren wieder begegnet waren – zumindest eine Andeutung jenes Lächelns, das sie früher völlig durcheinander gebracht hatte. Und noch während sie der dunklen Stimme lauschte, spürte sie, wie es wieder einsetzte, dieses sanfte Schwindelgefühl, das aus oben unten machte und alles nebensächlich werden ließ, außer Sephiroths Gegenwart. „Du bist gewachsen, oder?“ Cutter grinste vergnügt. „Zehn Zentimeter!“ „Hab ich gleich gesehen.“ Stille setzte ein. Als Cutters Stimme wieder erklang, wusste Sephiroth, was sie fragen wollte, noch bevor sie den Satz beendet hatte. „General Crescent, Sir? Darf ich jetzt wieder `Sephiroth´ zu dir sagen?“ So klar sein Herz `Ja´ flüsterte – sein Verstand und rationales Denken unterdrückte seine Gefühle einmal mehr. „Vorerst sehe ich dazu keine Veranlassung.“ Enttäuschung und Trauer stiegen in Cutters Augen auf – aber sie nickte, auch, wenn es ihr sichtbar schwer fiel. Es war Zack, der die Situation stimmungstechnisch einmal mehr komplett drehte. „Ooookeeeyyy, komm Cuttie, ich veranstalte eine Extrabesichtigungstour, hier hat es nämlich einige Umbauten gegeben, plus wir haben neue Kaffeeautomaten (und einer davon lässt sich mit alten Knöpfen austricksen), plus eine neue Caféteria, plus ... plus ... Ach, komm einfach mit! Bye, Seph!“ Gut gelaunt schob er die schon wieder halbwegs grinsende Cutter vor sich her und durch die Tür, schloss diese wieder hinter sich. Wieder allein lehnte sich Sephiroth zurück und starrte einen Augenblick lang gedankenverloren an die Decke. Cutter war also wieder da. Und die beiden glühenden Punkte auf ihrem Rücken definitiv keine Glühwürmchen. Sondern? Vorerst nur eine der vielen Fragen, die es zu klären galt. Genau wie die, ob der sonst so aufmerksame Zack sie übersehen, nur aus Höflichkeit nichts gesagt hatte, oder das Geheimnis bereits kannte. Aber dessen völlig ungeachtet ... Er wandte sich dem Computer zu, änderte Cutters Status von K.I.A. in `Anwesend´ und lehnte sich abermals zurück. Als seine Stimme wieder erklang, war sie kaum mehr als ein flüstern. „Willkommen zurück ...“ In den beiden Worten lag mehr Gefühl als geplant. Und Sephiroth rief sich sofort zur Ordnung. Es würde nicht mehr wie früher werden. Cutter hatte sich verändert. Jetzt wurde sie wirklich mit jeder Gefahr alleine fertig. Und brauchte ihn nicht mehr. Jedenfalls nicht so, wie er es sich gewünscht hätte. Oder? Sie hatte sich ihm gegenüber so ... wie immer verhalten. Als seien diese 4 Jahre völlig ohne Bedeutung. Und zum ersten Mal seit sehr, sehr langer Zeit wusste der General nicht, wie er die Situation korrekt einschätzen sollte. Oder was zu tun war, um die herrschende Dämmerung in eine klarere Richtung zu beeinflussen. Mir scheint, dachte er, ich kann schon wieder nur warten. Beobachten. Und aufgrund der diesbezüglichen Erkenntnisse meine Strategie ... Was, Strategie! Hier geht es um Cutter. Genauso gut könnte ich einen Wagenladung glühend heißer Gegenstände auf einer mir von der Dicke unbekannten Eisschicht eines Sees abladen. Also ... bleiben wohl nur warten und beobachten. Wie er seinen ehemaligen Ghost Walker kannte, würde das völlig ausreichen. Zacks Besichtigungstour dauerte eine ganze Weile, und an deren Ende war Cutter, was die Umbauten anging, auf dem neusten Stand. Momentan bewegte sie sich leise vor sich hinsummend durch die Flure auf ihr Quartier zu, in der freien Hand einen Kaffeebecher, in der anderen die ausgehändigten Utensilien, inklusive Putzeimer und –tuch, relativ respektlos (aber dafür sehr bequem) an der über die Schulter gelegten Luna Lance tragend. Vor dem Quartier angekommen hielt Cutter nachdenklich inne. 4 Jahre... Es ist 4 Jahre her, seitdem ich zum letzten Mal diesen Code eingegeben und diese Tür geöffnet habe... Und doch scheint es mir, als sei es erst gestern gewesen. Als hätten diese 4 Jahre nie stattgefunden... Fast bedächtig betrat sie das Quartier, sah sich um und spürte hinsichtlich des vertrauten Anblickes tiefe Nostalgie in sich aufsteigen. Wäre all der Staub nicht gewesen – ihr letzter Besuch hier hätte nur wenige Stunden zurückliegen können. So aber waren die wenigen Möbel ebenso wie der Fußboden eingestaubt, fast als schliefe der Raum. Cutter schloss die Augen, atmete tief ein ... und für einen Augenblick drehte sich die Zeit zurück, ließ die junge Frau wieder zu einem 16 jährigen Teenager werden, der von einem schweren Einsatz zurückkam und sich nur noch aufs Bett fallen lassen wollte, um zu schlafen ... aber in der Luft lag auch der unverkennbar leere Geruch aus all der Zeit, in der dieses Quartier unbewohnt gewesen war. 4 lange, lange Jahre. Die jetzt vorbei waren! Cutter öffnete die Augen wieder. Es war höchste Zeit, zu lüften. Aufzuräumen. Neu anzufangen. Sie öffnete das Fenster. Frische, kalte Luft strömte ins Innere des Raumes, neu und unverbraucht wie all die vor ihr liegende Zeit, die jetzt wieder ihr gehörte. Meine Zeit, dachte Cutter. Jetzt ist meine Zeit! Ich bin wieder da! Aber ... seltsam ist es schon. Ich wollte ein Blue Wanderer werden und wurde zum Ghost Walker. Und jetzt bin ich – vorläufig – ein Death Walker. Ob meine Entwicklung damit abgeschlossen ist? Jedenfalls wäre ich sehr damit einverstanden, die Dinge ab jetzt ein wenig mehr beeinflussen zu können als früher. Um die Zukunft etwas weniger ... ungewiss zu gestalten. „Es wäre“, murmelte sie, „jedenfalls schön, wenn du diesmal ein wenig sanfter mit mir umgehen würdest, Zukunft. Bitte?“ Aber irgendwie schlich sich bei diesen Worten ein seltsames Gefühl aus Cutters Seele. Fast wie die Vergewisserung, dass sich jeder jetzt geäußerte Wunsch eines Tages ins Gegenteil wenden würde. Und so schwieg das neuste ShinRa Mitglied aus Angst, etwas Falsches zu sagen, und beschloss einfach abzuwarten, was die folgenden Tage bringen würden. Kapitel 40: I can be your girlfriend! ------------------------------------- So relativ einfach sich Cutters eigentliche Rückkehr letztendlich doch gestaltet hatte, weitere Herausforderungen ließen nicht lange auf sich warten. Manche ließen sich leicht und schnell bewältigen (z.B. die Wahl einer neuen, wesentlich kürzeren Frisur), andere nicht. Cutter versuchte etappenweise vorzugehen um sich den neuen Anforderungen, die ShinRa an sie stellte, gewachsen zu zeigen, aber es fiel ihr schwer, denn im tiefsten Grunde ihres Herzens beschäftigte sie nichts so sehr wie die seltsame Beziehung zu Sephiroth. Es war nicht mehr wie früher. Früher hätte sie in sein Büro stürmen und ihn selbst über Fortschritte informieren können, atemlos und mit vor Begeisterung funkelnden Augen. Vielleicht hätte er ihr einen missbilligenden Blick zugeworfen, vielleicht fast unmerklich gelächelt, vielleicht deutlich gelächelt. Heute, das spürte Cutter instinktiv, erwartete er von ihr ein anderes Verhalten. Und nicht nur er. Alle schienen das zu tun. Es musste unter anderem mit dem von Rufus bestimmten Namen `Death Walker´ zu tun haben. Die Ausbilder schienen automatisch eine ausgereifte, brutale Persönlichkeit zu erwarten, und so riefen die Begegnungen mit der quirligen, hin und wieder völlige Begriffsstutzigkeit und fast schon kindliche Naivität an den Tag legenden Cutter hauptsächlich Irritationen hervor. Diese durch ein ihrem Namen wesentlich entsprechenderes Verhalten aus dem Weg zu räumen, war der jungen Frau allerdings unmöglich. Denn obwohl ihr offizielles Alter nun 20 betrug, Charakter und Ansichten hatten sich seit ihrem 16 Lebensjahr kaum verändert, erwiesen sich somit hinsichtlich der schwierigen Situation kaum als Hilfe, und außerdem wollte Cutter vieles – nur nicht den Tod bringen und gefürchtet werden. Von allen sie umgebenden Personen, die das tobende Chaos als solches erkannten und auf Distanz blieben, als sei es ansteckend, verringerte nur Zack den Abstand ganz bewusst. Immer wieder versuchte er, seine wieder gewonnene Freundin aufzumuntern und ihr klar zu machen, dass er an sie glaubte und sie ihren ganz eigenen Weg finden würde. „Jeder definiert `erwachsen sein´ anders. Du musst nicht immer todernst und vernünftig sein. Sieh mich an!“ „Zack“, lautete die leise Antwort, „du bist ein 1st Class SOLDIER.“ Damit war so gut wie alles gesagt. Und Zack schwieg, machtlos gegenüber der Wahrheit und einer Gegenwart, die für Cutter viel zu groß zu sein schien. Er wusste: Ein einziges verständnisvolles Wort von Sephiroth hätte Trost bringen können. Aber der General hatte die junge Frau lediglich wissen lassen, dass sie sich bei Problemen oder Fragen an ihn wenden konnte, wie jeder andere auch – mehr nicht. Er schien weder interessiert, noch desinteressiert zu sein, und Cutter wusste nicht, wie sie diesen Zustand ändern konnte, ohne neuen Ärger heraufzubeschwören. Sie wusste nur, dass sie wartete. Auf eine Reaktion. Ein Zeichen. Einen Hinweis. Irgendetwas, das ihr ein Näherkommen gestattete. Denn wie sollte sie ihn aus dieser Distanz wissen lassen, dass sie seine Worte in den Slums gehört hatte? Oder herausfinden, ob er noch genauso für sie fühlte? Oder ihm mitteilen, wie sie für ihn fühlte? Und je mehr sie sich den Kopf darüber zerbrach, je klarer wurde ihr, dass sie nichts auf der Welt so dringend brauchte wie diesbezügliche Antworten. Sie konnte es nur ahnen. Aber Sephiroth beobachtete sie aufmerksam, aus der Distanz und unauffällig, aber kontinuierlich. Einerseits musste er dies in seiner Position als kommandierender Offizier tun. Andererseits war dies die einzige Möglichkeit, wenigstens ein wenig in ihrer Nähe zu sein. Vorübergehend, wie er sich immer wieder selbst versicherte. Denn er zweifelte keine Sekunde daran, keinesfalls als das gebraucht zu werden, was er im tiefsten Grunde seines Herzens sein wollte. Und nicht sein durfte. Aus Gründen des Selbstschutzes, und um Cutter zu schützen. Alles in allem war die Situation schwieriger denn je, und der große General hatte immer noch keine Ahnung, wie er dieses Problem erfolgreich lösen sollte. Und was jenes Geständnis in den Slums anging ... Einerseits war eine Antwort auf die Frage, ob Cutter noch in der Lage gewesen war, ihn zu verstehen, völlig irrelevant. Andererseits ... Was, wenn sie ihn doch noch gehört hatte? Aber die eigentliche Schwierigkeit war nicht die Frage an sich. Sondern das sich daraus ergebende Gespräch, denn bei Gesprächen mit Cutter wusste man nie, wohin sie führten. Und diesmal würde er kaum eine Richtung bestimmen können. Ohne Führung, und erst recht ohne die Vorstellung eines klaren Zieles, war jedes Vorhaben zum Scheitern verurteilt. Man brauchte es gar nicht erst versuchen. Oder? Über genau diese Frage dachte der einmal mehr von Kopfschmerzen geplagte Sephiroth gerade nach, obwohl er eigentlich wahre Gebirge aus lästigem Papierkram hätte bearbeiten müssen. Aber er konnte sich einfach nicht konzentrieren, und vielleicht wollte er es auch gar nicht. Er überlegte gerade ob es nicht viel geschickter war, wenn überhaupt, dann nur nach Cutters allgemeinen Erinnerungen bezüglich dieses Tages zu fragen, als es an der Tür klopfte. Der General musste keinen Blick in seinen Terminkalender werfen um zu wissen, dass er niemanden erwartete. Trotzdem ... „Herein!“ ... vielleicht stand ein Bote vor der Tür. Oder einer seiner SOLDIER. Oder ... (die Tür öffnete sich) ... Phoenix!, dachte Sephiroth mit einer Mischung aus jäher Freude und Überraschung. Gleichzeitig nahm er wahr, dass seine Kopfschmerzen wie von einem jähen Windstoß getroffene Nebelschwaden verschwanden. Anmerken allerdings ließ er sich nichts. Sein unerwarteter Gast trat vor den Schreibtisch, salutierte ... „Sir, ich bringe Ihnen meinen Zwischenbericht vom Simulatortraining.“ „Schon wieder Probleme mit der Datenübertragung“, konstatierte Sephiroth und griff nach dem Dokument. Pannen wie die mit dem Datentransfer traten in letzter Zeit häufiger auf. Die IT Abteilung arbeitete daran, kam aber nur mühsam vorwärts. (Rufus Shinra zeigte sich schon wieder sehr interessiert, was die Männer und Frauen um ihren Job und ihr Leben zu gleichen Teilen fürchten und wie besessen arbeiten ließ.) Cutter bejahte. Gleichzeitig dachte sie an den potentiellen Ärger, den ihr die mehr oder weniger gewaltsame Aneignung des Ausdruckes noch bringen würde. Aber ihr Trainer war kurz davor gewesen, den Bericht von einem beliebigen Boten überbringen zu lassen – und Cutter war fast am Ende ihrer mentalen Kräfte. Die Chance, allein mit Sephiroth zu sprechen, hatte sie sich einfach nicht entgehen lassen können ... Hinter dem Schreibtisch ließ der General das gelesene Dokument sinken. Sein Phoenix machte, von einigen selbstverschusselten Pannen abgesehen, gute Fortschritte, und war schon fast wieder auf demselben Stand wie vor ein paar Jahren. In sofern war alles in Ordnung. Trotzdem war die Gesamtsituation Welten von dem Begriff `friedlich´ entfernt. Sephiroth wusste, dass auch Rufus Shinra jeden der Cutter betreffenden Berichte aufmerksam las. Außerdem, das hatte der General schon nach kurzer Zeit herausgefunden, ließ er die junge Frau beschatten. Ein Zustand, welcher der immer noch viel zu arglosen Zielperson kaum bewusst sein dürfte. Zwar zweifelte Sephiroth nicht daran, dass sie sich wirksam verteidigen konnte, aber selbst diese Gewissheit brachte ihm keine Ruhe. Immerhin ging es hier nicht um eine beliebige Person, sondern um sie ... Anmerken aber ließ er sich seine Sorgen nicht. „Man ist äußerst zufrieden mit dir. Um ehrlich zu sein, herrscht große Verblüffung hinsichtlich solcher körperlicher Leistungen ohne den Einfluss von Mako.“ Cutter versuchte gar nicht erst, ihr grinsen zu unterdrücken, und Sephiroth fragte sich unwillkürlich, wie viel Potential noch in diesem Körper stecken mochte. Gleichzeitig fasste er zusammen: „Dein Materiatraining ist ebenfalls fast vollständig abgeschlossen, dasselbe gilt für die meisten deiner Schulungen. Hast du diesbezüglich Fragen?“ „Ja, Sir. Wann darf ich endlich wieder auf Missionen gehen?“ Sephiroth sah das wilde Feuer der Ungeduld in den Augen seines Gegenübers glühen, und es fiel nicht schwer, Verständnis dafür aufzubringen. Für Cutter waren Missionen schon immer Abenteuer gewesen, und jetzt brannte sie vermutlich darauf herauszufinden, was diesbezüglich alles mit der Luna Lance möglich war. So sehr, dass Sephiroth sich unwillkürlich fragte, wie viele Schwierigkeiten und unvorhergesehene Aktionen die Zukunft für ihn als den kommandierenden Offizier des Death Walkers vorsah. Trotzdem konnte er sie unmöglich für immer im HQ behalten. Dafür war der Sturmwind einfach nicht geschaffen. Und ein Phoenix erst recht nicht. „Wie es aussieht, bald“, beantwortete er die Frage. „Sofern du dich weiterhin zusammenreißt. Möchtest du sonst noch etwas wissen?“ Cutter verneinte. Und so sah es einen Augenblick lang aus, als sei das Gespräch beendet. Aber dann wurde Sephiroth klar, dass sich hier eine Chance offenbarte. Die Chance zu einem ersten echten Gespräch zwischen ihm und ihr, seit ihrer Rückkehr zu ShinRa. Denn so sicher er war, nicht mehr so gebraucht zu werden wie früher, so sehr wünschte er sich, das genaue Gegenteil herauszufinden. Und wie sollte er das schaffen, wenn er nicht jede Gelegenheit dazu nutzte? Er gab sich einen Ruck. „Wie geht es dir, Cutter?“ Seine Stimme klang leise, fast sanft, und der Ausdruck in seinen Augen ... Cutter war sich völlig sicher, dass es derselbe von früher war. Die ganze Situation glich einer ausgestreckten Hand. „Ich bin ok“, antwortete sie leise und schob so auf rein mentaler Ebene ihre Hand vorsichtig in seine. „Es war ziemlich hart am Anfang, weil es so viel zu lernen gab. Aber irgendwie hab ich es jetzt doch fast geschafft.“ „Daran habe ich nie gezweifelt. Wenn du dir einmal etwas in den Kopf gesetzt hast, bist du nicht mehr davon abzubringen.“ „Hm“, schmunzelte Cutter. „Das hat sich nicht geändert. Aber ...“ Ich muss es versuchen! Ich sterbe, wenn ich es jetzt nicht versuche! „ ... andere Dinge schon.“ Andere Dinge schon? , dachte Sephiroth. Meinte sie etwa ... „Was denn?“, hörte er sich selbst leise fragen. Einen Moment lang blieb es ganz still. Eine Stille, in der beide nach Worten suchten – und sie gleichzeitig fanden. „Sephiroth, du hast mir ...“ „Cutter, hast du ...“ Der irritierende Klang des Telefons schnitt wie ein messerscharfes Etwas in die gleichzeitig angefangenen Sätze, brachte sie zu einem jähen Ende und ließ sowohl den großen General, als auch ShinRa´s einzigen Death Walker erschrocken zusammen zucken. Sephiroth löste den Blick nur widerwillig von Cutter und bedachte das immer noch besitzergreifend laut schrillende Telefon mit einem Augenausdruck, der wie geschaffen dafür schien, das Gerät in seine Atome zu zerlegen. Dieser Klingelton ... „Präsident Shinra.“ Cutter verstand sofort, nickte, salutierte und verließ den Raum. Klar, Präsident Shinra ging vor. Aber musste er gerade jetzt anrufen?!? Wo sie so kurz davor gewesen war, Sephiroth nach der momentan wichtigsten Sache ihrer kleinen Welt zu fragen? Endlich Klärung zu schaffen? Und diesen entsetzlichen, sich wie schockgefrostet anfühlenden Zustand zu beenden? Und was hatte Sephiroth ihr sagen wollen? Cutter neigte nicht zu Gewalt, aber der nächste Getränkeautomat auf ihrem Weg fing sich ihre ganze Wut in Form von mehreren ziemlich heftigen Tritten ein und spuckte vor Schreck gleich zwei Dosen koffein- und kohlensäurehaltiges Kaltgetränk aus. Nachdem der erste Schreck verblasst war, nahm Cutter die Dosen an sich (immerhin waren es auch ihre Tritte gewesen!) und machte sich grummelnd auf den Weg zur nächsten Schulung, von der sie jetzt schon wusste, dass sie sich kein Wort würde behalten können. In seinem Büro versuchte Sephiroth immer noch, das jetzt wieder verstummte Telefon mit seinem Blick zu pulverisieren. Fast hätte ich sie gefragt ... Rufus, weshalb musstest du ausgerechnet jetzt anrufen?! Für einen Augenblick erwog er ernsthaft, Cutter vom PHS aus zu kontaktieren, um das Gespräch weiterzuführen. Aber auch einer in diesen Dingen völlig ungeübten Person wie ihm war nach einigen Sekunden des Nachdenkens klar, dass die seltsame Atmosphäre, die es ihnen gestattet hatte, das Gespräch überhaupt zu beginnen, vorüber war. Außerdem befand sich Cutter längst in der nächsten Schulung. Sephiroth stöhnte leise und ließ den Kopf auf die am Rand der Schreibtischplatte liegenden Arme sinken. Verdammt! Und weil es sich so richtig anfühlte, dachte er genau das noch mehrere Male hintereinander. Aber auch das brachte nicht die gewünschte Weiterentwicklung. Der General überlegte. Zögerte. Und griff zu seinem PHS, startete das SMS Programm. `Möchtest du wieder `Sephiroth´ sagen, Cutter?´ Bis zur Antwort vergingen nur wenige Sekunden. `JA!!!!´ Animierte Smileys, die wohl Begeisterung ausdrücken sollten, füllten den Rest der freien Zeichen. Sephiroth schmunzelte. Niemand außer Cutter (und Zack) hätten es jemals gewagt, ihm Smileys zu schicken. Aber warum hatte sie so schnell antworten können? Schwänzte sie etwa die vorgesehene Schulung?! Oder ... `Cutter, schreibst du während des Unterrichtes SMS?´ `Ich kann doch eine Anfrage meines Generals nicht ignorieren ... *grins*´ Sephiroth grollte leise und missbilligend, aber er konnte die in ihm aufsteigende Erheiterung nicht vollständig unterdrücken. `Cutter, leg das PHS weg und konzentrier dich auf den Unterricht, damit ich dich endlich wieder auf Missionen schicken kann!´ `Ja, Sir!´ Abermals schüttelte Sephiroth den Kopf. Diese Cutter! Immer noch kopfschüttelnd (und im Grunde überhaupt nicht bei der Sache) erstellte er im PHS einen neuen Ordner für ihre SMS, nannte ihn `Mein Phoenix´ ... und hielt jäh inne, als ihm bewusst wurde, was er tat. Das ist nicht richtig! Ich darf so nicht denken! Sie gehört mir nicht! Hojo und Rufus haben mir immer zu verstehen gegeben, ich sei ihr Eigentum, mit dem sie nach Belieben verfahren können, und auch, wenn ich ihren Befehlen größtenteils Folge leiste, wirklich abgefunden habe ich mich mit dieser Denkweise nie. Aber Cutter ... Nein - Sephiroth, reiß dich zusammen! Du kannst sie insgeheim Phoenix nennen, du kannst ihr Befehle geben und eine akkurate Ausführung erwarten, aber sie ist nicht dein Eigentum! Was du willst, ist völlig nebensächlich! Es muss nebensächlich sein ... Aber er fühlte sich verwirrter als jemals zuvor. Gleichzeitig spürte er eine diesbezügliche, nie gekannte Form von Wut in sich aufsteigen. `Verwirrung´ bezeichnete den Zustand, in dem man sich bei Verständnisproblemen oder Überforderung wiederfand. Es war ausschließlich anderen vorbestimmt! Nicht ihm! Niemals! Er war schneller, schlauer, stärker ... besser als alle anderen. Für gewöhnlich. Der jetzige Zustand war meilenweit davon entfernt – und ohne jeden Zweifel zum (größten?) Teil auch Cutters Schuld. Falls man überhaupt von `Schuld´ sprechen konnte. Im Grunde, dachte Sephiroth und bemühte sich um Sachlichkeit, war sie niemals jemand anderes, als sie selbst. Es ging ihr nie darum, besondere Fähigkeiten zu erwerben, im Rampenlicht zu stehen oder mich zu beeindrucken. Warum eigentlich nicht? Jeder versucht, mich zu beeindrucken. (Deshalb lasse ich mich nicht beeindrucken.) Aber sie ist aufgetaucht und hat meine Welt, manche Punkte betreffend, völlig auf den Kopf gestellt. Und mir war es unmöglich, etwas dagegen zu tun. Das Resultat haben wir hier! Ein völlig unangestrebter, unwillkommener und überflüssiger Zustand! Dessen Ende noch dazu völlig unklar ist. Ich werde das so nicht akzeptieren! Grimmig wandte er sich wieder seiner Arbeit zu. Sechs Tage später und weit nach 2300 Uhr saßen Zack und Cutter zusammen im fast leeren Speisesaal und teilten sich eines der am heißesten umkämpften Desserts: Ein Kirschtörtchen mit Zuckerguss. Dennoch war die Stimmung eher gedrückt. Dass Cutter ihren General wieder beim Vornamen nennen durfte, war großartig. Seitdem wie Luft behandelt zu werden, weniger. Ganz offensichtlich war Sephiroth einmal mehr dabei, private Angelegenheiten ausschließlich mit sich selbst zu klären. Und obwohl er somit bewusst oder unbewusst völlig klar machte, über die aktuelle Situation nachzudenken, sein stures Verhalten trug nicht gerade dazu bei, Cutters Liebeskummer zu mindern. „Vielleicht bist du einfach zu höflich.“ Zack brachte das Kunststück fertig, zu grinsen und gleichzeitig völlig ernst zu klingen. „Lauer ihm irgendwo auf! Wirf ihn um! Ich helfe dir dabei! Und wenn er am Boden liegt, sagst du ihm die Wahrheit.“ „Dem großen General Crescent auflauern ... Sowas tun nur Lebensmüde. Oder gestörte Fans. Oder lebensmüde, gestörte Fans.“ Sie schüttelte den Kopf. „Lange halte ich das nicht mehr durch, Zack. Ich möchte bei ihm sein, lieber als alles andere auf der ganzen Welt! Aber ich will mich nicht aufdrängen oder im Weg sein. Also ... reiße ich mich zusammen. Und lasse mir nichts anmerken.“ Zack sah sie an und schwieg. Er wusste, kaum etwas auf der Welt ließ sich, wenn es ernst gemeint war, schwieriger sagen als `Ich liebe dich´. Gleichzeitig dachte er an die uralten Ängste und Hoffnungen, die der Wunsch zu lieben und geliebt zu werden, mit sich brachte. Es waren immer dieselben. Und doch empfand sie jeder Betroffene als neu. Gerade, wenn man sie zum ersten Mal erlebte. Der Versuch, sein Herz zu öffnen ohne sich dabei lächerlich zu machen, glich dem Sprung vom höchsten Punkt der Umgebung mit einem Fallschirm, dessen Reißleine in den Händen einer anderen Person ruhte. Und leider gab es keine Gebrauchsanweisung für `Liebe´. Alles, was Zack der niedergeschlagenen Cutter geben konnte, waren Erinnerungen an Erinnerungen. „Weißt du, wenn ich in die Vergangenheit blicke und dich und Seph sehe, dann war es immer, als ob alle Gesetze und Regeln für einen Moment ihre Gültigkeit verlieren würden, damit gewisse Dinge anders als sonst geschehen konnten. Und irgendwie sagt mir mein Gefühl, dass es bald wieder einen dieser Momente geben wird.“ „Du meinst also, ich soll warten?“ „Genau. Und den Kopf nicht zu tief hängen lassen, sonst geht die Chance ungesehen vorüber. Diese besondere Verbindung zwischen dir und Seph ... Sie ist im Laufe der vergangenen Jahre keinesfalls zerrissen. Sie strukturiert sich nur gerade neu.“ Cutter seufzte leise. „Mir war ja klar, dass es kompliziert wird. Aber gerade jetzt ist alles extrem verworren.“ „Seph dürfte ähnlich fühlen. Und um ehrlich zu sein, es beunruhigt mich. Er ist nicht sehr geübt, mit diesem Zustand umzugehen. Mit einem klaren Ziel vor Augen ist er unaufhaltsam, aber ohne das ist er zu ausnahmslos allem fähig. Weil er wie besessen danach sucht. Außerdem hat er keine Probleme damit, Dinge, die ihn stören, aus dem Weg zu räumen.“ Zacks Worte, das begriff Cutter sofort, waren nicht böse gemeint, sondern die Essenz endloser Beobachtungen und des geduldigen Analysierens derselbigen. Die Beurteilung eines grandiosen Kämpfers über einen anderen, ebenso großartigen Kämpfer. Und Freund. Cutter lächelte sachte. Genau deshalb hatte sie gewisse Vorbereitungen getroffen. Die zwar Sephiroths Verwirrung zuerst steigern dürften – dann aber würden sie ihm helfen, sich über gewisse Dinge klar zu werden. Wenn es funktionierte. Wenn nicht ... „Weißt du“, sagte Zack leise, „ich muss ständig daran denken, wie schnell du erwachsen werden wolltest. Erinnerst du dich? Auf gewisse Art und Weise hat sich dein Wunsch erfüllt.“ „Aber so viel hat sich verändert“, wisperte Cutter. „Das Leben“, antwortete Zack ebenso leise, „ist eine Reise von unvorhersehbarer Länge und Dauer. Niemand kann sagen, was hinter der nächsten Kurve wartet. Und wir können nicht alles Gute und Schöne behalten. Oder immer bestimmen, was wir mitnehmen. Und manchmal verlieren wir etwas. Weißt du, warum das alles so ist? Damit unser Koffer nicht zu schwer wird. Denn würde er zu schwer, könnten wir die Reise irgendwann nicht mehr fortsetzen. Was auch immer hinter uns liegt, es ist vergangen. Wir können es nicht mehr rückgängig machen. Niemand kann das. Und wenn man etwas nicht mehr rückgängig machen kann, sollte man einfach versuchen, es zu akzeptieren. Du hast etwas verloren, ja. Aber haben sich Teile des freien Platzes nicht längst neu gefüllt? Denk mal drüber nach.“ Die Gewissheit, über Finsternis und Stille gesiegt zu haben ... Die Luna Lance ... Die Rückkehr zu ShinRa ... „Zack? Wenn du so weise bist, wirst du mir unheimlich. Aber du hast Recht.“ „Klar hab ich Recht“, lachte der 1st. „Leute meines Ranges haben das prinzipiell! Und jetzt: Ab ins Bett mit dir, sonst bist du nicht fit genug, um deinen Weg weiterzugehen.“ Cutter erhob sich, kam um den Tisch und drückte Zack. „Dich habe ich auch lieb“, flüsterte sie. „Weißt du das?“ „Hey, jemanden wie mich muss man einfach lieb haben. Ich bin quasi fürs lieb haben geboren!“ „Gut zu wissen“, lachte die junge Frau. „Gute Nacht, Zack. Und Dankeschön!“ „Schlaf gut, Cuttie-cut.“ Er sah ihr beim Verlassen des Raumes nach, gleichzeitig lauschte er abermals in sich hinein. Was er fand, war die sichere Gewissheit, etwas Richtiges gesagt zu haben – aber auch die, mit Sephiroth ein zu größten Teilen unberechenbares Element vor sich zu haben. Und ich sollte mich nicht einmischen, dachte der 1st. Das müssten die beiden alleine klären. Auf ihre ganze eigene Art und Weise. Wie immer. Oh man, das kann dauern. Oder es geht rasend schnell. Welche Version ist mir lieber? Mmmmh ... die! Bewaffnet mit einem fast bis zu den Ohren reichenden Grinsen verließ er die Caféteria. Es gab viele Dinge, die General Crescent meistens erfolgreich zu vermeiden wusste. Zum Beispiel Fehler! Fehler waren äußerst unerwünscht, da sie einen für gewöhnlich zurückwarfen und einen erheblichen Mehraufwand an Arbeit bedeuteten. Außerdem verrieten sie einen Schwachpunkt. Irgendjemand war mit der Situation überfordert gewesen! Vor allem aber unterliefen sie immer anderen! Diesmal jedoch hatte er selbst einen Fehler gemacht. Und war von niemand geringerem als Präsident Shinra höchstpersönlich darauf hingewiesen worden. Natürlich hatte Sephiroth den Fehler sofort korrigiert und es waren keine Spätfolgen zu erwarten. Die Stimmung des Generals jedoch glich einem Vulkan kurz vor der Eruption – wusste er doch nur zu genau, warum er mit den Gedanken nicht recht bei der Sache gewesen war. Über einen Phoenix zu grübeln und konzentriert zu arbeiten ließ sich einfach nicht miteinander vereinbaren. Von daher galt seine Wut – einmal mehr – nur sich selbst. Und Rufus! Von dem er sich hatte zurechtweisen lassen müssen! Rufus! Ein Schlag mit Masamune und er wäre Geschichte! Aber Rufus ist nicht das Problem. Sondern Cutter! Es mag sein, dass sie mir etwas ... mehr bedeutet als vor 4 Jahren! Aber der durch sie ausgelöste Verwirrungszustand hat ein Stadium erreicht, das ich unmöglich unverändert lassen kann! Ich ... Weiter kam er nicht. Die Tür seines Büros öffnete sich nicht einfach. Sie wurde aufgerissen. So schwungvoll und laut wie möglich. Begleitet von einem lautstarken, auf jähen Schrecken hinzielenden: „Hab ich dich erwischt!!“ „Zackary ...“, grollte der General. Der 1st ihm gegenüber grinste. „Fast wärst du zusammen gezuckt, ich hab´ s genau gesehen!“ „Dann brauchst du eine Brille. Was willst du!“ „Dich erwischen. Bei irgendwas. Können wir´ s nochmal spielen? Ich komm rein, und du ...“ „Nein, Zackary!“ „Na gut.“ Der 1st kam näher und breitete die Arme weit aus. „Dann kriegst du jetzt einen Begrüßungsdrücker!“ Eine Sekunde später schränkte Masamune seine Bewegungsfreiheit jäh ein. Zack starrte die ihn auf Distanz haltende, wie üblich glänzend polierte Klinge an und entrüstete sich schließlich: „Das da kann ich nicht drücken!“ „Es wäre mir eine ausgesprochene Freude, wenn du es dennoch versuchen würdest!“ „Du bist genervt, hm?“ „Deinetwegen!“ „Nein, nein, du warst schon genervt, als ich reinkam. Was nicht an mir gelegen haben kann, da ich mich schon seit dem Aufzug angeschlichen habe.“ „Was erklärt, weshalb du keine Schuhe trägst!“ „So schleicht es sich am allerbesten. Ok, keine Begrüßungsdrücker.“ Sein Gesichtsausdruck normalisierte sich. „Was ist los?“ „Das geht dich nichts an!“ Aha, dachte Zack. Treffer, versenkt. Cutter-chan. Die Erkenntnis bestärkte ihn in seinem Entschluss. Manchmal bestand der einzige Ausweg aus einem Labyrinth darin, die Wände einzutreten. Ob von innen oder außen war dabei völlig nebensächlich. Und so nahm der 1st mentalen Anlauf, versuchte gleichzeitig, sich auf die Schlimmste aller Reaktionen vorzubereiten, und stürmte verbal vorwärts. „Wie geht’s eigentlich unserer Cuttie? Hat sie sich schon ein bisschen eingelebt?“ Sephiroth, der mittlerweile vor der im Büro befindlichen Kaffeemaschine stand, warf einen warnenden Blick an dem vorsichtshalber mitgenommenen und auf seiner Schulter liegenden Masamune in Richtung Zack. „Es ist nicht `unsere´ Cuttie!“ „Richtig, richtig“, antwortete der 1st und fügte schmunzelnd hinzu: „Es ist deine Cuttie ...“ Eine Sekunde später fand er sich auf dem Rücken liegend wieder, zu Boden gestreckt durch einen einzelnen, kraftvoll ausgeführten Schlag, dessen Urheber nun halb auf seinem Brustkorb kniete. Masamune lag ungeschützt an Zacks Hals, so eng, dass die Schluckbewegung ausreichte, um der Haut eine winzige Verletzung hinzuzufügen. Sephiroths Augen über der todbringenden Waffe glühten, wie sie es sonst nur gelegentlich auf dem Schlachtfeld taten. „Es ist nicht meine Cutter!“, stieß er wütend hervor. „Doch“, antwortete Zack völlig ruhig. „Das ist sie. Und du weißt es. Mal ganz ehrlich, Seph: Wie lange willst du dich noch belügen? Denkst du nicht, dass du dich lange genug gequält hast?“ „Wovon redest du?!“ Zack gelang das Kunststück, zu seufzen. „Weißt du, was dein Problem ist?“, erkundigte er sich freundlich und fuhrt fort, ohne auf eine Antwort zu warten: „Abgesehen von deiner Sturheit, natürlich? Du hast Angst. Vor deinen eigenen Gefühlen ihr gegenüber. Und vor ihrer Reaktion. Ich kann verstehen, dass dich die Situation überfordert. Aber sie wird sich nicht bessern, indem du wegläufst oder sie ignorierst.“ Sephiroth reagierte mit keinem Ton, keiner Bewegung. Zack nahm dies zum Anlass, weiterzusprechen. „Oder denkst du etwa, dass sie dich nicht mehr braucht? Das ist nicht wahr. Glaub mir. Oder hast du Angst, irgendetwas oder irgendjemand könne sie dir wegnehmen? Um dich zu verletzten? Oder sie? Das ist ganz normal, Seph. Diese Angst ist jedem, dem schon einmal ein anderer Mensch etwas bedeutet hat, vertraut. Der Trick besteht darin, sich davon nicht einschüchtern zu lassen. Das erfordert viel Mut und Kraft. Aber du besitzt all das! Auch, wenn du bisher noch nicht gewagt hast, es zu finden. Für die Fähigkeit, sich anderen zu öffnen, gilt dasselbe. Aber hast du mal bedacht, dass du diesen großen Schritt gar nicht für alle gehen musst? Sicher, du machst dich trotzdem verletzlich. Aber ist dir klar, dass es den Personen, für die du dich öffnest, gar nicht darum gehen könnte, dich zu verletzen?“ Sephiroth schnaubte leise – und Zack nickte ernsthaft. „Menschen können einander endloses Leid zufügen, das ist richtig. Niemand weiß das besser als du. Aber Menschen können einander auch helfen, sie können trösten und heilen und Einsamkeit lindern. Das alles wartet auf dich. Hab den Mut, es zu finden.“ In der diesen Worten folgenden Stille konnte Sephiroth spüren, wie die Worte des 1st´s, winzigen Lichtpünktchen gleich, durch sein seltsam klares, aber dennoch dunkles Bewusstsein flackerten. Haltsuchend, einsam und dem Verlöschen nahe. Bis sie sich hilfesuchend aneinander klammerten. Miteinander verschmolzen. Und ein kleines, großes Licht bildeten, in dem sich eine weitere Wahrheit erkennen ließ. „Aber ich weiß nicht, wie das geht“, wisperte Sephiroth. „Ich habe keine oder kaum Ahnung von diesen Dingen.“ „Aber im tiefsten Grunde deines Herzens möchtest du sie haben, oder?“ „Ich ... weiß es nicht.“ „Dann darfst du deinen jetzigen Zustand erst recht nicht beibehalten. Verstehst du, was ich meine?“ Sephiroth schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht du, Zack. Ich kann ... das nicht.“ Aber so leicht ließ sich der 1st nicht abschütteln. „Seph. Was möchtest du wirklich?“ „Bei ihr sein.“ Die Schnelligkeit seiner Antwort überraschte und entsetzte ihn zutiefst. Für einen Augenblick. Dann begriff er, dass seine Seele diesen Wunsch schon lange behütete und nur auf den richtigen Moment gewartet hatte, um ihn frei zu lassen. „Cutter hat mir vorhin genau dasselbe gesagt.“ Zack lächelte ziemlich glücklich. „Kein Scherz, guck nicht so. Glaubst du, sie hat keine Angst? Sie ist genauso unerfahren und zögerlich wie du. Aber weißt du, was das heißt? Es bedeutet, dass ihr behutsam, vorsichtig und respektvoll miteinander umgehen werdet. Und das heißt, es wird klappen! Hör auf mich, du alter Sturkopf! Ehrlich, Seph, denkst du, jemanden wie Cutter nicht verdient zu haben? Das hast du! Und sie dich! Rede mit ihr! Redet miteinander! Es ist vier Jahre her! Und es reicht. Sieh es endlich ein: Um dein Herz auf diese Art und Weise zu berühren, musste erst ein schusseliger Teenager wie sie in deinem Leben auftauchen.“ Zacks Worte waren so sinnlos, dass sie Sinn ergaben. Langsam wich Masamune von der Kehle des 1st zurück. Dieser atmete auf. „Danke. Und, äh, könntest du auch aufstehen?“ Er kniff verschwörerisch ein Auge zu. „Nicht, dass ich diese Position nicht schätze, aber du bist ein Kerl, und schwer noch dazu.“ Sephiroth warf dem 1st einen warnenden Blick zu, erhob sich aber. Auch Zack kam mit einer geschmeidigen Bewegung wieder auf die Beine und sah zu seinem General hinüber. „Ok. Mehr Einmischung wird es von meiner Seite aus nicht geben. Vorerst. Also ... ich muss weiter.“ Er winkte und verließ das Büro wieder. Sephiroth sah ihm nach, schweigend und höchst nachdenklich. Ich habe ... das verdient? Wirklich? Wer entscheidet das? Muss ... das entschieden werden? Alles muss entschieden werden. Von irgendjemandem. Irgendwann. Diese ganze Situation ist so absurd! Warum will Cutter immer noch, wie Zack sagt, bei mir sein? Ich weiß, sie ... mag ... mich, aber bestimmt auch, weil ich ihr immer helfen konnte. Jetzt hingegen ... Sie braucht mich nicht mehr. Also, warum? Kann mir das bitte jemand erklären?! Aber niemand fühlte sich dazu berufen. Stattdessen setzten die verdammten Kopfschmerzen wieder ein. Sephiroth stöhnte leise und schloss die Augen. Jetzt fühlte er sich seltsamer als jemals zuvor. Und es gefiel ihm nicht. Es versetzte ihn in einen Zustand dauerhafter Aggressivität. Würde ihn irgendwann überreagieren lassen. War absolut unerwünscht. Und ließ sich nur durch eine einzige Tat deaktivieren. Wenige Sekunden später war der General auf den Fluren des HQ´s unterwegs und näherte sich schließlich mit entschlossenen Schritten Cutters Quartier, betrat lautlos den Raum ... Wie erwartet, fand er sie im Bett vor, tief und fest schlafend. Völlig ahnungslos. Nicht einmal die Luna Lance befand sich in greifbarer Nähe. Sephiroth betrachtete die junge Frau einige Herzschläge lang bewegungslos. Was war sie schon?! Ein Grund für Verwirrung, für Fehler, ein unerwünschtes, absolut entbehrliches Relikt der Vergangenheit. Klarheit, die sich weigerte, einzusetzen? Er würde sie dazu zwingen! Er konnte alles und jeden zwingen, und zwar zu allem! Und er konnte die Person im Bett aus dem Weg räumen. Sich ein für alle Mal von ihr befreien. Jetzt! Masamune glitt völlig geräuschlos aus der Schutzhülle, visierte das in den warmen Körper gehüllte, ruhig schlagende Herz an, stieß entschlossen darauf zu ... und stoppte es nur einen Millimeter von der Decke entfernt. In letzter Sekunde war der Blick des Generals auf das kleine Tischchen neben dem Bett gefallen – und auf die dort an eine Wasserflasche gelehnte Karte. Sie war beschrieben, begann mit der absurdesten aller Wortkombinationen, nämlich `Lieber Sephiroth´ - und beschwor die kurzfristig niedergekämpfte Verwirrung erneut herauf. Ein kurzes Zögern. Dann, ohne das Katana sinken zu lassen, griff er mit der freien Hand nach der Karte. `Lieber Sephiroth, falls du es dir nach deiner Tat doch noch anders überlegen solltest, in der obersten Schublade dieses Tischchens liegt eine Phoenixfeder. Viele Grüße, Cutter.´ Für die Dauer von zwei, drei Herzschlägen herrschte in dem Zimmer absolute Bewegungslosigkeit. Sie wusste es, dachte Sephiroth. Sie hat es gewusst ... Und überlässt dennoch mir die Wahl? Weil sie mir vertraut. Aber das grenzt an Dummheit! Ist in dieser Schublade wirklich eine Phoenixfeder? Mir liegen keinerlei Berichte über einen Diebstahl vor, und Cutter ist kein Dieb. Aber auch Phoenixfedern haben eine Line ... Er war so in Gedanken versunken, dass er gar nicht bemerkte, wie er die Karte zu zerknüllen begann. Erst das deutlich hörbare Rascheln ließ ihn jäh und fast erschrocken inne halten. Lange war das Geräusch nicht erklungen. Aber die Auswirkungen waren fatal. Cutter blinzelte. Seufzte leise. Schloss die Augen erneut ... (katapultierte Sephiroth in die Hoffnung, sie würde einfach wieder einschlafen) ... und öffnete die Augen ganz. Gewöhnte sich binnen Sekunden an die herrschende Dämmerung. Und dann krallte sich ihr Blick an dem immer noch unmittelbar vor der Bettdecke innehaltenden Katana fest. „Oh.“ Ihre Stimme klang schläfrig, aber die Tendenz lag eindeutig bei `nicht mehr lange´. „Hallo, Masamune.“ Ihr Blick glitt an der einzigartigen Waffe entlang. „Hallo, Sephiroth.“ Zwei Sekunden lang blieb es ganz still. „Ich wollte dich nicht wecken.“ „Schon klar.“ Heiterkeit schwang in ihrer Stimme mit. Nicht zuletzt, weil sich Masamune immer noch in tödlicher Position vor ihr befand. „Du hättest die Karte nicht zerknüllen dürfen, weißt du?“ Und dann, grinsend: „Du hast einen Fehler gemacht.“ „Du hättest trotzdem keine Chance gegen mich.“ „Nein. Gehen wir davon aus, du nutzt deine Überlegenheit. Und dann?“ „Ist in der Schublade wirklich eine Phoenixfeder?“ „Würdest du sie benutzen?“ Ja, dachte Sephiroth. Sofort. Und das bedeutet: Es ist völlig sinnlos, dich zu töten. Aber er sagte es nicht. Es war völlig nebensächlich. Die jetzige Situation war allein sein Problem, und er würde eine Möglichkeit finden müssen, es zu lösen – ohne den Grund dafür zu töten. Sephiroth schob Masamune zurück in die Schutzhülle und wandte sich zum Gehen. Er kam genau zwei Schritte weit. Cutters Arme schlossen sich um seinen Bauch, fest und behutsam gleichzeitig, und dasselbe galt für den sich von hinten an ihn schmiegenden Körper. Er war noch genau so warm wie früher. Und Sephiroth hielt, obwohl er sich mit Leichtigkeit hätte befreien können, augenblicklich inne. Diese Situation ... er hatte sie schon einmal erlebt. In dem einmaligen Traum vor 4 Jahren, in der ersten Nacht nach Cutters Verschwinden. Aber das hier war kein Traum. Sonder real. Und sie hatte ihr Versprechen, nicht zu sterben, gehalten. Aber so gerne er seine eigenen Hände auf ihre geschoben hätte – er beherrschte sich. Irgendwann erklang ihre Stimme hinter ihm. Leise. Aber dennoch deutlich zu verstehen. „Geh nicht weg. Ich glaube, das würde dir nicht helfen. Und mir auch nicht.“ Jeder andere, dachte Sephiroth, säße immer noch zu Tode erschrocken im Bett, zitternd vor Angst, und würde sich nicht bewegen, bis ich wieder verschwunden wäre. Aber du ... Warum ... „Warum kannst du nicht einmal reagieren, wie es jeder andere in dieser Situation tun würde?“ „Ich bin nicht wie andere. Und die Situationen, in denen ich mich wiederfinde, gehören mir. Und, wie jetzt, dir.“ Sephiroth schüttelte sachte den Kopf. „Lass los.“ Es war mehr eine Bitte, als ein Befehl. „Nein“, wisperte Cutter. „Denn dann gehst du weg. Und wir sind wieder beide alleine. Ich will nicht, dass du weggehst. Weil ich dich brauche.“ Weil ich dich brauche, wiederholte der General in Gedanken. Du hast es immer noch nicht begriffen. „Cutter, sieh dich an. Du bist so stark geworden. Jetzt beherrschst du sogar die Lines. Du kommst alleine klar.“ Gleichzeitig schob er seine Hände auf die ihren, ursprünglich um sich aus ihrem Griff zu befreien – führte die Bewegung jedoch nicht zu Ende, als sich der Druck um seinen Körper jäh verstärkte. „Nein! Was nützen mir die Lines, wenn ich dafür dich verliere? Ich brauche dich. Alleine schaffe ich es nicht.“ Ihre Stimme wurde so leise, dass selbst er es kaum noch verstehen konnte. „Ich schaffe es nicht!“ „Ich bin jetzt schon vom Gegenteil überzeugt.“ Manchmal musste man jemanden, der seinen eigenen Kräften nicht vertraute, in genau die gefürchtete Situation bringen, um ihm zu beweisen, dieser gewachsen zu sein. Bei seinen SOLDIER funktionierte diese Strategie ... Es war die erste echte Berührung seit 4 Jahren. Jetzt dauerte sie schon etliche Sekunden an. Und Cutter wusste, dass sie innerhalb der nächsten Sekunden enden würde. Es sei denn irgendjemand hielt die Zeit an. Mit einem Zauberspruch. Oder einer enthüllten Erinnerung. Was in diesem Fall ein und dasselbe darstellte. „Ich habe gehört, was du mir vor 4 Jahren in den Slums gesagt hast.“ Ihre Stimme klang ganz leise. „Dass ich dir etwas bedeute. Ich konnte nur nichts tun. Und nichts sagen. Gar nichts. Erst recht nicht, dass ich dich liebe. Heute wie damals.“ Sephiroths Augen weiteten sich in einer undefinierbaren Gefühlsmischung. Du ... liebst ... mich? Er war es gewohnt, bewundert zu werden. Verehrt. Gefürchtet. Gehasst. Und es bedeutete ihm nicht das Geringste. Aber geliebt? Noch dazu von Cutter ... Es kam völlig unerwartet. Und erklärte, wenn man den Geschichten des dauerverliebten Zacks glauben durfte, alles. „Aber am schlimmsten“, fuhr Cutter tonlos fort, „ist, dass ich nicht weiß, ob sich an deiner Einstellung mir gegenüber etwas geändert hat, und deshalb ... deshalb ...“ Sie verstummte. Schüttelte den Kopf. Und löste ihren Griff, trat einen Schritt zurück ... „Ich hätte dich nicht festhalten dürfen. Tut mir Leid.“ Sephiroth wandte sich um und warf der mit hängendem Kopf dastehenden Cutter einen langen Blick zu. „Deshalb bist du zurückgekommen? Nur meinetwegen?“ Cutter nickte. „Ich habe dich so vermisst. Mehr als alles und jeden anderen. Das ist eigentlich ... alles. Mehr wollte ich dir die ganze Zeit gar nicht sagen.“ Der General antwortete nicht. Cutter meinte es ernst, daran zweifelte er nicht eine Sekunde. Und obwohl er ihre Rückkehr niemals in Frage gestellt hatte, mittlerweile verlangten so viele Punkte eine komplette Überarbeitung seiner diesbezüglichen Strategie, aber ... wenn es wirklich Dinge gab, die sich nicht durch strategische Überlegungen beeinflussen ließen ... gehörte das hier dazu. Die Erkenntnis rief eine einzigartige Reaktion hervor. Sephiroth kapitulierte. Aber er fühlte kein Erniedrigung, keine Wut, keinen Scham, keinen Ärger. Nur den Wunsch, etwas ganz bestimmtes zu tun. Und so kam er näher, streckte die Hand aus, schob sie unter Cutters Kinn, drückte ihren Kopf vorsichtig nach oben ... Der Kuss war kaum mehr als eine sanfte Berührung, ein leichtes Streicheln und innerhalb von wenigen Sekunden vorüber. Aber es genügte, um einen langen, warmen Schauer auszulösen, der Sephiroths Körper vom Kopf bis zu den Zehenspitzen durchrieselte. Und, um Cutter in einen Zustand absoluter Bewegungslosigkeit zu versetzen. „Die Wahrheit“, hörte sie Sephiroth leise sagen, „ist: Ich habe dich auch vermisst. Sehr! Meine Welt war so ... seltsam leer ohne dich, und ich wollte dich wiedersehen. Unbedingt! Jetzt bist du wieder hier, und das ... macht mich sehr glücklich, aber gleichzeitig – trotz aller Planung – verwirrt es mich auch. Auf eine Art und Weise, die ... unberechenbar ist. Ich hätte dich heute Nacht beinahe getötet. Verstehst du mich? Du wärst in meiner Nähe nicht sicher.“ „Ich bin in deiner Nähe immer sicher gewesen“, wisperte Cutter gänzlich ungeschockt. „Nicht mehr.“ Er schüttelte den Kopf. Als er wieder sprach, klang seine Stimme immer noch leise – jetzt allerdings gequält. „Cutter, ich habe keine Ahnung von Liebe. Und ich bin nicht sicher ob sich ... gewisse Angewohnheiten ändern lassen. Ich wollte dich töten! Vielleicht will ich das irgendwann wieder!“ „Vielleicht aber auch nicht!“ „Jemand wie ich“, antwortete Sephiroth in hartem Tonfall, „ist nirgends besser aufgehoben als auf einem Schlachtfeld, das weiß ich mit Sicherheit, und du ebenfalls! Aber ...“, seine Stimme wurde wieder leiser, „ich weiß auch, wie gerne ich dich um mich habe. Und, dass mir deine Rückkehr mehr bedeutet, als alles andere in diesen 4 Jahren.“ Cutter konnte nicht antworten. Es war ihr ebenso unmöglich, sich zu bewegen. Sie sah zu Sephiroth auf und versuchte, ihre Gedanken wieder zum Laufen zu bekommen, aber es war unmöglich. Seine Worte waren mehr als sie jemals zu träumen gewagt hatte und so gab sie sich keine Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten. „Ich weiß nur nicht, wie ich damit umgehen soll“, fuhr Sephiroth leise fort. „Du hast deine Fähigkeiten bezüglich der Lines in meine Dienste gestellt, aber den ganzen Rest kann ich unmöglich ebenfalls als mein Eigentum betrachten, verstehst du? Du gehörst mir nicht.“ „Das heißt“, antwortete Cutter ohne selbst genau zu wissen, wie die nächsten Worte lauten würden, „wenn ich dir gehören möchte, aus freiem Willen, ist es ok?“ Diesmal war es an Sephiroth, irritiert zu blinzeln. Wie konnte man jemandem aus freiem Willen gehören? „Cutter“, begann er leise – kam aber nicht eine Silbe weiter. „Ich weiß! Ich weiß, du hast Schwierigkeiten, das zu verstehen. Aber ich verstehe auch vieles nicht. Ich weiß nur, dass ich bei dir sein möchte, als deine Freundin, ganz egal, wann und wie es endet.“ Der Ausdruck in ihren Augen verriet wilde Entschlossenheit und formulierte in Sephiroth unwillkürlich die Frage, wie man so hart für etwas kämpfen konnte, von dem man keine Ahnung hatte – bis ihm klar wurde, dass Cutter einmal mehr der Stimme ihres Herzens blind vertraute. Es ist wahr, dachte er. Ich habe zugelassen, dass du so weit kommst. Und mich findest. Hinter Sicherheitsvorkehrungen, die meines Erachtens nach perfekt waren. Aber auf dich haben sie gar nicht oder nicht in der gewohnten Stärke reagiert. Der Fehler ... Ich weiß nicht, wo er sich verbirgt. Und ob ich ihn finden möchte. Aber du hast einen langen, harten Weg hinter dir. Und ich auch. Vielleicht hat Zack Recht. Vielleicht verdiene ich dich wirklich. Und du mich. Ich schätze, es gibt nur einen Weg, es herauszufinden. Nur ein Wort ... „Einverstanden.“ Es war nur ein flüstern. Aber es reicht aus, um die Distanz zwischen ihnen innerhalb von zwei Herzschlägen verschwinden zu lassen, und als Sephiroth seinerseits die Arme um den so warmen, an ihn geschmiegten Körper schloss, wurde ihm bewusst, dass dies hier (bis auf Zacks Erwachen) alles war, was er sich im Laufe der vergangenen 4 Jahre gewünscht hatte. Jetzt war es wahr geworden. Und was er in diesem Augenblick empfand war Glück. Reines, leuchtendes Glück. So intensiv, dass es ihn die Augen schließen und ganz still halten ließ aus Angst, alles könne nur ein Traum sein. „Es wird klappen“, hörte er Cutter irgendwann wispern. „Und wenn es irgendwann doch rauskommt, warum auch immer, und irgendjemand versucht, mir oder dir ein Haar zu krümmen, werde ich ihm, ihr oder ihnen mit der Luna Lance ein derartige Lektion erteilen, dass ihnen hören und sehen vergeht, das schwöre ich dir, so wahr ich hier stehe!“ Sephiroth hatte keinerlei Schwierigkeiten, ihr das zu glauben. Und um ihr das klar zu machen, schloss er nur schweigend die Arme ein klein wenig fester um ihren Körper, schloss halb die Augen ... und öffnete sie wieder ruckartig, als ein sehr lautes, störendes Piepen erklang, das sich zutiefst respektlos wiederholte und zusätzlich immer lauter und lauter wurde. Cutter seufzte. „Ich muss wach werden und aufstehen ...“ Jetzt schon?, dachte Sephiroth unwillkürlich. Ihm war noch gar nicht danach, sie wieder freizugeben. Zumal sie gerade zu ihm aufsah und grinsend den Satz mit einem: „ ... sonst kriege ich Ärger mit meinem General“, beendete. „Was zu vermeiden wäre.“ Seine Stimme klang ernst, aber auf deren Grund brodelte Heiterkeit. Gleichzeitig gab er Cutter wieder frei, und sie tappte zurück zum Bett, griff nach dem mittlerweile äußerst ungeduldig klingelnden PHS ... und hielte inne. Hob das Gerät hoch. „Es klingelt wirklich, oder?“ Und als Sephiroth nickte: „Und ich werde nicht wach. Weil ich schon wach bin. Das ist kein Traum.“ Der General schüttelte den Kopf – und Cutter grinste abermals. „Ich glaube, die neue Realität gefällt mir sehr, sehr gut.“ Ja, dachte Sephiroth. Mir auch. Dennoch verließ er den Raum nur wenig später. Zum Einen konnte er sich nicht vorstellen, dass sich Cutter vor seinen Augen umziehen wollte, und zum Anderen hatte sie auch heute einen strengen Zeitplan einzuhalten. Und er selbst ebenso. Dennoch hielt er ein weiteres Mal inne, als er seinem eigenen Blick in einer der zahlreichen spiegelnden Oberflächen des HQs begegnete. Ein (fast) alles durchschauender, aber diesmal doch leicht fragender Blick. Und irgendwie fühlte sich dessen Besitzer förmlich aufgefordert, eine gewisse Tatsache noch einmal nur für sich selbst hörbar in Worte zu fassen. „General Sephiroth Crescent ... ab heute hast du eine Freundin.“ Und dann ... lächelte er. Verdient oder nicht – so war der Stand der Dinge. Und jegliche Änderung war gänzlich unerwünscht. Kapitel 41: Ein neuer Gegner ---------------------------- Die folgenden Tage gestalteten sich anders als erwartet (wobei sich Sephiroth und Cutter gleichermaßen hinsichtlich fehlender diesbezüglicher Erfahrungen nicht ganz sicher waren, was sie hätten erwarten sollen). Ihre Welten hatten sich um ein neues, einzigartiges Detail bereichert, und beide spürten, dass dieses eine Weile brauchte, um Wurzeln schlagen und sich festigen zu können. Aber der beidseitige Wunsch, einander zu sehen, ließ sich weder ignorieren, noch verdrängen. Ihn zu erfüllen ohne Aufmerksamkeit zu erregen, bedurfte es äußerster Vorsicht – eine Herausforderung, die sich aber meistern ließ. Eine Nähe wie die im Cutters Quartier fand zwar vorerst nicht statt, aber Distanzverringerungen in anderen Form waren völlig in Ordnung. So stellte zum Beispiel der mächtige, tiefschwarze Schreibtisch des Generals eine klar zu erkennende, optische Grenze dar – Cutter jedoch durfte sie ohne üble Konsequenzen überschreiten. Die Oberfläche, auf der täglich so viele wichtige Entscheidungen getroffen wurden, als Sitzfläche nutzen. Und vergnügt mit den Beinen baumeln. Erzählen. Laut und leise. Gestikulieren, manchmal mit Händen und Füßen gleichzeitig. Es gelang ihr immer noch völlig problemlos, Sephiroth zum Lachen oder wenigstens zum Schmunzeln zu bringen. Oder zum Staunen. Zum Beispiel, wenn sie auf eine seiner sehr ernsten, die aktuelle Situation zwischen ihm und ihr betreffende Fragen eine Antwort fand, die nicht simpler und logischer hätte sein können, und die er akzeptierte – auch, wenn Cutter immer noch oft erst sprach und erst am Satzende zu denken anfing. Aber gerade diese Momente beinhalteten einen ganz bestimmten Zauber, weil es ausschließlich ihre Seele war, die zu ihm sprach. Und so kam sich Sephiroth nicht selten vor wie eine Wüste, über der sich gerade Regenwolken entleerten, und wenn er konzentriert in sein Denken hineinfühlte, so konnte er spüren, wie gewisse Dinge (Samen?) die Kraft des Regens nutzten, um ihre vor 4 Jahren eingestellte Entwicklung wieder aufzunehmen. Und obwohl es hin und wieder unmöglich war, ein Ergebnis zu erahnen, Sephiroth setzte dem Wachstum vorübergehend keine Grenzen, selbst gespannt, wohin es führen würde. Außerhalb des Büros galten andere Regeln. Begegneten er und Cutter sich irgendwo in den Fluren des HQ nahmen beide augenblicklich die klassischen Rollen ein. Die junge Frau salutierte vorschriftsmäßig, Sephiroth nahm dies mit der üblichen Reaktion zur Kenntnis. Kam es im Rahmen der immer noch andauernden Schulungen zu einem kurzen Gespräch, war er stets `Sir´ oder `General´. Beide wussten, was von ihnen verlangt wurde, und beide spielten ihre Rollen so perfekt, wie es ihnen nur möglich war. Aber nicht immer befanden sie sich in der Öffentlichkeit, und dann war alles anders. Gerade zum Beispiel hatte Sephiroth seiner Phoenix eine Heizdecke gebracht, weil sämtliche Heizungen im HQ ausgefallen waren. Und er war am Rand ihres Bettes sitzen geblieben, selbst, als sie sich behutsam an ihn kuschelte. Es war seltsam, sich nach einem anspruchsvollen Tag voller Regeln, Richtlinien, Anweisungen, Papierkram, Telefonaten und Kälte auf eine solch friedlichen Ebene zu begeben. Seltsam – aber nicht störend. Und so ließ er zu, dass sich die von Cutter ausgehende Ruhe auf ihn übertrug. Sein unberührbares, eisiges Ich würde er noch früh genug wieder an den Tag legen können. Spätestens beim Verlassen des kleinen Quartiers. Als seine Phoenix eingeschlafen und es an der Zeit war, zu gehen, trat er den Rückweg langsam an, nachdenklich schweigend und sich fragend, ob die letzte Silbe seines Namens nach dem leisen `Gute Nacht´ mit Absicht weggelassen worden oder nur vom Schlaf verschluckt worden war. Und jetzt, dachte er, schläfst du. Träumst du vielleicht sogar schon? Eventuell sogar von mir? Ich weiß, das würde dir gefallen ... Schlaf gut, Cutter. Träum was Schönes ... Niemals zuvor hatte er irgendjemandem etwas Ähnliches gewünscht. Und doch schien es richtig zu sein, so richtig ... Wenn er tief in sich hineinlauschte, konnte er sogar immer noch einen Funken des in Cutters Quartier so intensiv verspürten Frieden wahrnehmen. Es schien, als sei das winzige Licht auf der Suche nach etwas, für das Sephiroth noch keinen Namen kannte, und er versuchte eben, den richtigen Namen zu finden um dem Hauch Helligkeit den Weg zu zeigen, als die Kopfschmerzen erneut einsetzten, stärker als jemals zuvor. Der Lichtfunken flackerte erschrocken und verlosch. Sephiroth selbst hielt jäh inne, unterdrückte ein leises, schmerzerfülltes Stöhnen und zwang sich, die Augen offen zu halten. Er wusste genau, welche gedankliche Richtung er einschlagen musste, um den Schmerz verblassen zu lassen. Aber er weigerte sich, eine derartige Flucht anzutreten. Vielmehr begann er sich einmal mehr zu fragen, weshalb diese Kopfschmerzen nur in Bezug auf Cutter so intensiv wurden. Sicher, es gab noch Fragen. Dinge, die ihn leicht bis mittelschwer verwirrten. Aber nichts von alledem wäre als Auslöser in Frage gekommen. Zumal sich der Schmerz stets wie ein gewaltsames Dazwischendrängen anfühlte ... Und ganz abgesehen davon passte sich seine Stärke stets der Intensität der Cutter geltenden Gedanken an. Als würde er gesteuert ... Wovon? Sephiroths Hand fuhr unwillkürlich über die Stelle am Nacken, unter der sich der von Hojo implantierte Chip befand. Aber der Wissenschaftler konnte das Geheimnis um seine Phoenix unmöglich kennen. Also wer oder was kam sonst noch in Frage? Vorläufig gab es keine Antwort. Und somit blieb nur abwarten und beobachten. Mittlerweile war der Schmerz verstummt. Und ob die Stille nun auf trügerischen Frieden oder Erschöpfung hinwies – sie hielt an. Vorerst. Mehrere Tage vergingen. Und niemand schöpfte Verdacht. Nun ja – fast niemand. Zack war oft genug selbst verliebt oder das wundervolle Ziel von Liebe gewesen, um auch ohne die geringste Info zu wissen, in welche Richtung sich die Dinge entwickelt hatten, und er beschloss, den momentanen Zustand gebührend zu feiern, ganz egal, ob die Betroffenen damit einverstanden waren oder nicht. Sephiroth war gerade dabei, Cutter in seinem Büro eine der PHS Funktionen, die sie (angeblich) überhaupt nicht verstanden hatte, zu erklären, als sich vorwarnungslos die Tür öffnete. Herein kam ... „Zackary“, grollte Sephiroth, während Cutter neben ihm sich schlagartig vor lachen kaum noch halten konnte. „Was, um alles in der Welt ...“ „Zack? Hier ist kein Zack. Ich bin, äh, Kcaz. Genau. Lieferjunge von der großartigen Pizzeria „Midgar Speciale“. Ich bringe die mächtig große Pizza für die mächtig große Feier in diesem Büro.“ „Kcaz, wie? Ein Teil deines angeklebten Schnurrbartes ist gerade abgefallen.“ „Ist Teil vom Service!“ `Kcaz´ zwinkerte vergnügt. „Ich mache immer einen kleinen Scherz bei der Lieferung!“ Gleichzeitig schob er die Pizza auf den diesmal nicht ganz so vollen Schreibtisch und rückte die viel zu große Kochmütze einigermaßen zurecht. Sephiroth bedachte ihn mit einem halbherzigen Todesfunkeln. „Gehört das wirklich unglaublich schlechte Verstellen der Stimme ebenfalls zum Service?“ `Kcaz´ grinste nur noch breiter. „Alles inklusive!“ Dann aber stemmte er die Hände in die Hüften, rollte mit den Augen und verkündete mit normaler Stimme: „Na schön, gut, ich bin´s. Du hättest wenigsten so tun können, als ob du mich nicht erkennst, alter Spielverderber! Also ... helft ihr mir jetzt, diese unglaublich große und mit ziemlicher Sicherheit superleckere Pizza zu essen? Ansonsten müsst ihr mich morgen auf der Krankenstation besuchen! Wegen anhaltender Magenverstimmung.“ „Weshalb“, erkundigte sich Sephiroth betont misstrauisch, „bringst du uns Pizza?“ „Was? Haben wir etwa nichts zu feiern?“ Er kniff verschwörerisch ein Auge zu. „Ich merke so was immer! Und ich freu mich tierisch, dass ihr beiden endlich zur Vernunft gekommen seid! Außerdem hatte Cuttie noch keine Willkommensparty! Und jetzt ... “, er klappte schwungvoll den Pappdeckel auf, „tadaaa!“ Sephiroth erstarrte. In seinem bisherigen Leben war ihm schon viel begegnet. Gutes, schlechtes, kurioses ... Aber noch niemals herzförmiger Pizzabelag. Es dauerte einen Augenblick, ehe sich der General wieder gefasst hatte. „Gehe ich recht in der Annahme“, sagte er schließlich, „dass du diese Pizza selbst gemacht hast?“ „Ja, Sir!“, strahlte Zack. „Ich habe selbst die Zutaten gekauft, selbst in HQ gebracht, selbst die Verpackungen entfernt, selbst das Messer aus der Schublade geholt, selbst ...“ „Schon gut, schon gut!“ Dann fiel ihm auf, dass etwas nicht stimmte. Wenn es sich bei dieser Pizza um eine Eigenkreation handelte, die noch dazu warm und frisch geliefert wurde ... „Zack? Du hast keinen Backofen in deinem Appartement.“ „Richtig! Ich hatte auch kein passendes Messer. Deshalb“, sein Gesicht war die Unschuld selbst, „musste ich die Pizza komplett in deinem Appartement machen.“ „Großartig. Ich hoffe, du hast die Küche aufgeräumt.“ „Mmmh ... Nein. Sonst wäre doch die Pizza kalt geworden.“ Sephiroth verzichtete auf den Hinweis, dass eine Säuberung auch während des Backvorgangs hätte stattfinden können – war ihm doch nur zu klar, wie 1st Class SOLDIER Zackary Fair diese Zeit verbracht hatte: Vor dem Backofen hockend, den Blick unverwandt auf die in dessen Inneren stattfindenden Ereignisse gerichtet, ähnlich einer lauernden Katze vor einem Mauseloch. „Keine Sorge, man kann den Fußboden und die Arbeitsfläche noch sehen. Jedenfalls stellenweise. Bitte sehr!“ „Ich finde die Idee klasse“, lachte Cutter und nahm ein Pizzastück entgegen. „Damit steht es 2:1 für `Pizza ist cool´. Verloren, Seph!“ „Woher hast du eigentlich diese geniale Kochmütze?“, erkundigte sich Cutter. „Aus der ShinRa Kantine!“ „Geborgt, wie ich hoffe“, schaltete sich Sephiroth ein. „Natürlich! Ich habe sogar versprochen, sie zurückzubringen, aber irgendwie wollte der Koch mir wohl nicht ganz glauben, ich musste verflixt schnell rennen.“ Sephiroth stöhnte leise. Also doch geklaut ... „Gib mir ein Stück Pizza damit ich kauen muss, statt dich zurechtzuweisen!“ Dem kam Zack breit grinsend nach, und dann hörte man lange Zeit nichts außer Kaugeräuschen. Als der letzte Krümel Pizza verschwunden war, nahm der 1st den Karton wieder an sich und verschwand gut gelaunt, um die Mütze dem rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben. Sephiroth sah ihm kopfschüttelnd nach und hatte im Geiste schon die Schlagzeile der morgigen ShinRa News vor sich: `Fröhlicher SOLDIER von wütendem Koch mit Messer erstochen´. Dem General blieb nur, sich auf die flinken Reflexe des Kochmützenklauers bzw. -ausleihers zu verlassen. „Der wird sich hoffentlich niemals ändern“, murmelte Cutter schmunzelnd. „Ich hab ihn so lieb!“ Es gab viele Dinge, die Sephiroth nicht die geringsten Verständnisprobleme bereiteten – aber das hier war, auch wenn es schon ein paar Tage alt war, immer noch zu neu, zu unbekannt, und er war sich nicht permanent sicher, alles richtig zu verstehen. Außerdem waren Missverständnisse der Nährboden für Fehler. Um sicherzugehen half nur eines: Recherche. Trotzdem klang sein: „Ihn auch?“ deutlich verblüffter, als geplant. Cutter musste unwillkürlich lachen. „Ja. Aber anders als dich. Es ist ... wie der Unterschied zwischen dem ersten Sonnenstrahl nach einem langen dunklen Winter und dem ersten echten Sonnentag. Du bist intensiver. Verstehst du? Und gleichzeitig noch so viel mehr. Freund, große, große Liebe, Beschützer, mentaler Fokus, Komplize ...“ Sephiroth hörte aufmerksam und ohne eine Miene zu verziehen, zu. Er begriff den Unterschied, konstatierte aber trotzdem, nachdem seine verliebte Phoenix zu einem Ende gekommen war, staubtrocken: „Ich vermisse die Bezeichnung `kommandierender Offizier´.“ „Die war nicht dabei?“, fragte Cutter völlig unschuldig. „Na so was.“ „Hm. Cutter? Warum ausgerechnet `Liebe´?“ Diesmal war es Cutter, die einen Moment lang schwieg. „Vielleicht“, sagte sie dann langsam, „weil du alles andere schon kennst?“ Weil ich alles andere schon kenne, dachte Sephiroth. Gleichzeitig betrachtete er die Begründung routiniert eingehend von allen Seiten auf der Suche nach einem Schwachpunkt. Aber es schien keinen zu geben. Was absurd war! Alles hatte irgendwo eine schwache Stelle, an der man ansetzen konnte, um es zu zerstören oder umzuformen oder ... Zerstören und umformen, dachte der General bitter. Unter anderem dafür wurde ich erschaffen. Aber dieses hier möchte ich im Grunde nur schützend in der Hand halten. Genau so, wie es jetzt ist. Und ich möchte es verstehen. Damit ich es noch besser beschützen kann. Aber ich weiß: Um etwas vollständig beschützen zu können, muss man es irgendwo einsperren ... Trotz aller Unerfahrenheit war ihm völlig klar, dass er diesen Schritt niemals würde gehen können. Dafür kannte er das Gefühl, eingesperrt zu sein und die damit verbundenen Qualen selbst viel zu gut. Es musste noch einen anderen Weg geben, und je länger Sephiroth darüber nachdachte, je bewusster wurde ihm, diesen anderen Weg längst zu gehen. Vorsichtig, und mit kleinen Schritten. Aber er war in Bewegung. Und nicht alleine. Immer noch schweigend sah er zu Cutter hinüber, und sie erwiderte seinen Blick wie es der Himmel tat, oder der Ozean, oder der Horizont ... „Du bist gerade mit deinen Gedanken endlos weit weg“, hörte der General sie leise fragen, „oder?“ „Ich denke nach, ja. Ich ...“ Aber dann schüttelte er den Kopf. „Es ist nicht wichtig. Du hast morgen deine erste offizielle Mission. Dir ist hoffentlich bewusst, wie schwierig es ab diesem Punkt für dich wird.“ Cutter nickte so ernsthaft wie möglich. Ihr war klar: Auch, wenn sich ihr jetzt ganz neue Wege offenbarten und sie problemlos in der Lage gewesen wäre, sie zu gehen ... sie würde sich nach wie vor dem Befehl des sie kommandierenden Offiziers unterordnen müssen, sofern dieser nicht auf ihre Vorschläge einging – ein Szenario, das mit absoluter Sicherheit früher oder später eintreten würde. Die unausgesprochen im Raum hängende Frage lautete: Wie würde sie darauf reagieren? Eine Antwort ließ sich nur in den bevorstehenden Missionen finden. Sephiroth hatte, um seine Leute auf die ihnen in Form des Death Walkers bevorstehende Herausforderung vorzubereiten, eine Schulung, die sich ausschließlich Cutters Fähigkeiten widmete, durchgeführt – aber ob dies ausreichte? Der Spannungsfaktor war und blieb ungebrochen. Vor dem General ließ sich Cutter wieder vom Schreibtisch gleiten. „Ich sollte dich nicht länger von der Arbeit abhalten, so gerne ich es auch würde.“ Ein Teil von Sephiroths Selbst hätte nur zu gerne protestiert – aber noch war der sich nun wieder Distanz wünschende Teil dominanter. Und so bestand die Antwort aus einem knappen Nicken. Cutter verabschiedete sich, wandte sich um ... und da waren sie wieder. Zwei einander gegenüberliegende, glühende Punkte in Höhe der Schulterblätter, winzig – aber zweifelsfrei existent. Keine Glühwürmchen. Definitiv nicht. Aber was dann? Sephiroth öffnete den Mund, wollte Cutter zurückrufen, sie danach fragen ... Dann ließ er es sein. Manche Geheimnisse offenbarten sich von selbst. Sie brachen aus der schützenden Schale, sobald sie genug Mut angesammelt hatten sich weiter zu entwickeln, und dieser Zeitpunkt ließ sich nicht erzwingen. Er musste einfach `richtig´ sein. Dieses Geheimnis schien noch von allen Seiten beschützt zu werden, aber Sephiroth wusste: Eines Tages würde die Schale erste Risse aufweisen. Und sein Instinkt sagte ihm ganz deutlich, dass er einer der Ersten –und vielleicht sogar der Einzige - sein würde, der das geschlüpfte Ergebnis zu Gesicht bekam. Vorerst allerdings geschah nichts derartiges. Cutters gab ihr offizielles Debut ohne Probleme, und diesem folgten etliche weitere Missionen, deren Berichte von Sephiroth mit erhöhter Aufmerksamkeit gelesen wurden. Sein ehemaliger Ghost Walker sprühte immer noch vor Begeisterung, aber die neuen Fähigkeiten machten sich auch hier bemerkbar. Früher hätte Cutter niemals einen Befehl in Frage gestellt. Jetzt aber sah sie die Welt mit anderen Augen, konnte neue Möglichkeiten eröffnen und erkannte, wann ihre eigenen Ideen besser waren als die erhaltene Anweisung. Manche der kommandierenden Offiziere nahmen ihren Rat an. Andere hingegen schienen großen Gefallen daran zu haben, die Vorschläge gezielt zu ignorieren. Sich in diesem Moment unterzuordnen fiel Cutter endlos schwer, aber sie riss sich zusammen und befolgte ihre Befehle, auch, wenn sie laut einigen Offizieren dabei wirkte wie eine brennende Zündschnur von ungewisser Länge. Andere Dinge hingegen hatten sich nicht im Geringsten verändert. So fiel es ihr immer noch schwer, sich längere Zeit auf eine Sache zu konzentrieren oder, wenn sie sich ärgerte, überhaupt zu konzentrieren – ein Zustand, der jetzt bei mit der Luna Lance durchgeführte Verwandlungen nicht selten zu verblüffenden Ergebnissen führte. Dazu gehörten eine gigantische Sahnetorte, quietschbunte Luftschlangen, ein Fluss, dessen Wasser sich schlagartig in Lava verwandelte, und ähnliche uneingeplante Dinge mehr. Die sie kommandierenden Offiziere lernten schnell, dass man in Cutters Begleitung mit allen nur erdenklichen Überraschungen rechnen musste, diese aber niemals von bösartiger Natur waren, obwohl die junge Frau problemlos dazu in der Lage gewesen wäre. Dennoch fiel es den meisten Menschen schwer, Cutter ernst zu nehmen, galt sie allgemein doch als zu freundlich und verspielt. Sephiroth ließ seine Freundin gewähren. Er wusste, wie wichtig ihr die Missionen waren, und dass Cutters Interesse an einem erfolgreichen Abschluss ebenso groß war, wie das der anderen Teilnehmer. Sie ging nur andere Wege. Abgesehen davon war sie der Garant für Alternativen zu der so oft von ShinRa ausgeübten Brutalität. Und so war es um sie herum immer ein wenig ... heller, wenn auch nur auf mentaler Ebene und nur für Personen, die dieses Licht sehen wollten. Die meisten wollten nicht. Und so blieben Sephiroth und Zack ihre beiden einzigen Freunde. Cutter störte das nicht weiter. Der jetzige Zustand, speziell der den General betreffend, war mehr, als sie jemals zuvor gehabt hatte, und nichts auf der Welt konnte sie davon abhalten, seine Nähe zu suchen. Und so sehr der General jede einzelne Sekunde genoss, es war, wie er sich irgendwann eingestehen musste, nicht mehr genug. Er wollte mehr Zeit. Mehr Nähe. Aber obwohl er wusste, dass es Cutter ebenso ging, er sah vorerst keine akzeptable Möglichkeit, diesen Zustand zu ändern. Glücklicherweise eröffnete sich eine entsprechende Chance völlig unerwartet, und Sephiroth nutzte sie, obwohl er wusste, wie viel sie über seine Gefühle verraten würde. Die Reaktion war für Cutter absolut typisch. Eben war sie noch friedlich neben ihm hergegangen – jetzt bremste sie ab, verhielt einen Augenblick in völliger Bewegungslosigkeit ... und sprintete hinter ihrem Freund her. „Du meinst das absolut ernst?“, erkundigte sie sich schließlich. „Ich kann deinen Internetlaptop benutzen? In deinem Appartement?“ „Absolut“, antwortete der General ohne von den `Alibipapieren´ in seinen Händen aufzusehen. „Du brauchst bloß meinen Türcode herauszufinden.“ Gleichzeitig musste er daran denken, wie typisch dieses Verhalten für ihn war. Es war ihm nach wie vor unmöglich, etwas einfach nur zu gewähren. Eine gewisse Gegenleistung war unerlässlich. Es besaß Ähnlichkeit mit einem Sicherheitsnetz. Und bewies, wie ausbaufähig sein Können im Bezug auf Vertrauen und Menschen, die er mochte, immer noch war. Cutter aber, daran hatte er keine Zweifel, würde den Code knacken! Und so begab sich der General an diesem Tag früher als gewohnt in sein Appartement, sagte ihm sein Instinkt doch ganz klar, dass die ersten Versuche schon heute Abend stattfinden würden. Er wartete, in einem der bequemen Sessel sitzend und lesend – innerlich jedoch höchst gespannt und auf jedes Geräusch im Flur lauschend. Als ein dreifacher, leiser Piepton den ersten missglückten Versuch verkündete, legte Sephiroth das Buch weg und sah zur Tür hinüber. Einige Sekunden vergingen, dann verriet das Gerät einen zweiten Fehlschlag. Die diesem Geräusch folgende Stille dauerte fast eine Minute. Aber dann piepste die Sicherheitselektronik nur einmal. Sephiroth gestattete sich ein Schmunzeln und beobachtete, wie sich die Tür vorsichtig öffnete, Cutter das Appartement betrat, die Tür hinter sich schloss und zu seinem Sessel hinübertappte. Als ihre Stimme erklang, war die darin liegende Verblüffung nicht zu überhören. „Mein Geburtstag ist dein Türcode?“ „Schon seit deines Verschwindens vor 4 Jahren.“ „Ehrlich?“, murmelte Cutter und lief unwillkürlich hellrot an. „Wow.“ Und dann, um sich aus der Verlegenheit zu retten: „Ich, ähm, ich hole den Laptop her, ja?“ Auf Sephiroths nicken hin setzte sie sich in Bewegung und verglich dabei verstohlen den sich ihr jetzt bietenden Anblick des Appartements mit ihren Erinnerungen. Im Wesentlichen hatte es sich nicht verändert. Noch immer gelangte man von der Eingangstür aus direkt in den großen Wohnbereich, in dem sich der Esstisch mit Stühlen, die schwarzen Ledersessel und gleichfarbige Ledercouch, sowie etliche Schränke befanden. Volle Bücherregale prägten wie früher das Bild - allerdings wirkten diese jetzt relativ unsortiert und so viel lebendiger. Es gab mehre dem gefliesten Boden seinen Krankenhauscharakter nehmende Teppiche, eine Musikanlage mit einem ganzen Haufen CD´s, und unter dem großen Flachbildfernseher ein Regal mit DVD´s, sowie zwei neue Bilder an einer der Wände. Eines von ihnen zeigte den sternenklaren Nachthimmel, das andere eines der seltsamen Fabelwesen, Phoenix genannt, das sich gerade aus einem Aschehaufen erhob. Er hat sich verändert, dachte Cutter. Ganz vorsichtig. Und nur für Eingeweihte ersichtlich. Für alle anderen ist er derselbe geblieben. Ob außer ihm selbst, Zack und mir noch jemand dieses Appartement betreten darf? Ich kann es mir nicht vorstellen ... Und dann diese beiden Bilder. Das eine ist seine Line, klar. Und das andere? Es passt nicht zu ihm. Ist es vielleicht ein Code? Sie hängen genau nebeneinander, also haben sie wohl etwas miteinander zu tun ... Vielleicht sollte ich bei Gelegenheit mal fragen. Sie nahm den Laptop an sich, kehrte zu Sephiroth zurück, und schon bald war außer dem leisen Klicken von über eine Tastatur huschenden Fingern und dem Rascheln von Buchseiten nichts mehr zu hören. Irgendwann hob sich der Blick des Generals über das Buch hinweg und zu der ihm gegenüber sitzenden Cutter. Und einmal mehr wurde dem General klar, wie unaufdringlich sich sein Gast in seine Nähe und dieses Appartement einfügte. Als habe all das hier ebenso geduldig auf sie gewartet, wie er selbst. Und doch war es immer noch nicht genug. Warum ist es nicht genug?! Sie hat den Code zu meinem Appartement. Und wird ihn nutzen, ich bin ganz sicher! Wir werden mehr Zeit miteinander verbringen können. Weshalb bin ich immer noch so ... unzufrieden? Er versuchte, seine Gefühle zu analysieren, und war so in Gedanken versunken, dass er kaum bemerkte, wie Cutter aufstand und den kleinen, an den Wohnbereich angeschlossenen Flur, der zum Badezimmer führte, ansteuerte. Eine Tür schloss sich leise klickend. Und nur wenige Minuten später erklang der Schrei. Es war ein lauter Schrei, der sich durch namenloses Entsetzen und tiefverwurzelte Furcht auszeichnete und dessen Ende in Form eines leisen Wimmerns klang wie: `Ich möchte weglaufen, trau mich aber nicht ... Hilfe?´ Der General ließ seine Gedanken fallen und wandte den Kopf. Seine Phoenix rannte niemals vor etwas davon - warum wollte sie es gerade jetzt tun? Und, viel interessanter, wieso tat sie es nicht? Eine echte Gefahr schloss er aus ... Also warum ein solcher Schrei? Neugierig erhob sich Sephiroth und steuerte das Badezimmer an. Er hatte höflich klopfen und sich nach dem Grund für den Schrei erkundigen wollen. Aber dazu kam es nicht. Die Tür wurde aufgerissen als er nur noch wenige Schritte von ihr entfernt war. Heraus stürmte Cutter, in totaler Panik und dem Schub nach zu urteilen der festen Ansicht, leben oder sterben hinge allein von der Schnelligkeit ihrer Flucht ab. Selbige wurde durch den Aufprall jäh beendet. Und was andere vergeblich versucht hatten, was allgemein für unmöglich galt und – rein theoretisch – nicht umsetzbar war ... Cutter gelang es. Sie holte den großen General Crescent von den Beinen. Dass sie dabei das Gleichgewicht verlor und ebenfalls stürzte, nahm sie kaum wahr. Erst die plötzliche Wärme eines anderen Körpers ließ die schwache Erkenntnis aufkeimen, etwas ... jemand ... völlig Unbeteiligten in die Situation mitgerissen zu haben. Sephiroth waren (zu seinem eigenen Leidwesen) einige Punkte nur zu klar. Erstens hatte er den Geschehnissen nicht die benötigte Aufmerksamkeit zugestanden. Zweitens war er zu entspannt gewesen. Und drittens hatte ihn nur die Wand hinter seinem Rücken – die Wand, nicht seine Reflexe! – davon abgehalten, der Länge nach auf den Boden aufzuschlagen. `Der Punkt geht an dich!´, wollte er seiner Unfallgegnerin mitteilen - nicht vorwurfsvoll, sondern sachlich. Aber er tat es nicht. Cutter so unerwartet in seiner nächsten Nähe zu haben, diese Wärme zu spüren ... und wann hatten sich seine Arme um ihren Körper geschlossen? Er wusste nicht, wann. Nur, dass es so war. Und, dass sich seine eben noch so stark empfundene Unzufriedenheit innerhalb weniger Sekundenbruchteile auflöste. Ah, dachte der General. Das also war es ... Ich wollte dir wieder so nahe sein, wie in deinem Quartier. Eben sah die junge Frau auf, begegnete seinem Blick – und die Panik in ihrem eigenen erlosch. Gleichzeitig spürte Sephiroth in ihr genau dieselben Empfindungen aufsteigen, wie in sich selbst. Es fühlte sich an wie ein sanftes Streicheln, das etwas vorantrieb. Eine Bewegung. Die Bewegung. Aufeinander zu. Es war der erste Kuss nach jener Nacht, in der sie in beidseitigem Einverständnis beschlossen hatten, mehr füreinander zu sein, als jemals zuvor. Entsprechend schüchtern und fragend fühlte sich die Berührung an. Aber schon im zweiten Kuss war die Antwort enthalten. Und der dritte zog sich hin, scheinbar endlos, und wenn sich Sephiroths Augen dabei halb schlossen, dann nur, weil es ihm unmöglich war, etwas dagegen zu tun. Es geschah ganz von selbst, und er war überrascht, wie sehr sich die Intensität des Kusses und das Gefühl, jemand anderen im Arm zu halten, dadurch änderte. Cutters Augen blieben während der ganzen Zeit geschlossen. Gefühl, keine Kontrolle. Vertrauen, kein Zwang. Und als sich ihre Augen letztendlich wieder öffneten, war ihr Blick verschwommen, schien aber dennoch von Innen heraus zu leuchten. „Ich glaube“, wisperte sie, „das mit der Recherche im Internet wird heute nichts mehr.“ „Disziplin, Cutter“, versuchte Sephiroth halbherzig die Prioritäten zu verändern. Aber die junge Frau in seinen Armen schüttelte den Kopf, flüsterte: „Jetzt nicht“ und lehnte sich abermals nach vorne, den Kontakt suchend ... und findend. Jemandem so nahe zu sein, aus freiem Willen und in dem sicheren Bewusstsein, den anderen dadurch auf keine Art und Weise zu verletzen ... Es schien unmöglich. Und wäre, wenn es sich bei diesem `anderen´ nicht um Cutter gehandelt hätte, auch genau das gewesen. Aber es war Cutter. Und so war nichts unmöglich. Jedenfalls momentan. Dennoch konnte Sephiroth sich irgendwann einen bewusst offensichtlichen Blick ins Badezimmer nicht verkneifen. Aber alles sah ruhig und friedlich aus ... „Spinne!“, lautete die Antwort auf seine ungestellte Frage. „Pechschwarze, faustgroße, achtbeinige, achtäugige, haarige Spinne!“ Die junge Frau schüttelte sich heftig. „So eine große hab´ ich noch nie gesehen! Ich dachte, sie frisst mich.“ Das würde ich nicht zulassen, dachte Sephiroth unwillkürlich. Laut aber sagte er nur: „Sehen wir nach.“ „Nur, wenn du vorgehst.“ Sie sah zur Couch hinüber. „Soll ich Masamune holen?“ „Ich glaube nicht“, die Erheiterung in seiner Stimme war unüberhörbar, „dass wir mein Schwert dazu brauchen.“ „Doch, ganz bestimmt!“ Sephiroth schüttelte amüsiert den Kopf, woraufhin Cutter die Hand ausstreckte und behutsam einige der verrutschten silbernen Haarsträhnen an ihren ursprünglichen Platz zurückstreichelte. Es war so schön hier ... Wie nur konnte dieser Zustand noch ein wenig beibehalten werden? „Du wolltest mir erzählen, wie du zu diesem Schwert gekommen bist.“ Sephiroth, der die Taktik natürlich sofort durchschaute, zögerte, lauschte in sich hinein auf der Suche nach Ablehnung oder Zustimmung – und dann rief er die Erinnerung zu sich. Schmunzelte sachte, lehnte den Kopf an die Wand hinter sich und begann mit einer Stimme, die tief in der Vergangenheit weilte, zu erzählen. „Masamune war ... ein Mythos. Eine Legende. Ein Schwert, das in astraler Form im Lebensstrom treiben sollte, auf der Suche nach einem neuen Meister, der Person, die ihm eine neue Form geben und seine gigantischen Kräfte kontrollieren und nutzen konnte, ohne daran zu zerbrechen. Kein Schwertkämpfer auf ganz Gaia hat diese Geschichte nicht mindestens schon einmal gehört und sich vorgestellt, er – oder sie – könne dieser `jemand´ sein. Es gab viele Personen die versucht haben, Masamunes Geist in irgendeinem Schwert einzufangen, und noch mehr, die ein Schwert fanden und für Masamune hielten, weil es sich durch irgendeine Besonderheit auszeichnete. Aber sie hatten alle keinen Erfolg.“ Er machte eine kurze Pause. Selbst für eine redegewandte Person wie ihn war es schwierig, diese Geschichte zu erzählen ohne gewisse Punkte zu berühren, die mit den eigentlichen Vorgängen zwar in Verbindung standen, aber nicht direkt etwas mit ihnen zu tun hatten. Cutter musste nicht zwangsläufig wissen, dass er im Labor geboren und aufgewachsen war. Oder dass Hojo irgendwann begonnen hatte, ihn als `misslungenes Experiment´ zu bezeichnen, ohne jemals die Gründe zu erwähnen, und hinsichtlich des kleinen Jungen jenen Blick an den Tag legte, mit dem er nutzlose Dinge zu entsorgen pflegte. (Irgendetwas musste nicht zum angestrebten Ergebnis geführt haben, und Sephiroth hatte bis zum heutigen Tag nicht herausgefunden, worum es sich hätte handeln können.) Aber um genau darum ging es jetzt nicht. „Damals war Rufus Vater noch der Präsident der Electric Power Company. Er und Hojo kamen zu dem Entschluss, dass ich vielleicht, unter gewissen Bedingungen, Teil von SOLDIER werden könnte, aber sie glaubten nicht, dass ich es sonderlich weit bringen würde.“ (Hier begann Cutter vergnügt zu kichern, sagte aber nichts. Sephiroths schmunzeln verstärkte sich ein wenig.) „Ich war noch ein Teenager, aber nicht wie die anderen. Meine Ausbilder hatten Anweisung, mich wie einen Erwachsenen zu behandeln. Und das taten sie. Ich war gezwungen, extrem schnell zu lernen – und tat es. Speziell im Schwertkampf. Ich habe Unmengen von entsprechenden Büchern gelesen, und so zum ersten mal von Masamune erfahren. Aber für mich war es nur eine alberne Geschichte. Ein Märchen. Ich lebte in der Realität, und war schon nach kürzester Zeit so gut, dass man beschloss, mein Selbstbewusstsein zurechtzustutzen. Und wie tut man das für gewöhnlich bei einem Kämpfer?“ „Man bringt ihn in eine Situation, in der er einfach unterliegen muss?“ „Sehr richtig. Ich war geschickt und schnell, aber noch nicht einmal annähernd so gut wie heute, und mit diesem Monster, das sie mir im Simulatorraum auf den Hals hetzten, schlicht und ergreifend überfordert. Es ließ sich von meinen Attacken nicht eine Sekunde irritieren, meine Treffer richteten nichts aus, und ehe ich wusste wie mir geschah, hatte es mir mehrere Knochen gebrochen.“ Cutter verzog mitfühlend das Gesicht. „Vermutlich“, fuhr Sephiroth fort, „hätte es irgendjemand im Kontrollzentrum verschwinden lassen, bevor es mich hätte töten können. Aber dann gab es einen Kurzschluss, und die Sache geriet außer Kontrolle.“ Cutter schloss die Augen, ließ die dunkle Stimme Bilder direkt in ihren Kopf transportieren. Und sie sah es vor sich, als sei sie selbst dabei gewesen. Das brüllende Monster direkt vor einem Teenager mit silbernen Haaren, der sich trotz seiner schweren Verletzungen noch auf den Beinen hielt, das abgebrochene Schwert in der linken Hand und innerlich förmlich verbrennend vor Wut über die drohende Niederlage. Die nächste Attacke des Monsters. Das aus der Hand des Jungen fallende Schwert. Und dann, völlig unvermittelt, der Riss in Raum und Zeit. Pure Energie, die sich in die Hand des Teenagers schmiegte wie etwas, das endlich Nachhause zurückgekommen war, umhüllt von züngelnden Energieverästelungen innerhalb einer Sekunde Form annahm und sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder mit einem Willen synchronisierte. „Ich wusste nicht sofort, dass es Masamune war. Es war eine Waffe. Nur das zählte. Ein paar Sekunden später war das Monster erledigt. Der Simulatorraum übrigens ebenfalls. Man hat Wochen gebraucht, um ihn wieder zu reparieren. Ich aber war gänzlich unerwartet im Besitz eines der legendärsten Schwerter der Welt.“ Cutter öffnete die Augen wieder. „Warst du erschrocken?“ „Es hat sich mehr wie ein `Na endlich!´ angefühlt. Als ob wir uns nur wiedersehen würden. Aber leicht hat Masamune es mir nicht gemacht. Über 99 % allen Wissens über diese Waffe ist ...“, er hielt inne, suchte nach Worten und entschied sich schließlich augenrollend für ein verächtliches: „... völliger Schwachsinn. Es ist nur eine Handvoll Wahrheit übriggeblieben. Unter anderem, dass Masamune einen eigenen Willen hat. Es will beherrscht werden ohne sich zu unterwerfen. Nur so kann es seine ganze Kraft entfalten. Außerdem war es vom Äußeren her noch nicht ganz so charismatisch, wie heute. Wir haben uns parallel zueinander weiter entwickelt. Unsere Formen gefestigt. Heute kenne ich alle Geheimnisse und alle Kräfte dieses Schwertes. Und doch weiß ich: Wenn mein Wille eines Tages nachlassen sollte, wird es mich wieder verlassen und sich einen neuen Herrn suchen. Aber bis es soweit ist, sind wir Eins.“ Cutter schwieg einen Augenblick, dachte über das Gehörte nach und schließlich ... „Ihr passt zueinander. Vielleicht klingt das jetzt total blöd, aber ich glaube, Masamune wird nie wieder einen besseren Besitzer haben, als dich.“ Ihre Worte beschworen tief in Sephiroth ein seltsames Gefühl herauf. Es war so selten und fremd, dass der General einen Moment brauchte, um es zu definieren. Verlegenheit ... Und der Wunsch, wieder ein wenig mehr Distanz zwischen sich und das so warme Lebewesen in seinen Armen zu bringen. „Sehen wir uns deine Spinne an?“ „Nur, wenn du vorgehst!“ Sie kamen wieder auf die Beine, und Cutter ging augenblicklich hinter ihrem Freund in Deckung, krallte die Hände in sein Hemd und murrte: „Ich hasse Spinnen! Ich sehe ein, dass es Tiere geben muss, die all das Ungeziefer fressen – aber hätte die Natur sie nicht ein bisschen niedlicher ausstatten können? Mit lustigen Punkten irgendwo? Oder Streifen? Die Biester haben acht Augen. Acht! Und genauso viele Beine! Und sie können sich lautlos von oben auf einen abseilen und einen beißen, oder zu Tode erschrecken, oder ... oder ... Ich hasse Spinnen!“ Sephiroth schnaubte immer noch sehr erheitert, betrat furchtlos das Badezimmer, sah sich suchend um - und entdeckte den ungebetenen Gast. Er (oder sie) saß friedlich im unteren Bereich einer Wand und lauerte auf Beute, die wesentlich kleiner war als Cutter. Der General warf einen mahnenden Blick über die Schulter. „Ich gebe zu, es handelt sich um ein ausgesprochen gut entwickeltes Exemplar, aber mit ein wenig Selbstdisziplin könntest du deine diesbezüglich Furcht überwinden.“ „Ich habe sonst vor nichts Angst!“, protestierte die sich immer noch hinter ihm versteckende Cutter. „Vor einer Sache darf ich schreiend weglaufen, ganz bestimmt!“ Sephiroth hätte eine ernsthafte Diskussion beginnen können. Aber wenn er ehrlich war musste er zugeben, dass auch er `Spinnen´ fürchtete. Nur, dass seine einen weißen Laborkittel trugen. Und so öffnete er das Fenster, scheuchte das Tier nach draußen und schloss das Fenster wieder. Cutter schüttelte sich heftig. „Brrrr ... Was für ein widerliches Vieh!“ Und dann: „Sephy?“ Sephiroth verzog keine Miene. Die Abänderung seines Namens vor einigen Tagen war also doch kein Zufall gewesen. Aber wie sollte er jetzt darauf reagieren? Letztendlich hatte er es sich gestattet, sich an Zacks `Seph´ zu gewöhnen. Aber `Sephy´?! Das klang nicht mal respektlos. Sondern einfach nur ... niedlich! Und wenn er etwas zweifelsfrei nicht war, dann das! Aber wohnten Namen nicht immer auch gewisse Bedeutungen inne? Und waren nicht manche dieser Bedeutungen ausschließlich Eingeweihten bekannt? Vielleicht hilft mir diese Name, nicht zu vergessen, dass ich, manche Punkte betreffend, mehr und anders sein kann als bisher. Außerdem glaube ich nicht, dass Cutter ihn jemals in der Öffentlichkeit benutzen wird. Es wird etwas sein, das nur uns gehört ... Und so wandte er nur als Zeichen seiner Zustimmung und uneingeschränkten Aufmerksamkeit leicht den Kopf in ihre Richtung. „Tut mir leid“, fuhr Cutter fort, „dass ich dich umgerannt habe.“ Sephiroth schmunzelte. „Mir nicht.“ „Dann darf ich dich öfter umrennen?“ „Nur, wenn wir allein sind.“ „Ich schätze“, lachte Cutter, „das lässt sich einrichten.“ Und vielleicht, fügte sie in Gedanken hinzu, darf ich dich irgendwann sogar küssen, ohne dich vorher umzuwerfen. Sie kehrten zu Couch, Sesseln, Buch und Laptop zurück, und dann wurde es abermals äußerst ruhig in dem großen Appartement. Bis Cutter den Deckel des Gerätes irgendwann sichtbar zufrieden zuklappte. Wenige Sekunden später gelang es ihr nicht ganz, ein gähnen zu unterdrücken. Gleichzeitig aber schüttelte sie heftig den Kopf. „Das war nur ein Versehen. Ehrlich, ich bin hellwach!“ „Tatsächlich?“ „Hmhm. Absolut ... und total ... wach.“ Sephiroth beobachtete seine mit ihrer Müdigkeit kämpfende Freundin einige Sekunden lang schweigend. Aber letztendlich ... „Cutter, geh ins Bett.“ „Will nicht. Weil ... mein Bett steht in meinem Quartier – was nicht hier ist – und du wirst bestimmt nicht mitkommen. Oder mich in deinem Bett schlafen lassen. Oder?“ Sephiroth schmunzelte. „Nein. Gute Nacht, Cutter.“ „Na schön. `Gute Nacht, Cutter.´“ Sie erhob sich, streifte die Schuhe über, hielt inne und sah zu ihm hinüber. So gerne sie ihn zum Abschied noch einmal gedrückt hätte, sie wusste, dass es für heute genug Berührungen gewesen waren. „Gute Nacht, Sephy. Bis morgen.“ Sie öffnete die Tür, huschte nach draußen und zog die Tür hinter sich zu. Etwa drei Sekunden blieb alles still. Dann piepte es leise, und die Tür öffnete sich ein weiteres Mal. Cutter schob den Kopf durch den Spalt und grinste in Sephiroths Richtung. „Ich hab jetzt deinen Türcode. Ich komme wieder!“ „Versprochen?“ „Versprochen!“ Die Tür schloss sich abermals, und diesmal blieb sie geschlossen. Sephiroth wartete noch ein paar Minuten – dann schüttelte er Entspannung und Friedfertigkeit ab und griff, wie um dies zu verdeutlichen, nach Masamune. Jetzt, wo fast alle Menschen in Midgar schliefen, hatte er noch eine Solomission zu absolvieren. Schon wenige Minuten später bewegte er sich weit vom ShinRa HQ entfernt über die Dächer vorwärts, so unauffällig und lautlos wie jeder, dessen Ziel es war Dinge herauszufinden, die nicht herausgefunden werden wollten. Es gab keinen Befehl, keine Mitwisser, keine Aufpasser. Nur seinen Instinkt. Und seine Neugier! Irgendwann erreichte er sein Ziel und verhielt dort, verborgen im tiefsten Schatten, und beobachtete die Vorgänge hinter einem immer noch hell erleuchteten Fenster. Furcht schien nach wie vor kein Thema für den Mann in dem trügerisch kleinen Büro zu sein. Dabei, dachte Sephiroth, haben die Turks erst vorgestern zwei seiner Autos mitsamt Fahrern in die Luft gejagt. Er weiß, dass wir auf ihn aufmerksam geworden sind. Trotzdem verhält er sich bemerkenswert uninteressiert. Was auf seine Homepageangaben zurückzuführen dürfte. Und auf seinem Schreibtisch liegt bereits wieder ein ganzer Stapel neuer Aufträge. Die Grenze zwischen `mutig´ und `dumm´ ist so dünn, dass man eine Überquerung manchmal kaum wahrnimmt ... Der General verbrachte einige Zeit mit der Observation des Mannes in dem kleinen Büro, ehe er sich auf den Rückweg zum ShinRa HQ machte. Ob die Turks wohl schon wussten, wie wenig erfolgreich ihre Zurechtweisung gewesen war? Wie lange Rufus Shinra noch warten würde, bis er sie zum gezielten Töten dieses Mannes ausschickte? Und ob sie erfolgreich sein würden? Bei den vorliegenden Informationen? Nicht, dass Sephiroth diesen auch nur eine Sekunde lang geglaubt hätte – aber die Situation war dennoch höchst interessant. Zu interessant, um sie aus den Augen zu verlieren. Allerdings mussten parallel dazu auch andere Dinge stattfinden. Die morgige Mission in Midgar zum Beispiel. An der, unter der Führung des Generals, auch Cutter teilnehmen würde, und so sehr er ein erfolgreiches Ende des Einsatzes in den Vordergrund stellte, so nahm er doch auch Freude über die zusätzliche Zeit mit ihr wahr – auch, wenn es mit Sicherheit nicht so wie heute Abend werden würde. Der heutige Abend ... Niemals zuvor hatte Sephiroth etwas Ähnliches erlebt. Cutter zu küssen ... von ihr geküsst zu werden ... Ein Gefühl, als würde man fliegen. Ob es sich immer so anfühlte? Und ob es sich wiederholen ließ? Vielleicht sogar ein wenig länger? Wenn ... Diesmal glich das Einsetzen der Kopfschmerzen mehreren heftigen Detonationen, ließen den General flüchtig zusammenzucken ... aber nur eine Sekunde später gewann er die Kontrolle zurück. Atmete tief durch. Lauschte in sich hinein. Aber jetzt war wieder alles still. Er schüttelte den Kopf, murmelte: „Ich brauche mehr Schlaf!“, und betrat sein Appartement. Missionen besaßen stets zwei Enden: Ein offizielles im ShinRa HQ und ein inoffizielles, das für gewöhnlich griff, sobald die eigentliche Arbeit erledigt war. Selbiges erlebte Sephiroth gerade einmal mehr mit, und da es gerade wirklich nichts zu tun gab, suchte er mit dem Blick nach seiner Phoenix. Sie hatte sich gut geschlagen – jetzt allerdings war sie spurlos (und ohne Genehmigung) verschwunden. Der General gestattete sich ein leises Seufzen, sandte den Ruf aus, folgte dessen Echo und fand sein Ziel einige Schritte von der eigentlichen Truppe entfernt in einer Sackgasse, den Rücken zu ihm gewandt und überdeutlich nicht gefasst auf einen dezenten Hinweis bezüglich seiner Präsenz. „Wie lautet die offizielle Bezeichnung für das gerade von dir ausgeübte Verhalten?“ Cutter zuckte erschrocken zusammen, wandte den Kopf und antwortete verlegen: „Unerlaubtes Entfernen von der Truppe.“ Dann aber, wesentlich selbstsicherer und grinsend: „Weißt du, Sir, Katzen kriegen ein Glöckchen umgehängt, damit sie sich nicht unbemerkt anschleichen können.“ „Und ungehorsame Death Walker einen scharfen Verweis. Der hiermit erfolgt ist. Was tust du hier?“ „Einer Line nachgehen.“ Sie trat zur Seite. Sephiroth reicht ein einziger Blick auf die bisher versperrte Ansicht um zu wissen, was er vor sich hatte. Aber wusste Cutter das auch? „Es sieht aus“, antwortete sie auf seine Frage, „wie eine verplombte Leitung. Irgendjemand hat sich von der Makoenergie gelöst, aber das macht überhaupt keinen Sinn, weil es keinerlei Ersatz gibt. Es sei denn, man steht generell auf Kälte und rohes Essen.“ „Sehr richtig. Würdest du sagen, hierbei handelt es sich um das Werk eines Profis?“ „Sieht ziemlich professionell aus, ja.“ „Und es hat eine eigene Line?“ Cutter nickte. Innerlich hätte sich Sephiroth ohrfeigen können, hatte er die Lines doch einmal mehr unterschätzt. Aber jetzt ... „Gerüchten zufolge ist das nicht die einzige verplombte Leitung innerhalb Midgars. Ich möchte, dass du sie zählst.“ „Ok. Mh, Moment! Nur zählen? Oder willst du auch wissen, wohin die Leitung führt?“ Sephiroth sagte kein Wort. Er sah Cutter nur an. Bis diese leise sagte: „Zählen kann ich sie. Aber ich werde dir nicht sagen, wohin sie führen. Denn wenn ich das mache, hat ShinRa eine Todesliste, und dann werden garantiert viele, viele Menschen sterben.“ „Cutter“, die Stimme des Generals klang fast sanft, „wenn ich dir befehle, mir eine solche Todesliste anzufertigen, erwarte ich eine exakte Ausführung meiner Anweisung. Habe ich etwas Derartiges von dir verlangt?“ „Nein, aber . . .“ „Zähl die Lines, bring mir das Ergebnis ins Büro, und jetzt geh zurück zur Truppe!“ Cutter wusste, wie wenig Spaß Sephiroth bei seinen Befehlen verstand und setzte sich widerspruchslos, aber erleichtert in Bewegung. Der General blieb allein mit der verplombten Leitung zurück und betrachtete diese finster. Schon sehr bald würde er eine genaue Zahl haben, nicht länger bloß Vermutungen und Befürchtungen. Seinem Befehl wurde entsprochen. Die gelieferte Zahl übertraf seine Erwartungen, war aber geringer als seine Befürchtungen. „Verrätst du mir, was ich dir gerade verraten habe?“, erkundigte sich Cutter leise. Wie üblich saß sie auf dem Rand des Schreibtisches, baumelte aber diesmal nicht mit den Beinen. Vielmehr strahlte sie Nachdenklichkeit aus. Und ein wenig Angst. Gerade Klarheit geschaffen zu haben, ohne genau zu wissen, worüber ... Sephiroth konnte es nachvollziehen. „Bist du über die aktuellen Gerüchte innerhalb Midgars auf dem Laufenden?“ „Nein. Habe mich nie für so was interessiert.“ „Du solltest damit anfangen. Und ganz besonders gut zuhören, wenn ein bestimmter Name fällt. Er lautet: Hiwako Destin.“ „Hiwako Destin“, wiederholte Cutter, dachte einen Augenblick lang nach und schüttelte schließlich den Kopf. „Nie gehört. Wer ist das?“ „Jemand der ernsthaft glaubt, ShinRa nicht nur Steine, sondern ganze Gebirgszüge in den Weg stellen zu können.“ Er zog einen Gegenstand aus einer der Schreibtischschubladen und reichte ihn zu Cutter hinüber. „Weißt du, was das ist?“ Die junge Frau griff danach. Das Objekt sah aus wie eine rechteckige, dünne Platte, schwarz, verspiegelt, sehr leicht und glänzend. Aber nicht einmal die entsprechende Line gab Aufschluss über den letztendlichen Zweck. „Halt es ins Sonnenlicht“, wies Sephiroth an. Cutter tat genau das. „Es wird warm“, sagte sie irgendwann verblüfft. „Und wie!“ „Was würdest du sagen, wenn ich dir sage, dass diese Plättchen an allen nur erdenklichen Orten in ganz Midgar versteckt und in der Lage sind, Sonnenlicht zu speichern und in Energie umzuwandeln, die kostengünstiger und leichter zu beschaffen ist als Makoenergie?“ „Ich würde `Was?!´ sagen. Und dann `Wow!´. Und `Ernsthaft?´ Und `Dann steckt hinter jeder verplombten Makoleitung jemand, der seine Energie schon auf diese Art und Weise bezieht?´“ „Hinter jeder Einzelnen.“ Cutter schwieg einen Augenblick. Es war schon seltsam, wie die weitergeleitete Zahl auf einmal eine Bühne bekam, auf der sie agieren konnte. „Und ich verrate dir noch etwas“, fuhr Sephiroth fort. „Die Midgar betreffenden Makoverbrauchszahlen sind gesunken.“ Cutter bedachte ihn mit einem verblüfften Blick, dann sah sie wieder zu dem schlagartig gar nicht mehr so harmlos aussehenden Plättchen in ihrer Hand. Dieses kleine Ding war in der Lage ...?! „Ich glaube, Rufus wird alt“, sagte sie schließlich staubtrocken. Sephiroth stieß einen amüsierten Laut aus. „Rufus wusste bis vor kurzem nichts hiervon. Ich hingegen beobachte diese Sache schon seit Wochen. Was du da in den Händen hältst, nennt sich `Solarplatte´ oder auch `Sonnenkollektor´. Der Name der Firma, die sie anbringt, lautet `Solar Solution´. Und Hiwako ist der Chef höchstpersönlich.“ „Warum hat Rufus ihn nicht längst erschießen lassen? Oder es selbst getan? Darin ist er doch so unglaublich gut. Speziell, wenn es sich bei seinen Opfern um unbewaffnete Personen wie Mütter mit kleinen Kindern handelt. Oder Teenager.“ In den letzten beiden Sätzen klang unüberhörbare Gehässigkeit mit. „Zu Frage 1: Weil er sich momentan etwas zu langweilen scheint und spielen möchte, weshalb er die Turks bisher lediglich einen Warnschuss hat abgeben lassen. Und zu Frage 2: Weil er sich nur selbst die Hände schmutzig macht, wenn es nicht anders geht. Im übrigen möchte ich dir raten, deinen Arbeitgeber nicht zu unterschätzen. Er ist äußerst mächtig – auch, wenn er eine Line besitzt. Und, verlass dich drauf, Rufus Shinra ist in der Lage, alles töten! Einige Leute, unter ihnen auch Hiwako Destin, sind der festen Ansicht, er sei dabei, diesen Planeten zu Tode zu quälen.“ „Die Makoreaktoren“, sagte Cutter leise und Sephiroth nickte. „Und dieser Hiwako glaubt, er kann das stoppen. Obwohl er weiß, dass ShinRa auf ihn aufmerksam geworden ist. Was macht ihn da so sicher?“ Die Antwort des Generals kam mit völliger Gelassenheit. „Er kann nicht sterben.“ „Was?!“ „Jedenfalls glaubt er das. Den Angaben auf seiner Homepage zufolge hat er bereits mehrere Unfälle hinter sich, die absolut tödlich hätten verlaufen müssen. Aber er hat sie alle überlebt. Im Klartext: Dieser Mann hält sich für den vom Planeten ausgewählten Retter, der ShinRa vernichten soll.“ Cutter schwieg einen Moment und kommentierte schließlich: „An Selbstvertrauen scheint es ihm jedenfalls nicht zu mangeln.“ „An Dummheit, ganz offensichtlich, ebenfalls nicht.“ „Da gibt es noch etwas, das ich nicht verstehe. Du sagst, die ganze Stadt sei voll von diesen Reflektoren und den verplombten Leitungen. Aber wie konnten die unbemerkt angebracht werden?“ „Wir waren eine Weile ... abgelenkt.“ Cutter runzelte die Stirn. Was hätte die ständig durch die Stadt patrouillierenden Truppen ShinRa´s derartig ablenken können? Es musste eine ziemlich große Sache gewesen sein, etwas, das SOLDIER und Army gleichermaßen beschäftigte, etwas wie ... „Wutai?“ „Hiwako und Lord Godo sind Halbgeschwister. Sie haben diesen Plan gemeinsam ausgearbeitet. Der eine lenkt unsere Aufmerksamkeit und den Hauptteil der Truppen auf Wutai, und der andere nistet sich in Midgar ein, wirbt heimlich für sein Unternehmen, gewinnt Kunden, platziert die Sonnenkollektoren, verplombt die Leitungen ... Alles vor unseren Augen und von uns völlig unbemerkt. Bis die Makoverbrauchszahlen fielen.“ „Oh weia!“, flüsterte Cutter, aber mehr amüsiert als schockiert. „Und jetzt befinden wir uns in einer wenig vorteilhaften Lage, denn Midgar bietet ca. 10 Millionen guter Verstecke für diese in allen nur erdenklichen Größen existierenden Kollektoren. Oder besser ...“ er lehnte sich völlig entspannt zurück und lächelte der jungen, jetzt wieder auf der Kante seines Schreibtisches sitzenden Frau zu, „wir befanden uns in dieser Situation.“ Cutter deutete auf die Bürotür. „Mir fällt gerade ein, dass ich was furchtbar Wichtiges zu erledigen . . .“ „Hier geblieben!“ Er lehnte sich wieder nach vorne und sah zu Cutter auf. „Warum glaubst du, erzähle ich dir all das, und was denkst du, möchte ich von dir?“ „Damit ich informiert bin? Und ich hoffe, du willst nichts.“ „`Ja´ zum Ersten, `Nein´ zum Zweiten. Cutter, ich möchte vor allen Dingen, dass du dich weiterhin völlig unwissend gibst, denn manche der dir genannten Details sind ausschließlich mir bekannt.“ Gleichzeitig musste er innerlich über sich selbst den Kopf schütteln. Ich habe keine Probleme, ihre diese höchst sensiblen Informationen anzuvertrauen, war aber nicht in der Lage, ihr einfach so den Code zu meinem Appartement zu geben. Wirklich, ich habe eine seltsame Art, ihr mein Vertrauen mitzuteilen. „Dazu kommt: Wir hatten seit über 3 Jahren keinen Blue Wanderer mehr in unseren Reihen, und so hilfreich eure Fähigkeiten waren, Menschen neigen zu Vergesslichkeit bezüglich Dingen, die nicht von ihnen gesehen werden können oder mit denen sie nicht in anderer Form regelmäßig konfrontiert werden. Und dazu gehören auch die Lines. Aber Rufus Shinra hat sie nicht vergessen. Und er ist dabei, sich ein sehr genaues Bild deiner Fähigkeiten zu machen. Wenn er genug weiß und alles andere versagt oder zu versagen droht, wird er dich rufen lassen und mit deinen Fähigkeiten seinen Willen durchsetzen. Gnadenlos!“ „Ich weiß“, sagte Cutter leise. „Aber ist es nicht absurd? Jemandem zu gehorchen, der viel schwächer ist als man selbst?“ „Rufus Shinra ist nicht schwach. Er verfügt über Kräfte und Methoden, die einen Menschen im Handumdrehen gefügig machen können. Gib dich nicht der Illusion hin, stärker als dieser Mann zu sein.“ „Aber er hat eine Line! Ich kann ...“ Der General hatte mit einem ähnlichen Wortwechsel früher oder später gerechnet, und ihm war völlig klar gewesen, für eine der beiden Seiten Partei ergreifen zu müssen. Natürlich besaß Rufus Shinra eine Line, die manipuliert werden konnte. Aber dieser Mann hütete zusammen mit Hojo alle Geheimnisse bezüglich Sephiroths Existenz! Und würde sie nur lebend preisgeben können. Was, so sehr sich Sephiroth auch innerlich sträubte, bedeutete, dass er Rufus (bis er ihn irgendwie zum Reden bringen konnte) beschützen würde. Vor allen Gefahren! Auch vor Cutter. Und so schüttelte er den Kopf. „Death Walker Cutter Tzimmek, du wirst dich von Rufus Shinra´s Line fern halten! Das ist ein Befehl!“ „Ja, Sir“, murmelte Cutter in eine Mischung aus Entrüstung, Enttäuschung und Verständnislosigkeit. So klar die Situation für ihre Augen war, ihr kommandierender Offizier schien das anders zu sehen. Aber er, dachte die junge Frau, kennt Rufus Shinra schon viel länger als ich. Er weiß mehr. Vielleicht sehe ich die Dinge doch etwas zu einfach ... Ich sollte ihm einfach vertrauen. Und tun, was er sagt. Und so nickte sie, trat ans Fenster und hielt den Kollektor abermals ins Licht der Sonne. Die erwachende Wärme in ihrer Hand erinnerte sie unwillkürlich an den gestrigen Abend. Diese Nähe zwischen Sephiroth und ihr war so unerwartet gekommen. Fast unschuldig. Und alles wegen dieser verflixten Spinne! Aber es war schön gewesen. Etwas, worin man förmlich hätte versinken können, für immer, und ohne Reue. Ob es sich wiederholen ließ? Sie warf einen fast vorsichtigen Blick über die Schulter. Sephiroth hatte sich in den vor ihm liegenden Antrag vertieft. Aber das war nicht wichtig. Nur, dass er da war, direkt vor ihr, und dass sie allein waren ... Cutter setzte sich ohne nachzudenken wie magisch angezogen in Bewegung, beugte sich ohne jegliche böse Absicht nach vorne, auf der Suche nach dem Gefühl des gestrigen Abends ... Der Kontakt bestand erst für einen Sekundenbruchteil, als die Reaktion erfolgte. Und es war nicht die erwartete. Die Hand des Generals glich dem weit geöffneten Maul einer nach vorne schnellenden Schlange. Sie benötigte nur die Dauer eines Wimpernschlages, um Cutters Nacken mit brutaler Härte zu umschließen und zuzudrücken, jegliche Bewegung unterbindend. Und Cutter erstarrte in grenzenloser, urplötzlicher Anspannung, gefangen in dem sicheren Bewusstsein, dass die nächste falsche Bewegung ihre letzte sein würde. Für etliche endlos scheinende Sekunden bewegte keiner der beiden einen Muskel. Und dann, einem Urinstinkt folgend, entspannte sich Cutter und begann wieder zu atmen, ruhig und gleichmäßig, völlige Friedfertigkeit demonstrierend. Es dauerte noch einige Sekunden. Aber dann löste sich die Hand von ihrem Nacken – allerdings auf eine Art und Weise, welche die Bereitschaft, sofort wieder zuzupacken, überdeutlich verriet. Es war eine Chance. Die durch langsames Aufrichten und behutsames Zurückweichen genutzt wurde. Dennoch folgte der zu gleichen Teilen wachsame wie eisige Blick des Generals jeder Bewegung – auch als Cutter begann, sich den schmerzenden Nacken zu reiben. Dennoch war sie nicht weit zurückgewichen. Und als sie sprach, haftete ihrer Stimme nichts Vorwurfsvolles an. Nur Nachdenklichkeit. „Weißt du, für einen Moment habe ich gedacht du brichst mir das Genick.“ „Für einen Moment“, antwortete Sephiroth auf dieselbe Art und Weise, „hatte ich das auch vor.“ Und dann bekam das Eis in seinem Blick einen deutlich sichtbaren Sprung und schmolz. Der normale Augenausdruck kam zurück. Und mit ihm etwas, das undeutbar blieb, bis die dunkle Stimme wieder erklang. „Genau das meinte ich, als ich sagte, eines Tages würde ich vielleicht wieder versuchen, dich zu töten, und dass du in meiner Nähe nicht sicher seiest.“ Aber zu seiner Überraschung schüttelte Cutter heftig den Kopf. „Das hier war ganz allein meine Schuld! Ich hätte dich nicht so überfallen dürfen, noch dazu von hinten. Ich muss für einen Moment völlig wahnsinnig gewesen sein. Ich meine, du bist . . .“ „Ein Killer. Der es noch nicht geschafft hat, seinen Reflexen beizubringen, dass für dich andere Regeln gelten.“ „ ... nicht gewohnt an diese Sachen“, vollendete Cutter ihren Satz sanft. „Genauso wenig wie ich.“ Und dann, völlig unerwartet grinsend: „Wir müssen noch viel übereinander lernen.“ Sephiroth sah zu ihr hinüber. Niemals zuvor war er in einer ähnlichen Situation gewesen, aber er wusste: Jede andere an Cutters Stelle wäre aus seinem Büro geflüchtet, sofern er sie nicht schon vorher bei einem Befreiungsversuch ihrerseits getötet hätte. Aber Cutter hatte sich schon wieder etwas näher zu ihm geschoben. Und zeigte dabei nicht den Hauch von Furcht. „Also!“, sagte sie eben munter. „Keine Überfälle mehr von hinten.“ „Bessere Reflexkontrolle.“ Es sollte so beherrscht klingen wie immer. Aber etwas in seiner Stimme flackerte. Und bevor er die Hoffnung, es möge unbemerkt geblieben sein, in einem Gedanken zusammenfassen konnte, erklang abermals Cutters Stimme. Leise. Aber dennoch sicher. Wie der sich in die Felswand grabende Sicherheitshaken eines Bergsteigers. „Wir schaffen das, Sephy! Irgendwann können wir einander ganz genau einschätzen, und dann wird so etwas nicht mehr passieren.“ Sephiroth wusste nicht, woher. Aber er fand die Kraft, zu nicken. Wenige Sekunden später klingelte das Telefon und Cutter, die wusste dass ca. 99,9999999 % der hier ankommenden Informationen nicht für ihre Ohren bestimmt waren, bedeutete, dass es Zeit zum Verschwinden war und verließ den Raum. Das Gespräch war weder wichtig, noch dauerte es lange, und so legte der General das Telefon schon bald wieder zur Seite und ließ den Kopf auf die am Rand der Schreibtischplatte liegenden Arme sinken. Schloss die Augen. Phoenix, dachte er, weshalb kannst du so sein? So vertrauensvoll. Du siehst Dinge in mir, die ich selbst nicht sehe. Trotzdem, wenn ich an gestern Abend denke ... Sie scheinen da zu sein. Aber ich habe das Gefühl, als würden sie überlagert und blockiert durch so viel ... Vergangenheit und Gegenwart. Und ich weiß nicht, ob ich stark genug bin, mich von ihr zu befreien ... Auf dem Flur, mitten im dichtesten Gedränge, war Cutter einfach stehen geblieben. Ihr war völlig klar, wie knapp sie gerade in Sephiroths Büro mit dem Leben davongekommen war. Trotzdem empfand sie weder Wut, noch Angst. Nur den Wunsch, ihn nicht noch einmal in eine seinen sonstigen Handlungen so zu wiedersprechende Lage zu bringen. Selbstdisziplin war mit Sicherheit ein guter Anfang – aber bestimmt nur ein Schritt auf einem Weg von unbestimmter Länge. Also ... was noch? „Üben“, murmelte die junge Frau. „Üben, üben und nochmals üben.“ Aber wie? Etliche Minuten vergingen in angestrengten Überlegungen, und dann, mit der Klarheit eines Blitzschlages in finsterster Nacht, wusste sie es. Die Idee zauberte ein breites Grinsen auf ihr Gesicht – und setzte sie augenblicklich in Bewegung, direkt in ihr Quartier, wo sie unverzüglich nach Papier und Stift griff und zu schreiben begann. Es dauerte einige Zeit. Aber irgendwann war der DIN A 4 Zettel beidseitig beschriftet. ShinRa´s einziger Death Walker, der seinem Namen aktuell überhaupt keine Ehre machte (und das einmal mehr mit voller Absicht) ließ sich zurücksinken, betrachtete zufrieden das Ergebnis ihrer Arbeit und schmunzelte. Sephy konnte sich auf etwas gefasst machen! Kapitel 42: Die Stimme des Planeten ----------------------------------- Was Cutter in der Stille ihres Quartiers erstellte, war eine Liste. Eine Liste mit Möglichkeiten, Sephiroth zu berühren, unterteilt in die Kategorien `leicht´, `mittel´ und `schwer´. Offensichtliche Dinge, wie küssen (natürlich erst nach entsprechender Ankündigung), gehörten zu den Aufzählungen. Aber auch Berührungen, die nur kurz anhielten. Wie zufällig. Oder aus Schusseligkeit. Wenn sie im Flur nebeneinander her gingen, Missionen zusammen durchführten, sich in seinem Büro oder seinem Appartement aufhielten ... Viele kleine Möglichkeiten, ihn vorsichtig an ihre Berührungen, ihre Nähe zu gewöhnen, und dass nichts daran bedrohlich war, auch, wenn es unvermittelt erfolgte. Schon am nächsten Tag begann sie mit der vorsichtigen Umsetzung, erhielt keine Gegenwehr, setzte ihren Plan auch an den folgenden Tagen in die Tat um – und ihr Freund, der sonst alles durchschaute, schien nicht zu bemerken, was tatsächlich vor sich ging. Möglicherweise aber hatte er auch von Anfang an begriffen und nutzte all die Berührungen, um seine Reflexkontrolle noch besser auszubauen. Cutter wusste nicht genau, woran sie war, bemerkte aber nach einiger Zeit, dass er auf offensichtliche, relativ unvermittelte Berührungen nicht mehr ganz so angespannt wie früher reagierte. Und so war klar, auf welchem Weg sie waren. Dem richtigen. Cutter versuchte, sich im Stillen darüber zu freuen, aber ihr war nicht klar, welcher Ausdruck dabei in ihren Augen lag. Und, dass Sephiroth diesen natürlich längst bemerkt hatte und dabei war, entsprechende Schlüsse zu ziehen ... Aber all das änderte nichts an den sonstigen Vorgängen des ShinRa Universums, in Midgar und nicht zuletzt auch an dem neuen Gegner, der den Horizont längst verlassen hatte und langsam, aber äußerst zielgerichtet auf die Electric Power Company zusteuerten. Rufus Shinra, Präsident der mächtigen Electric Power Company, schaltete das Licht in seinem Büro niemals aus. Es sollte den Bürgern Midgars seine ständige Präsenz verdeutlichen. Destin Hiwako, Chef des kleinen Unternehmens `Solar Solution´ schaltete das Licht in seinem Büro aus, sobald er das Gefühl hatte, es mit der Präsenz etwas zu übertreiben. Die Bewohner Midgars wussten auch so, wo er sich befand. Rufus Shinra hielt Schlaf für die zeitraubendste Sache überhaupt. Destin Hiwako war ein Langschläfer. Rufus Shinra hatte sein Imperium auf Macht und Angst gebaut. Destin Hiwako hätte seine Strategie sofort geändert, wenn die Leute aus Angst zu ihm gekommen wären. Außerdem war `Solar Solution´ noch weit davon entfernt, ein Imperium zu sein. Irgendwann war er einmal gefragt worden, ob er entsprechende Pläne verfolgte. Destin war in schallendes Gelächter ausgebrochen, hatte Kaffee spendiert und versichert, nur den Planeten retten zu wollen. Rufus Shinra wäre eher 12 Stunden schlafen gegangen, statt jemals irgendjemanden mit etwas so lächerlichem wie `Argumenten´ zu überzeugen. Destin Hiwako hatte sich ganze Nächte um die Ohren geschlagen, um Argumente zu finden, die gut genug waren, um die skeptischen und ängstlichen Bewohner Midgars von seinem Plan zu überzeugen. Rufus Shinra hatte niemals irgendjemanden gefragt, ob die Makoenergie gewünscht wurde. Die Reaktoren saugten das Rohmaterial aus dem Planeten, wandelten es in Energie um und jagten es durch Leitungen und Rohre an alle, die bereit waren, viel, viel Geld dafür zu bezahlen. Noch Fragen? Destin Hiwako hatte jeden Einzelnen seiner jetzigen Kunden gefragt. Mehr noch. Er war persönlich von Haus zu Haus gezogen, um Werbung für sein kleines Unternehmen `Solar Solution´ und die Vorzüge von Solarenergie zu machen. Die Umstellungskosten wurden von ihm persönlich für jeden Haushalt errechnet und richteten sich hauptsächlich nach Größe und Menge der benötigten Solarplatten und dazugehörigen Energiespeicher. Ratenzahlung und Zahlungsziel waren kein Problem. Und sämtliche Wartungsarbeiten wurden von `Solar Solution´ übernommen. Kostenlos. Noch Fragen? Rufus Shinra betrachtete alle seine Angestellten als persönliches Eigentum, mit dem er nach Belieben verfahren konnte. Destin Hiwako hatte keine Angestellten. Er besaß Freunde. Rufus Shinra entließ niemanden. Er sorgte für tödliche `Unfälle´. Destin Hiwako hatte absolutes Verständnis für einen Freund, dem es bei `Solar Solution´ im wahrsten Sinne des Wortes zu heiß wurde, und ließ die betreffende Person gehen, ohne Theater zu machen. Rufus Shinra ließ seine Leute im Akkord arbeiten, völlig unabhängig von deren gesundheitlichem Zustand. Destin Hiwakos Freunde waren gebeten worden, den durchaus gefährlichen Job nur dann auszuüben, wenn sie sich dazu absolut in der Lage fühlten. Rufus Shinra liebte Berichte. Sie gaben ihm das Gefühl von Wissen, Macht und Kontrolle. Destin Hiwako hasste diese Dinger. Aber er las sie trotzdem, weil er wusste, dass sie wichtig waren. Dennoch war ihm jeder, der eine Nachricht verbal überbringen wollte, lieber. Rufus Shinra konnte im tiefsten Grunde seines Herzens mit anderen Menschen nichts anfangen. Abgesehen von ihrer Arbeitskraft, natürlich. Destin Hiwako war der festen Ansicht, das Leben wurde erst durch andere Menschen lebenswert. Rufus Shinra´s Bezahlungen waren, in den meisten Fällen, lächerlich. Destin Hiwako nahm die Gesamteinnahmen eines jeden Monats, kaufte neues Arbeitsmaterial und verteilte den Rest zu gleichen Teilen an alle beim Ausbau von `Solar Solution´ helfenden Freunde. Sich selbst eingeschlossen. Und die Summen wurden jeden Monat mehr. Rufus Shinras Kleidung bestand aus Einzelstücken und bewegte sich in der entsprechenden Preisklasse. Destin Hiwako liebte Jeans und Hemden. Rufus Shinras Frisur saß, bis zum letzten Härchen, perfekt. Immer. Destin Hiwakos Haare waren prinzipiell verwuschelt, weil er sie beim Nachdenken mit den Händen bearbeitete. Immer. Und momentan waren seine Haare sehr verwuschelt. Er saß in seinem kleinen Büro irgendwo in Midgar und dachte über die gerade erfahrene Information nach. Einer seiner Freunde war so nett gewesen, sie nicht in Form eines lästigen Berichtes, sondern persönlich und verbal vorbeizubringen. Und einen Kaffee mit ihm zu trinken. Bei der Kerninformation des Gespräches handelte es sich um eine Zahl. Sie lautete `24´. Destin, jetzt wieder allein, griff nach dem Foto auf dem Schreibtisch. Der schwarze Trauerrahmen war schon so abgegriffen, als habe er Jahrzehnte hinter sich, dabei war es erst wenige Monate her, dass dieses Bild aus dem wesentlich neutraleren Rahmen genommen und in diesen gesteckt worden war. Das Foto zeigte ihn und den Mann, der als Lord Godo bekannt war, und beide schienen sich gerade köstlich über den Fotografen zu amüsieren. Destin spürte Trauer in sich aufsteigen, musste jedoch trotzdem hinsichtlich der Erinnerung lächeln. Dann begann er mit dem Bild zu sprechen. „24 Anschlüsse mehr als letzten Monat, stell dir das vor! Wenn das so weitergeht, haben wir bald die Hälfte der Bevölkerung Midgars hinter uns. Na ja, was heißt `bald´. In ein paar Monaten. Aber ging es bis jetzt nicht wirklich schnell? Ich sage dir, sie spüren, dass wir gewinnen werden. Nein, ich werde nicht übermütig. Aber ich weiß einfach, dass wir gewinnen werden.“ Destin war fest davon überzeugt. Und, dass Rufus Shinra eines Tages die gerechte Strafe für all seine Brutalitäten erhalten würde. Destin war fast dankbar, direkt daran beteiligt zu sein. Auch wenn dies bedeutete, eines Tages – vermutlich sogar in naher Zukunft - Ziel eines Anschlages zu werden. ShinRa diskutierte nicht. ShinRa exekutierte. Gnadenlos. Aber ... „Ganz egal, was er sich ausdenkt, er wird keinen Erfolg haben! Wir werden gewinnen! Die ersten Plakate sind gestern angekommen, und wenn es dunkel geworden ist, bringen wir sie an. Und Tymor ... Tymor redet von nichts anderem mehr als seinem Soloauftritt. Er kann es kaum noch erwarten. Er hat den Motor mit allem getunt, was es auf dem normalen und dem Schwarzmarkt gibt, um den nötigen Schub zu erreichen. Und seine Maschine gestrichen. Sie sieht einfach nur großartig aus!“ Er hielt inne und seufzte nach einem kurzen Moment leise. „Ich vermisse dich. Ich möchte dich anrufen und mit dir reden. Wie früher. Es ist ... so seltsam, stattdessen mit einem Foto zu sprechen.“ Aber mehr als das, und Erinnerungen, waren Destin nicht geblieben. Denn sein Bruder, das wusste er mit Sicherheit, war tot. ShinRa hatte ihn getötet. Den Brüdern war ab eines gewissen Zeitpunktes klar geworden, dass es nur so kommen konnte. Dennoch wusste Destin, dass es nichts zu bereuen gab. Irgendjemand hatte etwas unternehmen müssen! Und jetzt lag es an ihm, den Kampf weiterzuführen. „Wir gewinnen! Verlass dich drauf!“ Er stellte das Foto mit einer behutsamen Bewegung beiseite, dann erhob er sich, trat zum Fenster und sah zu dem weit entfernten und doch auf gewisse Art und Weise ganz nahen ShinRa HQ hinüber. „Hörst du mich, Rufus? Die Stimme des Planeten ist wach und wird weiter erklingen, ganz egal, was du tust!“ „Plakate“, wiederholte Sephiroth einen Tag später ohne jeglichen Enthusiasmus. „Ja doch“, versicherte Zack aufgeregt. „Ich habe sie mit eigenen Ohren gesehen!“ „Ich wusste, dieser gigantische Schokoladenkonsum würde eines Tages Auswirkungen auf deinen Körper haben würde.“ „Du hast das gewusst, nicht wahr?“ „Dass dir eines Tages Augen an den Ohren wachsen? Nein. Ich nahm an, du verlässt uns eines Tages aufgrund eines Zuckerschocks nach der zwölften Tafel Schokolade in Folge.“ „Das mit den Plakaten, Seph! Und, dass es hier eine Firma gibt, die sich `Solar Solution´ nennt und behauptet, mit Sonnenenergie ...“ Er verstummte, als der General den Bildschirm des Pc´ s in seine Richtung drehte und so die Homepage der Firma präsentierte. „Oh“, quietschte Zack begeistert, „hast du die süße zwinkernde Sonne gesehen?“ „Lies den Text, SOLDIER!“ Gleichzeitig signalisierte er der ihren Kopf durch den Türspalt schiebenden Cutter, näher zu kommen und sich die Informationen auf dem Bildschirm ebenfalls anzusehen. Zack grinste und wuschelte der jungen Frau zur Begrüßung durch die Haare. „Hi, Cuttie-cu ... EIN GEWINNSPIEL!!“ Und nur 3 Sekunden später: „Ich will mitmachen! Es gibt Solarplatten zu gewinnen! Gratis!“ „Du wohnst im ShinRa Gebäude“, erinnerte der General trocken. „Und?“ „In Ordnung, mach mit. Und vergiss nicht, deine volle Adresse anzugeben. Ich hoffe, du gewinnst.“ Er wandte sich an Cutter. „Sag bitte du mir etwas Ernsthaftes.“ „Diese Sonne gibt´ s sogar als niedliche Plüschfigur“, murmelte die junge Frau hingerissen. „Und jeder, der am Gewinnspiel teilgenommen hat, kriegt eine.“ Sephiroth rollte mit den Augen und erhob sich. „Das reicht! Schickt mir eine SMS, wenn ihr wieder normal seid! Beziehungsweise erträglich.“ Gleichzeitig zog er dem eifrig tippenden Zack entschlossen die Tastatur unter den Händen weg, ignorierte dessen augenblicklich einsetzenden Protest, sperrte die Tasten und verließ betont würdevoll das Büro. „Spielverderber“, murrte der um seine Plüschsonne betrogene 1st, seufzte tief auf und erkundigte sich in Richtung Cutter: „Gehen wir einen Kaffee trinken? Ich lade dich ein.“ Wenige Sekunden später waren sie auf dem Weg zum, wie sich ein gewisser SOLDIER ausdrückte, `besten Standardkaffeeautomaten im ganzen ShinRa HQ´. „Zack“, sagte Cutter leise, „was hältst du von dieser Solargeschichte?“ „So einen Gegner hatten wir bisher noch nicht“, antwortete der 1st halblaut und mit relativ unerwarteter Ernsthaftigkeit. „Mein Instinkt sagt mir, dass diese Sache ganz böse enden wird, aber frag mich nicht, für wen. Sonnenenergie hat mit Sicherheit gewaltige Vorteile, über die Makoenergie nicht verfügt. Und die auf der Internetseite und den Plakaten genannten Argumente klingen, das muss man diesem Hiwako wirklich lassen, ein`leuchtend´. Ich weiß nur nicht, ob er wirklich eine besondere Verbindung zum Planeten besitzt, oder nur jemand ist, der kurz vorm Nervenzusammenbruch steht und Stimmen hört, die er falsch interpretiert.“ „Hm“, machte Cutter leise. „Rufus wird versuchen, ihn zu töten, oder?“ „Jetzt auf jeden Fall.“ „Und wenn er doch eine besondere Verbindung zum Planeten besitzt? Wie Aerith?“ Zack schüttelte den Kopf. „Aerith ist, wie sie selbst sagt, die letzte ihrer Art. Mehr hat sie mir nie verraten, und da ich der Meinung bin, dass die einzelnen Parteien auch in einer Beziehung das Recht auf Geheimnisse haben, werde ich nicht weiter nachbohren.“ Es war einer der Punkte, die Zack in Cutters Augen so liebenswert machten: Obwohl der 1st so stark war, respektierte er die Wünsche anderer, solange ihm dies irgendwie möglich war. Gerade Aerith gegenüber, die manchmal ausschließlich von Geheimnissen erfüllt zu sein schien, legte Zack eine Sensibilität an den Tag, die man bei ihm nicht unbedingt erwartet hätte. Abgesehen davon ... Ich muss ihm Recht geben, dachte Cutter. Sogar ich habe Geheimnisse vor Sephy. Meine Liste, zum Beispiel. Und noch ein paar Dinge mehr. Die ich ihm unbedingt erzählen möchte! Aber der richtige Moment ist einfach noch nicht gekommen. Vielleicht geht es Aerith genauso? „Was unseren neuen Gegner angeht“, holte Zack sie abrupt wieder in die Realität zurück, „ich schätze, da wird einer von Rufus nächsten Befehlen Klarheit schaffen. Wenn Hiwako überlebt, können wir mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass die Angaben auf der Homepage wahr sind.“ „Denkst du“, murmelte Cutter düster, „ich muss wieder helfen?“ „Nein.“ Zack schüttelte den Kopf. „Jemand, der seine Existenz in ein derart helles Licht rückt, versteckt sich nicht, wenn’s drauf ankommt. Die Turks werden keinerlei Probleme haben, Hiwako zu finden.“ Ein nachdenkliches „Hm“ war die Antwort. Zack mochte Recht haben, das Aufspüren von Personen und anschließende Mordanschläge gehörten für gewöhnlich ins Aufgabengebiet der Turks – aber irgendetwas an diesem Gedanken rumorte in Cutters Kopf und ließ sich nicht zur Ruhe bringen. „Es wäre“, murmelte sie schließlich irgendwann düster, „jedenfalls nicht das erste Mal, dass ich suchen muss.“ Und, fügte sie lautlos hinzu, am Tod eines Menschen beteiligt bin. Niemand hatte es ihr gesagt, aber sie wusste, dass Lord Godos Line erloschen war. Der Mann war tot. Weil sie dem Befehl, ihn aufzuspüren, nachgekommen war. Sich zu sagen, dass jemand anderes die Verantwortung dafür trug und sein Tod vielleicht sogar in den zusammen mit seinem Halbbruder Destin gefassten Plan einkalkuliert gewesen war, half nicht viel. Denn letztendlich waren es Cutters Fähigkeiten gewesen, die den Mann an ShinRa ausgeliefert hatten. Und es gestaltete sich als äußerst schwierig, diese Gedanken zu verdrängen. Das feste Vorhaben, ihre Fähigkeiten nie wieder auf diese Art und Weise einzusetzen, tröstete zwar ein wenig, aber es löschte die Erinnerungen nicht aus. Neben ihr seufzte Zack leise: „ShinRa hat wirklich keine Gnade mit den besonderen Fähigkeiten seiner Mitarbeiter. Seph ist das beste Beispiel. Apropos ...“, er grinste und reichte Cutter den versprochenen Kaffeebecher, „habt ihr euch schon ein bisschen aneinander gewöhnt?“ „Wir arbeiten dran. Aber die Zeit dafür ist so knapp bemessen.“ „Hm, das sagt Aerith auch immer. Leider kann man dagegen nichts tun.“ „Aber“, strahlte Cutter, „ich habe jetzt seinen Türcode und kann ihn auch in seinem Appartement besuchen.“ „Da wird es bestimmt die ein oder andere ruhige Minute geben. Außerdem ist es da viel gemütlicher als im Büro.“ „Oh ja“, schmunzelte Cutter und fügte in Gedanken hinzu: Besonders, wenn einen Sephiroth im Arm hält. Zack grinste vergnügt. „Schreiben wir Seph, dass wir wieder normal, bzw. erträglich sind und schicken die SMS im selben Moment ab? Ich habe gehört, PHS sollen beim Empfang von zwei Nachrichten gleichzeitig wild piepsend abstürzen.“ Zur gleichen Zeit bewegte sich Sephiroth durch die Flure des HQ´s und schüttelte innerlich immer wieder den Kopf. Plüschsonnen! Und, viel skurriler, Solarplatten am ShinRa Gebäude! Dass Zack den Nerv hatte, solche Gedankengänge auch noch laut auszusprechen war nichts Besonderes, aber von Cutter ebenfalls zu hören, diese Sonnen seinen niedlich ... Wenigstens wollte sie nicht an diesem Gewinnspiel teilnehmen. Zack hingegen ... Sephiroth gestattete sich ein echtes Kopfschütteln – und als sei dies der Auslöser gewesen, begann das bis zu diesem Zeitpunkt friedlich in seiner Tasche liegende PHS, seltsame Geräusche (es klang wie die Mischung aus einem verunglückten Pfeifen, dem Paarungsruf eines Equisters und Reifenquietschen) von sich zu geben, heftig zu vibrieren ... Die folgende Stille war mehr als unnatürlich. Ich bring ihn um!, dachte Sephiroth unwillkürlich. Eines Tages bringe ich ihn um! Gleichzeitig griff er nach dem PHS, fand es (wie erwartet) gänzlich abgestürzt vor, und aktivierte es wieder. Keine Sekunde zu früh, denn schon erschien eine neue Nachricht auf dem Bildschirm. Der General las und gestattete sich ein kaum wahrnehmbares, aber dafür äußerst finsteres Lächeln. ShinRa reagierte auf die Solaroffensive. Die Turks waren unterwegs! Und er hatte sich für den Fall ihres Versagens bereitzuhalten. Seinem Instinkt folgend, steuerte Sephiroth die Fahrstühle an und begab sich in den Eingangsbereich. Rufus Shinra hatte die Turks mit der unverzüglichen Eliminierung Hiwako Destins beauftragt, und es vergingen keine 20 Minuten, ehe ihm ein diesbezüglicher Erfolg mitgeteilt wurde. 15 Minuten nach diesem Datenaustausch allerdings meldete sich Destin persönlich auf Rufus Shinra´s PHS, bat ihn, es bei dem einen (erfolglosen) Mordanschlag zu belassen und versprach ihm als Trost eine der gelben Plüschsonnen zu schicken. 30 Sekunden später erhielt Sephiroth den Befehl, den Mann unverzüglich aus dem Verkehr zu ziehen. Und der General machte sich augenblicklich auf den Weg. So cool Destin mit dem Mordanschlag umgegangen war, nachdem er das Handy hatte sinken lassen, war er in heilloses Zittern ausgebrochen. Jetzt, dessen war er sich ganz sicher, würde General Crescent seinen Pfad kreuzen. Nicht, dass Destins Vertrauen in seine Mission, den Planeten zu retten, schwankte – aber General Sephiroth Crescent! Der Mann war eine Legende! Von der es hieß, sie verfehle niemals ihr Ziel. Und jetzt, dachte Destin, bin ich das. Ich habe keine Angst! Ich habe keine Angst! Wenn ich bloß nicht zuviel Angst hätte, um keine Angst zu haben ... Destin Hiwako, reiß dich zusammen! Du wusstest, früher oder später würde es soweit sein! Also, tu nicht so überrascht. Denk dran: Der Planet beschützt dich! Nichts kann dir zustoßen! Nicht einmal jemand wie General Crescent! Trotzdem beschloss er, sich für heute lange genug im Büro aufgehalten zu haben. Er griff nach dem die versprochen Plüschsonne für Rufus Shinra enthaltenen Päckchen, schaltete das Licht im Büro aus und das im Flur an – aber die Lampe reagierte nicht. Mit der Verbindung zu den Solarplatten musste etwas nicht stimmen. Oder die Lampe war kaputtgegangen. Oder kaputt gemacht worden. Destin hielt inne und lauschte ins finstere Treppenhaus. Aber das einzige Geräusch bestand aus seinem eigenen, immer schneller werdenden Herzschlag. War der General vielleicht schon hier? Es hieß, der Mann könne aus dem Nichts auftauchen, zuschlagen und ebenso spurlos wieder verschwinden. Aber so schnell? Eigentlich war es unmöglich, aber was, wenn er wirklich schon ... Leicht zittrige Hände umfassten das Päckchen fester. Sicher, zur Not konnte man damit werfen – jemanden wie Sephiroth Crescent würde das allerdings kaum aufhalten. Aber vielleicht dauerte seine Irritation lange genug, um dem Planeten die Chance zu geben, hilfreich einzugreifen? Vorsichtig, und seines Erachtens nach auf alles gefasst, tastete sich Destin durch das dunkle Treppenhaus und erreichte schließlich die Tür, trat nach draußen. Das Büro befand sich in einem kleinen Seitenweg, etliche Schritte entfernt von der nächsten Hauptstraße – eine Tatsache, die Destin schlagartig ein wenig bereute. Andererseits allerdings bezweifelte er, dass ein anderer Standort den General davon abgehalten hätte, zuzuschlagen. Was hatte er schon zu befürchten? Sein Auftraggeber war das Gesetz und kontrollierte sämtliche Medien ... Aber nicht mehr lange, dachte Destin grimmig. Wenn ShinRa entmachtet ist, wird sich diesbezüglich einiges ändern! Der Gedanke an seine Mission gab ihm die Kraft, seine Angst zu besiegen und den Weg zu seiner Wohnung wieder aufzunehmen. Aber nur, um wenige Sekunden später hinsichtlich des hinter ihm erklingenden Geräusches erschrocken herumzuwirbeln. Die an der umgeworfenen Mülltonne sitzende Katze allerdings würdigte ihn keines Blickes, sondern zog es vor, ihre Aufmerksamkeit ins Innere des Behälters zu richten. Destin atmete auf, wandte sich wieder um - und erstarrte. Das war keine Katze. Auch, wenn die Augen gewisse Ähnlichkeit ... Die Angst kam mit der Intensität des schlagartig einsetzenden, freien Falles zurück, keine Macht der Welt waren stark genug, sie aufzuhalten, und jede einzelne von Destins Gewissheiten zerschmolz hinsichtlich der Einen, sich vor einer Person zu befinden die nur aus einem Grund gesandt worden war: Um ihn zu töten. Und Destin wich zurück. Sephiroth folgte ihm mit der Gelassenheit eines Jägers, dem nur zu bewusst war, dass seine Beute unmöglich entkommen konnte. Niemals zuvor war dies irgendjemandem gelungen, und dieser Typ sah nicht so aus, als ob er zum Ersten werden würde. Zumal er gerade eine Sackgasse betreten hatte. Der General lächelte kalt. Dass die Turks gegen einen qualitativ so minderwertigen Gegner versagt hatten ... Es war absolut Unerklärlich. Um nicht zu sagen, lächerlich! Aber die Methoden der Turks unterschieden sich eben doch drastisch von denen eines SOLDIER´s. Zeit, dies einmal mehr siegreich zu demonstrieren – auch, wenn das Demonstrationsobjekt gerade hinter einer Kurve verschwunden und somit momentan nicht zu sehen war. Sephiroth beschloss, die Sache schnell zu erledigen. Zum einen konnte er so vielleicht Cutter vor der nächsten Mission noch einmal sehen, und zum anderen quoll sein Schreibtisch über vor Arbeit. Der General zog Masamune aus der Schutzhülle und bog, den Klang seiner Schritte bewusst nicht dämpfend, in Erwartung der Ansicht eines sich an die nur wenige Meter dahinter liegende Mauer pressenden Körpers, um die Kurve. Stille begrüßte ihn. Eine hohe Steinmauer. Dichtgedrängt stehende Häuser ohne Türen und Fenster rechts und links davon. Aber nirgends ein Hiwako Destin. Dass er sich in eines der Häuser geflüchtet hatte, schloss Sephiroth aus, da es keinerlei Zugang gab. Doch auch ein Sprung auf die wirklich hohe Mauer ließ nirgends auch nur eine Spur des Gesuchten erkennen. Der General verließ das steinerne Hindernis wieder und nahm es genauer in Augenschein, aber die Steine waren fest zusammengefügt, zu glatt, um an ihnen hinaufzuklettern, außerdem deuteten keinerlei Indizien auf einen gewaltsamen Durchbruch, und sei er noch so klein, hin. Aber ich habe ihn diese Sackgasse betreten sehen, dachte Sephiroth. Er muss hier sein! Abermals sah er sich suchend um, aber es gab keinen einzigen verräterischen Hinweis. Nicht einmal sein sonst so sensibler Instinkt schlug an. Alles schien, als sei niemals jemand außer ihm hier gewesen, und so blieb es, obwohl er geduldig wartete. Es verging verhältnismäßig viel Zeit, ehe Sephiroth es einsehen konnte: Ihm war zum ersten Mal seit er denken konnte jemand in einer direkten Verfolgung entgangen! Das Gefühl, versagt zu haben, war niederschmetternd. Besonders da es ihm nicht gelang, den Fehler in der angewandten Strategie zu finden. Aber es gab einen Ort, an dem dies problemlos möglich war. Sephiroth wandte sich grimmig um und steuerte das ShinRa HQ an. Sein Verschwinden lag noch keine 60 Sekunden zurück, als sich die Szenerie zu verändern begann. Die Steinmauer verlor an einer Stelle ihre Festigkeit und gestattete es dem bis vor kurzem noch in ihr verborgenen Körper, hustend auf die Knie zu fallen. Destin musste um jeden Atemzug kämpfen. Mund, Hals und Lunge fühlten sich an, als seien sie mit demselben feinen Staub gefüllt, der auch seine Kleidung, Haut und Haare bedeckte. Gleichzeitig versuchte er vollständig zu begreifen, was geschehen war. Im Grunde dasselbe wie immer, wenn er sich in Gefahr befand. Der Planet rettete ihn. Es war schon so, seitdem Destin denken konnte. Egal, wie tödlich die Situation, in die er geriet, sein mochte – er überlebte sie. Zu begreifen, dass dies weder Glück noch Zufall, sondern der Wille des Planeten war, und das zu akzeptieren, hatte ihn einige Jahre gekostet. Genau wie die Erkenntnis, in Form von Träumen Botschaften des Planeten zu erhalten. Warnungen. Informationen. Visionen. Und, vor knapp zwei Jahren, die eigentliche Botschaft. Gaia war durch den exzessiven Einsatz der Makoreaktoren so gut wie am Ende und brauchte Hilfe bei der Regeneration. Dass diese `Hilfe´ darin bestand, die mächtige Electric Power zurückzudrängen, war Destin erst nach und nach klar geworden. Aber er hatte akzeptiert. Weil er das Leben liebte. Der Einsatz von Solarplatten war seine Idee gewesen. Gaias Antwort bestand in dem Versprechen, ihn weiterhin zu unterstützen – unter anderem durch bedingungslosen Schutz. Der Gedanke, Ziel der vielleicht letzten Kraftreserven des Planeten zu sein ... Anfänglich hatte es Destin ein wenig geängstigt und ihn seinen Feldzug sehr zögerlich beginnen lassen. Aber dann waren in so kurzer Zeit viele, viele Erfolgsmeldungen zu verzeichnen gewesen. Destin hatte begonnen, wirklich an seine Mission zu glauben, war mutiger geworden. Aber jeder Kampf forderte Opfer. Manche von ihnen waren ein fester Bestandteil seines Lebens gewesen. Sein Bruder zum Beispiel, der den zweiten großen Wutaikrieg angeführt hatte, um ShinRa von den Vorbereitungen `Solar Solutions´ in Midgar abzulenken. Destin würde ihn im Lebensstrom wieder sehen. (Sofern es ihm gelang, die Electric Power Company zurückzudrängen.) Und er vermisste ihn. Aber gleichzeitig gab ihm die Trauer auch Kraft, noch energischer gegen ShinRa vorzugehen. Die Gewissheit, dabei vom Planeten beschützt zu werden hatte sich ebenfalls als äußerst hilfreich erwiesen – auch, wenn dieser Schutz meistens nicht gerade sanft stattfand, denn er war bedingungslos, und Bedingungslosigkeit zeichnete sich oft durch fehlende Vorsicht aus. Diesmal hatte die Mauer, an die sich Destin halb wahnsinnig vor Angst drückte, schlagartig nachgegeben, ihn in sich aufgenommen und war dann wieder erstarrt, bis das schwarzsilberne Todesurteil sich unverrichteter Dinge tatenlos hatte entfernen müssen. Jetzt war Destin, bis auf das Päckchen mit der Plüschsonne, allein. Immer noch sehr benommen rappelte er sich auf, murmelte „Danke“ und nahm seinen ursprünglichen Weg vorsichtig wieder auf, warf sein Expressgeschenk in einen der zahlreichen Briefkästen und erreichte schließlich seine Wohnung, wo er so staubig wie er war ins Bett fiel und augenblicklich einschlief. Sephiroth hätte eher den Rest seines Lebens im Labor verbracht, statt in dieser Nacht zu schlafen! Er war ins HQ zurückgekehrt um die heutige Verfolgung in einem der Simulatorräume nachzustellen und den begangenen Fehler zu finden. Hier lief, sofern man nichts anderes einprogrammierte, immer alles logisch ab – und so war das Ergebnis bei jedem Durchlauf dasselbe. Die Simulation Hiwako Destins kauerte ängstlich vor der Steinmauer und sah ihrem Schicksal entgegen. Auch noch nach dem zehnten Mal. Es gab keinen Ort, an den sie hätte flüchten können. Dennoch war es dem echten Hiwako gelungen. Der General verließ den Simulatorraum wieder, steuerte sein Büro an und besuchte dort angekommen abermals die Homepage von `Solar Solution´. Las die Selbstbeschreibung Hiwako Destin´s noch einmal genau durch, obwohl er kein Wort vergessen hatte ... ` ... stehe unter dem Schutz des Planeten ...´ ...` ... bin auserwählt, mit Hilfe der Bevölkerung Gaias die Herrschaft ShinRa´s zu beenden ...´ ... und weigerte sich nach wie vor, es zu glauben. Aber Hiwako Destin war ihm entkommen. Ihm! Niemals zuvor war jemandem etwas Derartiges gelungen. Zumal Sephiroth keinen Fehler begangen hatte! Und die einzige Erklärung für die erfolgreiche Flucht schienen die Informationen auf der Homepage von `Solar Solution´ zu sein. Aber das würde Rufus ihm niemals abnehmen! In spätestens 2 Stunden, dachte Sephiroth, finde ich mich im Labor wieder. Gleichzeitig fühlte er die vertraute Müdigkeit in sich aufsteigen. Aber vielleicht gab es doch noch Hoffnung. Immerhin war es auch den Turks nicht gelungen, Hiwako zu eliminieren. Wenn Rufus auch nur einen Funken Verstand besaß, musste er einsehen, dass eine Änderung der Strategie viel schlauer war, satt eine Untersuchung im Labor anzuordnen. Mir scheint, dachte Sephiroth, ich baue gerade eine Sandburg. Dabei ist die Welle schon im Anrollen. Ich kann es spüren. Und kein Damm wird sie aufhalten. Aber ... vielleicht ist es mir möglich, sie abzuschwächen indem ich ihr entgegen gehe. Er griff zum Telefon und wählte die Nummer des Präsidenten. Zehn Minuten später fand er sich im Labor wieder. In der scheinheiligen weißen Welt des Labors galt eine andere Zeit. 1 Sekunde hier hatte die Dauer von ca. 10 normalen, und es gab keine Beschleunigungstaste. Nur, sofern man nicht aufgeben und sterben wollte, die Option des Durchhaltens. Irgendwie. Für Sephiroth kam ausschließlich die letzte Möglichkeit in Frage. Wie immer. Und so befolgte er die gegebenen Anweisungen, ertrug die Berührungen der kalten Hände und den durch sie verursachten Schmerz ohne einen Laut von sich zu geben, versuchte, die Panik hinsichtlich des Ergebnisses all der Tätigkeiten im Zaum zu halten, indem er sich immer wieder sagte, dass Hojo ihn wieder in den Ursprungszustand zurückversetzen musste, weil ShinRa ihn noch brauchte, unversehrt und lebendig ... vor allen Dingen, lebendig! Einmal mehr schien es Ewigkeiten zu dauern. Aber letztendlich durfte er den Laborbereich verlassen. Wieder auf dem Flur angekommen hielt Sephiroth inne und atmete tief auf, gestattete sich, die Augen zu schließen und heftig über die Lider zu reiben. Er wusste nicht genau, was Hojo diesmal getan hatte. Nur, dass es eine von Präsident ShinRa angeordnete Bestrafung für den inakzeptablen Ausgang der Hiwakomission gewesen war. Völlige Schwärze war das Ergebnis gewesen. Und das bei weit geöffneten Augen! Im Labor festgehalten zu werden, war eine Sache. Aber nichts sehen zu können – Hojo nicht sehen zu können! – etwas völlig Anderes. Zwar hatte Sephiroth einmal mehr überlebt, befand sich nun wieder außerhalb des Labors und die Schwärze vor seinen Augen war verschwunden, aber die Welt schien wie von einem milchigen Film überzogen. Das Büro schied somit vorerst aus. Und somit blieb nur, die vollständige Regeneration in seinem Appartement abzuwarten. Sephiroth machte sich auf den Weg. Als er aus dem Aufzug trat und die entsprechende Tür ansteuerte, leuchtete ihm der an sie gelehnte Gegenstand trotz allem schon von weitem entgegen. Die Form, die Farbe ... kein Zweifel. Es war eine dieser verfluchten gelben Plüschsonnen! Ein `Geschenk´ von Rufus, keine Frage, hatte dieser die Sonne doch bereits im vor dem Laboraufenthalt geführten Gespräch erwähnt. Für gewöhnlich ließ sich der General nicht zu derartigen Gefühlsausbrüchen hinreißen, aber diesmal standen die Dinge ein wenig anders. Er öffnete die Tür und verpasste der Plüschsonne einen heftigen Tritt, der sie schwungvoll ins Innere des Appartements beförderte. Den Boden allerdings erreichte sie nie. Masamune und ein folgender Feuerzauber wussten dies vernichtend zu verhindern. Sephiroth nickte grimmig und schob das Katana zurück in die Schutzhülle. Vom Planeten begünstigt oder nicht, früher oder später würde Hiwako einen entscheidenden Fehler begehen und diesen mit dem Leben bezahlen. Ihm! Für Rufus Shinra und Hojo galt dasselbe! Aber ganz egal, wie sehr der General diesen Tag herbeisehnte, noch war es nicht soweit. Andere Sehnsüchte ließen sich etwas leichter erfüllen. Zum Beispiel der, nach einem leisen Stöhnen einen Augenblick lang in völliger erschöpfter Bewegungslosigkeit zu verharren. Sich über die nächsten Wünsche klar zu werden, die vor allen Dingen ein wenig des selten gebrauchten Trostes in Form von Ruhe und Wärme beinhalteten. Und so ließ sich Sephiroth einige Minuten später in einer mit viel Wasser und Schaum gefüllten Badewanne zurücksinken. Wie gut dieses warme Wasser tat! Seine angespannten Muskeln begannen sich wieder zu lockern, selbst seine Gedanken verloren ein wenig der sonst allgegenwärtigen Schwere. Puls, Herzschlag und Atmung wurden ruhiger. Benommenheit setzte ein, zu sanft um sie als Bedrohung zu empfinden, zu beharrlich, um sie zu ignorieren. Und da es momentan nichts außer Warten zu tun gab, schloss Sephiroth die Augen und ließ sich mental ein wenig tiefer in die warme Schwerelosigkeit sinken. Alle anderen Sinne jedoch blieben aktiv. Und so vermittelten sie nach einer Weile die sich leise öffnende Haupttür des Appartements und dann die sich nach unten drückende Klinke der Badezimmertür. Kleidung raschelte leise. Dann war wieder alles still. Sephiroth öffnete die Augen und sah zu der neben der Badewanne sitzenden Cutter hinüber. In ihren Augen tobten alle möglichen Gefühle: Sorge, Angst, Erleichterung ... Ganz offensichtlich war ihr klar gewesen, wo er die vergangenen Stunden verbracht hatte. Aber woher konnte sie das wissen? Sephiroth sah genauer hin, konnte aber nicht die geringste Spur eines schlechten Gewissens in Cutters Blick erkennen. Was bedeuten musste, dass sie das Versprechen, sich seiner Line nicht zu nähern, nicht gebrochen hatte. Aber wie war es ihr dann möglich gewesen ...? Ob sie mich betreffend ähnliche Fähigkeiten entwickelt hat, wie ich bei ihr?, dachte er. Es scheint die einzig mögliche Erklärung zu sein. Abgesehen davon, sie ist meine Freundin. Der ich etwas bedeute. Und die sich Sorgen um mich macht ... Er wusste, er hätte sie dafür scharf zurechtweisen müssen. Sorge war, wenn man Hojos Lehren Glauben schenken durfte, ausschließlich den Schwachen vorbestimmt. Um sie an ihre Wertlosigkeit zu erinnern. Aber Cutter, das wusste der General mit Sicherheit, hielt ihn nicht für schwach. Und so verzichtete er auf eine Zurechtweisung – nicht zuletzt auch aufgrund der aktuellen Bewegung. Die sich ihm nähernde Hand tat dies mit dem Ziel, ihn zu berühren, vorsichtig, als habe sie Angst, ihn zu zerstören, und obwohl Sephiroth wusste, dass sie Cutter gehörte, seiner Cutter, und ihre Hand warm sein würde, so waren die Erinnerungen an die erst vor kurzer Zeit stattgefunden, gewaltsamen Berührungen im Labor noch zu frisch. Er schüttelte den Kopf. Und die Hand zog sich augenblicklich zurück. Ich weiß, dass du es bist, dachte Sephiroth. Glaub mir, ich weiß es. Auch, dass du nichts mit dem Labor zu tun hast. Aber gerade jetzt ... geht es einfach nicht. Mittlerweile lag die Hand der jungen Frau wieder ruhig am Badewannenrand – in Cutters Augen jedoch tobte nach wie vor ein Orkan aus Gefühlen, Fragen und Angst. Vor allem Angst. Sich auf einer Mission zu befinden war spannend und machte Spaß. Aber im Laufe dieser Mission mit tiefer innerer Sicherheit zu wissen, dass sich die wichtigste Person des eigenen Universums einmal mehr in den Händen eines Mannes befand, der in der Lage war, ihn zu töten, war einfach nur grauenhaft. Und jetzt die unmittelbaren Auswirkungen mitzuerleben ... Ist jetzt wieder alles kaputt? Wir haben doch gerade erst angefangen, etwas zu werden. Zusammen! Aus freiem Willen! Ich durfte Dinge tun, die noch niemals jemand vor mir getan hat. Aber vor allem durfte ich dich berühren ... Was, wenn all das jetzt wieder vorbei ist? Wenn er es zerstört hat? Er hat dir schon so viel Leid zugefügt und quält dich immer noch. Dieser ... „ ... Bastard!“ In Ordnung, dachte Sephiroth. Du wusstest wirklich Bescheid. Ich sollte dich vor allen Dingen eine Sache fragen. „Funktioniert der Helikopter, mit dem deine Einheit zurückgekommen ist, noch?“ „Ja. Aber nur weil ich nicht weiß ob es reicht, den Winkel der Rotorblätter zu ändern, um schneller zu fliegen.“ „Es reicht nicht.“ „Was muss man zusätzlich machen?“ Ein lächeln huschte über Sephiroths Gesicht. „Das verrate ich dir besser nicht.“ „Hm.“ Und dann, flüsternd: „Ich hatte so Angst um dich! Es war wie damals, als ich dich auf dem Flur gefunden habe, weißt du noch? Ich ... ich wusste einfach, dass du ... dort bist. Bei ihm. Zack hat damals gesagt, du müsstest diese Sache alleine klären, aber ich schwöre dir, wenn du noch bei diesem Mistkerl im Labor gewesen wärst, ich hätte ...“ Sephiroth musste das Ende des Satzes nicht hören. Besser als jeder andere wusste er, wozu sein Death Walker fähig war – und hielt es für angebracht, ein Machtwort zu sprechen. „Das ist nicht dein Kampf, Cutter! Du wirst dich von diesem Schlachtfeld fernhalten, verstanden? Das ist ein Befehl!“ „Aber ...“ „Nein!“ Cutter wusste, Sephiroth meinte es absolut ernst, und eine Missachtung des Befehls würde schwerwiegende Konsequenzen auslösen. Also schien es doch einen Plan zu geben? Aber wann würde er greifen? Oder tat er dies bereits? Und obwohl es jetzt einen klaren Befehl gab ... Früher konnte ich nichts gegen Hojo tun – und jetzt kann ich, aber darf nicht? Das kann doch unmöglich wahr sein ... „Aber ich will dir helfen!“ „Dann befolge meinen Befehl!“ Es musste einen Plan geben! Es gab immer irgendeinen Plan ... Cutter senkte den Kopf. „Ja, Sir.“ Vielleicht ergab sich eines Tages doch die Gelegenheit, zu helfen. Für die Dauer von einigen Herzschlägen blieb es ganz still. Sephiroth sah zu Cutter hinüber. Er hätte diese Sache hinsichtlich des gegebenen Befehls als `Erledigt´ deklarieren und nicht mehr darüber nachdenken können. Aber er konnte auch sehen, wie unglücklich die junge Frau war, wie hart sie mit sich gekämpft hatte, und wie schwer es ihr immer wieder fallen würde, sich an die erneuerte Grenze zu erinnern und ein entsprechendes Verhalten an den Tag zu legen. Ich sollte ihr begreiflich machen, dass ich ihre Selbstdisziplin zu schätzen weiß ... Aber wie? Mir scheint, es gibt da nur eine Möglichkeit. „Cutter?“ Seine Stimme klang ganz leise. „Dafür darfst du dich meiner Line nähern.“ Die junge Frau hob den Kopf. Eben noch war ihr Blick von Trauer geprägt gewesen. Jetzt allerdings tobte in diesem reine Verblüffung. „Ehrlich?“ „Ehrlich.“ Pure Freude explodierte von innen heraus in Cutters Augen. „Oh, Danke!“, jubelte sie. „Danke, Danke, Danke!!“ Gleichzeitig fiel sie ihrem Freund völlig vorwarnungslos um den Hals. „Damit hätte ich jetzt nie gerechnet, niemals!“ „Ich auch nicht“, grollte Sephiroth. Gleichzeitig wurden ihm zwei Dinge bewusst. Zum Einen war seine linke Hand hinsichtlich der unerwarteten Berührung zwar unwillkürlich hochgezuckt, aber mehr auch nicht. Und zum Anderen konnte er spüren, wie sein Widerwillen bezüglich einer gerade jetzt stattfindenden Berührung schmolz. Mir scheint, dachte er irgendwann, ich habe genau das gebraucht. Und zwar genau jetzt. Die Berührung und die Nähe eines anderen Menschen, dem es nicht darum geht, mir Schmerzen zuzufügen. Oder `etwas herauszufinden´. Oder mich zu bestrafen. Sondern nur darum, freundlich zu sein. Auf eine Art und Weise die ich, meines Erachtens nach, niemals für mich in Betracht gezogen hätte. Aber ich habe mich geirrt. Weil es niemals jemanden wie dich gegeben hat, Phoenix. „In Ordnung“, grollte er irgendwann. „Lass wieder los.“ Cutter lachte leise, wich zurück und nahm wieder eine etwas diszipliniertere Position neben der Badwanne ein. Der jetzige Anblick seiner Freundin brachte Sephiroth unwillkürlich zum Schmunzeln. „Jetzt bist du nass und voller Schaum.“ „Ich trockne auch wieder. Im übrigen bist du auch nass und voller Schaum.“ „Weil ich, im Gegensatz zu dir, in einer Badewanne liege.“ „Stimmt“, bestätigte Cutter. Aber es fiel ihr schwer, richtig zu denken, was hauptsächlich an dem sich ihr bietenden, sie völlig verzaubernden Anblick lag. Sephiroths vor Nässe teils glänzende, teils mit winzigen Wassertropfen bedeckte Haut. Die vereinzelt in seinen Haaren hängenden Schaumflocken. Das jetzt durch das Wasser in unterschiedlichen Nuancen gefärbte Silber. Cutter sah zu ihrem Freund hinüber, wissend, dass sie vielleicht die erste Person war, die ihn so sah, und wäre sie in diesem Moment gestorben, es wäre ihr egal gewesen. Sephiroth bemerkte den seltsam weichen Blick. Und übersetzte ihn instinktiv richtig. „Du träumst.“ „Von dir.“ Ihre Antwort berührte Sephiroth auf eine Art und Weise, die es ihm unmöglich machte, die Entfernung zwischen der Urheberin dieser Worte und sich selbst nicht zu überbrücken. Es machte Cutter nichts aus, dass seine Hand nicht eben trocken war. Sie schmiegte ihren Kopf in seine Handfläche, schloss die Augen, gab ihm zu verstehen, wie einverstanden sie mit seiner Berührung war und wie wenig sie sich ein Ende wünschte. Es war ein völlig anderes Gefühl als ihn zu küssen und von ihm geküsst zu werden, aber mindestens genauso schön. Sephiroth hingegen war über das Ergebnis seiner Berührung mehr als verblüfft. Ihm war bewusst, Cutter fürchtete sich nicht vor ihm – aber diesmal war die Nähe ausschließlich von ihm angestrebt worden, und das relativ überraschend. Zu sehen, wie schnell diese akzeptiert wurde ... Es fällt mir immer noch schwer, zu verstehen, dass man die Nähe anderer suchen kann und sehr, sehr glücklich ist, wenn die Suche Erfolg hat. Apropos `Suche´. Auch Hiwako Destin stand momentan auf des Generals Liste der Gesuchten. Und zwar an erster Stelle! Dem Mann war die Flucht aus einer absolut auswegslosen Situation gelungen. Außerdem war er dem Mordanschlag der Turks entgangen. Das in Verbindung mit den ihn betreffenden Informationen auf der Homepage ... Hör auf, dich zu sträuben, dachte Sephiroth. Die Turks sind absolut tödlich. Du bist absolut tödlich. Aber Hiwako ist trotzdem noch am Leben. Das hat noch niemand vor ihm jemals geschafft. Glück oder Zufälle sind absolut auszuschließen. Es ist, wie er auf der Homepage sagt. Der Planet schützt ihn. Ist ShinRa damit wirklich machtlos? Cutter, die keine Ahnung von seinen finsteren Gedanken hatte, kuschelte immer noch mit seiner Hand und war somit einmal mehr Welten entfernt von dem, was der Name `Death Walker´ verdeutlichen sollte. Aber ihr Anblick erinnerte den General daran, dass ShinRa noch nicht alle Joker ausgespielt hatte. „Cutter!“ „Hmmja?“ „Wir treffen uns in meinem Büro. In 10 Minuten.“ Die Angesprochene nickte, machte aber keinerlei Anstalten, aufzustehen, sondern blieb sitzen und sah ihn an. „Cutter, ich würde diese Wanne gerne verlassen.“ „Ok.“ „Alleine. Oder willst du mich nackt sehen?“ „Eines Tages schon ...“ Einen Sekundenbruchteil später hielt sie sich mit beiden Händen den Mund zu und lief rot an – eine Reaktion, die mehr als deutlich zu verstehen gab: `Eigentlich wollte ich das jetzt nur denken ... Sorry?´ Sephiroth hatte dennoch Mühe, nicht nach Luft zu schnappen. Im Labor musste er manche Untersuchungen gänzlich ohne Kleidungsstücke über sich ergehen lassen, und er empfand mittlerweile Hojo gegenüber keinerlei Scham mehr. Der Mann hatte ihn aufgezogen und kannte jeden Millimeter seines Körpers. Aber Cutter?! Das war etwas völlig anderes! Und dementsprechend fiel die Reaktion des Generals aus. „Death Walker Cutter Tzimmek – raus aus meinem Badezimmer! Und meinem Appartement! Sofort!“ „Bin schon weg!“ Ca. 5 Sekunden später schloss sich die Haupttür. Sephiroth schüttelte den Kopf. Eines Tages schon ... Wie stellte sich seine Phoenix das vor? Aber jetzt hatte er keine Zeit, darüber nachzudenken. Andere Dinge erforderten seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Hiwako Destin zum Beispiel. Im Rahmen dessen griff der General nach dem wie üblich bereitliegenden Katana und zog die Schutzhülle zurück, bis das Spiegelbild seiner jetzt wieder einwandfrei funktionierenden Augen auf der perfekt polierten Klinge erschien. Wir zwei, dachte er fast zärtlich, haben noch nie ein Ziel verfehlt. Auf dem Schlachtfeld sind wir Eins. Wir zweifeln niemals aneinander, nehmen es mit jedem Gegner auf – und wir siegen. Aber wir sind noch nie ganz bewusst gegen den Willen des Planeten angetreten. Ich schätze, das ändert sich ab sofort. Letztendlich war Hiwako Destin kein göttliches Wesen. Er war ein Mensch. Blut, Fleisch, Knochen. Blut ließ sich vergießen, Fleisch zerstückeln, Knochen brechen. Er würde verlieren! Sephiroth verließ das Badezimmer, kleidete sich wieder an und betrat nur wenig später sein Büro, wo ihn Cutter bereits erwartete. „Wir beide“, eröffnete der General, „werden jetzt eine Spezialmission durchführen. Erfolgreich! Sie besteht aus Aufspürung und Vernichtung Hiwako Destins. Ich erwarte deine Information bezüglich seines derzeitigen Standortes in 30 Sekunden.“ „Was?!“, entsetzte sich Cutter. „Schon wieder ich? Für so was sind die Turks zuständig!“ Sephiroth hätte nicht diskutieren müssen. Aber es erschien ihm nur angebracht, die Ernsthaftigkeit der Situation ein wenig näher zu erläutern. „Die Turks haben versagt. Genau wie ich, letzte Nacht.“ „Was?“, machte Cutter ein zweites Mal. Ihr fiel einfach nichts sinnvolleres ein. Aber Sephiroth war nicht in der Stimmung, sich zu wiederholen. „Dazu wird es kein weiteres Mal kommen! Also, gib mir die Koordinaten!“ „Ich weigere mich! Ich habe ShinRa gerade erst geholfen, Lord Godo zu fangen, und jetzt ist er tot. Wenn du Hiwako erwischst, wird er genauso sterben, und ich bin mit dran schuld! Bitte, bitte denk dir was anderes aus!“ Sephiroth betrachtete sie einen Moment lang schweigend. „Cutter“, seine Stimme war nur ein leises, warnendes Grollen, „mit wem, glaubst du, sprichst du gerade?“ „Mit dir?“ „In meiner Rolle als dein General! Und als solcher toleriere ich Befehlsverweigerungen nur, wenn diesen ein wirklich guter Grund zuzuordnen ist. Deine potentiellen Schuldgefühle kann ich in dieser Situation nicht gelten lassen!“ „Aber ...“, murmelte Cutter. „Du hast“, unterbrach Sephiroth, „einen Arbeitsvertrag unterzeichnet, der deine Fähigkeiten erneut in den Dienst der Electric Power Company stellt. Trotz mehrfacher Warnungen meinerseits, wie ich betonen möchte. Da dies nicht dein erster Vertrag war, wusstest du, worauf du dich einlässt, und wenn nicht, dürfte es dir spätestens jetzt klar sein. Du hast momentan zwei Möglichkeiten: Entweder du befolgst meinen Befehl, und zwar unverzüglich, oder du befolgst ihn nicht und trägst alle sich daraus ergebenden Konsequenzen.“ Es war Cutter nicht sofort möglich, zu antworten. Sie hatte sich so fest vorgenommen, sich nicht wie ein `Death Walker´ zu verhalten, sondern diesen blöden Namen zu ignorieren, freundlich zu bleiben ... Und jetzt verlangte Sephiroth, ausgerechnet Sephiroth, die in Wutai an den Tag gelegte Kaltherzigkeit erneut von ihr? Was die Konsequenzen anging, bluffte er nicht. Kaum jemand war diesbezüglich strenger, als er. Selbst zu seiner Freundin. Und die aus einer Befehlsverweigerung resultierenden Konsequenzen waren nicht angenehm. Das in Kauf nehmen? Für eine fremde Person? Aber Hiwako würde sterben, das stand außer Frage ... „Ich warte noch genau 10 Sekunden auf deine Entscheidung.“ Cutter schloss gequält die Augen. War sie zu naiv gewesen? Zu versessen darauf, in Sephiroths und Zacks Nähe zu sein? Wieder ein Zuhause zu haben? Aber, verdammt nochmal, ein Zuhause stand jedem zu, jedem! Momentan allerdings glich es mehr einer seelischen Folterkammer. Sephiroth beobachtete seinen Death Walker aufmerksam und zählte gleichzeitig langsam in Richtung Null. Er bedauerte die Konstellation zwischen der zu bewältigenden Aufgabe und der für die Ausführung vorgesehenen Person, war aber nicht bereit, etwas daran zu ändern. Er hatte Cutter vor der Unterzeichnung des Vertrages gewarnt. Mehrfach! Dass sie sich früher oder später an exakt dem jetzigen Punkt wiederfinden würde, war dem General völlig klar und letztendlich nur eine Frage der Zeit gewesen. Was die Gefühle seiner Freundin anging ... auch darauf konnte er keine Rücksicht nehmen. Nicht unter den gegebenen Umständen. Es stand zuviel auf dem Spiel. Hiwako durfte nicht gewinnen! „Null.“ Cutter öffnete die Augen wieder. Langsam. Und ohne jegliche Begeisterung. „Können die Turks es nicht nochmal ...“ „Ich sagte `Null´.“ Die junge Frau schüttelte widerwillig und traurig den Kopf. Aber dann befolgte sie den Befehl. Ging in die Lines, suchte, fand, wollte das Ergebnis eben weiterleiten ... und hielt jäh inne, als sich Unstimmigkeiten einstellten. Niemals zuvor, weder als Blue Wanderer, noch als Ghost Walker hatten Cutters Augen etwas derartiges in den Lines gesehen. Es war unglaublich. Cutter versuchte wieder und wieder, den sich ihr bietenden Anblick zu korrigieren, aber es wurde immer drastischer. Letztendlich schüttelte sie den Kopf, sah zu Sephiroth hinüber und konstatierte mit unerwarteter (aber deutlich hörbarer) Erleichterung: „Ich fürchte, das wird dir nicht gefallen!“ Kapitel 43: Die Grenze zwischen `Gut´ und `Böse´ ------------------------------------------------ „Du bist völlig sicher“, vergewisserte sich Sephiroth. „Absolut!“ Verblüffung von der Intensität eines Waldbrandes wütete in ihrer Stimme – am äußersten Rand allerdings glomm immer noch große Erleichterung. „So was habe ich noch nie gesehen, niemals! Wie kann das sein?“ „Du hast doch die Informationen auf Hiwakos Homepage gelesen.“ „Ja, und ich habe sie mir sogar behalten. Aber nicht geglaubt!“ „Dann würde ich vorschlagen, jetzt damit anzufangen. Sogar mir bleibt momentan nichts anderes übrig.“ Und in Gedanken fügte er hinzu: Unter diesen Umständen ist es kein Wunder, dass die Turks und ich keinen Erfolg hatten. Wir haben unseren Gegner unterschätzt. Wann ist mir das zum letzten Mal passiert? „Tja“, sagte Cutter fröhlich, „das war´ s dann wohl. Wir haben keine Chance gegen Hiwako und `Solar Solution´. Sogar ich kann nicht helfen, ihn zu töten.“ Sie atmete tief auf. „Ich bin froh, ganz ehrlich. Gehen wir einen Kaffee trinken?“ Sephiroth antwortete nicht. Er sah nicht einmal in ihre Richtung. Sein Blick schien irgendetwas weit außerhalb des Raumes zu fixieren. So einfach mache ich es dir nicht, Hiwako! Ganz egal, wie wahr die Angaben auf deiner Homepage sind. „Cutter, wir gehen!“ „Zum Kaffeeautomaten?“ „Negativ.“ Jetzt schien kaltes Feuer in seinem Blick zu glühen. „Wir erstatten unserem obersten Befehlshaber Bericht!“ Keiner im ShinRa Gebäude konnte es auch nur ahnen. Aber irgendwo am äußersten Rand unterhalb der Platte, öffnete sich langsam, ganz langsam ein großes Tor. Ein schwerer Geländewagen mit einem `Solar Solution´ Schriftzug kam zum Vorschein und begann, vorwärts zu rollen. Das an seiner Anhängekupplung befestigte Seil spannte sich nach einigen Metern in einem Winkel und auf eine Art und Weise, die etwas sehr Großes an dessen Ende verriet. Rufus Shinra sah nicht auf, als sich seine Bürotür öffnete. Erstens erkannte er jeden, der befugt war diesen Ort zu betreten, am Klang seiner Schritte, zweitens gab es genug Überwachungskameras die gestochen scharfe Bilder lieferten, drittens befand sich seine Schusswaffe immer griffbereit und viertens waren 2 Turks anwesend. Diesmal allerdings folgten den bekannten Schritten fremde. „Haben Sie die Verstärkung mitgebracht, um einen erneuten Misserfolg Ihrerseits bezüglich Hiwako Destins Eliminierung glaubhafter erklären zu können, General?“, erkundigte sich Rufus ohne aufzusehen. „Um ehrlich zu sein, Mr. President, ich habe gar keinen neuen Versuch unternommen.“ Die Information an sich hätte ausgereicht, um Rufus den Kopf heben zu lassen. Die Wortwahl allerdings ließ ihn dies ein wenig schneller tun – natürlich ohne hektisch zu werden. „Tatsächlich“, kommentierte er die gehörten Worte. „Und aus welchen Gründen, wenn ich fragen darf?“ Als Antwort erteilte Sephiroth Cutter das Wort, und sofort blitzte in Rufus Augen ein Ausdruck auf, der an einmaliges Mündungsfeuer in dichtem Nebel erinnerte. Nur für einen Sekundenbruchteil - aber der General bemerkte es. Positiv zu bewerten war die Reaktion des Präsidenten nicht. Vielmehr verriet sie, dass sich Cutter auf einer der oberen Position seiner Todesliste befand. Nicht, weil die junge Frau zuviel wusste, sondern vielmehr aufgrund ihrer uneinschätzbaren Fähigkeiten. Wir haben ein wenig Angst vor ihr, wie, Rufus?, dachte Sephiroth erheitert, ließ sich jedoch nichts anmerken. Vor dem Schreibtisch begann Cutter zu sprechen und kam, sich an einen der wesentlichen Tipps Sephiroths erinnernd, direkt auf den Punkt. „Mir wurde heute der Auftrag erteilt, den Aufenthaltsort von Hiwako Destin mit Hilfe seiner Line herauszufinden, aber es haben sich ... unerwartete Probleme eingestellt. Seine Line ...“ Der Geländewagen stoppte. Jetzt musste alles ganz schnell gehen. Hände lösten das Seil vom entgegengesetzten Ende der Anhängekupplung, andere waren damit beschäftigt, Zusatzelemente anzubringen. Letzte Worte wurden gewechselt. Dann betätigten speziell dafür ausgebildete Hände eine Startvorrichtung. Ein Motor erwachte zum Leben. Einen Augenblick lang blieb es ganz still in dem großen Büro. Niemand bewegte sich. Selbst die Zeit schien wie eingefroren zu sein. „Hiwako Destins Line existiert mehrfach“, wiederholte Rufus schließlich, obwohl er es hasste, Informationen zu wiederholen. „Ja, Sir. Momentan insgesamt weit über 300 Mal, was absolut Einzigartig ist, denn eigentlich dürfte er nur eine haben, wie jeder normale Mensch auch. Und, ähm, jede einzelne dieser Lines zeigt einen anderen Aufenthaltsort Hiwakos an. Er ist quasi derzeit an über 300 auf ganz Gaia verteilten Plätzen zur selben Zeit.“ Rufus schwieg einen Augenblick. „Und das soll ich glauben“, knurrte er schließlich misstrauisch. „Ich habe es mehrfach überprüft, Sir. Irrtum absolut ausgeschlossen. Eine seiner Lines endet sogar hier, in diesem Büro. Und da wäre noch etwas. Seine Lines vermehren sich. Ich habe es mehrfach überprüft.“ Abermals senkte sich völlige Stille über alle Anwesenden. Rufus sah zu Cutter hinüber, und dabei beschäftigte ihn nur eine einzige Frage: Fand hier gerade ein riesiger Bluff statt, oder nicht? Aber die Turks und Jenova Projekt 1 hatten versagt. Was absolut Ungewöhnlich war. Wären die S-1 Einheiten schon einsatzbereit gewesen ... aber sie waren es nicht. Und jetzt tauchte auch noch diese Tzimmek mit Informationen auf, die alle über Hiwako Destin bekannten Daten untermauerten. Die neuen Details allerdings ohne nähere Prüfung zu glauben, war höchst naiv. Einige Kilometer entfernt wurden letzte Schranken gelöst. Die Gesetze der Physik gingen eine Co-Existenz mit einigen äußerst feinsinnigen Tricks ein, und nur wenige Sekunden später befand sich eine Maschine in einem Element, das ohne Zweifel als ihr `natürliches´ bezeichnet werden konnte. Sie nahm Kurs auf ein ganz bestimmtes Ziel. Im seinem Büro hatte Rufus Cutter den Auftrag erteilt, 4 Aufenthaltsorte Hiwakos innerhalb Midgars genauer zu bestimmen, hielt schon nach kurzer Zeit eine entsprechende Auflistung in den Händen und reichte sie an den neben ihm stehenden Tseng weiter. Dieser griff zum PHS und gab die neuesten Anweisungen an die restlichen Turks weiter. Rufus richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die wenigen Blätter auf seinem Schreibtisch. Cutter warf Sephiroth einen fragenden Blick zu, erhielt aber keine Antwort und begriff, dass es momentan nichts zu tun gab, außer abzuwarten, bis die Turks sich meldeten. Aus Langeweile begann sie irgendwann abermals die Hiwako betreffenden Lines zu zählen und war über die neue, wesentlich höhere Zahl nicht überrascht. Unter diesen Umständen dürfte die Trefferquote der zu den jeweiligen Adressen geschickten Turks bei Null liegen. Und trotzdem, dachte die junge Frau, der Planet hat sogar mich im Auge, denn er schaltet meine 2nd Lines Fähigkeiten ganz gezielt aus. Zum Glück! Unter diesen Umständen muss ich nicht wieder gemein sein. Auch Sephiroth war in Gedanken versunken, aber sie betrafen weder den Planeten, noch die Lines. Rufus Büro mochte der am besten schallisolierte Raum im ganzen ShinRa HQ sein – aber der Instinkt und die feinen Sinne des Generals vermittelten trotzdem ein Geräusch (vielleicht auch nur die Ahnung eines Geräusches), das so noch nie über Midgar erklungen war. Und es kam näher! Sephiroth ließ den Blick durch das gewaltige Panoramafenster im Büro des Präsidenten wandern, auf alles konzentriert, das sich vom üblichen Verhalten der Stadt unterschied, und bereit, sofort irgendetwas zu unternehmen. Aber er konnte nichts entdecken. Irgendwann begann das Telefon zu klingeln. Rufus nahm das Gespräch an, notierte etwas, telefonierte wenig später ein zweites und drittes Mal ... Die Turks erstatteten Bericht. Reno und Rude, denen der erste Auftrag zur Eliminierung Hiwakos erteilt worden war, tauchten wenig später persönlich im Büro auf, um sich etwaige weitere Befehle selbst abzuholen. Nach einigen Minuten blickte der Präsident der Electric Power Company wieder zu Cutter. „Wie viele Lines sind es mittlerweile deiner Ansicht nach?“ „476, Sir.“ Das Geräusch war immer lauter geworden, auch, wenn es scheinbar nur für Sephiroth hörbar war. Der Urheber musste sich jetzt in unmittelbarer Nähe des ShinRa HQ´ s befinden, und er überwand die Distanz von dessen Rückseite aus kommend. Die linke Hand des Generals legte sich unauffällig auf den Schwertgriff. „476“, wiederholte Rufus zum zweiten Mal für den heutigen Morgen eine Information. „Du ...“ Weiter kam er nicht. Grelles Gelb verdeckte urplötzlich das riesige Panoramafenster des Büros, dicht gefolgt vom jetzt trotz der Schallisolierung gut zu vernehmende Höllenlärm eines Propellerflugzeuges, welches in senkrechtem Steigflug so dicht am Fenster emporzog, dass die Räder fast das Glas zerkratzten und die am Flugzeugbauch angebrachten Düsen sichtbar wurden. Sie arbeiteten. Innerhalb zwei Sekunden bedeckte eine feine Schicht chemisch riechender Flüssigkeit die Scheibe – allerdings nur für die Dauer eines Herzschlages. Dann explodierte irgendetwas vor dem Fenster und heftete sich in hundertfacher Ausführung und mit ins Innere des Büros zeigender Beschriftung an die Scheibe. Und blieb kleben. Das Machtzentrum ShinRa´s wurde schlagartig nur noch durch die Deckenbeleuchtung erhellt. Verblüffte Stille breitete sich aus. Dann erfolgte der erste Kommentar. Er kam von Reno. „Geile Flugnummer, was, Rude? Hätte ich nicht besser machen können!“ Cutter prustete unwillkürlich und spürte nur einen Sekundenbruchteil später, wie sich Sephiroths Hand hart in den Rückenstoff ihrer Uniform grub, eine unmissverständliche Botschaft vermittelnd. `Reiß dich zusammen!´ Rufus Shinra drehte seinen Sessel. Langsam. Bis er die angerichtete Bescherung sehen konnte. Was dort an seiner 1,5 Millionen Gil teuren Scheibe klebte, waren Flyer. Sonnengelbe Werbeflyer. Und die darauf gedruckten Worte `Solar Solution´ wirkten wie schallendes Hohngelächter. Ebenso wie der erneute Hinweis auf die Homepage, das Gewinnspiel und – GANZ NEU !!! – die eigene Radiostation. „Tzimmek.“ Die Stimme des Präsidenten der Electric Power Company klang völlig ruhig. „Was tut dieses Flugzeug gerade?“ „Es, ähm, fliegt über die Stadt und wirft weiterhin Flyer ab, Sir.“ „Ich nehme an, es hat eine Line?“ „Davon“, schaltete sich Sephiroth augenblicklich furchtlos ein, „möchte ich abraten, Mr. President. Ein unglücklich landendes Bruchstück der Maschine könnte mehr Schaden verursachen, als es ein paar Flyer wert sind.“ „Gegen die Flyer kannst du vermutlich auch nichts ausrichten, Tzimmek?“ Ich könnte schon, dachte Cutter. Aber zufälligerweise habe ich dazu überhaupt keine Lust! „Leider nein, Sir. Papier dieser Art ist Standard, es könnte ...“ „Ich verstehe.“ Drei Sekunden völlige Stille. „Hey, Boss“, schaltete sich Reno mit funkelnden Augen ein, „darf ich das Flugzeug jagen?“ Rufus warf dem Turk einen eisigen Blick zu und verkündete schließlich: „Jeder, der nicht `Shinra´ mit Nachnamen heißt, hat 4 Sekunden Zeit, um dieses Büro zu verlassen. Die Zeit läuft.“ 4 Sekunden später war er allein. Rufus lehnte sich in seinem Sessel zurück, schloss die Augen und begann mit Daumen und Mittelfinger seine Schläfen zu massieren. Dieses ziehen ... er würde Kopfschmerzen bekommen. Er hasste es, Kopfschmerzen zu bekommen. Sie waren, obwohl sie ihn nie wirklich aufhalten oder bremsen konnten, lästig. Natürlich hätte er eine Tablette nehmen können, aber im Grunde wäre das nichts anderes als Hilfe in Pharmaform gewesen, und er nahm keine Hilfe an. Von niemandem! Rufus Shinra, Präsident des mächtigsten Unternehmens auf ganz Gaia, war prinzipiell in der Lage sich selbst zu helfen. Indem er den richtigen Leuten die richtigen Befehle gab. Wie in der Hiwako-Sache. Trotzdem hatte sich das gewünschte Ergebnis nicht eingestellt. Crescent ins Labor zu schicken war überflüssig gewesen, aber an wem sonst hätte er seine Wut auslassen sollen? Außerdem las er so gerne Professor Hojos diesbezügliche Berichte. Jeder von ihnen war ein kleiner Schritt zum großen Ziel, den S-1 Einheiten. Weit waren sie nicht mehr entfernt ... Rufus zwang seine Gedanken wieder auf das eigentliche Thema. Hiwako Destin ... 476 Lines! Eine von ihnen war echt. Aber wie sollte er herausfinden, welche? Zumal sie sich weiter vermehrten. Laut Tzimmek gab es keinerlei Anhaltspunkte und die Turks hatten nur falsche Lines identifizieren können. Destin konnte Midgar längst verlassen haben und an jedem beliebigen Punkt der Welt sein. 476 Lines ... Ohne den momentanen Aufenthaltsort des Mannes zu kennen, konnte man ihn unmöglich umbringen. Und überhaupt, seit wann verfügte dieser verdammte Planet über einen eigenen Willen?! Ein eigener Wille bedeutete auch immer ein eigenes Bewusstsein. Bei Menschen schon höchst lästig, weil man ihnen oft erst klar machen musste, wie unbedeutend dies war. Aber bei einem Planeten? Planeten sollten so etwas überhaupt nicht besitzen! Sie sollten im All schweben, umgeben von ShinRa Satelliten, und sich nicht einmischen! Gaia war da offensichtlich anderer Ansicht. Nicht eine Sekunde lang fragte sich Rufus, warum der Planet nach so vielen Jahren derartig reagierte. Seine einzige Überlegung galt dem erfolgreichen Aufspüren Hiwakos. Wie sollte man einen Mann finden, der sich an über 400 Orten gleichzeitig aufhielt? Welche Möglichkeiten, außer einer Fahndung mit hoher Belohnung, blieben um Hiwako zu finden? Erneutes Klopfen an der Tür und das Öffnen derselbigen unterbrach seine Gedanken. Du schon wieder, dachte Rufus unwillkürlich genervt. Seiner Stimme jedoch war davon nichts anzumerken. „Was verschafft mir die erneute Ehre, General Crescent?“ „Die aktuelle Situation bezüglich Midgar. Mr. President, Ihnen dürfte klar sein, dass Sie diesmal mit den üblichen Methoden nicht weiterkommen.“ Für einen kurzen Augenblick lag eine messerscharfe Antwort auf Rufus´ Zunge. Dann jedoch schluckte er sie herunter. Der Mann vor ihm mochte vieles sein: Ein Projekt, eine Marionette, etwas, das Dank der immer detaillierter Gestalt annehmenden S-1 Einheiten schon bald für immer ausgedient hatte – aber er war auch ein gefürchteter Kämpfer und brillanter Stratege. Außerdem, das wusste Rufus mit Sicherheit, war er auf der Suche nach Antworten bezüglich seiner Existenz. Diese Antworten allerdings gehörten zu den am besten gehütetsten Geheimnissen der Electric Power Company und waren, daran hatten alle Betroffenen keinerlei Zweifel, nicht dafür vorgesehen, von Crescent gefunden zu werden. Aber solange sie existierten, bestand natürlich dennoch eine Chance. Die durch eine Vernichtung ShinRa´s augenblicklich unwiderruflich vergehen würde. Für Jenova Projekt 1 mehr als Grund genug, dieses Unternehmen am Leben zu erhalten. Wenn er jemals herausfindet, was er ist, dachte Rufus, wird er mich und Hojo augenblicklich töten. Aber er wird diese Informationen niemals erhalten! Niemals! Und das heißt, er wird uns dienen bis zu dem Tag, an dem wir ihn eliminieren, und er wird ohne eine einzige seiner kostbaren Antworten sterben. Aber noch ist er nützlich. Von daher ... „In Ordnung, General. Ich schätze, ich kann zwei oder drei Minuten meiner kostbaren Zeit opfern, um mir Ihren Plan anzuhören.“ So herablassend es klang, Sephiroth verspürte einen Hauch von etwas, das er getrost `Gehässigkeit´ nennen konnte, in sich aufsteigen. Ganz offensichtlich hatte Rufus keine Ahnung, wie er an die Hiwakosache herangehen sollte, und so untypisch es für den General war, er beschloss spontan, ein wenig Salz in die Wunde zu reiben. „In diesem Fall muss ich bedauerlicherweise auf eine Ausführung verzichten. Rufen Sie mich an, wenn Sie mir mehr Ihrer kostbaren Zeit opfern können, aber ich rate Ihnen, sich zu beeilen.“ Die Zimmertemperatur fiel augenblicklich auf Minus 45 Grad. Dessen ungeachtet wandte sich der Grund dafür zum Gehen und hatte den Türgriff schon fast in der Hand, als Rufus Stimme hinter ihm erklang. „In Ordnung. Aber erwarten Sie besser keine Zustimmung.“ Während er fast finster beobachtete, wie Jenova Projekt 1 betont lässig zum Schreibtisch zurückkehrte, meinte er in den Augen dieses Mannes jenen Ausdruck zu erkennen, der größtes Unheil verhieß. Die letzte Gewissheit erlangte Rufus beim Zuhören. Er tat es ohne ein einziges Mal zu unterbrechen oder Fragen zu stellen, fast volle 5 Minuten lang. Der ihm dargelegte Plan war brillant. Er spiegelte alles wieder, wofür ShinRa stand. Rufus kräuselte die Lippen in einem äußerste Zustimmung verratenden Lächeln. „Wissen Sie, Crescent, hin und wieder sind Sie mir fast sympathisch. Dann könnte ich es fast bedauern, Sie eines Tages umzubringen.“ „Den letzten Satz wage ich zu bezweifeln, Shinra. Denn ich werde Sie schneller töten!“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren wandte sich Sephiroth um und verließ das Büro, hielt aber auf dem Flur einen Augenblick inne. Vom militärischen und strategischen Standpunkt her war der Plan äußerst gelungen, aber ... Cutter wird mich dafür hassen. Für sie gibt es nichts Schlimmeres, als anderen Menschen Leid zuzufügen. Ich verlange gleich genau das von ihr – und sie hat noch keine Ahnung. Aber nur, weil sich meine Beziehung zu ihr geändert hat, kann ich nicht aufhören, ihr General zu sein. Ob sie das verstehen wird? Langsam setzte er seinen Weg fort, mit den Gedanken bei sich und Cutter. So gerne er alles Unheil von ihr ferngehalten hätte, das ShinRa Universum barg Situationen und mit ihnen verbundene Erkenntnisse in sich, vor denen es keinen Schutz gab, und im Grunde ging es dabei ausschließlich um Macht und Geld. Rufus Shinra besaß Beides und wollte es nicht verlieren. Dazu war ihm jedes Mittel recht. Er ist ein egoistischer Mistkerl, dachte Sephiroth. Genau wie ich, momentan. Ich würde, um endlich meine Antworten zu bekommen, alles tun. Sogar die Person, die mir mehr bedeutet als alle anderen, zu Taten zwingen, die ihrer Überzeugung vollkommen widersprechen. Und ich habe nicht einmal das, was man allgemein ein `schlechtes Gewissen´ nennt. Er bog auf den Flur ein, in dem er Cutter zurückgelassen hatte, und verhielt einen Augenblick bei ihrem Anblick. Sie stand an die Wand gelehnt da und wartete. Nur auf ihn. Ohne Ansprüche zu stellen oder etwas von ihm zu verlangen. Es ist ihr egal, wo und was ich bin, dachte Sephiroth. Sie möchte nur bei mir sein ... Zack, du hast gesagt, ich hätte sie verdient. Und ich habe dir geglaubt. Aber manchmal, so wie jetzt, habe ich einfach nur Zweifel. Und, wie mir scheint, doch ein schlechtes Gewissen. Er ging an Cutter vorbei, sie trat augenblicklich neben ihn und erkundigte sich völlig arglos: „Hat er dir zugehört?“ „Oh, ja. Wie hast du ihn eigentlich damals dazu gebracht, dich wieder einzustellen? Und diesmal will ich Details.“ Und dann, seinem Instinkt folgend: „Du hast ihn in irgendwas verwandelt.“ „Iiiich? Jemand so mächtigen? Niemals!“ Aber ihre vor Vergnügen funkelnden Augen und die zuckenden Mundwinkel verrieten, dass sie sich nur noch mit Mühe beherrschen konnte. Und der General merkte es. „Cutter!“, grollte er. „In einen Kater!“, prustete Cutter. „Ich habe ihn in einen Kater verwandelt. Mit dem ShinRa Symbol auf der Brust. Und er saß auf seinem Schreibtisch und konnte dem Putztrieb nicht wiederstehen!“ „In einen Kater“, wiederholte Sephiroth mit einem Hauch Fassungslosigkeit in der Stimme. Der Rest war mühsam unterdrückte, pure Erheiterung. „Cutter, das war außerordentlich respektlos.“ „Was? Der wollte mich erschießen! Da war noch eine Rechnung offen!“ „Das gibt dir nicht das Recht ...“ Rufus Shinra war ein Kater gewesen. Ein Kater! Rufus Shinra! Miau! So sehr er sich bemühte: Sephiroth konnte seine Erheiterung nicht mehr unterdrücken. Nicht mal hinsichtlich der den ganzen Flur überblickenden Überwachungskamera. Sein Lachen war leise, aber ehrlich und zutiefst begeistert. Irgendwann stimmte Cutter mit ein. Zusammen über dieselbe Sache zu lachen war abermals eine völlig neue Erfahrung. Und es machte Spaß! Die Heiterkeit des Generals aber ebbte schlagartig ab, als sie das Büro erreichten. Die Stunde der Wahrheit war gekommen. Sephiroth bereitete sich auf das größtmöglichste Entsetzen vor – Cutter hingegen nahm gut gelaunt auf der Kante des Schreibtisches Platz. „Eigentlich bin ich ja nicht gehässig, aber ...“, sie musste unwillkürlich lachen, „... jetzt ist seine ganze Angeberscheibe voll mit Werbeflyern! Er wird Tage brauchen, um sie wieder sauber zu kriegen! Du hast nicht zufällig ein Radio im Büro? Diesen Solar Solution Sender würde ich mir zu gerne mal anhö ...“ „Cutter“, unterbrach Sephiroth, „ich habe neue Befehle für dich.“ „Schieß los!“, antwortete die junge Frau vergnügt. „Ich möchte, dass du mich und die Turks auf der Jagd nach den Personen unterstützt, welche die Solarplatten in Midgar anbringen!“ Die Erheiterung in Cutters Gesicht erlosch augenblicklich. „Du hast mich verstanden!“, stellte der General klar, bevor sein Death Walker Gelegenheit zu einem entsetzten `Was?´ hatte. „Midgar wird in Sektoren unterteilt, die von den Turks und mir überwacht werden. Ein Sektor pro Person. Du wirst nach sich bewegenden Lines von Solarplatten suchen und den Standort des Zielobjektes an den jeweiligen Inhaber des Sektors übermitteln. Bis heute Abend will ich Solar Solution bewegungsunfähig machen!“ Cutters Gedanken rasten. Sie wusste: So schnell rechnete niemand mit einem Gegenschlag ShinRa´s. Was bedeutete, dass mit Sicherheit alle Techniker Solar Solution´ s in Midgar unterwegs sein würden. Und sie würden sterben. Alle! Es sei denn, jemand fand wirklich gute Argumente dagegen. „Aber es ist hell draußen! Ihr könnt doch nicht einfach so durch die Stadt ziehen und Leute umbringen! Und außerdem, würde es nicht reichen, ihnen den Solarkram einfach wegzunehmen oder die Leute einzusperren? Lass sie mich in irgendwas verwandeln! Das ist kein Problem, wirklich! Ihr müsst sie nicht töten!“ Sephiroth antwortete nicht. Er war ganz auf seinen PC konzentriert, und es dauerte nur wenige Sekunden, ehe der Drucker zu arbeiten begann und eine Übersicht Midgars ausspuckte, die in verschiedenfarbige Sektoren und in ihnen stehende Namen unterteilt war. „Die Codenamen der Turks und mir entsprechen den farbigen Bereichen auf der Karte. Du wirst uns mit Hilfe deines PHS im Funkmodus steuern! Überwache die Eliminierungen durch die Lines, warte eine Bestätigung der ausführenden Kraft ab und fertige ein Protokoll im AC 1 Modus an! Fragen?“ Cutter schüttelte den Kopf. Sie wusste, dass sie einmal mehr nicht ihren Freund, sondern den ShinRa General von SOLDIER vor sich hatte. Und somit auch ihren eigenen. Was jedes Flehen sinnlos werden ließ. General Crescent kannte hinsichtlich seiner Befehle keine Gnade. Nicht einmal seiner Freundin gegenüber. Und so sah sie Sephiroth wie erstarrt beim Treffen der letzten Vorbereitungen zu, hörte ihn Tseng informieren, zuckte schließlich bei den an sie gerichteten Worten: „Mission `Silent Cry´ startet – jetzt!“ fast zusammen und war nur wenige Sekunden später mit ihrer schweren Aufgabe allein im Büro. Sie wusste, Sephiroth erwartete eine korrekte Ausführung und würde keine Fehler und keine Ausnahmen tolerieren. Auch nicht bei sich selbst. Und mit Sicherheit wartete Präsident ShinRa auf den entsprechenden Bericht. Trotzdem ... „Ich will das nicht tun!“, wisperte sie mit Tränen in den Augen. „Ich will nicht!“ Aber sie wusste, dass ihr Wille hinsichtlich aller gegnerischen Kräfte völlig bedeutungslos war. Unter der Platte, am äußersten Rand Midgars, schloss sich zur selben Zeit ein großes Tor hinter einem gelben Propellerflugzeug, und im selben Augenblick begannen die um das Flugzeug stehenden Personen begeistert zu klatschen. Tymor richtete sich hoch im Cockpit auf und winkte grinsend ab. „Danke schön, danke schön, die Hälfte der Ehre gebührt meinem Flugzeug!“ „Großartig!“ Destin trat nach vorne. „Tymor, das war einfach nur großartig! Ich danke dir!“ „Ha, ich freue mich schon auf den zweiten Flug heute Abend! Ist die Radiostation on?“ „Sendet klar und deutlich.“ „Wir sind so gut!“ Gleichzeitig klopfte er grinsend auf die Tragfläche des sonnengelben Flugzeugs. „ShinRa wird untergehen!“ Sephiroth bewegte sich zügig durch die Straßen Midgars und lauschte der Stimme in seinem Headphone. Cutter hatte bisher gute Arbeit geleistet, aber der bei jedem gemeldeten Zielobjekt neu ausgeführte, innere Kampf war ihr deutlich anzumerken. Die sonstige Begeisterung war spurlos verschwunden. Glaub mir, dachte der General, ich weiß was ich von dir verlange. Aber ich muss verhindern, dass die Stadt von etwas überrannt wird, das alle meine Antworten für immer vernichten könnte. Sobald das hier vorbei ist, werde ich wieder dein Freund sein. Ich verspreche es dir. Und auch ich gebe mein Wort niemals leichtsinnig. Keinem! Aber bis zum heutigen Abend dauerte es noch etliche Stunden. Zeit, die sinnvoll genutzt werden musste. Längst waren ShinRa´ s Elitekämpfer in der ganzen Stadt verteilt, warteten oder befolgten Cutters Anweisungen, ohne Gnade oder Zögern. Saubere, schnelle Tode. Dabei hatten viele von ihnen zum ersten Mal Gelegenheit, selbst einen Blick auf die von Hiwako entwickelten und von den ShinRa Technikern widerwillig als `genial´ bezeichneten Solarplatten zu werfen. Sie mochten kaum die Größe einer Handfläche haben, aber die durch sie gewonnene Energie war gigantisch. Um ein normales Haus zu versorgen, benötigte es nur wenige geschickt platzierte Platten, und die restliche Technik ließ sich, Gerüchten zufolge, unkompliziert einbauen und brauchte kaum Platz. Aber all diese Genialität verwandelte sich in einen unbrauchbaren Haufen diversester Gegenstände, sobald man den im Einbau ausgebildeten Menschen vernichtete. Sephiroth und die Turks führten genau diesen Auftrag aus. Der Tag verging, und alles verlief nach dem offiziellen Plan. Es gab allerdings noch einen. Und dieser war nur dem General bekannt. Im Grunde bestand Midgar aus zwei Teilen, dem ober- und dem unterhalb der Platte. Aber eigentlich gab es noch ein drittes Midgar: Das der Geräusche. Jedes Ding hatte seinen eigenen Klang. Manche dieser Klänge waren gewöhnlich und nicht erwähnenswert – andere wiederum absolut Einzigartig. Es spielte keine Rolle, wo Sephiroth war oder was er tat, immerzu galt ein Teil seiner Konzentration den Geräuschen. So auch jetzt. Diesmal allerdings wartete er. Auf einen ganz bestimmten Klang, von dem noch nicht klar war, ob es ihn heute noch einmal geben würde. Aber irgendwann schlugen die Sinne des Generals an und siebten aus all den Klängen genau die erwarteten Töne heraus. Noch lagen sie in weiter Ferne, näherten sich jedoch rasch: Der Klang eines gelben, über die Stadt fliegenden und ein Werbebanner für `Solar Solution´ hinter sich herziehenden Propellerflugzeuges. Wäre Sephiroth geübter im Bereich des Mitfühlens gewesen, vielleicht hätte er fast ein wenig Mitleid mit dem ahnungslosen Piloten empfunden. Aber so beobachtete er lediglich hochkonzentriert das sonnengelbe Hohngelächter. Um das Banner lesbar zu machen, musste die Maschine relativ niedrig und geradeaus fliegen. Ihre Route zu berechnen und sich in eine passende Position zu begeben war so gesehen eine Kleinigkeit. Und so wartete Sephiroth mit gezogenem Katana geduckt hinter einem Schornstein, den lediglich für den zusätzlichen Schub beim Absprung benötigten tiefschwarzen Flügel eng an den Körper gezogen, ließ das immer näher kommende Flugzeug nicht aus den grün glühenden Augen und katapultierte sich, als dieses nahe genug war, nach oben. Der Angriff war perfekt berechnet. Sephiroth tauchte mit der Intensität eines unerwarteten Blitzschlages genau vor der Maschine auf, ließ Masamune, über dessen ungeschützte Klinge Energieladungen züngelten, durch die Luft jagen ... Vermutlich lag es nur an den schnellen Reflexen, die man als guter Pilot haben musste. Und Tymor war ein guter Pilot. Er ließ seine Maschine zur Seite hin wegkippen, absacken und beschleunigte, ohne den geringsten Kratzer davongetragen zu haben, auf Maximalgeschwindigkeit. Letzteres galt auch für seine Herzfrequenz. „Shit!“, wisperte er und versuchte sich wieder zu beruhigen. General Sephiroth Crescent ... Wo, um alles in der Welt, war der auf einmal hergekommen?! Noch dazu in dieser Höhe?! Sicher, der Mann mochte ein 1st Class SOLDIER sein, aber das war unmenschlich! Dennoch schien es möglich gewesen zu sein, ihn auszutricksen ... Tymor behielt die Geschwindigkeit trotzdem bei, gewann merklich an Höhe und vollzog sicherheitshalber noch ein paar unvorhergesehene Kurswechsel. Ganz egal, wo sich sein Gegner jetzt befand, eine weitere Attacke dürfte absolut unmöglich sein. Trotzdem wurde der junge Pilot das Gefühl von andauernder Gefahr einfach nicht los. Irgendwann warf er einen Blick über die Schulter – und erstarrte. Sephiroth befand sich genau hinter ihm. So dicht, dass Tymor dessen Atem im Nacken hätte spüren können, wenn der Kragen der dicken Jacke dies nicht verhindert hätte. Tymor atmete keuchend ein und traf blitzschnelle Vorbereitungen, sein Flugzeug auf den Rücken zu rollen und so den ungebetenen Gast abzuschütteln – aber nur einen Sekundenbruchteil vor der Umsetzung des Plans legte sich etwas hart und kalt an seinen Kehle. Drückte zu. Offenbarte eine Schärfe, der ein menschlicher Körper unter keinen Umständen gewachsen war. Und unterband jegliche Bewegung. „Überraschung!“, wisperte eine dunkle Stimme in Tymors Ohr. „Wie ist dein Name, Kleiner?“ „... Tymor ...“ „Möchtest du das hier überleben, Tymor?“ „Ja.“ „Dann decken sich unsere Interessen. So ein Zufall. Weißt du, Tymor, ich mag mutige Leute. Man kann ihnen Aufgaben anvertrauen, an denen andere scheitern. Du scheinst eine dieser Personen zu sein. Aber die Grenze zwischen Mut und Dummheit ist sehr, sehr dünn. Ich gebe dir jetzt die Chance, wieder auf die Seite der mutigen zu wechseln. Richtest du deinem Chef Hiwako Destin etwas von mir aus?“ Tymor nickte. Was hätte er auch sonst tun sollen? „Sag ihm, er darf den heutigen Tag als kleines Vorspiel betrachten. Das kannst du dir mit Sicherheit merken. Im übrigen ... das ist ein sehr schönes Flugzeug. Dein eigenes?“ „Ja.“ „Verstehe. Deine bisher gezeigten flugtechnischen Leistungen war gar nicht schlecht, aber ich würde es sehr schätzen, wenn du in Zukunft woanders fliegen würdest. Denn ansonsten sehe ich mich gezwungen, dich und dein kleines Spielzeug in einen Feuerball zu verwandeln. Verstanden?“ Abermals nickte Tymor. Mittlerweile war er schweißgebadet vor Angst und sein Herz schlug so schnell, dass es ihm mehr wie ein leises Summen erschien. Dennoch hatte er nicht vor, die Anweisung zu befolgen. Jeder bei `Solar Solution´ riskierte täglich sein Leben! Und auch er würde sich nicht einschüchtern lassen! Jedenfalls nicht lange ... Neben seinem Ohr seufzte Sephiroth leise. „Warum glaube ich dir nicht? Nein, sag nichts. Ich war wohl nicht überzeugend genug. Mein Fehler.“ Die tödliche Klinge änderte blitzartig die Position. Es war nur eine leichte Bewegung. Kaum Kraft. Nahezu keine Geschwindigkeit. Aber sie reichte aus, um Tymors rechte Hand vom Rest seines Körpers zu trennen. Der folgende Schmerz war nicht von dieser Welt. Tymor zuckte zusammen, schrie gellend auf und ließ den Steuerknüppel los. Das Flugzeug begann augenblicklich heftig zu schwanken. „Weißt du, wenn du nicht steuerst, wirst du abstürzen.“ Tymor wimmerte leise. Der Schmerz ließ bunte Sterne vor seinen Augen tanzen, seine Atmung stoßweise und keuchend werden und riss, bis auf die dunkle Stimme neben seinem Ohr, jedes bisschen Wahrnehmungsfähigkeit an sich. Aber der General hatte Recht. Ohne Steuerung würde das Flugzeug irgendwo in Midgar zerschellen und vermutlich totales Chaos anrichten, vielleicht sogar Menschen töten ... Tymor biss die Zähne zusammen und presste den heftig blutenden Armstumpf gegen seine Jacke, griff mit der unversehrten Hand nach dem Steuerknüppel und fing die heftig schwankende Maschine ab. „Gut gemacht“, wisperte es neben seinem Ohr. „Und damit es weiter spannend bleibt ...“ Masamune brauchte genau zwei Sekunden, um die Anzeigetafeln für die Bordelektronik zu zerstören. Tymor stöhnte leise. Er wusste, jetzt würden ihm bei der Landung nur noch Instinkt und Glück helfen. Vor allen Dingen Glück, denn er war kurz davor, die Besinnung zu verlieren. „Also dann. Man sieht sich, Kleiner, aber denk dran: Nicht mehr über Midgar!“ Mit diesen Worten trat der General zurück, verhielt einen Augenblick lang stehend auf der Maschine, dann ließ er sich einfach fallen, landete elegant auf einem der etwas höher gelegenen Hausdächer und beobachtete, wie die gelbe Propellermaschine in einiger Entfernung schwankend, aber zielgerichtet an Distanz gewann. Sephiroth reinigte Masamune und erreichte nur Sekunden später wieder den Boden. Gerade noch rechtzeitig, um von Cutter Informationen über das neuste Zielobjekt zu empfangen und sich unverzüglich ein weiteres Mal auf den Weg zu machen. Diesmal schien es länger als sonst zu dauern, bis es Abend wurde. Die Sonne versank blutrot Glühend am westlichen Horizont, und ihr Verschwinden ließ die Dämmerung wie Nebel aus Ritzen, Ecken, Schattenplätzen, Hinterhöfen und Häuserschluchten kriechen, sich verdichten und schließlich zu Dunkelheit werden. Die Lichter der Stadt begannen ihren routinierten Kampf gegen die Nacht. Im ShinRa HQ überprüfte Cutter die Stadt ein weiteres Mal auf sich bewegende Lines, und als sie zum vierten Mal hintereinander nichts finden konnte, wusste sie, dass es vorbei war. Fast erleichtert griff sie zu ihrem PHS und verkündete das Ende der Mission. Dann ließ sie sich im Sessel zurücksinken und schloss erschöpft die Augen. Ihre Ruhe dauerte ganz genau 45 Sekunden. „Observer 1, kommen!“ Cutter griff mit einer müden Bewegung erneut nach dem PHS und gab an, auf Position zu sein und zu hören. Was sie hörte, war kein Grund zur Freude. Rufus Shinra erwartete sie in seinem Büro. „Wozu?“ Sephiroths Stimme klang viel zu klar in ihre Ohren. Die Schlachtfeld Kommandostimme. Keine Spur von `Sephy´ weit und breit. „Dein neuer Auftrag lautet: Zerstöre von dort aus die bereits angebrachten Solarplatten und die angeschlossenen Energiespeicher!“ Eine weiterer mentaler Volltreffer. Cutter schloss die Augen und sank in sich zusammen. „Habe ich nicht für einen Tag genug Leid über diese Stadt gebracht?“, wisperte sie schließlich. „Ich erwarte eine strikte Befolgung meines Befehls! Reiß dich zusammen, vergiss nicht, wo du bist, und versuch nicht mit ihm zu diskutieren. Verstanden?“ Es gelang Cutter erst nach etlichen Sekunden, die gehörten Worte zu bestätigen. Dann schob sie ihr PHS beiseite und versuchte, Kraft zum Aufstehen zu finden. Mehrere Minuten vergingen, ehe sich genug zaghafte Energie dafür angesammelt hatte. Und ich dachte, heute könnte es wirklich nicht mehr schlimmer kommen ... Wie kann man nur so naiv sein? Bei ShinRa ist eben immer noch eine Steigerung möglich. In jede beliebige Richtung! Und jetzt bin ich auf dem Weg zum Obertyrannen. Dabei ist das so lächerlich! Er hat eine Line! Ich könnte ihm Befehle geben! Warum tanze ich trotzdem nach seiner Pfeife? Weil Sephy es von mir verlangt, und er ist nun mal mein kommandierender Offizier. Aber warum tut er nichts? Weshalb lässt er sich von diesem Mistkerl so herumkommandieren? Und von Hojo auch. Dahinter steckt mehr, als ich zu wissen glaube, und mehr, als ich mit Sicherheit weiß. Irgendein finsteres Geheimnis. Ich bin ich mir ganz sicher! Aber was könnte das sein? Und was soll ich jetzt machen? Sephy hat gesagt, ich soll nicht diskutieren, aber ich muss es wenigstens versuchen! Diese Leute werden sich furchtbar erschrecken, wenn es auf einmal dunkel wird. Vielleicht verletzen sie sich sogar. Gaia, wenn du mich hörst, bitte verhindere es. Blockier mich! Tu etwas, irgendetwas! Bitte ... Langsam und müde, aber dennoch mit einem Funken Hoffnung ausgestattet, machte sie sich auf den Weg ins Büro des Präsidenten. Zur selben Zeit kehrte Sephiroth ins HQ zurück, betrat sein eigenes Büro und begab sich zum Fenster, blickte hinunter auf die Stadt. Midgar sah aus wie immer um diese Zeit. Tausende von großen und kleinen, bunt glühenden Lichtern, von denen jedes einzelne einen fleißigen Kampf gegen die Dunkelheit führte. Früher waren all diese Lichter ausschließlich durch die Electric Power Company am Leben erhalten worden. Das hatte sich mittlerweile geändert. Und die nächsten Minuten würden zeigen, wie groß der Schaden rein optisch betrachtet war. Cutter hatte die strikte Anweisung, nicht zu diskutieren. Aber der General wusste, dass sie es trotzdem versuchen würde. Er konnte ihre Trotz und ihre Wut spüren. Aber auch Müdigkeit und Verzweiflung. Und er fragte sich unwillkürlich, ob der Planet all diese Gefühle ebenso deutlich empfangen konnte, von der bevorstehenden Tat wusste, und es verhindern würde. Rein theoretisch war er dazu problemlos in der Lage. Abgesehen davon hatte ihn Cutter bestimmt angefleht, etwas zu tun. Aber um herauszufinden, ob ihre Bitte erhöht worden war, musste sie den Angriff starten. Die Stimmung glich dem spannungssteigernden Trommelwirbel unmittelbar vor dem vorläufigen Höhepunkt eines einzigartigen Programms. Sephiroth stand am Fenster, blickte auf die Stadt ... und wurde zum Augenzeugen. Es gab kein Zucken, kein Zittern, kein Flackern. Kein Zögern. Die Auslöschung begann, wie um alle Zweifel auszuschließen, vom ShinRa HQ ausgehend und breitete sich lautlos, aber mit äußerster Gewalt aus, gleichmäßig und fließend. Überall in Midgar kapitulierte das Licht, hinterließ auf dem sonst so perfekt gewebten Teppich aus allen möglichen, leuchtenden Farben schwarze, an Mottenfraß erinnernde Löcher, vermittelte eine klare Botschaft. `Wir wissen, wo und wer ihr seid´. Es dauerte weniger als 2 Minuten. Dann war es vorbei. Und über dem sichtbar gemachten Szenario aus zweifelhaftem Gut und Böse erklang Cutters lautlose Bitte um Verzeihung. Sephiroth wandte sich vom Fenster und dem darunter liegenden, völlig überrannten Anblick ab und nahm wahr, nicht einen Hauch Triumph zu empfinden. Nur die vertraute Kälte. Und eine Mischung aus Trauer und Erschöpfung, die nicht ihm gehörten, für die er aber einen großen Teil an Verantwortung trug. Er kehrte zum Schreibtisch zurück, setzte sich, griff nach einem Stift ... und hielt inne, um zur Tür zu sehen. Ob Cutter zu ihm kommen würde? Nach einem solch grauenhaften Tag? Sie war heute zu so vielen Dingen gezwungen worden. Von ihm. Von Präsident Shinra. Von der herrschenden Schlacht. Scheinbar nichts, außer einem Spielball. Dabei war sie im Grunde stärker als manche der Kräfte, deren Befehlen sie heute gefolgt war. Und genau da, dachte Sephiroth, liegt das Problem. Sie hat sich entschieden, zurückzukommen. Und auch, wenn sich ihre Fähigkeiten gewaltig gesteigert haben, all das ist bedeutungslos hinsichtlich der Tatsache, ein Teil des Militärs zu sein. Ein aufgrund der nicht bestandenen Prüfung rangloser Teil des Militärs. Ohne Aussicht auf eine Beförderung. Solange sie hier bleibt, wird sie immer wieder mit Befehlen konfrontiert werden, die ihren Ansichten widersprechen, gegen die sie sich aber nicht mit den ihr zur Verfügung stehenden Waffen auflehnen darf, weil dies schwerwiegende Konsequenzen auslösen wird. Jemanden unter Kontrolle zu halten, der viel stärker ist als man selbst, gehört zu den größten Herausforderungen, die es auf dieser Welt nur geben kann. Manchmal geht es gut. Manchmal nicht. Was, wenn sich eine Situation ergibt, in deren Verlauf sich Cutter nicht mehr länger gegen ihren Willen herumkommandieren lässt? Wer ist in der Lage, diese Konsequenzen zu tragen? Meine Phoenix und ShinRa ... passen nicht zusammen. Das haben sie noch nie getan. Aber Cutter hat ein einzigartiges Talent mit den Lines, und sie möchte es nutzen. Nur nicht so! Und dennoch muss ich manchmal genau das von ihr verlangen. Um einen Fortschritt für die Gesamtsituation zu erwirken. Meine SOLDIER behandle ich genauso. Ich kann für Cutter keine Ausnahmen machen! Gerade weil sie ist ... was sie ist. Abgesehen davon wäre Rufus früher oder später auf exakt dieselbe Idee gekommen. All das sind gute, nachvollziehbare Gründe, aber warum fühle ich mich dann, abgesehen von meinen üblichen Kopfschmerzen, so unwohl? Noch während er darüber nachdachte, nahm er wahr, wie das Gefühl in ihm aufstieg. Es gehörte nicht ihm. Aber er brauchte trotzdem nur wenige Sekunden, um es zu definieren. Cutter rief nach ihm. Sephiroth seufzte leise. Er konnte nicht zu ihr gehen. Jetzt noch nicht. Weil er nicht wusste, was und wie er zu ihr sprechen sollte. Cutter war so stark geworden. Aber der heutige Tag hatte einmal mehr deutlich gezeigt, wie leicht sie hinsichtlich mancher Anforderungen immer noch ins Straucheln geriet, und sei es `nur´ auf mentaler Ebene. Aber was, wenn die Zukunft noch viel grauenhaftere Dinge für sie bereit hielt? Und was, wenn ich derjenige sein muss, der die entsprechenden Befehle erteilt? Ich werde sie, wie heute, geben, ohne zu zögern. Aber wenn es dabei um Cutter geht, kann ich nicht so tun, als wäre ich mir ihres Leides nicht bewusst. Und mit diesen Erkenntnissen muss ich arbeiten. Aber ob es mir gelingt? Ich habe verstanden, was `Trost´ ist und wie man `tröstet´. Mir ist allerdings klar, dass es nicht immer funktioniert. Und gerade jetzt ... Ich könnte meiner Phoenix viele gute Gründe nennen, die, rein logisch gesehen, all ihre Schuldgefühle beseitigen. Aber es würde nicht klappen. Weil sie all diese Gründe schon kennt. Und weil sie weiß, dass ich wohl nie verstehen werde, welchen Sinn es macht, um das Schicksal von Fremden zu trauern. Oder über Taten, denen man nicht entgehen konnte. Also ... sollte ich wohl etwas Anderes sagen. Er atmete tief durch, verließ sein Büro und betrat nur wenige Minuten später lautlos Cutters Quartier. Die junge Frau lag zwar im Bett, das Gesicht zur Tür gewandt, war aber noch nicht eingeschlafen. Für einen kurzen Augenblick wusste Sephiroth nicht, was er tun oder sagen sollte. Dann gab er sich einen Ruck. „Ich wollte nach dir sehen.“ Cutter schmunzelte sachte. Ganz offensichtlich war General Crescent wieder zu Sephy geworden. Sie hatte ihn gerufen und er war gekommen. Und es tat gut, ihn jetzt hier zu haben. Trotz allem. Die junge Frau rückte ein wenig auf der Matratze zur Seite, und Sephiroth nahm die Einladung an und setzte sich. Schwieg einen Moment und wandte schließlich den Kopf zu ihr. „Ich weiß, was ich heute von dir verlangt habe.“ „Nein“, antwortete Cutter leise und ohne jeglichen Vorwurf in der Stimme. „Das weißt du nicht. Weil du ein Killer bist. Und ich bin keiner. Versteh mich nicht falsch, du hast dich verändert. Aber du hast immer noch keine Ahnung, was manche deiner Befehle den Herzen der Menschen antun.“ „Du kennst mich. Und du kennst ShinRa. Du wusstest, worauf du dich einlässt.“ „Nein.“ Cutter schüttelte den Kopf. „Ich dachte: `Hey, jetzt beherrschst du die Lines. Niemand kann dir mehr blöd kommen.´ Aber im Grunde hat sich nichts verändert. Überhaupt nichts. Und ich bin doch wieder eine von den Bösen. Und ich weiß nicht, wie und warum, oder was ich dagegen tun könnte, ohne mehr zu verlieren, als ich verkraften kann. Verstehst du mich? Was ich sein möchte, und wozu ihr mich macht, das ist so ... gegensätzlich. Und es tut so weh.“ „Du könntest ShinRa verlassen. Mit deinen Fähigkeiten findest du bestimmt irgendwo einen neuen Job.“ „Siehst du“, sagte Cutter leise und sehr traurig, „du hast es immer noch nicht verstanden. Ich bin nur hier, weil du hier bist, und ich möchte bei dir sein, bis es endet. Oder würdest du mit mir weggehen?“ „Ich kann nicht.“ Cutter setzte sich ruckartig auf. „Warum?!“, fauchte sie. Wut funkelte in ihren Augen. „Rufus und Hojo behandeln dich wie Dreck, und obwohl du viel stärker bist, lässt du dir das gefallen, ohne dich zu wehren.“ Ihre Stimme wurde wieder leiser, sanfter. „Und ich verstehe nicht, warum. Oder warum diese Menschen heute sterben mussten, obwohl ich sie ganz leicht hätte ausschalten können, ohne dass ihr sie hättet umbringen müssen! Ihre Freunde werden sie suchen, ihre Familien ... und ich muss ständig daran denken, was ich tun würde, wenn du und Zack auf einmal verschwinden würden, und ...“ Weiter kam sie nicht. Die Arme des Generals schlossen sich völlig unvermittelt um ihren Körper, zogen ihn zu sich, hielten ihn fest. Sagten mehr als 1000 Worte (aber unter anderem, dass er endlich begriffen hatte, warum man auch über das Schicksal fremder Personen traurig sein konnte). Auch Cutter schwieg. Sie hatte längst ihrerseits die Arme um ihn gelegt und die Augen geschlossen. Es war so schön, ihn so nahe bei sich zu haben ... und so selten. Am liebsten hätte sie nie wieder losgelassen. Aber der Moment würde kommen, und die junge Frau wusste: Wenn sie bereit war, Sephiroth gehen zu lassen, käme er irgendwann zurück. Und so leistete sie keine Gegenwehr, als er die Distanz wieder vergrößerte. Aber sie erhielt eine Belohnung in nie erahnter Form. „Deswegen bin ich hier, Phoenix. Ich wollte dir die Wahrheit sagen.“ Gleichzeitig hätte er sich auf die Zunge beißen können. Den ihr ganz insgeheim gegebenen Spitznamen laut auszusprechen ... Aber Cutter schien den Versprecher gar nicht bewusst wahrgenommen zu haben, denn zeigte keinerlei Reaktion darauf, sondern sah ihn einfach nur weiter abwartend und aufmerksam an. Sephiroths Schweigen dauerte ebenfalls an, allerdings aus völlig anderen Gründen. Seine Wahrheit ... Zack hatte all diese Dinge mehr oder weniger durch kuriose Zufälle herausbekommen. Aber freiwillig darüber zu erzählen war etwas völlig Anderes. Auch, wenn er wirklich wollte, dass Cutter die Wahrheit erfuhr, er brauchte einen Augenblick, um die richtigen Worte zu finden. Aber dann, mit einer Stimme die an fallende Schneeflocken erinnerte, begann er leise zu erzählen. Von sich, von Hojo (aber er verschwieg die Blutsverwandtschaft), wie sehr er den Wissenschaftler hasste, verachtete ... und fürchtete, vom Labor, von den so lang gesuchten und immer noch nicht gefundenen Antworten betreffend seiner eigenen Existenz. Worte, die er in dieser Reihenfolge noch niemals laut ausgesprochen hatte. Es fühlte sich an, als öffne sich irgendwo in seinem Herzen eine Tür, deren Scharniere im Laufe der Zeit eingerostet waren. Und es tat weh. Ein Schmerz, den er auf diese Art und Weise noch niemals zuvor wahrgenommen hatte. Und Cutter hörte zu, schweigend, ohne ein einziges Mal zu unterbrechen. Aber als er endete ... „Du weinst“, sagte Sephiroth leise. „Um dich.“ Cutters Stimme klang ebenso leise. „Weil du es nicht für dich selbst tun kannst.“ Niemand zuvor hatte jemals etwas Ähnliches getan, aber es wunderte Sephiroth nicht, dass Cutter die erste war. Dennoch ... „Ich bin in Ordnung.“ Heftiges Kopfschütteln mit gesenktem Kopf. „Das bist du nicht! Du bist nur viel zu sehr gewöhnt an all das ...“ Sie sah ruckartig auf. „Was kann ich für dich tun?“ Sephiroth streckte die Hand aus und fuhr vorsichtig über Cutters tränennasse Wangen. „Befolge meine Befehle. Und lass dich nicht in diese Sache mit reinziehen.“ „Ha! Ich bin deine Freundin, großer General! Ich stecke schon mittendrin!“ „Ja. Ich hätte dich früher informieren sollen.“ Aber Cutter schüttelte den Kopf und griff nach seiner Hand. „Du hast mich jetzt informiert.“ Gleichzeitig fuhr sie sich mit der freien Hand heftig über die Augen. „Ok. Genug geheult!“ Sie atmete tief durch. „Ich hasse Hojo, habe ich das schon erwähnt?“ „Mehrfach“, schmunzelte Sephiroth. „Hm“, machte Cutter leise. Und dann, sehr heftig: „Was diese Monstersache angeht, glaub ihm nicht! Du bist keins! Deine Line befindet sich bei denen der Menschen, und die Lines irren sich niemals!“ „Aber du kannst sie nicht lesen.“ „Alles, was Hojo dir angetan hat, kann Auswirkungen auf deine Line haben! Dass sie so aussieht, ist seine Schuld.“ „Und was ist hiermit?!“ Der schwarze Flügel entfaltete sich ohne Vorwarnung. „Es spielt keine Rolle!“, fauchte Cutter. „Weil du entscheidest, was dieser Flügel bedeutet!“ Und etwas leiser, aber nicht weniger eindringlich: „Ich weiß, bisher hat er immer nur die idiotischen Ansichten dieses Mistkerls unterstützt, aber es ist dein Flügel! Deiner! Du entscheidest, was er bedeutet! Nicht Hojo!“ Sie schüttelte den Kopf. „Flügel machen einen nicht zum Monster. Ich ... Ich beweise es dir.“ Ihre nächste Bewegung wirkte wie ein räkeln – aber mit einem von Sephiroth noch nie zuvor gesehenen Ergebnis. Eine dünne Linie aus Licht erschien hinter Cutters Rücken, dicht gefolgt von einer zweiten, einer dritten ... vielen, die zu scheinbar glühenden Quer- und Längsverbindungen von unterschiedlicher Länge wurden, sich ineinander schoben, parallel zueinander liefen und schließlich erstarrten wie heißes Blei in einer Wasserschale. Das Glühen schien sich ins Innere der Linien zurückzuziehen, und endlich konnte der General die endgültig durch sie gebildeten Formen als das erkennen, was sie darstellten. „Flügel? Cutter, du ... du hast Flügel?“ „Hmhm. Und ich bin immer noch ich selbst, siehst du?“ „Was ...“ Er musste alle Selbstbeherrschung aufbringen, um logisch denken zu können. „Warum hast du Flügel?“ Gleichzeitig streckte er die Hand danach aus, verharrte, aber als Cutter nickte, führte er die Bewegung zu Ende und streichelte behutsam über eine der dünnen Linien. Sie fühlte sich warm, aber nicht heiß an. Glatt. Ein bisschen wie lebendig. Irgendwie ähnelten sie der Luna Lance. „Sie waren ein Geschenk. Von den Lines oder vom Planeten ... ich weiß es nicht. Als Tzirka in die Einsamkeit gegangen ist, tauchte auf einmal der schwarze Hund bei ihr auf. Sie sollte wohl nicht ganz alleine sein. Bei mir war es anders. Ich wollte um jeden Preis zu dir und Zack zurückkehren. Daher haben mir die Lines einen anderen Wunsch erfüllt. Eben diesen hier.“ In seinem gesamten bisherigen Leben waren Sephiroth nur sehr wenige Dinge begegnet, die ihn sprachlos gemacht hatten. Aber das hier gehörte definitiv dazu. Er wusste, Flügel zu haben war schon immer ein Wunsch Cutters gewesen. Ganz im Gegensatz zu ihm! Aber dass sie jemals tatsächlich welche besitzen würde ... Niemals hätte er es für möglich gehalten. Und dennoch existierten sie jetzt. Allen Gesetzen und aller Logik zum Trotz. Und Cutter war wirklich noch ganz dieselbe. „Weißt du“, sagte sie eben, „warum du meiner Ansicht nach diesen Flügel hast? Damit du fliegen kannst. Ganz einfach.“ „Damit ich fliegen kann“, wiederholte Sephiroth relativ verblüfft über eine zu seiner eigenen so gegensätzlichen Denkweise. „Du hast nie versucht, Spaß damit zu haben, oder? Versuch es doch einfach mal. Ich glaube, das würde helfen.“ Sephiroth sah schweigend zu ihr hinüber. Warum, dachte er irgendwann, warum kannst du so sein? Du hast einen Tag hinter dir, der für dich kaum härter hätte sein können. Meinetwegen! Und trotzdem versuchst du, mir zu helfen ... mich zu trösten ... „Du bist unlogisch“, wisperte er. „Ich bin verliebt. In dich. Restlos, vom Kopf bis in die Zehenspitzen. Und wenn ich etwas für dich tun kann, irgendetwas, dann sag es, es spielt keine Rolle was und wann und wie ... Nur sag ...“ Sephiroths Kuss kam völlig unvermittelt, aber die augenblicklich einsetzende Ruhe machte überdeutlich, wie einverstanden Cutter mit der plötzlichen Nähe war. Zumal sie abermals die Arme um ihn schlang, letztendlich ihren Kopf an seinen Oberkörper schmiegte und so ihm die Gelegenheit gab, seinerseits die Arme auf ihren Rücken zu legen. Die Stille zwischen ihnen war wie eine lautlose Botschaft. Ich habe verstanden. Aber ich weiß noch nicht, ob ich alles akzeptabel umsetzen kann. „Sobald sich die Chance eröffnet, oder eröffnen lässt, diese Situation zu ändern“, sagte Sephiroth irgendwann leise, „werde ich sie nutzen. Versuch, so lange durchzuhalten.“ Cutter nickte. Sie wusste, momentan konnte sie für ihren Freund nicht mehr sein, als sie derzeit war, inklusive dem festen Willen, sich nicht zerbrechen zu lassen. Und so schloss sie nur schweigend die Arme ein klein wenig fester um ihn. „Zur Not“, grollte sie irgendwann, „machen wir die beiden zusammen fertig. Und wenn ich nur dafür sorge, dass sie irgendeine Tür nicht aufkriegen, oder so.“ Und dann, völlig ernsthaft: „Sephy? Vielen Dank für dein Vertrauen.“ Sephiroth schmunzelte sachte. „Du machst es mir schwer, dir nicht zu vertrauen. Auch, wenn ich bestimmt noch viel zu lernen habe. Aber dein sonstiges Training ist ebenfalls sehr hilfreich.“ „Sonstiges Training?“, antwortete Cutter und gab sich alle Mühe, überrascht und unschuldig zu klingen. „Was für ein Training?“ „Ich wette“, antwortete Sephiroth und löste die viel länger als sonst übliche Umarmung, „du hast eine Liste erstellt mit Dingen, die du tun könntest, um mich von der dauerhaften Schmerzlosigkeit deiner Berührungen zu überzeugen.“ „Liste?“ Der General seufzte leise, aber nicht unamüsiert. „Ganz unter uns: Als Schauspielerin würdest du verhungern.“ Gleichzeitig streckte er die Hand aus. Cutter verzog verlegen das Gesicht, zog ein mehrfach gefaltetes, beidseitig beschriebenes Papier unter ihrem Kopfkissen hervor und reichte es dem General. Dieser faltete es auf und begann zu lesen. „Äußerst kreativ“, bemerkte er schließlich. „Wie immer.“ Dann zückte er einen Stift und brachte so Cutter dazu, mit einem: „Hey, lass mich gucken! Was machst du?“ neugierig näher zu rücken. „Scht! Nicht stören.“ Gleichzeitig drehte er ihr den Rücken zu. „Das ist schwierig für mich!“ Aber irgendwann drehte er sich wieder zu ihr um – und musste unwillkürlich einige Sekunden lang leise lachen. Cutters Blick glich dem einer Katze, die schon wusste, dass es gleich ein Schälchen Milch für sie geben würde. Amüsiert reichte Sephiroth ihr den Zettel und wartete gespannt auf die Reaktion. Sie bestand aus ehrlicher Verblüffung. „Die Sachen mit dem Häkchen sind wirklich alle OK für dich?“ „Alle. Aber ich schätze, irgendwann kannst du die eingeklammerten Sachen ebenso tun.“ „Wow“, murmelte Cutter. „Cool!“ Dann faltete sie den Zettel wieder zusammen und schob ihn unters Kopfkissen. Dabei gelang es ihr nicht ganz, ein Gähnen zu unterdrücken. „Ich sollte gehen“, lautet der leise Kommentar ihres Gastes. „Es ist spät, du bist müde und hast in ein paar Stunden einen neuen Einsatz.“ Cutter versuchte zu protestieren, brachte aber kaum mehr als ein leises: „Hmmmh“ zustande. Gleichzeitig begannen die Flügel kleiner zu werden, und Sephiroth begriff sofort, wohin sie verschwanden. „Diese beiden glühenden Punkte auf deinem Rücken ...“ „Du kannst sie sehen?!“ Und dann, leise und mit vor Zärtlichkeit förmlich vibrierender Stimme: „Weil du mein mentaler Fokus bist.“ „Momentan bin ich vor allem derjenige, der dich endgültig schlafen schickt.“ Cutter grinste, ließ sich zurücksinken, zog die Bettdecke wieder über sich, schloss die Augen ... und öffnete sie noch einmal blinzelnd. Lächelte verschwörerisch. „Übrigens mag ich den Spitznamen, den du mir gegeben hast.“ Sephiroth lächelte verlegen. „Ja? Eigentlich war es Zack, der immer gesagt hat, in dir stecke ein Phoenix. Ich habe lediglich irgendwann angefangen, daran zu glauben.“ „Und ich glaube an dich. Du wirst irgendeine Möglichkeit finden, dich zu befreien. Und dann wird alles gut.“ Sephiroth wusste, sie meinte es absolut ernst. Aber es war ihm nicht möglich, etwas zu sagen. Ihm wurde gerade klar, wie stark der Unterschied zwischen der ihm im ShinRa Alltag präsentierten Erwartungshaltung und Cutter Glauben war. Dass man mir Befehle erteilt und ich sie ausführe – daran bin ich gewohnt. Weil es Befehle sind. Aber das hier ... Du glaubst an mich. Wie anders sich das anfühlt. Nicht zuletzt auch, weil du mich liebst ... Er hätte seine Gedanken mit ihr teilen können. Aber noch war er nicht soweit. Und so erhob er sich mit einem neutralen „Bis morgen“ und steuerte die Tür an. Cutter sah ihm nach, bis er die Tür leise hinter sich schloss, und wusste, dass sie heute erneut mehr über die Seele dieses Mannes erfahren hatte, als man von 99,9 % des gesamten ShinRa Universums sagen konnte. Sephiroth war in sein Büro zurückgekehrt, aber seine Gedanken weilten bei den vergangenen Minuten. Niemals zuvor hatte er sich freiwillig so weit geöffnet. Und Cutters Art, damit umzugehen ... Ihr all das zu erzählen war richtig gewesen. Auch, wenn sie bestimmt schon ganz entgegen seiner Anweisung darüber nachdachte, wie sie ihm trotzdem helfen konnte. Liebe war wirklich eine seltsame Kraft. Auch, dachte er, wenn sie hier nicht ausreicht. Ich will Hojos und Rufus Unterlagen! Mit weniger gebe ich mich nicht zufrieden! Entschlossen wandte er sich wieder seiner Arbeit zu. Einige Kilometer entfernt, in einer der schlagartig energielosen Wohnungen, saß Destin , ignorierte das klingelnde Handy (er wusste auch so, wer am anderen Ende wartete: Ein Kunde der ihm mitteilen wollte, dass die Solaranlage ausgefallen war) und starrte in die Dunkelheit. Er war alleine. Er hätte jetzt nicht alleine sein sollen. Eigentlich fand zu dieser Zeit das wöchentliche Meeting der Techniker Solar Solution´ s statt. Der Raum war erfüllt von größtenteils gut gelaunten Stimmen, die wild durcheinander redeten, oder auch schwiegen um keines der von einem anderen gesagten Worte zu verpassen. Es gab Zuspruch oder erbitterte Widerworte, Prahlereien und herzliches Gelächter. Aber jetzt gab es nichts von alldem. Destin hatte versucht, seine Leute zu erreichen. Avris, Cecil, Claric ... und all die anderen. Stellenweise Personen, die er schon sein ganzes Leben lang kannte, denen er alles Glück der Welt wünschte, ohne die er sich seine weiteren Tage gar nicht vorstellen konnte. Aber keine der so vertrauten Stimmen war erklungen. Und dann die Sache mit Tymor. Das gelbe Propellerflugzeug war mehr oder weniger vom Himmel gefallen, wobei einiges zerstört worden war. Tymors Dad, der einer dunklen Ahnung zufolge schon den Himmel abgesucht hatte, war als erster an der Unfallstelle gewesen und hatte seinen Sohn aus dem einstmals so schönen Flieger bergen und ins Krankenhaus bringen können. Zwar war es den Ärzten gelungen, die abgetrennte Hand wieder anzufügen und den Zustand des Patienten zu stabilisieren, aber sein Leben war nach wie vor in großer Gefahr. Trotzdem hatte Tymor es auf dem Weg ins Krankenhaus geschafft, seinem Vater zu erzählen, was geschehen war. Und dieser hatte die Botschaft des Generals an Destin weiter gegeben. Zusammen mit den verschwundenen Technikern und der ausgefallenen Solartechnik ergab all das ein höchst besorgniserregendes, ja fast schon beängstigendes Bild. Dennoch war Destin nicht bereit, mit dem Allerschlimmsten zu rechnen. Jetzt galt es, die Nerven zu bewahren. Die Gespräche der Kunden zu bearbeiten, die den Ausfall ihrer Solartechnik meldeten und einen Termin zur Reparatur vereinbaren wollten. Den Destin vorläufig hinauszögern musste, denn selbst die Solarplatten in den geheimen Lagern waren vernichtet worden. Wie nur hatte ShinRa es geschafft, mit einem Schlag so viel gezielte Zerstörung anzurichten? Es musste eine neue Geheimwaffe geben. Etwas, das ... Aber wie ... Habe ich ShinRa unterschätzt? Bin ich zu weit gegangen? Was, wenn ... Nein! Noch weigere ich mich, es zu glauben. Ich werde hier bleiben, die eingehenden Anrufe bearbeiten und warten! Früher oder später wird sich zeigen, was los ist! Gleichzeitig versuchte er, die schlagartig in ihm aufsteigende Müdigkeit niederzukämpfen, unterlag aber nach einigen Minuten. Und begann fast augenblicklich zu träumen. Anfänglich besaßen die Bilder keinerlei Sinn und stürzten wie eine gigantische Lawine auf sein Bewusstsein ein. Dann aber änderte sich das schlagartig ins Gegenteil. Der Schlaf war verhältnismäßig kurz. Aber als Destin erwachte, waren seine Wangen nass von Tränen. Der Planet hatte ein weiteres Mal zu ihm gesprochen. Ihn sehen lassen, wie seine Freunde in den Straßen Midgars von den Turks und General Crescent kaltblütig ermordet wurden, und wie letzterer mit Tymor umgesprungen war. Nicht in allen Details. Aber deutlich genug. Und dann war eine neue Person aufgetaucht. Eine junge Frau. Death Walker Tzimmek Cutter. In der Lage, die Lines, von deren Existenz Destin schon durch den Planeten wusste und die er bisher als von ShinRa nicht antastbar eingestuft hatte, zu beeinflussen – und somit ein völlig unerwarteter Gegner. Destin setzte sich langsam auf und starrte in die Dunkelheit, ignorierte das immer noch klingelnde Handy und versuchte das Chaos aus angefangenen Erkenntnissen zu ordnen und der Reihe nach logisch zu beenden. Im Grunde waren es nicht viele. Viele seiner Freunde waren tot – und würden niemals wieder zurückkommen. ShinRa besaß jemanden, der die Lines beeinflussen konnte – und hatte mit ihrer Hilfe die Solarplatten zerstört. Solange die Electric Power Company im Besitz dieser mächtigen Waffe war ... würde jede einzelne neu angebrachte Solarplatte ebenso zerstört werden. Und mit ihr der dazugehörige Techniker. „Wie sollen wir damit fertig werden?“, wisperte Destin und verspürte zum ersten Mal seit Jahren tiefe Erschöpfung in sich aufsteigen. Niemals zuvor schien die vor ihm liegende Aufgabe so groß und schwer gewesen zu sein. Niemals zuvor hatte er sich so schwach und klein gefühlt. Er ließ den Kopf auf die am Rand der Tischplatte liegenden Arme sinken und schloss abermals die Augen, zu müde, um sich gegen die Gewissheit, die erste echte Niederlage empfangen zu haben, zu wehren. Und seine Line, die wie alle ihrer Art unfähig war zu lügen, übermittelte diese und alle anderen Empfindungen direkt an den Planeten. Gaia lauschte dem leisen Klagen aufmerksam. Und entschied sich, alle Pläne vorerst über den Haufen zu werfen und Kraft für etwas völlig Neues zu sammeln. Kapitel 44: Klare Antworten --------------------------- Die ShinRa´s Taten folgende Nacht zeichnete sich durch deutlich weniger Licht als sonst aus, sowohl die Stadt, als auch die Herzen der Menschen betreffend. Auch Cutter tappte durch gedankliche Dämmerung. Einerseits fühlte sie sich durch Sephiroths Offenheit beschenkt und glücklich. Andererseits musste sie immer wieder darüber nachdenken, wie klar ihr die Grenze zwischen `Gut´ und `Böse´ früher erschienen war, und wie seltsam verschwommen sie sich jetzt präsentierte. Es mochte stimmen, dass zusätzliches Wissen neue Blickwinkel eröffnete. Aber was nützten einem das, wenn man nichts damit anfangen konnte? Cutter wusste, sie hätte ihren Freund mit keinem Argument der Welt davon abhalten können, weiter nach seinen Antworten zu suchen. Dafür tat er dies einfach schon zu lange, und sie waren ihm zu wichtig. Aber was, wenn er sie irgendwann fand und daran zerbrach? Der schwarze Flügel, diese unglaubliche mentale und körperliche Stärke ... Sephiroth war nicht wie andere. Das zu leugnen wäre völlig sinnlos gewesen. Es machte ihn in Cutters Augen nicht weniger liebenswert, aber darum ging es hier momentan nicht. Was, wenn ihn die Ereignisse irgendwann überrollten? Hojo und Rufus waren skrupellos, zu Allem fähig und hatten mit Sicherheit gute Gründe, um Informationen zu verbergen. Was Sephiroth mit Sicherheit wusste. Und trotzdem änderte er sein Verhalten nicht. War die geringe Aussicht auf Erfolg es wirklich wert, das eigene Leben zu riskieren? Aber es war nicht nur das. Sephiroth fürchtete Hojo. Und somit bestätigte sich einmal mehr Zacks Aussage, Hojo sei in erster Linie ein mentaler Gegner, den Sephiroth ganz alleine besiegen musste. Was bedeutete, dass er irgendwie die Kraft dafür finden musste. Dies aber konnte nur geschehen, wenn es ihm gelang, genug davon anzusammeln. Mittlerweile hatte Cutter einen relativ guten Einblick in den Alltag ihres Freundes und wusste, wie viel Zeit und Kraft er aufbringen musste, um sich all den so unterschiedlichen Herausforderungen gewachsen zu zeigen. Und sie wusste, dass auch sie zu einem zeit- und kraftraubenden Element werden würde, wenn sie sich weiterhin, solange es ihr möglich war, gegen Befehle stemmte, die ihrer Grundüberzeugung widersprachen. Aber gerade diesen Punkt wollte die junge Frau trotz allem nicht verändern, denn das wäre nichts anderes als Selbstbetrug gewesen – und somit von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Dennoch war ihr bewusst, dass niemand für immer freundlich sein konnte. Selbst Zack tötete, wenn die Situation keinen anderen Ausweg mehr zuließ, und dann war der 1st brutal, schnell und ein wahrhaft furchteinflößender, gnadenloser Gegner. Ob er anschließend Schuldgefühle hatte, wusste Cutter nicht, aber ihr war klar, dass die mentale Stärke eines 1st Class SOLDIERs wesentlich ausgeprägter war, als bei anderen Menschen – und der jungen Frau war bewusst, weder selbst über eine derartige Stärke zu verfügen, noch, sich eine solche antrainieren zu können. Und dennoch würde sie irgendetwas Ähnliches finden müssen. Denn der Kampf gegen `Solar Solution´ hatte gerade erst begonnen, und sie war, ob sie nun wollte oder nicht, Teil dieser Schlacht. Aber diesmal, dachte Cutter irgendwann, wird es nicht gut ausgehen mit mir und ShinRa. Ich weiß es einfach. In dieser Nacht gelang es ihr nicht, zu schlafen, obwohl sie es gerne getan hätte. Andere hingegen verzichteten ganz bewusst auf Schlaf. Sephiroth verließ das Büro nach einiger Zeit, um sich einem mehrstündigen Schwerttraining zu widmen. Tymors Eltern verbrachten die Nacht auf der Intensivstation des Krankenhauses, am Bett ihres einzigen Sohnes, und bewachten jeden seiner Atemzüge. Um sie herum, in ganz Midgar verteilt, warteten Freundinnen oder Ehefrauen besorgt auf das Heimkommen ihrer Freunde und Ehemänner, oder wenigstens auf einen Anruf. Destin selbst hatte die Kraft gefunden, mit dem Handy die Anrufe von Kunden entgegenzunehmen, die ihm mitteilen wollten, dass sie im Dunklen und Kalten saßen und diesen Zustand gerne ändern lassen würden. Aber auch dieser schrecklichen Nacht folgte ein Morgen. Die Sonne ging auf. Und als wüsste das Handy, die einzige Destin verbliebene Lichtquelle, darüber Bescheid, schaltete es sich aufgrund des restlos entleerten Akkus ab. Fast fühlte sein Besitzer Dankbarkeit gegenüber soviel Durchhaltevermögen in sich aufsteigen – aber auch ein wenig Heiterkeit. Denn jetzt würden die Gespräche auf Rogers Handy umgeleitet. Roger war, wenn man so wollte, stellvertretender Geschäftsführer von `Solar Solution´. Ebenso alt wie Destin, aber mit einem etwas vielseitigeren Kleidungsstil und einer gepflegteren Frisur. Viel wichtiger aber war seine Unerschrockenheit. Wenn es darum ging, ShinRa eins auszuwischen, war er ein verdammt guter Ansprechpartner. Außerdem kannte er alle Schleichwege, die Midgar nur zu bieten hatte. Und auch er war ein Freund. Destins bester Freund. Der erst vor wenigen Stunden von einem Geburtstag zurückgekommen sein dürfte und hinsichtlich des vermutlich wie üblich in höchster Lautstärke klingelnden Handy mittlerweile senkrecht im Bett sitzen musste. Ob er vielleicht sogar schon unterwegs war? Die Frage beantwortete sich nur wenige Minuten später. Roger Byjak, trotz der kühlen Temperaturen seine geliebte Lederjacke tragend, dafür aber mit Schal und Handschuhen bewaffnet, öffnete die Haustür und betrat nur wenige Augenblicke später den Wohnbereich, warf einen Blick auf den erschöpften Destin ... „Morgen. Oha. Meine Solaranlage ist kaputt, mein Handy klingelt Sturm, weil ständig jemand anruft und genau dasselbe melden will, ich erreiche keinen von unseren Technikern und du sitzt hier wie ein Häufchen Elend. Was ist passiert?“ Und Destin begann zu erzählen. Leise. „Alle, sagst du?“, vergewisserte sich Roger irgendwann erschüttert. „Wirklich alle?“ Eine Faust kollidierte mit der nächstbesten Wand. „Das darf doch nicht wahr sein.“ Und dann, mit aller empfundener Wut: „Verdammtes ShinRa Pack! Damit kommt ihr nicht davon, das verspreche ich euch!“ Und in Destins Richtung: „Was hast du jetzt vor?“ Es erschien am sinnvollsten, zuerst alle noch unwissenden Kunden zu informieren und zu beruhigen. Während Roger den mitgebrachten Laptop aktivierte, den Akku zu seiner großen Erleichterung randvoll und die Solar Solution Homepage unbeschädigt vorfand und sofort begann, einen entsprechenden Eintrag zu entwerfen, kümmerte sich Destin weiter um die eingehenden Telefonate. „Was tun wir als nächstes?“, erkundigte sich Roger in einem ruhigen Moment. „Unsere verbliebenen Leute mit einem Meeting über den aktuellen Stand der Dinge informieren. Aber ab da weiß ich auch nicht mehr weiter. Der Planet hat mir keine weiteren Anweisungen hinterlassen.“ „Mach dir darum keine Sorgen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gaia ShinRa´s neueste `Meisterleistung´ verborgen geblieben ist. Irgendwann wirst du wieder träumen. Ich schreibe eine Mail an unsere Leute. Vermutlich werden sie gleich herkommen. Kriegst du das hin?“ „Ja. Nur Kaffee wird´ s keinen geben.“ „Da müssen wir durch.“ Er klopfte seinem Boss und bestem Freund tröstend auf die Schulter und begann die Rundmail zu entwerfen. Destin erhob sich und trat ans Fenster. Draußen hatte trotz der furchtbaren Nacht das Leben ein weiteres Mal in gewohnte Form eingesetzt. Der vertraute Anblick verursachte ein zu gleichen Teilen erschreckendes, wie auch tröstendes Gefühl, und Destin beschloss, sich an Letzteres zu klammern. Hinter ihm schrieb Roger die Rundmail, aber das Klackern der Tasten verstummte immer wieder, hörbarer Beweis, wie schwer es ihm fiel, die Geschehnisse aufzuschreiben. Irgendwann wurde es ganz still. Die Mail war unterwegs. Und noch während das Handy abermals zu klingeln begann, fragte sich das Herz von Solar Solution, wie es hinsichtlich der neuesten Entwicklungen mit der Revolution weitergehen sollte. Denn die Möglichkeiten menschlichen Handelns waren vorerst ausgeschöpft. Jetzt lag es allein am Planeten, ShinRa zu antworten. Und Gaia war sich dessen völlig bewusst. Es begann 2 Tage später, gegen Mittag, und für die Bevölkerung des Planeten gänzlich unerwartet. Der Ton war leise. Aber dauerhaft. Er schwoll auf und ab, in endlosen, dunklen Tonkurven, und durchdrang alles. Ein Klagelaut, der Seelen erbeben ließ. Er brachte die Menschen dazu, mit der aktuellen Tätigkeit innezuhalten, zu lauschen und sich besorgt umzusehen. Zwar konnten sie nichts entdecken. Aber seltsamerweise begriffen sie sofort, dass der Ton aus den Tiefen der Erde kam. Und allen war ab diesem Zeitpunkt klar, was sie wirklich hörten. Der Planet weinte. Wer bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Fragen gestellt hatte, fing jetzt damit an. Und es dauerte nur wenige Tage, ehe die neuesten Berichte über ShinRa´s Durchgreifen in Midgar die Runde machten. Die Reaktionen beliefen sich auf alle nur erdenklichen Emotionen in unterschiedlichen Stärken, waren jedoch in Midgar selbst am intensivsten. So klar der in der letzten Auseinandersetzung von ShinRa davongetragene Sieg war, so bewusst war den beiden gegnerischen Parteien, dass dies noch lange nicht das Ende des Kampfes darstellte. Momentan glichen die Electric Power Company und Solar Solution zwei Hunden, die sich knurrend umkreisten und auf die Möglichkeit warteten, dem anderen an die Kehle zu springen. Zwar humpelte Solar Solution derzeit, hielt den Kopf aber ebenso tief unten und die Augen auf den Gegner gerichtet, wie ShinRa es tat. Und so erfüllte leises, imaginäres Knurren die Stadt, deren Bewohner den Kampf mit gemischten Gefühlen beobachteten, gab es doch keinen mehr, der nicht entweder selbst betroffen war, oder im Bekannten- oder Freundeskreis jemanden besaß, der seine Energieversorgung auf Solarplatten umgestellt hatte. Da diese jetzt allerdings zerstört waren und es Solar Solution an Techniker fehlte, hatte ShinRa klar die Oberhand. Destin hatte die betroffenen Familien und Freundinnen selbst besucht, über die Vorfälle berichtet und versucht zu trösten, sofern er selbst dazu fähig war und man ihn ließ. Ihm waren Tränen begegnet, Hilflosigkeit, Fassungslosigkeit, beherrschte Kenntnisnahme, Schreie ... und Wut. Vor allem Wut. Und Destin war klug genug sich jeden Versuch, dieser Einhalt zu gebieten, zu verkneifen. Er hatte die Betroffenen nur gebeten, vorsichtig zu sein, egal was sie taten, aber es war nicht weiter verwunderlich, dass ein Teil der betroffenen Familien und Freundinnen sich eines Morgens geschlossen vor dem ShinRa HQ einfanden, um mit Hilfe von Trillerpfeifen und Plakaten (alles in sonnengelb) gegen die brutalen Methoden der Electric Power Company zu protestieren. Sephiroth stand gerade am Fenster seines Büros und beobachtete aufmerksam die neuesten Entwicklungen, als die Tür hinter ihm aufflog und Zack hereingestürmt kam. So enthusiastisch, dass der 1st seinen General entweder über die Menschenmenge vor den Toren informieren oder aber kompletten Blödsinn loswerden ... „Da ist er ja! Mein Lieblingsoffizier!“ Sephiroth hakte die ernsthafte Version augenblicklich ab und warf einen warnenden Blick über die Schulter – wurde jedoch ignoriert. „Würdest du mir kündigen, damit ich ein berühmter Rockstar mit eigenem Fanclub werden kann?“ „Nein, Zackary.“ „Warum?“ Sephiroth holte tief Luft. „Weil du schon ein berühmter SOLDIER mit eigenem Fanclub bist, weil dein Leben bis zu deinem Todestag mir gehört und ich dich bis zu diesem Zeitpunkt genau hier haben will, weil ich keine Zeit hätte, auf deine Konzerte zu gehen, und weil ShinRa, wie du weißt, niemanden entlässt ohne ihn hinterher umzubringen. Abgesehen davon habe ich als dein kommandierender Offizier meine Anweisungen nicht zu begründen!“ Stille. „Bitte, bitte, lieber Sephiroth?“ „Nein, Zackary!“ In Gedanken fügte er hinzu: Ich werde nicht nach dem Grund für diesen Blödsinn fragen! Vermutlich kenne ich ihn sowieso, und er hat etwas mit Plastikgitarren und Konsolenspielen zu tun. Ich werde also nicht ... „Willst du gar nicht wissen, warum ich Rockstar werden wi ...“ „Übergib mir den Bericht zu deiner beendeten Mission, SOLDIER!“ „Ist noch nicht fertig“, antwortete Zack vergnügt – wurde dann aber schlagartig ernst. „Die Stimmung in Midgar ist unglaublich gereizt. Dann der weinende Planet. Und vor dem Haupteingang zum ShinRa HQ steht eine ganze Masse von Leuten, vermutlich Angehörige der Opfer von letzter Woche, die gegen unsere Methoden protestieren.“ Sephiroth hätte nicht antworten müssen. Aber er tat es. „Die Patrouille der Cutter heute morgen zugeteilt war, wurde angegriffen. Cutter hat den Waffen eine andere Form gegeben, bevor jemand verletzt werden konnte. Die Täter wurden auf der Flucht durch eine sich in der Nähe aufhaltende Armypatrouille verhaftet und befinden sich jetzt ... Du weißt, wo sie sind.“ Zack schnaubte grimmig. Vermutlich war Hojo allerbester Laune. Aber solange der kaltherzige Wissenschaftler auf diese Art und Weise beschäftigt war, würde er sich nicht an Sephiroth vergreifen. Trotzdem blieb es eine entsetzliche Situation. Nicht zuletzt, weil sich Zack immer noch daran erinnerte, wie knapp er an demselben Schicksal vorbeigeglitten war. Um sich von diesen finsteren Gedanken abzulenken erkundigte er sich, welche Form Cutter den Waffen gegeben hatte – und erntete ein tiefes Seufzen Sephiroths. „Quietscheentchen und bunte Blumensträuße.“ Zack begann vergnügt zu lachen. „Das ist so typisch für Cuttie!“ Dann aber wurde er wieder ernst. „Dass die Attentäter trotzdem von der Army gefasst worden sind, hat sie nicht mitbekommen, oder?“ Sephiroth schüttelte den Kopf. „Hmmh“, machte Zack leise. „Ist vermutlich besser so. Die Sache mit den Solar Solution Technikern hat sie ziemlich mitgenommen. Cuttie ist einfach nicht der Typ für solche Aktionen.“ „Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen.“ Und nach einer kurzen Pause: „Leider, wie ich hinzufügen möchte.“ Zack warf seinem besten Freund und kommandierenden Offizier einen langen Blick zu. Er wusste, Sephiroth machte hinsichtlich seiner Befehle keinen Unterschied zwischen Freund und allen anderen. Selbst Zack hatte sich schon aufgrund einer Anweisung seines Generals in lebensgefährlichen Situationen wieder gefunden. Aber irgendwie ließ sich das nicht mit Cutters Lage vergleichen. „Seph, ich weiß ...“ „Du kannst davon ausgehen“, unterbrach Sephiroth, „dass ich sie hinterher nicht alleine lasse. Aber vorher muss ich auf ihre Fähigkeiten zurückgreifen!“ Zack zögerte ... aber dann nickte er. Mehr konnte man von Sephiroth zum derzeitigen Zeitpunkt nicht verlangen. Im Grunde war es sogar mehr, als er jemals zuvor für irgendjemanden getan hatte. Und Cutter, das konnte Zack mit Sicherheit sagen, wusste es zu schätzen. Aber ob es ausreichen würde? Wenn nicht irgendetwas Gravierendes geschieht, dachte der 1st, wird die Sache mit Cutter und ShinRa diesmal nicht gut ausgehen. Die beiden sind einfach zu unterschiedlich. „Wie hat sie eigentlich auf deine neuesten Anweisungen reagiert? Ich kriege Cuttie-cut ja kaum noch zu Gesicht.“ Schon einen Tag nach der Zerstörung der Solarplatten hatte Sephiroth Cutter angewiesen, die Stadt von jetzt an zweimal täglich auf neue diesbezügliche Lines abzusuchen, diese sofort zu zerstören, und dem Kontrollfreak Rufus war nichts Bessere eingefallen, als die junge Frau dazu in sein Büro `einzuladen´. „Sie war begeistert“, antwortete Sephiroth sarkastisch. „Aber sie befolgt meine Anweisungen. Bisher gab es allerdings nicht eine neue Line.“ „Wie lange wird das gut gehen?“, erkundige sich Zack leise. „Cutter ist ein sehr emotionaler, lebendiger Charakter. Das macht es sehr schwierig, ihre nächsten Schritte vorherzusehen. Aber da sie zu stur ist, um aufzugeben, können wir wohl davon ausgehen, dass sie einen Weg finden wird, mit den neuen Herausforderungen klar zu kommen.“ „Gefällt dir, was?“ „Wie kommst du darauf?“ „Du lächelst.“ Sephiroth hatte es selbst schon bemerkt. Wann immer er an seine Phoenix dachte, musste er unwillkürlich, und sei es nur für einen Sekundenbruchteil, lächeln. Jetzt allerdings bemühte er sich augenblicklich wieder um den gewohnten, emotionslosen Ausdruck. „Hast du sonst noch was mitzuteilen?“ „Ja, ich habe mit Aerith über die aktuelle Situation und deren Auslöser gesprochen.“ Die Stimmung des Generals kippte augenblicklich. „Zackary Fair, wie oft muss ich dir noch sagen, dass du keine internen ShinRa Informationen an deine Freundin weitergeben sollst?!“ „Das hast du mir gesagt?“ Zacks Gesicht war die pure Unschuld. „Wann? Wo? Wie? Muss mir glatt entfallen sein. Ich bin eben auch nicht mehr der Jüngste.“ „Setz Handlungen wie diese fort und ich werde persönlich dafür sorgen, dass du nie alt wirst!“ Zack stöhnte und rollte mit den Augen. Manche Dinge betreffend verstand sein kommandierender Offizier wirklich keinen Spaß. Aber trotzdem ... „Dann willst du also nicht wissen, dass Aerith gesagt hat, das Weinen des Planeten sei nur die Bitte an uns, freiwillig vernünftig zu werden und mit Hiwako zusammenzuarbeiten?“ „Nein.“ „Dann sage ich´s dir auch nicht. Und darauf, dass der Planet Kraft sammelt, um gegebenenfalls noch mehr zu unternehmen, musst du auch selbst kommen.“ Sephiroth gestattete sich ein lautloses Seufzen und warf dem ihm gegenüber sitzenden SOLDIER einen finsteren Blick zu. Er wusste, Aerith sagte die Wahrheit. Aber ... „Zack, was ist sie? Und weshalb weiß sie diese Dinge? Hast du sie jemals gefragt?“ „Weiß nicht“, lautete die feste, aber dennoch ausweichende Antwort. „Sie weiß es eben. Und Nein, habe ich nicht. Jeder hat ein Recht auf Geheimnisse. Müsste du eigentlich selbst am besten wissen, Mr. Top Secret.“ `Mr. Top Secret´ schickte einen Blick, der Eis hätte Feuer fangen lassen, zu Zack hinüber, war in Gedanken jedoch längst nicht mehr bei dem nervigen 1st. Wenn Aerith ohnehin über die aktuellen Vorgänge informiert war, wäre es strategisch unklug gewesen, keine Folgefragen zu stellen. „Hat sie auch erwähnt, was der Planet vorhat?“ „Nein. Und ich werde sie auch nicht danach fragen.“ Seine Stimme wurde etwas leiser. „Ich glaube, sie hat ein wenig Angst vor ShinRa.“ Und, fügte er in Gedanken hinzu, auch vor dir. Sie erkundigt sich bei jedem unserer Treffen nach dir, unauffällig, aber sie tut es. „Jeder, der klug ist, hat das“, antwortete der General auf die gehörte Aussage Zacks. „Ja, aber ihre Angst ist irgendwie anders. Tiefer, verstehst du? Ob sie mir den Grund eines Tages erzählen wird, was meinst du?“ Sephiroth musste unwillkürlich abermals an Cutter denken, und daran, wie viele Geheimnisse sie sich mittlerweile teilten. Als er wieder sprach, hallten all die Erinnerungen in seiner Stimme mit. „Aerith vertraut dir, Zack. Bestimmt wird sie es dir eines Tages erzählen.“ „Ich hoffe es“, antwortete der 1st leise. „Vielleicht kann ich ihr diese Angst sogar nehmen. Aber ... irgendwie ... Ach, ich weiß auch nicht. Vergiss es, ok? Aber“, fügte er dann schmunzelnd hinzu, „Danke fürs Trösten.“ „Gewöhn dich nicht dran.“ Gleichzeitig dachte er über die Situation nach, in der sich Zack befand. Zu wissen, dass irgendetwas seltsam war, aber keine klärenden Anhaltspunkte sammeln zu können ohne die betreffende Person zu verletzen, war eine denkbar komplizierte Ausgangssituation. Zack allerdings schien in Gedanken schon wieder ganz woanders zu sein, denn er war gerade dabei, sich ausgiebig zu recken und zu strecken, gähnte ausgiebig ... „Wird´s schon Zeit für deinen Mittagsschlaf, SOLDIER?“, erkundigte sich der General spöttisch und erntete ein eindeutig zweideutiges Grinsen. „Wenn die Beziehung zwischen Cuttie und dir ein gewisses Level erreicht hat, wirst auch du des öfteren ein wenig müder sein als sonst, meine Garantie drauf!“ So intelligent Sephiroth war, diesmal dauerte es einen Augenblick, bis er verstanden hatte, worauf Zack hinauswollte. „Du meinst ... ?“ „Hmhm“, nickte der immer noch breit grinsende 1st. „Wenn du mal diesbezüglich Hilfe brauchen solltest ...“ „In Ordnung“, unterbrach Sephiroth energisch, „das reicht. Raus aus meinem Büro! Erledige deine ausstehenden Berichte! Kümmere dich um deine Kadetten! Tu etwas Vernünftiges! Und lass dich für heute nicht mehr hier blicken, verstanden?“ „ ... wende dich vertrauensvoll an mich, ich habe, wie du weißt ...“ Sephiroth griff entschlossen nach Masamune. „ ... Erfahrung, was diese Sachen angeht, tschüss!“ Der General ließ das Katana wieder sinken und starrte auf die aufgrund Zacks hastiger Flucht immer noch leicht zitternde Tür. Dieser verdammte ...! Cutter hätte jetzt bestimmt lachen müssen. Dann fiel Sephiroth ein, dass auch sie schon eine derartige Andeutung gemacht hatte. `Eines Tages will ich dich auch nackt sehen ...´ Es verhielt sich nicht so, dass der General völlig ahnungslos war. Er war umgeben von männlichen SOLDIER, deren Themen sich oft genug um Frauen und alles, was man mit ihnen anstellen konnte, drehten. Abgesehen davon hatte Zack, bevor Aerith in sein Leben getreten war, seinen Beliebtheitsgrad bei Frauen ausgiebig genossen, und konnte diesbezüglich äußerst redselig sein. Theoretisch gesehen kannte sich Sephiroth also Bestens aus. Aber er konnte sich einfach nicht vorstellen, jemand anderem körperlich so nahe zu kommen. Oder, fügte er in Gedanken hinzu, vielleicht sollte man besser sagen `noch´ nicht? Die Distanz zwischen mir und Cutter ist nicht mehr so groß, wie früher. Weil wir beide an einer Verringerung gearbeitet haben, mal zusammen, mal jeder für sich. Aber ... vermutlich ist es völlig sinnlos, sich jetzt schon darüber Gedanken zu machen. Es gibt momentan wirklich wichtigere Dinge, die ich im Auge behalten muss. Zum Beispiel die Menschenansammlung vor dem Tor. Wie lange sich Rufus dieses Spektakel wohl tatenlos ansehen wird, bevor er die Army losschickt? Tage vergingen. Niemand unternahm etwas gegen die sich in Form von Trillerpfeifen und gelben Plakaten präsentierende Wut. Jeden Abend wurde die erste Gruppe durch eine zweite abgelöst, die den Lärmpegel aufrecht erhielt - aber auch ausgeruhte Personen vermochten die ausgesprochen gute Schallisolierung des HQ´s kaum zu durchdringen. Sephiroth beobachtete die Aktivitäten vor dem Tor unauffällig, aber mit großer Wachsamkeit, wobei er sich irgendwann eingestehen musste, dass es ihm unmöglich war, nicht über diese Menschen nachzudenken. Er hielt sie für schlau genug, zu wissen, dass es ihnen unmöglich war, etwas zu erreichen. Falls es ihnen nur darum ging, ShinRa um ihre Anwesenheit wissen zu lassen, war es ihnen gelungen. Aber ob ihnen auch klar war, wie zerbrechlich ihr Widerstand war? Wollten sie vielleicht sogar sterben? Liebe war, das hatte der General mittlerweile begriffen, eine gewaltige Kraft. Aber konnte sie einen wirklich bis in den Tod treiben? Sein Blick wanderte hinüber zu Cutter. Sie stand am Fenster seines Büros und sah nachdenklich hinaus. Gerade hatte sie ihre Befürchtungen, Rufus könnte die Army auf die protestierenden loslassen, laut ausgesprochen und eine Bestätigung ihres Generals erhalten. Der jetzt in ihren Augen liegende Ausdruck verriet intensives Nachdenken in einer Stärke, die Sephiroth mit Spannung auf das Endergebnis warten lies. Lange wurde seine Geduld nicht mehr beansprucht. „Sephy? Ich brauche Urlaub.“ Sephiroth schmunzelte sachte. „Damit du hier sein und die Taten der Army vereiteln kannst? Antrag abgelehnt. Das heißt“, stellte er klar, „dass ich persönlich dich suchen werde, wenn du nicht bei den dir zugeteilten Missionen auftauchst. Und verlass dich drauf, ich werde dich finden.“ Cutters Gesichtsausdruck versicherte überdeutlich, durchschaut worden zu sein. Aber sie dachte gar nicht daran, jetzt schon aufzugeben. „Ich würde diesen Leuten so gerne irgendwie helfen.“ Ihre Stimme klang ganz leise. „Zum Teil ist es auch meine Schuld, dass sie da stehen.“ „Und zu allen restlichen Teilen ihre eigene. Sie wussten, mit welcher Macht sie sich anlegten. Mitleid ist hier völlig fehl am Platz.“ Cutter warf ihrem General einen finsteren Blick zu, den dieser ignorierte. Sie wusste, für Fremde würde Sephiroth trotz Allem nie mehr als Gleichgültigkeit empfinden. Und gerade deshalb war es so wichtig, selbst mehr zu fühlen. Um ihn daran zu erinnern, dass selbst fremde Personen ein Herz besaßen, das oft zerbrechlicher war, als es den Anschein hatte. Es gehörte zu dem von ihr gefassten Entschluss, sich auch in Zukunft nicht zu verbiegen, sondern zu protestieren, wann immer ihr die Vorgänge zu brutal wurden. Sie rechnete nicht mit einem Erfolg. Aber letztendlich war Gegenwehr niemals verkehrt! „Sie tun mir trotzdem Leid! Und ich bin mit den ShinRa Methoden nicht einverstanden! Einmal mehr, wie ich ausdrücklich betonen möchte.“ Ich weiß, dachte Sephiroth. Wäre ich nicht hier, würdest du Hiwako helfen. Aber ich bin hier. Und du ... bist bei mir. Ich empfinde diesen Zustand als einzigartig und kostbar – dennoch ist es mir unmöglich, deine Fähigkeiten zu ignorieren. „Wenn du ihnen wirklich helfen willst“, seine Stimme klang höchst ruhig und sachlich, „dann sorgst du dafür, dass jeder Schuss trifft.“ „Ok, das reicht! Ich hole mir einen Kaffee und komme nicht wieder.“ „Was zu empfehlen wäre, da deine nächste Mission in weniger als 15 Minuten beginnt.“ Gleichzeitig griff er nach einem neuen Stift. Die Vorgängerversion hatte sich schlagartig in eine Lakritzschnecke verwandelt. „Im übrigen rate ich dir, den Kaffee bleiben zu lassen, da du ihn sowieso nicht mehr in Ruhe wirst trinken können. Und, Phoenix?“ Er sah auf – allerdings nur um festzustellen, dass der Sturmwind längst verschwunden war. Für einen Sekundenbruchteil glomm Ärger im Blick des Generals auf. Einfach so abzuhauen ... Er griff nach seinem PHS und schickte nur Sekunden später eine SMS an Cutter ab. Die Botschaft enthielt, was er ihr ursprünglich selbst hatten sagen wollen. Nur zwei (sehr seltene) Worte. `Sei vorsichtig!´ Die Antwort kam ca. 6 ½ Minuten später. `Kaffee geholt, Kaffee getrunken. Ha! Klar bin ich vorsichtig. Bis bald! Ich hab dich lieb!´ Ein winkendes und ein küssendes Smiley zierten die SMS. Sephiroth schüttelte den Kopf. Diese verflixte Cutter! Dann aber konnte er nicht anders und lächelte. Seine Welt hatte sich im Laufe weniger Wochen manche Punkte betreffend so sehr verändert ... Und all das nur wegen einer einzigen Person. „Komm unversehrt zurück“, wisperte er. „Und das bald, ja?“ Diesmal ging er nur aus einem einzigen Grund zurück an die Arbeit: Weil er wusste, dass sie die Zeit bis zu Cutters Rückkehr schneller vergehen lassen würde, auch, wenn es sich nur um ein paar Stunden handelte. Aber auch für andere verging die Zeit. Bei manchen waren es die letzten Tage ihres Lebens. Rufus hatte die Anwesenheit der Plakate und Banner tragenden Personen ebenso wie den nicht enden wollenden Protestschrei der sonnengelben Trillerpfeifen und der Tatsache, dass sich jeder, der die Electric Power Company durch den Haupteingang betreten wollte, der Konfrontation mit nicht gewaltbereiten, aber äußerst wütenden Herzen und sonnengelben Informationsblättern stellen musste, 4 Tage und Nächte lang ignoriert. Am Morgen des 5.ten Tages erteilte er der Army den Befehl, die Gruppe unter Einsatz von Waffengewalt zum Schweigen zu bringen. Sephiroth beobachtete, wie die entsprechende Einheit Stellung bezog. Maschinengewehrläufe richteten sich auf die Protestierenden, deren Trillerpfeifenschrei anschwoll und alles an bisher veranstaltetem Lärm in den Schatten stellte. Dann jedoch begannen die Menschen langsam, aber ohne leiser zu werden, rückwärts zu gehen. Einige aber blieben stehen. Manche von ihnen zitterten. Andere weinten. Es gab auch Fälle von völliger Emotionslosigkeit. Aber alle blieben bei ihrer Entscheidung, auch, nachdem die restlichen Protestierenden verschwunden waren. Sephiroth fiel auf, dass niemand versucht hatte, die stehen gebliebenen Personen mitzunehmen. Und als die Maschinengewehre ihre tödlichen Ladungen durch die Luft schickten und das Grün des Lebensstromes aufleuchtete, begann der General zu begreifen, dass `Liebe´ tief genug gehen konnte, um es einem unmöglich zu machen, ohne den anderen zu leben. Dennoch erschien es ihm nicht logisch. Vielleicht lag es daran, dass er selbst noch viel über `Liebe´ lernen musste. Oder an der Gewissheit, immer irgendwo einer Alternative zum Sterben zu begegnen, wenn man nur stur genug danach suchte. Cutter aber, die ihn am Abend dieses Tages in seinem Appartement besuchte, sah das anders. „Hmhm. Ich wäre auch stehen geblieben.“ „Das ergibt keinen Sinn!“, grollte der General. „Für das Herz eines Menschen, das nur durch das Herz eines anderen Menschen komplett ist, schon.“ „Cutter, diese Menschen wollten sterben. ShinRa hat ihren Wunsch erfüllt. Aber bewirkt hat ihr Tod nicht das Geringste!“ „Doch, hat es. Wir sprechen gerade über sie. Wir denken über sie nach.“ „Du denkst über sie nach. Ich behalte die aktuelle Gesamtsituation im Auge.“ „Von der diese Menschen Teil sind.“ „Allerdings. Der erledigte Teil.“ „Nicht, solange auch nur ein Mensch noch an sie denkt. Und gerade jetzt dürften ziemlich viele an sie denken.“ Sephiroth warf seiner sturen Freundin einen langen Blick zu. Sie vertrat ihre Sicht der Dinge ebenso stur, wie er seine, und war nicht bereit, auch nur einen Millimeter davon abzuweichen. Genau wie er. Und somit wurde sie Sinnbild für alles, was ihm größtenteils immer noch Rätsel aufgab. All das ... menschliche. Ihr zuzuhören war zu gleichen Teilen verwirrend, wie lehrreich. Wenn man sich drauf einließ. Es in seine Befehle mit einfließen zu lassen, war ihm allerdings in der aktuellen Situation unmöglich. „Ganz egal, wer hier an wen denkt, diese Runde hat ShinRa gewonnen.“ „Ja“, murrte Cutter. „Aber es war noch nicht die letzte, verlass dich drauf.“ „Du solltest die Fronten wechseln.“ Cutter musste unwillkürlich lachen. „Tut mir leid, Sephy, aber ich drücke Destin und Solar Solution aus vollster Überzeugung die Daumen. Bevor sie allerdings gewinnen und ShinRa in Grund und Boden stampfen, hoffe ich, dass es dir gelingt, all deine Siege zu erringen. Dann wäre wirklich alles gut.“ Sephiroth warf ihr einen zu gleichen Teilen strafenden, wie erheiterten Blick zu. „Meine Freundin ist eine Doppelagentin. Erledige die dir von mir übertragenen Aufgaben trotzdem fehlerfrei, denn ansonsten ...?“ Die Antwort war eindeutig. Cutter rollte mit den Augen, röchelte, griff sich mit beiden Händen an die Kehle, schwankte und ließ sich schließlich zur Seite fallen, landete halb auf den Knien des Generals und hielt still. „Sehr richtig“, bestätigte Sephiroth. Und nach weiteren 10 Sekunden: „Findet die Wiederbelebung automatisch statt, oder muss ich nachhelfen?“ „Ich fürchte“, antwortete die Pseudoleiche, „du musst nachhelfen.“ Gleichzeitig bereitete sie sich darauf vor, geküsst zu werden, auf diese unvergleichliche Art und Weise, die langsame Schauer über ihren ganzen Körper laufen ließ. Sephiroth allerdings umfasste lediglich ihre Schultern und drückte die junge Frau zurück in eine sitzende Position. „Was?“, erkundigte er sich hinsichtlich ihres entrüsteten Blickes. „Eigentlich wollte ich, dass du mich küsst.“ „Das war sehr offensichtlich.“ „Ah, verstehe. Ich muss dich erst wieder umrennen.“ Sephiroth sandte einen langen Blick zu Cutter hinüber, makogrünes mattes Leuchten hinter einigen vorwitzigen, silberfarbenen Haarsträhnen. „Es würde schon ausreichen, wenn du still bist ...“ Berührungen füllten die einsetzende und mehrere Minuten lang andauernde Stille, und in dieser Zeit gab es keine Fragen, keine Zweifel, keine Angst. Nur das Gefühl, zu schweben. Und die kostbare Nähe des anderen. Zu küssen und geküsst zu werden war ... Es wurde intensiver, je mehr man sich auf den anderen einließ. Wie bei einem mitreißenden Kampf – nur, dass es eben keiner war. Zu spüren, wie sich die Lippen des Anderen bewegten und diese Bewegung aufzunehmen, zu imitieren oder neu zu kreieren, eine andere Person so nah bei sich zu haben, ihre Wärme, ihren Atem zu fühlen, und die den eigenen Körper überrollenden Schauer ... Danach wieder in die Realität zurückzufinden gestaltete sich selbst für jemanden wie Sephiroth, der sich für gewöhnlich innerhalb von Sekundenbruchteilen auf eine neue Situation einstellen konnte, ein wenig schwierig. Aber er schaffte es natürlich immer ein paar Augenblicke vor Cutter. Auch diesmal saß sie immer noch bewegungslos mit diesem leicht verschwommenen Blick da, während der General sie längst wieder nachdenklich beobachtete. Sanfte Berührungen können einen anderen Menschen in genau dieselbe Starre versetzen, wie brutale. Niemals hätte ich das für möglich gehalten. Aber es ist so. Und scheint richtig zu sein. Neben ihm kam Cutter wieder im Hier und Jetzt an, seufzte leise und griff nach einer Handvoll Silber, ließ sie vorsichtig durch die Hände gleiten. Sephiroths Nähe war pure Kraft, füllte Energiedepots auf und schuf eine Insel der Ruhe inmitten eines aufgewühlten Ozeans aus stattfindenden oder sich ankündigenden Ereignissen. „Die Lines“, sagte Cutter leise, „sind ... anders als sonst. Da ist eine Art ... zittern. Es kommt und geht ohne erkennbaren Rhythmus, aber ich glaube, dass es wesentlich drastischere Dinge ankündigt.“ „Und ich kann dir sogar genau sagen, was geschehen wird.“ Cutter lauschte aufmerksam. Was Sephiroth ihr präsentierte war, wie üblich, ein zu 100 % logisches Szenario. Es ließ keine Fragen offen. Bis auf eine. „Und dann?“ „Ich bin ShinRa General, kein Hellseher.“ „Ich hoffe“, antwortete Cutter munter, „der Planet lässt es endlich Frühling werden. Ich habe den Matsch da draußen nämlich restlos und komplett satt!“ Sephiroth antwortete nicht, aber er sollte schon sehr bald Gelegenheit bekommen, sich an dieses Gespräch zu erinnern. Denn was er prophezeit hatte, wurde wahr. Die wie üblich auf voller Leistung laufenden Reaktoren Midgars produzierten aufgrund der durch Solar Solution reduzierten Abnahmemenge einen Überschuss, der in den internen Reaktorspeichern aufbewahrt werden musste. Und eines Tages waren die Speicher voll. Randvoll. Die Anzeigen standen wie festgenagelt im roten Bereich. Warnsirenen heulten. Jeder, der einen Reaktor betrat oder sich auch nur in dessen Nähe aufhielt, fand sich in akuter Lebensgefahr wieder, denn alles hatte eine Belastungsgrenze. Auch Speichertanks. Es war ein Szenario, auf das keiner der Midgarreaktoren jemals vorbereitet gewesen war. Dennoch mussten, wie üblich, erst ernsthafte Schäden im Material- und Personenbereich entstehen, bevor Rufus zähneknirschend den Befehl gab, die Leistungen zu drosseln, die Stadt mit Speicherenergie zu versorgen – und dem Planeten so Zeit zur Regeneration zu geben. Das Ergebnis war verblüffend. Es wurde Frühling. Er kam praktisch über Nacht, mit einer Kraft, wie es seit dem Bau der Makoreaktoren nicht mehr der Fall gewesen war. Längst verloren geglaubte Gewächse schossen selbst dort aus dem Boden, wo sie zum letzten Mal vor vielen Jahrzehnten erblüht waren. Dem Gras und den Blättern an den Bäumen konnte man förmlich beim Wachsen zusehen, das präsentierte Grün war geschmeidig und schimmerte vor Gesundheit, wiegte sich im warmen Wind und streckte sich einer Sonne entgegen, die von einem seltsam klaren Himmel herunterstrahlte. Der Tierbestand erholte sich. Schlagartig wurden Arten gesichtet, die man fast für ausgestorben gehalten hatte. Und wenn es regnete, konnte man kein Kind auf ganz Gaia davon abhalten, draußen herumzutollen und mit offenem Mund in all den Tropfen zu stehen, weil der Regen `so gut schmeckte´. Der Planet regenerierte sich. Selbst der bis dahin immer noch deutlich hörbare Klagelaut verstummte. Und alle wussten, warum. Die Electric Power Company jedoch hüllte sich in Schweigen, ging in keinem der TV und Radioberichte darauf ein, und auch in den Zeitungen war nichts davon zu lesen. Unabhängige, unter der Hand weitergegebene sonnengelbe Zeitschriften jedoch berichteten von Menschen, die sich ganz bewusst weigerten, die von ShinRa angebotene Energie zu nutzen, um dem Planeten keine Kraft zu entziehen. Und angeblich wurden es jeden Tag mehr. „Wenn Rufus Hiwako erwischt, lässt er ihn augenblicklich erschießen“, mutmaßte Cutter. Sie und Sephiroth hatten sich `zufällig´ in dem Flurlabyrinth des HQ´s getroffen und legten ein Stück des Weges gemeinsam zurück. „Nein“, antwortete der General eben. „Er wird ihn qualvoll zu Tode foltern und so viele Menschen wie möglich zusehen lassen.“ „Wir sind bei 18 Millionen Gil Belohnung für seine Ergreifung. Und es hat sich nichts getan. Ab wann wird die Höhe einer Belohnung lächerlich?“ „Geld wird niemals lächerlich.“ Cutters Reaktion bestand aus einem leisen `Hm!´, sagte aber viel mehr aus. Nämlich, dass ihrer Ansicht nach niemand Hiwako verraten würde. Sephiroth hob missbilligend eine Augenbraue. „Hin und wieder verhältst du dich ausgesprochen naiv.“ „Wetten wir!“ „Wetten?“, wiederholte der General leicht irritiert. „Ja! Ich wette mit dir, dass niemand Hiwako verrät!“ „Ich wette nicht.“ „Hast Angst zu verlieren, was?“, grinste Cutter. „Übertreib es nicht!“ Stille. „Worum wetten wir?“ „Wenn ich gewinne, darf ich einmal pro Woche bei dir schlafen.“ „Einverstanden. Denn du wirst nicht gewinnen.“ „Kriege ich trotzdem hin und wieder einen Vorschuss?“ „Einmal pro Woche, wie?“ Cutter musste unwillkürlich lachen und verriet somit, absolut durchschaut worden zu sein. „Hey, wenn du gewinnst – was ich nicht glaube – was muss ich dann machen?“ „Wenigstens in meiner Gegenwart vernünftige Bücher lesen.“ „Was hast du gegen Comics? Die Arbeit in den Lines ist anstrengend, ich brauche einen Ausgleich!“ „Ich kann dir ein paar sehr gute Bücher empfehlen.“ „Ganz ehrlich, Sephy, deine Literatur ist mir zu hoch. Du hast nur Bücher über Makoreaktoren, den Planeten, Psychologie, Medizin, Waffen und Militärzeugs. Abgesehen davon gehen manche Sätze in deinen Büchern über eine halbe Seite und strotzen vor Fremdwörtern, also entweder ich habe den Anfang des Satzes bis zu dessen Ende vergessen, oder ich versteh den ganzen Satz nicht.“ „Comicgeschädigt“, lautete der trockene Kommentar. Aber gleichzeitig musste er daran denken, dass ihn die Umstände von Anfang dazu bewogen hatten, Interesse an schwierigen Themen zu entwickeln. Ihm gegenüber verkündete Cutter vergnügt: „Deal! Denn du wirst nicht gewinnen.“ „Wir werden sehen. Im übrigen kommst du zu spät zu deinem täglichen Abendtermin mit Rufus.“ „Nicht, wenn ich renne ...“ Sie hielt inne, salutierte, und jagte davon. Sephiroth sah ihr nach und schüttelte sachte, aber höchst missbilligend den Kopf. Sturmwind ... Dann machte er sich auf den Weg in sein Büro. Der Schreibtisch wies diesmal überraschend wenig Arbeit auf, und so bestanden gute Chancen auf ein paar Stunden ungestörten Schlafes in seinem Appartement. Sofern Cutter nicht mit neuen, aufwühlenden Nachrichten von Rufus zurückkam. Momentan war die junge Frau noch weit von diesem Szenario entfernt. Eben schoss sie mit einem fröhlichen: „Hi, Zack!“, an dem 1st, der gerade dabei war, sich an einem der Automaten einen Becher Kaffee zu holen, vorbei. „Hallo, Cut ... Meine Güte, kann die schnell rennen.“ Er grinste, griff nach dem mittlerweile vollen Kaffeebecher, hob ihn an die Lippen – und blinzelte verblüfft, setzte den Becher wieder ab, starrte hinein ... und zog mit Hilfe des Löffels den gefrorenen Inhalt heraus. Holte tief und sehr empört Luft ... „CUTTIIIEE!!! Mein Kaffee!!“ Vergnügtes Lachen antwortete ihm hinter der nächste Kurve. „Dein Eis! Ciao, ich muss weiter!“ Zack starrte auf seinen Kaffee am Stiel und kommentierte den Anblick mit einem: „Grjfxmbl“. Die Frau kam immer auf Ideen ... Dann aber zuckte er mit den Schultern und begann an dem Eis zu lutschen. Kaffee war und blieb Kaffee. Auch gefroren! Zur gleichen Zeit näherte sich besagte Frau mit Höchstgeschwindigkeit dem Büro ihres obersten Befehlshabers. Dabei versuchte sie wie üblich höchst konsequent, das ungute Gefühl abzuschütteln. Es stellte sich immer ein, sobald sie sich Rufus Shinras Büro näherte, aber diesmal fühlte es sich anders an. Schwerer. Und wesentlich unheilverkündender. Wie eine aufziehende, tiefschwarze Gewitterfront. Es erreicht seinen Höhepunkt, als Cutter (in normalem Tempo und pünktlich) das Büro betrat. Der Präsident der Electric Power Company saß diesmal nicht in seinem Sessel, sondern stand am Panoramafenster und sah, unter Tsengs wachsamen Blick, hinaus. Allein das war schon nicht üblich, aber die Cutters Eintreten auslösende Handbewegung, sich direkt neben ihm einzufinden, war dies noch viel weniger. Mit gerunzelter Stirn befolgte die junge Frau den Befehl und sah anschließend ebenfalls hinaus, den üblichen Anblick aus Millionen von glühenden Lichtern und dunklen, ehemals durch Solarenergie versorgten Bereichen, erwartend. Cutter hätte diese Flecken aus purer Finsternis blind aufzeichnen können. Heute Abend allerdings ... Sie haben es geschafft!, dachte sie mit unwillkürlicher Begeisterung. Heute morgen war noch alles wie immer, aber mittlerweile haben sie die Solaranlagen repariert. Trotz verstärkter Patrouillen von SOLDIER und Army. Meinen Respekt, Solar Solution! Und ich `darf´ jetzt alles wieder kaputtmachen. Tut mir Leid ... Der Death Walker ging in Position, nahm mit der Luna Lance Kontakt zu den entsprechenden Lines auf und jagte einen Willen durch die Verbindung. Es war weit nach 2300 Uhr, ehe Sephiroth sein Büro und einen komplett leeren Schreibtisch verließ. Cutter hatte sich seit Stunden nicht mehr bei ihm gemeldet, was ungewöhnlich war, da der Einsatz bei Rufus für heute die letzte Mission gewesen war. Außerdem konnte der General eine sehr seltsame, sie betreffende Unruhe wahrnehmen – aber keine akute Gefahr. Einen Augenblick lang dachte er darüber nach, seine Freundin zu kontaktieren. Dann ließ er es bleiben. Cutter hatte oft genug bewiesen, auch Extremsituationen gewachsen zu sein, und er wollte nicht den Eindruck erwecken, sie zu bevormunden oder gar ihren Fähigkeiten zu misstrauen. Und so betrat er sein Appartement, duschte, ging zu Bett und war nur kurze Zeit später fest eingeschlafen. Was ihn irgendwann weckte, war nicht mehr, als ein leises Rascheln direkt neben dem Bett. Aber es genügte. Sephiroth hielt sich nicht damit auf, zuerst die Augen zu öffnen. Seine Hand schloss sich um das griffbereit liegende Katana, zog es aus der Schutzhülle, führte eine Attacke zur Seite des Bettes hin (alles in einer einzigen geschmeidigen Bewegung) – und stoppte die unvergleichlich scharfe Klinge einen Millimeter vor der Kehle des unangekündigten Besuchers. „Cutter“, grollte der General und ließ Masamune sinken. „Was tust du ...“ Eigentlich war es nicht Cutters Art, jemanden mitten im Satz zu unterbrechen. Aber die neuesten Entwicklungen waren zu brisant, um sich mit Höflichkeiten aufzuhalten. „Sephy, ich habe Neuigkeiten!“ In der Tat!, dachte Sephiroth. Es ist mitten in der Nacht und du stehst in meinem Schlafzimmer! Aber schon die nächsten Worte reichten aus, um seine Aufmerksamkeit gänzlich anderen Dingen zu widmen. „Die Kollektoren sind wieder alle intakt und reparieren sich selbstständig, nachdem ich sie zerstört habe.“ Sephiroth verhielt einen Augenblick in völliger Stille, ließ die gehörten Worte einsinken. Das also hatte Aerith mit ihrer rätselhaften Vorhersage gemeint. Dann erkundigte er sich: „Will Rufus ein Blitzmeeting?“ „Er hat nichts gesagt.“ „Wie oft hast du die Zerstörung durchgeführt?“ „Seit ich aus deinem Büro raus bin, bis vor ein paar Minuten.“ So siehst du auch aus, dachte Sephiroth. Ich habe dich selten so müde gesehen. Ohne jeden Zweifel hast du alles gegeben. Aber gegen den Planeten bist selbst du machtlos. Also ... „Geh schlafen.“ „Hmhm. Sephy? Darf ich dazu hier bleiben? Ich glaube, ich schaff´s nicht mehr in mein Quartier.“ Sephiroths jähe Verblüffung war zu intensiv, um ein mehrfaches Blinzeln zu unterdrücken. Trotzdem gelang es ihm das Kunststück eines trockenen Kommentars. „Du hast deine Hiwakowette noch nicht gewonnen.“ Außerdem, fügte er in Gedanken hinzu, liege ich in diesem Bett! Aber Cutter hatte hart gearbeitet. Und jetzt war sie müde und ... Sephiroth seufzte. Leise, aber nicht genervt. „Ich schlafe auf der Couch.“ „Musst du nicht“, murmelte die junge Frau. „Dein Bett ist riesig. Du bleibst da liegen und ich nehme die andere Seite. Du wirst gar nicht merken, dass ich da bin.“ Sephiroth zögerte. Die Größe des Bettes ließ sich nicht leugnen. Aber noch niemals zuvor hatte er zeitgleich mit einer anderen Person darin geschlafen ... Cutter jedoch war ... Cutter. Und speziell jetzt sah sie aus wie jemand, der ohne Unterbrechung bis zum Aufstehen schlafen würde. Sie stellte keinerlei Bedrohung dar. „Im Schrank rechts von dir sind ein paar Hemden. Such dir eins aus, damit du nicht in der Uniform schlafen musst.“ Gleichzeitig schob er Masamune zurück in die Schutzhülle, aktivierte das Licht, rollte sich demonstrativ auf die andere Seite und stellte sich taub gegenüber seinem Instinkt, der gegen die getroffene Entscheidung protestierte, an den Ausgang ähnlicher Begebenheiten erinnerte, warnte ... sich aber letztendlich geschlagen geben musste. Leise Geräusche verrieten, dass Cutter sich umzog, und dann kam sie ins Bett geklettert – in respektabler Entfernung zu Sephiroth. Dieser drehte sich wieder auf die andere Seite und blinzelte mit einem undefinierbaren Augenausdruck zu seinem Überraschungsgast hinüber. „Danke schön, Sephy“, murmelte dieser, schloss die Augen, und nur wenige Sekunden verrieten leise, regelmäßige Atemzüge, dass sie dabei war, einzuschlafen. In Ordnung, dachte der General während er das Licht wieder ausschaltete, vermutlich hättest du es wirklich nicht mehr bis in dein Quartier geschafft. Ich schätze, hier zu schlafen ist ca. 1000 Mal besser, als irgendwo auf dem Flur. Ich frage mich nur, wann du `es´ tust ... Er schloss die Augen wieder. Etwa zwei Minuten später begann sein Instinkt einen Countdown von 5 rückwärts zu zählen. Und pünktlich bei `Null´ spürte Sephiroth Wärme, die nicht seine eigene war, ganz nah bei sich. Aber letztendlich öffnete er nicht deshalb ruckartig die Augen. Dass Cutter sich an ihn kuschelte war nichts Neues, und in dieser Situation mit etwas Anderem zu rechnen wäre mehr als naiv gewesen. Für gewöhnlich jedoch hatte sie dabei die Arme vor dem Oberkörper verstaut. Jetzt allerdings war nichts davon zu spüren. Und das Hemd war eindeutig nicht dick genug, um die fehlenden Arme zu ersetzen. Sephiroth sah sich mit etwas konfrontiert, das ... Es war fest und flexibel gleichzeitig, schmiegte sich bei jedem Atemzug an seinen nackten Oberkörper und verursachte eine bisher gänzlich unbekannte Art von warmen Schauern, zu sanft, um sich dagegen zu wehren. Niemals zuvor hatte er etwas Ähnliches gefühlt. Und dennoch ... „Cutter!“, grollte Sephiroth. „Du bist ein Mädchen!“ „Wenn du ... das jetzt erst mer ... kst“, lautete die kaum hörbare, schlaftrunkene Antwort, „ ... habe ich die ... ganze Zeit was ... falsch gemach ...“ Die Art und Weise ihres sich entspannenden Körpers verriet, dass der Schlaf vollständig eingesetzt hatte. Und dann hielt sie still. Sephiroth seufzte leise. Natürlich hätte er das Bett verlassen können. Aber ein erneutes Aufwachen Cutters riskieren? Keine Option. Außerdem hatten sich ihre Hände längst wieder leicht um einige der silbernen Haarsträhnen geschlossen. Und ganz abgesehen davon ... Sie auf diese Art und Weise bei sich zu haben war ... schön. Was soll´s, dachte der General. Sieh dich als Gefangenen des Augenblicks, der Umstände, von Cutter ... egal. Gleichzeitig nahm er wahr, wie seine eigene Müdigkeit zurückkam, ähnlich der langsam einen Strand überspülenden Flut. Und wer hätte sich gegen die Flut wehren können? Wenige Minuten später gab es in dem Raum keine wachen Personen mehr. „Mr. President?“ Tsengs Stimme klang leise, war aber trotzdem gut zu verstehen. „Kann ich etwas für Sie tun?“ Rufus antwortete nicht. Er stand immer noch am Panoramafenster seines Büros und starrte bewegungslos hinaus auf diese Stadt, die sich seinem Willen so energisch widersetzte. „Tseng“, sagte er schließlich, „was halten Sie von Midgar?“ „Mit Sicherheit ist diese Stadt absolut einzigartig, Sir. Und außerdem ist sie ... ein guter Grund, Dinge zu tun oder zu lassen. Sie ist eine Zuflucht und eine Legende und ein Gefängnis und ein wahr gewordener Traum und ein Symbol – und das Zuhause von vielen Menschen. Die eigentlich nur in Frieden leben möchten.“ „Diesen Frieden haben sie verspielt!“ Tseng hielt einen Augenblick inne. Er war ein Turk und erledigte jeden Auftrag, ganz egal wie gefährlich oder schwierig, binnen kürzester Zeit und erfolgreich. Aber das bedeutete nicht, dass er aufgehört hatte, zu denken. Gerade der aktuellen Situation waren viele seiner Gedanken gewidmet. Und auch, wenn er Gefahr lief, weitreichende, ihn betreffende Konsequenzen auszulösen – Tseng spürte, dass der Augenblick gekommen war, über diese Gedanken zu sprechen. „Die Menschen sind nicht mehr so leichtgläubig wie sie einmal waren, Mr. President. Sie wissen, was Mako ursprünglich ist und wie wir es gewinnen. Sie haben begonnen, Fragen zu stellen und erhielten Antworten. Hin und wieder wahre, aber oft genug auch falsche. Vielleicht zu oft. Um es ganz klar auszudrücken: Die Bevölkerung Gaias weiß, dass sie des öfteren von uns belogen und betrogen wurde. Sie bezahlen die Makorechnungen, aber sie vertrauen der Electric Power Company nicht.“ „Ohne dieses Unternehmen würde man immer noch Wasser über dem offenen Feuer zum Kochen bringen, statt einfach nur einen Hebel zu bewegen! ShinRa hat den Menschen Wohlstand gebracht. Abgesehen davon ist Vertrauen nicht wichtig. Nur Leistung!“ Er hätte niemals mit Widerworten gerechnet. Aber er bekam sie. „Sehen Sie, Mr. President, anscheinend haben wir den Hebel ein wenig zu sehr bewegt. Außerdem denke ich, dass die Leute gerade deshalb weggelaufen sind und viele ihrem Beispiel folgen werden. Sie fühlen sich einfach nicht mehr sicher bei uns. Verstehen Sie mich nicht falsch, Sir, auch ich bin mit der aktuellen Situation mehr als unzufrieden. Aber ich glaube nicht, dass Hiwako Destin im Laufe seiner bisherigen Kampagne ein einziges Mal gelogen hat. Er hat die Wahrheit gesagt, dies mit Zahlen und Fakten belegt, und die Leute haben ihm geglaubt. Man sollte den Glauben eines Menschen niemals unterschätzen; geschweige denn, den vieler Menschen.“ „Glaube ist Nichts gegen Geld! Mit Geld kann man alles bewirken! Sie sind ein Turk, Tseng, weshalb muss ich Ihnen das erklären?“ Eine Antwort auf diese Frage war im Grunde ebenso irrelevant wie die Frage an sich. Und deshalb beschloss Tseng, etwas auszusprechen, über das er sich schon längere Zeit völlig im Klaren war. „Mr. President, auch ich denke, wir sind dabei, den Planeten zu töten.“ „Möchten Sie diese Aussage mit einigen veralteten Weisheiten aus ihrem Heimatland untermauern?“ „Diesmal würde ich Zahlen, Daten und Fakten vorziehen, Sir. Zum Beispiel ...“ „Vorsicht, Tseng! Treiben Sie es nicht zu weit! Sie werden jetzt dieses Büro verlassen und das Kopfgeld auf Hiwakos Ergreifung erhöhen!“ Irgendjemanden würde es schon geben, dem Geld wichtig war als Glaube! Eine solche Person existierte immer irgendwo. Rufus war einer von ihnen ... Als das leise Klicken der Tür Tsengs Verschwinden signalisierte, gestattete sich der Präsident der Electric Power Company ein leises Seufzen. Dann kehrte er zum Schreibtisch zurück und rief eine Karte auf, die alle Makoreaktoren ganz Gaias zeigte. Eine beachtliche Summe. Ein Imperium aus Energie. Das jetzt zu zerbrechen drohte? Im Grunde wusste Rufus, was Tseng hatte sagen wollen. Auch, wenn er auf keine Art und Weise darauf reagierte, ihm war nicht entgangen, dass sich der Planet regenerierte, seitdem die Leistung der Midgar betreffenden Reaktoren gedrosselt worden war. Und jetzt reparierte Gaia sogar Hiwakos verdammte Reflektoren! Nicht einmal eine von ShinRa´s mächtigsten Waffen, nämlich Tzimmek, war in der Lage etwas dagegen zu unternehmen! Rufus war an vieles gewöhnt – nicht aber an verfahrene Situationen und die mit ihnen einhergehende Hoffnungslosigkeit. Vor allen Dingen aber weigerte er sich, es zu lernen! Es musste eine Möglichkeit geben, wieder die Oberhand zu gewinnen, und zwar bevor die Makoverbrauchszahlen Midgar betreffend ins Bodenlose fielen, was bedeutete, ShinRa musste schneller sein als der mit Sicherheit bereits wieder neue Techniker ausbildende Hiwako! Aber wie?! Welche Waffe war stark genug, dem Planeten seine Schranken zu weisen, ohne ihn zu zerstören? Was war in der Lage, ShinRa zu retten? Es ist mein Unternehmen, dachte Rufus. Ich muss darauf aufpassen. Wenn mir das nicht gelingt, habe ich versagt und mein Leben verschwendet. Ich darf nicht verlieren! Nicht gegen Hiwako und nicht gegen den Planeten! Ich habe härter für all das hier gearbeitet, als alle andern zusammen. Und daher werde ich nicht zulassen, dass ein Dahergelaufener mein Lebenswerk zerstört, und wenn er sich mit den Planeten des gesamten Sonnensystems verbündet! Aber wie sollte er den Planeten stoppen? Oder Hiwako? Denn wenn Midgar gefallen war, und vielleicht auch schon früher, würde dieser Mann in allen durch Makoenergie versorgten Gegenden seine verfluchten Reflektoren anbringen. Rufus knirschte unwillkürlich mit den Zähnen. Gleichzeitig fragte er sich, was der Tod Hiwakos verändern würde. Vielleicht nichts. Vielleicht alles. Dass er sterben würde, stand außer Frage! Nur wie? Und wie sollte man ihn aufspüren? Er hätte überall sein können. Und Rufus Joker, Tzimmek, war ausgespielt und übertrumpft worden. Überhaupt, diese Person! Sie zählte aufgrund ihrer Fähigkeiten zu den am schwierigsten einzuschätzenden Mitarbeitern der Electric Power Company und schien doch einer der friedlichsten zu sein. Was für eine absurde Mischung! Und definitiv keine Hilfe mehr! Oder? Irgendwie schien da ... mehr ... zu sein. Eine Idee. Noch zu verschwommen, um Details erkennen zu können, aber zweifelsfrei existent. Doch selbst in diesem frühen Stadium besaß diese winzige Idee eine gewisse Schwere. Momentan jedoch konnte Tzimmek nichts tun. Ich muss eine Möglichkeit finden!, dachte Rufus. ShinRa hat noch nie einen Kampf verloren! Und wir werden auch diesen hier nicht verlieren. Ich brauche nur etwas Zeit ... Er verfiel in tiefes, finsteres Nachdenken. Zu den Dingen, die es in Sephiroths Nähe noch nie gegeben hatte, gehörten Wecker. Die innere Uhr des Generals funktionierte stets tadellos und weckte ihn auch an diesem Morgen zur gewohnten Zeit. Dennoch war jetzt irgendetwas anders als sonst... Er blickte vor sich. Richtig, dachte er dann. Das ist anders als sonst. Cutter hatte ihre durch einen eng an ihn geschmiegten Oberkörper dominierte Position um keinen Millimeter verändert. Und ich, dachte Sephiroth mit zurecht empfundenem Stolz, bin nicht geflüchtet. Mir scheint, ich habe mich erneut ein wenig weiterentwickelt. Gänzlich ungeplant. Aber ich glaube, in Cutters Gegenwart kann man so etwas gar nicht planen. Sie wirkt berechenbar und überrascht trotzdem. Sogar mich. Und ruft Reaktionen hervor, die ich niemals von mir erwartet hätte ... Aber so interessant es war, sich Gedanken über den immer noch schlafenden Sturmwind zu machen, es war an der Zeit, aufzustehen. Sephiroth legte eine Hand auf die Schulter vor sich und erntete einen tiefen Atemzug, dicht gefolgt von einem müdem Blinzeln und einer Stille, die den Versuch verriet, aus den empfangenen Eindrücken (Wärme, Ruhe, helle Haut in unmittelbarer Nähe, silberne Haarsträhnen) ein korrektes Bild der Lage zu formen. Irgendwann verdrängte Verblüffung die Müdigkeit aus Cutters Blick, ließ sie zu dem Mann neben ihr aufsehen. Und dann zur gegenüberliegenden, leeren Seite des Bettes. Und wieder zu den makogrünen Augen. „Ha ... Hallo. Ich, ähm, ich liege nicht mehr auf meiner Seite. Warum liege ich nicht mehr auf meiner Seite?“ „Weil du zu mir rübergekrabbelt bist“, antwortete Sephiroth schmunzelnd. „Nach weniger als 10 Minuten. Und schon fast schlafend. Guten Morgen.“ Etliche Sekunden lang blieb alles still. „Oh“, machte Cutter schließlich verlegen. „Guten Morgen. Dann habe ich die ganze Nacht ...?“ „Die ganze Nacht.“ „In dieser Position?“ „In dieser Position.“ „Oh!“ Das stand nicht auf meiner Liste! „Dann ... dann sollte ich jetzt vielleicht besser wieder auf meine Seite ...“ „Auf deine geborgte Seite.“ Mittlerweile machte sich die empfundene Heiterkeit als zusätzliches Funkeln in seinen Augen bemerkbar. „ ... auf meine geborgte Seite ...“ Sie verstummte. Und erkundigte sich dann fast ein wenig entrüstet: „Sephy? Du amüsierst dich gerade über mich, oder?“ Sephiroth musste unwillkürlich lachen. „Hauptsächlich, weil du dich trotz aller Erkenntnisse noch keinen Millimeter weit wegbewegt hast.“ „Hm“, machte Cutter leise. Ihr war völlig bewusst, sich zum ersten Mal auf diese Art und Weise an einen anderen Körper zu schmiegen, aber sie empfand weder Scham, noch Reue. Nur Liebe. Und das Gefühl von absoluter Geborgenheit. „Weil es schön ist hier.“ Gleichzeitig streckte sie die Hand aus und fuhr vorsichtig mit den Fingerspitzen über den so nahen Oberkörper. Sie hätte mit Protest gerechnet. Aber nichts geschah. Und so waren es bald mehr als nur Fingerspitzen, die behutsam eine Oberfläche erkundeten, die sich so sehr von allem bisher Bekannten unterschied. Das hier fühlte sich an wie pure Kraft, verpackt in heller, warmer Haut. Es elektrisierte Cutters gesamten Körper auf eine nie zuvor gekannte Art und Weise. Und machte es ihr unmöglich, aufzuhören. Nicht einmal, als Sephiroths dunkle Stimme erklang. „Phoenix, was tust du da?“ „Dich streicheln?“ „Das habe ich bemerkt.“ Falsche Frage, dachte er. Anders. Wie? Hojo hatte diesen Körper benutzt, um Antworten zu erhalten, ihn zur äußerlichen Heilung weggeworfen und irgendwann wieder zu sich zitiert. Seine Hände waren immer kalt und hart gewesen. Aber die Sephiroths Oberkörper jetzt erkundende Hand war ... anders. Warm. Geschmeidig. Unaufdringlich. Neugierig, aber respektvoll. Gleichzeitig versicherte sie, nichts Böses im Schilde zu führen. Die Berührungen fühlten sich ... gut an. So gut, dass Sephiroth einen Augenblick lang brauchte, um die richtige Frage zu formulieren. „Warum streichelst du mich?“ „Weil ich ... Weil du ... Mh, ich kann´s nicht begründen. Tut mir leid ...“ Der Kuss berührte seinen Oberkörper mit der Leichtigkeit einer landenden Feder. Nie zuvor hatte Cutter etwas derartiges dort getan. Und auch ihr wurde das schlagartig bewusst, denn sie zuckte erschrocken zurück. „Whoa ... sorry!“ „Cutter, als die Veranlagung zur Selbstkontrolle verteilt wurde, hast du den Termin verpasst.“ Obwohl er allen Grund gehabt hätte, ärgerlich zu klingen, er tat es nicht. Entsprechend fiel Cutters Reaktion aus. Die junge Frau grinste frech ... „Dafür habe ich, was andere Dinge angeht, eine Extraportion gekriegt. Und bin somit eine absolute Ausnahme. Sogar für dich!“ Irgendwie, dachte Sephiroth unwillkürlich, warst du das von der ersten Sekunde an. Und sieh dich jetzt an. Du liegst in meinem Bett und ich, der die Berührungen anderen immer gemieden hat, lasse mich von dir streicheln. Und küssen ... Freiwillig. Wenn mir das jemand vor ein paar Jahren gesagt hätte, es zu glauben wäre mir unmöglich gewesen. Und um ehrlich zu sein, sogar jetzt fällt mir der Glaube schwer. Glücklicherweise zeigt sich die Realität davon völlig unbeeindruckt. Gerade jetzt, in diesem Moment, war es eine ausgesprochen gute Realität. Hell. Warm. Freundlich. Und so sehr der General den Kampf liebte, selbst er wusste Augenblicke zu schätzen, in denen keinerlei Gefahr drohte. Wie dieser. Weil sie Handlungen zuließen, die sonst nicht möglich waren. Zum Beispiel, Cutter zu küssen. Langsam und gefühlvoll. Zu spüren, wie sie den Kuss auf dieselbe Art und Weise erwiderte, als habe sie sich genau danach gesehnt. Nichts gegen die warmen Schauer zu tun, oder gegen das Gefühl, jeglichen Sinn für Raum und Zeit zu verlieren. Es war der Versuch, die Zeit anzuhalten. Aber natürlich sträubte sie sich. Der Moment verging. „Es wird Zeit, aufzustehen.“ „Mh.“ Cutter blinzelte mühsam. „Wirklich?“ „Wirklich. Magst du immer noch am liebsten Toast und Schokocreme zum Frühstück?“ „Zentimeterdick Schokocreme!“, lautete die begeisterte Antwort. Gleichzeitig kletterte Cutter aus dem Bett und tappte in Richtung Bad. Sephiroth sah ihr nach. Sie trägt eines meiner Hemden. Es ist viel zu groß für sie. Aber irgendwie passt es ihr trotzdem ... Das ist mal wieder typisch! Immer noch schmunzelnd schüttelte er den Kopf, wurde aber augenblicklich wesentlich ernster, als er an den Grund für den Aufenthalt der jungen Frau dachte. Der Planet reparierte die zerstörten Kollektorenlines selbstständig! Und Rufus hatte, wie nach einem kurzen Blick auf das PHS klar war, immer noch kein Meeting einberufen. Die Antwort Gaias schien ihn schwer geschockt zu haben. Lange würde dieser Zustand allerdings auf keinen Fall anhalten! Nur, was würde Rufus tun? Oder hatte er bereits etwas unternommen? Bei diesem Mann war alles möglich – noch allerdings schien er die Dinge allein regeln zu können. Was Raum für andere Aktivitäten ließ. Sephiroth schwang die Beine aus dem Bett. Es galt, ein Frühstück vorzubereiten. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Nachtrag (21.09.10) **Persönliches ** WICHTIG ** Bin dabei, umzuziehen, weshalb es sein kann, dass Samstags mal/bis auf Weiteres KEIN UPDATE kommt. Das tut mir wirklich furchtbar Leid, aber so sehr ich diese Geschichte und Schreiben liebe, momentan müssen Umzugsfragen geklärt und Kisten gepackt werden. Sobald wieder Ruhe eingekehrt ist (was ich nach Kräften beschleunigen werde!), geht es weiter mit "Blue Wanderer"! Versprochen! Ich hoffe, ihr versteht. Liebe Grüße Ich_eben Kapitel 45: Wilde Entschlossenheit ---------------------------------- Rufus hatte die ganze Nacht an dem riesigen Panoramafenster in seinem Büro gestanden, hinausgestarrt, nachgedacht, Pläne entwickelt und verworfen. Als der Morgen graute und die Lichter der Stadt eines nach dem anderen erloschen, war der Präsident der Electric Power Company immer noch völlig unschlüssig, welche Schritte er einleiten konnte, um das Gewünschte zu bekommen oder wenigstens schlimmere Entwicklungen zu verhindern. Missmutig, aber äußerlich völlig beherrscht, wandte er sich irgendwann um und nahm hinter seinem Schreibtisch Platz. Das Telefon klingelte nur wenige Sekunden später. Rufus nahm das Gespräch an, und seine Stimme klang ruhig und gefasst wie immer. „Was gibt es?“ Sich mit Namen zu melden war völlig unnötig. Jeder der es wagte, diese Nummer zu wählen, wusste, mit wem er sprechen würde. Diesmal jedoch setzte etwas ein, das sich problemlos mit verblüfftem Schweigen hätte übersetzen lassen können. Bis die Stimme erklang. Sie zitterte. „Mr. President? Ich bin ... er ist ... weg ...“ „Wer sind Sie?!“ „Satori Ako, Sir, stationiert in Makoreaktor 34. Er ist weg, Sir! Ich ...“ Rufus legte auf. Ganz offensichtlich war der Mann gnadenlos betrunken. Und so etwas Erbärmliches arbeitete für ihn ... Anscheinend war es höchste Zeit, den Kerl durch einen fähigeren Arbeiter zu ersetzen! Und dennoch, irgendetwas in seiner Stimme war noch seltsamer gewesen, als die Information an sich. Rufus zögerte – und rief sich, seinem Instinkt folgend, die Daten über Makoreaktor 34 ins Gedächtnis. Ein kleines, mehrere Ortschaften versorgendes Exemplar, aber seit Jahren ohne größere Schadensmeldungen. Im Grunde einer der am besten laufenden Reaktoren. Aber eben doch ein Reaktor. Groß, schwer, tief im Boden verankerte Technik. Aber dieser Satori hatte entsetzt ehrlich geklungen. Rufus rief die Übersichtskarte aller Reaktoren auf und runzelte flüchtig die Stirn. Nr. 34 wurde durch kein Symbol dargestellt. Ein Computerfehler? Rufus funkte den Zentralrechner des Reaktors an. Keine Antwort. Auch nicht nach dem vierten Mal. Ein klarer Verstoß gegen die Richtlinien! Die verdammten Techniker hatten dafür zu sorgen, dass der Zugriff auf den Hauptcomputer immer gegeben war! Fast schon ärgerlich nahm Rufus Kontakt zu einem der um den Planeten kreisenden ShinRa Satteliten auf, gab die Positionsdaten von Nr. 34 ein und wartete auf das Bild. Schon nach wenigen Sekunden war es soweit. Aber der Satellit zeigte nicht das Erwartete, sondern eine Fläche voller saftig grünem Gras irgendwo auf dem Land. Ein Fehler bei der Dateneingabe? Nein. Alles korrekt. Rufus sah genauer hin und entdeckte am äußersten Rand dieses fast schon höhnischen Grüns eine am Boden sitzende Gestalt, die nach näherem heranzoomen augenblicklich vom Computer als Satori Ako, diensthabenden technischen Leiter über Makoreaktor 34, identifiziert wurde. Aber wo war der Reaktor selbst?! Es gab keine Bruchstücke, keine Brandflecken, keine Löcher im Boden. Nichts, das auf gewaltsame Einwirkung hinwies. Der Ort sah aus, als habe dort niemals ein Makoreaktor gestanden. „Was zum ...“, murmelte Rufus. Dann gewann er die Selbstkontrolle zurück und schickte mit dem schnellstmöglichen Fluggerät ein Untersuchungsteam zu dem ... nicht sichtbaren Reaktor. Es musste ein Fehler sein. Eine Täuschung. Irgendein blöder Trick! Makoreaktoren verschwanden nicht einfach so! Aber als sich nach etwa einer Stunde der Leiter des Untersuchungsteams meldete, klang selbst in seiner Stimme tiefe Verblüffung mit. „Sir, dieser Ort sieht aus, als habe hier niemals ein Reaktor gestanden. Wir haben keinerlei Spuren gefunden, auch keine, die auf Gewalt hindeuten.“ „Bringt diesen technischen Leiter ins HQ und sorgt dafür, dass er redet! Ich will Antworten!“ Makoreaktoren konnten (wie alles) zerstört werden, aber sie lösten sich nicht in Luft auf! Vermutlich hatte der Mann einen grob fahrlässigen Fehler begangen und ... aber wo waren dann die verdammten Bruchstücke?! Keine Waffe auf ganz Gaia war in der Lage, einen kompletten Reaktor zu pulverisieren! Bestimmt würde die Befragung des technischen Leiters Gewissheit bringen. Parallel dazu allerdings überprüfte Rufus selbst die letzten, Makoreaktor 34 betreffenden Daten. Es gab keine Fehlermeldungen. Nicht einmal die um den Reaktor verteilten Sensoren hatten in der vergangenen Nacht etwas aufgezeichnet. Selbst jetzt sendeten sie noch völlig normal. Rufus starrte bewegungslos auf die Zahlen, bis das Telefon erneut klingelte. Satori hatte glaubhaft versichert, nichts mit dem Verschwinden des Reaktors zu tun zu haben. Der Präsident der Electric Power Company beendete das Gespräch ohne ein Wort gesagt zu haben. Es war ein verdammter Makoreaktor! Makoreaktoren verschwanden nicht einfach so! Trotzdem war er nicht mehr da! Wie, um alles in der Welt ... Und dann weiteten sich seine Augen in einem jähen, äußerst intensiven Schock. Auch Makoreaktoren hatten eine Line ... „Elena! Schaffen Sie Death Walker Tzimmek hierher, augenblicklich!“ Cutter war gerade beim vierten Toast mit Schokocreme angekommen, als ihr PHS zu klingeln begann und sie die Stimme am anderen Ende ins Büro des Präsidenten zitierte. Nicht begeistert, aber gehorsam machte sich die junge Frau auf den Weg und betrat schließlich die Machtzentrale ShinRa´s. „Sie wollte mich sprechen, Sir?“ „Allerdings!“ Rufus Stimme klang eisig. „Ich vermisse einen meiner Makoreaktoren!“ Cutter Reaktion kam mit der für sie typischen Spontaneität. „Ich hab´ ihn nicht, Sir!“ Turk Elena musste unwillkürlich flüchtig Grinsen. Ihr Arbeitgeber hingegen verzog keine Miene. „Ich nehme an, das sollte ein Scherz sein. Nimm zur Kenntnis, dass er seine Wirkung verfehlt hat und ich auf keinerlei diesbezügliche Wiederholungen Wert lege! Und jetzt sag mir, ob der Planet in der Lage ist, einen Makoreaktor spurlos mit Hilfe seiner Line zu zerstören!“ Cutter blinzelte verblüfft. Vor wenigen Minuten hatte sie noch mit Sephiroth bei einem friedlichen Frühstück gesessen und jetzt war schlagartig schon wieder alles so kompliziert (und spannend). Sie dachte kurz nach. Rufus Shinra wollte nichts über die Lines, deren Verbindung zu dem Planeten und den komplizierten Aufbau einer Reaktorenline hören, sondern nur `Ja´ oder `Nein´ - und er würde die Antwort in jedem Fall anzweifeln. „Sir“, sagte sie schließlich, „nach allem, was ich über die Lines weiß, wäre es dem Planeten problemlos möglich, einen Reaktor zu zerstören.“ „Du darfst gehen, aber halte dich in Bereitschaft. Und, falls es dir nicht klar sein sollte, dieses Gespräch war Top Secret!“ Sichtbar beleidigt hinsichtlich des letzten Satzes verließ Cutter den Raum – heimlich allerdings fest entschlossen, Sephiroth diese Neuigkeit nicht vor zu enthalten. Hinter ihr rieb sich Rufus mit Daumen und Mittelfinger über die Stirn. „Weshalb fängt der Planet gerade jetzt damit an?“, wisperte er. Und nur wenige Sekunden später: „Weil er jetzt die Kraft dafür hat ...“ Dann griff er zum Telefon. „Tseng! Die Leistungen sämtlicher Midgar betreffender Reaktoren sind wieder auf das gewohnte Niveau anzuheben! Des weiteren werden neue Speicherkapazitäten installiert! Los!“ Und in Gedanken fügte er hinzu: Nicht mit mir, Gaia! Nicht mit mir! Aber vier Tage später waren zwei weitere kleine Reaktoren verschwunden. Die parallel stattfindende Installation der neuen Speicher in den Midgarreaktoren dagegen verlief alles andere als zufrieden stellend. Werkzeug zerbrach. Schrauben passten nicht. Mitarbeiter verletzten sich und konnten ihre Arbeit nicht fortführen. Der Planet schien ganz genau verstanden zu haben, was ShinRa plante, und sabotierte, wo es nur möglich war. Eine von Rufus angeordnete Überwachung Tzimmeks, die ebenfalls Kontakt zu den Lines aufnehmen konnte, bestätigte nur, dass die junge Frau missionstechnisch zu ausgelastet war, um sich auf irgendeine Art und Weise einmischen zu können. Und so bröckelte Rufus´ Unternehmen, ohne dass er auch nur eine einzige wirksame Kleinigkeit dagegen hätte tun können. Ein Umstand, der von Destin und Solar Solution nicht unbemerkt blieb. Immer wieder tauchten jetzt überall in der Stadt an Litfasssäulen sonnengelbe Infoblätter auf, außerdem teilte man mit Hilfe der eigenen Radiostation täglich mit, dass man Leute zum Solartechniker ausbildete und wie viele bereits entsprechend geschult wurden. Aufspüren ließ sich die Radiostation nicht. Niemals zuvor war die Lage so angespannt gewesen. Und der Wunsch, etwas dagegen zu tun, wurde mit jedem Tag stärker. Vorläufig allerdings waren ShinRa die Hände gebunden. Selbst Sephiroth, dem sonst immer etwas einfiel, konnte (oder wollte) diesmal keine Lösungsvorschläge unterbreiten. Momentan saß er in seinem Büro und beobachtete mit einer Mischung aus Irritation und Erheiterung die Vorgänge auf seinem Schreibtisch. Irgendwann warf er dem Auslöser derselbigen einen warnenden Blick zu. Keine Reaktion. Nach dem dritten Blick dieser Sorte entschied sich der General für einen Kommentar. „Cutter, ich wäre dir sehr dankbar, wenn du aufhören würdest, das Radiergummi gegen das Tippexfläschen kämpfen zu lassen.“ „Das kann ich dem Radiergummi nicht antun, ich glaube, es ist am gewinnen.“ Sephiroth warf dem wild auf- und abhopsenden Radiergummi einen kritischen Blick zu. „Sieht eher nach einem Anfall aus.“ „Nein, nein, das macht es immer vorm finalen Schlag.“ „Was hast du gegen das Tippexfläschchen?“ „Es kleckert.“ „Weil du nicht damit umgehen kannst. Bei mir benimmt es sich immer anständig.“ „Du bist ja auch sein General.“ Auf dem Schreibtisch machte das Radiergummi einen Sprung vorwärts und warf das Tippexfläschchen um. „Ha!“, jubelte der neben Cutter sitzende Zack in Richtung seines kommandierenden Offiziers. „Du schuldest mit 5 Gil!“ „Ich habe nie mit dir gewettet!“, erinnerte der General und griff nach dem Radiergummi, bevor sich dieses einen neuen Gegner suchen konnte. „In Ordnung, zurück an die Arbeit. Alle!“ Zwei Sekunden später setzte sich einer der bis dahin noch friedlich auf dem Schreibtisch liegenden Kugelschreiber wie von Geisterhand in Bewegung. „Cutter!“, grollte der General, und der Kugelschreiber erstarrte wieder – allerdings nur, um zu einem Makoreaktor im Miniaturformat zu werden, auf den sich sofort 3 Augenpaare hefteten. „Gaia trickst uns im Moment ganz schön aus“, murmelte Cutter. „Hat Aerith eigentlich noch irgendwas gesagt?“ „Ich hoffe“, Sephiroths Stimme klang zu sanft, um freundlich zu wirken, „nicht, denn das würde bedeuten, dass gewisse Personen zum wiederholten Mal einen diesbezüglichen Befehl von mir missachtet haben und ich Konsequenzen einleiten werde.“ „Genau deshalb“, antwortete Zack breit grinsend, „haben gewisse Personen ihre Freundin gebeten, ohne Aufforderung von Neuigkeiten zu berichten.“ Dann aber schüttelte er den Kopf. „Keine Neuigkeiten, keine Tipps, keine Tricks, nichts.“ „Und Rufus tobt“, ergänzte Cutter ebenfalls breit grinsend. „Geschieht ihm recht. Und, soll ich euch noch was sagen? Ich bin von diesem Wetter da draußen restlos begeistert! Es ist schon richtig warm! Und die Luft ist so klar. Einfach nur toll!“ „Gewöhn dich nicht dran“, warnte Sephiroth. „Sobald Rufus eine Chance sieht, die Dinge zu ändern, wird er sie nutzen.“ „Ganz ehrlich? Ich glaube nicht, dass er irgendeine Chance kriegt!“ „Cuttie-chan, sag das besser nicht laut“, warnte auch Zack. Aber im Grunde dachte er dasselbe, wie sie. Niemand war stärker als der Wille des Planeten. Auch nicht Rufus Shinra. Aber dies einzusehen war ihm unmöglich. Und so kämpfte er mit der für ihn typischen Sturheit dagegen an. Zu den momentan eingesetzten Mitteln gehörte auch der Austausch jener einen jeden Reaktor umgebenden Sensoren, die vor schädlichen Einflüssen warnen sollten. Die neuen Exemplare waren nicht nur leistungsstärker, sondern auch in der Lage, bei Bedarf ein Schutzschild um den Reaktor zu legen, der naturtechnische und andersartige Attacken fern halten sollte (eine aus dem letzten Wutaikrieg übernommene und verbesserte Taktik). Da Rufus auf Testdurchläufe außerhalb der Simulatorräume bestand, war die Durchführung derselbigen nur an einem echten Makoreaktor möglich, in Sephiroths Aufgabengebiet übertragen worden und hätte, laut Zeitplan, bereits in vollem Gange sein sollen. Leider waren im letzten Moment Unstimmigkeiten aufgetreten und der Abflug bis auf Weiteres verzögert worden. Zeit, die sich zum Schreiben von Berichten eignete. Oder Kämpfen zwischen Büroutensilien. Oder letzten Ermahnungen. „Reißt euch zusammen! Beide! Cutter, du wirst die etwaigen Bedrohungen der Reaktoren mit Hilfe der Lines herbeiführen. Wenn du einen Fehler machst, ist der Reaktor zerstört. Zack, du und die anderen SOLDIER dient der allgemeinen Sicherung. Wenn du mir auf den Geist gehst, bist du zerstört. Verstanden?“ In die zweifache Bestätigung mischte sich das Klingeln des Telefons. Sephiroth nahm das Gespräch an und nickte. Es ging los! Nur Minuten später erhoben sich mehrere Black Hawk Helikopter in die Luft und steuerten einen der Reaktoren an. Bei dem anvisierten handelte es sich um einen mittelgroßes Exemplar in der Nähe eines Waldes. Die dem Reaktor zugeteilte Mannschaft wartete bereits geschlossen und half, kaum dass die Landung der Hubschrauber erfolgt war, beim Ausladen der technischen Geräte. Das Auftauchen eines weiteren, nicht angekündigten silberfarbenen Helikopters allerdings ließ die Arbeiten kurzfristig stocken – und beschleunigte sie sichtbar, als eine ganz bestimmte Person ausstieg. Rufus Shinra war persönlich erschienen, um die Geschehnisse zu überwachen. „Wenn der nicht alles kontrollieren kann, fehlt ihm was!“, knurrte Cutter. „Wir sollten ihm einen Picknickkorb in die Hand drücken und auf die nächstbeste Wiese schicken. Vielleicht kommen ein paar Tiere vorbei und versuchen, sich mit ihm anzufreunden.“ „Keine gute Idee“, grollte Sephiroth. „Er würde nur auf sie schießen.“ Die Techniker schienen genau dasselbe für sich zu befürchten, denn Rufus schlagartige Anwesenheit ließ sie das Tempo der Vorbereitungen förmlich verdreifachen. Innerhalb kürzester Zeit signalisierte man, bereit für den Testlauf zu sein. Erwartungsvolle Stille senkte sich über den Platz. Als erstes stand eine Lawine auf dem Programm. Cutter griff grinsend nach der Luna Lance, trieb ein paar Steine von harmloser Größe zusammen und verwandelte sie in schwere Felsbrocken. Nur Sekunden später raste etwas, das unter normalen Umständen unaufhaltsam und absolut tödlich gewesen wäre auf den scheinbar hilflosen Reaktor zu ... und passierte den ersten Sensor. Ohne Auswirkung. Der Schutzschild baute sich nicht auf. Cutter brachte die tonnenschweren Steine zum Stehen, noch bevor die entsetzten `STOPP´ Schreie der ShinRa Techniker verklungen waren - trotzdem fielen zwei von ihnen in Ohnmacht. Rufus machte sich Notizen. Cutter rollte die Steine zurück auf die Ausgangsposition und sandte nur mit den Augen ein fragendes: `Und jetzt?´ zu dem neben ihr stehenden Sephiroth hinüber. Dieser sah zu den Technikern. Manche saßen wie erstarrt vor ihren mit den Sensoren verbundenen Laptops. Andere stritten bereits miteinander. Wieder andere versuchten, ihre ohnmächtigen Kollegen zu wecken. Entsprechend sarkastisch fiel der Kommentar aus. „Haben wir viel Zeit. Such dir irgendeine sinnvolle Beschäftigung, ich rufe dich, sobald es weitergeht.“ Cutter nickte. Tatsächlich beschäftigte sie sich so sinnvoll, dauerhaft und ohne sich in irgendeine unvorteilhafte Situation zu schusseln, dass Sephiroth sich irgendwann zu fragen begann, wohin sie gegangen sein mochte. Und einmal mehr gelang es ihm problemlos, sie zu finden. Inklusive einer anderen Person, über deren Verbleib er sich auch schon Gedanken gemacht hatte. „Darf ich fragen, was ihr hier tut?“ Zack blinzelte verschlafen von der am Boden liegenden Decke zu seinem General hinauf. „Fragen darfst du, aber du kriegst keine Antwort. Aua! Wir relaxen. Das kennst du nicht.“ Sephiroths Blick verfinsterte sich – allerdings nur für einen Sekundenbruchteil. Dann verpasste er dem liegenden 1st einen zweiten, aber für seine Verhältnisse wesentlich sanfteren Tritt. „Rutsch zur Seite!“ Und als eine Reaktion ausblieb: „Soll ich ein drittes Mal treten?“ Gleichzeitig löste er die Riemen der Schulterrüstung. Es war völlig nebensächlich, ob er sich beim Reaktor oder hier aufhielt. Am Reaktor hatte Rufus das Kommando übernommen und die Techniker waren unter seinem eisigen Blick panisch auf Fehlersuche. Ein weiterer Kommandant wurde nicht gebraucht. Mittlerweile war Zack zur Seite gerutscht und Sephiroth ließ sich auf dem freien Platz nieder und sah sich um. Es war ein schöner Ort, den sich seine beiden Freunde ausgesucht hatten. Im Wald, unmittelbar vor einem riesigen Baum, dessen dichtes Blätterdach hin und wieder im leichten Wind raschelte. Vögel sangen. Die Luft war fast schon so warm wie im Sommer. Es war ... idyllisch. Sephiroth wandte den Kopf in Richtung Cutter. Die sah zu ihm auf, schmunzelte, griff nach einer Handvoll Silber und schloss die Augen. Immer tat sie das. Wie um ihn daran zu hindern, nebelgleich zu verschwinden. Aber diesmal verschwand nichts und niemand. Vielmehr ließ sich der freiwillig gebannte Körper langsam zurücksinken und nahm eine bequeme Position ein. Dann war wieder alles still. Auf eine derartige Weise Entspannung zu finden war ... neu. Zumal sie wesentlich schneller einsetzte, als erwartet. Sephiroth sah hinauf zur tiefgrünen, von dunkelbraunen Zweigen durchzogenen Baumkrone. Wenn der Wind die Blätter bewegte, wurden Fragmente des weit darüber liegenden, stahlblauen Himmels sichtbar. Und Sonnenlicht. Flirrendes, glitzerndes, glänzendes Sonnenlicht, das wie unzählige Diamanten auf den tiefgrünen Blättern zu sitzen schien. Irgendetwas an diesem Anblick verzauberte den sonst so distanzierten General auf eine Art und Weise, die ihn seine Unberührbarkeit ablegen ließ. „Es ist schön hier“, sagte er leise. „So friedlich. Und warm.“ „Hmhm“, machte Zack neben ihm schläfrig. „Dieser Moment wäre den Wunsch wert.“ „Oh ja“, murmelte Cutter schon fast schlafend, hörte Sephiroth leise: „Wunsch?“ fragen, und dann ... sie wusste nicht, ob sie Zacks Worte nur träumte oder noch hörte. Sie schienen nah und fern gleichzeitig zu sein, fremd und vertraut ... Und obwohl sie noch nicht wusste, wie der 1st die Geschichte erzählen würde, so schien sie doch jedes Wort bereits zu kennen. „Es ist eine alte Legende. Sie besagt, dass der Planet einem Menschen nach seinem Tod einen Wunsch erfüllt. Aber nur, wenn bestimmte Bedingungen gegeben sind. Leider weiß niemand genau, was das für Bedingungen sind, aber ... ich glaube, ich würde genau hierher zurückkehren wollen. Selbst, wenn es nur für einen Moment wäre, in dem alle Schrecken weit, weit weg sind. Und ich würde natürlich Aerith mitnehmen. Es würde ihr hier gefallen.“ Sephiroth hatte einen spöttischen Kommentar auf der Zunge, ließ ihn aber nicht frei. Selbst Legenden enthielten immer einen Funken Wahrheit, und solange man nicht genau wusste, auf welchen Teil einer Geschichte dieser gefallen war, konnte es besser sein, nicht zu spotten. Und so sah er schweigend weiter zur funkelnden Baumkrone empor und fragte sich, was der Planet für Bedingungen stellen könnte. Vermutlich stand die, ihn nicht zu töten, an oberster Stelle ... Und als hätten die Geschehnisse auf genau diesen Gedanken gewartet, setzten sie wieder ein. Cutters PHS begann zu klingeln. Die junge Frau griff schläfrig danach, holte damit aus ... „Untersteh dich, es wegzuwerfen!“ ... sah aufs Display und rappelte sich leise murrend auf. Der Testlauf ging weiter. Dem Trio gelang es, den Wald so geschickt zu verlassen und sich unter die Personen am Reaktor zu mischen, dass nicht einmal die Turks auf den Gedanken einer gemeinsam verbrachten Pause kamen. Nur Minuten später ließ Cutter die zweite Lawine auf den Reaktor zurollen. Diesmal erschien der Schutzschild und pulverisierte die Steine. Die Techniker jubelten. Auch der zweite Angriff, in Form einer Überschwemmung, wurde erfolgreich abgewehrt. Aber so glatt alles lief, Sephiroths Instinkt war schon seit geraumer Zeit in Aufruhr. Irgendetwas stimmte nicht. Irgendetwas beobachtete die kleine ShinRa Truppe. Entdecken allerdings konnte der General nichts. Doch das Gefühl eines sich immer schneller nähernden Ereignisses wurde stärker und stärker. Aber niemand sonst schien etwas zu merken. Niemand außer ... Cutter. Sie stand völlig ruhig da, mit einem tiefe Konzentration verratenden Gesichtsausdruck. Ihre Hände waren fest um die Luna Lance, deren beide Enden den Boden berührten, geschlossen. So unauffällig wie möglich trat der General neben seine Freundin und erkundigte sich leise: „Was kommt da auf uns zu?“ „Ich weiß es nicht“, lautete die nur gewisperte Antwort. „Die Erdline dieses Platzes ist auf einmal ganz seltsam, fast als ob sich gleich etwas daraus entwickelt, etwas wie ein ...“ Der heftige Stoß kam völlig unerwartet. Von unten. Aus den Tiefen der Erde heraus. Erdbeben!, vollendete Sephiroth den Satz gedanklich und balancierte einen zweiten, ungleich stärkeren Stoß aus, während um ihn herum sämtliche Techniker in Panik ausbrachen und versuchten, sich und ihre Werkzeuge gleichzeitig in Sicherheit zu bringen. Aber das von Sekunde zu Sekunde stärker werdende Beben stellte höchste Ansprüche an den menschlichen Gleichgewichtssinn, die Fortbewegungsfähigkeit ... und die Standhaftigkeit des Reaktors. Dieser konnte einige leichte Erdbewegungen überstehen. Nicht aber ein solches Inferno an Kraft, das ganz offensichtlich gezielt zu seiner Zerstörung führen sollte! Es sei denn ... Sephiroths Kopf ruckte herum. „Cut ...“ Aber Cutter war schon in Bewegung, jagte mit exakt ausbalancierten Bewegungen über den schwankenden Boden auf den Reaktor zu, schneller als Sephiroth jemals jemand anderen unter diesen schwierigen Bedingungen hatte laufen sehen. Und dieses Funkeln in ihren Augen ... letzter Vorbote zu einer absolut irrsinnigen, innerhalb der nächsten 5 Sekunden stattfindenden Aktion. Dazu die auf den Reaktor zeigende Luna Lance ... Sephiroth konnte förmlich spüren, wie sein Death Walker einen Befehl in die Line des Reaktors feuerte. Wenige Sekunden später steigerte sich das Erdbeben zu einer neuen Höchstleistung – jetzt allerdings mischte sich ein neuer Ton in das dumpfe Grollen. Es klang wie ein dumpfes Quietschen, dicht gefolgt von einem `Plopp´. Irgendetwas hatte – diesmal deutlich hörbar – eine neue Form angenommen. Der General sah, wie sich Cutter mit einem Sprung, der jedem 2nd Class SOLDIER alle Ehre gemacht hätte, vom Boden abstieß, nach etwas kaum Sichtbarem griff und nur wenige Sekunden später das Kunststück fertig brachte, sicher auf dem immer noch heftig schwankenden Boden zu landen und auf den Beinen zu bleiben. Und dann, schlagartig, war es vorbei. Stille senkte sich über den Schauplatz, aber sie war eher von der misstrauischen Sorte. In ihr kamen zu Boden gefallene Personen wieder auf die Beine, manche schimpfend, andere schweigend. Abschätzende Blicke wanderten in die Runde ... und vereinten sich bei Cutter. Irgendwann waren es alle Blicke. Die junge Frau stand einen Augenblick lang einfach nur bewegungslos da. Dann aber setzte sie sich in Bewegung, direkt auf Rufus Shinra zu, hielt vor ihm an und streckte ihm ihre rechte, zur Faust geballte Hand, von der aus eine sicher umfasste Schnur nach oben führte, entgegen. „Können Sie sich kurz nützlich machen, Sir, und das hier halten? Danke.“ Rufus starrte Cutter drei Sekunden lang schweigend an. Dann griff er nach der Schnur. Wickelte sie mehrfach um sein eigenes Handgelenk. Und hob schließlich langsam den Kopf. Was er sah, war ... Vor langer Zeit hatte es einmal eine ShinRa Marketingabteilung gegeben, deren Leiter Humor besaß und wild entschlossen war, auch den ein oder anderen ShinRa Scherzartikel herauszubringen. (Im Grunde unnötig zu erwähnen, dass der Mann seinen Posten nicht lange behalten hatte.) Aber dennoch lange genug, um eine ganz bestimmte Idee in die Tat umzusetzen. Makoreaktoren im Kleinformat, hergestellt aus besonders leichtem Material, spielten hierbei eine große Rolle. Und Helium. Eine Vorrichtung, um die Makoreaktoren mit dem Helium aufzublasen. Und, zwangsläufig, eine Schnur, damit das Endprodukt nicht davonflog. Natürlich war diese absurde Idee niemals in Serienproduktion gegangen. ShinRa war nicht witzig! Aber ein paar dieser `Fehlproduktionen´ hatten dennoch irgendwo überlebt. Und natürlich besaßen sie eine Line ... Rufus versuchte, sich nicht lächerlich, irritiert oder gar überfordert zu fühlen. Und keinesfalls wie jemand, dem man gerade die Schnur eines mit Helium gefüllten Luftballons in Form eines schwebenden Makoreaktors (noch dazu die lächerliche Version mit dem darüber gedruckten Regenbogen!) in die Hand gedrückt hatte. Niemals zuvor hatte der Präsident der Electric Power Company etwas Derartiges erlebt. Und er wusste nicht, wie er diese Situation beschreiben sollte. Nur, dass es eine war. Um die Kontrolle nicht ganz zu verlieren, erkundigte er sich eisig: „Ich hoffe für dich, dass du ihn auch wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzen kannst!“ Cutter grinste frech. „Sofort und hier? Sir?“ Rufus wandte sich wortlos um und marschierte, flankiert von Rude und Reno davon. Der Makoreaktor mit dem aufgedruckten Regenbogen folgte ohne Protest, ein Anblick, der Cutter alles an Selbstbeherrschung abverlangte, um nur leise zu Kichern, statt einen Lachanfall zu bekommen. Zack tauchte neben ihr auf. Auch er hatte Tränen der Selbstbeherrschung in den Augen und konnte sich vor mühsam unterdrücktem Lachen kaum noch halten. Bevor einer der beiden allerdings auch nur eine Silbe sprechen konnte, marschierte Sephiroth an ihnen vorbei, warf seiner Freundin einen Blick zu, der missbilligend hätte sein sollen (in dem aber auch echte Heiterkeit über die geniale Idee seiner Freundin funkelte), und knurrte: „Lass ihn bloß nicht abstürzen, solange Rufus drunter steht!“ Cutter und Zack mussten unwillkürlich vor Erheiterung prusten, gelangten ihre Selbstbeherrschung aber verhältnismäßig schnell wieder zurück. Sephiroth entließ sie aus seinem Blick und machte stattdessen den immer noch größtenteils unkoordinierten Technikern mit wenigen Worten klar, wie sehr und wie schnell sie sich jetzt wieder zusammenzureißen hatten. Cutter wandte immer noch vergnügt kichernd den Kopf. Mittlerweile stieg der Regenbogenreaktor hinter den Helikoptern auf. Ganz offensichtlich schien Rufus Shinra, Präsident der mächtigen Electric Power Company, gehörig zu schmollen ... Erst Sephiroths scharfes `Tzimmek!´ erinnerte die junge Frau daran, dass sie auch noch eine Line im Auge zu behalten hatte, aber es gelang ihr trotzdem erst nach etlichen weiteren Sekunden, den Heiterkeitsausbruch einzudämmen und sich stattdessen auf die Erdline des Platzes zu konzentrieren, um etwaige neue Störungen zu melden. Im tiefsten Grunde seines Herzens war Rufus weit über den Zustand, den andere als `schmollen´ bezeichnet hätte, hinaus. Was er empfand, war weißglühende Wut, gewürzt mit einer gehörigen Portion Entsetzen. Der Planet hatte es gewagt, einen seiner Reaktoren direkt anzugreifen! Während er, Rufus Shinra höchst selbst, quasi direkt daneben stand! Niemals zuvor war dem Präsidenten der Electric Power Company eine derartige Dreistigkeit präsentiert worden. Und momentan wusste er nicht, worüber er sich mehr ärgern sollte: Die eigene Hilflosigkeit oder die Tatsache, dass sein Reaktor von Tzimmek gerettet worden war. Ausgerechnet Tzimmek! Die Turks waren nützlich, Jenova Projekt 1 unterhaltsam, Hojo ein notwendiges Übel, die Angestellten der Electric Power Company Ballast (an einer Verbesserung dieses Zustandes wurde mit Eifer gearbeitet) ... Aber Tzimmek?! Sie war ein wenig zu Einzigartig. Selbst für jemanden wie Rufus. Weil jegliche Vergleichsmöglichkeiten fehlten. Aber was, wenn man diese Einzigartigkeit ändern könnte? Waren es nicht letztendlich nur gewisse Extras, die Tzimmek in diesen Status erhoben? Was, wenn man diese ... Extras ... auch anderen zugänglich machen könnte? Sie war nicht wie Jenova Projekt 1, der im Grunde nichts anderes als eine lebendige, außer Kraft gesetzte Grenze darstellte. Und was Tzimmek heute geleistet hatte ... mit ein wenig Vorbereitung könnte man mit Sicherheit ... Ein finsterer Plan begann in Rufus Kopf heranzureifen und lag binnen weniger Minuten ausgearbeitet bis ins letzte Detail gedanklich vor ihm. Mehr als gut. Nahezu perfekt. Oh, es würde eine Weile dauern - aber letztendlich von Erfolg geprägt sein. ShinRa verfügte über alle nötigen Mittel, inklusive des wichtigsten Hilfsmittels: Gewalt! Rufus sah wie beiläufig an dem Helikopter vorbei und hinüber zu Tzimmek, die mit Hilfe der Luna Lance immer noch die Lines überwachte, und lächelte finster. Willkommen als kurzfristige Hauptfigur in meinem neuesten Plan! Es verging nur wenig Zeit, ehe die Lage wieder als `sicher´ eingestuft werden und dem Reaktor die ursprüngliche Form am ursprünglichen Standort zurückgegeben werden konnte. Eine kurze Überprüfung ergab, dass die ShinRa Technik völlig unversehrt war und mit den weiteren Tests weitergemacht werden konnte. Diese wurden erfolgreich, allerdings ohne jegliche Form von Enthusiasmus durchgeführt, denn jetzt hatte auch der letzte Teilnehmer begriffen, dass sämtliche Schutzmaßnahmen wirkungslos sein würden hinsichtlich einer solchen, vom Planeten ausgeübten, Gewalt. Und Tzimmek würde nicht immer eingreifen können ... Entsprechend schweigsam gestaltete sich auch der Heimflug am Ende des harten Arbeitstages. Jeder war mit seinen Gedanken bei derselben Situation, jeder versuchte, sich eine Lösung einfallen zu lassen. Jeder scheiterte hinsichtlich der überdimensionalen, gegnerischen Macht. Und nicht einmal von Cutter, die sonst vor Ideen nur so überlief, kam mehr als nachdenkliches Schweigen. Aber als die Helikopter zur Landung ansetzten, begann ihr PHS zu klingeln. Und obwohl die junge Frau den Standartklingelton ganz genau kannte, diesmal schien ihm etwas höchst Bedrohliches anzuhaften, allerdings so fein, dass es sich eher erspüren als erhören ließ, und dieselbe Tonlage schwang in der am anderen Ende erklingenden Stimme mit. Rufus Shinra wünschte Cutter unverzüglich in seinem Büro zu sprechen. Die junge Frau verzog unwillkürlich das Gesicht. Sicher, den Reaktor in einen schwebenden Luftballon (mit Regenbogen) zu verwandeln war ein wenig ... unüblich gewesen, aber was hätte sie sonst tun sollen? Außerdem hatte es doch funktioniert! Aber zweifelsfrei würde Rufus dennoch etwas zu bemängeln haben. Cutter seufzte leise und bereitete sich mental auf eine heftige Rüge vor, war aber nicht bereit, sich einschüchtern zu lassen! Der Reaktor war nicht zerstört worden! Dank ihr! Das musste selbst ein Rufus Shinra gelten lassen! Sephiroth, den sie umgehend informierte, nickte nur knapp. Eine völlig unverfängliche Bewegung – aber für einen Sekundenbruchteil blitzte in den Augen des Generals etwas auf, das `Sei vorsichtig!´ hätte heißen können. Oder `Denk an dein Versprechen´. Oder auch etwas völlig Anderes. Cutter fand sich ohne Verzögerung im Büro des Präsidenten ein. Schon nach dem ersten Schritt in den Raum nahm sie die gänzlich veränderte Atmosphäre wahr. Irgendetwas Bedrohliches lauerte hier. Es war anders als sonst. Ungreifbarer. Und deshalb wesentlich Gefährlicher. Sicheres Zeichen dafür waren auch die beiden links und rechts neben der Tür stehenden Turks. Für gewöhnlich hielt sich immer einer in unmittelbarer Nähe zu Rufus auf ... Weshalb gerade jetzt nicht? Instinktiv nahm Cutter Kontakt zu ihren Lines, der des Präsidenten und, vorsichtshalber, auch der Tür auf. „Death Walker Tzimmek Cutter.“ Rufus Stimme erinnerte an siedend heißes Öl. „Ich möchte mich mit dir über deine heutigen Handlungen unterhalten.“ Wusste ich´ s doch!, dachte die junge Frau. Gleich versucht er, mich in Grund und Boden zu stampfen. „Ich bin beeindruckt.“ Cutter blinzelte verblüfft. Dann bedankte sie sich höflich, aber auf eine Art und Weise, die erhöhte Wachsamkeit verriet. „Ohne Zweifel bist du absolut Einzigartig“, fuhr Rufus fort. „Gefällt dir dieser Zustand?“ „Ich kenne es nur so, Sir“, antwortete Cutter vorsichtig. Irgendetwas war dabei, sich hier anzuschleichen. Eine ganz bestimmte Situation. Nur welche?! Mit zwei Turks und Rufus in einem Raum konnte so gut wie alles geschehen. Aber ich habe eure Lines! Ich bin stärker als ihr! „Das beantwortet nicht meine Frage“, stellte Rufus fest. „Aber im Grunde sind deine Gefühle auch völlig nebensächlich. Mich interessieren allein die Gründe für diese Einzigartigkeit. Worin liegen sie, was meinst du? Ich werde es dir sagen. Viel Glück. Und ein wenig mehr Talent, als andere deiner Art. Nicht viel. Gerade mal, sagen wir, ausreichend, um die Lines mit Hilfe dieses Stabes zu beherrschen.“ Cutter schmunzelte. „Versuchen Sie gerade, mich zu verunsichern, Mr. President? Das wird nicht klappen. Ich weiß ganz genau, was ich bin und kann.“ „Und genau darum geht es. Siehst du, Tzimmek, du allein bist nicht mehr genug. Wir brauchen mehr von deiner Sorte. Blue Wanderer, die in der Lage sind, die Lines so zu beherrschen, wie du es tust.“ Seine Worte versetzten Cutter in einen Augenblick völliger Starre. Dann aber ... „Das dürfte aus gleich zwei Gründen nicht klappen, Sir. Erstens haben Sie das Blue Wanderer Projekt eingestellt, und Zweitens gibt es außer meinem Werkzeug nichts auf diesem Planeten, mit dem man die Lines beeinflussen könnte.“ Diesmal war es Rufus, der schmunzelte. „Noch.“ Cutter wusste, dass die Turks schnell waren. Aber die nur einen Sekundenbruchteil später von Reno an den Tag gelegte Schnelligkeit war mit Worten nicht zu beschreiben. Schlagartig befand er sich genau hinter ihr blockierte mit einem einzigen geschickten Griff sowohl Cutters Hände, als auch ihren Versuch, herumzuwirbeln, ignorierte das erschrockene: „Nicht!“ seines Opfers ... und legte die freie Hand fest um die Luna Lance. Reno hätte in diesem Moment mit Gegenwehr jeder möglichen Art gerechnet. Nicht aber mit der aus dem zweifach gegabelten Stab schießenden Energieladung, gleißender als ein Blitzschlag, heißer als Feuer. Die gänzlich unerwartete Attacke züngelte durch das gesamte Büro und ließ sämtliche an das Stromnetz angeschlossene Elektrogeräte knallend zugrunde gehen; selbst die Deckenbeleuchtung verabschiedete sich in einem wilden Funkenregen. Gleichzeitig wurde der Turk wie ein Spielzeug davon geschleudert und kollidierte mit der nächsten Wand, rutschte benommen an ihr hinunter und verhielt nahezu bewegungslos. Über seinen Körper züngelten immer noch Energieladungen. Die Luna Lance selbst hatte zu glühen begonnen, in einem schmerzenden, leuchtenden Weiß, und war somit zur einzigen Lichtquelle des völlig dunklen Büros geworden. Sie schwebte selbstständig genau über dem Schreibtisch. Die gefährlich aussehende Spitze zeigte direkt auf Rufus Shinra´ s Gesicht und verlieh diesem durch das kalte Leuchten einen beinahe geisterhaften, unwirklichen Ausdruck. Cutter selbst befand sich immer noch vor dem Schreibtisch und versuchte durch heftiges Blinzeln all die durch die Lichtexplosion ausgelösten dunklen Flecken vor ihren Augen zu verscheuchen und gleichzeitig auszusehen wie jemand, der die Situation vollständig unter Kontrolle hatte. Zeitgleich stapelten sich in ihrem Kopf Fragen. Warum, warum hatte der Turk nicht auf sie gehört?! (Weil, so beantwortete sie sich ihre Frage unverzüglich selbst, ein Turk nur Befehle von Rufus Shinra entgegennahm.) Und die Reaktion der Luna Lance ... Dass sich diese selbst verteidigen konnte, gehörte zu dem von Tzirka an ihre Nachfolgerin weitergegebenen Wissen. Aber dass es so infernalisch werden würde, war Cutter nicht klar gewesen. Ob es jetzt vorbei war? Es war Rude, der diese Frage beantwortete. Cutter erstarrte, als sich die kalte Mündung seiner zweifelsfrei geladenen Waffe befehlend gegen ihren Hinterkopf drückte und eine klare Botschaft vermittelte. `Beende es, oder ich werde es tun!´ Und erst jetzt wurde der jungen Frau klar, wie verzwickt die aktuelle Situation wirklich war. Denn obwohl es zweifelsfrei ihr Sephiroth gegebenes Versprechen war, das die Luna Lance davon abhielt, Rufus Shinra Kopf an den Sessel zu nageln ... Ich habe momentan keine körperliche Verbindung zur Luna Lance. Und somit keinen Kontakt zu den Lines. Eine falsche Bewegung und Rude drückt ab. Und ich bin tot. Oh, verdammt ... Ihr gegenüber lächelte Rufus herablassend. „Ein guter Kämpfer hat die Situation immer unter Kontrolle und verlässt das Schlachtfeld daher lebend. Du hast momentan weder das Eine im Griff, noch stehen deine Chancen beim Anderen besonders hoch. Ich bin sehr gespannt auf deine nächste Bewegung.“ Er hat Recht, dachte Cutter. Rude wird abdrücken. Er wird es einfach tun. Verdammt! Gleichzeitig fühlte sie heiße Wut in sich aufsteigen. Nicht nur, dass Rufus sie einmal mehr wie Straßendreck behandelt hatte, nein, der Versuch, die Luna Lance zu stehlen, war, gelinde gesagt, eine bodenlose Unverschämtheit! Sein scheitern dämpfte Cutters Wut nur am äußersten Rand, und so beruhte ihre nächste Reaktion einmal mehr auf purem Gefühl. „Wenn Sie das noch einmal versuchen, Shinra, lernen Sie meine Konsequenzen kennen!“ Vertiefte sich Rufus herablassendes Lächeln oder lag es am Licht der Luna Lance? Cutter wusste es nicht. Aber im tiefsten Grunde ihres Herzens war es ihr auch egal. Sie streckte die Hand nach dem immer noch über dem Schreibtisch schwebenden Stab aus, zog die Waffe langsam zu sich heran und brachte sie in eine ungefährliche Position. Gleichzeitig nahm sie Kontakt zu der immer noch an ihren Kopf gedrückten Schusswaffe auf. Die junge Frau hätte erwartet, dass Rude seine Waffe zurückziehen würde, immerhin war diese jetzt wirkungslos. Aber der Turk wartete das Nicken des Präsidenten ab, ehe er die Berührung beendete. Cutter atmete unwillkürlich auf. So klärend die Reaktion der Luna Lance und so entschlossen Rude´ s Handlung gewesen war, so unbeeindruckt erfolgte Rufus Kommentar. „Tzimmek, ich habe keine Zeit für dein Theater. Deshalb gebe ich dir jetzt den Befehl, mir dein Werkzeug auszuhändigen!“ Cutters Hand hatte sich so fest um die Luna Lance geschlossen, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Sie wusste, diesen Befehl zu befolgen, wäre in jedem Fall Wahnsinn gewesen, irrsinniger Wahnsinn noch dazu. Rufus hätte nicht einen Finger an die Luna Lance legen können, ohne die Abwehrfunktion erneut auszulösen. Eine ganz bestimmte, unbeirrbare Regel verlangte es so. Vermutlich, um genau dieses Szenario zu verhindern: Die Lines in den Händen eines machthungrigen Wesens. Und zum ersten Mal begann Cutter ansatzweise zu begreifen, warum ihr die Luna Lance zugestanden worden war. Sie hatte keinerlei Interesse an gewaltsamer Unterwerfung. „Mr. President ...“ „Befolge meinen Befehl!“ Seine Betonung transportierte eine ganz bestimmte Botschaft. `Ich werde Mittel und Wege finden, diese Waffe zu unterwerfen! Ich kann alles und jeden unterwerfen! Selbst den Planeten!´ „Ihnen würde nur dasselbe zustoßen, wie Reno!“, fauchte Cutter. „Die Luna Lance kann sich selbst verteidigen, nämlich genau deshalb, damit Typen wie Sie keinen Mist mit ihr bauen! Dazu brauche ich sie nicht mal berühren!“ Rufus witterte eine Chance. „Beweis es!“ „Ich bin doch nicht blöd! Sie lassen Rude auf mich feuern, sobald ich loslasse!“ Hin und wieder war es wirklich lästig, dass die Mitglieder der Electric Power Company über Intelligenz verfügten. Aber Rufus war noch nicht bereit, aufzugeben. Diese Luna Lance verteidigte sich also aus eigenem Antrieb? Aber was, wenn es dazu keinen Grund gab? Wenn man Tzimmek davon überzeugen könnte, mit der Abgabe der Waffe das Richtige zu tun ... Immerhin war sie ein äußerst mitfühlender Mensch ... Rufus änderte blitzartig die Strategie. Und seufzte leise. „In Ordnung.“ Er hob abwehrend beide Hände, als wolle er sich ergeben, und ließ sich wie geschlagen im Sessel zurücksinken. „Mein Fehler. Ich war wohl ... ein wenig zu grob. Tut mir Leid.“ Er lächelte fast entschuldigend. „Mit dieser Methode bin ich weit gekommen. Es fällt mir schwer, andere Wege zu beschreiten. Aber versuch, meine Situation zu verstehen. Ich trage die Verantwortung für dieses gigantische Unternehmen, und jetzt wird es vom Planeten selbst angegriffen, ohne dass ich etwas dagegen tun kann. Meine Leute sterben. Kannst du dir vorstellen, wie sich das anfühlt? Ich weiß, auf dich und alle anderen wirke ich machtbesessen und kaltherzig, aber im Grunde versuche ich nur, die Electric Power Company am Leben zu erhalten.“ Es stimmte nicht ganz, dass Rufus Shinra keine Bücher über Psychologie gelesen hatte. Allerdings lag der Schwerpunkt seiner Studien nicht in dem Wunsch, andere oder sich selbst besser zu verstehen, sondern nur darin, sich über das Gelesene zu amüsieren. Jetzt allerdings nutzte er dieses Wissen gezielt für seine Pläne aus. Mit einem ersten Erfolg. Tzimmek war schon einen kleinen Schritt näher gekommen und wirkte nicht mehr ganz so angespannt. „Ich hätte dir sagen sollen, was ich vorhabe. Also, wenn du möchtest, hör zu. Ansonsten ... ich habe dich ausgesprochen schlecht behandelt. Du kannst genauso gut einfach gehen. Es gäbe keinerlei Konsequenzen.“ Aber Cutter ging nicht. Und so fuhr Rufus leise und so sanft wie möglich, innerlich aber gespannt wie eine tödliche Falle, fort: „Was du heute Mittag mit dem Reaktor getan hast, war gigantisch! Du beherrschst deine Waffen. Ich habe intensiv darüber nachgedacht. Nicht nur darüber, sondern auch über das ganze Blue Wanderer Projekt. Was würdest du sagen, wenn ich es reaktivieren würde?“ „Wozu? Um Hiwako zu jagen?“ „Nein. Das versichere ich dir. Es geht mir nur darum, meine Leute und die Reaktoren zu beschützen. Aber ein gewöhnlicher Blue Wanderer reicht dafür nicht aus, verstehst du? Ich bräuchte mehr von deiner Sorte. Und mehrere Exemplare der Luna Lance. Für jeden Reaktor einen Beschützer von deiner Art.“ Er macht eine wohldosierte Pause, ließ die Worte einwirken wie eine Massage. Und fügte, als er die Zeit als reif erachtete, immer noch sehr freundlich hinzu: „Für dich würde eine Menge herausspringen. Ich gebe dir einen Rang. Wenn du möchtest, sogar einen hohen. Eine großzügige Gehaltserhöhung. Ein größeres Quartier. Ein eigenes Büro. Ein Auto. Einen neuen Arbeitsvertrag. Oder irgendetwas anderes. Es spielt keine Rolle. Nenn mir deinen Wunsch, und ich werde ihn erfüllen.“ Cutter schwieg. Ihr größter Wunsch ... betraf nicht sie. Sondern Sephiroth. Aber ... „Ich sehe, du zögerst. Weißt du, Cutter – ich darf doch `Cutter´ sagen? - die Lines, in denen du dich so sicher bewegst, sind für viele Menschen immer noch ein Grund, sich selbst für wahnsinnig zu halten. Oder für wahnsinnig gehalten zu werden. Niemand außer einem Blue Wanderer versteht, wovon ein anderer Blue Wanderer spricht. Du könntest diesen Leuten in Form des reaktivierten Projekts eine Art ... Anlaufpunkt bieten. Sie könnten lernen, sich selbst besser zu verstehen. Lernen, was du weißt. Du könntest so viele Missstände beenden. Gib all diesen suchenden Personen eine Chance, sich zu finden. Und eröffne mir die Möglichkeit, diesen Krieg zu gewinnen. Für alle, die leben möchten.“ Und dann streckte er langsam die Hand aus. Die junge Frau vor ihm kam ihm nun vor wie ein hilfloses Insekt in einem klebrigen Spinnennetz aus Worten. Sie zappelte gedanklich noch ein wenig, wie an ihren raschen Augenbewegungen zu erkennen war, aber schon sehr, sehr bald würde sie stillhalten. Und ihm geben, was er haben wollte. Eben festigte sich ihr Blick, verriet die getroffene Entscheidung. Rufus lächelte. Natürlich würde er die Luna Lance kriegen. Er bekam alles. Immer! „Sie versprechen, Hiwako in Ruhe zu lassen?“, erkundigte sich Cutter gerade leise, aber sehr eindringlich. „Du hast mein Wort.“ „Und Sie setzen die Kräfte der Luna Lance Kopien nur ein, um zu beschützen? Versprechen Sie auch das?“ „So wahr ich hier sitze!“ „All diese Sachen, die Sie aufgezählt haben ...“ „Es spielt keine Rolle, was du möchtest. Du erhältst es noch in dieser Stunde!“ Cutter rollte mit den Augen. „Ja, klar. Wissen Sie was, Mr. President? Ich glaube Ihnen kein Wort! Und ich traue Ihnen nicht, keinen Millimeter! Und deshalb sollte ich jetzt gehen und Ihre Zeit nicht länger verschwenden. Außerdem habe ich noch einen Bericht zu schreiben, und mein kommandierender Offizier steht total auf Pünktlichkeit. Und in ein paar Stunden habe ich meine nächste Mission und würde schrecklich gerne vorher noch etwas schlafen, also ... versuchen Sie auch, Verständnis für meine Situation zu haben.“ Sie salutierte im geisterhaften Licht der Luna Lance (wirkte die Bewegung leicht spöttisch oder nicht?) bewegte sich zur Tür, hielt aber noch einmal inne um die Verletzungen des mittlerweile wieder stehenden Renos zu heilen, und verließ den Raum. Augenblicklich wurde es sehr still und sehr dunkel. „Also ich wäre auf Sie reingefallen, Boss!“ „Halt die Klappe, Reno!“, knurrte Rude. Rufus verkniff sich jeden diesbezüglichen Kommentar. Er öffnete lediglich den Deckel seines glücklicherweise momentan nicht ans Stromnetz angeschlossenen (und somit völlig unversehrten) Laptops, und begann zu tippen. Sephiroth hob nicht einmal den Kopf, als sich seine Bürotür mit respektlosem Schwung öffnete und Cutter hereingestürmt kam, vor dem Schreibtisch abbremste ... „Willst du jammern oder jubeln?“, erkundigte sich der General mit der Gelassenheit eines Wellenbrechers, der sich absolut im Klaren darüber war, mit jedem wassertechnischen Ansturm fertig zu werden. Gleichzeitig hob er ein Blatt Papier. „Und warum schickt mir Rufus eine Rechnung über sämtliche in seinem Büro befindlichen Elektrogeräte, mit Ausnahme des Computers?“ Vor dem Schreibtisch holte Cutter tief Luft. „Daran hat er selbst Schuld!“ „Das bezweifle ich nicht, da dein Drang nach willkürlicher Zerstörung äußerst Unausgeprägt ist. Ich will wissen, warum er mir diese Rechnung schickt!“ Und Cutter begann atemlos zu erzählen. Es wurde eine Achterbahnfahrt der Gefühle und endete mit einem zu 100 % entrüsteten: „Dieser Mistkerl!“ Es war Sephiroth unmöglich, seine empfundene Heiterkeit zu unterdrücken. Und so schmunzelte er sachte. „Cutter, komm hier rüber zu mir.“ „Darf ich auf deinen Schoß?“, erkundigte sich die junge Frau hoffnungsvoll. „Das soll ein ernsthaftes Gespräch werden.“ Cutter seufzte leise. Obwohl sie wusste, für Sephiroth eine besondere Position darzustellen, er hatte Prinzipien, an denen nicht einmal sie vorbeikam. Eine davon lautete: `Wenn ich in meiner Funktion als dein General mit dir spreche, halten wir einen gewissen Mindestabstand.´ Und so beschränkte sie sich auf die ursprüngliche Anweisung. „Sei weiter wachsam.“ Die dunkle Stimme klang sehr ernst. „Dich intensiver in diesen Kampf einzubinden, war ursprünglich nicht geplant. Der dilettantische Versuch, an die Luna Lance zu kommen, beweist es. Rufus ist verzweifelt genug, um nach jedem Strohhalm zu greifen!“ „Weil er keinen Ansatzpunkt hat.“ „Korrekt. Er kann nicht kämpfen, wie gewohnt. Aber wer seine Kräfte um sich herum konzentriert, kann, wie du gesehen hast, jederzeit einen Angriff in eine beliebige Richtung führen.“ „Denkst du, er hat diesen Plan mit der Reaktivierung des Blue Wanderer Projektes wieder begraben?“ „Ohne die Luna Lance dürfte ein solches Vorhaben wenig sinnvoll sein. Sei trotzdem vorsichtig.“ Und als sie nickte, legte er den Kopf schief, schmunzelte sachte ... „Cutter? Jetzt darfst du auf meinen Schoß.“ Wenig später legte er die Arme um ihren Körper. „Du bist nicht auf ihn hereingefallen.“ In seiner Betonung klang ein weiterer Satz mit. Nur zwei Worte, klein, aber von großer Bedeutung für jemanden, der sonst nie lobte. `Gut gemacht!´ Cutter grinste. „Ganz ehrlich? Diesmal war er einfach zu durchschauen.“ „Umso schwieriger wird er es einem beim nächsten Mal machen. Aber ...“ Es gab da einen Punkt, der ihn schon seit geraumer Zeit beschäftigte. Cutter hatte nicht mit ihm darüber gesprochen, was für gewöhnlich bedeutete, dass sie sich keine Gedanken um diese Thema machte – aber er tat es. „Bist du nicht manchmal einsam? Du bist die einzige deiner Art hier. Du hast niemanden zum Reden.“ Aber Cutter schüttelte den Kopf. „Ich habe dich und Zack. Das reicht mir. Abgesehen davon kennst du dich mit den Lines fast genauso gut aus, wie ich.“ „Aber wenn Zack und ich nicht hier sind ...“ „Wichtig ist nur, dass ihr zurückkommt.“ Sie hielt einen Moment inne. „Die anderen haben Angst vor mir. Ich kann es spüren. Deshalb halten sie sich, soweit es möglich ist, von mir fern.“ „Sie kennen dich nicht so gut, wie ich.“ „Und wollen mich auch gar nicht kennen lernen. Deshalb habe ich meine Bemühungen, mich mit anderen anzufreunden, eingestellt. Ehrlich, Sephy, mach dir keine Sorgen um mich. Du und Zack, das ist mehr, als ich je hatte. Und es genügt mir.“ Sephiroth schmunzelte und wollte schon antworten, aber die sich jäh öffnende Bürotür hinderte sie daran. Zack bremste hinsichtlich des sich ihm bietenden Anblicks jäh ab, stieß einen verzückten Laut aus, griff nach seinem einen Fotoapparat beinhaltenden PHS ... und musste sich nur einen Sekundenbruchteil später blitzartig ducken, als ein Locher auf ihn zugeflogen kam. „Hey!“, protestierte der 1st entrüstet. „Wie soll ich ein vernünftiges Foto von euch beiden machen, wenn ich dabei ausweichen muss?!“ „Gar nicht“, antwortete der General in völliger Gelassenheit, warf ein weiteres Schreibtischutensil ... und schüttelte missbilligend den Kopf. „Miese Reflexe für einen 1st Class SOLDIER, Zackary Fair.“ „Du hast erst auf einen anderen Punkt gezielt!“, murrte der Angesprochene und rieb sich das getroffene Körperteil. „Nicht nett!“ „Das nennt man `bluffen´, du Anfänger. Abgesehen davon muss ich nicht nett sein. Und jetzt sammel´ meine Schreibtischutensilien wieder auf. Cutter, runter von meinem Schoß.“ „Hey, du hast die ganzen Sachen geworfen!“, empörte sich Zack. „Warum muss ich ...“ (Sephiroths Hand schloss sich um den Briefbeschwerer.) Der 1st verstummte und stemmte empört die Hände in die Hüften. „Wenn du mir noch mehr blaue Flecken verpasst, kriegst du Ärger mit Aerith!“ „Ich werde ihr sagen, es lag an deinen schlechten Reflexen. Cutter, warum sitzt du immer noch auf meinem Schoß?“ „Weil´ s schön ist hier?“ Zack musste unwillkürlich lachen. Es war so schön, das vielleicht größte Geheimnis Sephiroths zu teilen. Nicht als Risikofaktor. Sondern als Vertrauter. Und er durfte keine Fotos machen! Es war zum Weinen ... „Ich bin euer General!“, murrte sein direkter Vorgesetzter gerade. „Also, hört auf mi ...“ Das Telefon begann zu klingeln. Sephiroth warf seinen beiden Gästen einen warnenden Blick zu, nahm das Gespräch an ... Er sagte kein Wort. Aber Cutter spürte, wie sich sein bis zu dieser Sekunde noch größtenteils entspannter Körper augenblicklich bis in den letzten Muskel verkrampfte. Und wusste sofort, wer am anderen Ende der Leitung war. „Geh nicht!“, flehte sie als Sephiroth das Telefon wieder sinken ließ und krallte ihre Hände in die schwarze Lederuniform. „Bitte, Sephy! Geh nicht hin!“ Bisher hatte die Stimme des Generals locker und amüsiert geklungen. Jetzt aber war sie geprägt von aufsteigender Finsternis. „Befolgt meine Befehle.“ Cutter schüttelte heftig den Kopf und krallte sich noch fester in die schwarze Uniform, verlor aber unwillkürlich den Halt als Sephiroth sich erhob und wegdrehte. Trotzdem folgte sie ihm unerschrocken, versuchte ihn irgendwie aufzuhalten ... und scheiterte. Das leise Klicken der sich hinter ihm schließenden Tür wirkte wie Hohngelächter. Mit Tränen in den Augen wandte sich Cutter zu Zack. „Was wird Hojo ihm jetzt wieder antun? Zack, wir müssen doch irgendetwas dagegen machen können, wir sind seine besten Freunde, wir ...“ „Cuttie. Hast du es immer noch nicht begriffen? Wir können nichts tun!“ „Ich will das nicht begreifen!! Ich ...“ „Ich weiß“, wisperte Zack und nahm Cutter in den Arm. „Glaub mir, ich weiß. Du willst ihn beschützen. Aber das kannst du nicht. Du kannst einfach nicht.“ „Aber ich möchte es so sehr ...“ Der Gedanke, Sephiroth einmal mehr in den Händen dieses Wahnsinnigen zu wissen, war fast mehr, als Cutter ertragen konnte. Und ganz abgesehen davon ... „Er verändert sich. Er ... Du hast es gesehen. Er ... “ „Weil er dir vertraut. Mehr als jedem anderen. Mach das nicht kaputt, indem du dich in diesen Kampf einmischst.“ „Er hat gesagt, er hat einen Plan. Aber wann greift dieser Plan?“ „Ich weiß es nicht. Vielleicht hat er schon längst gegriffen. Aber unsere Unwissenheit ist ein Grund mehr, Seph alleine kämpfen zu lassen. Komm jetzt. Räumen wir hier auf und ... er meldet sich. Bei dir früher, als bei mir. Ganz bestimmt.“ Irgendwie fand Cutter die Kraft, zu nicken. Aber tief in ihr tobte ein Widerwillen, der nur noch mit äußerster Mühe zurückgehalten werden konnte. Zur gleichen Zeit bewegte sich Sephiroth weder besonders langsam, noch besonders schnell durch die Flure. Vielmehr war es die Geschwindigkeit eines Mannes, der den auf ihn wartenden Ereignissen nicht entkommen konnte und bereit war, sich ihnen einmal mehr zu stellen. Seine Sorge galt gänzlich anderen Dingen. Ich hoffe, Cutter stellt nichts an ... Zack wird ein Auge auf sie haben. Sie vertraut ihm. Trotzdem, wenn sie wütend wird oder so verzweifelt ist wie vorhin, ist sie zu allem fähig. Momentan bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als mich auf Zack zu verlassen. Wenige Minuten später holte Sephiroth noch einmal tief Luft und betrat das Labor. Hojo erwartete ihn bereits. „Weshalb hat das so lange gedauert?! Denkst du, ich habe ewig Zeit?! Mach den Oberkörper frei!“ Sephiroth befolgte den Befehl, schweigend und mit erzwungenem Gehorsam. Hojo griff nach einem länglichen Gerät, das mit dem in der Nähe befindlichen Computer verbunden war, und bewegte es über den Nacken des Generals, genau dort, wo der Chip saß, mit dem sich jederzeit sämtliche Körperfunktionen abrufen ließen. Hojo warf einen Blick auf den vom Testobjekt nicht einsehbaren Monitor, murmelte: „Gut, gut!“, und bereitete eine Injektion vor. Hätte die Flüssigkeit in der Spritze die Farbe der durch sie in naher Zukunft verursachten Geschehnisse gehabt, sie hätte blutrot sein müssen. Aber so war sie von trügerischer Klarheit. Sephiroths Instinkt aber ließ sich nicht täuschen. Für gewöhnlich wisperte dieser nur. Jetzt aber schien er förmlich zu brüllen. Nur zwei Worte. `WEHR DICH!!´ Erfolglos. Die in die Vene injizierte Flüssigkeit verursachte keinerlei Schmerz. Was mehr als ungewöhnlich war. Ebenso wie der sorgfältig von Hojo über der Einstichwunde angebrachte Verband. Und die außergewöhnlich freundliche Verabschiedung. Sephiroth kleidete sich wieder an und war eben im Begriff, den Raum zu verlassen, als Hojos Stimme noch einmal hinter ihm erklang. „Ah, das habe ich fast vergessen. Du solltest dich bis auf Weiteres an einem Ort aufhalten, der sich gut reinigen lässt. Und jetzt verschwinde endlich, ich habe zu tun!“ Sephiroth verließ leicht irritiert das Labor. Ein Ort, der sich gut reinigen ließ? Wozu? Sein Körper fühlte sich völlig normal an, und im Büro stapelte sich die Arbeit ... Aber sein Instinkt riet ihm zum einen, auf Hojo zu hören – was ebenfalls höchst ungewöhnlich war – und zum anderen, sich zu beeilen. Und so betrat er nach wenigen Minuten sein Appartement, schloss die Tür hinter sich und hielt inne, auf seinen Körper lauschend. Alles normal. Nicht einmal sein Herz schlug schneller als sonst. Hatte die Injektion ihre Wirkung verfehlt? Oder benötigte sie noch Zeit, um ihre volle Wirkung zu entfalten? Sephiroth wusste es nicht, aber er nutzte die Ruhe, um (vorsichtshalber) bequemere Kleidung anzulegen und den Verband zu entfernen. Zum Einen, weil die Verletzung schon verheilt war, und zum Anderen, weil er es nicht ertragen konnte, einen von Hojo berührten, optional tragbaren Gegenstand an der Haut zu spüren. Und dann ... wartete er. Über eine Stunde lang. Aber nichts geschah. Hojo wird alt, dachte der General zutiefst amüsiert. Das wird ihm nicht gefallen. Er beschloss, wieder das Büro aufzusuchen. Dort gab es genug für ihn zu ... Der Schmerz traf ihn gänzlich unvermittelt und an einer unerwarteten Stelle: Der rechten Hand. Sephiroth runzelte flüchtig die Stirn und drehte seine Hand, bis er die schmerzende Stelle sehen konnte. Was sich seinen Augen offenbarte war ein feiner Schnitt, aus dem einige Blutströpfchen sickerten. Aber in seiner Nähe befand sich kein Gegenstand, an dem er sich hätte schneiden können. Also woher ... Der Schmerz schlug erneut zu. Diesmal am linken Unterschenkel. Und wieder sah die Verletzung wie ein Schnitt aus ... Sephiroth starrte auf die Wunde und versuchte zu verstehen, was geschah, warum, und wieso gerade an dieser Stelle. Und dann weiteten sich seine Augen in jähem Begreifen. So makellos sein Körper für die Augen anderer wirken mochte, denen des Generals zeigte sich ein völlig anderes Bild. Für sie gab es, wenn auch lediglich auf rein mentaler Ebene, Dutzende von Narben. Erinnerungen an unzählige Stunden im Labor. Ein Geflecht aus Schmerz und Erniedrigung. Das jetzt dabei war, erneut aufzubrechen. Ein drittes Mal flammte der Schmerz auf, jetzt am rechten Oberarm. Ein dünnes Rinnsaal Blut begann an Sephiroths Arm hinunter zu laufen und tropfte zu Boden. Sephiroth selbst stand da, wie erstarrt. Wie viele Schnitte hatte Hojo im Laufe seines Lebens durchgeführt? Unzählige. In unterschiedlicher Tiefe. All der Schmerz, den Sephiroth manchmal nur mit äußerster Kraftanstrengung überlebt hatte ... Erneut? Gleichzeitig? Entsetzen, kälter als Eis, begann in dem SOLDIER aufzusteigen. Und ein Gedanke, der sich immer und immer wieder wiederholte. Das überlebe ich nicht. Selbst wenn sich die zu erwartenden Verletzungen schnell schließen würden, es waren einfach zu viele. Und der Blutverlust zu hoch ... Mein Fehler, dachte der General. Ich habe zu lange nach meinen Antworten gesucht. Was immer Hojo herausfinden wollte, jetzt weiß er es. Und ich werde nicht mehr benötigt. Ich habe mich töten lassen. Ich habe mich von dieser lächerlichen Figur umbringen lassen. Ich! Und dann schüttelte er ganz langsam den Kopf. Niemals! Er hatte es sich geschworen! Und er würde seinen Schwur nicht brechen! Er ignorierte einen vierten stechenden Schmerz im Schulterbereich und suchte alles was er an Verbandsmaterial, Potions und Heilmateria im Appartement aufbewahrte, zusammen, brachte es ins Badezimmer. Er legte auch Desinfektion und Nähwerkzeug zusammen. Sogar Schmerztabletten. Volle Wasserflaschen, um den Flüssigkeitsverlust ausgleichen zu können. Sämtliche sauberen Handtücher. Ganz zuletzt änderte er den Code für die Tür seines Appartements. Er wusste, rein theoretisch würde das weder Cutter, noch Zack fernhalten können. Aber vielleicht begriffen sie den Hinweis und blieben weg, bis es vorbei war ... Vor allem Cutter! Cutter ... Vielleicht sehe ich dich nie wieder ... Ist das albern? Ich habe dich ohne zu zögern auf lebensgefährliche Missionen geschickt und hatte nie Zweifel an deiner Rückkehr. Aber jetzt befinde ich mich auf einer solchen Mission. Und ich habe Zweifel an meiner Rückkehr! Aber ich werde kämpfen solange ich kann, ich ... Es gibt so viele Dinge, die ich dir noch nicht erzählt habe. Und ich weiß, dass du zugehört hättest. Es tut mir Leid ... Und ich kann es dir nicht einmal jetzt sagen, weil du merken würdest, dass etwas nicht stimmt, und sofort herkämst. Dabei sollst du genau das nicht tun. Aber was, wenn du es trotzdem spürst? Versuch nicht, mich zu retten, Cutter. Ich bitte di ... Bei dem jetzt aufflammenden Schmerz gelang es Sephiroth nur mit Mühe, keinen Laut von sich zu geben, und er beeilte sich, ins Badezimmer zu gelangen, eine verräterische Spur aus Rot hinter sich herziehend. Er schloss die Tür, begann sich so fest wie möglich einzubandagieren um den Blutverlust so lange es ging auf ein Minimum zu beschränken und versuchte sich mental auf etwas vorzubereiten, das ihn in dieser Form noch nie getroffen hatte und sein Ende heraufbeschwören konnte. Im Labor sah Hojo auf die Uhr. Langsam musste die Wirkung der Injektion einsetzen. Der Wissenschaftler ließ sich vor dem PC nieder, zog die frischgebrühte Tasse Kaffee zu sich heran und beobachtete mit äußerster Genugtuung, wie sich die auf dem Bildschirm aufgelisteten Körperwerte von Jenova Projekt 1 im Laufe der Zeit änderten. Manche steigerten sich. Andere fielen ab. Einige blieben völlig unbeeindruckt. Etliche stellten ihre Funktion kurzerhand ein. Irgendwann begannen die ersten Anzeigen blutrot zu leuchten, sicheres Anzeichen für sich im kritischen Bereich befindliche Werte – selbst für Jenova Projekt 1. Hojo murmelte: „Interessant!“, machte sich Notizen und schenkte sich eine weitere Tasse Kaffee ein. Das Experiment war noch fesselnder als erhofft. Und es würde einige der letzten, noch zur Fertigstellung der S-1 Einheiten benötigten, Daten liefern. Ein paar Stockwerke höher kämpfte Sephiroth nicht mehr allein um sein Bewusstsein. Jetzt kämpfte er um sein Leben. Es gab keine Verbandsmaterialien mehr, die all das Rot hätten aufsaugen können. Auch keine Handtücher. Die Schmerztabletten halfen auch jetzt nicht. Potions und Materia waren geleert. Und noch immer war es nicht vorbei. Sein Körper heilte die entsetzlichen Wunden, aber bei weitem nicht so schnell, wie es die erneut erscheinenden gefordert hätten. Sie waren überall. Es gab keinen Zentimeter, der nicht blutete oder dabei war zu heilen, und Sephiroth hatte keine Kraft mehr, seinen Schmerz zu unterdrücken oder zu schweigen. Einfach die Augen zu schließen und sich fallen zu lassen wäre so einfach gewesen ... Und so falsch. So ergeben. Letztendlich war es eine Mischung aus purem Hass (auf Hojo, auf sich selbst, auf die Electric Power Company), Schmerz und Erinnerungen an all die Dinge, die Sephiroth auf keinen Fall jetzt schon verlieren wollte, die ihm die Kraft gaben, durchzuhalten. Selbst, wenn er momentan am Boden lag, zuckend, zitternd, wimmernd ... irgendwie war auch dies eine Form von `Leben´. Aber irgendwann zerschmetterte Pein, die Sephiroth schon im Labor kurzfristig das Bewusstsein hatte verlieren lassen, jegliche Form von Gegenwehr und katapultierte die ihm hilflos ausgelieferte Existenz ins tiefschwarze Meer der Besinnungslosigkeit. Im Labor sah Hojo die Zahlen fallen. Viele waren bereits bei `Null´ angekommen. Andere näherten sich diesem Punkt. Der Wissenschaftler wandte den Kopf und sah zu dem kleinen Kühlschrank hinüber, der alles an Medikamenten beinhaltete, was Jenova Projekt 1 jetzt gut hätte brauchen können. Lebensrettende Substanzen. Die genau dort bleiben würden! Hojo war noch nie ein Freund von Verschwendung gewesen. Und Sephiroth würde schon nicht sterben. Monster starben niemals so schnell ... Umso interessanter war es, ihnen beim Kampf ums Überleben zuzusehen. Auf dem Bildschirm fielen die Zahlen weiter. Es war Sephiroth unmöglich zu sagen, wie lange er bewusstlos gewesen war. Der Zustand, in dem er sich irgendwann wiederfand, lag jenseits aller bisherigen Empfindungen und beantwortete die Frage, schon tot oder noch am Leben zu sein, nicht auf Anhieb. Erst nach einer ganzen Weile dämmerte es dem General, dass er noch leben musste, da Tote nicht mehr frieren konnten, er dies aber tat. Es war die entsetzlichste Kälte, die ihm jemals begegnet war. Sie erfüllte seine gesamte Existenz und ließ nicht einmal mehr Platz für Gedanken oder Schmerz. Es war die Kälte des bevorstehenden Todes. Sephiroth hatte den Tod nie gefürchtet. Er war ihm einfach zu oft begegnet, in allen nur erdenklichen Varianten. Das Sterben gehörte zu seiner Welt wie die Luft zum Atmen. Aber immer waren es andere gewesen, deren Leben ein (größtenteils gewaltsames) Ende gefunden hatte. Wie sie starben, war selten und was sie in diesem Augenblick fühlten, niemals wichtig gewesen. Sondern nur, dass sie starben. Ob sie ihr Schicksal akzeptierten oder sich wehrten ... unbedeutend hinsichtlich der viel größeren, stärkeren Macht. Als SOLDIER, als General und nicht zuletzt als Versuchsobjekt für Hojo war Sephiroth viele Male verletzt worden. Er kannte jede Facette des Schmerzes. Aber jetzt sah er sich zum ersten Mal mit dem eigenen, aufgrund der Verletzungen unmittelbar bevorstehenden Todes konfrontiert. Und war nicht damit einverstanden! Mit Hilfe allerdings war nicht zu rechnen. Und das bedeutete, er würde es alleine schaffen müssen. Im Grunde war alles wie immer. Vielleicht war es einzig und allein diese Erkenntnis, die einen winzigen Teil seiner Kraft dazu brachte, den hemmenden Eispanzer zu sprengen und in Form eines Gedanken wiedergeboren zu werden. `Bewegung´. Bewegung war immer gut. Sie verhalf zu neuen Erkenntnissen, hielt einen in Form, beugte der Trägheit vor ... und wärmte. Es schien endlos zu dauern. Aber irgendwann gelang es Sephiroth, blinzelnd die Augen zu öffnen. Er befand sich, wie er nach einiger Zeit realisierte, immer noch im Badezimmer, in einer liegenden Position, was bedeutete, dass er irgendwie auf die Füße kommen musste. Es gelang ihm erst nach zahlreichen Fehlversuchen. Er verhielt, schwer auf den Rand der Badewanne gestützt, lauschte seinem eigenen holprigen Herzschlag und wurde sich irgendwann bewusst, dem Organ jedes einzelne Pochen zu diktieren. Wärme würde helfen. Ganz bestimmt. Er bewegte sich vorsichtig weiter vorwärts, jede Möglichkeit, sich irgendwo festhalten zu können, nutzend – aber schon nach wenigen mühsamen Schritten war das Schwindelgefühl zu stark, um den ursprünglichen Plan weiter verfolgen zu können. Wenn Bewegung ausschied, wo war es noch warm? Schlafzimmer ... Bett ... Endlich in dem Raum angekommen ließ sich Sephiroth einfach auf das Bett fallen, zerrte die Decke über sich, nahm, ohne sich dessen bewusst zu sein, die Embryohaltung ein und schloss die Augen, wartete auf ein zurückweichen der Kälte. Aber stattdessen geschah etwas völlig Anderes. Es fühlte sich an wie ein Sinken. Geschah es aus freiem Willen oder zog ihn etwas nach unten? Sephiroth wusste es nicht. Das Gefühl beinhaltete keine Angst, nur eine nie zuvor gekannte Schwerelosigkeit. Irgendwann verdämmerte die Kälte, allerdings ohne der so ersehnten Wärme den Platz zu überlassen. Stattdessen begann irgendetwas aus wesentlich weiter unten gelegenen Regionen sanft zu ihm hinauf zu schimmern, ein nicht enden wollendes Auf und Ab aus unterschiedlich hellen und dunklen Grüntönen, ein bewegter Ozean aus gleichfarbigem Licht und Schatten, dessen Details mit jeder Sekunde zahlreicher wurden. Der Lebensstrom. Falsche Richtung, dachte Sephiroth. Und begann augenblicklich erneut zu kämpfen, stemmte alle noch verfügbaren Kräfte gegen das langsame, sich so gut anfühlende Fallen. Körperlose Stimmen begleiteten seinen Fluchtversuch, wisperten freundliche Worte, leise, lockend, versprachen das Ende aller Sorgen und, im Gegenzug, Schlaf ... Frieden. Alles, wovon Bruchstücke seiner Seele manchmal träumten. Und jetzt hatte er nicht mehr die Kraft, sich dagegen zu wehren. Oder gegen die fast schon sicher scheinende Tatsache, verloren zu haben. Besiegt worden zu sein. Von sich selbst. Von Rufus. Von Hojo. Von ShinRa ... Cutter würde so endlos traurig sein! Und nicht einmal Zack würde sie trösten können. Cutter ... Liebe, verrückte, starke, sture, schusselige, begeisterte, unberechenbare, übermütige Cutter. Und Sephiroth wurde schlagartig klar, dass er sie nie wieder sehen würde. Dieser Gedanke machte ihn, dem andere Menschen für so lange Zeit so egal gewesen waren, trauriger als die Gewissheit, gerade selbst zu ... Die Stimme erklang völlig unvermittelt. Sie schien nicht von unten zu ihm hinaufgetragen zu werden, sondern von oben zu ihm hinunterzusickern. Ein vertrauter Klang unter all den fremden. Nur ein Flüstern. Nur zwei Worte. „Ich gewinne!“ Sie besaßen die Macht eines sich gerade öffnenden Fallschirms, bremsten den Sturz ab bis zur völligen Bewegungslosigkeit, und schoben das dazugehörige Bewusstsein wie bei einer Schubumkehr langsam wieder nach oben. Die Stimmen verstummten. Das Grün des Lebensstroms verblasste in der Ferne. Sephiroth passierte eine Grenze, deren Überquerung er nicht bewusst wahrgenommen hatte. Kälte erwartete ihn auf der anderen Seite. Die Kälte seines Körpers, der dabei war, sich gegenüber seines Bewusstseins für immer zu verschließen und den Schlüssel wegzuwerfen. Er sträubte sich mit allen verfügbaren Mitteln gegen die Wiedervereinigung. Die Wärme setzte völlig unvermittelt ein, schmiegte sich an den kalten, zitternden Körper, vertraut, unaufdringlich und doch mit der Intensität eines Tsunamis. Es gab nur eine einzige Person, die dazu in der Lage gewesen wäre. Cutter. Sie war hier, jetzt, ganz nahe bei ihm. Sephiroth wusste, sein jetziger Zustand entsprach keinesfalls seinem sonstigen Image. Und er wusste, dass sie überhaupt keinen Wert darauf legte, dass sie nur hier war, um ihre Kraft mit ihm zu teilen. Und so löste er sich aus der vorherigen Embryohaltung, die es Cutter nur ermöglich hatte, seinen Rücken zu wärmen, drehte sich auf die andere Seite und schob einen Arm über ihren Körper. Dieser kam augenblicklich näher. Und dann konnte Sephiroth spüren, wie die Wärme in ihn einzudringen begann, behutsam aber unaufhaltsam, um nach dem übriggebliebenen Funken seines inneren Feuers zu suchen und dieses abermals zu entfachen. Irgendwann wurde sie fündig. Das Ergebnis bestand in der vollständigen Wiedervereinigung zwischen Körper und Geist. Sephiroth öffnete blinzelnd die Augen. Cutter lag dich an ihn geschmiegt da, und sah zu ihm auf, mit Augen, in denen sich nichts außer Ruhe und Gewissheit befand. Und die Botschaft. `Hab keine Angst. Ich bin hier. Ich beschütze dich.´ Sephiroth konnte nichts sagen. Nur fühlen. Ihre Nähe, ihre Wärme, die zu seiner eigenen geworden war und diese selbst jetzt noch konstant hielt. Und so schloss er die Augen wieder, in dem Bewusstsein, das Schlimmste überstanden zu haben und nicht alleine zu sein. Der Schlaf musste unglaublich schnell über ihn gekommen sein, denn er konnte sich nicht an Müdigkeit erinnern – ganz im Gegensatz zu der Kälte. Diese war restlos verschwunden. Sein Körper fühlte sich wieder warm an. Lebendig. Ein Zustand, der auch für das andere, immer noch dicht an ihn geschmiegte Lebewesen galt. Ihre Augen waren weiterhin geöffnet, und der Ausdruck darin verriet, dass sie über ihn gewacht hatte, ohne eine Sekunde zu schlafen. Für einen Augenblick wusste Sephiroth nicht, was er sagen sollte. Niemals zuvor hatte er sich in einer ähnlichen Situation befunden. Niemals zuvor hatte er gerettet werden müssen. Was sagte man nach einem solchen Moment? Er wusste es nicht. Und einmal mehr war es Cutter, der es gelang, die Situation mit einer völlig unerwarteten Reaktion zu retten. „Tut mir Leid, dass ich in dein Appartement eingebrochen bin.“ „Sollte es Spuren geben, die beseitigt werden müssen, schicke ich dir die Rechnung.“ Beide mussten unwillkürlich schmunzeln. Dann aber ... „Wie geht es dir? Innerlich, meine ich?“ „Ich bin ok.“ „Ok. Ich ... mh, möchtest du jetzt lieber allein sein?“ Sephiroth nickte und blinzelte mühsam. Die Müdigkeit war zurückgekommen. Sie holte ihn erneut zu sich, so stark und schnell, dass er nicht einmal mehr mitbekam, wie Cutter das Bett verließ. Die junge Frau zog ihre Uniform wieder über die Unterwäsche, schlich vorsichtig um das Bett herum und verließ den Raum, aber nicht das Appartement. Vielmehr ließ sie sich in einen der schwarzen Ledersessel sinken und schloss die Augen. Sein ganzer Körper hat grün geleuchtet, als ich ihn gefunden habe. Wenn ich nur etwas später gekommen wäre ... Sie schüttelte den Kopf, verdrängte den Gedanken an ein leeres Appartement, einen fehlenden Freund, endlose Trauer ... und öffnete stattdessen die Augen wieder, sah sich um. Irgendetwas hier war nicht in Ordnung. Aber alles sah aus wie immer. Ordentlich und aufgeräumt. Und dennoch ... Ihr suchender Blick glitt über den Fußboden – und stolperte über eine dünne, rote Spur. Cutter erhob sich und ging neben dem getrockneten Rinnsaal in die Hocke. Blut. Auch an Sephiroths Körper waren getrocknete Blutspuren gewesen. Sie sah sich suchend um und entdeckte bald mehr. Folgte den schauerlichen Wegweisern. Und endete vor der Tür zum Badezimmer. Sie war nur angelehnt, glich aber dennoch einer klaren Frage. `Willst du das wirklich sehen?´ Cutter holte tief Luft. Dann gab sie der Tür einen entschlossenen Stoß. Und diese schwang auf. Der sich bietende Anblick stellte selbst die schlimmsten Befürchtungen in den Schatten, ließ sie unwillkürlich vor Entsetzen aufschreien, ein Laut, der nur durch ihre reflexartig vor den Mund gepressten Hände gedämpft wurde. Das Badezimmer sah aus, als sei ein Schlachtfest darin veranstaltet worden. Und überall darin die Reste der verzweifelten Versuchen, es zu stoppen, blutgetränkte Bandagen, Handtücher, leere Potions, Materia ... Cutter taumelte rückwärts, wandte sich ab und wankte zum Schlafzimmer, ging neben dem Bett auf die Knie und verhielt so, minutenlang, wie um sich zu überzeugen, dass Sephiroth wirklich noch da war, lebte, und tief und fest schlief. Es dauerte lange. Aber irgendwann hatte sie genug Kraft gefunden, es wirklich zu glauben, und die nächsten Schritte zu planen. Sie konnte das Badezimmer unmöglich in diesem Zustand lassen. Sephiroth würde es benutzen wollen, wenn er aufwachte. Cutter erhob sich und begann nach entsprechenden Putzutensilien zu suchen, kehrte entschlossen mit ihrem Fund zurück ins Badezimmer und begann mit der Reinigung. Manuell, ganz ohne Lines. Dabei war ihr kaum bewusst, was sie tat. Ihre Gedanken galten ausschließlich Sephiroth – und dem Mann, der für dieses Blutbad verantwortlich war. Je intensiver sie an ihn dachte, je intensiver wurde das in ihr aufsteigende Gefühl. Es glich keiner jemals zuvor wahrgenommenen Empfindung. Eine sich langsam aufladende Waffe fühlte sich so. Ein Feuer, das an Kraft gewann, bis niemand es mehr zu stoppen vermochte. Ein Gefühl, das jedes jemals diesbezüglich gegebene Versprechen verspottete und belachte. Cutter versuchte nicht einmal, es zu stoppen. Sie sah nur all das rote Blut über ihre Hände laufen, wie sich das klare Wasser im Putzeimer und in der Waschmaschine verfärbte und an die entsetzlichen Qualen erinnerte, die Sephiroth hier durchgestanden hatte. Cutter putzte das ganze Bad und den Wohnbereich dreimal (und überprüfte mit Hilfe der Lines, ob auch wirklich alles Blut verschwunden war). Sie ließ die Handtücher und Bandagen zweimal mit höchster Maschinenleistung säubern, lud sie in den Trockner und überprüfte jedes einzelne Stück vor dem Zusammenlegen auf unsaubere Stellen. Den benutzten Putzlappen vernichtete sie mit einem Feuerzauber, und dasselbe galt für die leeren Tablettenpäckchen, ein nicht ganz sauber gewordenes Handtuch und die Flaschen, in denen sich die Potion befunden hatte. Nach mehrstündiger Arbeit erinnerte nichts mehr in dem Appartement an die blutige Tortur. Vorsichtig betrat Cutter erneut das Zimmer, in dem Sephiroth immer noch tief und fest schlief, mit entspanntem Gesichtsausdruck und ruhiger, gleichmäßiger Atmung. Wäre das getrocknete Blut in seinen Haaren und dem Gesicht nicht gewesen, der Anblick hätte friedlich sein können. Aber so bereitete er der jungen Frau nur tiefe innerliche Schmerzen. Diesmal, dachte sie, hätte Hojo dich fast umgebracht. Weil niemand etwas dagegen unternommen hat. Du kannst nicht. Zack will nicht. Ich darf nicht. Aber heute wärst du beinahe gestorben. Was ich und Zack praktizieren, ist kein Respekt. Und keine Freundschaft. Sondern pure, blanke Dummheit! Es tut mir leid, Sephy. Dass ich meine Versprechen breche. Deine Pläne durchkreuze. Dein Vertrauen ausnutze. Aber ich kann hier nicht mehr tatenlos mit ansehen. Vielleicht wirst du es eines Tages verstehen. Und mir verzeihen. Und selbst wenn nicht ... Selbst das ist mir noch lieber, als dich im Lebensstrom zu wissen. Dann rief sie Sephiroths Line zu sich, fühlte dem jetzt wieder ruhigen, gleichmäßigen Herzschlag nach, und jedes Pochen bestärkte sie in ihrem Entschluss. Wenige Sekunden später verließ Death Walker Cutter Tzimmek das Appartement, vorwärtsgetrieben von einem Herzschlag, der nicht ihr eigener war, und auf dem Weg ins Labor, um Hojo zu töten. Kapitel 46: Familienbande ------------------------- Für gewöhnlich hätte Cutter den Laborbereich niemals ohne Weiteres betreten können. Aber keine der Sicherheitsvorrichtungen vermochte sich dem Einfluss der Luna Lance zu entziehen, und dasselbe galt auch für die Überwachungskameras. Und so eröffnete sich schon nach kurzer Zeit eine Welt, die zu weiß war, um unschuldig zu wirken. Für jemanden, der noch nie hier gewesen war, offenbarte sich ein Labyrinth aus Türen und Gängen, die in unterschiedliche Forschungsbereiche führten. Es gab keine Hinweistafeln, keine Schilder an den Türen. Wer freiwillig hierher kam musste wissen, in welche Abteilung er wollte. Cutter wusste es ganz genau. Hojos Line lag so klar vor ihr wie eine Blutspur in frisch gefallenem Schnee. Und sie folgte dieser Line. Ihr Weg führte sie durch Flure, in denen der unverkennbare Geruch nach Desinfektionsmittel hing, stellenweise so stark, dass er unwillkürlich Schwindel auslöste. Aber aufzuhalten vermochte er nicht. Hojos Line lotste ihre Verfolgerin kreuz und quer durch all das trügerische Weiß, bis vor eine ebenfalls weiße Tür. Es war die letzte. Und dahinter, irgendwo, befand sich Hojo. Cutter umfasste die Luna Lance fester und öffnete die Tür, die so lautlos aufschwang, als hieße sie jeden Besucher willkommen. Der sich so offenbarende Raum bestach durch seinen zu 100 % logischen Aufbau und das von der Deckenbeleuchtung kommende, weiße kalte Licht. Keine Fenster. Keine Bilder an den Wänden. Nur Schränke, Abstellfläche, ein Schreibtisch mit einem geöffneten Laptop darauf und einigen davor liegenden Blättern. Andere Menschen hatten ein eigenes Büro für den Papierkram. Hojo schien dies abzulehnen. Vermutlich, um so viel Zeit wie möglich hier verbringen zu können. Dann entdeckte Cutter den in eine Ecke des Raumes geschobenen, metallisch glänzenden Tisch. Den Tisch. Mit den eisernen Fixierungen, die sich schon unzählige Male um Sephiroths Körper geschlossen hatten, um diesen unter Kontrolle zu bringen, ihn bewegungsunfähig zu machen. Der Anblick des Hilfsmittels war noch grausamer als erwartet, und Cutter brauchte alle mentale Stärke, um sich gegen die auf sie einstürmenden Vorstellungen zu wehren und sich wieder ihrem eigentlichen Ziel zuzuwenden. Dieser Raum ... er passte zu Hojo, aber er spiegelte nicht dessen dämonische Natur wieder, schien nur eine Art Vorzimmer zu sein. Cutter konzentrierte sich erneut auf die Line des Professors, wandte den Kopf. Der Raum war noch nicht zu Ende. Das grüne, aus einer Ecke kommende Leuchten bewies es. Es übte eine nahezu magische Anziehungskraft aus. Und Cutter folgte ihm, trat aus dem hellen Raum, über einen winzigen Flur ... und blickte in einen neuen Raum. Das helle Licht endete hier. Alle menschlichen Regeln endeten hier. Die Menschlichkeit selbst endete hier. Was stattdessen begann war Forschung in ihrer reinsten, brutalsten Form ohne Gnade und Mitleid, einzig und allein darauf ausgerichtet, Ergebnisse abzuliefern. Der Raum war erfüllt von Dunkelheit und grünem Licht, dessen Ursprung auf etliche durchsichtige, mit Mako geflutete Tanks zurückzuführen war. Dicke und dünne Schläuche verbanden diese mit massiv aussehenden, technischen Geräten, welche die kompletten Wände bedeckten. Und in jedem einzelnen Tank befand sich ... jemand? Etwas? Stellenweise war es nicht mehr klar zu erkennen. Einige der nackten Eingesperrten schwebten scheinbar völlig unversehrt in all der leuchtenden Flüssigkeit, bewegten sich aber nicht. Andere befanden sich in einem Zustand, der überdeutlich klar stellte, dass sie nur noch durch die ihnen angefügten Schläuche und Kabel am Leben gehalten wurden. Diese Opfer der brutalen Forschung schienen mit etwas zu kämpfen, tobten mit weit aufgerissenen, entsetzten Augen, in denen pure Angst geschrieben stand, Angst und tiefer, brennender Schmerz, genug, um eine Seele für immer zu vernichten. Und alle, das verriet ihre Line, waren bei vollem Bewusstsein, in dem außer Schmerz und Angst nur noch ein einziger Wunsch tobte: Zu sterben. Cutter stand bewegungslos in all dieser Grausamkeit und wunderte sich über die eisige Ruhe ihrer Gedanken. Es war, als habe sie ihr freundliches Ich in Sephiroths Appartement zurückgelassen, um über ihn zu wachen. Was hier unten stand, war jemand, dem Informationen geliefert wurden, der diese annahm und emotionslos verarbeitete. Richtig verarbeitete. Zum Beispiel einige der Opfer in den Tanks. Sie veränderten ihre Form. Wie etwas, das einem unbarmherzig starken Druck nachgeben musste. Irgendetwas programmierte ihren genetischen Code um, ohne dass diese Menschen auch nur das Geringste dagegen tun konnten. Und ihre Lines ... Das in ihnen herrschende, pure Chaos. Der fortlaufende Verlust der Farben. Cutter kannte diese Sorte Lines. Sie gehörten immer Monstern ... Ein schmerzerfülltes Wimmern verlagerte den Schwerpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Es schien seinen Ursprung hinter einem der Tanks zu haben. Genau wie Hojos Line. Cutter folgte dem Geräusch. Was sich ihren Augen jetzt offenbarte, war ein weiterer Makotank, dessen Tür allerdings weit offen stand. Was man ihm entnommen hatte, befand sich nun auf einem Tisch, der baugleich mit dem im Vorraum zu sein schien und nur einen Unterschied aufwies: Auf diesem war nun ein Körper fixiert. Hojo stand, mit dem Rücken zu Cutter zeigend, an der Seite seines bewegungsunfähig gemachten Testobjektes und ... arbeitete. Völlig ungeachtet der schmerzerfüllten aber durch all die Fixierungen wirkungslos gemachten Protestreaktionen seines Opfers. Cutter hatte mehr als genug gesehen, gehört und begriffen. Sie war, schon seit sie Sephiroths Appartement verlassen hatte, weit entfernt von dem Punkt, Entsetzen über sich selbst zu empfinden. Oder Zweifel an der vor ihr liegenden Tat. Oder ein schlechtes Gewissen. Da war nur diese eisige Ruhe. Niemand würde jemals erfahren, wie Hojo gestorben war. Niemand außer Zack, ihr selbst und Sephiroth, für den das Verschwinden des Wissenschaftlers ein Ende aller Qualen bedeutete. Was die Dokumentationen desselbigen anging ... Bloß weil er starb, verschwanden sie nicht. Vielmehr war endlich eine ungestörte Suche möglich. Sephiroth würde das komplette Labor auseinander nehmen können. Vielleicht durfte sie ihm sogar dabei helfen? Immerhin beherrschte sie die Lines ... Und jetzt würde sie mit ihnen ein Leben beenden. Death Walker Cutter Tzimmek hob die Luna Lance, nahm Kontakt zur Line des ahnungslosen Bastards im blutbefleckten Laborkittel auf und ... Die Hand schloss sich fest um ihren Mund, drückte ihren Kopf nach hinten, genau gegen den dort befindlichen Körper, gleichzeitig umfasste eine weitere Hand ihren Taille. Ein trainierter, eiserner Griff, der problemlos in der Lage war, einem Menschen das Genick zu brechen, an dem einfach jeder Widerstand zerbrechen musste! Cutter begann trotzdem augenblicklich, sich zu wehren, wandte den Kopf so weit wie möglich, um ihren Widersacher sehen zu können ... und kollidierte mit den makogetränkten Augen von 1st Class SOLDIER Zack Fair. Es war einzig und allein Zacks Instinkt gewesen, der ihn dazu gedrängt hatte, ebenfalls nach Sephiroth zu sehen. Dass die Fahrstühle einander genau gegenüber lagen ... dass sich die Türen seiner Kabine öffneten, als sich die von Cutter gerade schlossen ... Er hatte ihre Augen gesehen. Und sofort begriffen. Jetzt war er hier. Einzig und allein, um sie aufzuhalten. Sein Blick aber galt nicht ihr. All seine Aufmerksamkeit war auf Hojo gerichtet. Der Professor schien immer noch ganz auf sein derzeitiges Opfer konzentriert – oder war er einfach nur zu arrogant, sich umzudrehen? Zack wusste es nicht. Nur, dass es höchste Zeit war, diesen Ort unbemerkt zu verlassen. Und dafür durfte Cutter keinen Laut von sich geben! Er verstärkte den sie umfassenden Griff ein wenig und begann gleichzeitig, sich in völliger Lautlosigkeit rückwärts zu bewegen, Cutter mit sich zu ziehen. Diese aber wehrte sich weiter - und stieß gegen einen der Tanks. Die Augen des darin befindlichen ... Wesens ... öffneten sich innerhalb eines Sekundenbruchteils. Fixierten die beiden Störenfriede. Dann öffnete es einen Mund, der sowohl die Zähne eines Menschen, als auch die eines Monsters beinhaltete, und stieß einen dröhnenden, nicht enden wollenden Schrei aus. Gleichzeitig begann es, sich mit aller Kraft gegen die Wand des Makotanks zu werfen. Hojos Kopf ruckte herum, fokussierte den Tank – und dann setzte sich der Professor in Bewegung. Hinter dem Tank versuchte Zack durch das unmenschliche Dröhnen hindurch auf irgendein Geräusch zu achten, das die nächste Aktion seines Gegners verriet. Aber es gelang ihm nicht. Letztendlich war es purer Instinkt, der ihn sich um den Makotank herum bewegen ließ, den Körper des Wesens als einzigen Sichtschutz nutzend, Cutter nach wie vor eng an sich gedrückt. Als Hojo die Stelle erreichte, von der aus er die Funktionen des Tanks direkt steuern konnte, befanden sich Zack und Cutter in einer Entfernung von nur knapp 2 Metern ihm genau gegenüber. Um den Tankinhalt zu `beruhigen´ bedurfte es nur weniger Tastenkombinationen. Das Brüllen ging in Wimmern über und erstarb schließlich vollständig. Der Körper sackte in sich zusammen und verharrte wieder bewegungslos. Der Professor nickte zufrieden und begab sich wieder zu seinem ursprünglichen Testobjekt, ohne zu bemerken, wie Zack ein weiteres Mal parallel zu ihm die Position änderte. Als das schmerzerfüllte Wimmern erneut einsetzte, zog der 1st Cutter rückwärts, aus Hojos grauenhaftem grünen und durch dessen trügerisch weißes Reich zurück auf den Hauptflur, wo er mit der größtmöglichsten Behutsamkeit die Tür schloss. Erst dann erklang zum ersten Mal seine Stimme, ein leises, befehlendes Zischen. „Sorg bloß dafür, dass uns keiner sieht!“ Eine harte Bewegung drehte seine unfreiwillige Begleitung in die entgegengesetzte Richtung und begann gleichzeitig, sie vorwärts zu schieben, hinaus aus dem Laborbereich der Electric Power Company. Erst, als sie auch die letzte Tür hinter sich gebracht hatten und wieder auf dem für alle anderen ebenfalls zugänglichen Flur standen, ließ der 1st seine Gefangene los und fauchte: „Sag mal, Cuttie, bist du wahnsinnig geworden?! Kannst du mir mal sagen, was das“, er deutete in Richtung des Labors, „zu bedeuten hatte?! Was, in Bahamuts Namen ...“ Cutter sah ihn nur an. Sie wusste, es war Zack, und er schimpfte mit ihr, aber seine Worte erreichten ihren Verstand nicht. Dieser war einzig und allein beherrscht von dem Wunsch, zu töten, Hojo zu töten, Sephiroths Folter zu beenden, jetzt, für immer und ewig ... Die junge Frau wandte sich schlagartig um, steuerte abermals die Tür an, die sich unter dem Einfluss der Luna Lance brav öffnete ... Und Zack begriff, dass er es hier nicht mehr mit der vertrauten Cutter-chan zu tun hatte. Sondern, zum ersten Mal, mit dem Death Walker Cutter. Entschlossen, beseelt von dem echten Wunsch, zu töten, auch absolut in der Lage dazu – aber noch zu unerfahren, um zu wissen, dass man selbst in diesem Stadium niemals das nahe Umfeld unterschätzen durfte. Und so reagierte 1st Class SOLDIER Zack Fair, bevor dem Death Walker wieder einfiel, dass sie im Grunde viel stärker war als er, der eine beeinflussbare Line besaß. Sein Griff war schnell, hart und unbarmherzig. Für Cutter verwandelte sich die Welt in ein Karussell, und als sie aufhörte, sich zu drehen, fand sich die junge Frau über Zacks Schultern liegend wieder, Beine und Arme festgehalten von dessen rechter Hand. In seiner linken lag die Luna Lance – und somit die einzige Chance, Hojo zu vernichten. Cutter holte tief Luft. „LASS MICH LOS, ZACK!“ „In deinen Träumen!“, knurrte der 1st und setzte sich in Bewegung. So stark er war, selbst er hatte Mühe, sein `Gepäck´ zu halten, denn dieses begann augenblicklich auf seinem Rücken zu toben. „LASS MICH LOS, VERDAMMT NOCHMAL!! DU HAST NICHT GESEHEN, WAS ER IHM DIESMAL ANGETAN HAT!“ „Brauche ich nicht“, antwortete Zack mit bewusster Ruhe. „Ich weiß, wozu Hojo fähig ist.“ „DIESMAL HAT ER IHN FAST GETÖTET!“ Gleichzeitig wurde ihr heftiges Toben zu purer Raserei. „LASS MICH RUNTER; LASS MICH RUNTER; LASS MICH ...“ Zack hätte noch fester zupacken können. Aber sein Instinkt sagte ihm, dass sich Cutter nicht einmal mit gebrochenen Hand- und Fußgelenken beruhigen würde. Ob irgendwo in all der Wut trotzdem noch ein Funken ihres früheren Selbst war, der sich beeinflussen ließ und eine Rückverwandlung bewirkte? Wie es schien, gab es nur eine Möglichkeit, es herauszufinden. Tut mir Leid ... Dann ließ er die Luna Lance fallen, holte mit der frei gewordenen Hand aus und verpasste der jungen Frau einen heftigen Schlag auf den Hintern. „Wirst du jetzt endlich Ruhe geben?!“ Cutter bäumte sich auf hinsichtlich der gigantischen, ihren gesamten Körper überspülenden Welle aus Schmerz. Nicht nur, dass es ohnehin weh tat, diese brutale Zurechtweisung von Zack erhalten zu haben, von Zack, der Bescheid wusste und sie eigentlich hätte unterstützen müssen, diesen Mistkerl zu erledigen, fügte dem körperlichen auch noch seelischen Schmerz hinzu. „Zack, du mieser Verräter ...“ „Cuttie, halt die Klappe, sonst fängst du dir noch eine!“ Aus seiner Stimme war jeder Funken an Heiter- und Fröhlichkeit gewichen. Einmal mehr machte 1st Class SOLDIER Zack Fair ernst. Und Cutter begriff, dass sie den Kampf verloren hatte. Die Erkenntnis bewirkte das nahezu sofortige Ende aller Aggressionen. Ihr verkrampfter Körper entspannte sich schlagartig, ihr rasender Herzschlag wurde ruhiger. Und mit der Ruhe kamen die Tränen. Zack konnte Cutter neben seinem Ohr leise Schluchzen hören, spürte ihre Tränen an seinem Hals hinabrinnen ... aber er ließ sich davon nicht beeindrucken, hielt sie fest, hob die Luna Lance auf und setzte sich wieder in Bewegung. Erst, als er in seinem Quartier angekommen war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, ließ er seine Last so behutsam wie möglich zu Boden gleiten ... und stellte sich ihrem Blick. „Du hast mich geschlagen.“ Ihre Stimme klang zu gleichen Teilen wütend wie vorwurfsvoll, verblüfft, schockiert, müde ... aber es war wieder ihre Stimme. „Ich weiß. Es hat keinen Spaß gemacht. Und es tut mir Leid. Du kannst gerne zurückschlagen, meinetwegen auch mehrfach, ich halte still. Versprochen.“ Aber die junge Frau schüttelte den Kopf, fuhr sich mit beiden Händen über die verweinten Augen und atmete tief durch. Jeglicher Funken an Aggression hatte sich verflüchtigt. Übriggeblieben war völlige körperliche und seelische Erschöpfung. „Willst du einen Kaffee?“, erkundigte sich Zack leise, erntete ein sachtes Nicken und verschwand augenblicklich in der Küche, um diese wenig später mit einer dampfenden Tasse zu verlassen und sie der mittlerweile in einem der Sessel sitzenden Cutter in die Hand zu drücken. Dann ließ er sich neben ihr nieder und beobachtete sie besorgt. Diese wilde Entschlossenheit, einem anderen Menschen Leid zuzufügen ... Niemals zuvor hatte er etwas Derartiges bei ihr erlebt. Diesmal musste Hojo sich selbst übertroffen haben. Und noch während er nach einem Einstieg suchte, erklang Cutter leise, von Entsetzen geprägte Stimme. „In diesen Tanks waren Menschen! Lebendige Menschen! Sie ... sie waren bei vollem Bewusstsein. Das ist es, was Hojo tut? Dafür ist er hier?“ „Wann immer es Fragen gibt, die den menschlichen Körper betreffen, liefert Hojo die Antworten. Was Mako angeht, ist er ebenfalls führender Experte. Wie er diese Antworten gewinnt ... Du hast es gesehen. Er hat völlig freie Hand. Sein Budget ist nahezu unbegrenzt.“ „Rufus ist noch skrupelloser, als ich jemals dachte. Was sind das für Leute in den Tanks?“ „Ich glaube, Hojo ist da nur selten wählerisch.“ „Manche von ihnen ... Ihre Lines ... Hojo macht sie zu Monstern. Das heißt, alle Monster ...“ „Waren früher einmal Menschen. Ja. Das Mako lässt sie dazu werden.“ „Und dann lässt Hojo sie frei. Aber sie erinnern sich noch an ihre Zeit als Mensch. Wenigstens ein kleiner Teil von ihnen. Deshalb haben einige von ihnen sich damals entschlossen, Toron zu helfen, oder? Und deshalb gibt es auch immer diese heftigen Zusammenstöße zwischen Monstern und ShinRa.“ „Ja. Hat Seph dir erzählt, dass ich nach der Schlacht in den Slums vor 4 Jahren fast selbst in einem solchen Tank gelandet wär ...“ „Warum hast du mich aufgehalten? Ich hätte all das beenden können! Ich hätte es vernichten können! Hojo und diese ganzen Entsetzlichkeiten dazu!“ „Cuttie, du kannst diesen Leuten nur helfen, indem du sie tötest, aber es wird die generelle Durchführung der Experimente nicht aufhalten. Dafür wird Hojo immer Mittel und Wege finden, wenn nicht hier, dann woanders. Er ist besessen davon! Und ihn darfst du nicht töten! Du darfst einfach nicht! Das ist Sephiroths Aufgabe!“ „Warum?! Und jetzt sag mir endlich die volle Wahrheit, sonst werde ich selbst danach suchen, und ich schwöre dir, ich werde sie finden!“ Zack suchte nach Worten, stöhnte leise und schüttelte den Kopf. „Das wollte ich dir eigentlich nie sagen. Aber jetzt muss ich es tun, ansonsten kann ich dich nicht mehr aus den Augen lassen, oder?“ Und als sie nickte, fuhr er leise fort: „Cuttie, du musst mir jetzt ganz genau zuhören, und du darfst niemandem etwas davon sagen, verstehst du?“ Abermals wartete er das leichte Nicken ab, ehe er weitersprach. „Du weißt, Seph und dieser Bastard im Labor ... ihre Beziehung zueinander ist ...“ „Grausam.“ „Ja. Aber sie ist auch ... tiefer.“ „Tiefer?“ „Ja. Es ist im Grunde ... keine Beziehung, sondern vielmehr eine ... Bindung.“ „Worauf willst du hinaus?“, wisperte Cutter. Zack stöhnte leise, schüttelte den gesenkten Kopf ... dann aber sah er seiner Gesprächspartnerin fest in die Augen und offenbarte das Geheimnis. „Cuttie, Hojo ist Seph´s Vater.“ Die Kaffeetasse glitt aus Cutters Händen und fiel zu Boden. Kaffee breitete sich aus, aber niemand beachtete die braune Pfütze. „Zack ...“ Nur ein entsetztes Flüstern. „Bitte, bitte sag mir, dass du scherzt!“ „Glaub mir, ich wäre sehr glücklich, wenn das ein Scherz wäre.“ „Aber das ... Zack, das kann nicht sein! Sephiroth sieht ihm kein bisschen ähnlich!“ „Seph ist eben sehr auf seine Mutter geschlagen. Nur so kann ich es mir erklären.“ „Weiß Sephiroth ...?“ „Ja.“ „Und er geht trotzdem ...“ „Verstehst du jetzt völlig, warum weder du, noch ich uns in diesen Kampf einmischen dürfen?“ „Aber er wird ihn töten, Zack. Eines Tages wird Hojo ihn töten. Was sollen wir, seine einzigen beiden Freunde, dann tun? Oder sagen? Wen hat er außer uns?“ „Cuttie, mach nicht den Fehler, Seph zu unterschätzen. Er ist zäh, er lässt sich nicht von Hojo töten, das ...“ „Wenn ich ihn das nächste Mal mit einem Körper, den schon das Grün des Lebensstroms durchzieht, finde, mach ich zuerst ein Foto! Nur für dich! Glaubst du wirklich, er kann nicht sterben, bloß, weil er nicht sterben will? Oder, weil du es nicht willst? Oder ich? Denkst du, der Tod schert sich darum? Das tut er nicht!“ „Cuttie, glaubst du wirklich, das weiß ich nicht?! Denkst du, all die Medikamente in Sephs Appartement, die Potions und die Heilmateria hätte er selbst dorthin gebracht?! Das war ich! Auch, wenn sie kaum helfen. Wer, glaubst du, hat bisher nach ihm gesehen, wenn er aus dem Labor kam, nur um sich wie ein Kind aus seinem Appartement oder Büro werfen zu lassen? Auch ich! Versuch nicht, mich als einen Idioten hinzustellen!“ Cutter schwieg, suchte nach Worten. Sie wusste, Zack war mit der Situation genauso unzufrieden und unglücklich wie sie selbst und somit ebenfalls auf Sephiroths Seite. Aber dennoch ... „Tut mir Leid. Du bist kein Idiot. Aber obwohl du, genau wie ich, siehst, dass er Hilfe braucht, tust du nichts. Das ist feige! Ich hätte diesen Bastard getötet, wenn du nicht aufgetaucht wärst!“ „Es wäre nicht die Sorte Sieg, die Sephiroth braucht, versteh das doch endlich! Du hättest Hojo getötet, aber das hätte keinerlei Heilung beinhaltet! Sondern nur noch mehr Schmerz für Seph, weil einer anderen Person mühelos das gelungen ist, was er tun will und noch nicht tun kann!“ Er seufzte leise und qualvoll. „Wenn ich nur wüsste, was ihn zögern lässt! Ich würde es aus dem Weg räumen, augenblicklich!“ „Antworten“, sagte Cutter leise. „Die Gründe für all die Experimente. Für seine Andersartigkeit. Sephiroth will diese Antworten. Und nur Hojo und Rufus können sie haben. Bevor er die nicht hat, wird er sich niemals wehren, weil er befürchtet, sie könnten verloren gehen, wenn einem der Beiden etwas zustößt.“ „Ich hatte also Recht mit dem, was ich dir damals gesagt habe. Aber Geheimnisse, die von Hojo und Rufus zu gleichen Teilen gehütet werden, sind verflucht schwierig zu lüften. Die Lines können diesmal nicht helfen, oder?“ „Nein. Sie können mir sagen, ob etwas bedruckt oder beschrieben ist, aber nicht, worum genau es geht.“ „Wenigstens weiß ich jetzt, was er sucht. Also kann auch ich gezielter suchen. Irgendwo muss Hojo diese Antworten lagern. Wenn alle Stricke reißen, brechen wir in sein Appartement ein, oder, wenn er mal nicht da ist, ins Labor. Früher oder später werden wir fündig, mein Wort drauf! Und dann kann Seph sich vielleicht endlich selbst befreien.“ Cutter nickte. Ja. Zack hatte, im Gegensatz zu ihr, Kontakte, kannte alles und jeden. Irgendjemand konnte bestimmt weiterhelfen. Dann streckte sie die Hand mit einer Bewegung, die überdeutlich: `Ich bin jetzt wieder normal´ sagte, nach der Luna Lance aus - und erhielt sie ohne das geringste Zögern zurück. „Hey“, sagte Zack leise, „Seph hat mir erzählt, was sie mit Reno angestellt hat. Weshalb konnte ich sie berühren?“ „Weil ich dir vertraue. Die Luna Lance reagiert darauf.“ Dann erhob sie sich. „Ich gehe zurück zu Sephiroth.“ „Wenn du mich irgendwie brauchst ...“ „Rufe ich dich.“ „Ok. Gib unserem sturen General einen aufmunternden Klaps von mir, ja?“ Cutter nickte und verließ das Appartement. Kaum war sie gegangen, fiel alle Entschlossenheit von Zack ab. Der 1st sank in sich zusammen und grub beide Hände in die Haare, als sei sein Kopf mit einem Mal zu schwer, um ihn auf die übliche Art und Weise zu halten. Vielleicht war er das, hinsichtlich der in ihm tobenden Frage, tatsächlich. Habe ich gerade einen Fehler gemacht? Zack wusste, im Nachhinein offenbarte jede Geschichte einen Punkt, an dem man die zukünftige Handlung in eine scheinbar positivere Richtung hätte beeinflussen können. War der Moment, in dem Cutter die Luna Lance auf Hojo richtete, ein solcher Augenblick gewesen? Sie hätte Erfolg gehabt, keine Frage, aber ... „So hättest du Seph nicht helfen können“, wisperte Zack. „Ich kenne ihn länger als du. Du und ich, wir können ihm bei seiner Suche nach den Antworten helfen, ihn aufmuntern, ihm klar machen, dass wir da sind ... aber die Sache mit Hojo muss er alleine klären. Sonst wird er sich nie vollständig befreien können. Bitte, Cuttie, hör auf mich. Denn ansonsten wirst du ihn definitiv verlieren!“ Auch Cutter hatte auf dem Flur inne gehalten. Was sie im Laufe der vergangenen Stunden gesehen und erlebt hatte ... sie wusste, die Erinnerungen würden sie für den Rest ihres Lebens begleiten. Aber viel schlimmer als das war ihre erzwungene Bewegungslosigkeit. Denn so schmerzhaft es war: Zack hatte, was alle jemals über Sephiroth und Hojo getätigten Aussagen anging, völlig recht. Die Verbindung zwischen den beiden so unterschiedlichen Gegnern bestand schon zu lange, glich in ihrer Art dem ineinander verschlungenen Wurzelwerk zweier Bäume. Riss man als Außenstehender einen Baum aus diesem Gefüge, so konnte der andere problemlos ebenfalls den Halt verlieren. Was die armen Wesen in den Makotanks anging ... Cutter wusste, sie hätte mit der Luna Lance problemlos einen Kontakt zu ihnen herstellen können. Aber sie so zu töten? Durch die eigene Line? Allein die Vorstellung beinhaltete eisigen Schrecken, der für das Bewusstsein der jungen Frau fast zuviel zu sein schien. Und ganz abgesehen davon ... Wir sind uns nie begegnet. Wir hegen keinerlei Groll gegeneinander oder stellen eine Gefahr füreinander dar. Zudem seid ihr völlig hilflos. Damals bei Toron ... ich konnte sie nur angreifen, weil mein Leben auf dem Spiel stand und ich es nicht verlieren wollte. Auf euch trifft das nicht zu. Und deshalb würde es niemals funktionieren. Vielleicht würde ich euer Leid nur noch vergrößern... Oh Gaia, warum gerate ich immer wieder in diese Situationen? Warum kann nur die Electric Power Company etwas mit meinen Fähigkeiten anfangen? Manchmal ist das alles zu groß für mich, viel zu groß ... Und ich bin so klein. Trotz allem. Aber so brutal alle Erkenntnisse sein mochten, sie hielten Cutter nicht davon ab, erneut das Appartement zu betreten, in dem sich die wichtigste Person ihres Lebens befand. Mittlerweile hatte die Abenddämmerung eingesetzt und erfüllte die großen Räume. Auch das Schlafzimmer badete in immer länger werdenden Schatten, störten den immer noch tief und fest schlafenden Sephiroth allerdings nicht. Cutter ließ sich vorsichtig auf dem Boden am Rand des Bettes nieder, legte die Arme auf die Matratze, den Kopf darauf und sah zu ihrem Freund hinüber. Und als habe dieser ihren Blick gespürt, öffnete er langsam die Augen. Blinzelte einige Male. Und erkundigte sich schließlich leise und ohne vorwurfsvoll zu klingen: „Bist du immer noch hier, oder wieder?“ „Beides“, lautete die leise Antwort. „Du hast ganz fest geschlafen. Wie geht es dir?“ „Ich lebe.“ „Zum Glück.“ Es war Cutter nicht bewusst. Aber der Ausdruck in ihren Augen erzählte von den Vorgängen der letzten beiden Stunden. Und Sephiroth begriff. Sagte leise: „Diesen Raum hättest du nie sehen dürfen. Hattest du Erfolg?“ Kopfschütteln. „Zack?“ Nicken. „Hat er dir erzählt, dass ...?“ Nicken. Sephiroth schloss die Augen und murmelte wenig begeistert: „Ich bringe ihn um!“ Und so sehr er mit weiteren Fragen gerechnet hätte, er erhielt nur ein leise Antwort. „Das würde nichts ändern. Außerdem soll ich dir was von ihm geben.“ Sie streckte die Hand aus und berührte sachte seine eigene. „Was sollte das darstellen?“ „Einen aufmunternden Klaps?“ „Er hätte dir besser etwas zu essen mitgeben sollen.“ „Du hast Hunger?“ Gleichzeitig sprang sie auf. „Sag mir, was du haben möchtest, ich organisiere alles! Sofort und augenblicklich!“ Sephiroth wollte automatisch protestieren, aber das Knurren seines Magens machte überdeutlich, wie lange die letzte Mahlzeit zurücklag, und dass dringend eine neue benötigt wurde. Am besten gleich mehrere Portionen. Und so verschwand Cutter wenige Minuten später, um das Abendessen zu holen. Sephiroth selbst verließ das Schlafzimmer und schlug den Weg ins Badezimmer ein. Ganz egal, wie entsetzlich der Raum immer noch aussah, nur dort gab es eine Dusche, fließendes, heißes Wasser, die Möglichkeit, das getrocknete Blut vom Körper zu spülen ... Er öffnete, seiner Ansicht nach auf alles gefasst, die Tür - und erstarrte, förmlich erschlagen hinsichtlich des vor Sauberkeit glänzenden Raumes. Es dauerte etliche Sekunden, ehe der General wieder in der Lage war, einen klaren Gedanken zu fassen. Cutter. Cutter war hier. Sie hat es gesehen ... Und alle Spuren beseitigt. Vermutlich ganz alleine. Kein Wunder, dass sie daraufhin ins Labor gegangen ist. Mein Fehler. Ich hätte mich besser zusammenreißen und selbst für Sauberkeit sorgen müssen. Aber er wusste im tiefsten Grunde seines Herzens, dass er es in seinem damaligen Zustand niemals auf eine akzeptable Art und Weise geschafft hätte. Und so blieb ihm nur der Versuch, sich nicht als Versager zu fühlen sondern mildernde Umstände gelten zu lassen, die Geschehnisse zu akzeptieren, und in die Dusche zu steigen, um auch die letzten Reste der vergangenen Stunden loszuwerden. Einmal mehr beinhaltete das warme Wasser genau die Entspannung, die Sephiroth jetzt brauchte. Mehr noch. Jeder seinen Körper treffende Tropfen vertiefte die Gewissheit, wirklich noch am Leben zu sein, auch, wenn es diesmal denkbar knapp gewesen war. Irgendwann verließ er die Dusche wieder, kehrte ins Schlafzimmer zurück, zog weiche, bequeme Kleidung an, entfernte die blutverschmierten Laken vom Bett, beförderte sie in die Waschmaschine, bezog das Bett neu und öffnete alle Fenster des Appartements. Angenehm warme, schmeichelnd unverbrauchte Luft floss herein, vertrieb den Geruch nach Blut und Gewalt. Langsam kam eine Art zerbrechlicher Frieden zurück. Und wie um der restlichen Welt seine unausgelöschte Existenz zu beweisen, schaltete Sephiroth sämtliche Lichter des Appartements ein. Die Tür zu seinem Appartement öffnete er, noch bevor Cutter anklopfen konnte, ließ sie herein und änderte den Code wieder in ihr Geburtsdatum. Er deckte den Tisch für sie beide und dann aßen sie, schweigend, bis nur noch leere Tüten und dünne Pappschachteln übrig waren. Erst dann lehnte sich Sephiroth zurück und sah zu seiner Freundin hinüber. „Du hast länger für deine Rückkehr gebraucht, als erwartet.“ „Weil ich Zack was mitgebracht habe.“ Sie grinste. „Ich hab ihm gesagt, du würdest es ihm sponsern.“ „Das hat ihm gefallen.“ „Ja, er hat gemeint, unter den Umständen könntest du ruhig öfter ins Labor gehen und dich von diesem Mistkerl fast töten lassen.“ „Wie ungemein Uneigennützig von ihm.“ „Er mag dich eben. Wenn dabei ein Gratisessen rausspringt, erst recht.“ Sephiroth gestattete sich ein leichtes Kopfschütteln und sah zur Uhr. Es war zwar noch nicht besonders spät, aber sein Körper hatte sich immer noch nicht vollständig erholt und forderte Ruhe – mit einer Intensität, die sich nicht verbergen ließ. „Du bist müde, hm?“, erkundigte sich Cutter leise und erntete ein leichtes Nicken. Auf seine leise Frage, wo sie die Nacht verbringen wollte, gab es nur eine einzige Antwort. „Bei dir?“ Einige Sekunden später fügte sie hinzu: „Damit ich auf dich aufpassen kann.“ Sephiroth musste unwillkürlich schmunzeln. Du willst auf mich aufpassen ... Auf deine ganz eigene Art und Weise. Du meinst es ernst, ich weiß. Und du kannst es. Ohne, dass ich es jemals von dir verlangt hätte, aber heute hast du es bewiesen. Aber kann ich das akzeptieren? Und dir meinen Schlaf anvertrauen? Und wirklich ... schlafen? Einen Augenblick lang kämpfte er mit sich selbst. Dann aber nickte er. Gleichzeitig versuchte er sich vorzustellen, wie dieses `Aufpassen´ aussehen konnte – aber alle seine Ideen stellten sich als falsch heraus. Denn als er wenig später zu Bett ging, ließ sich Cutter lediglich in sitzender Position neben ihm auf der Matratze nieder, und Sephiroth gelang es nicht ganz, seine Überraschung zu verbergen. „So willst du bleiben?“ „Bis du wieder aufstehst.“ Es schien die einzig richtige Antwort zu sein. Sie ließ keine Zweifel und Diskussionen zu. Und so erteilte Sephiroths schweigend seine Einverständnis. Die Stille dauerte etliche Herzschläge lang an. Dann aber erklang abermals die dunkle Stimme des Generals, leise, aber dennoch gut zu verstehen. „Ich habe ihn gesehen. Den Lebensstrom. Diesmal habe ich ihn wirklich gesehen. Phoenix, woher wusstest du, was du tun musstest, um mich zurückzuholen?“ „Du warst eiskalt und hast gezittert. Also habe ich gehofft, dass Wärme helfen würde. Und ich hatte Recht.“ Sephiroth wollte ihren Worten, die für ihn wie kleine Sterne in der Dunkelheit zu leuchten schienen, irgendetwas antworten. Aber mehr außer einem leisen „Hmmm“ war nicht mehr möglich, denn der Schlaf war längst dabei, alle Sinne auszuschalten. Sogar die, welche sonst für die Früherkennung von Gefahr zuständig und immer aktiv waren. Die Vorgänge erhielten keinerlei Gegenwehr. Cutters Gegenwart war wie der Garant dafür, dass alle Schrecken, die sich möglicherweise in der Dunkelheit zum Angriff bereit machten, nicht an ihr vorbeikommen würden. Und zum ersten Mal in Sephiroths bisherigen Leben erhielt das Wort `Geborgenheit´ Tiefe in Form einer Handlung und daraus resultierenden Erinnerung. Das Gefühl verstärkte sich, als Cutter vorsichtig ihre Hand auf seine legte. `Ich bin hier´, schien die sanfte Berührungen zu sagen. `Schlaf. Ich passe auf dich auf. Ich lasse dich nicht allein. Schlaf ...´ Und in diesem Augenblick, schon fast völlig schlafend, wurde Sephiroth klar, dass jede seiner Empfindungen für Cutter stärker war, als jemals zuvor. Sie gingen tiefer als der Wunsch nach Nähe oder das Eingeständnis, sich um sie zu sorgen, waren intensiver als die Aussage, dass sie ihm etwas – mehr als alle anderen – bedeutete. Sie waren einfach ... mehr. Wie ein breiter, wärmender Strom in seinem tiefsten Innern. Und in diesem Augenblick dachte Sephiroth es zum ersten Mal. `Ich liebe dich.´ Aber er war nicht mehr in der Lage, es auszusprechen, sondern schon im nächsten Moment eingeschlafen. Es hätte ihn sehr verwundert, wenn ihm bekannt gewesen wäre, dass Cutter es längst wusste. Aber es gab einfach Dinge, die keiner Erklärung bedurften, die einander begriffen und keine großen Worte darüber verloren. Was erschaffen wurde, war ein kleiner großer Zauber. Auch jetzt war er deutlich spürbar. Und Cutter, die immer noch da saß und die Hand des schlafenden Sephiroths hielt, wusste, dass sie diese Nacht für den Rest ihres Lebens nicht mehr vergessen würde. Bis auf Weiteres aber lauschte sie auf die leisen, ruhigen Atemzüge, ließ die ihr anvertraute Wehrlosigkeit nicht aus den Augen und dachte darüber nach, wie leicht man ein Herz brechen konnte und wie lange es brauchte, um wieder zu heilen. Es vergingen viele Stunden, ehe Sephiroth zum nächsten Mal blinzelte. Niemals zuvor hatte er so tief und fest geschlafen. In genau derselben ruhigen und friedlichen Atmosphäre zu erwachen, in der er eingeschlafen war, fühlte sich genauso neu an, wie die auf ihn wartende Begrüßung. „Willkommen zurück.“ Cutters Stimme klang ganz leise. „Guten Morgen.“ „Guten Morgen. Hast du ... das die ganze Nacht getan?“ „Deine Hand gehalten? Hmhm.“ „Hat dir gefallen, was?“ Cutters Antwort bestand aus einem verschmitzten Lächeln. „Das dachte ich mir“, kommentierte der General. „Aber jetzt kannst du aufhören. Außerdem beginnt deine nächste Mission in weniger als einer Stunde. Ich schlage daher vor, dass du dich ins Bad begibst und kalt duschst, damit du später wach bist und keine Fehler machst. Des weiteren würde ich einen starken Kaffee empfehlen.“ „Ja, Sir“, seufzte Cutter, schwang die Beine aus dem Bett ... Die Arme umfassten sie völlig unvermittelt von hinten, gleichzeitig schmiegte sich ein anderer Körper an den ihren, legte sich ein Kopf auf ihre Schulter ... „Danke“, wisperte Sephiroth. Es mochte wahr sein: Niemand konnte erwarten oder verlangen, von einem anderen Menschen gerettet zu werden. Aber hin und wieder wurde man trotzdem gerettet. Weil es Personen gab, denen die Ansichten des Betroffenen egal waren, die sich mit aller Kraft einmischten, die kämpften ... und siegten. Über den nahen Tod. Vielleicht sogar über das Schicksal selbst. Und Cutter war eine von ihnen. Sie jetzt auf diese Art und Weise zu halten ... Er wusste nicht genau, woher diese innere Kraft kam. Sie tauchte auf und verschwand, ganz wie es ihr beliebte. Wie etwas, das zwar zu einem gehörte, sich aber an keine Regeln hielt, das lange Zeit Kraft und Mut sammeln musste für einen kurzen Moment der Nähe. Diesmal dauerte es etwas länger, ehe sie sich wieder zurückzog. Sephiroth ließ Cutter los, sagte immer noch leise: „Ich mache dir einen Kaffee.“, realisierte ein Nicken ... und, dass sie, obwohl sie hätte aufstehen können, noch etliche Herzschläge lang ruhig sitzen blieb und ihn mit ihrem Blick streichelte, ehe sie sich letztendlich doch erhob, um ins Bad zu verschwinden. Als sie zurückkam, warteten bereits Kaffee und ein Frühstück auf sie. Hier sitzen zu können, bei Sephiroth, und mit ihm zu frühstücken ... Es war, als seien die gestrigen Ereignisse nur ein böser, sehr realer Traum gewesen. Gewisse Überbleibsel allerdings protestierten dagegen, und es war Cutter unmöglich, sie zu ignorieren. Irgendwann erhob sich die junge Frau, um kurz das Badezimmer aufzusuchen und mit Verbandsmaterial zurückzukommen, vor ihm anzuhalten ... „Ich weiß. Für dich ist es nur ein Kratzer. Er wird verheilen. Vermutlich würdest du sogar behaupten, dass er überhaupt nicht weh tut, und außerdem empfindest du das hier als total überflüssig und albern. Aber würdest du mir jetzt bitte trotzdem deine Hand geben?“ „Ich hatte gar nicht vor, zu protestieren.“ Cutter blinzelte verblüfft. „Nein?“ „Nein.“ Gleichzeitig streckte er ihr seine Hand entgegen. „Um ehrlich zu sein, habe ich bereits die ganze Zeit mit etwas Ähnlichem gerechnet.“ „Hm“, brummelte Cutter und griff vorsichtig nach seiner Hand. „Hrmmrm.“ Sephiroth musste unwillkürlich schmunzeln. Dann beobachtete interessiert die Versorgung der einzigen, immer noch nicht vollständig verheilten Verletzung. Ganz offensichtlich hatte seine Freundin in den Erste Hilfe Kursen gut aufgepasst, denn der Verband war perfekt. Er störte nicht einmal, als der General später, nachdem sie das Appartement verlassen hatte, die übliche Kleidung anlegte und seinen Alltag begann. Aber der Verband war dennoch existent. Ein leichter, kaum spürbarer Widerstand, sicher versteckt unter all dem schwarzen Leder. Es wirkte wie die Erinnerung an Personen, denen Sephiroths Leben etwas bedeutete, und die sich darum sorgten, die nicht wollten, dass er verschwand. Aber je länger der General darüber nachdachte, je klarer wurde ihm der eigentliche Grund für diese Sorge. Und die damit verbundene, schmerzende Erkenntnis. Mein Plan, mich erst von Hojo zu befreien, nachdem ich meine Antworten gefunden habe, wird nicht funktionieren. Nach dem gestrigen Tag würden nur ignorante Narren weiter daran glauben, und ich bin nicht ignorant und nur manchmal ein Narr – aber jetzt definitiv nicht. Ich weiß nur nicht genau, was ich jetzt bin. Oder sein soll. Oder werde. Er bewegte sachte die Hand, fühlte dem leichten Widerstand des Verbandes nach, versuchte den richtigen Ansatzpunkt für weitere Gedankengänge zu finden. Ich bin ... Ich weiß nicht, was ich bin. Mir war doch bewusst, mich mit jedem Besuch im Labor in Lebensgefahr zu begeben. Habe ich etwa unbewusst tatsächlich geglaubt, im Laufe all dieser Jahre hätte sich zwischen Hojo und mir etwas entwickelt, das ihn davon abhalten könnte, mich zu töten? Etwas wie ... Stolz? Weil ich alles überstehe? War ich wirklich so naiv? Da ist nichts. Nichts! Und all die Macht, die er über mich hat ... besitzt er sie letztendlich nicht ausschließlich, weil ich sie ihm gewähre? Weil ich gehorche, wenn er ruft, obwohl mir klar ist, dass es nur entsetzlich werden kann? Was, wenn ich mich dem Befehl, ins Labor zu kommen, dauerhaft widersetze? Er wird versuchen, mich zu zwingen. Wie? Dieser Chip in meinem Nacken ... Wissentlich ist dies die einzige durch einen Fremdkörper ermöglichte Verbindung zu Hojo. Wenn ich diesen Chip entfernen würde ... Aber das reicht mir nicht aus! Ich will einen Kampf! Der so davon getragene Sieg ist die einzige Variante, die ich akzeptieren kann. Aber kann ich die Suche nach meinen Antworten wirklich aufgeben? Ich habe so viel Zeit und Schmerz darin investiert ... Aber ohne Erfolg. Was also verliere ich? Im Grunde nichts. Und was bekomme ich? Eine Neuanfang. Wenn ich die Kraft finde, nicht diese Aufzeichnungen als wichtig anzusehen, sondern nur, was ich selbst in mir sehe. Wie Cutter gesagt hat. Aber ich brauche Zeit, um diese Kraft zu finden ... Und ich möchte viel mehr nachdenken. Er wusste es nicht. Aber seine Freundin teilte diesen Wunsch und war, genau wie ihr General, nicht in der Lage, ihr grübeln auf die freie Zeit zu verschieben. Die neusten Erkenntnisse bezüglich Hojo und Sephiroth ließen sie einfach nicht zur Ruhe kommen. Besonders Hojo ... Je länger Cutter über ihn nachdachte, desto klarer wurde ihr, dass der Mann nicht nur eingebildet und sadistisch war, sondern sich auch noch für absolut unangreifbar hielt. Kein Wunder, wenn man eine Waffe wie Sephiroth beherrschte! Aber gab es nicht auch noch andere Waffen? Was, wenn eine von ihnen völlig unvermittelt zuschlagen würde, um Hojo eine Lektion zu erteilen - und um Sephiroth klar zu machen, dass sein Peiniger durchaus angreifbar war! Verletzen oder gar töten kam allerdings nicht in Frage, sollte der Angriff doch lediglich eine klare Botschaft vermitteln. `Auch du bist verletzlich! Verdammter Mistkerl!´ Aber wie?! Und womit? Cutter grübelte während der gesamten Mission. Und irgendwann, schlagartig, überfiel sie eine Idee. Eine Idee, die ihr zuerst einen Lachflash und dann einen scharfen Verweis des sie kommandierenden Offiziers einbrachte. Es gelang ihr nur mit Mühe, sich so gut es ging zusammen zu reißen, aber sie zückte ihr PHS, sobald sie die Gelegenheit dazu bekam. `Zack, hattest du als Kind einen Chemiebaukasten?´ Bis zur Antwort vergingen nur wenige Sekunden. Sie zauberte ein glückliches Grinsen auf Cutters Gesicht. Im Laufe der nächsten Tage bemerkte Sephiroth eine seltsame Veränderung seiner beiden besten Freunde. Beide erschienen auf nicht einmal für ihn nachvollziehbare Weise abwesender als sonst – wirkten aber nicht bedrückt. Cutter versank zu bestimmten Zeiten minutenlang in den Lines und antwortete auf diesbezügliche Fragen nur, sie habe `etwas´ nachsehen wollen. Zack roch seltsam. Außerdem trugen sie von Zeit zu Zeit das exakt gleiche, vorfreudige Grinsen zur Schau. Ohne Zweifel planten sie etwas! Irgendwann begriff der General, dass dieses `etwas´ mit ihm zu tun hatte und es sich, da Cutter und Zack gemeinsam daran arbeiteten, nur um grandiosen Blödsinn handeln konnte. Was, im schlimmsten Fall, endlose Diskussionen mit Präsident ShinRa nach sich ziehen würden und daher die Einleitung von sofortigen Gegenmaßnahmen erforderte. Sephiroth stellte Fragen. Er ließ sich dazu herab, zu warnen und zu drohen. Er verteilte Extramissionen, um die freie Zeit so gering wie möglich zu halten. Das Grinsen blieb. Die Vorbereitungen gingen weiter, steuerten etwas entgegen, dessen vorläufiger Höhepunkt in einer Mittwochnacht um 2:59 Uhr stattfand, als der General gerade dabei war, eine e-mail zu beantworten. Sein Instinkt schlug an wie ein scharfer Wachhund. Sephiroth hielt inne, seufzte tief auf und griff nach seinem PHS. Es tutete einmal. Zweimal. Dreimal. Viermal. Und dann ... meldete sich jemand. „Hi, Sep ...“ „Cutter, egal was du tust, hör auf damit! Sofort!“ Leises Klirren im Hintergrund. „Und sag Zack, dasselbe gilt auch für ihn!“ „Äh ... ist gerade ziemlich schlecht. Ich ... krrfrfkfsjflkfj ... überhaupt nicht verstehen, der Empfang ist ... mmmffoeflflff ... lich schlecht.“ Abwartende Stille setzte ein. „Cutter, jeder Rekrut kann Leitungsstörungen besser imitieren! Du und Zack werdet jetzt sämtliche Spuren eurer mit Sicherheit schädlichen Tätigkeiten verwischen und euren aktuellen Aufenthaltsort verlassen! Sofort! Erhalte ich im Laufe der nächsten Tage auch nur den geringsten Hinweis auf euer Handeln, werde ich entsprechende Konsequenzen einleiten! Und jetzt befolgt meinen Befehl!“ Er legte auf, lauschte aber noch eine ganze Weile auf seinen Instinkt. Dieser knurrte noch eine Zeitlang vor sich hin, ging dann aber wieder schlafen. Anscheinend war der Befehl befolgt worden. Dennoch blieb eine gewisse Spur von Misstrauen. Cutter und Zack waren einfach zu glücklich bei ihren Vorbereitungen gewesen. Andererseits wussten sie genau, dass die angesprochenen Konsequenzen stattfinden würden ... Es blieb nur, die folgenden Tage abzuwarten. Sehr aufmerksam! Aber zu `Tagen´ sollte es gar nicht erst kommen. Denn schon am nächsten Morgen erschien eine extrem gut gelaunte Cutter im Büro des Generals, sah auf die Uhr, begrüßte ihn wie jemand, der nicht den Hauch eines schlechten Gewissens zu haben brauchte, sah auf die Uhr und begann mit der Aufarbeitung ihrer fehlenden Berichte. Keine 10 Minuten später polterte Zack in dasselbe Büro, sah auf die Uhr, begrüßte Sephiroth wie jemand, der nicht den Hauch eines schlechten Gewissens zu haben brauchte, sah auf die Uhr und begann mit der Aufarbeitung seiner fehlenden Berichte. Der General betrachtete die beiden viel zu friedlichen Individuen einen Augenblick lang mit äußerstem Misstrauen. Er wusste genau, beide hassten den lästigen Papierkram. Dass sie sich jetzt freiwillig damit beschäftigten, noch dazu zusammen und hier, war mehr als ungewöhnlich. Dass beide immer häufiger zur Uhr sahen, deren großer Zeiger sich langsam aber sicher der 12 näherte, ebenfalls. Dass die beiden immer wieder verstohlene Blicke tauschten und sich alle Mühe gaben, einander nicht erwartungsvoll anzugrinsen ... „In Ordnung!“ Die Stimme des Generals war nur ein leises Grollen. „Anscheinend steht der Höhepunkt eurer Planung kurz bevor, und ihr seid hier, um meine unmittelbare Reaktion mitzuerleben.“ „Planung?“ Cutters Stimme klang nahezu engelhaft unschuldig. „Ich hab keine Planung. Zack, hast du eine Planung?“ „Iiich? Nö, aber letzte Nacht einen Höhepunkt. Eigentlich sogar zwei. Einen vorher und den anderen hinterher.“ „Ihr werdet mir jetzt sofort sagen, was ihr getan habt, damit ich es aufhalten kann!“ Zwei Augenpaare sahen zur Uhr. Der große Zeiger stand jetzt unmittelbar vor der 12. Der Sekundenzeiger bewegte sich weiter. Cutter ganzer Körper bebte vor mühsam unterdrücktem Lachen. Zack hatte Tränen der Selbstbeherrschung in den Augen und seine Mundwinkel zuckten. Der Sekundenzeiger erreichte die 12. Der große Zeiger rückte vorwärts. Für einen kurzen Augenblick war es im Büro ganz still. Nicht einmal Sephiroth wusste, was er als nächstes erwarten sollte. Unter diesen Umständen war so gut wie alles möglich ... Dann geschah etwas. Cutter, ohne jeglichen Zweifel momentan in den Lines, quietschte auf. Begeistert. „Kann ich dir mit irgendetwas behilflich sein?“, erkundigte sich der General lauernd. „Nein, nein. Schon gut. Blöden Rechtschreibefehler gemacht. Tsss, ich muss besser aufpassen.“ „Das solltest du!“ Seine Stimme klang wie das noch ferne, sich aber beständig nähernde Grollen einer gigantischen Lawine. „Ihr beide!“ Gleichzeitig rief er sich eine Übersicht des HQ´s auf den Bildschirm. Kein ausgelöster Alarm. Was immer die beiden getan hatten, es musste äußerst zielgerichtet gewesen sein. Aber welcher Ort (oder welche Person) hätte das Ziel einer von Zack und Cutter durchgeführten Aktion werden können? Doch nicht etwa ...? Weiter kam er in seinen Gedankengängen nicht. Schritte, so energisch dass man ihnen die empfunden Wut bereits anhörte, näherten sich, dann wurde die Tür ruckartig aufgestoßen. Eine Dampfwolke inklusive seltsamen Geruchs waberte in den Raum. Und der eigentliche Grund für all den Rauch. Es war Hojo. Bis auf die rauchende Kleidung sah er aus wie immer – mit einer Ausnahme. Sich dieser voll bewusst stürmte er vorwärts, bremste kurz vor dem Schreibtisch ab, griff sich mit beiden Händen in die Haare ... „Sieh dir das an! Sieh es dir an!!“ „Guten Morgen, Professor Hojo.“ Die Stimme des Generals hatte Ähnlichkeit mit glattem, kühlen Stahl. „Was verschafft mir die Ehre?“ „Guten Morgen?! Das ist kein guter Morgen! Sieh dir das hier an! Ich verlange eine Erklärung!“ Sephiroths Blick hatte sich längst am Grund für die Aufregung seines Peinigers festgekrallt. „Ich würde“, beantwortete er dessen Frage mit aller Gelassenheit, „auf ein schiefgelaufenes Experiment tippen.“ „Schiefgelaufenes Experiment?! Sie sind grün! Meine Haare sind grün!“ „Ebenso wie Ihre Augenbrauen und Wimpern. Darf ich fragen, weshalb Sie in dieser Angelegenheit zu mir kommen? Die Bewachung des Laborbereichs obliegt, wie Sie wissen, dem allgemeinen Sicherheitspersonal.“ Hojo schnappte empört nach Luft, öffnete den Mund – und schloss ihn wieder, als ihm bewusst wurde, hier tatsächlich an der völlig falschen Adresse zu sein. Dann aber ... „Das ... das ... ist eine Frechheit! Ich wurde angegriffen! Ich! In meinem eigenen Labor! Man hat in ein laufendes Experiment eingegriffen, um mich so zuzurichten! Ich verlange eine ab sofort stattfindende Überwachung dieses Bereiches von SOLDIER!“ „Eine diesbezügliche Entscheidung obliegt allein Präsident Shinra. Ich schlage daher vor, Ihre Anfrage an ihn zu richten. Der Standort seines Büros dürfte Ihnen aus vorherigen Besuchen bestens bekannt sein. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, ich befinde mich in einem wichtigen Meeting.“ Erst jetzt realisierte Hojo die Gegenwart von Cutter und Zack, die ihn mit unverhohlener Neugier und großem Interesse betrachteten. Er stieß ein Schnauben aus, das verächtlich wirken sollte, aber seine Wirkung um Meilen verfehlte, und stürmte wieder aus dem Büro. Sephiroth lehnte sich zurück, verschränkte abwartend die Arme vor dem Oberkörper und fixierte seine beiden Gäste, wissend, dass er jetzt nur Geduld haben musste, denn so sehr sie versuchten, völlig ernst und unschuldig auszusehen – es fiel ihnen mit jeder Sekunde schwerer. Es war Zack, der als erster die Beherrschung verlor. Die von Cutter brach nur einen Sekundenbruchteil später in sich zusammen. Und dann hallte das ganze Büro wider vor Gelächter. „Hast du ihn gesehen?“ Cutter war vor Lachen kaum zu verstehen. „Hast du gesehen, wie er aussah?“ Neben ihr fiel Zack vor Lachen vom Stuhl. „ ... grün!! Cuttie ... grasgrün!“ „Grasgrün!“ Lachtränen liefen über ihre Wangen. „Sogar die Wimpern!“ „ ... Augenbrauen!!“ Zack verschluckte sich schier vor Lachen. Neben ihm begann Cutter vor Vergnügen mit den Füßen zu trampeln. Sie konnte kaum noch atmen. Sephiroth, der genau wusste gegen diese Heiterkeit nicht ankommen zu können, schwieg, bis die Gelegenheit günstiger war, und gab völlig ruhig zu begreifen, dass auch dieses Grün eine Farbe war, die mit Leichtigkeit überfärbt werden konnte – erreichte aber nur das erneute Ansteigen der Heiterkeit. Es dauerte Minuten, ehe Zack versuchen konnte, den Grund dafür zu erklären. „Das Zeug hat einen unaussprechlichen Namen, aber es sitzt jetzt gaaaaanz fest in den wunderschön grünen Haaren dieses Genies und reagiert auf eine Substanz, die ich ebenfalls nicht aussprechen kann, die aber in jedem Haarfärbeprodukt enthalten ist, und ... und ... Cuttie, bitte ...“ „Sie reagiert drauf“, brachte Cutter mühsam zustande. „Und sie ... sie ...“ „Ihr wollte mir nicht sagen, dass sich seine Haarfarbe erneut in eine unerwünschte Richtung ändert, sobald er versucht, sie zu überfärben!“ Tosendes, aus tiefstem Herzen kommendes Gelächter. Sephiroth stöhnte leise. Ihm gegenüber beruhigten sich die beiden Rächer langsam wieder und eröffneten die Möglichkeit einer gehörigen Standpauke. „Ich fasse zusammen! Ihr seid in Hojos Labor eingebrochen ...“ „Eigentlich haben wir uns reingeschlichen. Stimmt´s, Cuttie?“ „Jau. Mit der Luna Lance alle Kameras gestört, die Tür geöffnet und rein!“ „ ... habt in ein laufendes Experiment eingegriffen ...“ „He, das war vielleicht eine Sauerei, das Zeug ist voll übergeschäumt!“ „ ... und es mit einer Substanz ...“ „Einem Pulver!“, verbesserte Cutter strahlend. „Hat Zack selbst gebastelt.“ „Mit meinem Chemiebaukasten!“ „ ... versehen, das auf irgendetwas reagiert ...“ „Bewegung. So konnten wir sicher sein, dass er sich mit seinem Kopf genau drüber befindet, wenn es losgeht.“ „ ... und seine Haare grün färbt.“ „Und die Augenbrauen. Und die Wimpern. Ach, ich hoffe, dass er mindestens 3 x versucht, es zu überfärben!“ „Ich auch!“ „Wessen irrsinnige Idee war das?!“ Zwei Zeigefinger deuteten auf Cutter. „Aber das Pulver hat Zack ganz alleine ...“ „Ich habe begriffen, dass ihr zu gleichen Teilen in dieser Geschichte mit drinsteckt! Ich könnte euch auf der Stelle entlassen, ist euch das eigentlich klar?“ „Mmmh, das wirst du nicht tun, Seph.“ „Nenn mir einen guten Grund!“ „Sogar zwei. Erstens: Er hat´ s verdient. Er hätte sogar noch viel mehr verdient! Am liebsten hätte ich was zurechtgemixt, das ihm die Augen ruiniert. Und zweitens: Weil du und ich und Cuttie Freunde sind. Und drittens: Vielleicht – hoffentlich - schaltet er jetzt, wo er festgestellt hat, ebenso verwundbar zu sein wie andere, mal einen Gang runter! Hey, das waren jetzt sogar drei gute Gründe!“ „Zackary Fair, verlass mein Büro. Auf der Stelle! Und für dich gilt dasselbe, Cutter! Lasst euch für den Rest des Tages nicht mehr hier blicken, sonst garantiere ich für Nichts!“ Gänzlich unbeeindruckt, aber gehorsam verließen die beiden erfolgreichen Attentäter immer noch Kichernd den Raum. Sephiroth schüttelte verärgert den Kopf, griff nach dem nächsten Antrag, begann zu arbeiten ... und hielt inne. Hojos Haare waren wirklich verdammt grün gewesen! (Die Mundwinkel des Generals begannen zu zucken.) Und dann die Augenbrauen ... und die Wimpern ... (Das Zucken wurde stärker.) Ob er versuchen würde, es zu überfärben? Garantiert! Welche Farbe wohl dann herauskommen würde? Gelb, vielleicht? Oder rosa? Der gefürchtete Professor Hojo mit rosafarbenen Haaren ... Zwei Sekunden später war es Sephiroth nicht länger möglich, die empfundene Heiterkeit zu unterdrücken. Er ließ sich in seinem Sessel zurücksinken und begann zu lachen. Hojo einen derartigen Streich zu spielen ... Hojo (!!), der sich für unbesiegbar hielt und die gesamte restliche Welt in tiefer Furcht und höchstem Respekt vor sich wähnte ... Unbemerkt in eines seiner Experimente einzugreifen, noch dazu im eigenen Labor ... Sie hatten Recht. Niemand verdiente etwas Derartiges mehr, als Hojo! Sephiroth lachte mehrere Minuten lang, und als er endete, fühlte er sich seltsam befreit. Kopfschüttelnd, aber dankbar machte er sich wieder an die Arbeit. Vor der Tür grinsten sich Cutter und Zack, die heimlich gelauscht hatten, vergnügt an. „Mission erfüllt!“, wisperte der 1st und erntete ein glückliches Nicken – wurde dann aber schlagartig ernst. „Cuttie ... du hattest recht mit dem, was du in meinem Appartement gesagt hast. Wir sind Sephs Freunde! Und als solche sollten wir wenigstens versuchen, ihm mit dieser verdammten Hojogeschichte zu helfen! Ab jetzt werde ich versuchen, rauszukriegen, wo dieser Bastard diese Daten über Seph lagert. Immerhin bin ich mit 98 % der ShinRa Belegschaft per Du. Irgendjemand muss was wissen!“ „Sei vorsichtig!“, wisperte Cutter zurück. „Und ruf mich, wenn du mich brauchst.“ „Na klar! Bis dann!“ Zwei Sekunden später trennten sie sich, um ihren gewohnten Platz im ShinRa Universum einzunehmen. Andere Leute hatten diesen Platz in ihrem eigenen Universum schon seit Tagen nicht mehr verlassen. Es war eines der typischen Probleme eines Zentrums: Alles bewegte sich um einen herum. Destins Gedanken bewegten sich allerdings nur um eins: Kaffee! „Weißt du, es könnte helfen, die Maschine einzuschalten.“ „Einschalten? Oh ja. Einschalten.“ „Destin“, Roger ließ die Zeitung sinken, „du brauchst mehr Schlaf.“ „Wie soll ich bitte schlafen, wenn alle anderen in Bewegung sind?“ Seine Stimme verdüsterte sich. „Alle anderen, die noch leben.“ „Gerade deshalb. Sie sind beschäftigt. Ruh dich aus. ShinRa ist momentan völlig bewegungsunfähig.“ „Deshalb dürfen wir nicht nachlassen.“ Er griff nach einer der zusammengerollten Karten und breitete sie auf dem Tisch aus. Sie zeigte eine Übersicht Gaias mit allen Makoreaktoren. Einige von ihnen waren durchgestrichen und mit einem Datum versehen worden. „Es sind genau so viele verschwunden, wie mir vom Planeten angekündigt wurde. Dann hat es aufgehört. Gaia hätte weitermachen können. Ihr steht jetzt mehr Kraft zur Verfügung als zuvor. Aber sie hat nichts mehr getan.“ „Was hast du vor?“, erkundigte sich Roger. Ihm war die seltsame, einen doppelten Boden verratende Betonung Destins nicht verborgen geblieben. „Hattest du wieder einen Traum?“ „Nein. Ich ... ShinRa ist schwer verletzt und ...“ Er verstummte. „Oh, jetzt sag nicht, dass du dir Sorgen um die Electric Power Company machst!“ „Nein! Doch. Nicht direkt um ShinRa. Aber um alle, die dort arbeiten. Es sind so viele Existenzen, Roger, und wir könnten sie alle zerstören. Hast du jemals darüber nachgedacht?“ „Nein. Besser andere, als ich. Destin, muss ich dich daran erinnern, was ShinRa mit unseren Techniker gemacht hat?! Muss ich wirklich?“ „Das waren Crescent und die Turks! Ein winziger Teil ShinRa´s! Hunderte von Leuten haben damit nicht das Geringste zu tun. Wenn wir gewinnen, sind alle Angestellten der Electric Power Company arbeitslos.“ „Verdammt, Destin, du kannst keinen Krieg gewinnen, ohne Opfer auf der Gegenseite zu verursachen.“ „Aber ich kann versuchen, die Zahl in Grenzen zu halten.“ „Wenn ShinRa die Möglichkeit hätte, dich und `Solar Solution´ mit einem Schlag auszulöschen, glaubst du, Rufus würde zögern? Nicht eine Sekunde! Die wollen dich und uns tot sehen, unter allen Umständen, uns alle! Und deshalb müssen dir gewisse Dinge egal sein!“ Destin schwieg einen Augenblick. Er verstand die Denkweise Rogers nur zu gut – weigerte sich aber, dieser zuzustimmen. Abgesehen davon ... dass nicht mehr Makoreaktoren zerstört worden waren, obwohl der Planet sie alle hätte vernichten können ... es musste einen Grund haben. Und eigentlich konnte es sich dabei nur um einen einzigen handeln. Immerhin waren sie alle Bewohner dieses Planeten! Destin öffnete eine Schublade, warf den darin liegenden Gegenständen einen nachdenklichen Blick zu ... dann griff er danach. Es wurde Zeit für eine erneute Kontaktaufnahme zwischen Solar Solution und ShinRa! Kapitel 47: Befreiungsschlag ---------------------------- Rufus Shinra liebte es, Dinge zu beeinflussen und zuzusehen, wie sie sich entsprechend seiner Vorstellung verwandelten. Dass die Dinge nicht immer damit einverstanden waren, kümmerte ihn entweder nie oder nur für wenige, unbedeutende Sekunden. Und so lehnte er auch Professor Hojos Antrag auf eine ab sofort durch SOLDIER stattfindende Bewachung des Laborbereiches ab (unterband gleichzeitig neue, diesbezügliche Anfragen), amüsierte sich insgeheim köstlich über die neue Haarfarbe des `Genies´ und nahm relativ gut gelaunt die Post entgegen. Diesmal befand sich ein ganz besonderes Schreiben darunter: Ein mit sonnengelbem Siegelwachs verschlossener Brief. Einen Moment lang überlegte Rufus, ob er ihn sofort und ungelesen vernichten sollte – dann siegte seine Neugier, und nur wenige Sekunden später kollidierte der Blick des Präsidenten mit per Hand geschriebenen, gut leserlichen und präzise formulierten Sätzen. Hiwako Destin teilte mit, dass der Planet vorerst keine weiteren Reaktoren vernichten würde und auf diese Art und Weise eine Kooperation mit Solar Solution vorschlug, in deren Verlauf die Energieversorgung der Bevölkerung Gaias ohne Ausnahme auf Solarplatten umgestellt würde. Zusätzlich wurde Rufus zu einem Treffen eingeladen, bei dem nähere Vorgehensweisen erläutert werden konnten. `In der unauslöschlichen Hoffnung auf baldige, erfolgreiche Zusammenarbeit verbleibe ich, mit freundlichen Grüßen, Ihr Destin.´ Fast hätte der Präsident der mächtigen Electric Power Company vor Wut mit den Zähnen geknirscht. Immer noch nichts gegen diese dreiste Person unternehmen zu können, bewegungsunfähig zu sein hinsichtlich einer solchen Frechheit, die nichts außer einer klaren und endgültigen Antwort verdiente ... Er beherrschte sich im letzten Augenblick und dachte an seine momentan einzige Hoffnung: Die Turks. Sie strichen pausenlos durch die Stadt, stets auf der Suche nach Hinweisen bezüglich Hiwakos derzeitigem Aufenthaltsort. Aber es gab keine Neuigkeiten. Ganz offensichtlich hatte sich Midgar gegen ShinRa verschworen, um die Chancen eines Sieges von `Solar Solution´ so hoch wie möglich zu halten, und momentan gab es keinen Joker, den Rufus hätte einsetzen können um die Situation zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Selbst Tzimmek war, obwohl ihre Fähigkeiten in vervielfältigter Form die Rettung gewesen wären, nutzlos, und Rufus wusste nicht, was die Abwehrreaktionen der Luna Lance hervorrief. Die Möglichkeiten waren zu zahlreich, und sein Instinkt sagte ihm nur, dass es momentan nicht möglich war, diese auszutricksen oder zu umgehen. Dazu kam, dass die Luna Lance bisher ausschließlich in Tzimmeks Händen gesehen worden war. Es musste so eine verdammte Blue Wanderer Sache sein. Irgendwas Mentales. Ob Jenova Projekt 1 darüber Bescheid wusste? Nein. Crescent kümmerte sich nicht um Mentalitäten. Crescent gab Befehle! Und wie sich andere bei deren Ausübung fühlten, kümmerte ihn nicht. Die Turks auf die junge Frau anzusetzen, wäre zu offensichtlich gewesen. Außerdem war davon auszugehen, dass auch diese eine Line besaßen. Wer konnte sagen, ob Tzimmek nicht der gesamten Einheit Fell verpassen würde? Von einem Haufen Katzen bewacht zu werden, war keine sonderlich beruhigende Vorstellung. Nein. Es musste noch eine andere Möglichkeit geben. Vorerst allerdings blieb nur, auf den Fehler zu warten, den sie irgendwann begehen musste. Jemandem wie Tzimmek unterliefen regelmäßig Fehler. Man musste nur den richtigen erkennen! Bis es soweit war, würde Rufus sie weiterhin dazu benutzen, die Stadt auf neue Reflektorenlines zu überprüfen. Auf diese Art und Weise konnte sicher gestellt werden, wann genau sich Solar Solution von dem durch `Silent Cry´ zugefügten Schaden erholt hatte. Vielleicht blieb genug Zeit, einen neuen Plan zu entwerfen und in die Tat umzusetzen. Ansonsten ... was einmal funktioniert hatte, klappte in der Regel auch ein zweites Mal. Rufus lächelte kalt, zerknüllte den Brief und ließ ihn in den Papierkorb fallen. Was auch immer Solar Solution plante, es würde weder unbemerkt, noch ungestraft bleiben! Gar nicht so weit von Rufus entfernt las Destin aufmerksam eine e-mail, die ihm den aktuellen Stand der neuen, noch in Ausbildung befindlichen Techniker mitteilte, und freute sich ehrlich über die gemachten Fortschritte. Diese Leute begriffen so schnell! Lange würde es nicht mehr dauern, bis die Bewegungsunfähigkeit von Solar Solution endete. Ob ShinRa diesem Moment zuvorkommen würde? Destin war nicht naiv genug, um glauben zu können, dass die Electric Power Company tatsächlich so bewegungsunfähig war, wie es schien. Mit Sicherheit fanden interne Vorgänge statt, die sich irgendwann in gewohnt aggressiver Form nach außen hin präsentieren würden. Ob diese Tzimmek Teil davon war? Es hatte Destin einiges an Zeit gekostet, aber mittlerweile war er im Besitz einiger die Lines betreffender Bücher. Seltsamerweise widersprachen sich viele der dortigen Informationen mit den Daten, die er unter der Hand über Tzimmek erfahren hatte. So sollte sie nicht nur in der Lage sein, die Welt der 2nd und 3rd Lines (beide Welten fanden in keinem der Bücher eine Erwähnung) zu bereisen, sondern auch, die Lines mit Hilfe des immer griffbereiten Stabes zu beeinflussen. Was Destin am meisten wunderte war, dass sie ihn noch nicht aufgespürt hatte. Ob mit seiner eigenen `Line´ etwas nicht in Ordnung war? Besaß er vielleicht gar keine? Sämtliche diesbezügliche an den Planeten gerichtete Fragen waren unbeantwortet geblieben und stellten Destin vor eine große Herausforderung: Zu vertrauen, ohne genau erkennen zu können, was vor sich ging. Irgendetwas musste der Planet getan haben. Ob sich irgendwann herausstellen würde, worum es sich dabei genau handelte? Ob es überhaupt wichtig war? Destin seufzte leise. Das Bewusstsein, von einer derart großen Macht beeinflusst zu werden, war, wenn er genauer darüber nachdachte, mehr als seltsam. Und auch, wenn diese Macht ihn nicht bedrohte, so würde er doch mehr als froh sein, bald wieder selbst etwas bewirken zu können. Nur noch wenige Wochen! „Ist das Wetter nicht der Hammer?“ Cutters Stimme klang restlos begeistert, gleichzeitig reckte und streckte sich die junge Frau, sah hinauf zum strahlend blauen Himmel und seufzte genießerisch. Der Frühling war nahtlos in einen Sommer übergegangen, der versprach, zu einem wahren Jahrhundertsommer zu werden und in dessen Luft das Versprechen von unzähligen bevorstehenden Abenteuern lag. Tagsüber flirrte die Luft vor Hitze. Nachts wehte ein beständiger, leichter und vor allen Dingen kühler Wind. Wer konnte, verbrachte die Tage im Schatten, schlief bei aktiver Klimaanlage (oder wenigstens bei geöffnetem Fenster) und versuchte ansonsten, sich so oft wie möglich in allen nur erdenklichen Varianten abzukühlen. Für Cutter, die missionstechnisch vollkommen ausgelastet war, hätten `Tage im Schatten´ bestenfalls in ihren Träumen finden können. Momentan allerdings hatte sie andere Dinge im Sinn. „Ich will schwimmen gehen!“ „Du bist im Dienst“, erinnerte Sephiroth pflichtbewusst wie üblich und ließ gleichzeitig seinen strengen Blick über den nahen See schweifen, auf dem einige der SOLDIER Kadetten mit Booten dabei waren, eine Trainingseinheit auf dem Wasser zu absolvieren – oder besser: Zu versuchen, diese zu absolvieren. Denn alles, was sie bislang präsentierten, war die Unfähigkeit, trotz des hohen Schwierigkeitsgrades im Team zusammenzuarbeiten (jeder wollte allein vor dem General glänzen), triefendnasse Kleidung und zunehmende Gereiztheit. So unzufrieden Sephiroth darüber war, so unbeeindruckt zeigte sich Cutter. „Ich will trotzdem schwimmen gehen!“ Sie ließ nicht locker. „Deine Kadetten dürfen!“ „Meine Kadetten“, grollte Sephiroth, „gehen nicht schwimmen, weil sie es wollen oder ich es ihnen gestattet habe, sondern weil sie nicht geschickt genug sind, zu begreifen, was ich von ihnen will und wie sie es anstellen sollen.“ „Und wenn sie sich nun absichtlich blöd stellen, um schwimmen zu gehen?“ „Da dies eine offizielle Mission darstellt und entsprechend benotet wird – von mir, wie du weißt – wage ich, deine Idee zu bezweifeln.“ Gleichzeitig unterdrückte er hinsichtlich der aktuellen Vorgänge auf dem See ein genervtes Stöhnen. Wenn sich nicht sehr, sehr bald ein Erfolg einstellte, würde er ... Ein anderes, in seiner unmittelbaren Nähe stattfindendes Vorgehen zog seine Aufmerksamkeit schlagartig auf sich. „Darf ich fragen, was du vorhast, SOLDIER?!“ „Ich will schwimmen gehen!“ „Du bist im Dienst, Zackary!“ „Ich will trotzdem schwimmen gehen! Deine Kadetten dürfen!“ Cutter begann vergnügt zu lachen. Sephiroth hingegen bemühte sich um eisige, erhabene Dominanz. „Zackary Fair, hör auf, dich auszuziehen und ... Sind das Chocobos auf deiner unerlaubterweise unter der Kleidung getragenen Badehose?“ „Ja, Sir! Süß, nicht? Hat mir Aerith geschenkt.“ „Sie hätte dir besser eine Leine mit Halsband schenken sollen! Und einen Pflock. Mit Hammer!“ „Und den passenden Hund kriege ich von dir? Ich wünsche mir einen Husky!“ „Zu dir würde eher ein Stragami passen!“ „Huh? Was ist ein Stragami?“ „Ein STRAßenGemArkungsMIschling! Und jetzt zieh dich wieder an!“ Zack sah mit weinerlichem Blick in Richtung Cutter. „Dein Freund und mein General ist heute wieder ganz besonders böse, kalt, herzlos, unausstehlich und gemein!“ Sephiroth lächelte genüsslich. „Nur zu Leuten, die es verdient haben!“ „Verdient“, grummelte Zack, „hätte ich eigentlich einen Sprung ins kühle Nass!“ „Ich auch!“, murrte Cutter. „Du warst nicht für diese Mission eingeteilt“, erinnerte Sephiroth. „Du bist freiwillig mitgekommen.“ Trotz aller Fakten schwang in seiner Betonung noch ein anderer Satz mir. `Um bei mir zu sein.´ „Richtig“, antwortete Cutter (sie hatte die Botschaft ganz genau verstanden), „und ich bin sehr, sehr gerne bei dir. Aber ich muss gestehen, bei dem Wort `Wasser´ nicht an `am Rand stehen und zugucken´ gedacht zu haben.“ „Dann denk bitte ab jetzt daran.“ Cutter machte ihr unglücklichstes Gesicht. Dann stahl sich ein vergnügtes Funkeln in ihre Augen. „Duhuuu, General Sephiroth?“ Der Angesprochene warf seiner Freundin einen warnenden Blick zu. Sätze, die mit `Duhuuu, General Sephiroth´ begannen, konnten unmöglich ernsthaft enden. Er sollte sich nicht irren. „Können wir die Kadetten nicht zur Strafe wegschicken und dann schwimmen gehen? Nur ganz, ganz kurz?“ Es war nur zu offensichtlich, dass Cutter genau zwei Dinge wollte: Schwimmen gehen – und mit ihrem Freund allein sein. Momentan allerdings war dieser, wie sein bestimmendes Kopfschütteln verriet, mehr General als Freund, und so blieb der jungen Frau nichts übrig, als das zu akzeptieren und sich entsprechend zu verhalten. Wenigstens für einen Moment. Sie seufzte leise und blickte wieder zum See. Wie herrlich das Wasser in der Sonne glitzerte, und wie grandios man jetzt darin hätte schwimmen können ... Aber wenn das nicht möglich war, vielleicht konnte man trotzdem etwas Lustiges damit anstellen? Cutter grinste, legte eine Hand vorsichtig an die Luna Lance, nahm Kontakt mit der Line des Sees auf ... Das Gesicht gehört zu den beweglichsten Komponenten des Körpers. Man kann sich noch so sehr anstrengen, irgendeine Reaktion auf äußere oder innere Vorgänge spiegelt es immer wieder. Manchmal kaum merklich, manchmal ganz offensichtlich. Die Gesichter der Kadetten auf dem See zeigten einheitliche Verblüffung, als ihre Boote schlagartig zu sinken begannen, weil sich das Wasser in grüne Götterspeise verwandelt hatte. Neben Sephiroth begann Zack schallend zu lachen. „Cuttie, gib ihnen noch ein paar Löffel! Vielleicht absolvieren sie ihre Aufgabe schneller, indem sie den See aufessen!“ Gleichzeitig zückte er sein PHS, um Beweisfotos zu machen. Der General selbst reagierte nicht sofort. Er sah auf den jetzt bis zum Rand mit essbarem Grün gefüllten See, die fast schon vollständig und ohne ersichtliche Gegenwehr untergegangenen Kadetten in ihren Booten ... und erst dann, ganz langsam nach rechts. „Bei spätestens `3´ befindet sich das Wasser wieder im Ursprungszustand und du dich auf der Flucht! Eins!“ Cutter quietschte auf, verwandelte den Wackelpudding wieder in Wasser (das sich augenblicklich kompromisslos über den Köpfen der Kadetten und deren tief eingesunkenen Booten schloss) und begann zu rennen. Bei `3´ war sie im an den See grenzenden Wald verschwunden. Sephiroth schüttelte innerlich den Kopf. Diese verflixte Cutter! Wie konnte man nur auf so eine verrückte Idee kommen?! Auf dem See waren die Boote mittlerweile wieder auf der Wasseroberfläche aufgetaucht, allerdings so ruckartig, dass ihr Inhalt nach einem unfreiwilligen, kurzen Flug einmal mehr im kühlen Nass paddelte – eine Ereignisreihenfolge, über die sich Zack gar nicht mehr beruhigen konnte und prompt die entsprechende Quittung seines Generals bekam. „Zackary, hör auf zu lachen, Fotos zu machen und Videos zu drehen! Steck das PHS weg, geh runter zu diesen nassen Möchtegernhelden und erkundige dich, ob sie mit den Begriffen `Teamwork´ und `Zeitplan´ etwas anfangen können. Jetzt!“ „Jawohl, mein General, Sir, Boss und Idol, dein treuer Diener hört und gehorcht sofort.“ Er entfernte sich immer noch vergnügt Kichernd. Sephiroth gestattete sich ein erneutes leises Stöhnen. Kinder! Alle miteinander! Wenn es so weiterging, sah er schwarz für die Zukunft von SOLIDER, rabenschw ... Sein PHS begann zu klingeln, und der General wusste ohne hinzusehen, wer ihn anrief. Manche Personen betreffend wusste er es immer ... Entsprechend gestaltete sich seine Begrüßung. „Phoenix, was hast du angestellt?“ „Sephy, komm her! Das musst du dir ansehen!“ – Klick - `Sephy´ stöhnte leise, schloss für einen kurzen Moment die Augen und ging seine Optionen durch. Cutter befand sich mitten im Wald, hatte aber wie immer die Luna Lance bei sich und war somit zu 99,9 % außer Gefahr. Was stand also höher? Die Chance, weiteren grandiosen Blödsinn (oder die Möglichkeit dazu) entdeckt zu haben, oder der Wunsch, ein wenig Zeit mit ihm allein zu verbringen? Bei Cutter war so gut wie alles möglich. Und abgesehen davon ... Obwohl wir jetzt öfter und länger zusammen sind, irgendwie ist es nicht genug. Warum ist es nicht genug? Ich kann nicht klar definieren, woran es liegt. Oder was ich möchte, und wie. Liegt das an mir? Oder an ihr? Manchmal, wenn sie mich ansieht, ist in ihrem Blick etwas, das ... Ich kann es nicht beschreiben. Als wollte sie mir etwas sagen, ohne selbst genau zu wissen, was es ist. Aber es scheint nicht bedrohlich zu sein. Dazu ist es zu klar. Es ... Wie kann man nur etwas sagen, ohne zu wissen, was man sagt?! Das ist mal wieder absolut typisch für sie! Ich sollte nicht darüber nachdenken (oder sollte ich noch mehr darüber nachdenken?), sondern mich auf die Mission konzentrieren und ... Er sah zu den mittlerweile im Halbkreis um den sprechenden Zack stehenden, tropfenden Kadetten - ein Bild wie geschaffen für den Begriff `Dauert noch´. Sephiroth zögerte eine letzte Sekunde, gebunden durch Pflichtgefühl ... dann packte er das PHS weg und setzte sich in Bewegung. Er musste sich nicht einmal konzentrieren. Die Verbindung mit Cutter lotste ihn, einem Leuchtfeuer in dunkler Nacht ähnelnd, vorwärts. Diesmal führte der Weg quer durch den sommerlich grünen, angenehm schattigen Wald, und es dauerte eine ganze Weile, ehe die Bäume den General wieder freigaben. Was sich ihm nun offenbarte, war eine sonnenüberflutete Lichtung. Hüfthohes Gras, bunte Blumen, surrende Insekten, tanzende Schmetterlinge. Tiefer Frieden. Etwas weiter entfernt und fast verdeckt durch das hohe Gras befand sich ein großer, flacher und länglicher Felsbrocken. Die in seiner Nähe schwirrenden Libellen verrieten ein Wasservorkommen. Sephiroth wandte den Kopf ... und runzelte flüchtig die Stirn. War die Hütte ihm schräg gegenüber schon vorher da gewesen? Sie war ihm gar nicht aufgefallen, so perfekt fügte sie sich in das Bild, schmiegte sich förmlich an den Waldrand. Der General durchquerte langsam die Wiese, kam näher und hielt schließlich inne. Es war nicht direkt eine Hütte. Vielmehr handelte es sich bei dem Objekt um ein kleines Haus mit lediglich einer Etage, ebenerdig angelegt, ganz aus Holz gebaut und daher schon baufällig, aber nicht ganz verfallen. Irgendjemand hatte irgendwann einmal hier gelebt. Unauffällig. Eine einfache Person, die keine großen Ansprüche stellte, die mit sich allein sein wollte um niemanden zu stören und nicht gestört zu werden ... Cutter tauchte hinter dem Hausrücken auf und kam auf Sephiroth zu, lächelte fast verlegen. „Halt mich für verrückt, aber ich glaube, das hier ist der schönste Ort, den ich jemals gesehen habe. Irgendwie ...“ „Magisch.“ Er kam sich hinsichtlich seiner Wortwahl für keinen Augenblick albern vor. Dieser Ort ... war nicht wie andere. Er schien mitsamt seiner ganzen Atmosphäre aus der restlichen Realität herausgelöst zu sein. Wie etwas, das sich nur Auserwählten offenbarte. Cutter nickte. „Ja, das dachte ich auch. Ich habe den Schlüssel gefunden. Wollen wir reingehen?“ Ein Schlüssel ... Ob er hier vom früheren Besitzer deponiert worden war in der Hoffnung, eines Tages zurückkommen zu können? Scheinbar hatte sich der Wunsch nicht erfüllt. Die Tür allerdings öffnete sich trotzdem, ein wenig schwerfällig und laut quietschend, aber sie tat es. Trockene, vom Wind durch die einst mit Glas bedeckten Fensterrahmen hereingewehte Blätter raschelten unter ihren Füßen und glitzernde Spinnweben bewegten sich im jähen Luftzug, als Sephiroth und Cutter einen Raum betraten, der mit einer dicken Staubschicht aus vergangenen Tagen bedeckt war. Es gab hölzerne, morsche Möbel. Eine Eckbank, einen Tisch, einige Stühle. Einen großen Kamin mit einem breiten Vorbau, auf dem man an kalten Winterabenden bestimmt wunderbar bequem mit einem heißen Getränk hatte sitzen und lesen oder sich unterhalten können. Oder, dachte Cutter unwillkürlich und errötete, ganz andere Dinge. Sie konnte nichts dagegen tun. Diese Gedanken kamen und gingen in unterschiedlicher Stärke, waren aber nie ganz verschwunden. Manche von ihnen ließen die junge Frau erschauern und ihre viel zu aktive Phantasie förmlich verfluchen – was diese nur zu noch aktiveren Bildern anstachelte. Dabei war das doch früher ganz anders! Ich habe nie an ... so was ... gedacht. Aber mittlerweile? Je mehr Zeit wir miteinander verbringen, je intensiver werden diese Gedanken, und ich ... glaube ich wäre nicht gerade unglücklich, wenn sie eines Tages wahr würden ... Tsss, das kommt davon, wenn man immer nur mit Kerlen auf Missionen geht, die sich hin und wieder mit blöden diesbezüglichen Sprüchen förmlich bombardieren! Und wenn man verliebt ist. In dich ... Und nicht genug kriegt von deinen Küssen und Berührungen ... Sie warf Sephiroth, der immer noch den ersten Raum inspizierte, einen vorsichtigen Blick zu und versuchte gleichzeitig, Gedanken und Gesichtsfarbe wieder unter Kontrolle zu bekommen. Letztendlich gelang es ihr. Und so trat sie an ihm vorbei in den winzigen Flur, der in eine kleine Küche führte. Auch hier gab es nur das Nötigste, eine Spüle aus weißem, mit Tausenden von Sprüngen versehenen Keramik, eine kleine Arbeitsfläche, Schränke deren Türen schief hingen oder bereits am Boden vermoderten. Am Ende des an der Küche vorbeilaufenden Flures gab es ein kleines Badezimmer, in dem sich allerdings nur eine verrostete Zinkwanne befand. Hinter der letzten Tür verbarg sich ein Raum, der ohne jeden Zweifel einmal als Schlafzimmer gedient hatte. So klein und renovierungsbedürftig alles war, es gab keinen Millimeter der nicht den unwillkürlichen Anschein vermittelte, irgendwann einmal von irgendjemandem mit Zuneigung förmlich überflutet worden zu sein. Wer auch immer hier gelebt hatte, er war an diesem Ort sehr, sehr glücklich gewesen. „Wenn man das wieder herrichten könnte, ohne den Zauber zu zerstören ...“, murmelte Cutter bewegt. Dann griff sie nach Sephiroths Hand. „Hast du den See schon gesehen?“ Er schüttelte den Kopf, ließ sich nach draußen führen und zu dem flachen Felsen, hinter dem die Libellen immer noch ihre flugtechnischen Kunststücke vorführten. Der See war nicht ganz so groß wie der, in dem die Kadetten hoffentlich mittlerweile etwas disziplinierter versuchten, ihre Aufgabe zu erledigen, aber viel fehlte nicht. Die Stimmung jedoch war eine gänzlich andere. Hier blühten Seerosen. Frösche quakten leise. Vögel kamen, um ihren Durst zu stillen. Und außerdem ... „Er ist ganz klar!“ Cutter stand am äußersten Rand des flachen Felsbrockens. Er ragte in den Teich hinein und hätte vielleicht einmal als Sprungmöglichkeit gedient haben können. „Hier gibt’s sogar Fische, siehst du?“ Sie sah kurz zu dem mittlerweile neben ihr stehenden Mann und begann mit der Luna Lance zu deuten. „Da ist einer ... und da hinten ... und ...“ Sephiroth hörte zu, war aber in Gedanken nicht ganz bei der Sache. Sein Instinkt versicherte ihm, hier mit seiner Freundin ganz alleine zu sein, und sie stand immer noch am äußersten Rand des Felsens, unter dem das Wasser tief genug war, um eventuellen Verletzungen vorzubeugen ... schwimmen konnte sie auch ... „... und da hinten ist sogar ein ...“ Weiter kam sie nicht. Die Berührung hätte keinesfalls als Stoß bezeichnet werden können. Es war vielmehr ein freundschaftliches Stupsen – aber völlig ausreichend. Cutter verlor den Halt und landete platschend im Wasser. Eine Sekunde lang blieb alles ganz still. Dann tauchte sie wieder auf, prustete, schüttelte energisch den Kopf, blinzelte das Wasser aus den Augen und sah zu gleichen Teilen entrüstet wie verblüfft zu dem immer noch am Rand des Felsens stehenden Sephiroth hinauf. „Du!“, jappste sie schließlich. „Du hast gesagt, du wolltest schwimmen.“ „Aber doch nicht mit der Uniform!“ Sephiroth grinste bewusst frech. „Davon hast du nichts gesagt ...“ „Na warte!“ Die Luna Lance hob sich aus dem Wasser, nahm Kontakt mit der Line des Felsens auf ... Sephiroth reagierte auf das Beben unter seinen Füßen mit der für ihn typischen Gelassenheit. „Nicht den Flügel benutzen!“, protestierte Cutter. „Du sollst dich von mir ins Wasser schütteln lassen!“ „Aber doch nicht mit der Uniform!“ Gleichzeitig ließ er sich tiefer sinken, verschränkte bequem die Beine ... und drückte Cutters Kopf mit einer Hand unter die Wasseroberfläche, ließ aber sofort wieder los. Auftauchen, erneutes, heftiges Schütteln ... „Warte nur, bis ich ins Flache komme!“ Sephiroth lachte vergnügt und tauchte sie ein weiteres Mal unter. „Du hattest Recht“, konstatierte er, nachdem Cutter wieder aufgetaucht war. „Den Flügel auf diese Art und Weise zu benutzen, macht wirklich Spaß.“ Cutter musste unwillkürlich lachen. Dann reichte sie ihm die Luna Lance, drehte sich auf den Rücken und begann langsam durch den See zu schwimmen. „Das Wasser ist toll! Willst du dich nicht doch von mir reinschütteln lassen?“ Und dann, verschmitzt grinsend: „Du könntest die Uniform ja vorher ausziehen ...“ Sephiroth, mittlerweile wieder auf dem Felsen sitzend, schmunzelte und schüttelte leicht den Kopf, blinzelte in die wärmende Sonne. So viel Licht. So viel Ruhe. So viel ... Frieden ... Kaum zu glauben, dass es so etwas in dieser Welt noch geben konnte. Aber es existierte. Und Cutter hatte es gefunden. Ich frage mich, wie sie das immer macht. Dinge und Fähigkeiten finden, die ausschließlich im Verborgenen existieren. Oder ... lassen sich diese Dinge finden? Kommen sie vielleicht sogar freiwillig zu ihr, weil sie spüren, von ihr nichts befürchten zu müssen? Cutter weiß genau, wie zerbrechlich und ungeübt diese Sachen sind. Ich, zum Beispiel. Meinem jetzigen Stand ging eine lange, harte Entwicklung voraus. Zu begreifen, dass es in meiner Nähe Personen gibt, deren Gegenwart sich für mich ... anders anfühlt, als die anderer. Diesen Zustand zu akzeptieren. Und auch, dass er mir behagt. Mit dieser Erkenntnis zu arbeiten, diese Nähe bewusst zuzulassen, sie selbst zu suchen, sich darauf einzulassen. Festzustellen, dass mir keine Gefahr droht. Die Distanz weiter zu verringern. Es war ein schwieriger Prozess. Und jetzt? Ich sitze hier auf einem Felsbrocken, blinzle in die Sonne, meine Freundin schwimmt im See unter mir (weil ich sie hineingeschubst habe), ich bewache ihre wichtigste sichtbare Waffe (weil sie mir diese anvertraut hat), und ich bin – und sei es nur für ein paar Minuten - ... glücklich. Eine Erfahrung, die er, wie ihm nur zu bewusst war, um ein Haar niemals hätte machen können. Dass sein letzter `Besuch´ im Labor nicht tödlich verlaufen war, hatte er nur Cutter zu verdanken. Ohne ihre Liebe und ihre wilde Entschlossenheit, sich einzumischen, um ihn zu retten, wäre er jetzt tot. Ihre Taten ... Sephiroth wusste, er konnte sich niemals dafür revanchieren, und er wusste, dass Cutter dies auch gar nicht verlangte. Nach wie vor wollte sie nur bei ihm sein. Weil sie ihn liebte. Sephiroth hatte sich lange über sein eigenes, nur gedachtes: `Ich liebe dich´ Gedanken gemacht, aber es war ihm nicht gelungen, daran irgendetwas Schlechtes oder Falsches zu entdecken. Da war nur der sachte glühende Wunsch, es ihr eines Tages zu sagen, nicht nur in Form einer Umarmung und deutlich gelockerter Grenzen, sondern mit Worten. Aber die Erfüllung dieses Wunsches setzte voraus, dass Sephiroth am Leben blieb. Und Hojo, das hatte dessen letztes Experiment überdeutlich bewiesen, war nicht nur fähig, sondern definitiv bereit, ihn zu töten. Es war einer der Nachteile von Erkenntnissen. Sie ließen einen nicht mehr los. Und so kreisten auch die Gedanken des Generals darum, suchten eine Landemöglichkeit, und scheiterten wieder und wieder. Was Zack und Cutter in Form dieses Hojo betreffenden `Farbunfalls´ getan hatten, war unpassend, kurios und gefährlich gewesen – und ein Volltreffer gegen Hojo! Er war angreifbar und verletzlich! Vermutlich war diese Klarstellung einer der Hauptgründe für die zurückliegende Tat gewesen, und die Botschaft war angekommen. Sephiroth war sich nicht erst seitdem bewusst, seinem langjährigen Peiniger körperlich völlig überlegen zu sein. Aber die körperliche Ebene war nicht das einzige Schlachtfeld. Viel komplizierter und intensiver gestaltete sich die mentale Ebene, denn hier war Hojo klar im Vorteil. Und er wusste es! Mit einer freiwilligen Kapitulation war, selbst nach einem körperlichen Sieg, nicht zu rechnen. Eine diesbezügliche Niederlage Hojos musste erzwungen werden. In Form einer Grenze, die der Professor nicht überschreiten konnte. Aber eine solche Grenze bedeutete auch, sich von all den so lange gesuchten Antworten zu verabschieden, womöglich für immer. Sephiroth wusste nur zu gut, dass es unter anderem genau dieser drohende Verlust war, der ihn daran hinderte, etwas zu unternehmen. Diese Antworten waren so wichtig! Aber gleichzeitig stellten sie auch Fesseln dar, die ihn unter den Händen des Professors fixierten. Und bei der nächsten Begegnung, das stand außer Frage, würden diese Hände den endgültigen Tod bringen. „Du grübelst, großer General.“ Er war zu tief in Gedanken versunken gewesen, um zu bemerken, dass Cutter näher gekommen war. Mittlerweile hatte sie die Arme auf den äußersten Rand der Felsplatte gelegt und sah zu ihm auf. „Hm“, machte Sephiroth leise. „Ich denke nach. Über mich. Und Hojo.“ Cutters Gesichtsausdruck verfinsterte sich augenblicklich. „Der Mistkerl!“ „Ja.“ „Du weißt nicht, was du tun sollst, oder?“ Und General Crescent, der sonst immer auf alles eine Antwort wusste .... schüttelte sachte den Kopf. Gleichzeitig wisperte er: „Ich will diese Antworten!“ Cutter schwieg einen Moment. „Weißt du“, sagte sie schließlich leise, „ich glaube immer noch daran, dass es letztendlich nur wichtig ist, wie man sich selbst sieht. Wenn man sich zu sehr von der Meinung anderer abhängig macht, verliert man irgendwann das Gefühl für sich selbst, und damit auch das Wissen um die Dinge, die einem wirklich wichtig sind.“ Sephiroth schmunzelte. Cutter so ernst sprechen zu hören, war seltsam – aber gleichzeitig bewies es, wie viele Gedanken sie sich darum gemacht haben musste. Weil sie ihn betrafen. Und, weil er ihr etwas bedeutete. Mehr als alle anderen. Aber dennoch ... „Du vergisst, dass es sich dabei um höchst genaue, wissenschaftliche Dokumentationen handelt.“ „Das habe ich nicht vergessen“, lautete die ruhige Antwort. „Es ist mir völlig egal! Jedes einzelne Wort dieser bescheuerten, höchst genauen, wissenschaftlichen Dokumentationen. Du bist nicht, was dieser Bastard in dir sieht, du bist, was du in dir siehst. Wenn du die Kraft findest, das zu akzeptieren, kannst du diese ganzen Hojo-Mist abhaken und dich selbst völlig neu definieren. Du kannst seine Macht über dich brechen, Sephy!“ „Sobald ich meine Antworten habe.“ Cutter wollte schon antworten, aber das Klingeln eines PHS kam ihr zuvor. Sephiroth nahm das Gerät aus der Tasche und warf einen Blick aufs Display. „Zack hat das Gedächtnis der Kadetten erfolgreich aufgefrischt. Gehen wir zurück.“ „Sephy“, begann Cutter leise – aber ihr Freund schüttelte den Kopf auf eine Art und Weise, die deutlich zu verstehen gab, schon genau verstanden zu haben, was sie sagen wollte. Dass möglicherweise keine Zeit mehr blieb, weiter nach den Antworten zu suchen, weil neue Pläne kurz vor der Umsetzung standen, Pläne, die ihn nicht beinhalteten, denn ansonsten wären Rufus und Hojo niemals das Risiko eingegangen, ihr Lieblingstestobjekt zu verlieren. Aber diese Antworten zu verlieren, stellte keine Option dar. Es musste noch eine andere Möglichkeit geben – und er würde sie finden! Er musste sie finden. Seine eigene, ganz persönliche Wahrheit, die so viele Dinge betreffend Klarheit schaffen würde. Cutter, die mittlerweile vor ihm stand, war, wie ihr Blick deutlich versicherte, allerdings immer noch anderer Meinung. Aber davon ganz abgesehen ... „Ich habe dich ins Wasser gestoßen und du bist völlig durchnässt. Bist du nicht wütend?“ Als Antwort ließ sich Cutter in die Hocke gleiten, grinste und umarmte ihn. „Nein. Außerdem bist du jetzt auch nass. Damit sind wir quitt.“ Sie ließ ihn los und erhob sich, griff gleichzeitig nach der Luna Lance, beeinflusste die entsprechenden Lines und war nur wenige Sekunden später wieder trocken. Sephiroth, der mittlerweile ebenfalls aufgestanden war, hätte seinen eigenen, auch nicht mehr ganz trockenen Zustand einfach hinnehmen können, aber ... „Was ist mit mir?“ Er hätte damit gerechnet, ebenfalls mit Hilfe der Luna Lance getrocknet zu werden. Aber stattdessen geschah etwas anderes. Cutter kam ihm wieder näher, legte ihre Hände auf das seinen Oberkörper bedeckende, durch die Sonne erwärmte, schwarze Leder und begann, die Wassertropfen auf der unbedeckten, hellen Haut wegzuküssen. Sanfte Berührungen, die nicht beherrschen sollten, es aber trotzdem auf eine völlig unerzwungene Art und Weise taten. Und jede einzelne von ihnen löste einen langsamen, warmen, tiefen Schauer aus, zu intensiv, um sich dagegen zu wehren. Das Gefühl ließ Sephiroth einfach völlig ruhig da stehen und die Massage mit halb geschlossenen Augen genießen. Irgendwann beendete Cutter die Bewegungen und schloss ihre Arme um seinen Körper, schmiegte sich an ihn und schloss die Augen. Es vergingen nur wenige Sekunden, ehe Sephiroth die Umarmung erwiderte. Es tat so gut, diesem quirligen, unberechenbaren Wesen nahe zu sein, so nahe, dass er ihren Herzschlag spüren konnte. Gleichzeitig nahm er wahr, wie ihre Gefühle auf ihn überzugehen begannen, und er wehrte sich nicht. Was er empfing, war, außer Liebe, eine ganz bestimmte Botschaft. Wäre Zack nicht gewesen, hätte ich mein dir gegebenes Versprechen gebrochen und Hojo getötet. Aber er war da. Und obwohl ich jetzt vollständig begreife, warum er mich aufgehalten hat und wie finster die Verbindung zwischen dir und Hojo wirklich ist, ich kann mein Versprechen in dieser Form nicht mehr aufrecht erhalten. Denn nächstes Mal wird er dich töten. Und deshalb werde ich ihn davon abhalten. Zwar nicht, indem ich ihn umbringe, aber er wird trotzdem nicht in der Lage sein, dir weh zu tun. Nie wieder. Das ist mein neues Versprechen an dich, Sephy. Und du kannst mich nicht umstimmen. Für einen kurzen Moment wusste Sephiroth nicht, wie er reagieren sollte. Cutter meinte es absolut ernst, daran hatte er nicht den geringsten Zweifel, gehörte sie doch zu den Leuten, die ein Versprechen weder leichtherzig gaben, noch brachen - aber gleichzeitig war ihm klar, dass er ihr Vorhaben durchkreuzen musste. Es war zu gefährlich, und die Konsequenzen zu weitreichend. Ein einfaches Verbot jedoch würde niemals genug sein. Und das hieß, es blieb nur eine einzige Möglichkeit. Ist es nicht seltsam?, dachte Sephiroth. So viele Jahre waren mir alle anderen Menschen so egal. Ich wollte, dass sie funktionieren, meine Befehle ausführen und mich ansonsten nicht belästigen. Und jetzt gibt es dich. Du bist mir so wichtig! Und Zack, dieser Idiot, der mir nicht auf dieselbe, aber ganz ähnliche Art und Weise auch wichtig ist. Ihr bereichert mein Leben. Und ich fühle mich beschenkt. Diese Seite an mir, deren Existenz ich immer zu leugnen versucht habe, die fast verhungert wäre, die ich so lange vernachlässigt habe ... Dank euch geht es ihr mittlerweile gut. Ihr gebt ihr die richtigen Impulse, um sich weiterzuentwickeln. Und ich habe akzeptiert, dass ich auch diese Seite leben kann. Es ist mir möglich, wenn auch das eine nur im Verborgenen, beides zu sein. General und Freund. Auch, wenn manche Fragen bis auf Weiteres ungeklärt und manche Kämpfe unausgefochten bleiben müssen - ich habe mich weiterentwickelt. So sehr, dass ich dich ... Cutter ließ ihn wieder los. „Übrigens, wenn du nachher aus dem Büro kommst, bin ich schon in deinem Appartement. Und ich habe dir was mitgebracht, und arbeite damit!“ „Und was“, erkundigte sich Sephiroth, bemüht, sich seinen Schmerz hinsichtlich der getroffenen Entscheidung nicht anmerken zu lassen, „ist `was´?“ „Kochzeugs!“ „Kochzeugs. Du kannst nicht kochen.“ Cutter lachte vergnügt. „Richtig, deshalb bringe ich auch einen Feuerlöscher mit, ich weiß nämlich nicht, ob ich alles richtig verstanden habe. Das Rezept ist von einer Frau aus den Slums. Wir waren gerade auf Mission, als sie gekocht hat, und es hat so gut gerochen ... Also hab ich mich abgesetzt – aber verrat das bloß nicht meinem General – und bin dem Duft nach. Die Köchin war total nett und hat mich probieren lassen, und es war total lecker, und dann hat sie mir sogar das Rezept gegeben und ... na ja, das gibt’s heute Abend! Äh, wenn ich´ s denn hinkriege.“ „Und wenn nicht?“ „Gibt’s Pizza.“ Sephiroth musste trotz seiner Trauer unwillkürlich lachen und gleichzeitig den Kopf schütteln. Situationen wie diese würden ihm so endlos fehlen! Dennoch musste er es tun. Es ging einfach nicht anders. „Phoenix“, begann er leise, „du ...“ Diesmal begann sein PHS zeitgleich mit dem von Cutter zu piepen. Eine SMS. Von Zack. `Nur für den Fall, dass ihr uns vergessen habt: Wir warten! Immer noch! Also, zieht euch was an und kommt zurück *grins*. Bis gleich!´ Sephiroths: „Ich bring ihn um!“, ging in Cutters vergnügtem Lachen völlig unter. Gleichzeitig aber ließ er sich von ihr an der Hand nehmen und vorwärts ziehen, durch die Wiese, bis zum Waldrand, wo Cutter jäh inne hielt und einen langen Blick zurück auf diesen seltsam entrückten Ort warf. „Denkst du, wir können mal wieder herkommen?“ „Ganz bestimmt!“, antwortete der General fest und beschloss zeitgleich, einen anderen Moment zu wählen, um Cutter über seinen gefassten Entschluss zu informieren. Warum er so handelte, konnte er allerdings selbst nicht genau sagen ... „Auf das Wiedersehen“, sagte Cutter mit mehr als einem Hauch Sehnsucht in der Stimme, „freu ich mich jetzt schon. Also ... bye bye, wunderschöne Lichtung. Bis hoffentlich bald!“ Sie verließen den Wald zu geschickt, um auch nur annähernd den Eindruck zu erwecken, Zeit zusammen verbracht zu haben, (ignorierten Zacks freches Grinsen) und begutachteten die neue, nach seinem `verbalen Spezialtraining´ durchgeführte Missionsbewältigung der Kadetten. Sie führte überraschend schnell zu einem positiven Endergebnis, und nur wenige Minuten später war die kleine ShinRa Truppe wieder auf dem Heimweg. Es fiel Sephiroth schwer, während der Fahrt im Jeep nicht zu Cutter hinüberzusehen. Die junge Frau hatte die Augen geschlossen, aber er konnte spüren, dass sie wach war, sehr nachdenklich, sehr entschlossen ... und sehr verliebt. Genau wie er. Und dennoch, dachte der General, werde ich dich noch im Laufe der nächsten Stunden weit, weit wegschicken. Um dich zu beschützen ... Du hast schon so viel für mich getan. Aber die Sache mit Hojo muss ich alleine klären, sonst werde ich die Heilung, die ich so verzweifelt suche, niemals finden. Und ich brauche sie. Dringend! Wenig später erreichten die Jeeps das HQ, und die Einheit zerstreute sich. Um keinen Verdacht zu erregen, trennten sich auch Cutter und Sephiroth sofort, und während die junge Frau mit einem Rezept in der Tasche das Appartement des Generals ansteuerte, betrat dieser sein Büro. Er hatte eben erst angefangen, Cutters Versetzung vorzubereiten, als das Telefon klingelte. Nur ein Standartklingelton. Aber der Instinkt des Generals schlug augenblicklich Alarm und ließ ihn ohne jeglichen Zweifel wissen, wer am anderen Ende der Leitung wartete. Hojo. Der letzte Ruf – denn nichts anderes würde es werden – kam zu früh, viel zu früh ... Sephiroth wandte den Kopf, betrachtete das scheinbar immer ungeduldiger klingelnde Telefon, streckte wie mechanisch die Hand aus ... und hielt wenige Millimeter vor dem Gerät inne, wissend, dass seine Gegenwehr hinsichtlich der kalten Stimme des Wissenschaftlers in sich zusammenfallen würde, wie ein Kartenhaus. Der General ballte die Hand zur Faust, ließ sie wieder sinken - und erhob sich fast ruckartig, griff nach Masamune und verließ das Büro. Ich bin nicht hier. Ich habe dieses Klingeln nicht gehört. Ich war ... unterwegs. Und mein PHS, auf dem du mich garantiert als nächstes zu erreichen versuchen wirst, habe ich im Büro vergessen. Auch ich kann Dinge vergessen. Ich ... Das ist kein `Kampf´. Ich laufe nur weg. Dabei will ich doch kämpfen, dich vernichtend schlagen und mir meine Freiheit nehmen. Aber dazu muss ich die Kraft finden, stehen zu bleiben und zurückzuschlagen. Er lauschte in sich hinein, auf der Suche nach dieser so ersehnten Kraft oder einer Strategie, um sie zu finden. Aber ihm begegnete weder das Eine, noch das Andere. Und so begann er, sich ziellos durch die Flure des HQs zu bewegen, auf der Flucht vor dem scheinbar Unentfliehbaren und sich selbst, bemüht, sich dabei nicht vorzukommen wie eine Laborratte in einem von oben einsehbaren Labyrinth, aber wissend, dass er momentan nichts anderes war. Er war in irgendeinem Stock des HQs angekommen, als seine ziellose Flucht endete. Durch ein einziges, hinter ihm ausgesprochenes Wort. Sein Name. Und Sephiroth erstarrte, als habe sich vor ihm ein endlos tiefer, unüberwindbarer Abgrund aufgetan. „Darf ich fragen“, erkundigte sich Hojo lauernd, „weshalb du weder im Büro bist, noch dein PHS bei dir trägst?“ „Verzeihung, Professor, ich habe ...“ Leises, höchst amüsiertes Kichern unterbrach ihn. „Du kannst mir nicht entkommen, mein Kleiner. Ich war dein Anfang und ich werde dein Ende sein. Und jetzt begleite mich ins Labor! Wir haben schon zu viel Zeit verloren, und gerade das heutige Experiment ist von größter Bedeutung!“ In seiner Stimme schwang ein weiterer, endlos finsterer Satz mit. `Weil es das letzte sein wird.´ Hojo wandte sich um und setzte sich in Bewegung. Und Sephiroth folgte ihm, so, wie er es auf seinen Ruf hin immer getan hatte, ergab sich abermals dem Zug der mentalen Ketten. Aber sein Blick hing wie gebannt an Hojos Haaren. Mittlerweile schimmerten diese in einem kranken, dunklen Lila. Der Anblick kratze heftig in der Wahrnehmung des Generals, erinnerte an die Angreifbarkeit seines Peinigers, krallte sich schließlich fest, wurde zu Schmerz und letztendlich zu Gedanken. Richtig. Du warst mein Anfang, du wirst zu meinem Ende, und die Zeit dazwischen gehört ebenfalls dir. Alles gehört dir. Und was ist mit mir? Er wurde langsamer, fast so, als würde jedes Quäntchen an Kraft für Überlegungen benötigt. Ich bin nicht mehr wie früher. Ich habe so viel über mich gelernt und es gibt, das spüre ich ganz deutlich, noch viel mehr über mich zu lernen. Und ich ... möchte lernen. Ich habe gerade erst angefangen zu erkennen, was ich noch alles will und brauche. Er blieb stehen, ruckartig, und in seinem Kopf entluden sich Emotionen mit Urgewalt. Ich möchte ... fühlen und verstehen, mich und andere, ohne mich hintergehen zu lassen. Ich möchte berührt werden und berühren. Ich möchte keine Angst mehr vor dir haben. Sondern frei sein! Ich will meine beiden Freunde nicht verlieren, indem ich sterbe. Ich möchte gut behandelt werden! Weil ich es verdient habe! Ich möchte Cutter im Arm halten können und glücklich dabei sein, und vielleicht möchte ich ihr sogar irgendwann so nahe kommen, wie es zwischen unterschiedlichen Körpern nur möglich ist. Du und das Labor steht zwischen all diesen Dingen. Und ich ... ich habe dich so satt, Hojo! Deine gesamte Existenz und die Art, wie sie mir Fesseln anlegt. Mein Leben gehört in meine eigenen Hände! Weil es mir gehört! Mir! Und du hast nicht das Recht, es mir weiter wegzunehmen! Ich ... erkenne ... es ... dir ... ab! Es war ein seltsamer Augenblick, in dem mehrere Dinge gleichzeitig geschahen, und das ausschließlich irgendwo tief in Sephiroth. Es war, als ströme jeder Funken jemals bezüglich Hojo empfundenen Widerwillens aus der Vergangenheit zurück in die Gegenwart, in diesen Moment, um zu purer Kraft zu werden, so leuchtend hell, dass sie schmerzte. Und in diesem Licht erkannte Sephiroth mit unwiderruflicher Klarheit, dass selbst er nicht immer alles bekommen konnte, was er wollte, ganz egal, wie wichtig es ihm gewesen war. Ab wann wurde `Sturheit´ zu `Dummheit´? Der General wusste es nicht. Aber er konnte deutlich spüren, wie er entschlossen die Fronten wechselte – in Form einer der bedeutendsten Entscheidungen seines Lebens. „Ich fürchte, Ihren Wunsch nicht erfüllen zu können, Professor.“ Hojo, siegessicher bereits etliche Schritte voraus, hielt inne, wandte den Kopf und wisperte mit einer Stimme, die an aneinanderreibende Rasierklingen erinnerte: „Vorsicht, mein kleiner Sephiroth!“ „Nein.“ Jetzt lächelte er. „Sie sollten vorsichtig sein. Extrem vorsichtig.“ „Du willst dich nicht wirklich mit mir anlegen! Komm jetzt mit, und ich will noch einmal Gnade walten lassen hinsichtlich deines Ungehorsams!“ Zu seiner Irritation begann der Mann vor ihm zu lachen. Leise. Aber höchst amüsiert. „Dann sollte ich mich wohl beeilen, bevor du dein großartiges Angebot zurückziehst? Ich werde nicht mitgehen!“ Sein Bewusstsein schien förmlich vor Entschlossenheit zu glühen. „Und jetzt entschuldige mich! Ich habe zu tun.“ Ihm war völlig klar, dass es unmöglich schon vorbei sein konnte, und er wunderte sich über die ihn unter all der Kraft erfüllende Ruhe. Es war, als habe er diese Situation schon Dutzende von Malen durchgespielt und nur auf den richtigen Moment gewartet, um sie umzusetzen. Jetzt war es soweit. Der ultimative Kampf war eröffnet. Es gab kein Zurück. Nur noch vorwärtstreibende Reaktionen. Sephiroth wandte sich um und setzte sich in Bewegung, alle Sinne gespannt, die nächste Handlung seines Gegners erwartend. Hojo brauchte einige Sekunden, um die Stärke der sich ihm präsentierenden Gegenwehr korrekt einzuordnen und die nächste Aktion zu planen. Rufus hatte klare Anweisungen gegeben. Die Existenz von Jenova Projekt 1 war für die Electric Power Company nicht mehr von Nutzen und sein Tod beschlossene Sache. Hojo hatte nicht vor, diesbezüglich zu versagen! Noch mochte sich sein Opfer wehren, aber schon sehr bald würde dessen Körper nicht mehr mitspielen. Dazu bedurfte es lediglich einer simplen und doch sehr effektiven Behandlung. Es gab keinen Millimeter dieses Körpers, den Hojo nicht schon genauestens berührt und untersucht hatte. Er wusste, wie Sephiroth funktionierte – und, wie leicht man dieses komplexe Zusammenspiel zum Stillstand bringen konnte. Der Professor brauchte nur wenige Sekunden, um die Distanz zwischen sich und seinem Ziel zu überwinden und dieses zu berühren. Mehr war nicht nötig, um es daran zu erinnern, wozu diese Hände fähig waren, welche Qualen sie bei einer Nichtbeachtung der erteilten Befehle auslösen konnten. Vor allen Dingen aber reichte bei Sephiroth der geringste Kontakt, um seinen Körper in eine Schockstarre zu versetzen. So war es auch jetzt. Die Vorwärtsbewegung erstarrte, die urplötzliche Verkrampfung setzte ein. Hojo lächelte. Es war so einfach. Sephiroth hatte mit dem Einsatz der mächtigsten Waffen seines Gegners gerechnet. Und so waren Körper und Geist auf die jäh aufsteigende Kälte und die heranstürmenden Erinnerungen vorbereitet. Für gewöhnlich weckten diese Resignation und Angst. Diesmal jedoch entfesselten sie pure Wut, geboren aus unzähligen ungewollten Berührungen dieser Hände. Die Reaktion erfolgte mit der Schnelligkeit und Entschlossenheit eines Wesens, das es leid war, eine Wahl aberkannt zu bekommen. Es dauerte nur eine Sekunde. Aber sie war erfüllt von schnellen, entschlossenen Bewegungen, und als sie endete, hatte sich die Situation grundlegend verändert. Hojo befand sich noch immer in einer aufrechten Position. Aber seine Füße berührten nicht mehr den Boden. Jetzt zappelten sie hilflos in der Luft. Das Gefühl, abzustürzen bemächtigte sich seiner Sinne, ließ seine Hände auf der Suche nach einer Möglichkeit zum Festhalten hektisch durch die Luft fuchteln, und erst beidseitiger, scharfer Schmerz schuf genug jähe Klarheit, um festzustellen, dass er keineswegs fiel, sondern gegen die Flurwand gedrückt wurde. Allerdings waren es keine Hände, die ihn festhielten. Sondern eine lange, dünne Klinge. Sie lag horizontal zu seinem Körper, genau unter seinem Kinn, die scharfe Seite zum Hals hinzeigend und in Kontakt mit demselbigen. Eine falsche Bewegung und sie würde eine neue Atemöffnung schaffen. Hojo hörte auf zu zappeln. Es war ein seltsamer Augenblick. Der, den Sephiroth so lange Zeit ersehnt, für den er durchgehalten hatte. Jetzt war er da. Hojos Schicksal lag in seinen Händen. Und so sehr der General es beenden wollte, langsam und qualvoll, so klar stieg eine neue Empfindung in ihm auf. Klare, kalte und höchst erheiterte Gier. Sie lehnte sich bequem zurück und fragte: `Warum jetzt schon? Was ist der Tod, was die Qual, im Gegensatz zu der Angst vor Tod und Qual?´ Einige Sekunden vergingen in völliger Bewegungslosigkeit. Dann hob Sephiroth den Kopf. Langsam. Und konfrontierte Hojo mit grün glühenden Augen, in denen nicht die geringste Spur irgendeines Gefühls zu erkennen war. „Wie fühlt es sich an, zur Abwechslung mal selbst dem Willen eines anderen ausgeliefert zu sein, Hojo?“ Seine Stimme war nur ein Flüstern. Seine linke Hand hielt Masamune und das zusätzliche Gewicht mühelos, seine rechte Hand ruhte nur wenige Zentimeter neben Hojos Kopf. „Ist es spannend? Aufregend? Ab sofort bist du mein Experiment!“ Er verstärkte den Druck der unvergleichlich scharfen Klinge gegen den wehrlosen Hals ein wenig, und lauschte nur einen Sekundenbruchteil später fast verzückt dem zu gleichen Teilen erschrockenen, wie flehenden Wimmern – ein gutes, schon seit so langer Zeit herbeigesehntes Geräusch. `Töte ihn!´, wisperte der Instinkt des Generals. `Töte ihn, und es ist vorbei!´ `Lass ihn am Leben!´, wisperte die sonst in feste Ketten gelegte Gier des Generals. `Lass ihn am Leben, und du kannst dieses Geräusch so oft hören, wie es dir beliebt!´ Und Sephiroth verhielt bewegungslos, hin und hergerissen zwischen den Wunsch, sofort zu töten und dem Wunsch, endlos lang zu quälen. Er wollte beides, so sehr, dass es schmerzte. Ihm gegenüber gelang es Hojo, sich trotz seiner misslichen Lage zu etwas ähnlichem wie Ruhe zu zwingen. Immerhin war er ein Genie! Genies gerieten niemals in Panik! Sie waren ruhig und überlegt und ... Sephiroth hätte ihn mit einem Schlag töten können. Warum zögerte er? Ah ... Es war wohl an der Zeit, seine Befürchtungen zu bestärken. „Wenn du mich tötest, wirst du deine Antworten nie bekommen!“ „Behalte sie, Hojo!“ In seiner Stimme lag nichts außer Verachtung. „Ich bin nicht länger daran interessiert. Dasselbe gilt für deine Anweisungen. Ich beende deine Herrschaft über mich!“ Er lehnte sich nach vorne, bis sich seine Lippen genau neben dem rechten Ohr des Professors befanden, und wisperte: „Ich ... spiele ... nicht ... mehr ... mit! Hast du das verstanden?“ Die Tatsache, sich Auge in Auge mit dem Tod zu befinden ... das Bewusstsein, absolut wehrlos zu sein, hilflos hinsichtlich dieser konzentrierten, reinen Kraft, die gnadenlos zuschlagen würde, all das gemischt mit der fast schon irrsinnigen Hoffnung, das eigene Ende durch die richtige Antwort noch etwas hinauszögern zu können ... Niemals zuvor hatte sich Hojo in einer ähnlichen Situation befunden. Und so trat etwas auf den Plan, das er sonst nur von seinen Testobjekten kannte (und für gewöhnlich belächelte): Der Selbsterhaltungstrieb. Er schaltete Sturheit und rationales Denken, Arroganz und Überheblichkeit aus. Und ließ nur eine einzige Antwort zu. „Ja.“ „Ja – was?!“ „Ja, Sir.“ Sephiroths Lippen kräuselten sich in einem mehr als spöttischen Lächeln. Er streckte die Hand aus und tätschelte Hojos Wange. „Braver Junge.“ Dann griff er ohne hinzusehen in die Tasche des weißen Laborkittels und entnahm diesem ein winzig wirkendes Gerät, hielt es so, dass Hojo es problemlos sehen konnte, ballte die Hand ruckartig zur Faust, und öffnete sie wieder. Zersplittertes Plastik und elektronische Einzelteile fielen zu Boden. Nur einen halben Herzschlag später wich Masamune vom Hals des Professors zurück, zu plötzlich, um Hojo Gelegenheit zu geben, sich auf den Fall vorzubereiten. Entsprechend `elegant´ gestaltete sich die Landung. Sephiroth wich zurück, ließ Masamune zurück in die Schutzhülle gleiten, wandte sich um und verließ den Flur, ohne sich ein letztes Mal umzusehen, seinen Instinkt ignorierend, der ihm versicherte, gerade einen großen Fehler begangen zu haben. Hojo blickte ihm, gefangen in einer bisher unbekannten geistigen Betäubung, nach, und versuchte gleichzeitig festzustellen, was mehr schmerzte: Sein geschundener Körper oder sein verletzter Stolz. Niemals zuvor hatte es irgendjemand gewagt, ihn auf eine derart respektlose Art und Weise zu behandeln! Niemand! Und jetzt erdreistete sich ausgerechnet dieses fehlgeschlagene Experiment ... Ganz offensichtlich war es an der Zeit für etwas Erziehung. Hojo warf der zerstörten Fernbedienung vor sich einen finsteren Blick zu. Unbrauchbar. Aber nicht das einzige Exemplar! Er kam wieder auf die Füße und steuerte den nächsten Aufzug an. Noch mochte sich Jenova Projekt 1 wie ein Sieger fühlen. Aber in spätestens 5 Minuten würde er schreiend vor Schmerz auf allen Vieren ins Labor gekrochen kommen! Hojo lächelte finster. Niemand außer ihm wäre in der Lage gewesen, Sephiroth derartige Qualen anzutun, ohne ihn direkt zu berühren. Aber das unterschied ein Genie von einem Versager. Ein Versager ließ sich von Grenzen einengen. Ein Genie würde sie immer überwinden. Und ich, dachte Hojo selbstgefällig, bin ein solches Genie ... Genieß deinen Triumph, mein kleiner Sephiroth. Er wird nicht mehr lange dauern. Ich werde dich langsam zu mir kommen lassen ... ganz langsam ... deine Schreie werden wie Musik in meinen Ohren sein. Ich werde diese Musik dirigieren. Und es genießen! Die Türen des Fahrstuhls öffneten sich. Hojo verließ die Kabine, eilte durch etliche Flure, betrat sein Labor und ließ sich hinter dem Laptop nieder. So sehr er Computern misstraute, hin und wieder stellten sie sich als durchaus nützlich heraus. Dieser hier war (unter anderem) quasi der große Bruder des im Flur zerstörten kleinen Gerätes und somit ebenso in der Lage, Kontakt zu dem in Sephiroths Nacken implantierten Chip herzustellen. Mehrere der zahlreichen Sonderfunktionen desselbigen würden schon sehr bald aktiv werden ... Hojo startete das entsprechende Programm, das ihm bereits nach wenigen Sekunden den Aufenthaltsort der gesuchten Person vermittelte. Sephiroth befand sich in seinem Appartement. Vermutlich fühlte er sich dort sehr, sehr sicher. Hojos Lächeln gewann an Kälte. Dann bewegte er die Maus über ein kleines Menü und verschob einen Regler wenige Millimeter nach oben ... und dann, ruckartig nach oben bis zum Anschlag. Verletzter Stolz und wilde Rachegelüste ließen keine Alternative zu. Fühlst du dich jetzt immer noch so stark, mein Kleiner? Er warf dem Bildschirm einen letzten Blick zu und sah zur Tür. Mit Sicherheit würde es einige Zeit dauern ... aber Sephiroth würde kommen. Er würde durch diese Tür kriechen, von Schmerzen gefoltert, die nur Monster nicht die Besinnung verlieren ließen, und ihn anflehen, es zu beenden. Und er, Hojo, würde Lächeln. Und es genießen. Die Vorfreude war unbeschreiblich. Mehrere Minuten vergingen, aber nichts geschah. Weder erklangen die erwarteten Geräusche, noch öffnete sich die Tür. Irgendwann warf Hojo einen irritierten Blick auf den PC Monitor ... und erstarrte. Der den Chip anzeigende Lichtpunkt war verschwunden. Die Folter lief ins Leere. Für einen langen Moment konnte der Professor nur ungläubig den Bildschirm anstarren. Eine Lüge! Nur das konnte es sein! Das Programm hatte eine Störung! Verdammter Computer! Er führte einen Neustart durch. Und danach noch einen und noch einen. Aber das Bild änderte sich nicht. Das ausgelöste Signal fand keinen Empfänger. Der Chip war nicht mehr dort, wo er hingehörte. Und somit ... nutzlos. Hojo holte tief Luft. Dann öffnete er eine weitere Schublade, entnahm ihr eine Waffe, entsicherte sie mit ungeübten Bewegungen und verließ zu gleichen Teilen entrüstet wie schockiert das Labor. Im Badezimmer seines Appartements stand Sephiroth vor dem Waschbecken und starrte auf die Bruchstücke des mit Masamune zertrümmerten Chips. Gleichzeitig fühlte er immer noch warmes Blut über seinen Rücken laufen. Es würde wohl noch etwas dauern, ehe sich die Verletzung ... das Loch in seinem Nacken wieder geschlossen hatte. Aber alle Schmerzen und alles Blut waren bedeutungslos hinsichtlich des zerstörten Chips. Einen Elektroschocker in diesen Fremdkörper einzubauen ... Nur ein wahnsinniges Genie wie Hojo konnte auf eine derartige Idee kommen. Gewirkt hatte sie nicht, die letzte, die allerletzte nichtgenetischen Verbindung zu Hojo. Die letzte Kontrollmöglichkeit. Jetzt war sie verschwunden. Und mit ihr die letzte Möglichkeit, ihn zu zwingen, ins Labor zurückzukehren. Ich war schneller, dachte Sephiroth und spülte die Reste des Chips in den Abfluss. Ich war schneller ... Und erst in der diesem Moment, als die Stille zurückkam, wurde ihm vollends bewusst, was er getan hatte. Ich habe Hojo besiegt. Ich habe ihn wirklich besiegt. Ich werde nie wieder ins Labor gehen. Er wird mich nie wieder anrühren. Nach all den Jahren. Ich habe ... gewonnen. Die Erkenntnis war so stark, dass sie ihn in völliger Bewegungslosigkeit verharren ließ. Erst nach einer ganzen Weile tastete er vorsichtig nach der Verletzung an seinem Nacken. Der Heilungsprozess hatte bereits eingesetzt. In ein paar Stunden würde dort wieder nichts außer makelloser Haut sein. Sephiroth säuberte sich von den letzten Blutspuren und öffnete die Badezimmertür. Cutter stand nur wenige Meter von der Tür entfernt, die Luna Lance in der Hand haltend, und sah ihm entgegen. Ihr Blick verriet Angst und Verwirrung, aber auch große Sorge. Nachvollziehbar, dachte Sephiroth. Ich bin an dir vorbeigestürmt und habe dir nur gesagt, du sollst mich nicht stören. Ich ... sollte wohl Entwarnung geben. „Es ist vorbei.“ Seine Stimme klang leise, aber die ihr innewohnende Schwere war unüberhörbar. Cutters Gedanken begannen augenblicklich zu rasen – und legten nur wenige Sekunden später eine Vollbremsung hin. Imaginäre Reifen quietschten. Rauch stieg auf. Und mitten in diesem Rauch ein Name. Den Cutter erst nach etlichen Sekunden völliger Stille auszusprechen vermochte. Mit leiser Stimme, der so viel Hoffnung inne wohnte, dass sie zitterte. „Hojo?“ Und Sephiroth ... nickte. Nur einmal. Sachte. Fast so, als könne er selbst es immer noch kaum glauben. Die Ruhe hielt noch genau drei Herzschläge an. Dann stieß Cutter einen begeisterten Schrei aus, ließ die Luna Lance fallen, stürmte auf ihren Freund zu, sprang an ihm hoch, schloss die Arme fest um seinen Hals und jubelte: „Du hast es geschafft, du hast es wirklich geschafft! Du hast diesen Mistkerl besiegt! Wie? Erzähl, erzähl, erzähl!“ Und Sephiroth begann zu erzählen. Rufus ShinRa war gerade dabei, einen höchst geheimen Bericht der Turks zu lesen, als sich die Bürotür öffnete und Hojo den Raum betrat, sich lauernd umsah und zum Schreibtisch eilte. „Mr. President, Sie sollten die Turks hierher rufen! Alle!“ Rufus hob nicht einmal den Kopf. „Ist das der lächerliche Versuch, mir einen Befehl zu erteilen, Professor?“ „Mitnichten, Mr. President. Es geht mir einzig und allein um Ihre Sicherheit.“ Rufus´ bis dahin noch relativ gute Laune begann schlagartig zu sinken, brachte ihn aber immer noch nicht dazu, den Kopf zu heben. „Ich verstehe. Sie haben einen Fehler bei der Vernichtung von Jenova Projekt 1 gemacht.“ „Ich würde es nicht unbedingt `Fehler´ nennen. Es ist mehr eine Art ... unbedeutender Zwischenfall.“ „Er scheint bedeutend genug zu sein, um hierher zu kommen. Ich höre!“ Hojos Selbstbeherrschung schwankte. Dasselbe galt für seine verbale Ausdrucksfähigkeit. „Jenova Projekt 1 hat sich meinem Willen widersetzt! Und mich verletzt!“ Er zeigte anklagend seine Hände, auf denen die Schnittverletzung immer noch deutlich zu erkennen war. „Ich kann so nicht arbeiten!“ „Das ist Ihr Projekt, Hojo!“ Es klang durch und durch gelangweilt. „Weisen Sie ihm seine Schranken! Und jetzt fangen Sie ihn wieder ein und beenden seine Existenz!“ „Das ist ... derzeit nicht möglich. Aber ich versichere Ihnen, es ist nur eine Frage der Zeit ...“ Jetzt hob Rufus den Kopf. Langsam. Richtete den Blick fest auf den Mann im weißen Laborkittel. Und wisperte: „Sie wollen mir nicht sagen, dass Sie die Kontrolle über Jenova Projekt 1 verloren haben!“ „Mitnichten. Ich lasse ihm nur etwas Spielraum, bis ...“ „Hojo!? Wenn ich Ihnen jetzt befehlen würde, ihn herzubringen, wären Sie dazu in der Lage?!“ „Derzeit dürfte es kaum machbar sein, Sir, aber ...“ „Sie haben ihn verloren. Sie haben die tödlichste Waffe dieses Unternehmens verloren! Wo war Ihr Notrufsender?! Ist Ihnen klar, dass jedes verfügbare Armymitglied sich sofort in Bewegung gesetzt hätte?!“ „Ich sende keine Notrufe aus! Nicht wegen ... einer solchen Lappalie!“ „Verstehe. Vermutlich tragen Sie auch genau aus diesem Grund eine geladene Waffe mit sich herum! Sie und ich stehen auf der ersten Position der Todesliste dieses Mannes, die S-1 Einheiten können uns noch nicht beschützen, und jetzt ist er frei! Aufgrund Ihres Versagens! Das ist mehr als eine Lappalie, das ist ein Grund für die fristlose Entlassung!“ „Sie können mich nicht entlassen! Ich bin ein Genie!“ „Sie sind ein Idiot! Der uns beide, inklusive der gesamten Electric Power Company, in Gefahr bringt! Weshalb haben Sie nicht den Chip benutzt?“ „Er wurde entfernt.“ „Oh, natürlich. Wie unaufmerksam von mir! Das haben Sie also zusätzlich zugelassen! Ist Ihnen eigentlich klar, dass ich Ihnen über die Hälfte Ihres Gehaltes zahle, damit Sie Jenova Projekt 1 unter Kontrolle halten?! Haben Sie auch nur den blassesten Schimmer, wie viele Aggressionen dieser Mann uns gegenüber aufgebaut hat?“ „Die Vorgänge im Labor haben auf Ihre Anweisung hin stattgefunden!“ „Ich bezweifle, alle Vorgänge angewiesen zu haben!“ „Bezüglich Jenova Projekt 1 haben Sie mir nie Grenzen gesetzt!“ „Dass Sie dieses Wort aussprechen können, ohne daran zu ersticken!“ Einen kurzen Moment lang gestatten sich beide Männer, einander hasserfüllt anzufunkeln. Keiner war bereit, auch nur einen Bruchteil der im Raum stehenden Schuld für sich zu akzeptieren. Jenova Projekt 1 war schon immer ein Risiko gewesen, aber jetzt war er ein entfesseltes Risiko ... „Warum hat er mich nicht getötet? Warum ist er nicht längst hier?!“ „Sie haben wirklich keinerlei Ahnung von Psychologie. Er will spielen. Uns in ständiger Alarmbereitschaft halten. Wir sollen ihn hinter jeder Ecke erwarten, und mit ihm unseren Tod. Aber den Gefallen werden wir ihm nicht tun!“ Er schwieg einen Augenblick. „Hat er irgendetwas von seinen heißbegehrten Antworten gesagt?“ „Er will sie nicht mehr.“ Diese Aussage beschwor etliche Sekunden der Stille herauf. Meinte Jenova Projekt 1 es mit dieser Aussage ernst? Es gab genug Gründe, die dafür sprachen – und genau dieselbe dagegen sprechende Anzahl. Aber woher kam dieser plötzliche Sinneswandel? Oder handelte es sich nur um ein geschicktes Täuschungsmanöver? Fragen, auf die es noch keine Antwort gab. Und die vielleicht auch gar nicht wichtig waren. Denn ... „Laut Ihren Dokumentationen dauert es bis zur Fertigstellung der S-1 Einheiten nur noch ein paar Wochen. Bis es soweit ist, spielen wir sein kleines Spielchen mit! Wir lassen ihn in dem Glauben, gewonnen zu haben, und erledigen ihn dann mit Hilfe der S-1 Einheiten! Sie gehen jetzt zurück ins Labor und setzen Ihre Arbeit fort, und vergessen Sie nicht: Sie haben Angst! Ich werde die Sicherheitsmaßnahmen für den Laborbereich entsprechend verstärken.“ Hojo lächelte zufrieden und verließ das Büro. Rufus blieb allein und in tiefer Nachdenklichkeit zurück. Er hätte es niemals zugegeben, aber im tiefsten Grunde seines Herzens gehörte die aktuelle Situation zu den am meisten gefürchtetsten. Und jetzt traf sie zu. Jenov ... Crescent war frei. Und Rufus konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob dessen Pläne wirklich so durchschaubar waren, wie angenommen. Denn so detailliert der Körper dieses Mannes erforscht worden war, so wenig Wert war auf seinen psychologischen Zustand gelegt worden. Und jetzt ... ... kann ich ihn nicht einschätzen. Ich habe keine Ahnung, was er als nächstes tun wird. Ich weiß nur, dass ich ihn kaum aufhalten kann. Crescent ist zu schnell, zu stark, zu schlau. Genau, was ich wollte. Was ShinRa brauchte. Und vielleicht, was uns vernichten wird. Aber noch ist der Kampf nicht entschieden. Crescent wird seine neue Freiheit genießen wollen, sofern er dazu gefühlstechnisch in der Lage ist. Aber letztendlich werden ihn die S-1 Einheiten erledigen! Nicht mal sein Schwert wird ihn retten können! Er lehnte sich ein wenig entspannter zurück. Ja. So leicht würde sich ShinRa nicht ergeben! Keinem Hiwako Destin, keinem Planeten und erst recht keinem ... Ding wie Crescent! „Du hast es geschafft ...“ Cutters Stimme war nur ein Flüstern. „Du hast es wirklich geschafft!“ Sephiroth hätte leicht genervt nachfragen können, wie oft sie diese Aussage noch machen wollte. Aber er fühlte sich nicht genervt. Und im tiefsten Grunde seines Herzens wollte er diese Worte immer wieder hören. Als sei jedes einzelne dafür vorgesehen, den jetzigen Zustand zu verstärken. Wie ein mächtiger, unüberwindbarer Zauberbann. Und so stützte er nur den Kopf mit auf der Rückenlehne der Couch liegenden Arm ab und sah schweigend zu der neben ihm sitzenden Cutter hinüber. Ich muss dich nicht wegschicken, dachte er irgendwann. Ich darf dich doch behalten ... „Aber kannst du deine Antworten wirklich aufgeben?“, erkundigte sich seine Freundin eben leise. „Du gibst sonst nie auf. Du hast so hart dafür gekämpft. Und sie existieren immer noch irgendwo.“ „Das ist wahr“, antwortete er ebenso leise. „Aber eine mitunter sehr weise Person hat mir erst kürzlich gesagt, dass es besser ist, sich nicht zu sehr von der Meinung anderer Leute abhängig zu machen. Abgesehen davon ... auf dem Schlachtfeld nennen wir diesen Moment, in dem man erkennt, auf verlorenem Posten zu kämpfen `Pointless Battle´. Es ist eine der unvorteilhaftesten Situationen, in die man beim Kampf geraten kann, denn oft bleibt einem keine Zeit mehr, eine neue Strategie anzuwenden. Ich hatte noch Zeit. Nicht viel. Aber genug um eine Entscheidung zu treffen. Und ich habe mich entschieden.“ Vielleicht, fügte er in Gedanken hinzu, ergibt sich doch noch irgendwann die Chance ... Aber für jetzt war es die richtige Entscheidung. Cutter, die seine Gedanken nicht kannte, nickte – und knurrte nur eine Sekunde später: „Ich hätte ihm trotzdem die Kehle durchgeschnitten!“ Sephiroth stieß einen Laut der Erheiterung aus. „Sicher.“ Dann sog er schnuppernd die Luft ein. „Was verbrennt hier eigentlich gerade?“ „Unser Abendessen!“ Cutter sprang wie von der Tarantel gestochen auf und raste so schnell sie konnte in die Küche. „Und?“, erkundigte sich der General zu gleichen Teilen gespannt wie amüsiert, als seine Freundin nach einigen von hektischem Geklapper und protestierendem Zischen erfüllten Minuten wieder in der Tür auftauchte. Cutter zog eine Grimasse. „Tot.“ „Schussel.“ „Dabei hat alles so gut geklappt! Ich hab nur vor lauter Schreck vergessen, die Temperatur runterzudrehen, als du vorhin reingestürmt bist. Ach, verdammt!“ Es war Sephiroth unmöglich, die empfundene Heiterkeit weiter zu unterdrücken. Und so begann er leise zu lachen, schüttelte gleichzeitig den Kopf und kommentierte: „Wenn es dich tröstet: Du kämpfst besser, als du kochst.“ „Hfrmmgsklfkm“, grummelte die Null Sterne Köchin und ließ sich immer noch relativ ungetröstet wieder neben ihm auf die Couch fallen. Es war ein Zustand den Sephiroth unmöglich so belassen konnte. Schon der erste Kuss zog sich scheinbar endlos hin. Es war Cutter unmöglich, nicht haltsuchend in all das Silber zu greifen, und als dies nicht ausreichte, sich nach hinten sinken zu lassen. Sephiroth folgte der Bewegung ohne seine Berührungen enden zu lassen, spürte, wie sich Hände auf der Suche nach noch mehr Körperkontakt in seinen Nacken legten, nicht einengend, nur warm, und so einverstanden ... Letztendlich fand er sich auf den Unterarmen abgestützt über Cutter wieder, und sie sah zu ihm auf mit diesem seltsamen weichen, offenen Blick - und diesmal begriff der General. Jene totale körperliche Nähe, die noch vor wenigen Wochen so weit weg gewesen war ... jetzt war sie ganz nahe. Und Cutter wollte sie mit ihm erleben, nur mit ihm. Sie würde ihm ihren Körper schenken, so, wie sie es damals mit ihrem ersten Kuss getan hatte, und es nicht bereuen, niemals ... Weil er es war, der dieses Geschenk erhielt. „Ich hab´ s verstanden“, wisperte Sephiroth. Cutter lief augenblicklich hellrot an, aber ihrem langsamen, gefühlvollen Kuss wohnte nicht der geringste Hauch von Scham inne. „Das“, konstatierte Sephiroth nachdem es ihm gelungen war, die Augen wieder zu öffnen, „kannst du übrigens auch besser, als kochen.“ Der Körper unter ihm begann augenblicklich, vor jähem Lachen zu beben. „Dann bin ich ja beruhigt. Und jetzt? Bestellen wir uns Pizza?“ Sephiroth wollte schon antworten, aber das jähe Piepen der Tür, dicht gefolgt vom schwungvollen Öffnen derselbigen, hinderte ihn heran. Zack stürmte mit einem wie üblich äußerst fröhlich klingenden: „Hey, Sep ...“, herein, realisierte die völlig unerwartete Pose, in der sich seine beiden besten Freunde immer noch befanden ... „... ich bin schon wieder weg.“ „Bleib hier!“, grollte der General. „Ja, bleib hier! Es gibt Pizza!“ „Hurra“, jubelte der 1st, „es gibt Pizza!“ „Wenn du sie holst, Zack“, ergänzte Sephiroth, einmal mehr praktischer denkend als der gesamte Rest. „Hurra, ich hole Pizza!“ Dann allerdings bremste Zack jäh ab, wandte sich zu den beiden mittlerweile in sitzender Position befindlichen Personen um, und erkundigte sich fast ernsthaft: „Warum gibt es Pizza, die ich hole?“ Sephiroth erhob sich, zögerte einen Augenblick ... „Ich schätze“, sagte er schließlich, „wir haben was zu feiern.“ Zack runzelte die Stirn und legte den Kopf schief. Was zu feiern? Bei Sephiroth? Mehr als ungewöhnlich. Also was, um alles in der Welt, könnte ... Dann realisierte er die Veränderung in der Aura seines besten Freundes. Sie glich der eines Helden, der soeben das gefürchtetste Monster von allen erschlagen hatte. Und Zack begriff, lächelte ernsthaft und trat nach vorne, um dem Mann vor sich einen nicht festen, aber spürbaren Klaps auf die Schulter zu geben. „Seph? Vielleicht klingt das jetzt total bescheuert, aber ... Ich bin wahnsinnig stolz auf dich.“ „Danke“, antwortete Sephiroth leise. „Euch beiden. Für alles.“ Und dann erzählte er die Geschichte noch einmal. Als er wieder schwieg, blieb es einen Augenblick lang ganz still. „Du hast ihn nicht getötet?“ Die Verblüffung in Zacks Stimme hätte für die gesamte ShinRa Belegschaft gereicht. „Und Rufus auch nicht? Seph, das ist ... unlogisch. Sie werden garantiert wieder versuchen, dich zu töten! Hast du schon eine Gegenstrategie?“ Eine silberfarbene Augenbraue hob sich spöttisch. „Ok“, seufzte Zack, „du hast mehr als eine Gegenstrategie. Aber ich versteh nicht, warum du den beiden nicht die Kehle durchgeschnitten hast.“ „Du denkst zu simpel, Zackary. Viel zu simpel.“ „Und ich bin noch nicht mal fertig. Töte die beiden Bastarde, ansonsten geben sie keine Ruhe. Schnapp dir Cuttie und kehr diesem Laden den Rücken. Fang woanders neu an. Niemand hat das mehr verdient, als du.“ „Wir befinden uns im Krieg, Zack.“ Sephiroths Stimme klang erstaunlich neutral hinsichtlich der geradezu unverzeihlichen Aufforderung zur Fahnenflucht. „Und ich bin nach wie vor ShinRa General. Eine Rolle, die mir außerordentlich behagt. Der jetzt laufende Kampf gegen Solar Solution ist zu interessant, um ihn aus der Ferne zu beobachten oder durch einen Mord an Rufus vorzeitig zu beenden, zumal sich die Electric Power Company noch nie so nahe am Abgrund befunden hat, wie jetzt. Für Rufus heißt es: Alles oder Nichts. Es wird nicht mehr lange dauern, bis Solar Solution wieder in Bewegung ist, und mein Instinkt sagt mir, dass sie sich diesmal geschickter anstellen werden. Wenn es soweit ist, werde ich an vorderster ShinRa Front stehen!“ Zack wusste, was Sephiroth meinte. Man musste nur durch die Stadt laufen, um die Stimmung aufzunehmen. Sie ähnelte der letzten Warnung in Form eines Spannungsfeldes vor einer elektrischen Leitung und echtem Schmerz. Nachts, wenn Midgar wie geeint leuchtete und doch, wie alle wussten, durch Mako- und Solarenergie zweigeteilt war, steigerte sich dieses Gefühl ins scheinbar Unermessliche. Die Electric Power Company und der Planet selbst kämpften um eine brauchbare Zukunft. Und dennoch ... „Guter Plan. Bis auf den Plan an sich. Seph“, der 1st schüttelte den Kopf, „ich denke wirklich, du machst hier einen Fehler.“ „Momentan“, antwortete Sephiroth, „sieht es für Rufus sehr nach `Nichts´ aus. Denkst du, er ist glücklich mit der aktuellen Situation? Auch mich betreffend?“ „Unter gar keinen Umständen.“ „Sehr richtig.“ Ein kaltes Feuer begann in den Augen des Generals zu glühen. „Aber ich will ihn glücklich. Glücklich, zufrieden und auf dem Höhepunkt seiner Macht. Genau wie Hojo! Und das heißt, ich werde sie erst töten, wenn es ihnen gelungen ist, diesen Krieg zu gewinnen! Und bevor du fragst: Ich bin fest davon überzeugt, dass sie es schaffen werden.“ „Wie?“ „Wenn ich das wüsste, würde ich den Vorgang beschleunigen, statt hier zu sitzen!“ „Wenn ShinRa gewinnt, laufen wir alle Gefahr, zu sterben.“ „Habe ich irgendetwas von `Massenvernichtung´ gesagt, Zackary? Sobald sich Rufus und Hojo in ihrem Glück suhlen, werde ich sie töten. Die Vernichtung der restlichen Reaktoren ist für mich ein Kinderspiel. Der Planet wird sich erholen. Und ShinRa ist Geschichte!“ Zack schwieg etliche Herzschläge lang, versuchte den empfunden Widerwillen hinsichtlich des Plans in gute Worte umzuwandeln. Der 1st wusste, wie lustvoll es sein konnte, etwas, auf das man sich freute, hinauszuzögern. Er wusste auch, dass Sephiroth ein Meister der Vorbereitung für finale Attacken war. Aber es war ihm unmöglich zu vergessen, dass man ein Vorhaben auch zu Tode planen konnte. Was sich seinem besten Freund hier eröffnete, war die gigantische Chance, etwas für immer zu beenden. Das verhängnisvolle an Chancen war, dass sie vorbeigingen, ganz egal, ob genutzt oder nicht. Wie groß mochte dieses Zeitfenster sein? „Wenn es soweit ist, will ich sie leiden sehen!“ Die Stimme des Generals vibrierte förmlich vor finsterer Lust. Purer Hass dominierte seinen Blick. „Seelisch! Körperlich! Wenn sie sich wieder unbesiegbar fühlen, werde ich ihnen den größten Schmerz und die größte Niederlage zufügen, zu denen ein menschliches Bewusstsein fähig ist: Zu sterben, obwohl man leben will! Aber vorher werde ich ihren Begriff von `Angst´ neu definieren! Denn da sie meinen Plan nicht kennen, werden sie in jeder Sekunde mit einem möglichen Angriff meinerseits rechnen müssen!“ Zack und Cutter versuchten, die sie überlaufenden Schauer zu unterbinden. Aber es gelang ihnen nicht. Sephiroth glich nicht einfach nur einem Raubtier, das seiner Gefangenschaft entflohen war und plante, die Kreise um seine ehemaligen Peiniger immer enger und enger zu ziehen, sondern einem, das sich zusätzlich vorher genüsslich im hellsten Licht und unter ihren Augen sonnte. Und diesen Zustand genießen wollte. Bis zur letzten Sekunde. Ein nachvollziehbares Vorhaben. Aber Zack konnte und wollte seine Bedenken nicht verschweigen. „Seph, du weißt, ich bin dein Freund. Rufus und Hojo haben alles Leid dieser Welt verdient für das, was sie dir im Laufe der Zeit angetan haben. Aber dein Plan gefällt mir trotzdem nicht. Er lässt den beiden Mistkerlen zuviel Spielraum. Außerdem erscheint er mir Cuttie gegenüber ziemlich hart, und ...“ Ich weiß, dachte Sephiroth und sah zu seiner bisher sehr schweigsamen Freundin hinüber. Es gibt jetzt jemanden, der mich liebt. Und der an meinem Leben teilhaben möchte. Den ich in mein Leben einbinden möchte. Aber gewisse Pläne kann ich davon unmöglich abhängig machen! Und außerdem ... Cutters Stimme unterbrach seine Gedanken. Sie klang leise und sehr ernsthaft. „Ich denke wie Zack. Vielleicht ist das die einzige Chance, die du jemals kriegst. Jetzt, in diesem Moment, herrschen optimale Bedingungen. Aber ... es ist nicht, was du brauchst. Zack und ich haben viele Dinge in dir heilen und bewahren können. Manches jedoch bedarf einer ... speziellen Behandlung, zu der weder er noch ich in der Lage sind. Und ich für meine Teil möchte dich ganz und gar geheilt wissen.“ Ihre Stimme änderte sich, wurde kälter. Härter. „Diese beiden Bastarde haben dich dein ganzes Leben gequält und gefoltert, mental wie körperlich, und sie verdienen eine passende Antwort. Zieh es durch. Mach sie fertig! Ich bin ganz und gar auf deiner Seite!“ Sie wandte den Kopf und lächelte in Richtung Zack. „Mach dir keine Sorgen um mich. Ich komme klar! Wenn das hier vorbei ist, werde ich nie wieder einem anderen Menschen schaden. Das habe ich mir geschworen. Eines Tages wird ShinRa´s Herrschaft enden. Weil Sephiroth sie beenden wird! Solange ich das nicht vergesse, kann ich meinen Glauben an eine bessere Zukunft unmöglich verlieren. Richtig?“ Es mochte nur sehr wenige Dinge geben, die älter waren als der menschliche Glaube an eine bessere Zukunft. Und so nickten die beiden SOLDIER. Es glich einem besiegelten Pakt. „Ich halte den Plan trotzdem nicht für gut!“, stellte Zack klar und schüttelte den Kopf. „Aber ich freue mich über deinen Sieg, Seph, und deshalb gehe ich jetzt die Pizza holen. Bis gleich!“ Es wurde ein wundervoller Abend, und Sephiroth genoss jede einzelne Sekunde. Es tat so gut, hier zu sitzen. Freunde um sich zu haben. Mit ihnen zu lachen oder den Kopf über sie zu schütteln. Die Zeit zu genießen. Das Bewusstsein, endlich frei zu sein, auszukosten, und mit ihm die Gewissheit, zum ersten Mal seit Jahrzehnten stärker zu sein als die Mächte, die ihn seit seiner Geburt kontrollierten und missbrauchten. Und ich, dachte Sephiroth, werde dieses Wissen bei ihnen wach halten! Ich werde jede passende Gelegenheit dazu nutzen! Ab jetzt gebe ich die Kommandos! Er konnte nicht ahnen, welche verheerenden Folgen die verpasste Gelegenheit, sich endgültig zu befreien, nach sich ziehen würde. Kapitel 48: Das Zeitfenster schließt sich ----------------------------------------- Natürlich ging Rufus nicht selbst zu dem von Hiwako im Rahmen der Energiediskussion vorgeschlagenen Treffpunkt. Er zog es vor, sämtliche Turks, einen Teil der Army und etliche 1st Class SOLDIER zu schicken. Und Cutter. Eine Antwort, die überdeutlich sagte, dass der Präsident der Electric Power Company lediglich an der Ergreifung Destins interessiert war, und keinesfalls an einer Zusammenarbeit. Destin beobachtete das Spektakel, allerdings aus sicherer Entfernung, und letzteres nur, weil er von Roger an einen Stuhl festgebunden worden war und streng bewacht wurde. Die Bewegungsfreiheit beschränkte sich auf die Möglichkeit, ein Fernglas zu halten. „Nuuuun?!“ Rogers Blick war mehr als strafend. „Möchtest du immer noch dort sein und diskutieren?“ „Natürlich“, lautete die unerschrockene Antwort. „Aber nicht mit der Army, SOLDIER, den Turks und Tzimmek.“ Neben ihm holte Roger augenblicklich tief Luft und begann erneut, all die Argumente vorzubringen, die eine Zerstörung ShinRa´s befürworteten. Sie waren immer noch erstklassig und gut durchdacht - aber Destin, der von dem Plan, der Electric Power Company die Chance zur Neuorientierung zu geben, nicht abweichen wollte, hörte nur mit halbem Ohr zu. Sein hauptsächliches Interesse galt einer ganz bestimmen Person inmitten der ShinRa Truppe. Diese Tzimmek ... sah einfach nicht aus, wie ein Killer. Auch, wenn sie für die Electric Power Company arbeitete und laut Aussage des Planeten die zerstörten Solarplatten auf dem Gewissen hatte. Alle ihre Kollegen um sie herum waren enttäuscht, frustriert oder verbargen ihre Gefühle. Tzimmek aber wirkte erleichtert. Auch das hätte Tarnung sein können, immerhin musste sie damit rechnen, beobachtet zu werden. Aber ihre Augen widerriefen diese Möglichkeit. Der Ausdruck darin war zu offen und freundlich. Insgesamt war die Aura der jungen Frau zu friedlich. Destin spielte mit dem Gedanken, Kontakt zu ihr aufzunehmen. Dann verwarf er diesbezügliche Überlegungen. Tzimmek war die einzige ihrer Art. Bestimmt hatte Rufus ein besonderes Auge auf sie. Von General Crescent ganz zu schweigen. Abgesehen davon waren die Solar Solution Techniker bald soweit. Was deren Werkzeug, die Solarplatten und den gesamten Rest, anging ... Auch Destin hatte dazugelernt. Womit er ShinRa bei diesmaligen Angriff konfrontieren würde, war ... anders. Hauptsächlich verdankte er dies den durch den Planeten übermittelten Träumen. Deren Essenz lagerte streng bewacht außerhalb Midgars, und diesmal würde selbst jemand wie Rufus eine Weile brauchen, bis er begriff, mit welchem Trick seine Stadt überrannt wurde. Wenn alles gut ging, würde Solar Solution die Stadt übernehmen, ohne dass ShinRa die Möglichkeit bekam, einen einzigen Schuss abzugeben. Rufus nahm die Nachricht über die fehlgeschlagene Ergreifung Destins wortlos zur Kenntnis, seine Stimmung allerdings verfinsterte sich noch weiter. Dieser verdammte Planet machte sich über ihn lustig! Über ihn! Und das, wo die Ausbildung der neuen Solar Solution Techniker mit Sicherheit so gut wie abgeschlossen war! ShinRa hingegen hatte immer noch nichts in der Hand, um wirkungsvoll kontern zu können. Es war, als habe man seinem mächtigen Unternehmen sämtliche Reißzähne und Krallen gezogen. Eine absolut inakzeptable Situation, an Erbärmlichkeit kaum noch zu überbieten. Und dauerhaft. Schon viel zu lange! Die Möglichkeit, die lästigen Parasiten abzuschütteln und zu zertreten ... Rufus hätte nahezu alles gegeben, um sie zu bekommen. Aber die entsprechende Möglichkeit war nicht interessiert an seinen Angeboten. Sie hielt sich zurück, als habe er sie nicht verdient. Als sei er nur ein kleiner, geringer `Irgendjemand´ ohne Visionen, und nicht Rufus Shinra, Präsident der die gesamte Bevölkerung mit Energie versorgenden Electric Power Company! Das zu ignorieren war so ... lächerlich! Und wurde dennoch praktiziert! In jeder einzelnen Sekunde dieses lächerlichen Krieges, der längst zugunsten ShinRa´s hätte entschiede sein müssen! Rufus hätte es niemals, nicht einmal unter der grauenhaftesten Folter, zugegeben. Aber er war nie zuvor innerlich angespannter gewesen. Das Bewusstsein, momentan nur lauern zu können, war schier unerträglich. Dennoch musste er es ertragen, und auf den Moment warten, der ihm die Chance gab, Hiwako zu vernichten und die Normalität zurückzubringen. Sowieso gab es derzeit zu viele Dinge, die ihren eigenen Kopf entwickelten und sich entsprechend störrisch verhielten. Heute morgen war zum Beispiel auch noch im gesamten ShinRa HQ die Klimaanlage ausgefallen – keine schöne Entwicklung hinsichtlich der draußen herrschenden, hochsommerlichen Temperaturen. Aber andere Bedrohungen vermochten selbst diesen Zustand zu überbieten. Jenova Projekt 1 war nicht mehr unter Kontrolle, und diese Tatsache würde sich, wie Rufus die Situation einschätzte, bereits sehr bald verdeutlichen. Er sollte sich nicht irren. Es vergingen keine 24 Stunden, ehe Sephiroth begann, seinen Sieg gewissen Leuten gegenüber äußerst klar zu machen, und Rufus Shinra war einer der ersten Betroffenen. Der Präsident der Electric Power Company knirschte hinsichtlich der ihm übermittelten Liste mit Meetings, an denen der General ab sofort nicht mehr teilnehmen würde, unwillkürlich mit den Zähnen, rechnete sich aus, wie viel weniger Druck dieser dadurch haben würde, knirschte noch etwas mehr mit den Zähnen ... und akzeptierte die Liste. Was blieb ihm auch anderes übrig? Wirklich wichtige Meetings waren zwar nicht betroffen, aber ausnahmslos alle, die den General Zeit kosteten und somit halfen, seine Kraft im Zaum zu halten, denn bisher hatte er die in den Meetings versäumte Zeit stets durch Überstunden wieder aufholen müssen. Wohin würde diese unverbrauchte Kraft jetzt fließen? Rufus konnte es sich schon denken, und es gefiel ihm nicht. Aber er konnte die brennende, zu ihm führende Spur weder längentechnisch einschätzen, noch unterbrechen. Die nächste Konsequenz bekam Hojo zu spüren. Natürlich war es dem Wissenschaftler nach Überwindung des ersten Schocks unmöglich, seine Niederlage weiterhin zu akzeptieren. Völlig egal, welcher Auffassung Rufus war: Es gab einen Haufen guter Gründe, Jenova Projekt 1 daran zu erinnern, wer sein Herr war! Sephiroth befolgte den Befehl, ins Labor zu kommen, unverzüglich – allerdings nur, um Hojo fest am Kragen des weißen Kittels zu packen, den sich heftig (aber sinnlos) sträubenden Professor in einen der leeren Makotanks zu sperren, und das Labor wieder zu verlassen. Alles ohne ein einziges Wort und eine einzige unnötige Bewegung, als sei `das größte Genie der Electric Power Company´ nur etwas ausgesprochen Lästiges, das man, wie einen lästigen Köter, mittels eines gezielten Fußtrittes vor die Tür und in sehr unangenehmes Wetter beförderte. Präsident ShinRa, als einziger außer Hojo und dem General im Besitz des Türcodes für das Labor, musste, als der Professor nicht auf Anrufe reagierte, selbst in dessen Arbeitsbereich auftauchen. Rufus lauschte den durch das Glas gedämpften, wüsten Erklärungen schweigend, während er den seit Stunden eingesperrten, schimpfenden Mann gleichzeitig nachdenklich musterte. Hojo hatte sich ganz klar nicht an die vereinbarte Strategie gehalten und war, wenn auch nicht von seinem Arbeitgeber, bestraft worden. Es erschien nur richtig, die Befehlsverweigerung noch einmal selbst zu bestrafen. Und so schmorte Hojo weitere Stunden im Tank, ehe Rufus das Labor erneut betrat, die Tür des Gefängnisses öffnete und wortlos wieder ging. Ein Schlag ins Gesicht war nichts gegen diese Behandlung! Und Hojo begriff, dass ihm diesmal Grenzen gesetzt worden waren, die selbst ein Genie wie er nicht zu überwinden vermochte. Noch, jedenfalls. Es gab aber noch jemanden, der sich vor extrem deutlichen Grenzen wiederfand. Je länger Zack über Sephiroths Plan nachdachte, je größer wurde seine Sorge. Es würde nicht gut gehen. Er konnte es deutlich spüren. Rufus und Hojo waren ein grauenhaftes, verschlagenes Team, Monster, jeder auf seine Art, und derzeit, aufgrund ihrer mentalen Verletzungen, doppelt so gefährlich wie sonst. Sie mussten geschlagen werden. So schnell wie möglich. Und vernichtend. Obwohl er es besser wusste, versuchte Zack erneut, seinen besten Freund umzustimmen, hatte aber keinen Erfolg. Nicht einmal Cutter ließ sich von ihrem gefassten Entschluss, Sephiroths Plan zu unterstützen, abbringen. So friedliebend sie sonst war, so sehr wünschte sie Rufus und Hojo alles Leid dieser Welt, und das mit einer fast schon erschreckenden Intensität. Zack blieb, trotz aller dunklen Vorahnungen, nur, den aktuellen Zustand zu akzeptieren (aber weiterhin Augen und Ohren offen zu halten, um auch nur das geringste auf weitere Pläne der beiden Bastarde hindeutende Indiz früh genug zu erkennen und sofort weiterzugeben). Es war weniger, als er sich wünschte, aber mehr als völlige Hilflosigkeit. `Hilflosigkeit´ hingegen war eine Beschreibung, die auf den General keineswegs mehr zutraf. Vielmehr nutzte er seinen neu gewonnen Spielraum aus, um etliche Arbeitsabläufe von Grund auf umzuorganisieren – natürlich alles ohne Rücksprache mit Rufus, aber auch ohne den geringsten Zweifel daran zu lassen, seine Rolle als General von SOLDIER weiterhin sehr ernst zu nehmen. Jetzt allerdings konnte es vorkommen, dass er seines Erachtens nach unnötige Handlungen konsequent ablehnte, diesbezügliche Arbeitsanweisungen mit dem roten `Abgelehnt´ Stempel versah und ansonsten völlig unkommentiert zu Rufus zurückschickte. Des weiteren ließ Sephiroth seinen Arbeitgeber wissen, wie problemlos es ihm möglich gewesen wäre, sich zu rächen. Kein Schloss und keine Sicherheitsvorkehrungen vermochten ihn aufzuhalten, und dasselbe galt für die beiden Turks, welche den seltenen Schlaf des Präsidenten in dessen Luxusappartement bewachen sollten. Das jähe Entsetzen in Rufus Augen, als er mitten in der Nacht aufwachte und seinen potentiellen Mörder in aller Ruhe neben seinem Bett stehend vorfand, war unbezahlbar. Dasselbe galt für den lächerlichen Versuch, sich zu verteidigen. Dem Schuss auszuweichen bedurfte es nur einer minimalen Bewegung Sephiroths, auch, wenn der Lärm die wachhabenden Turks alarmierte und mit gezückten Waffen das Schlafzimmer stürmen ließ. Sephiroth wandte sich um, lächelte finster (eine Botschaft, die mit einem klaren: `Zu langsam!´ übersetzt werden konnte) und verließ das Appartement ohne sichtliche Eile durch den Haupteingang. Rufus warf die sichtlich überrumpelten Turks aus dem Schlafzimmer und versuchte, wenigstens für sich gefasst zu wirken. Aber es gelang ihm nur mit großer Mühe, sah er sich doch zum ersten Mal mit dem wahren Charakter Sephiroths konfrontiert. Der Mann war schon immer ein Monster gewesen und würde immer eines bleiben, keine Frage. Aber seine jetzige Aura ... Früher war sie durch Ketten eingeschränkt worden, deren Spezialeffekt darin bestand, sich bei falschen Bewegungen unerbittlich zu verengen und so den Atem zu nehmen. Trotzdem waren sie aus eigenem Willen des sie tragenden Wesens immer so straff gespannt gewesen, dass gerade noch Luft genug zum Überleben blieb. Jetzt allerdings schleifte Sephiroth nicht einmal mehr Reste dieser Ketten hinter sich her! Des weiteren hatte sich ein feiner, aber dennoch sehr deutlicher Unterton in seine Aura gemischt. `Ich bin nur noch hier, um dich zu töten.´ Keine Überraschung - und doch fühlte es sich anders an, als erwartet. Rufus verbrachte den Rest der Nacht in Hojos Labor, wo er sich die neuesten Berichte über die immer mehr Gestalt annehmenden S-1 Einheiten zu Gemüte führte und ohne Erfolg nach Punkten suchte, die man zugunsten höheren Tempos hätte streichen können. Er hätte es sich oder anderen niemals eingestanden, aber trotz aller Arroganz fühlte er sich mehr und mehr wie jemand, der sich auf einem dünnen Drahtseil über einen tiefen Abgrund bewegte, während gewisse `Kräfte´ dabei waren, das Seil anzuschneiden. Die Zeit lief, und zum ersten Mal seit langer, langer Zeit lief sie gegen ihn. Sephiroths Stimmung hingegen entsprach dem exakten Gegenteil. Niemals zuvor hatte er sich so frei und lebendig gefühlt, waren die ihn umgebenden Kräfte so sehr unter seiner Kontrolle gewesen. Ein lang behüteter Traum wurde zur Realität, und diese Realität fühlte sich genauso gut an, wie erhofft. Sich an diesen wundervollen Zustand zu gewöhnen, lag dem General allerdings fern, wie gewisse Nachlässigkeiten zuzulassen, und so blieb er wachsam und misstrauisch – allerdings ohne jene neu gewonnene, innere Gelassenheit hinsichtlich der Situation zu verlieren. Aber so zufrieden er momentan mit sich und der Situation war, es gab einen weiteren Wunsch, den er ebenfalls nicht unerfüllt lassen konnte: Den, mehr Zeit mit Cutter zu verbringen. Und er erfüllte ihn sich. Nicht zuletzt auch zu ihrer großen Freude begleitete er jetzt mehr Missionen, an denen sie teilnahm – natürlich ohne Aufsehen zu erregen und immer in seiner Rolle als kommandierender Offizier – aber er war trotzdem da. Die Abende, an denen sie sich in seinem Quartier trafen, häuften sich. Und mit jeder Sekunde, die sie zusammen verbrachten, mit jeder Berührung, mit jedem Kuss wurden die füreinander empfundenen Gefühle stärker. Gleichzeitig konnte Sephiroth spüren, wie die mentalen Verletzungen, die Hojo ihm im Laufe der vergangenen Jahre zugefügt hatte, zu heilen begannen, langsam, aber beständig. Manche, das wusste er mit Sicherheit, würde nur der Tod des Wissenschaftlers vollends schließen, aber es blieben andere, denen die aktuelle Situation zur Genesung reichte. Cutter half ihm dabei, wo sie nur konnte, unter anderem indem sie ihm fern blieb, wenn sie spürte, dass er jetzt mit sich und seinen Gedanken allein sein wollte, sich ihm aber wieder näherte, sobald die inneren Vorgänge abgeschlossen waren. Aber je mehr sie sich in Sephiroths Nähe aufhielt, je mehr wurde ihm klar, wie sehr er ihre Gegenwart wollte und brauchte. Dieser Körper, diese Seele, für die fremde Hände jahrelang der Quell endloser Brutalität gewesen waren, wollten berührt und gestreichelt werden. Geheilt. Es spielte kaum eine Rolle, wann, wo und wie lange dieser Kontakt dauerte. Eine kurze Berührung erinnerte an alles bereits wieder Unverletzte. Eine längere intensivierte das Gefühl von Heilung. Und mit der Heilung kam eine bisher nie gekannte, entspannte Ruhe. Sie wurde so problemlos Teil der den General umgebenden Aura, als habe diese nur darauf gewartet, ihr einen Platz zu geben. Die Ergänzung wurde kaum im ShinRa Alltag, aber sehr stark in Sephiroths Privatleben spürbar. Jetzt war es ihm nahezu sofort problemlos möglich, auf Cutters Zärtlichkeiten zu reagieren, indem er diese kopierte, variierte, darauf wartete oder sie von sich aus begann. Aber trotz allem war und blieb er ihr General, und als solcher bestand er im normalen Alltag auf die konsequente Befolgung seiner Befehle – und so musste ShinRa´ s einziger Death Walker auch weiterhin von Rufus Büro aus die Stadt auf weitere Sonnenkollektorenlines überprüfen. Cutter hasste diesen täglichen Termin! Dem Bewusstsein, Dreh- und Wendepunkt eines Szenarios zu sein, das ausschließlich in neuer Gewalt enden konnte, wäre sie nur zu gerne entkommen – aber aufgrund Sephiroths Plan war das nicht möglich. Ihr blieb als mentales, höchst persönliches Gegengewicht nur das feste, sich selbst gegebene Versprechen, nach der Eliminierung der Electric Power Company nie wieder einem anderen Menschen zu schaden. Auch diesmal konzentrierte sich Cutter auf dem so verabscheuten Weg in Rufus Büro ausschließlich auf dieses Versprechen, wünschte sich aber zeitgleich, im Besitz einer Ausrede zu sein, die so gut war, dass sie sogar Sephiroth akzeptierte. Leider war der jungen Frau nur zu klar, vermutlich niemals in den Besitz einer so grandiosen Ausrede zu kommen, und so seufzte sie leise, hielt vor Rufus dunkler Bürotür an, klopfte, und betrat nach der entsprechenden Aufforderung den Raum, nahm ihren gewohnten Platz am Panoramafenster ein, sah hinunter auf die Stadt ... und spürte sofort, dass etwas in der Luft lag. Etwas, aus dem sich zahlreiche Entwicklungen ergeben würden, und nicht alle waren gut. Ein wenig angespannter als sonst begann die junge Frau, die sich ihr zeigenden Lines zu zählen. Seit Wochen hatte sich an deren Anzahl nichts geändert. Jetzt aber ... Sie erinnerte sich zu später daran, beobachtet zu werden, und ihre Hoffnung, das überraschte Blinzeln könnte dennoch unbemerkt geblieben sein, zerschlug sich nur Sekunden später. Rufus Stimme hatte Ähnlichkeit mit dem Durchladen einer Präzisionswaffe. „Wie viele `mehr´?“ Cutter hätte sich für ihre spontane Ehrlichkeit ohrfeigen können. Aber selbst das wäre hinsichtlich der neusten Entwicklungen sinnlos gewesen. Und so blieb ihr nur die Wahrheit. „Sieben.“ Es hatte begonnen. Solar Solution war wieder in Bewegung. Rufus lächelte kalt. „Sieben. Angeblich eine Glückszahl. Was sagst du dazu, Tzimmek?“ Cutters Antwort kam mit der üblichen, diesmal allerdings extrem unüberdachten Schnelligkeit. „Ich hab´ s nicht so mit Zahlen, Sir.“ Für gewöhnlich hätte sich Rufus niemals zu einer solchen Handlung provozieren lassen. Diesmal allerdings lagen seine Nerven blank, die Waffe mit der Schnelligkeit eines Blinzelns in seiner Hand, und die Bewegung des Zeigefingers erfolgte nur einen Sekundenbruchteil später. Eine Kugel raste durch die Luft, direkt auf Cutter zu ... und wurde erst erschreckend nahe vor dem Ziel zu einer appetitlich aussehenden und völlig ungefährlichen Marzipankartoffel, die ohne Schaden anzurichten abprallte und zu Boden fiel. „Nächstes Mal“, verkündete Rufus Shinra mit einer Stimme, die keinerlei Zweifel am Wahrheitsgehalt ließ, „lasse ich dir keine Zeit mehr für Tricks!“ Cutter starrte ihren Arbeitgeber mit vor Wut gefletschten Zähnen an. Ihre Hand war fest um die Luna Lance geschlossen, und Rufus Line lag so klar vor ihr, viel zu klar, um sie zu ignorieren ... Aber letztendlich setzte sich das Bewusstsein um Sephiroths Plan durch. „Eines Tages, Mr. President“, fauchte Cutter und zertrat gleichzeitig die verwandelte Kugel zu Brei, „wird all das Unheil zu Ihnen zurückkommen!“ „Verschwinde endlich!“ Wutschnaubend verließ die junge Frau das Büro. Rufus hielt sich nicht eine Sekunde damit auf, ihr nachzusehen, sondern ließ seinen Sessel herumschwingen und blickte hinab auf Midgar. Es hatte also erneut begonnen. Und er würde darauf reagieren! Cutter stürmte, im Bauch einen eisigen Klumpen aus allen möglichen Gefühlen tragend, in Sephiroths Büro. Dem General reichte ein einziger Blick, um die Situation korrekt zu erfassen. „Neue Reflektorenlines. Wie viele?“ „Er hat auf mich geschossen! Er hat schon wieder auf mich geschossen! Dieser Mistkerl!“ „Er hat ganz offensichtlich nicht getroffen. Beantworte meine Frage!“ „Sieben. Er hat auf mich geschossen!“ Im Blick des Generals erwachte ein berechnender Ausdruck. „Du hat ihn provoziert.“ „Nein!“, entrüstete sich Cutter. Aber nach einem kurzen Moment, der ganz offensichtlich für einen Rückblick genutzt worden war, ein wenig zerknirscht: „Doch. Etwas. Ich hab nur gesagt, dass ...“ Sephiroth lauschte aufmerksam, schüttelte schließlich den Kopf und seufzte: „Oh, Phoenix ...“ Er wusste, dass es sinnlos war, Cutter hinsichtlich ihres Verhaltens gegenüber Rufus zu ermahnen. Seine Freundin konnte ihren Arbeitgeber ebenso wenig ausstehen, wie er selbst. Den versuchten Mord, über den sich der General ebenfalls hätte aufregen können, verbuchte er unter `Spezialtraining´. Wer mit brennenden Streichhölzern nach einem Benzinfass warf und traf, durfte sich nicht über eine Explosion wundern. So ruhig Sephiroth war, so intensiv tobte Cutter immer noch vor dem Schreibtisch. „Scheiß auf deinen Plan, Sephy! Wenn dieser Mistkerl nochmal auf mich schießt, verwandle ich ihn wieder in einen Kater und bring ihn ins Tierheim! In den Hundezwinger!“ Sephiroth musste unwillkürlich lachen. „Jawohl!“, knurrte Cutter und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. „Du kannst ihn ja retten, wenn dir danach ist, aber ich würde dir raten, dich zu beeilen!“ Ihr gegenüber gewann der General seine Selbstbeherrschung zurück. „Hat er dir gesagt, was er vorhat?“ „Nein, er war zu sehr damit beschäftigt, auf mich zu schießen! Mistkerl!“ Und dann, leicht frustriert: „Ach, verdammt! Wann lerne ich endlich, erst zu denken und erst dann zu reden?“ Sephiroth wollte eine Antwort unwillkürlich nur denken, weil sie seinen sonstigen Ansichten restlos über den Haufen war. Aber dann sprach er seine Gedanken ganz bewusst doch laut aus. „Hoffentlich niemals. Das bist eben du, Cutter. Unter anderem das macht dich so einzigartig. Und ...“, er kniff ein Auge zu, „ ... so unberechenbar, und so schwer zu kontrollieren. Sogar für mich. Solange deine Reflexe funktionieren und du die Situation wieder unter Kontrolle bringst, kannst du genau so bleiben.“ Cutter schwieg einen Moment. Dann kam sie um den Schreibtisch herum und ließ sich auf Sephiroths Schoß nieder. „Sephy? Wann habe ich dir zum letzten Mal gesagt, dass ich dich lieb habe?“ „Ist schon ein paar Stunden her ...“ Cutter schmunzelte und ließ ihren Kopf nach vorne sinken, bis er Sephiroths Stirn berührte. „Ich liebe dich. Ich habe dich so lieb!“ Sephiroth sagte kein Wort. Aber er schloss die Augen und schob seine Arme auf ihren Rücken, hielt sie fest, minutenlang und in völliger Stille. Gleichzeitig fragte er sich fast verzweifelt, warum er nicht so antworten konnte, wie er es eigentlich wollte, ahnte er doch, dass er mit einer verbalen Antwort nichts falsch machen und nur bekräftigen würde, was seine Phoenix ohnehin schon wusste ... Aber musste man Dinge, die offensichtlich waren, wirklich noch laut aussprechen? Cutters leise Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Was wird er jetzt tun? Rufus, meine ich?“ „Wenn wir jetzt wieder auf eine offizielle Ebene wechseln, muss ich dich leider bitten, einen etwas disziplinierteren Standort einzunehmen, als den aktuellen.“ Cutter rutschte ca. 5 Zentimeter zurück. „Ich meinte“, stellte der General mit einer Stimme, in der Heiterkeit brodelte, „vor den Schreibtisch. Du kennst die Regel.“ Cutter seufzte leise, kämpfte mit sich selbst ... aber dann siegte die Neugier. „Also“, erkundigte sich die junge Frau schließlich (brav vor dem Schreibtisch stehend), „was wird er tun?“ „`Silent Cry´ wiederholen.“ „Was?!“ Ihre Stimme spiegelte eine wahre Flutwelle des Entsetzens wieder. `Silent Cry´ ... ein zweites Mal? Solar Solution Techniker, die in den Straßen Midgars starben ... Und wieder würde sie es sein, die den Tod in die Straßen Midgars brachte. „Hinsichtlich der aktuellen Situation und des gigantischen Erfolges beim ersten Durchlauf ist dieses Vorhaben nur nachvollziehbar.“ „Aber ...“, begann Cutter, verstummte jedoch, als Sephiroth den Zeigefinger auf die Lippen legte und betont langsam blinzelte. „Genau deshalb“, fuhr der General fort, „ist Rufus diesmal vorhersehbar, und zwar ausnahmslos für alle Involvierten. Mit anderen Worten: Mach dir keine Sorgen. Du wirst sehen, diesmal kriegt ShinRa keinen Tropfen Blut!“ Cutter zögerte. Zu intensiv waren ihre Erinnerungen an den ersten `Silent Cry´ und alle Ereignisse, die dieser ausgelöst hatte. Aber Sephiroth war, im Gegensatz zu ihr, ein genialer Stratege, der seine Gegner genau studierte, Fehler in deren Plänen mit gefürchtetem Scharfblick erkannte und für sich ausnutzte ... Letztendlich nickte die junge Frau, lauschte aufmerksam den weiteren Anweisungen des Generals, und war, als Rufus sie etliche Stunden später erneut zu sich zitierte, um die Kollektorenlines zu überprüfen, entsprechend gefasst. Sie ergänzte die Zahl der neuen Kollektoren um 9, was insgesamt eine Summe von 16 innerhalb der letzten Stunden aktivierten Neuanschlüssen ergab. Und Rufus, der extrem gut mit Zahlen umgehen konnte, hatte keine Probleme, sich auszurechnen, wann die Stadt komplett mit Solarenergie versorgt sein würde. Sofern nicht jemand das Tempo drosselte. Und so gab er, nachdem Cutter sein Büro wieder verlassen hatte, den offiziellen Befehl zu `Silent Cry 2´. Sephiroth nahm den Befehl entgegen, aber keine seiner folgenden Bewegungen deckte sich mit Rufus Anweisungen. Er wies lediglich die ihm wieder gegenübersitzende Cutter an, die Lines im Auge zu behalten, und fuhr mit seinen üblichen Routinearbeiten fort. Eine Stunde später machte er sich fast grinsend auf den Weg zu Präsident Shinra. Dessen Empfang fand mit der üblichen Herzlichkeit statt. „Die Mission kann unmöglich schon beendet sein, General!“ „Sie hat nie angefangen, Mr. President.“ Es war ihr erstes offizielles Treffen seit des Befreiungsschlages. Und obwohl Rufus ganz genau verstanden hatte, dass er momentan wie auf dem Präsentierteller saß, war es ihm unmöglich, in seiner Position zurückzuweichen oder in Deckung zu gehen. „Soll ich das als Befehlsverweigerung verstehen, Crescent?!“ „Nicht doch, Shinra.“ Sephiroths Lächeln war durch und durch herablassend. „Es ist wie beim Schach. Man darf dieselbe Bewegung nur ein paar Mal wiederholen. Bei Ihnen hat der Planet die Grenze nach einem Mal gezogen. Die neuen Solarplatten sind durch die Lines nicht auszumachen.“ Er genoss die einsetzende Stille einige Sekunden lang und fügte fast genüsslich hinzu: „Der Planet trickst Sie aus, Mr. President, und Sie sind machtlos. Sie werden sich etwas besseres als `Silent Cry 2´ einfallen lassen müssen, um Solar Solution aufzuhalten. Teilen Sie mir Ihre Ideen mit. Ich werde sie durchführen, wenn sie mir gut genug erscheinen, bezweifle aber, dass Sie meinen hohen denktechnischen Ansprüchen bald gerecht werden.“ Und dann, völlig unvermittelt, kam noch einen Schritt näher, stützte sich auf dem Schreibtisch ab, lehnte sich nach vorne, bis er Rufus direkt in die Augen sehen konnte, und wisperte, sich völlig auf seinen Instinkt verlassend: „Vielleicht, Mr. President, sollten Sie Hiwakos Angebot annehmen und kooperieren, statt sich endlos im Todeskampf zu winden und Stück für Stück vor den Augen der Welt Ihre gesamte Stärke zu verlieren. Andererseits wäre diese Vorstellung höchst ... erheiternd.“ Die Reaktion verriet einen Volltreffer. „Woher wissen Sie von diesem Angebot?“ „Die Frage ist nicht, was ich weiß, Mr. President, sondern was Sie nicht wissen.“ Mit diesen Worten wandte er sich um und verließ den Raum. Rufus sah ihm nach und fühlte sich, als sei er gerade mehrfach sehr hart getreten worden. Niemals zuvor hatte ihn irgendjemand so herablassend behandelt, und das Bewusstsein, (noch) nichts dagegen tun zu können, war mehr als erniedrigend – und, vor allem, nicht verdient! Möglicherweise hätte bei jedem anderen wenigstens ein kleiner Teil des Verstandes beharrlich darauf hingewiesen, dass sich Jenova Projekt 1 in all den zurückliegenden Jahren ganz genauso gefühlt hatte, und jetzt wohldosierte Mengen genau dieses Gefühls an seine früheren Peiniger zurückgab ... aber Rufus hatte diesen Teil seines Verstandes schon vor langer, langer Zeit dauerhaft zum Schweigen gebracht. Abgesehen davon ... Ich habe es genossen, mit ihm zu spielen, ihn zu quälen, zu erniedrigen, ihn auszunutzen und seinen Willen zu brechen. Das Bewusstsein, vielleicht eines Tages das Ziel seiner Rache zu werden ... Auch dieser Nervenkitzel war mir Willkommen. Und er hält an. Wenn auch anders, als erwartet. Aber dieses ... Ding wird nicht zur Nemesis der Electric Power Company werden! Hojo arbeitet mit Hochdruck an den S-1 Einheiten. Es kann, nach seinen eigenen Aussagen, unmöglich noch länger dauern, als ein paar Wochen! Mit den S-1 Einheiten wird Jenova Projekt 1 nicht fertig, dafür haben Hojo und ich gesorgt. Sie werden ihn auseinander nehmen! Nicht einmal sein Schwert wird ihn retten können ... Blieb nur noch die Frage, wie der General von der von Hiwako angebotenen Kooperation hatte erfahren können. Was wenn er plante, sich mit Solar Solution zu verbünden? Woher sonst hätte er dieses Wissen haben können? Oder war es nur eine falsche Fährte? Die Frage ließ sich nicht beantworten. Und so blieb Rufus nur, die Straßen Midgars pausenlos von SOLDIER und Armytruppen überwachen zu lassen, die den Befehl hatten, verdächtige Personen sofort festzunehmen oder, bei Flucht, zu eliminieren. „Er arbeitet an einer Todesliste.“ Cutters Stimme klang ganz leise. „Ich kann es spüren.“ „Das tut Rufus ständig“, antwortete Sephiroth gelassen und sortierte eine weitere, mit dem hübschen roten `Abgelehnt´ Stempel versehene Arbeitsanweisung auf den Dokumentenstapel, der im Laufe des Tages auf Präsident Shinra´ s Schreibtisch landen würde. In letzter Zeit machte der Papierkram wirklich Spaß! Wer hätte das jemals für möglich gehalten? „Es gibt übrigens schon wieder zwei neue Lines.“ Cutter schüttelte den Kopf. „Hiwakos Leute sind so schnell geworden!“ „Ich vermute eher, dass ihm jetzt mindestens die doppelte Anzahl an Techniker zur Verfügung steht. Der Planet hat mit dem Verschwinden der Makoreaktoren, der Regeneration von Flora und Fauna und nicht zuletzt den aktuellen Klimabedingungen klare Worte gewählt. Es besteht überhaupt kein Zweifel, auf wessen Seite er ist. Letztendlich möchte sich niemand mit ihm anlegen.“ „Außer uns“, seufzte Cutter. „Wie viele Reaktoren sind eigentlich mittlerweile verschwunden?“ „Du begehrst ernsthaft Zugriff auf Top Secret Informationen, deren Mitteilung für gewöhnlich mit der schnellstmöglichen Eliminierung von Informant und Empfänger bestraft wird? Es sind 9 Reaktoren.“ „Du genießt das, hab ich Recht?“ Sephiroths Grinsen war nicht einfach nur `böse´. Es war nahezu dämonisch, gleichzeitig allerdings auch voller Leidenschaft. Er gönnte Rufus den Druck aus ganzem Herzen – und war dennoch fest davon überzeugt, dass der Präsident der Electric Power Company eine Möglichkeit finden würde, Solar Solution und den Planeten zu besiegen. Bis es soweit war, würde aber, wie es im Moment aussah, noch eine ganze Weile vergehen. Zeit, die sinnvoll verbracht werden musste. „Kommst du mich heute Abend besuchen?“ Cutter lächelte. „Natürlich!“ Stunden später konnten beide auf einen äußerst friedlichen, jetzt langsam ausklingenden Abend zurückblicken. Nicht mehr lange allerdings, und Sephiroth würde seine Freundin im Hinblick auf die schon in wenigen Stunden stattfindende Mission ins Bett schicken – in ihr eigenes, wohlgemerkt, in ihrem kleinen Quartier. Sofern sie sich nicht auf Missionen befand und sich woanders ausruhen musste, war dies ihr konsequenter Schlafplatz, immer noch und trotz allem. Es war ein seltsamer Zustand, der dennoch in völligem Frieden von beiden akzeptiert wurde, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Cutter hatte ihren Freund wissen lassen, nur auf seine Zustimmung zu warten, um die Nächte bei ihm zu verbringen, friedlich schlafend wie in jener Nacht nach der ersten missglückten Zerstörung der Solarkollektoren ... oder nicht. Es war genau dieses `oder nicht´, das Sephiroth davon abhielt, an der jetzigen Situation etwas zu ändern. Niemals zuvor war er einem anderen Menschen so nahe gewesen, wie es jetzt bei Cutter der Fall war, und er wollte nichts davon verändern, aus Angst, etwas zu zerstören oder zu verlieren. Cutter schien seine Gedanken genau zu kennen, denn sie protestierte, wenn er sie in ihr Bett schickte, nie (oder nur spielerisch, auf eine Art und Weise, die ihn unwillkürlich zum Lachen oder wenigstens zum Schmunzeln brachte), und behielt ihren wartenden Status bei, ohne beleidigt, ungeduldig oder vorwurfsvoll zu sein. Und Sephiroth liebte sie dafür, auch, wenn er die Worte immer noch nicht ausgesprochen hatte. Er war gerade dabei, intensiv über den richtigen Zeitpunkt nachzudenken, als ihn die neben ihm auf der Couch sitzende Cutter jäh aus seinen Gedanken riss. Es war schon spät, und der Oberschenkel des Generals der perfekte Ersatz für ein Kissen ... Die so friedlich daliegende Phoenix nicht zu streicheln, war ein Ding der Unmöglichkeit. Und so glitten Sephiroths Hände schon nach wenigen Sekunden streichelnd über einen nackten, warmen Rücken, langsam und gleichmäßig, prägte sich dessen Beschaffenheit ein, fühlte den leichten, so ausgelösten Schauern nach, und war sich völlig bewusst, dass diese Situation früher niemals hätte geschehen können. Jetzt hingegen genoss er sie, so intensiv, wie es ihm nur möglich war. Cutter ging es ebenso, zeitgleich wünschte sie sich, all das möge niemals enden ... und wollte gleichzeitig ebenso intensiv zurückstreicheln, bei ihm sein, ganz und gar, vollkommen, und vor allem ohne störenden Stoff zwischen ihnen. Ihr war klar, dass er die Botschaft längst verstanden hatte, und genauso klar, dass er den Zeitpunkt einer Antwort wählen würde. Bis es soweit war, konnte sie ihm nur immer wieder versichern, einverstanden zu sein, wortlos, unaufdringlich, und auf ihn zu warten. Dass sie sich diesem einen, ganz speziellen Moment erneut ein wenig näherten, war Sephiroth allerdings gar nicht bewusst, denn eine gerade festgestellte Tatsache war viel interessanter: Die sanfte, seitlich gelegene Wölbung von Cutters Beckenknochen passte genau in seine Handinnenfläche. Sephiroth hielt verblüfft inne. Er konnte sich nicht erinnern, seine Hand bewusst dorthin bewegt zu haben, aber jetzt war sie dort. Und die Beschaffenheit der Haut unter ihr war zu neu, zu warm und zu weich, um die Streicheleinheiten zu beenden. Und so ließ Sephiroth seine Hand genau dort und erkundete lediglich mit den Fingerspitzen fasziniert die neue Umgebung. Erst als Cutter merklich erschauerte, wurde ihm schlagartig bewusst, dass er eine sie betreffende Grenze ohne Vorwarnung überschritten hatte, und so zog er seine Hand fast erschrocken zurück – allerdings nur, um seiner Freundin die Gelegenheit zu geben, ihn festzuhalten ... und die Hand mit einer sanften Bewegung wieder auf die vorherige Position zu schieben. Eine Geste, die überdeutlich sagte: `Du darfst das. Keinem anderen würde ich das erlauben. Aber du darfst das.´ Diesmal dauerte es mehrere Minuten, ehe Sephiroth seine Hand langsam zurückzog. Cutter stieß ein leises, dem Verlust geltenden Murren aus und blinzelte mühsam. „Ich hoffe“, murmelte sie, „du willst auf der anderen Seite weitermachen, das war nämlich wirklich, wirklich schön ...“ „Eigentlich“, antwortete Sephiroth ebenso leise, „wollte ich dich ins Bett schicken.“ „Mein eigenes, nehme ich an? Zu schade.“ „Du hast viele anstrengende Missionen vor dir. Ich möchte dir wenigstens die Chance geben, dich noch ein wenig auszuruhen.“ „Zu Befehl, mein schrecklich logisch denkender General.“ Dann gähnte sie keinesfalls verhalten, setzte sich wieder auf, küsste ihn zärtlich, wisperte: „Gute Nacht, Sephy. Bis morgen, ich hab dich lieb!“, und verließ das Appartement. Sephiroth sah ihr nach, bis sie die Tür hinter sich schloss, und obwohl er es gewesen war, der sie gerade weggeschickt hatte, fiel es ihm doch schwer, sie gehen zu lassen. Und unwillkürlich begann er sich zu fragen, wie er reagieren würde, käme sie nicht mehr zurück. So unreal dieses Szenario war, es beschwor dennoch eine seltsame Art von Kälte in ihm herauf, die anhielt, bis sich der General energisch zur Ordnung rief. Cutter würde nicht verschwinden! Sie würde bei ihm bleiben, ihn `Sephy´ nennen, ihn zum Lachen bringen, ihn in Verblüffung stürzen ... und all diese anderen Dinge tun, die nur sie vermochte. Und er würde es zulassen, sich dabei Stück für Stück weiterentwickeln und irgendwann ein Stadium erreichen, das es wert war, dauerhaft beibehalten zu werden. Ja, so würde es sein, ganz egal, was die Zukunft an Herausforderungen in Reserve haben mochte – auch, wenn einige von ihnen schwieriger als andere sein mochten. Wäre es ihm möglich gewesen, einen Blick in die Herausforderungen der Zukunft zu werfen, so hätte er einmal, nur dieses eine Mal, kapituliert und die nächsten 24 Stunden mit Cutter im HQ verbracht. Aber so war er sicher, allem gewachsen zu sein – inklusive der morgigen Mission. Sie führte in den Cosmo Canyon. Cutter war noch keine 10 Sekunden am als Treffpunkt für alle Missionsteilnehmer vereinbarten Heliport angekommen, als hinter ihr eine vertraute Stimme erklang. „Yo, Cutter-cut-cuttie-chaaaaaan!“ Die junge Frau hatte gerade noch Zeit, sich auf den Aufprall vorzubereiten, bevor Zack sie erreichte, an sich drückte und ihr dann mit beiden Händen die Frisur ruinierte. „Hi Zack.“ Dann prustete sie: „Warum trägst du ein rotes Cape?“ „Das ist wegen meiner Superkräfte! Sie ... Rgh! Au! Hey! Seph!“ Sephiroth war völlig unvermittelt hinter dem 1st aufgetaucht und hatte mittels eines kräftigen Ruckes das leuchtend rote Cape entfernt. „Sei froh, dass ich dich nicht augenblicklich damit erwürge, SOLDIER!“ Zack hielt einen Augenblick inne – dann ließ er sich zu Boden sinken. Wimmernd. Allerdings nicht, wie es hinsichtlich des ihm geltenden Blickes angebracht gewesen wäre, um Gnade... „Meine Superkräfte ... sie schwinden ... argh ... du herzloser General!“ Sephiroth nutzte die Gelegenheit für einen heftigen (und seines Erachtens nach längst überfälligen) Tritt in den Allerwertesten des vor ihm liegenden Mannes. „Steig in den Helikopter, Zackary!“ „Na gut.“ Mit einer geschmeidigen Bewegung kam der 1st wieder auf die Beine und marschierte, die vergnügt lachende Cutter vor sich herschiebend, vorbei an seinen halb lachenden, halb kopfschüttelnden Kollegen in Richtung der abflugbereit stehenden Black Hawks. Sephiroth vernichtete das rote Cape und folgte ihnen. Es dauerte nur wenige Minuten, ehe die Hubschrauber abhoben. Der Cosmo Canyon war ein Paradies für die Farben Gelb, Orange, Braun, alle Untertöne und Personen, denen es Freude machte, sich darüber zu streiten. Das von einem tiefblauen Sommerhimmel herabstrahlende Licht der Sonne ließ die verschiedenen Nuancen ganz besonders hell leuchten. Heißer Wind strich über staubtrockenen Boden, wirbelte feinen Staub auf und legte ihn woanders wieder ab. Die Luft flirrte vor Hitze. Wer konnte, suchte Schutz im Schatten der Felsen. Alle anderen arbeiteten derzeit für ShinRa und schwitzten – oder ärgerten ihren General. „Wohin denkst du, gehst du, SOLDIER?!“ „Heim!“, antwortete Zack vergnügt. „Ich habe gerade mit meinem General gesprochen, er hat gesagt, ich darf. Und du bist bloß eine Fata Morgana. Tschüss.“ „Ich bin dein General! Und du bleibst hier! Abgesehen davon läufst du in die falsche Richtung.“ „Du willst mich nur verwirren“, grollte Zack, bremste aber. „Dem Stand der Sonne nach zu urteilen ... autsch. Ich sollte nicht direkt hineinsehen. Jetzt habe ich buntes Geflimmer vor den Augen. Ich bin krank! Perfekt!“ Und als eine positive Reaktion ausblieb: „Ach komm schon, Seph! Die Sonne kocht mein Hirn.“ „Möchtest du, dass ich es stattdessen koche?“ „Es steht kurz vor der Überlastung!“ „Das tut es pausenlos.“ „Lass mich wenigstens in den Schatten.“ „Du bist ein 1st Class SOLDIER, hör auf zu jammern!“ „Gerade, weil ich jammere, solltest du mich besonders ernst nehmen.“ Gleichzeitig kam er zurück und ließ sich in dem von Sephiroth geworfenen Schatten nieder. Der General trat augenblicklich einen Schritt zur Seite. „Zackary Fair, geh wieder auf deinen Posten!“ „Menno ...“ Gleichzeitig flüchtete er sich wieder in den Schatten seines besten Freundes. „Du hast mich nicht lieb!“ „Korrekt! Und jetzt ... Was tust du da?!“ „Ich versuche dich einzugraben, damit du mir meinen Schatten nicht klaust.“ „Zackary Fair“, grollte Sephiroth und machte einen ganz besonders weiten Schritt zur Seite, „befolge meinen Befehl!“ „Spielverderber!“, grollte der 1st, erhob sich und schlurfte davon. Sephiroth beobachtete ihn kritisch, aber nicht ganz uneinsichtig. Zack hatte Recht. Es war heiß hier, sogar verflucht heiß, da die Steine sich zusätzlich erwärmten und die Hitze abgaben, aber die Unterstützung von SOLDIER war bei dieser Mission unabdingbar. Außerdem würde sie die körperlichen Grenzen seiner Männer ... Das zu gleichen Teilen schmerzerfüllte, wie entrüstete: „Au!“, dicht gefolgt von einem klatschenden Geräusch, erklang in seiner unmittelbaren Nähe. Der General wandte betont langsam den Kopf und wurde Zeuge, wie Cutter heftig ihr rechtes Bein schüttelte und dann den Boden mit wütenden Tritten bearbeitete. Sephiroth atmete tief durch. „Kann ich dir irgendwie behilflich sein, Death Walker?!“ Cutter hielt inne. „Äh, nein, Sir. Verzeihung. Irgendein komisches ... Viech hat mich gestochen. Tut ziemlich weh! Aber ich hab es platt gemacht. Sir.“ „Wenn nicht der Verlust der betroffenen Gliedmaße zu erwarten ist, schlage ich hiermit eine Rückkehr zu deinem normalen Verhalten vor! Innerhalb der nächsten Sekunde!“ Cutter schaffte es, die vorgegebene Zeit nicht zu überschreiten. Die Mission ging weiter. Aber Sephiroth konnte es sich nicht verkneifen, seiner Freundin hin und wieder einen aufmerksamen Blick zuzuwerfen. Er wusste, sie war hart im Nehmen, und wenn sie sagte, dass etwas weh tat, dann war es so. Und so entging ihm nicht, wie sie sich immer wieder die gestochene Stelle rieb. Es wurde Nachmittag, ehe die Mission erfolgreich beendet wurde und die Helikopter wieder abhoben. Cutter war ungewöhnlich schweigsam, und Sephiroth konnte spüren, dass sie intensiv in sich hineinlauschte, um etwas zu verfolgen, das sich anders anfühlte als sonst. Etwas, das absolut nicht in Ordnung war. Auch Zack bemerkte die unnatürliche Stille, sah fragend zu seinem besten Freund hinüber und stupste, als dieser kaum merklich nickte, den neben sich sitzenden Grund für die leichte Besorgnis kurz an. „Was ist los? Du bist so still.“ Die Angesprochene schüttelte mit gerunzelter Stirn den Kopf. „Irgendwie ist mir kalt.“ „Jaaa, das ist mir auch immer bei knapp 32 Grad im Schatten, sofern er nicht wegl- ... äh, was ist dir?!“ „Kalt, eisig kalt. Und furchtbar schwindelig.“ Sephiroth hielt den Zeitpunkt für mehr als gekommen, sich einzumischen. „Zeig mir den Stich!“ Ein kurzes Zögern, dann aber krempelte sie ihr rechtes Hosenbein hoch. Die Einstichstelle war überdeutlich zu erkennen und umgeben von einem breiten, dunkelroten Rand. „Allergische Reaktion“, konstatierte der General gänzlich unbeeindruckt. Derartiges kam in letzter Zeit bei an Missionen teilnehmenden Personen häufiger vor. Es gab zwar entsprechende Schutzimpfungen (selbst Rufus hatte eingesehen, dass diese notwendig waren), aber durch die Regeneration des Planeten existierten jetzt viel mehr mögliche Auslöser - zuviele, um alle zu erforschen. In akuten Fällen blieb somit nur eine Möglichkeit. „Melde dich auf der Krankenstation. Zack, du gehst mit und sorgst für eine schnelle Abwicklung.“ „Ja, Sir! Wir werden den neuen Rekord im Abwickeln aufstellen! Richtig, Cuttie?“ „Hmhm.“ Mittlerweile lehnte ihr Kopf an der Wand hinter sich und ihre Augen waren fest geschlossen. Ein mehr als untypisches Verhalten, das Sephiroths Sorge verstärkte. Er hätte gerne etwas fürsorglicher reagiert, aber hier, unter den Augen aller Anwesenden, kam das nicht in Frage. Und so blieb ihm nur, Cutter aufmerksam aber nicht offensichtlich im Auge zu behalten, bis der Helikopter wieder landete, alle Insassen ausstiegen und sich im HQ zerstreuten. Zack und Cutter allerdings machten sich auf den Weg zur Krankenstation. „Cuttie, du siehst nicht gut aus.“ „Ich fühle mich auch gar nicht gut“, murmelte die Angesprochene mit völlig fremder Stimme, bewegte sich aber trotzdem tapfer vorwärts. Als sie endlich die Krankenstation erreichten und vor der Anmeldung anhielten, war die junge Frau schweißgebadet. Trotzdem griff sie nach dem Stift, um das notwendige Formular auszufüllen ... aber ihre Hand erreichte nie das Ziel. Cutter nahm nicht mehr wahr, wie die Beine unter ihr nachgaben und nur Zacks blitzartige Reaktion sie davon abhielt, hart auf dem Boden aufzuschlagen. Alles versank in Finsternis. Die Momente waren höchst selten, aber manchmal musste selbst General Crescent alles an Selbstdisziplin aufbieten, um gewisse Dinge nicht selbst zu tun. Cutter persönlich auf die Krankenstation zu begleiten, zum Beispiel, war unter den gegebenen Umständen nicht möglich, und Zack eine wesentlich bessere, unauffälligere Eskorte. Dennoch war es eine Situation, in der sich Sephiroth unwillkürlich fragte, ob dieses Theater wirklich notwendig war hinsichtlich der Tatsache, dass sowohl er, als auch seine Freundin problemlos in der Lage waren, einer unwillkommenen Situation Einhalt zu gebieten. Andererseits aber gehörte ihre Beziehung nicht in die Öffentlichkeit ... Der General seufzte leise. Eigentlich hätte er jetzt, statt hier zu stehen und nachzudenken, in sein Büro gehen und sich mit dem (wesentlich reduzierten, aber dennoch notwendigem) Papierkram beschäftigen müssen. Aber irgendetwas hielt ihn davon ab und ließ ihn stattdessen einer Alibitätigkeit in der Nähe des Einganges zur Krankenstation nachgehen. Dabei lauschte er ununterbrochen auf die Verbindung zwischen sich und Cutter, wissend, dass sich Veränderungen in jede nur erdenkliche Richtung zuerst hier zeigen würden. Aber alles blieb still. Trügerisch still. Mehrere Minuten lang. Und dann, als habe auch die letzte Sicherheitsvorrichtung versagt, geschah alles gleichzeitig. Irgendetwas brach zusammen, begann zu fallen und sich dabei aufzulösen. Sephiroth konnte es so deutlich spüren, als sei er selbst davon betroffen. Irgendetwas war ausgelöst worden und hatte eine Kettenreaktion verursacht ... Es ging rasend schnell. Der General verschwendete keine Sekunde mit Nachdenken oder gar Zögern. Er setzte sich augenblicklich in Bewegung, erreichte in Rekordzeit den Eingang zur Krankenstation, trat ein und öffnete nur wenige Sekunden später trotz allem so beherrscht wie möglich die Tür, hinter der er Cutter einfach wusste. Der sich ihm bietende Anblick deckte sich mit dem immer noch andauernden Gefühl eines absoluten Absturzes. Da war ein Arzt, der Kommandos gab, Schwestern, die diese Kommandos schnell und routiniert befolgten, ein kleiner Monitor, auf dem zu erkennen war, dass all die Hilfestellungen nichts bewirkten ... und die in einem Bett liegende Cutter, bewusstlos und bis auf die kaum noch zu erkennende Atmung ohne jegliche Bewegung. „Seph!“ Allein die winzige Silbe verriet, wie erleichtert und besorgt Zack gleichzeitig war. „Ich habe keine Ahnung, was hier los ist! Wir standen an der Anmeldung und auf einmal ist Cuttie zusammengebrochen ...“ Sephiroth hörte nur mit halbem Ohr zu. `Dank´ Hojo hatte er genug Fachbücher über Medizin gelesen, um die Sprache eines Arztes übersetzen zu können. Was er hier erfuhr, war alles andere als beruhigend. Der Insektenstich hatte irgendetwas in Cutters Körper übertragen, das dabei war, ihr Blut gerinnen zu lassen. Lebensnotwendige Organe waren kurz davor, den Dienst einzustellen. Und alle bisher verabreichten Medikamente hatten nichts bewirken können. Mittlerweile war klar zu erkennen, dass dem Arzt und seinem Team die Zeit davonlief. Die Anweisungen wurden lauter und hektischer, erste Diskussionen flammten auf, erloschen, Materia wurde eingesetzt und versagte, die Diskussionen begannen erneut ... Und endeten schlagartig, als erste Funken aus grünem Licht in Cutters Körper zu glühen begannen. Der Lebensstrom machte sich bereit, eine Existenz erneut in sich aufzunehmen. Der Arzt wandte sich zu Sephiroth um. „Tut mir leid, General. Wir können nichts mehr für sie tun.“ Für einen kurzen Augenblick war Sephiroth kurz davor, seine legendäre Beherrschung zu verlieren und das Ergebnis an dem Arzt auszulassen. Dann ging der Moment vorüber. Klares, berechnendes Denken setzte wieder ein, so schnell und geschmeidig wie fließendes Wasser. Wenn die übliche Medizin und sogar Materia versagten, gab es nur noch eine einzige Person, die vielleicht noch in der Lage war, das Unmögliche zu vollbringen. Zack sah verblüfft zu, wie sein General Cutter anhob und sich umwandte, mit einem Augenausdruck, der jedes jemals dort erkennbare Gefühl in den Schatten stellte. „Whoa, Seph, was hast du ...“ Und dann begriff er. „Shit ... Warte, ich mach dir die Türen auf!“ Es gab Momente, in denen musste man alle Regeln verletzten, alle Gesetze brechen und alle Ängste überwinden, um das Richtige zu tun. Jetzt hatte ein solcher begonnen. Und es gab nur einen Ort, an dem er enden würde. Sephiroth und Zack gingen nicht. Sie rannten. Für Sephiroth existierten in dieser Zeit keine anderen Personen, die ihm verblüfft nachsahen, keine Kameras, die das Geschehen aufzeichneten, keine Hindernisse. Nur der bewegungslose, vom Lebensstrom gezeichnete Körper in seinen Armen. Zack, mit der ID Karte des Generals ausgerüstet, öffnete alle Türen auf dem Weg, aber die letzten, welche zusätzliche Informationen zum Öffnen benötigten, Informationen, für die momentan keine Zeit war, räumte Sephiroth mittels eines einzigen, entschlossenen Fußtrittes zur Seite. So auch die allerletzte – danach aber hielt er inne. „Du bleibst hier!“ Der durch das gewaltsame Eindringen in den streng gesicherten Bereich ausgelöste, heulende Alarmton, das Glitzern in den Augen des Generals, dessen Stimmlage und Betonung ... Zack wagte keinen Protest. Und so blieb er gehorsam, aber innerlich äußerst aufgewühlt im Flur zurück und lauschte in der Hoffnung, irgendetwas zu hören. Denn sehen konnte er Sephiroth längst nicht mehr. Hojo sah hinsichtlich der sich ihm nähernden Schritte nicht einmal auf. Er befand sich mitten in einer Operation, und auch, wenn sein momentanes Testobjekt längst die Besinnung verloren hatte, die OP an sich verlief äußerst zufriedenstellend – wurde jedoch jäh beendet, als eine in schwarzem Leder steckende Hand die Operationsfläche jäh in Schräglage versetzte und so das darauf befindliche Testobjekt brutal zu Boden beförderte. Eine derart respektlose Behandlung bei weitem nicht gewohnt, sah der Professor auf (nahm wahr, wie Sephiroth etwas auf dem Metalltisch ablegte) – und kollidierte mit einem Blick, der Ähnlichkeit mit einem unter klarem Eis eingeschlossenen, aber äußerst aktiven Vulkan besaß. „Rette sie, und ich komme zurück!“ Es gab keinen Blick, den Hojo nicht schon einmal bei Sephiroth gesehen hatte. Auch dieser war nicht neu, aber niemals zuvor so intensiv gewesen. Ob er noch steigerungsfähig war? Der Professor lächelte kalt. „Ich habe keinerlei Verwendung mehr für dich.“ Einen Sekundenbruchteil später gruben sich zwei Hände in seinen Kittel, zogen den in ihm steckenden Körper mit einem Ruck vorwärts ... „Unternimm etwas, oder ich schicke dich augenblicklich in den Lebensstrom!“ „Das widerspricht deiner vor wenigen Sekunden an den Tag gelegten Taktik, mein kleiner Sephiroth. Vielleicht solltest du dir erst überlegen, was du willst, und mich erst dann mit deiner Gegenwart belästigen!“ Der daraufhin in den Augen seines Gegenübers erwachende Ausdruck ... war neu. Und so fremd, dass Hojos Interesse die Gleichgültigkeit abschüttelte und sich zu fokussieren begann. Was hätte jemanden wie Sephiroth dazu bringen können, seine Gefühle so offen zu zeigen und einen solchen Handel vorzuschlagen? Nachdem er sich seines Erachtens nach endlich hatte befreien können? Was war stark genug, ihn hierher zurückzutreiben, noch dazu, wie es aussah, nicht ganz freiwillig? Hojo sah nach unten. Verhielt einen Augenblick. Sah wieder zu Sephiroth auf ... und begann zu kichern. „Oh ... verstehe. Großartig! Das ist wirklich großartig! Du bringst mir deine kleine ...“ „Hojo!“ „Wir wollen doch höflich bleiben! Ich bin ein humorvoller Mensch, und diese Situation beinhaltet eine wirklich außergewöhnliche Komik! Und jetzt lass mich los, schaff sie in den Tank da drüben und leg ihr eine Sauerstoffmaske an!“ Sephiroth hatte sich geschworen, dieser Stimme nie wieder zu gehorchen. Aber jetzt blieb ihm keine andere Wahl. Und so schloss er die Tür fest hinter der vorsichtig auf dem Boden des Tanks abgelegten und mit einer Sauerstoffmaske versehenen Cutter und trat zurück, um einen besseren Überblick zu erhalten. Hojo stand bereits am Hauptsteuerungscomputer und ließ die Finger über die Tastatur tanzen, ein undeutbares Geräusch, das vorerst nur die Aktivierung des Sicherheitsverschlusses am Tank selbst, dargestellt durch ein rotes Licht, bewirkte. Dann begann sich der Tank schlagartig mit Flüssigkeit zu füllen. Flüssigkeit von einer unverwechselbaren Farbe. „Das ist Mako!“ „Natürlich ist das Mako! Womit soll ich den Tank sonst fluten, etwa mit Erdbeergelee?!“ Und Sephiroth wurde schlagartig klar, dass er einen furchtbaren Fehler gemacht hatte. Cutter hierher zu bringen ... Die wichtigste Person seines Lebens Hojo auszuliefern, Hojo, der keinerlei Veranlassung hatte, zu helfen, der vielmehr die Chance, sich für die erlittene Schmach zu rächen, so auf dem Silbertablett serviert bekam ... Ich muss wahnsinnig gewesen sein. Hojo wird den Moment nutzen! Er wird Cutter vor meinen Augen töten und das Ganze als Experiment dokumentieren ... Die linke Hand des Generals schloss sich um Masamune, zog das Schwert aus der Schutzhülle ... „Das ist Mako der G-Klasse, falls du mit dem Begriff noch etwas anfangen kannst“, erklang Hojos verächtliche Stimme. „Es dringt in den Körper ein und sucht selbstständig nach geschädigten Zellen, um diese zu regenerieren.“ „Dazu muss es vorher mit Zellen des betreffenden gesunden Körpers gefüttert worden sein!“ „Zuerst einmal muss bereits im Rohmaterial festgelegt werden, ob das Mako zur Reparatur männlicher oder weiblicher Körper benutzt werden soll! Du hat wirklich alles vergessen, was? Wirklich erbärmlich! Wir haben hier die weibliche Version. Bis jetzt allerdings hat sie immer versagt, und ich hatte bisher noch keine Gelegenheit herauszufinden, wies ... Ah, das war zu erwarten.“ Sephiroths Kopf ruckte herum. Im Inneren des Tanks bäumte sich Cutters mittlerweile in der Flüssigkeit schwebender, grün glühender Körper auf wie unter einem heftigen elektrischen Schlag, ein klares Zeichen für die von allen Seiten eindringende Substanz. Die zusätzliche Anstrengung machte sich auch auf dem kleinen, am Tank angebrachten Bildschirm, der die Vitalfunktionen anzeigte, bemerkbar. Sie fielen immer weiter. Gleichzeitig intensivierte sich die Farbe des Makos, sicherer Beweis für eine durch den Professor vorgenommen Beeinflussung, welche das grüne Glühen des Körpers im Tank ebenfalls steigerte. „Hör auf! Hojo!“ „Ich nehme keine Befehle von gescheiterten Experimenten entgegen!“ Im Tank begann sich die Cutters Kleidung aufzulösen. Es schien, als verschwände damit auch der allerletzte Schutz, und obwohl Sephiroth wusste, dass Hojo der Anblick nackter weiblicher Körper ebenso kalt ließ wie der männlicher, so war ihm der Gedanke, Cutter auf diese Art und Weise zu offenbaren, noch dazu gegen ihren Willen, unerträglich ... Die Flügel schoben sich völlig vorwarnungslos aus ihrem Rücken, gänzlich anders als jemals zuvor, blickdicht, und verhüllten den ihnen anvertrauten Körper. Gleichzeitig wurde das grüne Glühen des Lebensstroms immer schwächer und schwächer. Als der Vorgang endete, blieben als Lichtquelle nur das Mako selbst und die an der Außenseite des Tanks erkennbaren Vitalwerte zurück. Sie stabilisierten sich. Völlige Stille beherrschte das Labor. Sie schien fast heilig zu sein. Und in ihr schwebte die perfekt synchronisierte Aufmerksamkeit der beiden so unterschiedlichen Männer, einzig und allein auf die Geschehnisse in dem Makotank vor ihnen gerichtet. Cutters körperliche Umrisse hatten sich stabilisiert. Jetzt war wieder jedes nicht von den Flügeln verdeckte Detail klar sichtbar. Und der kleine Bildschirm an der Tankaußenseite zeigte niedrige, aber konstante Vitalwerte. Hojos Kichern entweihte die Stille. Etwas klickte. Und Sephiroth, der schon wusste was dieses Geräusch zu bedeuten hatte, schloss gequält die Augen. Hinter ihm erklang die unbeeindruckte Diktierstimme des Professors. „Experiment Nr. G-M 1.0.10.80. Kontaminierung eines unvorbereiteten Körpers mit Mako Typ G, Feminine Version.“ Leises Klicken, das auf einen vorläufigen Stopp hindeutete. „Du versucht gar nicht, mich für die Flügel verantwortlich zu machen, mein kleiner Sephiroth. Ich nehme an, du kanntest sie bereits?“ Klicken. „Phase 1 des Experiments, Start 19:53:16 Uhr, erwartete Schockreaktion des Körpers mit ersten Abstoßungserscheinungen inklusive fallender Vitalfunktionen. Phase 2 des Experiments: Erhöhung der Makokonzentration um 19:56:53 Uhr.“ Leises Klicken. „Weißt du, was mich an dieser Sache am meisten amüsiert? Nicht, dass du eine kleine Freundin hast. Sondern dass sie genauso ein Monster ist, wie du.“ Klicken. „Wiederholte Abstoßungserscheinungen inklusive fallender Werte. Verlust der Kleidung. Besondere Vorkommnisse: Das Erscheinen von leuchtenden Flügeln – siehe hierzu Anhang A – und die Ausrichtung derselbigen über den das Geschlecht identifizierenden Körperstellen. Absorbierung sämtlicher Hinweise auf den Lebensstrom. Phase 3 des Experiments, Start 20:01:43 Uhr, Stabilisierung sämtlicher Werte. Weitere Entwicklungen nicht auszuschließen.“ Er deaktivierte das Aufnahmegerät wieder, schob es in die Brusttasche seines Laborkittels und verkündete lächelnd: „Du kannst gehen. Keine Sorge, auf sie werde ich besonders gut aufpassen!“ Sephiroths Reaktion bestand aus der Aneignung des einzigen sich hier befindlichen Stuhls. Hojos Augen weiteten sich. „Willst du etwa hier bleiben?!“ Und als sich sein schweigsamer Gesprächspartner vor dem Tank niederließ: „Verstehe.“ Er begann zu kichern. „Dieses Experiment verspricht ganz besonders interessant zu werden.“ „Lass sie sterben und ich breche dir sämtliche Knochen!“ „Derlei Drohungen sind wirklich unter deiner Würde, mein lieber Sohn. Ich sagte doch, es ist ein interessantes Experiment und als solches mit der entsprechenden Aufmerksamkeit zu behandeln. Gerade du solltest mich gut genug kennen, um meine Worte nicht anzuzweifeln!“ Gerade deshalb, dachte Sephiroth, bleibe ich hier. Cutters Körper hat anders reagiert als von dir erwartet. Wer weiß, was du dir noch alles für sie einfallen lässt? Aber gleichzeitig war ihm klar, dass er Hojo nicht provozieren durfte. Befand sich ein Mensch einmal in einem Makotank, konnte der Professor alles mögliche mit ihm anstellen. Ausgefeilte Technik erlaubte es sogar, Injektionen zu verabreichen ohne die betroffene Person herauszuholen. Oder, wie jetzt, eine Blutprobe zu entnehmen. Sephiroth wusste, dass er nicht protestieren durfte. Was er hier vor sich hatte, war kein Sieg, sondern ein vorläufiger Waffenstillstand, der erst zu einem echten Sieg ausgebaut werden musste, und dies war nur möglich, indem man so viele Informationen wie möglich über den zu behandelnden Körper einholte. Um den Vorgang zu beschleunigen schrieb Sephiroth die wichtigsten Daten selbst auf. Es fiel ihm mehr als schwer, seine Phoenix in einen Haufen Zahlen zu verwandeln, aber genau darin bestand die einzige Chance, sie dauerhaft zu retten. Auch, wenn sie dadurch zu neuen Qualen verdammt wurde. Denn einmal vom Körper akzeptiertes Mako ... „Nicht schwanger? Zu schade. Sie hätte zwar nicht zu dem von mir für ein solches Experiment ausgewähltem Typ Frau gehört, aber es wäre trotzdem sehr interessant gewesen.“ Sephiroth antwortete nicht. Er starrte in den Tank und fragte sich, ob Cutter irgendetwas von den aktuellen Geschehnissen mitbekommen hatte. Wenn ja, so hoffte er nur, dass sie von seiner Gegenwart wusste und sich nicht fürchtete. Verraten konnte sie es ihm nicht. Ihre Augen waren fest geschlossen und die Körperfunktionen aktiv und stabil, zwar auf einer niedrigen Ebene, aber aktiv und stabil. Was Hoffnung keimen ließ. Cutter kämpfte! Und ließ sich auch nicht durch Hojos finstere Prognosen stören. „Das Blutbild weist erhebliche Defizite auf. Außerdem sind mehrere Organe geschädigt. Äußerst fraglich, ob dieses Mako in der Lage ist, all das zu reparieren.“ Sephiroth schwieg. Er wusste, Mako der G Klasse war die neueste und somit unerforschteste Variante. Ein höchst sensibles Gebiet, bei dem jeder Erfolg durch den geringsten Fehler zunichte gemacht werden konnte. Mit anderen Worten: Hojo hätte bei den Herstellungen des männlichen und des weiblichen Typs niemals zweitklassiges Menschenmaterial benutzt, sondern nur kerngesunde Exemplare. Vermutlich von ihm selbst ausgewählt. Und somit beinhaltete das Mako bereits die Informationen eines gesunden weiblichen Körpers. So gesehen standen die Chancen auf eine vollständige Heilung gut und bedurften keines Kommentars. Abgesehen davon wusste der General, dass Hojo ihn nur provozieren wollte und war nicht bereit, dem Professor diese Freude zu gönnen. Und ganz abgesehen davon schien dieser das Gespräch in eine ganz bestimmte Richtung leiten zu wollen ... „Du schreibst, ein Insektenstich habe diese Reaktion ausgelöst? Ein simpler Insektenstich? Das ist erbärmlich, wirklich! Andererseits muss ich zugeben, gänzlich unvorbereitet die direkte Konfrontation mit G-Mako bis zu dem aktuellen Punkt zu überstehen, ist bemerkenswert. Ich glaube allerdings nicht, dass sie weiterkommen wird. Willst du dann also bis an dein Ende hier bleiben? Dein Leben aufgeben, um hier in einen Tank zu starren? Es fällt mir schwer, das zu sagen, aber ... ShinRa ist Nichts ohne dich.“ Oh bitte, dachte Sephiroth ungewollt amüsiert. Glaubst du wirklich, ich falle auf diesen billigen Trick herein? Du und Rufus feilt schon seit meiner Geburt an meinem Tod. Ich habe euch die Möglichkeit genommen, ihn ganz nach Belieben herbeizuführen. Und das stört euch. Ich hoffe, es bereitet euch schlaflose Nächte! Mir persönlich gefällt dieser Zustand viel zu sehr, um ihn jetzt schon aufzugeben. Aber ich bin sehr gespannt auf deine weiteren Bemühungen. „ShinRa“, fuhr Hojo in dem Glauben, höchst überzeugend zu wirken, fort, „ist ... auf dich angewiesen. All jene, die SOLDIER beitreten wollen, tun das, weil sie eines Tages sein möchten, wie du. ShinRa braucht dich. Du kannst nicht bis an dein Ende hier sitzen. Du wurdest für die Schlachtfelder Gaias geschaffen, und nicht, um hier in einen Makotank zu starren!“ Sephiroth beschloss, sich dumm zu stellen und erkundigte sich mit einer Stimme, die gänzliche Unkonzentriertheit verraten sollte: „Worauf willst du hinaus?“ „Überlass mir das Mädchen. Ich muss herausfinden, weshalb sie das G-Mako so gut vertragen hat! Die Daten könnten für alle weiteren Forschungen höchst relevant sein. Ich wäre in diesem sehr speziellen Fall sogar bereit, Betäubungsmittel einzusetzen. Sie wird nichts spüren. Sogar ihr Tod wird schnell und schmerzlos, mein Wort drauf! Haben wir eine Vereinbarung?“ Die Antwort bestand aus der Kombination `Schweigen plus spöttischem Lächeln´, und so wenig sich Hojo mit gefühlstechnischen Dingen auskannte, diesmal fiel selbst ihm die Übersetzung leicht. `Wenn sie mir so wenig bedeuten würde, hätte ich sie nicht hergebracht.´ In die Augen des Professors mischte sich ein berechnender Glanz. „Verstehe. Der Einsatz ist noch nicht hoch genug. Nun gut. Überlass mir das Mädchen, und ich gebe dir die Antworten, nach denen du schon so lange suchst.“ Kapitel 49: Versuchungen ------------------------ Sephiroth konnte eine unmittelbare Reaktion in letzter Sekunde verhindern. Antworten. Seine Antworten! Nach denen er so lange gesucht, für die er jahrelange Folter über sich hatte ergehen lassen ... „Sie sind näher, als du glaubst“, lockte Hojo. „Du wärst begeistert, ich versichere es dir. Sie sind lückenlos und äußerst detailliert. Und sie könnten dir gehören. Für immer. Du brauchst nur zu nicken.“ Nur ein Nicken. Eine der mit Abstand einfachsten Bewegungen. Sephiroth wandte den Kopf, suchte den Blick des Professors. „Ich nehme nicht an, dass Rufus von diesem Angebot weiß.“ Hojo begann zu kichern. „Rufus? Dieser aufgeblasene Möchtegernherrscher? Er hat keine Ahnung! Ganz unter uns, Sephiroth, er interessiert mich nicht. Ich würde für jeden arbeiten, solange mir dabei freie Hand hinsichtlich meiner Methoden gelassen wird! Wichtig ist nur das Endergebnis! Du gehörst in diese Kategorie. Möchtest du nicht die detaillierten Gründe wissen, wie es dazu kam? Dich verstehen? Du sagtest, du willst diese Antworten nicht, aber ich kenne dich. Du brauchst sie! Du begehrst sie mehr als alles andere auf der Welt! Ich kann sie dir geben. Du brauchst bloß zu nicken.“ „Du fürchtest nicht um dein Leben“, stellte Sephiroth nüchtern fest. „Keinesfalls. Denn wenn du die Wahrheit kennst, wirst du mich ebenso über alle anderen erheben, wie dich selbst. Glaub mir, dein Hass auf mich wird verlöschen wie eine Kerzenflamme im Sturm der Erkenntnis!“ Es waren geschickt ausgelegte, verbale Köder, mundgerecht zugeschnitten und appetitlich duftend. Das seit so langen Jahren gesuchte, serviert auf einem silbernen Tablett. Und Hojo selbst glaubte jedes Wort. Ernsthaft anzunehmen, Sephiroth könne jemals das Interesse an seinen Forschungsergebnissen verloren haben ... Lächerlich! Sie waren sensationell! Und die Basis für die S-1 Einheiten. „Du willst diese Antworten! Du magst alle anderen, inklusive dieses Mädchens, täuschen können. Aber mich nicht. Ich lese in dir, wie in einem offenen Buch. Du brauchst dich nicht länger zu verstecken. Nicke, und ich gebe dir, wovon du immer geträumt hast. Die Wahrheit!“ Die Wahrheit. Sephiroth schloss die Augen, schirmte sich ab und richtete den Blick in sich. Was er fand, waren Gewissheiten. Der Befreiungsschlag gegen Hojo war klar, deutlich und erfolgreich gewesen und der erkämpfte Abstand deutlich sicht- und fühlbar. Eine Verringerung desselbigen, warum auch immer, wäre nichts anderes als ein gigantischer Rückschritt gewesen. Leider lag Hojo mit seinen über die Antworten gemachten Aussagen absolut richtig. Sie zu vergessen, solange sie existierten, war unmöglich. Und im tiefsten Grunde seines Herzens war sich Sephiroth völlig im Klaren darüber, dass er insgeheim immer noch nach einer Möglichkeit suchte, seine Antworten zu bekommen, ohne etwas zu verlieren. Möglicherweise war das hier die größte Chance, die er jemals erhalten würde! Sie auszuschlagen, wäre pure Dummheit. Außerdem war sich Hojo so sicher, nicht selbst Schaden zu erleiden. Was also mochte sich in diesen Antworten verbergen, das ihn, der seinem langjährigen Opfer in nahezu allen Punkten unterlegen war, so sicher machte? Aber andererseits ... das hier war Hojo. Hojo! Und er würde jede Chance, sein Lieblingstestobjekt wieder an sich zu binden, nutzen, völlig ungeachtet der eingesetzten Methoden. Möglicherweise war die Aussicht auf Antworten nur eine dreiste Lüge, die sich erst als eine solche herausstellte, wenn schon alles vorbei war. Wenn ich jetzt einen Fehler mache, dachte Sephiroth mit eisiger Klarheit, verliere ich alles. Meine Antworten, Cutter, meine so hart erkämpfte Freiheit ... alles! Es war einer der wenigen Momente, in denen er sich wünschte, es gäbe irgendjemanden der ihm sagte, was zu tun war. Aber es gab nur ihn. Und eine weitere, bittere Erkenntnis. Er war so sicher gewesen, alle Ketten zerrissen zu haben. Jetzt stellte sich heraus, dass diese Ansicht ein großer Irrtum gewesen war. Manche Ketten waren einfach nur ... länger. Und Sephiroth musste sich eingestehen, sich selbst belogen zu haben, und das in gleich mehreren Fällen. Es war ein seltsames, ungutes Gefühl, beinhaltete aber das Versprechen, sofort zu verschwinden, sobald er eine der beiden Optionen annahm, sich von der anderen für immer verabschiedete, und die gewählte als seine endgültige Wahrheit akzeptierte. Wahrheit, dachte der General in einer Mischung aus Schmerz und Niedergeschlagenheit. Ich muss aufhören, mich selbst zu belügen, und endlich eine Entscheidung treffen. Die Wahl könnte nicht schwieriger sein. Aber ... ich habe wenigstens eine. Mehrere Minuten vergingen in völlig Stille. Hojos Blick wanderte zwischen Sephiroth und dem Tank hin und her, lag jedoch hauptsächlich auf dem zu 99,9 % schon in den Besitz des Labors übergegangenen, neuesten Testobjekt. Im Geiste listete der Professor die Reihenfolge der schon sehr bald stattfindenden Versuche auf, legte Werkzeug zurecht, berechnete mögliche Abwehrreaktionen und entsprechende Gegenmaßnahmen, und war tief in wissenschaftlichen Überlegungen versunken, als Sephiroth neben ihm langsam die Augen öffnete. Sein Zögern hatte lange gedauert, länger als jemals zuvor - aber jetzt gab es eine endgültige Entscheidung. „Meine Antworten ...“ „Jaaaa?“ „ ... befinden sich in dem Tank genau vor mir!“ In Gedanken fügte er hinzu: Was du mir in Aussicht stellst ... Ich wollte es. So sehr, dass es schmerzte. Und, meines Erachtens nach, um jeden Preis. Weil ich nichts besaß, das einen Verlust hätte hervorrufen können. Weil mir nichts wichtiger war, als ich mir selbst. Aber jetzt ... gibt es Cutter. Und all diese kleinen und großen, teilweise so mühsam errungenen Siege. Und `Sephy´. Früher konnte ich ohne all das existieren. Weil ich nicht wusste, was mir entgeht und wie gut es sich anfühlt. Aber jetzt sind all diese Dinge Teil meines Lebens. Und sie haben mich nicht geschwächt. Ganz im Gegenteil. Sie haben mich bereichert. Würde ich sie wieder hergeben – ob deine Antworten die Leere in meinem Herzen füllen könnten? Ich bezweifle es. Denn es waren und werden immer meine Freunde sein, die über mich wachen, wenn ich es nicht selbst vermag, die mich daran erinnern, dass es mehr gibt, als ich sehen will oder kann (auch, wenn ich das hin und wieder gar nicht wissen will), und mit denen ich mich in Situationen wiederfinde, die vorher noch nie eingetreten sind. Und wenn ich etwas festgestellt habe, dann das: Ich will nicht mehr so allein sein, wie ich es einst war! Nie wieder! Ganz abgesehen davon lässt jede andere Antwort alles jemals von mir im Rahmen meiner Weiterentwicklung erreichte zu einer Lüge werden. Und dir traue ich keinen Millimeter weit! Du würdest mir niemals sagen, was ich wissen will. Außerdem ... liebe ich Cutter. Ich liebe sie. Und ich gebe sie nicht mehr her, ganz egal, was geschieht. Für die Dauer von drei, vier Herzschlägen blieb es ganz still in dem Labor. Dann verlor Hojo die Beherrschung. „Verdammt, Sephiroth, es ist nur ein Mädchen!“ Falsch, dachte Sephiroth. Es ist mein Mädchen! „Da draußen“, tobte Hojo weiter, „da draußen gibt es Tausende, die sind wie sie! Such dir eine aus! Menschen zu ersetzen, ist eine Kleinigkeit! Abgesehen davon, du brauchst sie nicht! Vergiss sie!“ Sephiroth überlegte blitzschnell. Hojo in der aktuellen Situation zu drohen oder ihm gar körperlichen Schaden zuzufügen, war keine Option. Momentan waren er und sein Wissen alles, was zwischen Cutter und ihrem Tod stand. Aber vielleicht konnte man ihn auf eine andere Art und Weise in die Enge treiben ... Das durch das Stichwort `vergessen´ angebotene Thema glich einer Eisschicht von unbekannter Dicke, hielt den General jedoch nicht davon ab, mentale Spikes anzulegen, den Kopf zu drehen und sich betont ruhig, aber mit einem Hauch Bitterkeit in der Stimme zu erkundigen: „So, wie du Lucrecia vergessen hast?“ Hojo erstarrte. Dann nahm er seine Brille ab, begann sie gründlich zu putzen und murrte: „Darf ich fragen, wie du auf `Lucrecia´ kommst?“ Sephiroth sah wieder in Richtung Tank und antwortete wie beifällig: „Ich habe meine Kontakte.“ Tzirka hatte diesen Namen nur ein einziges Mal erwähnt, und die ShinRa Datenbank enthielt weder über `Lucrecia Crescent´, noch `Jenova Crescent´ Informationen, aber für die aktuelle Situation, das wusste Sephiroth instinktiv, würde sein relativ löchriges Wissen reichen. Allein zu sehen, wie vorsichtig Hojo plötzlich agierte, versicherte ihm, sich auf einer heißen Spur zu befinden. „Kontakte. Hm. Was ... weißt du noch über Lucrecia?“ „Ich bin ihr Sohn.“ Er konnte nicht ahnen, wie nahe er der Wahrheit war. Aber um sie vollständig zu erkennen, fehlten ihm einige wichtige Informationen - die Hojo gerade schnell, aber gründlich durchging. Der Wissenschaftler kam zu der Entscheidung, dass Sephiroth unmöglich von den wahren Gründen seiner Erschaffung wissen konnte, und so entschloss er sich, das Wahrscheinlichste anzunehmen und entsprechend zu reagieren. „Deine Mutter, Sephiroth – und es spielt keinerlei Rolle, ob wir sie bei ihrem Erstnamen Jenova oder dem Zweitnamen Lucrecia nennen – hat deine Geburt nicht überlebt. Weil sie schwach war! Genau wie dieses Mädchen hier!“ „Sie muss unglaublich stark gewesen sein, wenn sie dich lieben konnte.“ Diesmal dauerte das Schweigen länger als 5 Herzschläge. „Um ein Kind zu zeugen, ist so etwas nicht nötig!“ „Verstehe. Für dich war sie also nur ein Austragungsobjekt.“ „Sie war mit allem einverstanden! Sie war ... Wissenschaftlerin, wie ich, und um die Forschung voranzutreiben, müssen Opfer gebracht werden! So war es schon immer. Bisher hat das noch jede meiner Testpersonen irgendwann begriffen und sich gefügt. Bis auf dich! Aber du warst schon von Anfang an ein Fehlschlag. Also, bitte, bleib hier sitzen, frag dich weiterhin, was du bist, und starr in diesen Tank, wie ein Idiot! Aber gib dich nicht der falschen Hoffnung hin, ich würde mit meinem normalen Alltag Rücksicht auf deine Gegenwart nehmen! Und was dieses Mädchen angeht ...“ „Du wirst nicht versagen, Hojo. Dafür ist der Inhalt dieses Tanks viel zu interessant.“ Die wie ein gigantischer Felsen aufragende Gewissheit in Stimme und Aura des Generals machten es Hojo unmöglich, auch nur das Geringste dagegen zu erwidern. Und so bleckte er nur kurzfristig die Zähne und verließ so stolz wie möglich den Raum. Sephiroth schmunzelte. Im Grunde war Hojo genauso simpel gestrickt wie Rufus Shinra. Man musste sie nur mit irgendetwas faszinieren, um sie gefügig machen zu können. Und für den Professor war momentan nichts interessanter als Cutter! Er würde alles tun, um sie am Leben zu erhalten, schon allein, um die Folgereaktionen auf das G-Mako dokumentieren zu können, etwas, das ihm bisher versagt geblieben war. Ein Schatten legte sich über Sephiroths Gesicht. Die Folgereaktionen des G-Mako. Es war ... anders konzipiert als die normale Variante – aber trotzdem Mako. Und ganz offensichtlich hatte es sich bereits mit Cutters Zellen verbunden. Wenn die Reparatur glückte, ob sich die fremde Substanz von alleine verflüchtigen würde? Oder ob ... Er schüttelte den Kopf. Noch stand nicht fest, ob dieser Preis bezahlt werden musste. Noch war alles reine Spekulation. Aber wenn ... Wenn meine Befürchtungen wirklich eintreffen, was dann? Dann wird sich ein weiteres Mal so vieles ändern, diesmal für uns beide. Ob wir das überstehen werden? Ob `Liebe´ dafür wirklich ausreicht? Aber vorläufig gab es keine Antworten, nur einen Makotank, in dem sich etwas Unersetzliches befand – und Hoffnung auf eine Veränderung in eine positive Richtung. 2 Tage vergingen, ohne dass irgendetwas geschah. Cutter schwebte mit geschlossenen Augen und geschützt durch die Flügel im Tank. Sephiroth ließ sie nicht aus den Augen. Hojo schlich um das Szenario herum wie jemand, der eine grandiose Beute in der Nähe, jedoch nicht in Sprungweite hatte. Es war eine Situation, deren Ausgang die einzig und allein von der Reaktion der im Tank eingeschlossenen Person abhing. Zack, der von seinem General dessen ID Karte und somit freien Zugang ins Labor erhalten hatte, versorgte ihn mit Wasser und dem nötigsten an Nahrung, das er in der Nähe der Tür deponierte, hielt sich ansonsten aber fern, wissend, wie heikel die Situation war. Aber er erkundigte sich jeden Tag per SMS nach dem aktuellen Stand der Dinge, erhielt jedoch immer dieselbe Antwort: `Status: Unverändert´. Am Mittag des vierten Tages begannen sich Cutters Werte zu bessern. Die geschädigten Organe regenerierten sich. Zwei weitere Tage später schien es, als sei die junge Frau nie krank gewesen. Aber sie wachte nicht auf. „Mein Angebot steht noch!“ Hojos Stimme erklang kalt wie gewohnt. Der Wissenschaftler stand neben Sephiroth und blickte in den Tank, aber im Gegensatz zu den Augen des Generals waren die des Professors geprägt von Selbstzufriedenheit und Gier. „Sie wird nicht mehr aufwachen! Nimm meinen Vorschlag an und überlass sie mir!“ Sephiroth schwieg, aber es war kein Schweigen, das ein Umdenken verriet. Vielleicht wusste Cutter ganz genau, wo sie sich befand und wollte einfach nicht aufwachen? Abgesehen davon gab es immer noch seinen flüsternden Instinkt, der nie falsch lag - und eine Entscheidung heraufbeschwor. „Lass das Mako ab!“ „Bitte?!“ „Du hast mich verstanden.“ „Ich weigere mich! Eine Schockkonfrontation mit der normalen Umwelt könnte alles zunichte machen!“ Sephiroth warf dem sich heftig sträubenden Professor einen langen Blick, in dem tiefer Spott glühte, zu. Fast hätte man denken können, Hojo sorge sich ernsthaft um Cutters Leben. Dabei ließ sich sein Verhalten ausnahmslos auf all die noch unentdeckten Daten zurückführen – und verdiente nur eine einzige passende Antwort. Der General trat zum Tank und aktivierte die Entleerung selbst - mit Hojos Geheimcode. „Weshalb hast du meinen ...?!“ „Weil ich besser aufgepasst habe, als du!“ Hojo stieß einen entrüsteten Laut aus, musste aber ansonsten hilflos mit ansehen, wie Sephiroth sich des schwarzen Ledermantels entledigte, die Tür des Tankes öffnete und den mittlerweile an dessen Boden liegenden, noch immer durch die Flügel geschützten Körper in seine Uniform einhüllte, vorsichtig anhob und den Tank wieder verließ. Hojo stürmte an ihm vorbei und baute sich in der auf den kleinen Flur führenden Tür auf. „Ich werde nicht zulassen, dass du ...“ Sephiroth schob ihn so mühelos beiseite, als sei er gar nicht existent, und steuerte die zum Hauptflur führende Tür an. Hojo sah ihm nach, entrüstet, verblüfft – und sehr, sehr wütend. „Komm bloß nicht wieder!“, zischte er irgendwann. „Hörst du?! Ich brauche dieses Mädchen nicht! Es reicht, ähnliche Personen zu finden und von demselben Insekt stechen zu lassen! Ich ...“ Die Tür klickte leise, aber nachhaltig. Und dann war Sephiroth mitsamt des einzigartigen Testobjektes verschwunden. Hojo stieß einen frustrierten Schrei aus und stürmte zurück ins Labor, um seine Wut an einem wehrlosen Körper auszulassen. Es war eine Sache, sich durch die vertrauten Flure des ShinRa HQs zu bewegen – aber eine völlig andere, dabei jemanden zu tragen. An den irritierten Blicken störte Sephiroth sich dabei nicht. Er war diesen Weg vor Tagen schon einmal gegangen ... gerannt, zusammen mit Zack, und die Kameras hatten jede Bewegung aufgezeichnet. Vermutlich war Präsident Shinra nicht zuletzt dadurch bereits bestens informiert. Aber all das war jetzt völlig bedeutungslos. Wichtig war allein die in seinen Armen liegende Cutter. Mittlerweile waren die bisher noch deutlich spürbaren, ihren Körper umhüllenden Flügel verschwunden, Cutter selbst aber immer noch bewusstlos. Eingepackt in Sephiroths warmer Lederuniform glich sie, in gewisser Art und Weise, einem Neugeborenen, und wenn alles gut ging, war sie genau das. Wenn aber nicht ... Ich habe, dachte Sephiroth fast verzweifelt, keine das G-Mako betreffenden Daten. Was, wenn Hojo mit seiner finsteren Diagnose doch richtig liegt? Seine Methoden mögen brutal und menschenverachtend sein, aber er ist trotzdem ein genialer Wissenschaftler. Der sich so gut wie nie irrt. Andererseits verbergen sich in dem neuen G-Mako selbst für jemanden wie ihn noch genug Geheimnisse und Unberechenbarkeiten. Die Chance, dass die Chancen 50:50 steht, beträgt ... 50 %. Und du, Cutter, bist ein Phoenix. Und der Sturmwind. Kümmer´ dich nicht um Hojos Gerede. Komm zurück! Gleichzeitig beschleunigte er seine Schritte um den Ort, an dem Cutter seines Erachtens nach momentan gut aufgehoben war, schneller zu erreichen. Nur wenig später betrat er die Krankenstation. Es kümmerte ihn nicht, dass eine Sekunde später jegliche Bewegung im Umkreis von 10 Metern erstarrte. Es war ihm egal, dass jeder Funken Aufmerksamkeit nun auf ihn gerichtet war. Er scherte sich auch nicht um das eine weitere Sekunde später einsetzende, allgemeine Zurückweichen. Er trat zur Anmeldung, fixierte die Dame hinter derselbigen mit einem Blick, der massiven Beton in Staub hätte verwandeln können, hob die immer noch bewusstlose Cutter leicht an und eröffnete: „Diese Person erhält ein Einzelzimmer auf der Intensivstation und die bestmöglichste Betreuung! Welche diesbezüglichen Probleme muss ich vorher aus dem Weg räumen?“ Die Dame hinter der Anmeldung war schlau genug, einfach nur nach dem Telefon zu greifen, um der Intensivstation eine neuen Patientin anzukündigen. Wenig später waren die Forderungen des Generals erfüllt oder dabei, sich zu erfüllen, und noch etwas später griff er, endlich mit Cutter allein, zum PHS, um Zack, zu informieren ... und atmete zum ersten Mal seit seiner Ankunft hier tief durch. Das Zimmer, in dem er nun eine ungewisse Zeit verbringen würde, war relativ groß und verfügte über eine zum Flur hin zeigende, längliche Glasfront. Von Privatsphäre keine Spur. Aber das spielte jetzt wohl eine Rolle mehr. Wichtig war nur die Person in dem Bett vor ihm. Hojo konnte ihr jetzt nichts mehr anhaben und sie atmete selbstständig, mit stabilen, guten Vitalwerten. Sephiroth ließ sie nicht aus den Augen und seine Hand lag auf ihrer. Irgendwann begann er, leise mit seiner Freundin zu sprechen, jedes Wort (wie er hoffte) ein Lichtblitz in der Dunkelheit, ein Wegweiser auf der vielleicht kaum sichtbaren Straße durch die Welt namens `Bewusstlosigkeit´, zurück. Zurück zu ihm ... Gleichzeitig lauschte er unaufhörlich auf die innere Verbindung zwischen ihm und ihr, wissend, dass sich Veränderungen zuerst hier bemerkbar machen würden. Es dauerte über 24 Stunden. Aber letztendlich ... es fühlte sich an wie der Kontakt eines fallenden Blattes mit der Oberfläche eines völlig ruhigen Sees. Mentale Kreise wurden erzeugt. Und als sie verebbten ... Cutters Stimme klang leise und brüchig wie Pergamentpapier. „Se ... phy ...“ „Genau neben dir.“ Gleichzeitig beugte er sich nach vorne, damit sie ihn besser verstehen konnte, und verstärkte den Druck seiner Hand ein wenig. „Alles wird gut.“ „Hey, das ... ist ... mein ... Spruch.“ Sephiroth musste unwillkürlich den Kopf schütteln. Gleichzeitig aber entlud sich tief in ihm Erleichterung mit der Gewalt einer Lawine. Cutter war zurück. Und so gab es nur eine einzige, angebrachte Begrüßung. „Hallo, Phoenix.“ War es wirklich ein Lächeln, das über Cutters Mundwinkel huschte, oder nur Einbildung? Die Bewegung war zu flüchtig. Das zögerliche Blinzeln allerdings war gut zu erkennen. Und die sich öffnenden Lider enthüllten Augen, die ... Es war Sephiroth unmöglich, keine jähe Verblüffung zu empfinden. Und er war fast froh, dass seine Freundin noch zu betäubt war, um es zu bemerken. „ ... hell ...“ „Krankenstation.“ „ ... mü ... de ...“ Ihre Augen fielen erneut zu, noch bevor Sephiroth auch nur eine Silbe sagen konnte. Und so schob er lediglich seine freie Hand unter die ihre und schwieg. Diesmal wohnte dem sich ihm bietenden Bild nicht, wie noch vor kurzer Zeit, das Gefühl von Distanz inne. Jetzt war alles so wie immer, wenn sie in seiner Nähe schlief. Und erst jetzt spürte der General, wie müde er selbst war. Aber Cutter allein lassen, kam nicht in Frage. Zwei Sekunden später allerdings öffnete sich die Zimmertür. Schlagartig und höchst schwungvoll. Als Kontrast dazu allerdings schlich Zack förmlich auf Samtpfoten herein. Sephiroth schüttelte unwillkürlich den Kopf. „Großartige Kombination, SOLDIER!“ „Ja, nicht wahr? Krieg ich ein Geschenk?“ „Cutter war kurzfristig wach. Denk dir glitzerndes Papier und eine Schleife dazu.“ „Ernsthaft? Oh, das ist großartig! Wie geht es ihr?“ „Sie erinnert sich an mich. Mehr kann ich dir noch nicht sagen.“ „Hmhm“, machte Zack leise und zog sich den zweiten Stuhl heran. „Das ist ein Anfang. Womit müssen wir noch rechnen? Hat Hojo was gesagt?“ „Laut Hojo hätte sie nicht einmal aufwachen dürfen.“ „Was denn? Mr. Supergenie hat sich geirrt? Gib mir einen Rotstift, das tragen wir im Kalender ein, auf dass es in die Geschichte eingehen möge!“ Und dann, wesentlich ernsthafter: „Apropos `gehen´, rein theoretisch könntest du jetzt auch gehen. Warte, bevor du protestierst, lass mich ausreden! Ich hab tolle Argumente! Du hast seit Tagen nicht geschlafen. Und kaum gegessen oder getrunken. Ich hingegen hatte alles, plus tollen Sex letzte Nacht. Ich bin hellwach, topfit, bewaffnet und somit mehr als geeignet, ein paar Stunden auf Cuttie aufzupassen. Wenn was sein sollte, ruf ich dich an. Ok? Ok. Tschüssie.“ Sephiroth warf seinem besten/nervigsten Freund einen strafenden Blick zu ... und erhob sich, schlicht und ergreifend zu erschöpft von den Geschehnissen der vergangenen Tage, um zu protestieren. Aber er legte im vorbeigehen für die Dauer einer Sekunde die Hand auf Zacks Schulter. Zack akzeptierte das stumme `Danke´ mit einem leichten Nicken und nahm eine etwas bequemere Position auf dem unbequemen Stuhl ein. Bis sein General zurückkam, würde er aufpassen, und das bedeutete, niemand würde Cuttie auch nur ein Haar krümmen! Es verging eine ganze Weile, ehe sich Cutter wieder bewegte. Und Zack, der sie keine Sekunde unbeobachtet gelassen hatte, durchströmte eine Welle der Erleichterung. Die sofort in pure, nicht zu verfälschende Verblüffung umschlug, als sich die Lider über den Augen der jungen Frau blinzelnd öffneten. Glücklicherweise war diese noch viel zu verschlafen, um die Gefühle des 1st´s zu bemerken, und als sie den Kopf in seine Richtung wandte, hatte sich der SOLDIER längst wieder im Griff und grinste. „Cuttie, dich blinzeln zu sehen ist der mit Abstand schönste Anblick seit gestern Nacht.“ „Die du garantiert bei Aerith verbracht hast. Hi, Zack.“ „Hi. Du hast mir und Seph einen gehörigen Schrecken eingejagt. Wie geht es dir?“ „Noch ein bisschen müde, aber ansonsten gut. Was ...“ Die sich öffnende Tür unterbrach das Gespräch. Eine Krankenschwester betrat den Raum. Zack grinste und deutete auf Cutter. „Guck mal, wer wieder wach ist.“ „Muss an dir liegen“, antwortete die Frau und lächelte in die angezeigte Richtung. Es wirkte freundlich, beinhaltete aber auch tiefe Irritation – nur im Zaum gehalten durch Professionalität. „Cuttie, das ist Katie Minami. Beste und Oberkrankenschwester der gesamten Intensivstation.“ „Ich bin auf der Intensivstation?!“ „Machen Sie sich keine Sorgen. Ihre Werte sind absolut in Ordnung. Haben Sie Schmerzen in irgendeiner Form?“ Und als Cutter den Kopf schüttelte: „Wenn sich daran etwas ändern sollte, drücken Sie die rote Taste am Telefon. Ich bin innerhalb von 30 Sekunden hier. Und ... Verzeihung, ich muss das einfach fragen. Sind Sie wirklich General Crescents Freundin?“ Cutter war viel zu verblüfft, um eine ausweichende oder gar unwahre Antwort zu geben. „Ich schätze schon.“ Es klang höchst verlegen. Noch nie hatte ihr jemand diese Frage gestellt ... „Woher ... woher wissen Sie das?“ „Er hat sie hergetragen. Und ist nicht von Ihrer Seite gewichen. Das ist, wenn man seinen Ruf bedenkt, nicht gerade typisch für ihn. Mittlerweile ist die Geschichte das Gesprächsthema bei ShinRa.“ „Was mich viel mehr wundert“, schaltete sich Zack ein, „ist, dass die `Silberelite´ noch nicht versucht hat, diese Station zu stürmen. Wo doch die Gerüchteküche brodelt.“ „Oh, 5 Mitglieder werden hier zur Krankenschwester ausgebildet, man kann also durchaus von `Beobachtungsposten´ sprechen. Außerdem waren sie live dabei, als der General Tzimmek-san hergebracht hat. Ich zitiere: `Das war sooooo romantisch!!! Er hat sie hergetragen!!! Mit nacktem Oberkörper!!! Diese Muskeln!!! Ich dachte, ich fall um!!!´“ Sie wurde wieder ernster. „Ich habe ihnen ein striktes Verbot erteilt, dieses Zimmer zu betreten oder übermäßig oft an der Glasscheibe entlang zu laufen, und sie wissen, dass ich bei meinen Verboten keine Ausnahmen mache. Oh, Zacky? Woher weißt du, dass die Gerüchteküche bei der `Silberelite´ brodelt?“ Der 1st schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Ich bin Mitglied.“ Cutter musste unwillkürlich lachen. Katie schüttelte, für einige Sekunden sprachlos, den Kopf. „Er ist dein General!“, brachte sie schließlich hervor. „Was? Die Mitgliedschaft ist für das kleine Fangirl in mir!“ „Wie das aussieht, will ich lieber gar nicht wissen. Und deshalb gehe ich jetzt besser wieder. Bis später.“ Sie verließ das Zimmer. Cutter warf Zack einen langen Blick zu ... „Oh weia.“ Die Betonung verriet ihre Gedanken nur zu offensichtlich. `Die Silberelite. Sephiroths offizieller Fanclub. An den hab ich irgendwie die ganze Zeit überhaupt nicht gedacht.´ „Mach dir um die keine Sorgen. Das sind ... Fangirls. Ein bisschen abgedrehter als meine, aber das liegt einfach an Sephiroths Ignoranz. Die glauben trotzdem alle, ihn zu kennen, aber sie wissen nicht einen Bruchteil der Dinge, die er dir anvertraut hat. Und im Moment machen sie sich mal wieder heftige Gedanken über sein Liebesleben.“ Er griff nach seinem PHS, suchte nach einer Nachricht und drückte Cutter das Gerät in die Hand. „Ich hab sehr lachen müssen.“ Cutter griff nach dem PHS ... und verharrte. Runzelte die Stirn. Sephiroth hatte sie hergetragen? Aber sie war doch mit Zack auf die Krankenstation gegangen ... Der 1st bemerkte den fragenden Gesichtsausdruck. „Cuttie, Seph wird dir alles erklären. Er kann das viel, viel besser als ich. Hab noch etwas Geduld, ok?“ Zögern, dann allerdings ein Nicken. Wenige Sekunden später aber runzelte sie abermals die Stirn. Führte das PHS näher zu ihrem Gesicht, das sich leicht im Display des Gerätes spiegelte. Es war ihr Gesicht. Aber ein bestimmter Teil davon ... „Äh, Zack? Was ist mit meinen Augen los?“ „Cuttie, ich bitte dich, ich flehe dich an, frag mich nicht. Ich könnte es dir niemals so gut erklären wie Seph. Lies ... lies die Nachricht. Ich hab mich sehr amüsiert.“ Dass er sie ablenken wollte, war nur zu offensichtlich. Und Cutter tat ihm den Gefallen, begann zu lesen ... und nur wenige Sekunden später vergnügt zu grinsen und schließlich zu lachen. „Das meinen sie nicht ernst, oder?“ „Doch, doch. Ich hab Seph so oft gesagt, er soll wenigstens ein Interview mit ihnen führen, aber du kennst ihn. Sie haben keine Chance.“ „Ich ...“, begann Cutter, verstummte jedoch schlagartig. Zack musste sich nicht erst umsehen um zu wissen, wer gerade an der großen Glasscheibe vorbeigegangen war. Die Tür öffnete sich nur Sekunden später. Zack erhob sich wortlos, verstehend, und ging. Sephiroth lehnte die mitgebrachte Luna Lance griffbereit ans Bett. „Die sollte in deiner Nähe sein.“ Er ließ am Rand des Bettes nieder, streckte die Hand aus und streichelte behutsam über Cutters Wange. „Wie geht es dir?“ „Wann kann ich wieder auf Missionen?“ Der General musste unwillkürlich schmunzeln. Die Abenteuerlust und der Lebenswillen seiner Freundin waren ungebrochen. Fast ein kleines Wunder nach allem, was im Laufe der vergangenen Tage geschehen war. „Also keine Schmerzen?“ „Keine Spur! Ich bin fit!“ Wenn du wüsstest!, dachte Sephiroth. Aber ich kann die Wahrheit unmöglich länger vor dir verbergen. Jedenfalls den mir bekannten Teil der Wahrheit. „Cutter“, diesmal klang seine Stimme wirklich sanft, „woran erinnerst du dich?“ „Mission im Cosmo Canyon, Stich von blödem Insektenvieh, allergische Reaktion. Zack ist mit mir auf die Krankenstation gegangen, aber ich bin wohl zusammengebrochen. Und hier wieder wach geworden. Also ... was habe ich alles nicht mitbekommen?“ Und Sephiroth begann zu erzählen. Bemüht ruhig und sachlich ... aber es gab Erlebnisse, für die einfach keine beruhigenden Worte existierten. Und diesmal gelang es nicht einmal ihm, welche zu erschaffen. Cutters Emotionen waren auf ihrem Gesicht deutlich zu erkennen. Aber sie sagte kein Wort. Bis die Geschichte mit einem leisen: „ ... und dann bist du aufgewacht“, endete. Erst dann schüttelte sie langsam den Kopf. „Ich war ... in einem dieser Tanks? Mitten zwischen diesen armen ...?“ „Es war die einzige Möglichkeit.“ Als Cutter antwortete, war ihre Stimme völlig frei von Vorwürfen oder gar Wut. „Wenn du mich zu Hojo gebracht hast, ging es wirklich nicht anders. Aber, Sephy? Diesen Handel auszuschlagen ... Vielleicht war das deine erste und einzige Chance, deine Antworten zu erhalten.“ Aber Sephiroth schüttelte den Kopf. „Hojo kann man nicht trauen. Und abgesehen davon ... Ich will keine Welt ohne dich!“ Sie hätte es nie verlangt, aber insgeheim davon geträumt, irgendwann einmal `Ich liebe dich´ von Sephiroth zu hören. Aber das hier war größer. Stärker. Mehr. Entsprechend gestaltete sich ihre Reaktion. Cutter setzte sich auf und fiel ihrem Freund um den Hals. Dieser hätte, hinsichtlich der Tatsache sich immer noch auf der Intensivstation und somit durch das große, zum Flur hin zeigende Fenster unter dauerhafter Beobachtung zu stehen, abweisend reagieren können. Aber er tat es nicht. Sondern schloss wortlos seine Arme um den jetzt wieder so nahen Körper. Das zu verlieren ... keine Macht der Welt und keine Antworten hätte diese Leere jemals erneut füllen können. Es verging eine ganze Weile, ehe sich Cutter wieder zurücksinken ließ. „Es ist noch nicht vorbei, oder?“ Sephiroth griff nach der Decke und zog sie wieder über ihre Schultern, ehe er antwortete, leise und ernsthaft. „Du wurdest gänzlich unvorbereitet mit Mako in Berührung gebracht. Wäre es die SOLDIER Version gewesen, wärst du hinsichtlich der hohen Konzentration tot oder stark vergiftet. Aber das hier war G-Mako. Darauf ausgerichtet, beschädigte Zellen zu reparieren. Bei dir hat es, laut Hojo, zum ersten Mal wie geplant funktioniert. Was sehr gut ist. Aber es bedeutet auch, dass keinerlei Dokumentationen über den weiteren Verlauf existieren. Wenn der Körper eines SOLDIERs Mako einmal akzeptiert hat – für gewöhnlich ist das eine langwierige Prozedur - benötigt er innerhalb eines gewissen Zeitraums immer wieder neue, stärkere Injektionen, um einen gewissen Standard beizubehalten. Dein Körper hat die G-Mako Version definitiv angenommen, aber es könnte sein, dass ... die Heilung nicht dauerhaft ist. Und du irgendwann eine erneute Dosis brauchst. Aber das muss sich erst zeigen. Nicht einmal Hojo weiß, ob es wirklich soweit kommen wird.“ Etliche Sekunden lang sagte Cutter gar nichts. Tief in ihr kämpfte die Erleichterung, am Leben zu sein, mit bodenlosem Entsetzen über das soeben Gehörte und die möglichen Konsequenzen. Letztendlich aber war es nur der Gedanke an einen ratlosen Hojo, der sie grimmig grinsen ließ. „Gefällt ihm nicht, was?“ „Nicht im Geringsten. Ginge es nach ihm, würdest du weiterhin in dem Makotank schweben und nur darauf warten, genauestens untersucht zu werden.“ „Zum Glück geht’s nicht nach ihm!“ Sephiroth schwieg, aber er wusste: Fall das schreckliche Szenario eines Rückfalls eintreten sollte, würde Cutter ins Labor zurückkehren müssen, um ihr Leben ein weiteres Mal jemandem anzuvertrauen, der nur an Forschung und einem Endergebnis in Form von Daten interessiert war. Ihr Augenausdruck verriet, dass sie sich dessen völlig bewusst war – allerdings nicht bereit, deshalb in Panik zu verfallen. Du hast Recht, dachte der General. Noch ist diese Möglichkeit reine Theorie. Sollte sie wahr werden, sind meine Pläne bezüglich Hojos Vernichtung ... Sind sie dann wirklich verloren? Nein. Ich brauche einen neuen Plan. Der greift, falls du wirklich zurückmusst. Aber jetzt sollten wir die weitere Strategie besprechen. „Wenn es wieder losgehen sollte, wirst du voraussichtlich Schmerzen haben. Um wirklich alle Zweifel ausschließen zu können, besorge ich dir Heilmateria und Potion. Sollten sie wirkungslos bleiben, ruf mich an. Im Labor lasse ich dich auf keinen Fall alleine!“ Cutter nickte. Sephiroth würde Hojo im Zaum halten. Er kannte den weißen Bastard, die Abläufe, Mako ... Sie würde trotz allem beschützt sein. Falls es wirklich soweit kam. Um sich von den finsteren Gedanken abzulenken, schnitt die junge Frau ein anderes Thema an. „Was ist eigentlich mit meinen Augen los?“ „Es scheint sich hier um eine durch das G-Mako ausgelöste Veränderung der Farbe zu handeln.“ Gleichzeitig zog er einen Spiegel hervor, reichte ihn Cutter so sachlich wie möglich, und diese blickte hinein. Die folgende Stille dauerte fast 3 Minuten. Dann allerdings ... „Sie sind bernsteinfarben! Meine Augen sind bernsteinfarben! Deine Freundin hat Raubtieraugen gekriegt! Ich fass es nicht. Das passt überhaupt nicht zu meinem Charakter. Und ich weiß jetzt schon, dass ich zu schusselig für farbige Kontaktlinsen ohne Stärke bin. Oh man ... Ich glaube, ich kriege gerade Angst vor meinem eigenen Spiegelbild.“ Sephiroth hielt es für mehr als angebracht, den Spiegel wieder an sich zu nehmen. „Unsere Tarnung ist aufgeflogen“, erkundigte sich Cutter wesentlich ernster, „oder?“ „Mal sehen. Ich habe dich kreuz und quer durchs HQ getragen. Zweimal. Du hast einige Tage unter Hojos und meiner Aufsicht in einem Makotank verbracht. Außerdem waren 5 Mitglieder meines albernen Fanclubs anwesend, als ich dich hier eingeliefert habe. Dazu kommt dieses ... reizende, auf den Flur hinzeigende Glasfenster mir gegenüber, durch das man einen grandiosen Blick ins Innere dieses Zimmers hat, in dem ich dich nicht aus den Augen gelassen habe. Ich schätze also ... Ja. Ohne die geringsten Zweifel.“ „Das war so nicht geplant.“ „Nein. Aber um ehrlich zu sein, ich sehe keinen Grund, es zu leugnen. Die Welt wird sich an diesen neuen Zustand gewöhnen müssen, und es wird sehr interessant sein, ihr dabei zuzusehen.“ „Klasse Strategie. Ich werde der Welt dabei helfen!“ „Ich nehme an, deine `Hilfe´ besteht daraus, mir irgendwo aufzulauern, mich unter den Augen aller Anwesenden zu drücken oder zu küssen und dann blitzartig wieder zu verschwinden?“ Vergnügtes Lachen verriet einen Volltreffer. „Rechne hinter jeder Ecke mit mir! Und zwar ab ... ab wann?“ „Morgen. Wenn sich deine Werte nicht verschlechtern.“ „Darf ich in der Zwischenzeit ein Interview mit deinem Fanclub führen?“ „Untersteh dich!“, grollte der General. „Versuch lieber das neue, unerlaubterweise von Zack auf deinem PHS installierte Spiel zu finden.“ Er reichte ihr das Gerät. „Ich habe es nicht gefunden.“ „Ist bestimmt im Spieleordner.“ Im Spieleordner. Sephiroth schloss die Augen und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die Lider. Er hatte angenommen, nicht einmal Zack speichere nicht genehmigte Unterhaltungsmedien auf firmeneigener Hardware so offensichtlich ... Er seufzte leise, öffnete die Augen wieder und begegnete einem vergnügten Grinsen. Der Blick in den Spieleordner war also ein voller Erfolg gewesen. Ich bring Zack um, dachte der General. Eines Tages bring ich ihn um! Und dann setzte eine mehrere Sekunden lang andauernde Stille ein, in der sich makogrüne und bernsteinfarbene Augen einfach nur ansahen. Ohne ihre Gedanken zu verschleiern. Wünsche und Pflichtgefühl, Liebe und Logik, Militär und Privatleben rangen auf beiden Seiten miteinander. „Kompromiss?“, sagte Cutter schließlich leise und ernsthaft. „Wir stellen unsere PHS auf Videokonferenz. So kannst du im Büro arbeiten, hast mich aber trotzdem im Auge.“ Und als er nicht sofort antwortete: „Ich bin ok! Geh und kümmere dich um deinen Papierkram und deine SOLDIER, General.“ Der Vorschlag war akzeptabel. Sephiroth nickte und erhob sich. Cutter wollte noch irgendetwas Freches zum Abschied sagen – kam aber nicht dazu. Der Kuss machte noch einmal alles Ungesagte überdeutlich. „1:0 für mich, nach der neuen Zeitrechnung“, wisperte Sephiroth, nachdem die Berührung vorbei war. „Gib dir Mühe, aufzuholen.“ Cutters Grinsen verriet überdeutlich, dass sie sich extrem große Mühe geben würde, und so verließ der General die Krankenstation und betrat nur wenige Minuten später sein Büro, in dem mehr als genug Arbeit auf ihn wartete. Aber bevor er nach dem ersten Blatt griff, nahm er die Einladung zur vereinbarten Videokonferenz an. Auch etliche Stockwerke über ihm, im am höchsten gelegenen Büro des ShinRa HQ, wurde gearbeitet. Allerdings hatte die Thematik gerade eine völlig neue, unberührte Ebene betreten. Rufus Shinra, dessen Desinteresse am aktuellen Klatsch und Tratsch seiner Angestellten gigantisch gering war, blickte beinahe fassungslos zu dem ihm gegenüber sitzenden Professor Hojo, der gerade dabei war, sich einen Schluck dieses scheußlichen Tees zu genehmigen. Dann wiederholte er die eben durch den Wissenschaftler übermittelte Information auf eine Art und Weise die überdeutlich verriet, dass er zwar zur Landung ansetzte, aber dem Untergrund noch nicht zu 100 % traute und jederzeit bereit war, erneut durchzustarten. „Jenova Projekt 1 hat eine Freundin.“ Bodenkontakt. „Gemessen an Ihrer Ruhe kann ich wohl froh sein, überhaupt darüber informiert zu werden, Professor!“ Hojo winkte ab. „Die Lage ist weitaus weniger drastisch als Sie annehmen. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 65 % wird er uns sogar sehr bald mehr brauchen, als ihm lieb ist.“ „Worauf wollen Sie hinaus?“ „Das G-Mako ...“ „Dessen Erforschung und Weiterentwicklung bis zur Fertigstellung der S-1 Einheiten von mir höchstpersönlich stillgelegt wurde“, unterbrach Rufus eisig, „und das Ihnen daher in dieser Form niemals hätte vorliegen dürfen, hat ...?“ „ ... sich mit den Zellen seiner kleinen Freundin verbunden und die durch den allergischen Schock beschädigten Organe repariert. Aber was, wenn diese Wirkung nur eine bestimmte Zeit anhält?“ „Sie meinen also, das G-Mako könnte trotz seines unterschiedlichen Aufbaus dieselben Vorgehensweisen erfordern, wie die bei SOLDIER verwendete Version? Und muss in regelmäßigen Abständen erneuert werden?“ „Die Möglichkeit besteht. Es ist Mako!“ „Wann wird sich das zeigen?“ „Nicht vorhersehbar, da sich das entsprechende Testobjekt frei bewegen darf und sich somit jeglicher Überprüfungen entzieht.“ Der lauernde Unterton in seiner Stimme verstärkte sich. „Kann man daran etwas ändern, Mr. President?“ „Kaum. Tzimmek beherrscht die Lines. Außerdem wüsste Jenova Projekt 1 sofort, wo er suchen müsste, falls es uns doch gelänge, sie gegen ihren Willen ins Labor zu bringen. Wir müssen abwarten, ob sie von selbst kommt. Sollte dieser Fall eintreten ...“ Hojo lauschte aufmerksam und ohne zu unterbrechen etliche Minuten lang. Der Plan entsprach keinesfalls seinem Stil – besaß aber dennoch einige höchst interessante Punkte. Grund genug, sich daran zu halten? „Diese Vorgehensweise“, Rufus Stimme klang äußerst zufrieden, „wird uns mehr Macht über ihn geben als jemals zuvor!“ Hojo schwieg einen Moment lang. So mächtig sein Einfluss auf bewegungsunfähig gemachte Körper war, so ungeübt zeigte er sich bei den anderen, frei herumlaufenden Exemplaren und ließ ihn somit zum genauen Gegenteil von Rufus Shinra werden, der genau wusste, wie man einen Menschen ohne ersichtliche Fesseln kontrollieren konnte. „Psychologie scheint interessanter zu sein, als ich es ihr zugestanden habe. Ich versichere Ihnen, mich diesmal ganz genau an Ihre Anweisungen zu halten, Mr. President!“ „Wenn wir es schaffen, ihn bis zur Fertigstellung der S-1 Einheiten in Schach zu halten, ist er erledigt.“ Hojo lächelte kalt. „Und was machen wir mit Tzimmek?“ Rufus gelang es problemlos, noch kälter zu lächeln. „Auch für Tzimmek wird sich eine Lösung finden! Sie dürfen gehen, Professor.“ Kurze Zeit später war er wieder allein, aber seine Gedanken weilten nach wie vor bei der aktuellen Situation. Jenova Projekt 1 hatte eine Freundin! Es war einfach unglaublich! Noch dazu diese uneinschätzbare Tzimmek! Sie passte überhaupt nicht zu jemandem wie Crescent, dem es im Blut lag, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Obwohl ... vielleicht gerade deshalb? Er hat sich verändert, dachte Rufus. Seine Sichtweise anderen Menschen gegenüber hat sich verändert, und niemand hat etwas bemerkt. Nicht einmal ich. Weil es keine Hinweise gab. Er hat sich verstellt. Und mich einmal mehr reingelegt. War ich zu naiv? Ich? Jeno ... Crescent ist ein attraktiver Mann. Ich kann es nicht leugnen. Außerdem ist er sehr stark und hat einen tödlichen Ruf. Im Grunde ist er der perfekte Beschützer. Angeblich gibt es Frauen, die genau das wollen. Aber Tzimmek beherrscht die Lines. Sie kann sich selbst verteidigen und braucht keinen Schutz. Also weshalb ... Weshalb verstehe ich es nicht?! Er grübelte noch eine ganze Weile darüber nach, aber im Grunde wusste er längst zwei Dinge. Erstens: Er hatte keine Ahnung von Beziehungen. Und Zweitens: Er wollte auch gar keine haben. Alle Frauen, denen er im Laufe seines bisherigen Lebens begegnet war, hatten es auf sein Geld abgesehen. Natürlich war dieser Gedanke nie laut ausgesprochen worden. Jedenfalls nicht von den Frauen, die sich alle Mühe gegeben hatten, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Mit schmeichlerischen Worten. Mit Tränen. Mit Briefen. Mit ihrem Körper. Aber alles war sinnlos geblieben. Rufus Liebe galt allein der Electric Power Company und seiner Macht. Jetzt allerdings raufte er sich in einem unbeobachteten Moment die Haare. Die Hiwakosache war noch nicht geklärt! 9 Reaktoren waren verloren! Der Planet plante mit Sicherheit weitere Schritte! Und jetzt hatte Jenova Projekt 1 auch noch eine Freundin! Die mit kaum erforschtem G Mako infiziert worden war, überlebt hatte und vielleicht schon bald in regelmäßigen Abständen Erneuerungen brauchte! Im Labor! Von Hojo, bei dem es wie immer höchst fraglich war, ob er sich wirklich an die erteilten Anweisungen halten würde. Im Moment kam sich Rufus nicht wie ein mächtiger Präsident vor, sondern eher wie der Leiter eines Irrenhauses. Was schon wieder fast positiv zu bewerten war, denn meistens waren es die Anführer, denen wenigstens noch etwas mehr Intelligenz und Geschick geblieben waren, als allen anderen. Von daher ... sollte sich ShinRa doch vorübergehend in ein Irrenhaus verwandeln! Solange er am Leben und bei klarem Verstand war, würde er immer Mittel und Wege finden, die Normalität zurückkehren zu lassen. Und das galt auch für diese Situation, ganz egal, wie verworren und unkontrollierbar sie zu sein schien. Sephiroth sollte Recht behalten, was das Datum von Cutters Entlassung anging, aber es wurde trotzdem Abend, ehe sie die Krankenstation verließen und sich durch die Flure auf den Weg zum nächsten Aufzug machten. Und obwohl beide schon oft nebeneinander über diese Flure gegangen waren, diesmal fühlte es sich völlig anders an. Es gab keinerlei Tarnung mehr. Die `General Crescent hat eine Freundin!!!´ Sache hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen, und die Personen in den Fluren ... Sie gaben sich Mühe, normal zu wirken. Und versagten grandios, auf allen Ebenen. Cutter war ihr geltende und auf linestechnische Fähigkeiten zurückzuführende Aufmerksamkeit gewohnt. Aber die jetzige Form von Interesse machte sie nervös. So nervös, dass eine Reaktion nicht lange auf sich warten ließ. „Cutter“, grollte Sephiroth. „Was?“ So unschuldig ihre Stimme klang, Sephiroth fiel nicht darauf herein. „Verwandle diese Personen zurück.“ „Hm?“ Sie warf einen Blick über die Schulter. Und bremste jäh ab. „Oh.“ Stille. Und dann, restlos begeistert: „Wie süüüüß!“ Die 8 bemitleidenswerten, sich zu diesem Zeitpunkt außer ihr und Sephiroth auf dem Flur aufhaltenden Personen ... waren keine Personen mehr. Sondern ... „Häschen! Oh guck nur, die sind flauschig und fluffig und kuschelig und niedlich und was die für niedliche Öhrchen haben, und sie ...“ „ ... können dem Job, für den sie in ihrer menschlichen Form angestellt wurden, nicht mehr nachgehen.“ „Aber in dieser Form interessieren sie sich nur noch für Futter und Paarung und nicht mehr für uns. Ehrlich, als würden wir das nicht merken, wie sie sich hinter uns zusammenrotten, um uns nachzusehen oder zu tuscheln oder blitzartig in ihren Büros verschwinden um irgendjemanden anzurufen, frei nach dem: `Ich hab sie gesehen!!! Zusammen!!´ Motto. Das ist so ...“ „Daran wirst du dich gewöhnen müssen. Und jetzt verwandle sie zurück.“ „Hm. Können sie Häschenohren und Puschelschwänzchen behalten? Ist eben mächtig was schief gelaufen im Labor ...“ Sephiroth schüttelte amüsiert den Kopf und erntete ein enttäuschtes Seufzen. Aber nur 3 Sekunden später waren aus den flauschigen, fluffigen, kuscheligen und niedlich Häschen wieder Menschen geworden. Die sich auf allen Vieren wiederfanden, hastig aufsprangen und die Flucht um die nächste Ecke oder in eines der Büros antraten. Der General und Cutter betraten wenig später einen der (glücklicherweise leeren) Aufzüge und letztendlich das Appartement Sephiroths. „Hey, Sephy?“ Cutter schubste mit einem Fuß die Tür hinter sich ins Schloss. „Die anderen sind unhöflich, aber ich muss ich beherrschen. Irgendwie klingt das falsch.“ „Sieh es als gute Übung für deine Selbstbeherrschung.“ Er hielte inne. „Hast du Hunger?“ Nicken. „Nudeln?“ Begeistertes Nicken. Und bevor Sephiroth auch nur die Chance zu irgendeiner Bewegung hatte, war der Sturmwind im Besitz des Telefons. „Hallo, lieber ShinRa interner Cateringservice“, hörte der General sie wenige Sekunden später breit grinsend sagen, „hier ist Cutter Tzimmek, die Freundin von General Crescent ...“ Die Tarnung war wirklich restlos aufgeflogen. Und Sephiroth registrierte mit mildem Erstaunen, wie angenehm ihm dieser Zustand war. Es glich der absoluten Bestätigung für seine Entscheidung, Cutter statt Hojos Angebotes zu wählen. Und meinetwegen, dachte der General, können es alle sehen und wissen! Es macht mir nichts aus. Und ihr auch nicht. Weil wir zusammengehören. Einige Stunden später, nach dem Abendessen, war es still geworden in dem großen Appartement. Cutter lag auf der Couch, den Kopf auf den Oberschenkel des neben ihr sitzenden Sephiroths gelegt und blinzelte an ihm vorbei zur immer noch defekten Klimaanlage. Es war so warm, immer noch, und trotz mittlerweile weit geöffneter Fenster. Im Grunde wäre die junge Frau längst müde genug gewesen, um schlafen zu gehen. Aber sie wollte sich nicht bewegen, wollte nicht allein über die Flure wandern und ihr Quartier aufsuchen, wo sie bis zum nächsten Morgen allein sein würde - nicht aus Angst, sondern weil sie sich hier viel aufgehobener fühlte. Schlicht und ergreifend. Und trotzdem würde sie gehen müssen. Gewisse ... Umstände verlangten es so. Cutter wusste es nicht, aber Sephiroth dachte über genau dieselbe Sache nach. Und letztendlich ... „Phoenix“, die dunkle Stimme klang leise, „möchtest du heute Nacht hier bleiben?“ „Mhmh. Aber es geht nicht.“ „Warum?“ „Weil es momentan so warm ist, dass ich nur in Unterwäsche schlafen kann. Das ist ... ziemlich wenig Stoff, und wenn ich mich wieder so an dich kuschele, wie letztes Mal, das wäre vielleicht ein bisschen zuviel?“ „Vielleicht aber auch nicht.“ Beide sahen einander an, schweigend und verstehend, dass es nur eine Möglichkeit gab, festzustellen, welches `vielleicht´ zutraf. Cutter erhob sich zuerst von der Couch, verschwand im Badezimmer, duschte und tappte hinüber ins Schlafzimmer. Sephiroth war zu höflich, ihr dabei zuzusehen, aber er nutzte die eigene Zeit im Badezimmer, um sich mental vorzubereiten. Er betrat das Schlafzimmer etliche Minuten später, gefasst auf viel nackte, helle Haut zwischen tiefschwarzen Bettbezügen, aber der sich ihm tatsächlich bietende Anblick war dennoch wie ein sanfter Schock. Cutter selbst lächelte ihm ein wenig verlegen entgegen. „Hab´ dich gewarnt.“ „War vorbereitet.“ Gleichzeitig ließ er sich auf seiner Seite des Bettes nieder. Cutter, mittlerweile lang auf ihrer Seite ausgestreckt, blinzelte fragend zu ihm hinüber. Zwar trug Sephiroth nicht mehr als Boxershorts, aber seine Aura, klar und wachsam wie immer, machte überdeutlich, dass er nicht plante, zu schlafen. „Aber du hast doch die ganze Zeit auf mich aufgepasst!“, protestierte Cutter. „Ich bin ok, wirklich!“ „Und ich ein wirklich guter Schlafbewacher. Deiner.“ Er streckte die Hand aus und streichelte durch ihre vom Duschen immer noch nicht ganz trockenen Haare. „Schlaf. Tief und fest, bis morgen früh. Und wenn du aufwachst, bin ich schon da und kann dir `Guten Morgen´ sagen.“ Er beugte sich nach vorne, um sie zu küssen, spürte, wie sie den Kontakt vertiefte, wie ihre Hände über seinen Körper streichelten ... und wehrte sich nicht. Aber letztendlich war es nur die Gewissheit, dass Cutter Ruhe brauchte, die ihn dazu brachte, die Berührungen zu beenden und „Gute Nacht, Phoenix“, zu wispern, ihrer leisen Antwort zu lauschen und sie dabei zu beobachten, wie sie die Augen schloss. Wie sie einschlief. Wie ihre Haare langsam trockneten. Wie ruhige, friedliche Atemzüge ihren Oberkörper langsam hoben und senkten. Und immer wieder musste Sephiroth daran denken, wie knapp es diesmal gewesen und, dass es vielleicht noch nicht vorbei war. Aber für jetzt, für diesen Moment, war alles in Ordnung. Irgendwann schaltete Cutters Körper auf `automatische Steuerung´ und kuschelte sich an ihn. Es war jenes Anschmiegen, das ihn beim letzten Mal so verwirrt hatte, diese Berührung ihres Oberkörpers, so deutlich spürbar ohne davor geschobene Arme oder Hände. Heute war der Rhythmus eines jeden Atemzuges, jedes intensivieren oder abschwächen des Kontaktes, besonders intensiv, und es war Sephiroth unmöglich, nicht für einen Moment die Augen zu schließen. Dieses wortlose Vertrauen, dieses Gefühl zu verlieren ... Und wie um es für immer zu behalten, schob er vorsichtig einen Arm über den so nahen, warmen Körper. Es fühlte sich anders an, intensiver als jemals zuvor. Es mochte an irgendeinem seelischen Vorgang liegen, oder an dem wenigen Stoff, oder lediglich an ihrer Nähe. Vielleicht sogar an allem. Und es wurde nicht schwächer. Stunden vergingen. Und Sephiroth wachte über Cutter, die tief und fest schlief, eng an ihn geschmiegt, ein warmes, kleines Universum, angefüllt mit Vertrauen, Sturheit und all den anderen Eigenschaften, die sie so einzigartig werden ließen, aufgrund der immer noch defekten Klimaanlage nur in Unterwäsche gehüllt, die so dünn war, wie erwartet, und mit einer Haut, die sanft im Licht des durch die Fenster fallenden Vollmondes leuchtete. Irgendwann war es Sephiroth unmöglich, all diese Details zu ignorieren. Vielleicht lag es an der Gewichtsverschiebung auf der Matratze, vielleicht an dem Kuss selbst, aber Cutter erwachte, blinzelte, rollte sich auf den Rücken, sah zu ihm auf und erkundigte sich verschlafen: „Ist was los?“ Sephiroth schüttelte den Kopf. „Nein, ich ...“ Über ihm klickte es leise, dicht gefolgt von vertrautem Summen. „Die Klimaanlage geht wieder.“ „Ein Hoch auf die ShinRa Technologie“, murmelte Cutter, schloss abermals die Augen und schmiegte sich wieder an ihn, intensivierte im Grunde unbeabsichtigt das sich in seiner Seele wie ein breiter Fluss bewegende Gefühl, ließ es über die Ufer treten. Und Sephiroth schob ohne weiter nachzudenken eine Hand unter den dünnen, über ihre nackte, warme Schulter verlaufenden Träger und streifte ihn langsam und fragend beiseite. Cutter blinzelte abermals. Dann wurde ihr bewusst, dass dies kein normales Streicheln gewesen war. Sie rollte sich erneut auf den Rücken, um besser zu ihm aufsehen zu können, und begegnete einem Blick, den sie niemals zuvor bei ihm gesehen hatte. Aber nichts darin machte ihr auch nur für einen Sekundenbruchteil Angst. „Sephy?“, fragte sie leise und noch nicht in der Lage, diesen Ausdruck zu deuten. „Was ...“ Und dann, zwischen zwei Herzschlägen, begriff sie. Und streifte den zweiten Träger selbst von der Schulter, ebenso langsam wie Sephiroth es vor einem Moment getan hatte, und ohne den Augenkontakt auch nur für einen Sekundenbruchteil zu verlieren. Es war eine stumme Zustimmung, und sie änderte sich weder nach dem langen, gefühlvollen Kuss, noch, als Sephiroths Hände den Stoff vollständig von Cutters Oberkörper entfernten und mit einer Erkundung begannen, die einen warmen Schauer nach dem nächsten auslöste. Wie anders sich jede Berührung nun anfühlte. Mitreißender und intensiver, aber gleichzeitig auch sanfter und tiefer als jemals zuvor. Und trotz aller Unerfahrenheit, alles fühlte sich richtig an. Alles besaß eine Bedeutung. Cutters mittlerweile geschlossenen Augen öffneten sich erst nach einem langen Kuss wieder, und was sie fand, war ein Blick, in dem sich genau dieselbe Frage befand, wie in ihrem eigenen. `Genug?´ Die Antwort erfolgte nur wenige Sekunden später, lautlos und gleichzeitig. `Nein.´ „Hast du Angst?“, wisperte Sephiroth. Cutter schüttelte den Kopf, gleichzeitig streichelte sie mit beiden Händen über sein Gesicht und lachte kaum hörbar. „Vor dir hatte ich noch nie Angst.“ Sephiroth schmunzelte, wisperte: „Nein. Du nie ...“, und ließ seinen Kopf nach vorne sinken, bis dieser die Stirn vor sich berührte. So verhielten sie einige Sekunden in völligem Schweigen. Erst ein erneuter, langer Kuss schuf eine Brücke zum nächsten Streicheln, zu neuen Küssen. Und neuen Bewegungen. In dieser Nacht vereinten sich ihre Körper zum ersten Mal, beinahe unschuldig. Und so sicher Sephiroth gewesen war, das auf ihn wartende Gefühl zu kennen (Makobehandlungen hatten gewisse körperliche Auswirkungen, die man nicht ignorieren konnte) er wurde überrascht. Sehr! Es war ihm unmöglich gewesen damit zu rechnen, wie intensiv ein anderer Körper auf diese Art der Nähe reagieren würde, mit Beben und Zittern, mit eigenen Bewegungen, einer bisher noch nie gehörten Stimme ... Und nicht damit, wie intensiv sein eigener Körper damit umgehen würde. Die Überraschung war perfekt und so rein, dass sie förmlich leuchtete. Cutter hatte Geschichten gehört. Und blöde Sprüche. Jede Menge blöde Sprüche! Aber nichts von all dem traf zu. Der kurze Schmerz war nicht von Bedeutung, weil es danach nichts mehr gab außer Sephiroth, Sephiroth ... Sephiroth! Ein Gefühl wie Tod und Wiedergeburt in derselben Sekunde. So gut, so intensiv und mitreißend ... Es war, als habe ihr Körper schon seit Ewigkeiten genau darauf gewartet, als seien ihre Hände nur da, um sich in Sephiroths Haaren zu vergraben, sich irgendwo an ihm festzuhalten, ihre Stimme nur existent, um seinen Namen zu flüstern, immer wieder und wieder. Sie waren verliebt. Und liebten einander. Mehr war in dieser Nacht nicht wichtig. Als Cutter zum nächsten Mal blinzelte, wurde sie von morgendlichem Licht begrüßt, das förmlich zu grinsen schien. Ganz offensichtlich hatten Mond und Sonne schon die aktuellen Neuigkeiten ausgetauscht. Cutter selbst errötete unwillkürlich leicht. Sie lag in Sephiroths Bett. Nackt. Weil sie ... es ... getan hatten. Zusammen. Zum ersten Mal. Und er war immer noch da, schon wach, und beobachtete sie aufmerksam. Seine Nähe und die Erinnerungen an die vergangene Nacht machten es Cutter unmöglich, ihre Gefühle zu unterdrücken, und sie begann abermals, ihn zu streicheln und zu küssen, minutenlang, ehe sie sich endlich zu einem leisen: „Hey“, durchringen konnte. „Hey“, wisperte Sephiroth zurück. Etliche Herzschläge lang blieb es ganz still. Und dann, völlig synchron und sehr ernst: „Bist du ok?“ Beide mussten unwillkürlich schmunzeln. „Ja“, antwortete Sephiroth schließlich leise. „Hmmh, ich auch.“ Und nach einer kurze Pause: „Mein Körper fühlt sich komisch an. Irgendwie ... total anders.“ „Tut mir L ...“ Dann registrierte er, dass der Satz auf keine Weise vorwurfsvoll geklungen hatte. Nur nachdenklich - und ein wenig amüsiert. Ganz abgesehen davon, wenn Sephiroth in sich hineinlauschte ... „Meiner auch. Wir haben es wirklich getan, was?“ Cutter nickte sachte. In ihren Augen glomm ein nie da gewesener, zweifelsfrei durch die vergangene Nacht heraufbeschworener Ausdruck, ein tiefer, wissender Zauber um ein neues Geheimnis. Die junge Frau streckte eine Hand aus und streichelte vorsichtig über die Konturen des so nahen Gesichtes, wanderte an seinem Hals entlang ... und hielt inne, als ihr schlagartig bewusst wurde, `es´ wieder zu wollen, am liebsten sofort! Aber wie sollte sie ihm das klar machen, ohne ihn zu überfallen? Sie dachte noch darüber nach, als Sephiroths dunkle Stimme erklang. „Cutter? Können wir das von Zeit zu Zeit wiederholen?“ Die Antwort kam augenblicklich. „So oft du willst!“ „Auch ... jetzt?“ Cutters Antwort ließ keinen Spielraum für Fragen. Das Gefühl kam nur wenig später zurück, hielt die Zeit an, ließ alles andere nebensächlich werden. Bis auf Weiteres war wirklich alles … gut, und so verdient, dass nicht einmal Sephiroth dagegen protestieren konnte. Kapitel 50: Rückschläge ----------------------- Die folgende Zeit zeichnete sich durch Neudefinitionen auf allen nur erdenklichen Ebenen aus. Im privaten Bereich hatten sich die Welten von Sephiroth und Cutter erneut verändert, und das neue Detail war zu gut, um es aufheben oder verdrängen zu können. Und so versuchten sie weder das Eine, noch das Andere, sondern nutzten jede Möglichkeit, um einander diese neue Art der Nähe zu schenken. Allein den Körper des anderen von all der störenden Kleidung zu befreien glich den Vorbereitungen zu einem uralten, nahezu heiligen Ritual, und jedes Streicheln, jeder Kuss, jede Bewegung ähnelte einem sich öffnenden Tor, hinter dem eine völlig neue Welt lag, erfüllt von Geheimnissen und Überraschungen. Sephiroth und Cutter entdeckten sie zusammen, Stück für Stück. Am verblüffendsten war, dass vieles bereits existierte und nur darauf wartete, gefunden zu werden. Anfänglich hatte Sephiroth damit ein Problem. Er war es nicht gewohnt, sich langen, warmen Schauern hinzugeben, oder tiefen, aber völlig schmerzlosen Blitzschlägen. Auf dem Schlachtfeld eröffnete jeder Moment der Unaufmerksamkeit eine Chance für einen gegnerischen Angriff - aber das hier war kein Schlachtfeld, und es gab Momente, in denen er lange Schauer und Blitzschläge förmlich herbeisehnte. Aber um seiner Freundin begreiflich zu machen, wie gut sich diese Berührung und jene Bewegung anfühlte, musste er einen Teil seiner Kontrolle aufgeben und stattdessen reagieren. Glücklicherweise genügte schon ein leises Stöhnen, um Cutter zu helfen. Cutter selbst hatte, wie üblich, keine Probleme mit der Offenbarung ihrer Gefühle. Sie reagierte, unverfälscht und rein, machte es sich selbst und ihm leicht, und so lernten sie einander völlig neu kennen, erkannten was sie tun mussten, um den anderen dazu zu bringen, leise stöhnend die Augen zu schließen, sich mental fallen zu lassen und einfach nur das ausgelöste Gefühl zu genießen. Gewöhnen, das war beiden völlig klar, würden sie sich niemals daran, denn es gab einfach zu viele Details. Die Küsse, das Streicheln, das leise Geräusch von sich verschiebender Kleidung und das unaufdringliche Rascheln, wenn diese zu Boden fiel, das Gefühl eines fremden und doch so vertrauten Körpers, der sich an den eigenen schmiegte, nackt, ohne Scheu, Scham oder Angst. Die Blicke. Die sich verändernde Atemfrequenz. Der schnellere Herzschlag. Der Augenblick, in dem sich ihre Körper vereinigten, jener Moment, in dem sich alles änderte, intensiver wurde ohne an Sanftheit zu verlieren. Zu klären, wessen Körper fragte und wessen Körper antwortete, war unmöglich. Jede Bewegung veränderte den Blickwinkel. Und jede Bewegung rief neue Reaktionen hervor. Bis zu jenem Moment, der sich aufbaute, dieser jedes Mal anders ausfallend Augenblick, der die Welt für die Dauer von einigen Sekunden dazu brachte, still zu stehen, zu verglühen und sich wieder zu regenerieren, und die Küsse danach, die dem anderen klar machten: `Mehr ... viel, viel mehr von dir!´, und alles erneut begann. Wenn es endete, irgendwann, hatte jeder von ihnen, bewusst oder unbewusst, ein klein wenig mehr über den anderen gelernt, auf eine Art und Weise, die keinen Fremden etwas anging, und die nur ihnen gehörte. Aber sie waren nicht die einzigen, die lernten. Auch das ShinRa Universum musste in seinem Denken Platz für die neue Situation einräumen. Dass General Crescent und Death Walker Tzimmek mehr füreinander waren, als kommandierender Offizier und ausführende Kraft, war irgendwann im Bewusstsein eines jeden ShinRa Mitgliedes vertreten. In manchen Köpfen fand die Information relativ schnell ein verhältnismäßig ruhiges Fleckchen. In anderen wiederum rumorte es länger. So hatten zum Beispiel manche Offiziere auf Cutters Missionen schlagartig ernsthafte Probleme, der Freundin ihres Generals Befehle zu erteilen – ein Zustand, der für Cutter selbst absolut inakzeptabel war. Sie löste das Problem, indem sie den Betroffenen völlig klar machte, wie lange Sephiroth und sie schon zusammen waren und wie viele Missionen sie in der Zwischenzeit absolviert hatte, ohne irgendjemandem wegen eines Befehls Ärger zu machen. Die Strategie ging auf, die Offiziere gewöhnten sich daran, Death Walker Tzimmek/General Crescents Freundin unter ihrem Kommando zu haben. Die Situation entspannte sich. Mit der `Silberelite´ verhielt es sich ein wenig anders. Irgendwie war es irgendjemandem gelungen, an Cutters PHS Nummer zu gelangen, und seitdem piepste das Gerät quasi unaufhörlich. Die Bandbreite der empfangenen Nachrichten ging von höflichen Einladungen zu Interviews, kompletten Fragebogen über Sephiroth, Morddrohungen, guten Wünschen, blankem Neid, Fragen wie: `Warum keine von uns?´ und `Wie ist er im Bett?´ bis hin zu der Bitte, gut auf den General aufzupassen und dafür zu sorgen, dass er immer glücklich war. Auf die ein oder andere Nachricht hätte Cutter gerne geantwortet, aber zum Einen fehlte ihr die Zeit und zum Anderen wollte sie keine neuen Unruhen in Sephiroths Fanclub heraufbeschwören, denn ihres Erachtens nach reichten die jetzigen vollkommen aus. Das eigentliche `Objekt der Begierde´ allerdings brachte seinen aufgescheuchten Fans genau dasselbe Interesse wie immer entgegen: 0,00 %. Zu seiner Verteidigung hätte man sagen können, dass es genügend andere Dinge gab, die seiner Aufmerksamkeit bedurften. Solar Solution war, trotz der verstärkten Präsenz von SOLDIER und Army, weiterhin auf dem Vormarsch und noch immer konnte sich keiner erklären, wie sie es diesmal fertig brachten. Die Midgar betreffenden Makoverbrauchszahlen fielen, aber man musste erwähnen, dass Rufus Shinra hinsichtlich dieses Horrorszenarios nicht einmal mit der Wimper zuckte, sondern wirkte, als habe er die Situation vollends unter Kontrolle. Sephiroth kannte Rufus gut genug, um dieses Verhalten zu übersetzen. Der Präsident der Electric Power Company wartete – aber diesmal nicht auf irgendein Ereignis, sondern ein ganz bestimmtes. Nur worauf genau, konnte der General nicht klar definieren. Es gab zu viele Möglichkeiten. Aber die Zukunft, dessen war er sich absolut sicher, würde düster werden. Was Sephiroths Pläne anging, sah es nicht heller aus. Wenn das schlimmste Szenario, das eines G-Mako bedingten Rückfalls, eintrat ... Cutter konnte alles und jeden in alles und jeden verwandeln. Für eine gewisse Weile. Danach erinnerten sich die Dinge und nahmen wieder ihre ursprüngliche Form an. Was, wenn sie mittlerweile zu einem unverzichtbaren Element – wie G-Mako in einem Körper – geworden waren, Lücken hinterließ. Komplikationen waren unvermeidlich, und je nach Schwere derselbigen drohte sogar der komplette Zusammenbruch. Die Lücke konnte erneut gefüllt werden, aber sie blieb dennoch ein unverdrängbarer Risikofaktor. Es sei denn, man fand eine andere, dauerhaftere Lösung. Was in Cutters Fall nur eines bedeutete: Solange sie leben sollte, durfte Hojo nicht sterben. Sephiroth verbrachte Stunden mit diesbezüglichem Nachdenken, fand aber keine Alternative – nur die Gewissheit, dass es falsch gewesen war, Rufus und Hojo zu verschonen. Der richtige Moment war da gewesen - und er hatte ihn aus Gründen, die mittlerweile völlig lächerlich wirkten, nicht genutzt, sondern seinen zum Aufbruch drängenden Instinkt ignoriert und sich stattdessen von seiner Gier hinreißen lassen, wie ein Anfänger, war geblieben, hatte somit verheerende Konsequenzen heraufbeschworen ... und er fühlte sich schuldig. Er versuchte, sich diesen Zustand nicht anmerken zu lassen und die Sache mit sich selbst zu klären – aber Cutter konnte er nicht täuschen. Sie spürte, was in ihm vorging, und reagierte irgendwann, als sie sich zusammen in seinem Appartement aufhielten, auf eine für sie typische Art und Weise: Sie legte das Buch, in dem sie grinsend, aber friedlich gelesen hatte, beiseite, kletterte auf den Schoß des neben ihr sitzenden Sephiroths, schlang die Arme um seinen Hals und eröffnete leise: „Du grübelst, großer General, und zwar über dich und mich.“ Sephiroth schob seine Hände auf ihren Rücken und nickte. „Du denkst“, fuhr Cutter fort, „über die G-Mako Sache nach, und über die möglichen Konsequenzen.“ Abermals nickte Sephiroth. „Und du fühlst dich schuldig, weil du Hojo und Rufus nicht getötet hast und nicht mit mir weggegangen bist, weil das deiner jetzigen Ansicht nach den aktuellen Stand der Dinge verhindert hätte.“ „Ja“, wisperte Sephiroth, restlos durchschaut. Cutter seufzte leise, schüttelte dann aber heftig den Kopf. „Sephy, du bist nicht schuld. Dass ich von einem Insekt gestochen werde und so hochgradig allergisch reagiere, hätte überall und jederzeit passieren können, ganz unabhängig von ShinRa. Hast du daran nie gedacht?“ Der General musste zugeben, diese Überlegung nicht in sein Denken mit einbezogen zu haben – aber Cutter hatte Recht. Im Rahmen der Regeneration des Planeten gab es mehr Tiere, als jemals zuvor, nicht alle waren für einen Menschen ungefährlich, außerdem häuften sich die Konfrontationen, und nur in den glücklichsten Fällen verliefen diese friedlich. Aber all diese ihm bekannten Zusammenstöße wurden von Sephiroth auf einer gänzlich anderen mentalen Ebene verarbeitet, als der Cutter betreffende. Denn diese Personen waren Fremde gewesen, deren Schicksal ihn nicht kümmerte, und die irgendwie ersetzt werden konnten. Auf seine Freundin hingegen traf keine dieser Ansichten zu. „Aber ...“, begann der General, verstummte jedoch, als sich Cutters Zeigefinger auf seine Lippen legte. „Kein `Aber´. Es ist nicht deine Schuld! Es war ein blöder Zufall! Wenn ich anders denken würde, meinst du nicht, dass ich dir das längst gesagt hätte? Oder du hättest etwas gemerkt. Vergiss nicht, was für eine miserable Schauspielerin ich bin.“ Sephiroth musste unwillkürlich schmunzeln. Es stimmte. Cutter zeigte ihre Gefühle immer offen, speziell ihm gegenüber, außerdem übertrugen sich diese auch auf ihn. Etwas wie ihm geltende `Wut´ war schon lange nicht mehr dabei gewesen. `Liebe´ hingegen schon, jeden Tag, stärker als jemals zuvor. Aber so gut es tat, das zu spüren, es machte Sephiroth nicht blind gegenüber den möglichen Entwicklungen, und dazu gehörte ganz speziell eine ... „Was, wenn du ...“ „Einen Rückfall kriegst und wieder wegen des G-Makos ins Labor musst? Darüber denke ich überhaupt nicht nach. Willst du wissen, warum?“ Und als der General nickte: „Weil wir zwei die Guten sind. Und weil ein Rückfall überhaupt nicht ins Szenario passt. Außerdem will ich keinen kriegen. Und ich glaube immer noch ganz fest daran, dass alles gut wird!“ Ein typischer Cutter-Gedankengang. Sephiroth schnaubte erheitert und schüttelte den Kopf. „Du weißt, dass grausame Dinge nicht immer nur den Bösen zustoßen.“ „Diesmal stehen wir trotzdem nicht auf der Liste. Ich bin topfit und werde es bleiben, mein Wort drauf!“ Sephiroth antwortete nicht sofort. Er wusste, wie stark Cutters Glaube war – und wie oft die Realität in der Vergangenheit scheinbar beide Augen zugekniffen hatte, um der jungen Frau Dinge zu ermöglichen, die vielleicht sonst niemals hätten geschehen können, und die niemand für möglich hielt. Unter anderem, dachte der General, hast du Zugang zu mir gefunden, und mich verändert. Du verändert mich selbst jetzt noch. Aber ich kann mich nicht blind stellen. Deine Stärke liegt in der spontanen, begeisterten Reaktion auf irgendein Ereignis, das deinen Pfad kreuzt. Ich hingegen bin ein Stratege, der mit genau dieser Begegnung rechnet und mindestens zwei diesbezügliche Pläne ausgearbeitet hat. Und deshalb werde ich weiterhin wachsam und misstrauisch bleiben, und mit dem Schlimmsten rechnen. Sollte es wirklich eintreffen ... weiß ich, was ich zu tun habe. „Ich hoffe, du hast Recht“, antwortete er leise. „Klar habe ich das!“, lachte Cutter. „Ehrlich, Sephy!“ Dann ließ sie ihren Kopf nach vorne sinken, bis dieser Sephiroths Stirn berührte, und wisperte: „Du bist nicht schuld. Hast du das begriffen?“ Ihre Nähe ... ihre Wärme ... ihre auf ihn übergehenden Gefühle ... Die eben noch so stark empfundenen Schuldgefühle verblassten, schufen in Sephiroth Raum für die Gewissheit, wie wichtig und unersetzlich er für seine Freundin war, und, dass sie alles andere ohne zu zögern hergegeben hätte, wenn ihr nur seine Gegenwart dafür blieb. Und so nickte er und verstärkte gleichzeitig seine Umarmung. Cutter zu halten fühlte sich so gut an, dass es beinahe schmerzte, und ihr geflüstertes `Ich hab´ dich so lieb´ ließ die Grenze noch weiter verschwimmen, denn obwohl sich Sephiroth absolut sicher war, genauso zu fühlen, war er doch unzufrieden mit sich selbst. Warum kann ich es nicht einfach sagen? `Ich liebe dich.´ Es sind nur drei kleine Worte, und sie treffen zu. Cutter scheint es auch so zu wissen ... Aber es ist nicht genug. Mir ist es nicht genug. Ich möchte, dass sie mit Sicherheit weiß, mehr für mich zu sein als die Person, die ich liebe. Viel mehr. Nämlich mein fehlender Flügel ... alles, was mich vervollständigt. Die Idee streifte sein Bewusstsein nur am äußersten Rand, aber das mit der Intensität eines Feuers in tiefschwarzer Nacht. Sephiroth griff danach, hielt sie fest, zog sie näher zu sich heran, und je länger er den Einfall betrachtete, je besser gefiel er ihm. Nur, wie? Und aus welchem Material? Das `wie´ war schnell geklärt. Und das Material ... Im Grunde kam nur eines in Frage. Und die ausführende Kraft ... Es gab viele Personen in Midgar, die über entsprechende Fähigkeiten verfügten. Mit Sicherheit mangelte es ihnen auch nicht an Kontakten ... Sephiroth nickte sachte. Der Plan war beschlossen! Und Cutter würde es verstehen. Sofort. Eben erklang abermals ihre leise Stimme. „Und in ein paar Stunden gehst du auf eine Mission, die drei Tage dauert! Ich sehe dich ganze drei Tage lang nicht. Ich darf dich nicht mal anrufen. Und Zack kommt auch mit, und für ihn gilt dasselbe. Ich werde eingehen, ohne euch!“ „Das wäre höchst bedauerlich.“ „Nimm mich mit! Ich ...“ „Du bist in dieser Zeit für andere Missionen eingeteilt.“ „Mmmmmh.“ „Sag nicht `mmmmmh´. In drei Tagen sehen wir uns wieder.“ „Ich hole dich am Heliport ab. Ich bringe Fahnen mit und Luftschlangen und ...“ Sephiroth schüttelte sachte den Kopf und schloss die Arme noch ein wenig fester um Cutter. Bewegungen, die überdeutlich `Du allein reichst völlig aus!´ sagten. Einen Moment lang verhielten beide völlig still, versunken in der Nähe des anderen. Dann wandte der General den Kopf, sah zu dem von seiner Freundin weggelegten Buch hinüber – und erstarrte. Dieser Umschlag ...! „Phoenix? Ist das ...?“ Cutter begann vergnügt zu kichern. Sephiroth stöhnte leise und ließ seinen Kopf gegen den Oberkörper seiner Freundin sinken, eine Reaktion, die Cutters Heiterkeit nur noch weiter anstachelte. Keiner von beiden wusste, warum sich Zack `darüber´ so klar war, aber `es´ war ihm völlig klar. Seine Reaktion auf die ultimative körperliche Nähe zwischen seinen beiden besten Freunden zeugte von tiefsinniger Überlegung, Takt- und Feingefühl, sowie einer gehörigen Portion Respekt. Er schenkte ein Geschenk. Ein Buch. Ein, wie er betonte, Fachbuch. Mit Seiten. Bildern auf diesen Seiten. Einem Einband. Einem Bild auf selbigem. Und einem Titel. 1st Class SOLDIER Zackary Fair, immer besorgt um das Glück von Personen, die ihm nahe standen, schenkte ... einen Sexratgeber. Für Anfänger. Der sonst so beherrschte Sephiroth hatte den 1st daraufhin durchs halbe HQ gejagt, diesmal fest entschlossen, Zack umzubringen. Lange würde er ihn allerdings nicht leiden lassen. Nur ein paar Stunden. Wo sie doch Freunde waren ... Cutter rettete den 1st, indem sie ihn in einen optisch völlig unauffälligen Gegenstand verwandelte und auf den Anruf des Generals (der sich schon denken konnte, weshalb das Paradebeispiel für Respektlosigkeit schlagartig unauffindbar war) nicht reagierte. Als dieser daraufhin in sein Büro zurückkehrte, fand er seine Freundin in seinem Sessel sitzend wieder, hellrot angelaufen, aber hochgradig interessiert. Vor ihr lag das aufgeschlagene („Fachbuch! Hör doch, Seph, es ist ein Fachbuch!! Hilfeeeee!“) Nachschlagewerk. Sephiroths Neugier war geweckt. Ein letztes, kurzes Zögern ... dann fand er sich neben Cutter wieder, und dann blätterten sie vorsichtig zusammen in dem Buch. Immerhin war es ein Fachbuch! Aber trotzdem ... „Mir ist es nach wie vor unbegreiflich, wie man darüber so offen schreiben kann“, murrte Sephiroth gerade. Für ihn war diese Art von körperlicher Nähe ein Privileg und ein Geschenk, gemacht im tiefsten Vertrauen und ungetrübten, beidseitigem Einverständnis, und keinesfalls ein Thema, das man so sachlich beschreiben konnte, wie es in diesem Buch stattfand. Cutter musste über die Empörung ihres Freundes unwillkürlich erneut lachen, aber beide wussten, dass sie es nicht böse meinte - außerdem begann sie gerade, sein Hemd aufzuknöpfen. „Was wird das?“, erkundigte sich Sephiroth gespannt. „Seite 34.“ „Oh, ja ...“, wisperte der General und schloss die Augen. So gut und mitreißend die Ereignisse in Sephiroths Appartement waren, das sonstige ShinRa Universum scherte sich nicht darum und verlangte auch weiterhin die pünktliche Einhaltung gewisser Termine. Für Cutter bedeutete das, nur wenige Stunden später eine ihrer (verhassten) Überprüfungen zur Kontrolle der Reflektorenlines von Rufus Büro aus wahrzunehmen. Die Gesamtsumme der Lines hatte sich jeden Tag erhöht, verkürzte die Zeit bis zum Punkt Null, an dem die Stadt ganz und gar auf Sonnenenergie umgestellt sein würde, und noch immer war niemandem klar, ob es für ShinRa eine Möglichkeit gab, dieses Szenario zu verhindern, aber alle wussten, dass Rufus etwas plante. Das tat er immer ... Dessen völlig ungeachtet ließ es sich Sephiroth nicht nehmen, seine Cutter wenigstens ein Stück auf dem Weg zum Büro ihres Arbeitgebers zu begleiten. Gerade nahm er einmal mehr wahr, wie entspannend es sich anfühlte, der restlichen Welt bezüglich seiner Freundin kein Theater mehr vorspielen zu müssen. Selbiges hätte sich gerade jetzt auch als schwierig herausgestellt, denn seine Phoenix war gerade dabei, sich halblaut völlig absurden Ideen hinzugeben, und der General setzte eben zu einer mehr als passenden Antwort an, entschied sich aber blitzartig anders, als das Duo schlagartig Gesellschaft bekam. „Haben Sie´s nur eilig, oder sind Sie auf der Flucht, Tseng?“ Tseng, gerade aus einem Nebenflur auf den Hauptflur gestürmt, bremste jäh ab und wandte sich um. „Guten Tag. Ah ... General, kann ich die Dienste Ihres Death Walkers kurz in Anspruch nehmen?“ Und als Sephiroth nickte: „Danke. Cutter, tu mir den Gefallen und spür Reno für mich auf, ja?“ „Reno“, lautete die nur wenige Sekunden später gegebene Antwort, „befindet sich momentan außerhalb Midgars, in einem Jeep. Und er ist ziemlich flott unterwegs.“ Tseng seufzte leise. Das Geräusch sagte folgendes aus: `Verdammt.´ `Außerhalb meiner direkten Reichweite.´ und `Ich bring ihn um!´ Sephiroth konnte sich das Grinsen mit äußerster Mühe, einen passenden Kommentar aber keinesfalls verkneifen. „Wenn Sie den Bestand Ihrer Leute selbst dezimieren, bekommen Sie Probleme beim Ausführen der Ihnen zugeteilten Aufträge.“ „Kein Problem, ich leih mir Ihren Death Walker.“ „Oh ja, oh ja, ich will auch ein Turk sein!“ „Das willst du nicht!“, knurrte Sephiroth, der mit dem Aufgabengebiet der Turks wesentlich besser vertraut war, als er es hätte sein dürfen, vor allen Dingen aber besser, als Cutter. Die strahlte Tseng gerade breit an, war ihr doch gerade etwas Wichtiges eingefallen. „Oh, Tseng, da fällt mir ein, ich habe mich noch gar nicht dafür bedankt, dass sie mich vor 4 Jahren ...“ Weiter kam sie nicht. Die schlagartig auf ihrem Mund liegende, von schwarzem Leder umhüllte Hand ließ den Rest des Satzes in einem dumpfen `Mmmfp´ enden. „Cutter ...“, grollte Sephiroth, „hast du wirklich gar nichts von mir und dem ShinRa Alltag gelernt?“ Und dann, hinsichtlich Tsengs verhaltenem, aber keineswegs unfreundlichen Lachen, das überdeutlich verriet, sich den Rest des Satzes bereits zusammenreimen zu können: „Man erinnert einen Turk niemals, niemals daran, in seiner Schuld zu stehen!“ „Ahum?“ „Weil er darauf zurückkommen wird!“ „Sofern er es überhaupt vergessen hat“, ergänzte Tseng immer noch schmunzelnd. „Was nicht der Fall ist.“ „Was es keineswegs besser macht“, knurrte der General gänzlich unbegeistert und ließ Cutter wieder los. „Aber wenn er drauf zurückkommt“, erkundigte sich diese mit der üblichen Begeisterung, „ist das doch gut? Dann sind wir quitt.“ „Mit einem Turk ist man niemals quitt.“ „Das ist nicht wahr!“ Und dann, ein wenig unsicher: „Oder, Tseng?“ „Zumindest ist ein an einen Turk gerichtetes `Danke´ äußerst selten.“ „Ha! Hey, Moment. Das beantwortet nicht meine Frage!“ „Und ist somit typisch für die Antwort eines Turks“, schaltete sich Sephiroth ein. „Cutter, du musst hier rechts abbiegen.“ „Ich kenn mich hier aus!“, entrüstete sich sein Death Walker. „Ich könnte jetzt hier rechts abbiegen oder da vorne links, oder ich könnte nach 150 Metern den Aufzug nehmen oder ...“ „Du! Jetzt! Rechts! Los!“ Cutter grinste, zupfte am Kragen der schwarzen Lederuniform, und als Sephiroth den Kopf senkte, küsste sie ihn sanft auf die Wange. „Ich, jetzt, rechts, los. Bis später, Sephiroth. Bye, Tseng.“ Dann stürmte sie davon und war nach wenigen Sekunden verschwunden - ganz im Gegensatz zu Tseng, der immer noch völlig gelassen neben Sephiroth stand, als seien sie alte Freunde, und nicht Leiter völlig unterschiedlicher Abteilungen, deren größtes Bestreben es des öfteren war, voreinander Geheimnisse zu haben. Für einen Moment wusste Sephiroth nicht, ob er verärgert oder amüsiert sein sollte, entschied sich aber letztendlich für eine Mischung aus Beidem. Wo Tsengs Gedanken momentan weilten, offenbarte sich nur wenige Sekunden später. „Ihre Cutter ist wirklich sehr ... lebendig“, konstatierte der Turk schmunzelnd. „Und bei Einsätzen vermutlich schwieriger unter Kontrolle zu halten, als Reno.“ „Mit einem unschätzbaren Vorteil: Sie kann zerstörte Dinge sofort wieder reparieren.“ „Ja“, seufzte Tseng, „das ist wirklich ein unschätzbarer Vorteil.“ Und dann, mit einer Stimme die zu gleichen Teilen erheitert wie ernst klang: „Sie passt gut zu Ihnen, General.“ Einen Sekundenbruchteil später erwiderte er den ihm geltenden, scharfen Blick furchtlos und fuhr völlig gelassen fort: „Menschen mit ihren Charakterzügen sind selten geworden auf dieser Welt. Aber Sie haben eine dieser wenigen Personen gefunden.“ Sephiroth zögerte. Tseng war der erste Außenstehende, der es wagte ihn so offen auf seine Freundin anzusprechen. Es fühlte sich gänzlich anders an, als erwartet. Und so unwillig der General war, sich auf dieses Gesprächsthema einzulassen, so konnte er doch nicht leugnen, dass der jetzige Zustand ohne Tsengs im Grunde gänzlich untypisches Verhalten vor 4 Jahren vermutlich niemals möglich gewesen wäre. Er ... verdiente eine Antwort. „Es war ... anders“, korrigierte Sephiroth leise. „Sie hat mich gefunden.“ Und dann, um den Schwerpunkt des Gespräches zu verlagern: „Was ist mit Ihnen?“ „Mh ... Die meisten Frauen schätzen es nicht, wenn ihr Freund mehr Zeit mit seinem Beruf als mit ihnen verbringt, und suchen sich schon nach kurzer Zeit jemand Neuen. Jemand der ... nicht Gefahr läuft, bei einer Mission erschossen zu werden, tagelang weg ist, ohne von sich hören zu lassen, etc. etc. Also kurz: Jemanden, der kein Turk ist. Im Idealfall sogar jemanden, der nicht für ShinRa arbeitet.“ So sachlich Tseng zu klingen versuchte, Sephiroth meinte, einen Hauch Trauer in der Stimme des Turks zu erkennen. Und er begriff, dass die meisten Menschen sich nach einem Wesen sehnten, das Zeit mit ihnen verbrachte, das sie verstand ... und liebte. „Sie haben“, fuhr Tseng fort, „mit Cutter also auf einer weiteren Ebene Glück gehabt.“ Sephiroth schwieg einen Moment. Sich mit dem Turk über Cutter zu unterhalten, beschwor die Erinnerung an eine ganz bestimmte Situation herauf. Sie lag längst zurück, aber dem General fehlte immer noch eine akzeptable Antwort, und jetzt war der ideale Zeitpunkt, nachzufragen. „Warum haben Sie Cutter vor 4 Jahren nicht an Rufus verraten?“ Tseng schwieg einen Augenblick nachdenklich. „Ich hatte keinen direkten Befehl“, antwortete er schließlich. „Außerdem habe ich in meinem bisherigen Leben schon viele Menschen kennen gelernt und mir einen gewissen Blick antrainiert, um durch den Schein sehen zu können. Aber manchmal muss man, um noch mehr sehen zu können, die Augen schließen. Bei Ihrer Cutter schien mir noch irgendetwas in Bewegung zu sein, und möglicherweise wollte ich sehen, wohin es führt.“ Er hat es auch gemerkt, dachte Sephiroth. Tseng ist eben ein Turk. Durch und durch. Aber das heißt auch, dass er auf Cutter achtet ... „Geschlossene Augen lassen die Kollisionsgefahr um einiges steigen, Tseng.“ In der Stimme des Generals lag ein Unterton, der bedrohlich hätte sein können. „Ich empfehle daher, von Zeit zu Zeit zu blinzeln.“ Tseng wusste genau, dass sich Sephiroth nur in äußerst seltenen Fällen zu einer Warnung herabließ, und fühlte sich fast ein wenig geehrt. Aber gleichzeitig hatte er auch ein neues Stichwort erhalten. „Wir alle sollten unsere Augen möglichst weit offen halten. Die Situation, in der sich die Electric Power Company befindet, ist nicht akzeptabel. Das wird sich in absehbarer Zeit ändern.“ Sephiroth warf ihm einen prüfenden Blick zu. Die Turks, und ganz speziell Tseng, arbeiteten enger mit Rufus zusammen, als SOLDIER. Ob sie schon etwas wussten? Vielleicht sogar neue Befehle erhalten hatten? Aber das würde Tseng ihm garantiert nicht so offen erzählen. Jegliche Fragen waren somit sinnlos. „Das wird es mit Sicherheit“, stimmte er daher lediglich zu. „Und mindestens eine Person wird damit ganz und gar nicht zufrieden sein.“ Damit wandte er sich zum Gehen, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Ob und was Tseng wusste oder zu wissen glaubte, in diesem Fall war es erst relevant, wenn sich daraus Aktionen ergaben. Etliche Stockwerke über Sephiroth beendete Cutter den täglichen Zählvorgang (9 neue Lines) und verließ das Büro – allerdings nur, um fast mit Hojo zusammenzustoßen. Für einen kurzen Moment sahen sie sich der Wissenschaftler und das undefinierbare, entkommene und viel zu bewegungsfähige Experiment direkt in die Augen. Dann wich Cutter aus, betrat den Aufzug, drückte einen Knopf und wagte erst wieder zu atmen, als sich die Türen geschlossen hatten. Im Grunde wollte Cutter keine Sekunde darüber nachdenken, aber ... Hojo ... Hojo und das Labor. Hojo, das Labor und das G-Mako. Ob diese Kombination wirklich einmalig gewesen war? Allein die Vorstellung, sich wieder in den direkten Wirkungsbereich des Wissenschaftlers zu begeben, ließ kalte Schauer über den Rücken der jungen Frau laufen, und so schüttelte sie heftig den Kopf und wisperte: „Mach bloß keinen Mist, hörst du? Sei gesund!“ Dann versuchte sie, sich abzulenken. Hojo war auf dem Weg zu Rufus gewesen. Was er wohl wollte? Ob es um Solar Solution ging? Es war gut zu wissen, dass sich die Diskussion nicht um neue Experimente an Sephiroth drehen würde. Sephiroth ... Morgen würde er zusammen mit Zack auf eine dreitätige Mission gehen. Sie war so schwierig, dass die Vorbereitungen schon seit Tagen liefen, und so geheim, dass der General nicht einmal mit seiner Freundin darüber gesprochen hatte – abgesehen davon, dass alle Missionsteilnehmer, ihm inklusive, nicht über das sonst immer aktive PHS Gerät zu erreichen sein würden. Und das bedeutete: Drei Tage ganz und gar ohne Sephy. Cutter war sich ziemlich sicher, das nicht zu überleben, und daher fest entschlossen, die heute noch stattfindende Mission mit ihrem Freund ganz besonders zu genießen. Ihre Gedanken standen im krassen Gegensatz zu den Themen, die mittlerweile in Rufus Büro besprochen wurden. Rufus Shinra und Hojo besaßen erschreckend viele Gemeinsamkeiten. Beide waren kaltherzig, machtversessen, äußerst erfolgsorientiert, arrogant, skrupellos und gingen über Leichen. Ihnen war jedes Mittel Recht, um ans Ziel zu gelangen. Das aktuelle Ziel lag zum ersten Mal seit Jahren in greifbarer Nähe. „Das heißt also“, fasste Rufus den vor Eigenlob nur so strotzenden Redeschwall des Professors zusammen, „die S-1 Einheiten werden ShinRa innerhalb kürzester Zeit zur Verfügung stehen. Sollte es wirklich dazu kommen, wäre ich äußerst zufrieden.“ „Es wird definitiv dazu kommen!“ Hojo klang hochgradig beleidigt. Dass dieser verdammte Rufus es immer wieder wagte, Zweifel anzubringen, war eine bodenlose Unverschämtheit. „In ein paar Wochen kann ich Ihnen den Prototyp präsentieren! Denken Sie sich bis dahin eine Testreihe aus, die ihm gewachsen ist!“ Rufus lächelte kühl. „Erschaffen Sie einen Prototyp, der es mit meiner Testreihe aufnehmen kann.“ Herablassende Blicke kollidierten miteinander. „Wäre der Prototyp schon in der Lage, mit Crescent fertig zu werden, Professor?“ „Selbstverständlich!“ „Gut. Ich bin schon sehr gespannt auf das erste Treffen.“ „Es wird kurz und schmerzhaft werden“, versicherte Hojo. „Aber was wollen Sie mit Tzimmek machen? Bisher zeigt das G-Mako keine Folgereaktionen. Und ohne die laufen wir Gefahr, mehr zu verlieren, als wir verkraften können. Und was haben Sie bezüglich dieser Solarsache vor? Es wäre empörend mitzuerleben, wie all meine Genialität hinsichtlich ein paar lächerlichen Sonnenstrahlen ...“ „Sie“, unterbrach Rufus mit einer Stimme, gegen die Eis Plustemperaturen hatte, „kümmern sich um die S-1 Einheiten! Ausschließlich um die S-1 Einheiten, haben Sie das ein für alle Mal verstanden?“ „Selbstverständlich, aber ...“ „Sie dürfen gehen. Und, Professor? Ich erwarte den ersten Prototyp in spätestens 5 Wochen!“ Hojo warf seinem Arbeitgeber einen letzten, zu gleichen Teilen missbilligenden wie auch vernichtenden Blick zu, und schlich davon. Rufus blieb allein zurück. Irgendwann erhob er sich, trat zum Panoramafenster und sah hinaus. Früher einmal hatte ihm diese Stadt ganz alleine gehört. Dass er sie jetzt mit diesem Parasiten Hiwako teilen musste, war eine Frechheit – aber kein dauerhafter Zustand. Unterstützung des Planeten hin oder her, Hiwako würde sterben! Wenn der Plan griff, schon in wenigen Wochen. Rufus Instinkt, der sich momentan wie eine straff gespannte Sehne anfühlte, flüsterte und wisperte, und es gab einen Namen, der immer wieder fiel. `Tzimmek, Cutter´. Wenn alles so lief, wie Rufus es wünschte, würde sie eine zentrale Rolle spielen, und das gänzlich gegen ihren Willen. Der Präsident der Electric Power Company lächelte keinesfalls verhalten. Daten und Pläne. Nur darauf kam es an. Das Endprodukt – er wusste es genau – würde ihn nicht enttäuschen! Die letzten Stunden bis zum Aufbruch des Generals und Zack vergingen viel zu schnell, und irgendwann war Cutter alleine. Die seltsame Gewissheit, ihre beiden besten Freunde nicht im HQ oder auf einer wesentlich kürzeren Mission zu wissen, ließ die junge Frau wie verloren und fast ein wenig niedergeschlagen durch die Gänge wandern, und sie fühlte sich miserabel. Dazu kam, dass sie ihren Freund nicht anrufen durfte. Die Mission, an der auch Zack teilnahm, war kompliziert und hätte durch den geringsten Fehler scheitern können. Dafür verantwortlich zu sein, bloß weil man seine Sehnsucht nicht im Griff hatte ... Das würde der General niemals gelten lassen. Und so riss sich auch sein unglücklicher Death Walker zusammen, so gut es ging. Aber sie vermisste ihn entsetzlich, und so fühlte sich jede Sekunde an, wie eine Stunde. Selbst die Missionen zogen sich schleppend und unspektakulär dahin. Am schlimmsten aber war das leere Appartement. Es half nichts, sich immer wieder zu sagen, dass dieser Zustand nur vorübergehend war - solange er andauerte, hatte er die Oberhand. Trotzdem schaffte es Cutter, den ersten Tag mit den üblichen Tätigkeiten und die erste Nacht allein in dem großen Bett einigermaßen gut zu überstehen. Jetzt stell dich nicht so an, er kommt doch wieder!, schimpfte sie in Gedanken mit sich selbst, nachdem sie aufgewacht war und nichts lieber gehört hätte, als Sephiroths dunkle Stimme. Aber es half nichts. Sie vermisste ihn mit jeder Sekunde mehr. Wenn wenigstens Zack hier gewesen wäre ... Der 1st jedoch befand sich auf derselben Mission. Und somit hielt sich Cutter in einem sehr seltenen Zustand der Einsamkeit auf. Früher war diese Leere einfacher zu ertragen gewesen. Aber seitdem hatten sich zu viele Dinge verändert. Am Abend des zweiten Tages war es so schlimm geworden, dass sie nicht einmal mehr Hunger verspürte. „Eben reagier ich über“, murrte die junge Frau, aber es gelang ihr trotzdem nicht, etwas aus dem Kühlschrank zu räumen. „Dieses blöde, doofe, dämliche Vermissen ...“ Sie seufzte leise, aber auch das brachte die Zeit nicht dazu, schneller zu vergehen. Letztendlich fand sich Cutter äußerst schlecht gelaunt vor dem Fernseher wieder, aber auch hier traf keines der Programme ihren Geschmack. Da die nächste Mission bereits in wenigen Stunden stattfinden würde, beschloss sie kurzerhand, schlafen zu gehen. Schlaf war, wenn er sich mit den aktuellen Gegebenheiten vereinbaren ließ, immer eine gute Option, und so streckte sie sich lang auf dem Bett aus, sandte ein lautloses `Gute Nacht, Sephy´ in die Dunkelheit und schloss die Augen. Wenige Momente später war sie eingeschlafen. Alles auf Gaia hatte seine Zeit. Leben. Sterben. Entwicklungen. Freude. Leid. Licht. Schatten. Tag. Nacht. Nichts (oder nur sehr, sehr wenige Dinge) waren von großer Dauer. Zeit konnte sich dehnen oder wie im Flug vergehen. Sie konnte einem entrissen werden in Form von Dingen, die man tat, ohne mit dem Herzen dabei zu sein, oder man konnte sie sich nehmen, indem man andere Tätigkeiten zurückstellte oder gar nicht erst damit anfing. Zeit ließ sich als Geschenk auffassen, oder als Strafe. Aber sie war für keine Sache der Welt in unbegrenzter Dauer vorhanden, und sie war immer in Bewegung. Rückwärts. Auf den Punkt zu, an dem sie enden würde. Es gab jeden Tag Milliarden dieser Enden. Manche betrafen alle Lebewesen, andere wiederum zeichneten sich durch ihre Individualität aus. Einige von ihnen waren freundlich oder wenigstens neutral, andere hingegen einfach nur grausam. Aber alle Enden geschahen. Weil sie gebraucht wurden. Manchmal ließen sie hinsichtlich des Zeitpunktes noch ein wenig mit sich handeln. Aber meistens fanden sie einfach statt. Für Cutter geschah eines dieser Enden völlig unerwartet, um 0336 Uhr, mitten in der Nacht, und es erwischte sie eiskalt. Zuerst wusste die junge Frau nicht, was sie geweckt hatte. Sie blinzelte und lauschte in die sie umgebende Dunkelheit hinein auf der Suche nach einem Grund, wurde aber nicht fündig. Trotzdem blieb das Gefühl. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Und gemessen an der Stärke konnte es nur ratsam sein, den Grund dafür so schnell wie möglich herauszufinden. Die Lines verrieten ihn nicht, und auch der Griff nach der Luna Lance brachte nicht die gewünschte Ruhe. Cutter setzte sich im Bett auf und lauschte nach innen. Diesmal wurde sie fündig. Der Schmerz setzte zwar nicht sofort ein, aber als er es tat, glich er einem dumpfen, aus der Magengegend kommenden Grollen. Es wirkte bedrohlich, ließ sich aber leicht übersetzen: Hunger. Als Cutter wenige Minuten später immer noch kauend aus der Küche kam, war der Schmerz so gut wie verklungen. Die junge Frau kletterte wieder ins Bett, zog die dünne Decke über sich und schloss die Augen. Wenn ich das Sephy erzähle, muss ich´s erklären. `Du wusstest doch, dass ich zurückkomme´, wird er sagen. Und ich werde sagen: `Schon, aber es waren trotzdem 3 ziemlich lange Tage.´ Und dann wird er sagen ... Der Schmerz traf ihr Bewusstsein mit der Kraft einer jähen Flutwelle. Cutter keuchte und setzte sich ruckartig auf. Was zum ... Ich habe doch was gegessen! Warum tut es immer noch weh? Gleichzeitig begann sie, ihren Bauch zu massieren in der Hoffnung, so Linderung zu schaffen. Aber der gewünschte Effekt stellte sich nicht ein. Cutter versuchte, ruhig zu atmen, nachzudenken, einen Schmerzrhythmus zu erkennen. Aber es gab keinen. Der Schmerz schien sich tief in ihr festzukrallen und von dort aus intensiv, aber ohne Takt, loszubrechen, wieder zu verstummen, Kraft für den nächsten Anlauf zu sammeln ... und wurde jedes Mal stärker. In Ordnung, denk nach. Du hast nichts Falsches gegessen. Du hast dich nicht überanstrengt. Du hast auch keinen Sonnenstich. Du bist nicht krank. Du bist nicht schwanger. Du hast sämtliche aktuellen Impfungen. Du bist von nichts gestochen oder gebissen worden. Bis vor ein paar Stunden warst du, bis auf deine Sehnsucht, topfit, aber das hier hat nichts mit Sehnsucht zu tun, das ist ... irgendetwas anderes, das ist ... Und dann weiteten sich ihre Augen in einem Schrecken, der augenblicklich jeden Funken ihres Bewusstseins an sich riss. Sie nahm nicht einmal mehr wahr, wie sie blass wurde und eisige Kälte ihren Rücken empor kroch. „Nein!“, wisperte Cutter und schüttelte entsetzt den Kopf. „Nein ... Alles, nur das nicht. Bitte, lass es nicht das G-Mako sein ...“ Aber als sei sein Stichwort gefallen, wurde der Schmerz erneut intensiver. Cutter sprang aus dem Bett, griff nach ihrer Uniform und entnahm ihr Heilmateria und Potion. Schluckte die Potion, ließ sich wieder am Rand der Matratze nieder und verhielt in sich hineinlauschend, völlig bewegungslos, erfüllt von verzweifelter Hoffnung ... die erlosch, als der Schmerz zurückkam. Blieb noch die Heilmateria. „Bitte ...“ Nur ein flüstern. „Bitte!“ Sie wandte die Heilmateria an. Und der Schmerz verstummte. Für die trügerische Dauer von 10 Herzschlägen. Dann kehrte er mit doppelter Kraft zurück, als sei dies die Strafe für den Versuch, ihn auszutricksen. „Shit!“, wisperte Cutter. Gleichzeitig kämpfte sie mit dem sich vertiefenden Schock der Erkenntnis. Es war das G-Mako. Wochenlang nicht die geringste Reaktion. Keinerlei Anzeichen, die auf eine bald stattzufindende, neue Behandlung hinwiesen. Und jetzt das! Cutter atmete tief ein und aus und nahm wahr, heftig zu zittern. Ich muss ins Labor. Ich muss wirklich ... Und ich muss Sephy Bescheid sagen, sofort! Sie griff nach dem PHS ... und erstarrte mitten in der Bewegung. Sie konnte Sephiroth nicht informieren. Er befand sich auf einer komplizierten Mission, ebenso wie Zack. Die Vorbereitungen waren äußerst intensiv gewesen. Ihn jetzt über den Rückfall hinsichtlich des G-Makos zu informieren ... Abgesehen davon war er viel zu weit weg. Und dann wurde ihr klar, was diese Erkenntnis wirklich bedeutete. Ich muss alleine ins Labor gehen. Zu Hojo. Und niemand wird eingreifen können, falls er ... Und doch blieb, außer hier bleiben und sterben, nur diese Möglichkeit. Cutter stöhnte leise hinsichtlich einer neuen, ihren Körper überrollenden Welle aus Schmerz, die wesentlich intensiver als die vorherige war und somit überdeutlich machte, dass nicht mehr viel Zeit blieb. Die junge Frau kleidete sie sich mühsam an, griff nach der Luna Lance und verließ das Appartement. Die Welt drehte und schwankte vor ihren Augen. Dazu kamen Schmerzen, die sich jetzt mit jedem Herzschlag steigerten, kostbare Kraft an sich rissen und jede Bewegung zur Qual werden ließen. Cutter kämpfte sich dennoch vorwärts, wissend, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb. Dank der Luna Lance konnte sie einen der glücklicherweise leeren Aufzüge dazu bringen, den ursprünglichen Kurs zu ändern, auf ihrer Ebene zu halten und sie schließlich, nach Überlistung des Sicherheitssystems, am gewünschten Ort abzusetzen. Cutter trat aus der Kabine, schaltete die Wachposten lange genug aus, um sich vorbeischleichen zu können, und als sie die letzte Tür vor Hojos Laborbereich erreichte hielt sie inne und versuchte sich nicht vorzukommen wie jemand der den Kopf in der Hoffnung, es sei vielleicht stumpf oder kaputt, unter ein Schafott legte. Denn es würde weder das Eine, noch das Andere sein. Dann öffnete sie die Tür. Hojo saß an seinem Schreibtisch und beschäftigte sich gerade mit einigen höchst interessanten, die S-1 Einheiten betreffenden Daten, als die Tür aufschwang. Der Professor hob leicht bis mittelschwer verstimmt über die unangekündigte Störung den Kopf, bereit, den ungebetenen Gast unverzüglich des Labors zu verweisen (es sei denn, die Person stellte sich als Testobjekt zur Verfügung) – und verwarf hinsichtlich des sich ihm bietenden Anblickes alle eben gefassten Pläne. Grinste verschlagen. „Noch so spät unterwegs, Tzimmek? Was führt dich in mein bescheidenes Labor? Langeweile? Oder solltest du etwa Sehnsucht nach meinen Fähigkeiten und G-Mako haben?“ Cutter konnte kaum noch atmen und ohne den zusätzlichen Halt der Luna Lance hätten ihre Beine längst den Dienst verweigert. Trotzdem fand sie irgendwie die Kraft, die Zähne zu fletschen und zu antworten. „Ich würde es ... nicht unbedingt Sehn ... Sehnsucht nennen, aber G-Mako kön ... nte helfen.“ Hojos Lächeln gewann an Intensität. Rufus hatte exakt hinsichtlich dieses Szenarios klare Anweisungen erteilt. Aber er war momentan nicht hier. Ebenso wenig wie Sephiroth. „Und wer oder was sagt dir, dass ich gerade jetzt Zeit für dich habe? Ich bin ein Genie, wie dir mittlerweile klar sein dürfte, und habe entsprechend wichtige Angelegenheiten zu bearbeiten. Dich und dein kleines Problem stufe ich in eine wesentlich niedere Kategorie ein, zumal ich nicht plane, das G-Mako weiter zu erforschen. Wo bleibt eigentlich dein großer Beschützer? Ist er etwa auf einer Mission? Obwohl er wusste, dass du einen Rückfall bekommen könntest?“ Er kicherte. „Das muss Liebe sein! Ich bin nicht daran interessiert, dir zu helfen! Und jetzt verlass mein Labor!“ Cutter schloss gequält die Augen ... und öffnete sie wieder. Nahm jeden Funken Kraft zusammen, Kontakt zur Line des Professors auf, jagte einen Befehl durch die Line ... „Sie werden mich jetzt ... sofort behandeln, sonst ... sonst bleiben Ihre Hände ... in diesem Zustand!“ Hojo starrte auf das, was bis vor wenigen Sekunden noch ideale Greifwerkzeuge gewesen waren. In ihrem jetzigen Zustand konnte er nichts mehr damit anfangen. Vermutlich hatte Präsident ShinRa aus genau diesem Grund so klare Anweisungen erteilt. Die Lines waren nicht zu unterschätzen. „Ich verstehe!“, zischte Hojo zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Primitive Erpressung! Na schön, Tzimmek. Folge mir, wenn du es schaffst!“ Er erhob sich betont verächtlich und marschierte in Richtung des anderen Raums. Cutter setzte wesentlich mühsamer einen Fuß vor den anderen. Mittlerweile peitschte sie jede der jetzt viel rascher aufeinander folgenden Schmerzwellen bis an den Rand zur Bewusstlosigkeit. Trotzdem gelang es ihr, den Raum in dem die Makotanks glühten, zu erreichen. Hojo befand sich bereits am Hauptsteuerungscomputer und hob auffordernd die Arme. Wenige Sekunden später konnte er den Computer ganz normal bedienen. Dass sich dafür seine Füße fest mit dem Untergrund verbunden hatten, ignorierte er geflissentlich. „Na los, in den Tank mit dir! Ich habe nicht ewig Zeit!“ Für einen kurzen Augenblick überwogen Entsetzen und Furcht in Cutter. Da rein?! Wie viele entsetzliche Dinge mochten in der durchsichtigen Röhre bereits stattgefunden haben? Außerdem war es Cutter nicht möglich zu überprüfen, ob es sich bei der Flüssigkeit, die Hojo in den Tank leiten würde, tatsächlich um G-Mako handelte. Da sie bei der ersten Behandlung bewusstlos gewesen war, fehlte die Vergleichsmöglichkeit. Aber die erste Rettung hatte auch in einem Tank stattgefunden ... Schwankend setzte sie sich in Bewegung ... und hielt inne. Sephiroth hatte ihr erzählt, dass ihre Kleidung dem Mako nicht gewachsen gewesen war. „Nur keine Scham“, kicherte Hojo als Cutter mühsam begann, sich auszuziehen, „ich habe schon genug nackte Körper gesehen. Sie reizen mich nicht.“ Die junge Frau vor ihm reagierte mit keinem Wort. Sie ließ lediglich, wie beim ersten Mal, die Flügel erscheinen, entkleidete sich in deren Schutz vollständig und betrat den Tank, griff nach der bereitliegenden Sauerstoffmaske und legte sie mit zitternden Händen an. Cutter versuchte wirklich, nicht zusammenzuzucken als sich die Tür mit einem deutlich vernehmbaren – Klick – hinter ihr schloss. Einen Augenblick lang geschah gar nichts. Dann begann Sauerstoff ihren Mund und nur wenige Sekundenbruchteile später auch die Lungen zu füllen, gleichzeitig sammelte sich Flüssigkeit sich um ihre Füße, stieg rasch höher. Binnen weniger Sekunden war ihr Körper mit G-Mako bedeckt. Es drang durch jede noch so feine Pore, trat von überall her in den Blutkreislauf ein, ließ sich transportieren, suchte. Cutter gab sich alle Mühe, ruhig zu bleiben, gleichmäßig zu atmen und einen gelassenen Puls zu präsentieren. Aber sie war nicht wie Sephiroth. Und sie hatte, trotz ununterbrochenem Kontakt zu dem Mako und Hojos Line, Angst. Das Mako begann, zu finden. Der Schmerz verebbte langsam. Irgendwann trat wieder vollständige Ruhe ein. Dennoch dauerte es über eine Stunde, ehe die leuchtende Flüssigkeit vorwarnungslos wieder abgelassen wurde. Die Tür öffnete sich. Cutter verließ den Tank tropfnass, aber nach wie vor sicher in ihre Flügel gehüllt, zog sich um, ließ die Flügel verschwinden und wandte sich zu Hojo. Löste die Verbindung zwischen seinen Füßen und dem Untergrund ... „Verlass mein Labor! Augenblicklich!“ ... und trat den Rückweg an. Hojo beobachtete sie aufmerksam, aber keinesfalls besorgt, griff zum Telefon, noch bevor das leise Klicken der sich schließenden Tür verklungen war, und informierte seinen Arbeitgeber über den soeben verschwundenen `Besuch´. In dem am höchsten Punkt des mächtigen ShinRa HQ´s liegenden Büros gestattete sich Rufus ein zutiefst zufriedenes Lächeln. „Sie ist also zurückgekommen.“ Seine Stimme schien vor Selbstgefälligkeit förmlich aus allen Nähten zu platzen. „Damit haben wir beide in der Hand. Besser kann es für unsere Pläne gar nicht laufen.“ Und in Gedanken fügte er hinzu: Ich habe mich, bezüglich Tzimmek, nicht geirrt. Und jetzt wird sie ihren von mir vorbestimmten Platz einnehmen, ob sie will, oder nicht. Ah ... Es gibt doch kein schöneres Gefühl, als den Willen eines Menschen zu brechen! Er legte auf, lehnte sich im Sessel zurück und blickte aus dem herrlichen Panoramafenster. Schon sehr, sehr bald würde die Stadt Midgar wieder ganz und gar ShinRa gehören – und mit ihr die ganze Welt. Cutter hatte auf dem Flur vor dem Labor inne gehalten und sich mit geschlossenen Augen an die Wand gelehnt. Die junge Frau fühlte sich wie durchgekaut und ausgespuckt, dennoch gelang es ihr, sich klar zu machen, es überstanden zu haben. Irgendwann öffnete sie die Augen wieder und griff haltsuchend nach ihrem PHS ... und ließ das Gerät sinken, als ihr klar wurde, dass sie es momentan nicht benutzen durfte. Cutter war immer einigermaßen gut mit den Regeln des Militärs klar gekommen, aber momentan verfluchte sie jede einzelne, und sie war zu erschöpft auf allen Ebenen, um weiterhin stehen zu bleiben. Sie ließ sich an der Wand nach unten rutschen, zog die Knie an den Körper, legte den Kopf darauf und versuchte das Gefühl zu verdrängen, am Rand eines bodenlosen Abgrundes zu stehen. Aber es gelang ihr nicht. Die jüngsten Ereignisse waren einfach zu schwerwiegend. Irgendwann wurde Cutter klar, dass sie weinte. Es war nicht fair! Die ganze Situation war so unwirklich und ungerecht, um wahr zu sein. Aber sie war trotzdem real, und einmal mehr galt es, sich auf die Veränderungen einzustellen, oder daran zugrunde zu gehen. Diesmal allerdings wusste Cutter nicht, ob sie es schaffen würde. Niemals zuvor war sie von einer lebensnotwendigen Substanz abhängig gewesen, und das Bewusstsein, sich jetzt in genau diesem Zustand zu befinden, fühlte sich an, wie ein auf ihre Seele gerollter großer, schwerer Felsbrocken. Viel schlimmer allerdings war die sichere Gewissheit, in ihrer jetzigen Version ein Hindernis für Sephiroth darzustellen. Seine mentale Heilung war so weit fortgeschritten – aber nur der Tod von Rufus und Hojo würde sie vervollständigen. Unter den jetzigen Umständen allerdings ... Du hast gesagt, du willst keine Welt ohne mich, dachte Cutter unter Tränen. Aber was nützt dir die Welt, wenn du dich nicht frei in ihr bewegen kannst? Ich weiß doch, wie es sich anfühlt, etwas zwar sehen, aber nicht berühren zu können. Es ist schlimmer, als jede Folter. Will ich dir das wirklich zumuten? Für einen Moment war Cutter fest entschlossen, ShinRa zu verlassen ... Dann klingelte ihr PHS. Die junge Frau zuckte zusammen, nahm das Gerät aus der Tasche, warf einen Blick auf das Display, stutzte, nahm das Gespräch aber an. „Phoenix“, Sephiroths Stimme klang völlig ruhig, „was hast du angestellt?“ Es spielte keine Rolle, wie groß die Entfernung zwischen ihnen war, Sephiroth wusste, dass etwas mit seiner Freundin nicht stimmte. Das Gefühl war zögernd erwacht, aber im Laufe der vergangenen Stunden immer stärker geworden, und jetzt so intensiv, dass sich der General kurzerhand vom Rest der Truppe entfernt hatte, um (völlig entgegengesetzt zu den aufgestellten Missionsregeln!) herauszufinden, worum es ging. Im Grunde erwartete er nur zwei Varianten, nämlich entweder ein entrüstetet: „Nichts! Außer ...“ – oder dem Schlimmsten, und schon Cutters nächstes, nur geflüsterte Wort genügte, um die Lage zu klären. „Rückfall.“ Sephiroth hatte diese Szenario in Gedanken so oft durchgespielt, und trotzdem verwandelten sich seine Gedanken augenblicklich in Eisblöcke und stürzten dem Boden entgegen, gleichzeitig meinte er, Hojo leise kichern zu hören: `Und was willst du jetzt machen, mein kleiner Sephiroth?´, und für einen Augenblick war es dem General, als drehe jemand die Zeit zurück, bis zu jenem Zeitraum im Labor, als er und Hojo gemeinsam in einen Makotank starrten. Beide hatten dasselbe und doch nicht dasselbe gesehen, und letztendlich mit allen Aussagen, Gedanken und Gefühlen zu gleichen Teilen Recht wie Unrecht gehabt. Aber dieser Moment war vergangen, und jetzt zählte nur noch die Realität. Sephiroth gewann die Kontrolle über seine Gedanken zurück, bremste sie ab, taute sie auf, schickte sie wieder auf die richtige Bahn und erkundigte sich völlig gefasst: „Wo bist du?“ „Im HQ.“ Und bevor er die Chance zu weiteren Anweisungen hatte: „Sephy, es ist schon vorbei. Ich bin vor 10 Minuten aus dem Labor gekommen.“ Diesmal gelang es Sephiroth nicht, den Sturz seiner Gedanken abzufangen. Cutter war alleine gegangen. Er hatte ihr versprochen, da zu sein, um sie zu beschützen ... und dann war er nicht da gewesen. Hojo hätte sie töten können. Wieder! Und mir wäre es unmöglich gewesen, etwas dagegen zu tun ... Aber er hat sie nicht getötet. Vermutlich, weil sie selbst in ihrem Zustand noch die Kraft gefunden hat, ihm die Schranken zu weisen. Meine Phoenix ... „Sephy“, Cutters leise, nachvollziehbar erschöpft klingende Stimme holte ihn zurück zur aktuellen Situation, „was machen wir denn jetzt? Das passt doch überhaupt nicht in den Plan ... und außerdem kann ich nicht zwischen dir und deiner Rache an Hojo stehen; das geht doch nicht, du brauchst seinen Tod, und außerdem ...“ Richtig, dachte Sephiroth. Ich brauche seinen Tod. Aber es gibt eine Sache, die ich noch viel mehr brauche. „Cutter“, unterbrach der General ruhig, „weißt du noch, was ich dir auf der Krankenstation gesagt habe? `Ich will keine Welt ohne dich´. Das habe ich sehr ernst gemeint, und es gilt immer noch.“ Denn mein Herz, fügte er in Gedanken hinzu, war eine Wüste, bevor du kamst, und würde ohne dich wieder zu einer werden. Was nützt mir in diesem Zustand die Welt? Ich habe mich damals im Labor für dich entschieden, mit allen Konsequenzen. Was für ein Freund wäre ich, ließe ich dich jetzt allein? Einen Augenblick lang blieb es ganz still auf der anderen Seite des PHS. „Aber deine Rache an Hojo ...“ „ ... wird auf unbestimmte Zeit verschoben.“ Der Unterton dieses Satzes sagte überdeutlich: `Ich kriege ihn, gib dich keinen Illusionen hin, und dasselbe gilt für Rufus!´ Und dann, wesentlich zärtlicher: „Du bist mir wichtiger.“ Im HQ, immer noch am Boden sitzend, versuchte Cutter gar nicht erst, ihre Tränen zurückzuhalten. Gleichzeitig klammerte sie sich an Sephiroths dunkler, tröstender Stimme fest. „Das ist alles so ... falsch!“ „Nicht alles“, korrigierte der General leise. „Nein“, stimmte Cutter zu. „Definitiv nicht alles.“ „Und vom Rest lassen wir uns nicht im Geringsten beeindrucken.“ Die Selbstsicherheit in seiner Stimme ließ nur einen Rückschluss zu. „Du hast einen Plan.“ „Wie immer. Weil du keinen hast.“ Cutter schaffte es, kurz zu lächeln. „Wie immer.“ Dann wischte sie sich energisch über die Augen. „Ok. Wie lautet der Plan?“ „Wir werden intensive Recherchen bezüglich einer Alternative zum G-Mako betreiben. Bücher, Cutter, keine Comics. Und wir finden etwas, du wirst sehen.“ „Ok.“ „Geh in mein Appartement. Es ist für die Zeit nach einer Makobehandlung ideal ausgerüstet. Und mach dich darauf gefasst, dass dein Körper Gelüste entwickelt, die du noch nicht kennst.“ „Ich merke es schon. Ich will Schokoladenriegel und Ketchup, zum Dippen. Wie kann man nur so eine widerliche Kombination essen wollen?“ „Dein Körper spielt völlig verrückt wegen des Makos. Wehr dich nicht dagegen, es ist sinnlos. Tu einfach alles was nötig ist, um die Zeit zu überstehen.“ „Mach ich.“ „Hojo hat dich nicht freiwillig behandelt, oder?“ „Hinterher schon.“ Ein Grinsen glühte in ihrer Stimme. „Ich lasse mich nicht von Hojo ärgern! Wenn er sich nächstes Mal sträubt, verpasse ich ihm einen Rattenschwanz und Schnurrhaare!“ „Von diesem Anblick möchte ich ein Photo.“ „Kriegst du. Ach, hoffentlich hat er es nicht jetzt schon begriffen, es wäre einfach zu schade!“ „Cutter, ich werde deine Missionen annullieren, bis die Nebenwirkungen des Makos verklungen sind. Ruh dich aus. Ich bin bald zurück.“ Sie beendeten das Gespräch, und dann ließ Sephiroth das PHS langsam sinken, gestattete sich ein tiefes Seufzen. Cutter hatte einen Rückfall erlitten – aber sie lebte, wenn auch hörbar angeschlagen. Von etwas felsenfest überzeugt zu sein und dann das genaue Gegenteil erleben zu müssen, war eine der größten Herausforderungen, denen sich ein menschlicher Geist stellen konnte, und Cutter war sich ihrer Sache so sicher gewesen ... Zumal sie nicht das Geringste falsch gemacht hatte. Zu verkraften, dass der eigene Wille so brutal überrannt wurde, ließ sich nicht in ein paar Sekunden bewerkstelligen. Bisher hatte Cutter der Glaube an eine bessere Zukunft Kraft gegeben, um alle diesbezüglichen Ereignisse zu verarbeiten – aber jetzt? Der Plan, einen Ersatz für das G-Mako zu finden, war lediglich ein Plan, ein gewagter noch dazu, und wenn Sephiroth auf seinen Instinkt lauschte, so empfing er kein beruhigendes Gefühl. Trotzdem, dachte der General grimmig, müssen wir es wenigstens versuchen! Alles andere ist nicht akzeptabel! Er wandte sich um und kehrte zur Truppe zurück. Zack, dem das Verschwinden seines besten Freundes nicht entgangen war, trat unauffällig neben ihn, warf ihm einen fragenden Blick zu – und wurde fast sofort über die neuesten Entwicklungen informiert. Der 1st stöhnte leise, fuhr sich in einer hilflosen Geste mit beiden Händen durch die Haare, schüttelte den Kopf und konstatierte leise: „So ein Mist. Wenn ich jetzt versuche, dich tröstend zu drücken, lande ich auf dem Allerwertesten, oder?“ „In einem ca. 10 Meter tiefen Krater, ja.“ „Alternativ ein tröstendes Wort? Oder, äh, besser einen tröstenden Satz? Fertig? Ich würde ein gesamtes Monatsgehalt drauf verwetten, dass sich letztendlich eine Möglichkeit auftut, Cuttie zu retten und Hojo zu killen!“ „Ein gesamtes Monatsgehalt? Ziemlich finstere Prognose für jemanden, der schon ganze Monatsgehälter beim Chocoborennen gesetzt und verloren hat.“ „Und daraus lernte! Jetzt wette ich nur noch, wenn ich mir absolut sicher bin.“ Er grinste breit. „Ihr dürft euch also geehrt fühlen!“ Sephiroth war sich alles andere als sicher, und das Gefühl gefiel ihm nicht. Er wusste nur, dass er die Mission zu Ende bringen wollte, so schnell wie möglich. Um zu der Person zurückkehren zu können, die ihn liebte und jetzt dringender brauchte, als jemals zuvor. Knapp 36 Stunden später betrat der General wieder das ShinRa HQ. Seit seinem letzten Aufenthalt hier waren nur wenige Tage vergangen, und doch hatte sich so viel verändert ... Aber Sephiroth zweifelte keine Sekunde an seiner Entscheidung – nicht einmal, als er um eine Kurve bog und sich urplötzlich mit Hojo konfrontiert sah. Das Lächeln des Wissenschaftlers war nicht einfach nur herablassend, es war infernalisch herablassend, und zusätzlich eines von der `Ich habe es doch gesagt!´ Sorte. Und Sephiroth, so sehr er sich eine Alternative gewünscht hätte, konnte diesem Lächeln momentan nur pure Ignoranz entgegenstellen. Als er Hojo ein paar Schritte hinter sich gelassen hatte, konnte er hören, wie der Professor zu kichern begann – eine Reaktion, die allerdings aufgrund ihrer Vorhersehbarkeit jegliche Boshaftigkeit verlor. Auch du bist sterblich, Hojo, dachte der General finster. Eines Tages werde ich dich daran erinnern! Er betrat den Aufzug, verließ ihn nur wenige Sekunden später wieder und öffnete die Tür zu seinem Appartement, um nach Cutter zu sehen – ordnungstechnisch auf das Schlimmste gefasst. Er sollte sich nicht irren. Der Couchbereich wies wahre Krümelgebirge auf. Dazu kamen viele angebrochene Getränkedosen und Flaschen. Die Küche an sich war aufgeräumt, aber im Kühlschrank befanden sich alle nur erdenklichen, angebrochenen Gerichte, von süß bis sauer über mild bis hin zu feurig. Sicherer Hinweis darauf, dass der ShinRa Essensservice bestens funktioniert hatte. Alles in Allem entsprach das aktuelle Aussehen des Appartements dem typischen Beweis für eine stattgefundene Makobehandlung. Man wollte alles. Sofort. Gleichzeitig. Die Begierden kam oft so rasend schnell aufeinander, dass man kaum Zeit hatte, sie zu definieren. Sephiroth folgte der Krümelspur aus Xyflas Keksen (die mit dem exotischen Büfkageschmack!) ins Schlafzimmer und öffnete vorsichtig die Tür. Cutter lag im Bett und kämpfte mit einer Tüte Wavryscrackern, hob aber sofort den Kopf. „Sephy!“ Der General ließ sich wortlos am Rand des Bettes nieder und es dauerte nur Sekunden, ehe sich Cutters Arme um seinen Hals schlossen und sich ihr Körper an ihn schmiegte, ihm die Gelegenheit gab, seinerseits die Arme um sie zu legen. „Ich bin so froh, dass du wieder da bist!“, murmelte Cutter. „Und ich, dass du noch da bist. Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du wirklich einen Hang zu dramatischen Auftritten hast?“ „Das muss mir niemand sagen“, murrte Cutter, „das weiß ich auch so.“ `Aber diesmal´, sagte ihr Tonfall, `war´ s sogar für meinen Geschmack ein bisschen zu dramatisch!´ „Gut“, schmunzelte Sephiroth, „dann sparen wir uns das. Dein Körper spielt immer noch verrückt, oder?“ Cutter murrte leise und zog die Bettdecke über den Kopf. „Verstehe“, übersetzte Sephiroth. „Dir wird heiß und kalt. Dir ist übel, aber trotzdem hast du Hunger. Du willst Wasser und sofort nach dem ersten Schluck dann doch lieber Saft. Verschiedene Geschmacksrichtungen. Und dann koffeinhaltiges Kaltgetränk. Ebenfalls verschiedene Sorten.“ (Die Bettdecke begann vorsichtig, sich zurückzuschieben. Cutter Haaransatz wurde sichtbar.) „Du willst dich bewegen und dann doch lieber nur still liegen. Das TV Programm behagt dir nicht. DVDs behagen dir nicht. Du willst Musik und zwei Sekunden später völlige Ruhe. Du möchtest etwas Saftiges essen, und dann doch lieber etwas Trockenes.“ (Die Decke rutschte weiter. Jetzt zeigten sich bernsteinfarbene Augen.) „Süß. Oder doch lieber salzig. Mit Soße. Aber nicht die im Programm befindliche. Dann doch lieber keine Soße. Und du willst Knabberkram. Alles. Dazwischen Schokolade. Verschiedene Geschmacksrichtungen.“ (Mittlerweile waren Cutters Nase und Mund zu sehen.) „Aber am Schlimmsten“, fuhr Sephiroth jetzt grinsend fort, „ist: Du willst Sex!“ Die Decke zog sich wieder über das ganze Gesicht. „Jaaaaa!“, jammerte Cutter darunter. „Mehr als alles andere!“ „Worauf wartest du noch?“ Er hakte den Zeigefinger in die Bettdecke und zog sie vorsichtig nach unten. „Ich stehe dir voll und ganz zur Verfügung.“ „Das wäre wie ausnutzen!“ „Du willst also lieber leiden, ja?“ „Nein! Aber ...“ Sephiroth beendete die Diskussion, indem er Cutter kurzerhand küsste und die Bettdecke ganz beiseite zog. Er realisierte keinerlei Protest. Nur einen Körper, der förmlich nach ihm schrie. Etliche Kilometer entfernt, in seiner Wohnung irgendwo in Midgar fuhr Destin aus dem Schlaf hoch, erschrocken, nassgeschwitzt, am ganzen Körper zitternd und mit wild klopfendem Herzen. Erst nach etlichen Sekunden gelang es ihm, seinen wachen Zustand zu realisieren, und er atmete tief auf und versuchte, sich wieder zu entspannen. Aber der Traum tobte noch immer in seinem Bewusstsein wie ein rasendes Ungeheuer. Destin hatte Blut gesehen, wahre Ströme von rotem Blut, das durch die Straßen Midgars floss und reglose Körper transportierte, ein Bild wie aus einem Horrorfilm, und Destin wusste nicht, ob es nur ein Albtraum oder eine Warnung des Planeten gewesen war. Er griff nach der in liebevoller Handarbeit angefertigten Miniaturmodell der Stadt. Jedes mit Solarenergie versorgte Haus über und, dank intelligent angebrachter Technik, auch unter der Platte, war mit einem gelben Punkt versehen. Viele punktlose Häuser waren nicht mehr übrig. Der Sieg war schon so nahe! Zu nahe für eine derartige Warnung des Planeten. Ich verarbeite meinen Stress, dachte Destin. Ich verarbeite nur meinen Stress. Nichts weiter. In ein paar Wochen ist ShinRa´s Herrschaft über die Stadt gebrochen. Wir sind schon zu weit, als dass man uns jetzt noch aufhalten könnte ... Ihm war nicht bewusst, dass er soeben die wichtigste Grundregel im Kampf gegen die Electric Power Company missachtete. Sie lautete: `Unterschätze niemals Rufus Shinra!´ Und er war zu siegessicher, um das in der Luft liegende Geräusch wahrzunehmen. Es glich knirschenden Schutzvorrichtungen, die etwas Furchtbares von der Welt fernhalten sollten, und nun langsam gelockert wurden. Und was auch immer hinter dahinter lag ... es galt ihm und dem Planeten. Kapitel 51: Was im Labor entstand --------------------------------- Sephiroth hatte schon viele Herausforderungen gemeistert und wusste genau, worauf es bei einem Kampf ankam: Die richtige Taktik, die richtige mentale Einstellung und die passende Ausrüstung. Für gewöhnlich hatte der General keinerlei Probleme, diese drei Punkt der zu bewältigenden Aufgabe anzupassen und das Schlachtfeld (einmal mehr) als Sieger zu verlassen. Aber das hier war kein gewöhnlicher Kampf, dasselbe traf auch auf das Schlachtfeld zu, und zum ersten Mal seit langer Zeit war sich Sephiroth nicht sicher, wer letztendlich den Sieg davontragen würde, denn momentan waren er und Cutter unterlegen – unterlegen, nicht `besiegt´. Diesen Unterschied galt es ganz klar hervorzuheben. Denn `besiegt´ war nur, wer aufhörte, zu kämpfen. Davon waren Sephiroth und Cutter weit entfernt, konnten das Bewusstsein um die neuen, ihnen von ShinRa angelegten Ketten aber nicht ganz ignorieren. Besonders Cutter litt unter der neuen Situation. Vor dem Rückfall hatte sie ihrem Spiegelbild mit den `raubtierfarbenen´ Augen eine Grimasse ziehen und sich amüsiert wieder abwenden können, fest davon überzeugt, die Sache mit dem G-Mako sei einmalig und ausgestanden. Begegnete sie ihrem Spiegelbild mit den Bernsteinaugen jetzt irgendwo, wurde sie sofort ganz still und starrte sich mit einem immer finsterer und trauriger werdenden Blick an. Für gewöhnlich dauerte es etliche Sekunden, ehe sie die Kraft fand, sich von ihrem Spiegelbild zu lösen und die ursprünglich begonnene Tätigkeit fortzusetzen. Sephiroth konnte dieses Verhalten nur zu gut verstehen. Das Bewusstsein, sich nur noch unter den Lebenden zu befinden, weil Mako dafür sorgte, und somit von ShinRa abhängiger zu sein als jemals zuvor, lastete schwer auf Cutters Seele. Ihr Glaube an eine bessere Zukunft und einen Sieg des `Guten´ war immer so stark gewesen, nahezu unerschütterlich ... aber jetzt hatte dieser Glauben einen schweren Treffer erlitten – und Sephiroth war besorgt. Wäre dies eine normale Schlacht gewesen, er hätte Cutter vom Kampfplatz getragen, ihre Wunden versorgt und sie erst dann wieder in den Kampf geschickt. Aber genau das war jetzt nicht möglich. Zwar wusste er, dass Cutter auch in ihrem jetzigen, angeschlagenen Zustand kämpfte, sich immer wieder sagte, dass die Schlacht noch nicht verloren war und auch sonst alles tat, um sich zu motivieren, aber beiden war klar, dass sie von ihrem so oft gesagten `Alles wird gut!´ niemals weiter entfernt gewesen waren, als jetzt. Und so begannen sie, den von Sephiroth gefassten Plan, eine Alternative zum G-Mako zu suchen, in die Tat umzusetzen. In der Praxis bedeutete das, Cutters angeschlagene Organe durch die Zuführung spezieller Wirkstoffe zu stärken, in der Hoffnung, die Makobehandlung auf diese Art und Weise immer weiter hinauszuzögern und eines Tages sogar ganz einstellen zu können. Aber dieser Plan erforderte ein intensives Studium verschiedenster, nicht immer leicht verständlicher Bücher, und somit viel Zeit. Während Sephiroth im High-Tec Bereich forschte, versuchte Cutter ihr Glück mit dem intensiven Studium der Natur und deren heilenden Eigenschaften, eine Ebene, auf der ihr die Lines beim Aufspüren der benötigten Blumen, Gräser, Farne, Pilze etc. gute Dienste leisteten. Dank der Missionen, auf die Sephiroth sie immer noch schickte (der General dachte gar nicht daran, seine Freundin zu schonen, denn erstens war sie fest eingeplant, und zweitens halfen ihr die Einsätze, sich gedanklich etwas zu entspannen, ganz abgesehen davon hätte Cutter auch gar keine Schonung akzeptiert), kam die junge Frau selten ohne etwas `Naturiges´ zurück, das dann entsprechend der Anleitung in irgendeinem Buch aufbereitet und angewandt wurde. Ob die Methoden anschlugen, ließ sich allerdings noch nicht sagen, und so glich die Zeit einer Reise durch dichten Nebel. Sephiroth wusste, mehr konnten er und Cutter momentan nicht tun, und so kämpften sie, Rücken an Rücken, nicht bereit, aufzugeben, Halt suchend (und findend) in der Nähe des anderen. Wie wichtig Cutters Nähe für Sephiroth war ... Es war ihm immer noch nicht gelungen, jene drei so schwierigen, so wichtigen Worte laut auszusprechen – aber er hatte sie verwandelt. Die entsprechenden Vorbereitungen waren ihm nicht leicht gefallen, aber das Ergebnis übertraf selbst seine Erwartungen. Es war ebenso perfekt wie das Original. Jedes winzige Detail stimmte. Hier war ein wahrer Meister seines Fachs am Werk gewesen. Und Cutter würde es verstehen. Sofort! Sie würde ihn einen Augenblick lang ansehen, sprachlos, ihm dann restlos begeistert um den Hals fallen und ihn schließlich bitten, ihr beim Anlegen zu helfen. Es gab da nur ein winziges Problem. Wie machte man jemandem ein solches Geschenk? Es einfach nur einzupacken und mit einem `Für dich´ zu überreichen erschien extrem plump hinsichtlich der für Sephiroth so großen, transportierten Botschaft. Er hätte Zack fragen können. Dem 1st wäre mit Sicherheit etwas eingefallen. Vermutlich sogar (nach einigen Fehlschlägen) etwas Gutes. Aber aus irgendeinem Grund, den der General nicht einmal selbst definieren konnte, wollte er die Überreichung mit niemandem außer Cutter teilen. Und so beschloss er, das Geschenk vorübergehend zu behalten, bis ihm eine passende Lösung einfiel. Cutter selbst ahnte nichts von diesen Vorgängen. Sie wusste nur mit tiefer inner Sicherheit dass, völlig unabhängig von allen anderen Geschehnissen, sie und Sephiroth sich näher standen als jemals zuvor. Die unsichtbare Verbindung zwischen ihnen war im Laufe der Zeit noch stärker geworden. Mittlerweile mussten sie einander nur ansehen um zu wissen, was der andere dachte, und bei Missionen, die sie gemeinsam durchführten, konnte es geschehen, dass der General seinen Death Walker festhielt, noch bevor dieser auch nur einen einzigen Muskel mit Kurs in eine völlig unüberlegte Richtung bewegt hatte. Für gewöhnlich rief diese Behandlung bei den restlichen Missionsteilnehmern eine Welle der Erheiterung hervor, zumal Cutter stets auf ihre üblich unlogische, aber sehr begeisterte Art protestierte (und nicht das Geringste bewirkte). Dennoch blieb die Lage mehr als ernst. Zu den anderen, nicht weniger ernsten Aufgaben gehörte immer noch die von Cutter vorgenommene Überprüfung der Reflektorenlines, und obwohl nach wie vor SOLDIER und Army mit dem Auftrag, verdächtig aussehende Personen unverzüglich festzunehmen, durch die Stadt streiften, gab es doch täglich neue Lines zu vermelden. Niemand wusste, wie Solar Solution es anstellte, aber die eisige Ruhe, mit der Rufus alle neuen Zahlen zur Kenntnis nahm bewies, dass eine Antwort im Grunde längst nebensächlich war. ShinRas Macht über die Stadt schrumpfte mit jedem Tag. Und irgendwann musste sich Sephiroth Gewissheit darüber verschaffen, wie viel von Midgar tatsächlich noch übrig war. Für gewöhnlich musste man, um auf solche Daten zugreifen zu können, einen Haufen Genehmigungen besitzen, oder die Leiter der Midgar betreffenden Reaktoren bedrohen, das Computersystem hacken oder Rufus Shinra heißen. Sephiroth brauchte nichts dergleichen, hatte er doch etwas wesentlich Effektiveres: Eine Freundin, die mit den Lines arbeiten konnte. Es bereitete Cutter einen Riesenspaß, Rufus auszuspionieren und, als dieser sein Büro verließ, sämtliche Sicherheitsvorrichtungen auszuschalten, um Sephiroth den Weg zu ebnen. Der General huschte wie eine Katze in das Büro seines Arbeitgebers, aktivierte dessen Laptop, gab einen Code ein, den er niemals hätte besitzen dürfen, und schmunzelte wenig später verhalten. Natürlich verfügte Rufus über ein Programm, das ihn jederzeit über die durch Mako versorgten Haushalte Midgars informierte, natürlich war es immer aktiv, und natürlich öffnete es sich, sobald der Laptop aus dem Ruhemodus geholt wurde. Sephiroth sah auf die Zahl und nickte fast beifällig. Solar Solution hatte, wenn man das so sagen durfte, gute Arbeit geleistet. Verdammt gute Arbeit! „Sephy!“ Cutters Stimme klang klar und deutlich über sein Headphone. „Du kriegst Besuch!“ „Lass mich raten.“ Er nannte einen Namen – und erhielt prompt die Bestätigung. „Ist Rufus noch im Labor?“ „Positiv.“ Sephiroth lauschte auf seinen Instinkt. Entschied sich, das Risiko einzugehen und wies Cutter an, den Besuch passieren zu lassen. Dass sich eine solche Person auf den Weg zu Rufus Büro machte, war nichts Besonderes. Es sei denn, Rufus hielt sich momentan nicht dort auf ... Und so behielt Sephiroth die derzeitige Position bei und überprüfte in aller Ruhe noch einige weitere Zahlen. Er sah nicht einmal auf, als sich die Tür vorsichtig öffnete, sondern begrüßte den heimlichen Besucher lediglich mit einem kühlen: „Kleiner Alleingang, Tseng?“ Es gab nicht mehr viele Dinge, die einen Turk irritierten. Aber jemanden zu sehen, der sich niemals alleine an einem solchen Ort hätte aufhalten dürfen, noch dazu hinter dem Schreibtisch des Präsidenten, eine Hand auf der Maus, die andere an der Laptoptastatur ... Eigentlich hätte Tseng sofort das Feuer eröffnen müssen. Aber er tat es nicht. Er war, schlicht und ergreifend, zu verblüfft. „Soll ich Ihnen die Zahl nennen“, erkundigte sich Sephiroth gelassen und weiterhin ohne aufzusehen, „oder möchten Sie selbst nachsehen?“ Tseng zögerte, kämpfte mit sich selbst, seiner Ehre, seiner Neugier, seinem Instinkt ... und trat schließlich neben den General, um ebenfalls (wie geplant) einen Blick auf den Bildschirm zu werfen. Die angezeigte Zahl war so niedrig, dass sich die Augen des Turks unwillkürlich weiteten. Nur ein wenig, aber genug, um Sephiroth augenblicklich die richtigen Schlüsse ziehen zu lassen. „Er hat Sie also nicht informiert.“ Tseng gab sich nicht die Mühe, zu zögern. Das kleine `also´ versicherte die Sinnlosigkeit jeder Lüge. Blieb nur die Wahrheit. „Nein. Diese Zahl war mir völlig unbekannt.“ „Das heißt, die Turks haben keine diesbezüglichen Befehle.“ Tseng löste den Blick vom Bildschirm und richtete ihn auf Sephiroth. „Um ehrlich zu sein, General, derzeit streifen die Turks durch die Stadt wie ein Rudel herrenloser Hunde.“ „Nun, vielleicht dürfen Sie bald Geschenkkörbe an die übriggebliebenen Fans der Electric Power Company verteilen.“ „Eine Aufgabe, die im Laufe eines Vormittags erledigt sein dürfte.“ Und nach etlichen Sekunden der Stille: „Was hat er vor, General?“ „Sagen Sie es mir.“ Einen Moment lang duellierten sich die beiden Männer wortlos mit ihren Blicken, versuchten herauszufinden, ob der andere bezüglich der an den Tag gelegten Unwissenheit nur bluffte, um an Informationen zu gelangen. SOLDIER und die Turks mochten schon immer unterschiedliche Dinge zu denselben Vorgängen gewusst haben, aber irgendetwas wussten Sephiroth und Tseng immer! Dass beide diesmal relativ oder gar völlig ahnungslos sein sollten, passte nicht ins ShinRa Konzept – und, vor allen Dingen, nicht in ihr eigenes. Letztendlich war es Tseng, der den Augenkontakt abbrach, ein für ihn äußerst untypisches Verhalten, ebenso wie seine nächsten Worte. „Crescent, ich will ein weiteres Mal ehrlich sein. Ich habe nicht den blassesten Schimmer, was hier im Moment vor sich geht. Und es missfällt mir! Über Rufus Pläne nicht Bescheid zu wissen ist, als würde man über und über mit Dynamit behängt durch ein loderndes Feuer springen. Des weiteren werde ich das Gefühl nicht los, als befände sich meine Einheit in ernsthafter Gefahr, und wie Sie mit Sicherheit nachvollziehen können würde ich ungern mit ansehen, wie meine Leute sinnlos in den Tod gehen.“ Diesmal war es Sephiroth, der einen Moment lang schwieg. „Tseng“, teilte er schließlich mit, „ich hätte nie gedacht, Ihnen das mal zu sagen, aber ... ich glaube Ihnen.“ Tseng musste unwillkürlich schmunzeln. Obwohl er kaum in Kontakt mit Sephiroth kam, er schätzte ihn. Als kommandierenden Offizier, gewissenhaften Kollegen und unerschrockenen Kämpfer. Eine dem General übertragene Aufgabe wurde kompromisslos und schnell erledigt, darauf konnte man sich verlassen. Manchmal vermittelte selbst Unbarmherzigkeit ein gewisses Gefühl von Sicherheit. „Diesmal!“, ergänzte der General seine zuvor gemachte Aussage. „Höchstwahrscheinlich ist es eine Ausnahme.“ „Dennoch Grund genug, Ihnen hiermit eine G-2 vorzuschlagen.“ Eine G-2. Das Angebot zur bedingungslosen Kooperation – inklusive des sofortigen Austausches von Daten, die der einen oder der anderen Seite vorlagen, unverfälscht und zügig. Niemals zuvor hatte es etwas Derartiges zwischen den Turks und SOLDIER gegeben. Erst recht nicht in der inoffiziellen Version ... Im Prinzip wäre schon allein das Grund genug gewesen, das Angebot anzunehmen. Auch Tseng hatte seine Augen und Ohren überall ... Aber wenn er jetzt immer noch nichts wusste, standen die Chancen gut, dass sich dieser Zustand bis auf Weiteres nicht ändern würde. Abgesehen davon ... Jedes Mal, wenn Sephiroth an das Labor dachte, begann sein Instinkt zu knurren, und das nicht in der üblichen Frequenz. Irgendetwas ging dort unten vor sich, und es entsprach an Schrecken nicht der gewohnten Stärke, sondern übertraf sie - und das, obwohl Cutter nicht eine einzige neue Line hatte ausmachen können. Natürlich war Sephiroth der Sache längst nachgegangen. Aber auch ihm war es nicht gelungen, an dem Inhalt der grün glühenden Makotanks irgendetwas Verdächtiges zu entdecken, zumal Hojo niemals tarnte. Dafür prahlte er zu gerne mit seinen Erfolgen. Aber irgendetwas war dort unten. Und, das spürte der General mit tiefer innerer Gewissheit, es hatte mit ihm zu tun. Er konnte nicht ahnen, wie nahe er der Wahrheit bei seinem Besuch gewesen war. Aber die Turks in diese Sache mit hineinzuziehen, erschien ihm nicht sinnvoll. Und so ... „Das Angebot ist verlockend, aber ich muss es ausschlagen.“ „Mh“, machte Tseng leise, allerdings nicht wirklich enttäuscht, „ich habe nichts anderes erwartet.“ Er schwieg einen weiteren Moment. „Rufus“, sagte er schließlich, „wird sich diese Stadt niemals einfach so wegnehmen lassen. Ich frage mich nur, wer sie für ihn zurückerobern soll, wenn seine Elitekämpfer nicht informiert sind. Dass er an etwas arbeitet, steht außer Frage. Und Sie wissen mehr darüber, als ich.“ „Und ich werde mein Wissen nicht teilen.“ „Und wie haben Sie dieses Wissen ... Ah. Cutter.“ „Unter anderem. Sie behält auf meinen Befehl hin seit geraumer Zeit gewisse Vorgänge, zum Beispiel Rufus ...“ (er betonte das `zum Beispiel Rufus´ auf eine Art und Weise, die einen sehr feinen Spott hinsichtlich der Bodyguardfunktion der Turks übermittelte) „... sehr genau im Auge.“ Tseng schmunzelte verhalten hinsichtlich der soeben erlittenen Niederlage. Für gewöhnlich schaffte es niemand, sich Rufus Shinra unbemerkt zu nähern. „Cutter beherrscht ihre Fähigkeiten.“ „Sie ist meine Freundin. Was haben Sie erwartet? Im übrigen sollten wir jetzt gehen. Es sei denn, Sie legen Wert auf eine hitzige Diskussion mit Rufus.“ Tseng verließ das Büro. Sephiroth verwischte zügig alle Spuren, trat auf den Flur und von dort in den Aufzug. Letztendlich kehrte er in sein eigenes Büro zurück. Cutter, die das Gespräch mitverfolgt hatte, wartete schon gespannt – und ihr Freund hielt die gewonnenen Informationen nicht zurück. Von der ganzen gewaltigen Stadt Midgar waren gerade noch 27 durch Mako versorgte Haushalte übrig. Alle anderen bezogen ihre Energie von der strahlenden Augustsonne. „Oh, shit“, wisperte Cutter. „Sephy, er verliert! Rufus verliert!“ „Das wird er nicht!“ „Aber was kann er jetzt noch tun?“ „Wenn Hojo mit im Spiel ist? Alles!“ Seine Stimme wurde leiser. Erinnerungsschwerer. „Die von Hojo an mir durchgeführten Experimente ... Sie müssen einem tieferen Sinn gedient haben.“ „Den wir vielleicht bald kennen lernen werden?“ „Möglicherweise.“ „Aber ich habe das Labor gecheckt, linestechnisch. Da sind nur diese armen Menschen in den Tanks und Hojo. Es gibt keine neuen Lines. Kann er nicht an irgendeiner Waffe arbeiten?“ „Das tut Hojo generell.“ „Nein, ich meine ... irgendwelche Pläne entwickeln, die dann zur endgültigen Fertigstellung weitergegeben werden? Vielleicht suchen wir an der falschen Stelle.“ Sephiroth schüttelte den Kopf. Sein knurrender Instinkt versicherte ihm, auf der richtigen Spur zu sein, aber momentan war die zu verschwommen, um ihr weiterhin folgen zu können. „Wir müssen weiterhin wachsam sein. Und du stellst keinen Blödsinn mit Rufus oder Hojos Lines an!“ „Ich mache doch keinen Blödsinn mit Lines, ich übe!“ „Sicher. Wenn das nächste Mal Geige spielende Fliegenpilze gebraucht werden, sage ich dir Bescheid.“ Cutter musste unwillkürlich lachen. „Aber sie haben schön gespielt!“ „Apropos `schön spielen´, ich erwarte, dass du morgen ...“ „Erinnere mich nicht dran! Bitte erinnere mich nicht dran!“ „... bei der Schulung ...“ Cutter ließ augenblicklich Kopf und Schultern hängen. „Du hast es gesagt.“ „... etwas mehr Ernsthaftigkeit an den Tag legst!“ „Brrrr!“ Die junge Frau schüttelte sich. „Als wäre so eine Endlosschulung nicht schon an sich schlimm genug, sie auch noch auf einen Sonntagmittag zu legen ... Wenn ich nicht schon wüsste, dass Rufus ein Mistkerl ist, spätestens mit dieser Aktion hätte er mich überzeugt!“ „Die Schulung dauert nicht endlos, sondern nur ein paar Stunden. 8, um genau zu sein. Das ist zu verkraften.“ „Du musst ja nicht mitmachen.“ Sie seufzte leise. „Kann ich nicht lieber ...“ „Nein.“ „Aber ich muss so lange still sitzen! Das geht nicht, das schlägt mir aufs Gemüt, das ist total langweilig ...“ Sephiroth warf seinem Death Walker einen strengen Blick zu. Die darin enthaltene Botschaft war überdeutlich zu erkennen. `Wehe, wenn du einschläfst!´. Cutter seufzte leise. Sephiroth grinste. Gleichzeitig erwachte ein neuer, lockender Ausdruck in seinen Augen. „Keine Sorge, ich werde im Vorfeld für genügend Energieabbau bei dir sorgen. Du wirst heilfroh sein, morgen mal nicht arbeiten zu müssen.“ „Oh, ja ...“, wisperte Cutter. Gleichzeitig konnte sie spüren, wie feine Röte ihr Gesicht überzog. Es spielte keine Rolle, wie oft und lange sie und Sephiroth einander körperlich so nahe kamen, es war und blieb mitreißend, und außerdem ... „Du träumst, Phoenix.“ „Vor dir“, grinste Cutter. Und dann, wesentlich leiser und mit der Sanftheit eines Kusses auf nackter Haut: „Wann?“ „Sobald das wöchentliche Meeting vorbei ist, und ich ein ernsthafte Gespräch mit einem gewissen 1st Class SOLDIER, der uns beiden ausreichend gut bekannt ist, hinter mich gebracht habe.“ „Was hat er diesmal angestellt?“ Sie lauschte etliche Sekunden aufmerksam – und brach in schallendes Gelächter aus, das nicht einmal abebbte, als ihr General sie energisch des Raumes verwies. Wieder allein gestattete sich Sephiroth ein leises Seufzen. Immer dasselbe! Niemals hatte mal irgendjemand Mitleid mit ihm ... nicht einmal hinsichtlich Zacks Ideen. Mit der aktuellen hatte der 1st sich einmal mehr selbst übertroffen. Und vermutlich nicht einmal ein schlechtes Gewissen ... Ich sollte ihm mein PHS einfach wortlos an den Kopf und ihn selbst hinterher wieder aus meinem Büro werfen. Deutlicher kann man wohl kaum sein ... Die sich öffnende Bürotür riss ihn aus seinen Gedanken. Zack betrat den Raum, ließ sich in einen der freien Sessel fallen, packte schwungvoll die Füße auf den Tisch und erkundigte sich, die Unschuld selbst: „Du wolltest mich sprechen, oh großes Idol?“ „Allerdings!“ Sephiroth schob sein PHS über den Schreibtisch in Richtung des 1st. „Weshalb habe ich 567 Nachrichten auf meiner Mailbox, Zackary?“ „Wenn ich das richtig beantworte, kriege ich dann einen Tag frei?“ „Natürlich. Um diese Anrufe zu bearbeiten.“ „Dann weiß ich von nichts.“ „Ich helfe dir gerne auf die Sprünge!“ Zack griff mit scheinheilig gerunzelter Stirn nach dem hingehaltenen Flyer, vertiefte sich in die wenigen Worte. „Fällt dir dazu irgendetwas ein, Zackary?“ „Nein? Oder doch, hey, der Flyer hat genau die richtigen Maße für ein Papierflugzeug!“ Er begann begeistert zu falten. Das Ergebnis schwebte wenig später haarscharf an Sephiroths Kopf vorbei und durch das geöffnete Fenster nach draußen. „Ups!“ Zack sprang auf. „Ich hole es zurü...“ „Hier geblieben!“ „Aber das ist... mh... Umweltverschmutzung! Genau! Das kann ich unmöglich zulassen! Irgendjemand muss Gaia beschützen vor all dem Müll! Jemand wie ich! Super-Zack! Mit meinem coolen, neuen, roten Cape werde ich ... “ „Das `Umweltverschmutzung´ gilt auch für deine Geschäftsideen!“ Ein riesiger Karton mit bunten Flyern landete krachend auf dem Schreibtisch. „`Rent a SOLDIER´, Zackary?! `Wir machen alles!´?!“ „Ach, das meinst du!“ Seine Stimme war immer noch die pure Unschuld. „Sag das doch gleich...“ „Ganz abgesehen davon, dass Nebenerwerbe von mir zu genehmigen sind... Weshalb steht meine PHS Nummer auf deinen Flyern?!“ „Wegen der Koordination? Ehrlich, das kann keiner besser als du!“ Und als Sephiroth davon völlig unbeeindruckt blieb: „Komm schon, Seph, mach doch mit! Es rentiert sich und bringt eine Menge Spaß!“ „Diese Idee kostet dich die restlichen freien Tage der nächsten drei Monate!“ Er grinste diabolisch. „Du hast Recht, es bringt eine Menge Spaß!“ Zack schnappte nach Luft – dann aber... „Mmh... und wenn wir tauschen? Ich mache die Koordination und du darfst...“ „Wenn mich nicht alles täuscht, Zackary, liegt draußen irgendwo Müll in Form eines Papierflugzeuges und möchte von dir aufgesammelt werden.“ „Du verpasst was!“, grummelte Zack. 80 % erstklassiger SOLDIER und Freund, dachte Sephiroth. 20 % ... Nicht drüber nachdenken. Nicht ... „Hey, Seph?“ Schlagartig klang Zack sehr ernst. Auch der Ausdruck in seinen Augen hatte sich verändert. Jetzt war es der eines 1st Class SOLDIERs, der etwas Merkwürdiges entdeckt hatte und Gewissheit wollte. „Diese Schulung morgen ... wir haben sie alle zur selben Zeit. Jeder, der hier arbeitet und nicht im Rahmen einer Mission unterwegs und weit weg ist, wird morgen hier im HQ sitzen. Rufus will seine Leute aus den Straßen von Midgar fern halten. Wozu?“ „Was denn?“ Die Stimme des Generals troff vor gespielter Überraschung. „Super-Zack erkundigt sich nach solch Banalitäten?“ „Das liegt am fehlenden Cape!“ „Wie konnte ich das nur übersehen.“ Zacks grinsen war mehr als schelmisch. Außerdem beinhaltete es den hilfreichen Hinweis: `Vielleicht wirst du alt und brauchst eine Brille?´ Aber die Heiterkeit verklang schnell. „Ich weiß es nicht“, antwortete Sephiroth nun wieder sehr ernst. „Laut Cutter gibt es keine neuen Lines, die auf irgendetwas hinweisen, aber die Lines von Hojo und Rufus sind zum Bersten gefüllt mit Selbstzufriedenheit. Meines Erachtens nach hat morgen das neueste Experiment seinen ersten großen Auftritt, und die Straßen Midgars sollen ihm als Spielplatz dienen!“ „Morgen ist Sonntag! Die meisten Bewohner werden zuhause sein. Was ist mit ihnen?“ „Gehören zum Spiel.“ „Ich nehme nicht an, dass du Gegenmaßnahmen planst?“ „Nicht im Geringsten.“ Eine Antwort, die überdeutlich versicherte, dass es im Leben des Generals maximal 5 Personen gab, an denen er interessiert war. Eine von ihnen war er selbst. Dann, natürlich, Cutter. Rufus, Hojo ... und Zack selbst. (Letzterer vermutlich mit einem in Klammern davor sitzenden `bedauerlicherweise´.) „Ich an deiner Stelle würde versuchen, Aerith ins HQ zu schmuggeln, bis es vorbei ist. Cutter wird dir bestimmt helfen.“ „Ich habe schon mehrfach versucht, sie aus den Slums zu holen. Sie will nicht. Und ich respektiere ihren Willen.“ „Diesmal wird es wirklich gefährlich, Zack. Für ausnahmslos alle Bewohner Midgars.“ Aber Zack schüttelte bestimmend den Kopf. Er hatte sich entschieden, Aerith Willen zu respektieren, und dabei blieb es. Für einen kurzen Moment flammte Ärger im Blick des Generals auf, erlosch aber ebenso rasch wieder. „Wie du meinst“, antwortete er kühl. „Wenn mich nicht alles täuscht, wartet da draußen irgendwo ein Papierflugzeug auf dich. Lass dir Zeit mit der Suche.“ „Wenn ich mir zuviel Zeit lasse, suchst du mich dann?“ „Verlass dich drauf.“ Zack grinste und verließ das Büro. Die folgende Nacht verging schnell und langsam gleichzeitig. Aber als die Dämmerung einsetzte schien es, als würden Licht und Finsternis erbitterter gegeneinander kämpfen als üblich, und jeder aufmerksame Beobachter konnten nicht leugnen, dass die Welt diesmal etliche Minuten länger als sonst in der Dämmerung lag. Als würde sie die Nacht anflehen, zurückzukommen ... Dann verjagte Helligkeit die Dunkelheit. Ein neuer Tag stieg herauf. Midgar erwachte. Die meisten Menschen schliefen heute etwas länger. Wer es sich leisten konnte, frühstückte anschließend mit frischen Brötchen und ebenso frischem Kaffee. Man las die Zeitung, verbrachte den Morgen mit etwas mehr Ruhe, nahm sich Zeit, für sich, die Kinder oder ein anderes geliebtes Wesen. Viele freuten sich auf und über den schönen Start in den Tag, das warme Duschwasser, die strahlend hell und freundlich scheinende Sonne ... und die einwandfrei funktionierende Solaranlage. Die Stadt lag in natürlichem Frieden. Kaum ein Bewohner Midgars zweifelte noch an einem Sieg Solar Solution´ s über ShinRa. Der Planet war auf Destins Seite! Der Planet! Nicht einmal Rufus Shinra war in der Lage, dem etwas entgegenzusetzen. So war das Leben. Nichts dauerte für immer. Auch keine Herrschaft. Kronen und Zepter kamen, blieben eine Weile, und wurden weitergegeben. Ein wahrhaft großer Herrscher akzeptierte das und dankte ab, wenn seine Zeit gekommen war. Destin schien kein schlechter Herrscher zu sein. Er pflegte das ihm geschenkte Vertrauen, bezahlte seine Angestellten pünktlich, erhöhte keine Rechnungen, hatte einen guten Kundenservice, den verdammt nochmal besten Radiosender der Stadt und hielt sich ansonsten aus dem Leben seiner Klienten heraus. Einen besseren Herrscher als ihn hatte es für Midgar noch nie gegeben. Und insgeheim wartete die sich völlig sicher fühlende Bevölkerung auf die offizielle Aufgabe der Electric Power Company. Denn was hätte jetzt noch geschehen können? Rufus Shinra stand am riesigen Panoramafenster seines Büros und sah hinunter auf seine ihm von Solar Solution entfremdete Stadt. In wenigen Stunden würde sie wieder ein klein wenig mehr ihm gehören. Nachdem er die ersten Parasiten vertrieben hatte! Wozu bitten oder gar drohen, wenn einem Gewalt in ihrer reinsten Form zur Verfügung stand? Gewalt, die ausschließlich seinen Befehlen unterstand, die sich nicht um Moral scherte, die zum Größten gehörte, was die Electric Power Company jemals geschaffen hatte? Und Rufus wollte sie in Aktion sehen. Er wollte die entsetzten Schreie hören und den Klang von brechenden Knochen. Und er wollte das sich in dunkelroten Pfützen spiegelnde Licht der Sonne sehen. Hatte er den Menschen nicht gegeben, wonach sie sich immer sehnte? Wärme, Wohlstand, Sicherheit? Und wie dankten sie es ihm? Indem sie, kaum dass sich eine ihres Erachtens nach bessere Möglichkeit bot, davonrannten. Dabei war doch weglaufen niemals eine Option. Hatte ihnen das niemand gesagt? Anscheinend nicht. Nun, es war höchste Zeit ihnen klar zu machen, wer in Midgar nach wie vor das Sagen hatte, die Befehle gab, die Preise diktierte ... die Tode beschloss. Und trotz aller Gier wollte Rufus den Moment auskosten. Ihn hinauszögern, bis es nicht mehr ging. Und ihn dann genießen wie etwas, das es eigentlich schon längst nicht mehr geben sollte. Dennoch konnte er es kaum noch erwarten. Vielleicht war es möglich, einen kleinen Kompromiss einzugehen? Er griff zum Telefon. „Professor, ich möchte, dass wir den Termin vorverlegen.“ Leises Kichern antwortete ihm. „Ich warte nur auf Ihr Signal, Mr. President.“ Diesmal lächelte Rufus tatsächlich glücklich. Es war gut zu wissen, dass er Personal hatte, auf das er sich verlassen konnte. Einige Stockwerke unter seinem Büro streichelte Sephiroth, immer noch bequem auf dem Rücken im Bett liegend, mit halb geschlossenen Augen durch Cutters Haare und über ihren Nacken, während ihr Mund sich seinem Oberkörper widmete und einen Schauer nach dem nächsten verursachte, kurz, aber intensiv. Sie wusste genau, was sie tat. Als die Küsse allerdings anfingen, weiter nach unten zu wandern, hielt es der General für mehr als angebracht, ein Machtwort zu sprechen. „Ganz egal was du tust oder planst: Ich habe und werde nicht vergessen, dass in weniger als zwei Stunden deine Schulung anfängt.“ „Wie wäre es mit einer Schulung hier?“ Küsse untermalten jedes Wort. „Mir fallen eine Menge interessanter Themengebiete ein.“ Sephiroth gelang es in letzter Sekunde, ein leises Stöhnen zu unterdrücken und stattdessen ernst zu antworten: „Das Angebot ist höchst reizvoll, macht aber hinsichtlich der Chance auf Weiterbildung lediglich den zweiten Platz.“ Gleichzeitig warf er einen Blick in Richtung Fenster. „Es wird heute noch ein Gewitter geben, also sieh es positiv: Du wirst heute garantiert nicht nass.“ Cutter hielt mit ihren Liebkosungen inne, schnitt eine Grimasse und sah zu ihm auf, nur zu genau wissend, dass es ihr nicht gelingen würde, ihrem Freund `Regen´ und `nass werden´ als die tollsten Sachen der Welt zu verkaufen. Sephiroth blinzelte zu gleichen Teilen wach wie müde zurück. Für gewöhnlich hätte er sich dagegen gesträubt, sich gesagt, dass er sich für eine Variante entscheiden müsste ... Aber es war ein gutes `dazwischen´. Die vergangene Nacht war nicht gerade von viel Schlaf geprägt gewesen – die dazwischen liegenden Tätigkeiten allerdings hatten den perfekten Ausgleich geschaffen. Mittlerweile fühlte es sich so gut an, dass Sephiroth keine Probleme mehr hatte, Zacks diesbezügliche Begeisterung nachzuempfinden – hielt es aber für strategisch schlauer, dies dem 1st nicht mitzuteilen. Die Chance, auf diese Art und Weise nicht in Gespräche über diverse Stellungen verwickelt zu werden, stand so extrem hoch ... Leises Rascheln von Kleidung ließ ihn den Kopf drehen. Cutter war dabei, sich anzuziehen – aber es war nicht die erwartete ShinRa Uniform. „Wo willst du hin?“ „Schulung ja, aber nicht ohne gewisse Hilfsmittel. Keine Sorge, der Laden ist nicht weit weg vom HQ. Bis es hier losgeht, bin ich wieder zurück und trage vorschriftsmäßige Kleidung.“ „Ansonsten werde ich dir ernsthafte Probleme machen!“ Cutter grinste. „Hat dir schon mal jemand gesagt, wie sexy du bist, wenn du nackt im Bett liegst und mir Befehle erteilst?“ Sephiroth blinzelte lässig zu ihr hinüber. „Nein. Aber das ändert nichts an der Ernsthaftigkeit des Befehls.“ Cutter reagierte auf eine für sie typische Art und Weise. Ihr grinsen steigerte sich auf eine Art und Weise, die nichts Gutes ahnen ließ, dann nahm sie Haltung an, salutierte ... „Ja, Sir, General Sexyroth, Sir, ich werde pünktlich zur Schulung erscheinen!“ `General Sexyroth´ rang zwei Sekunden lang um seine Fassung. So eine Bezeichnung konnte sich wirklich nur seine Freundin ausdenken. Vor zwei Tagen erst war sie in sein Büro gestürmt, um ihm eine aus der Caféteria mitgebrachte `köstlich unwiderstehlich cremig herrliche einwandfreie Nascherei´ zu bringen – aber nur, wenn er erraten würde, worum es sich dabei handelte. Nach einer kurzen Denkpause war Sephiroth klar geworden, dass es sich hinsichtlich der Beschreibung nur um K.U.C.H.E.N. handeln konnte, und hatte völlig richtig gelegen. Jetzt allerdings stöhnte er leise und schüttelte den Kopf. „Wie kommst du immer auf solche Sachen?“ „Kann man bei deinem Anblick an was anderes denken?“ Gleichzeitig beugte sie sich zu ihm vor, um ihn zu küssen, langsam und liebevoll, und es war Sephiroth nicht möglich, die Augen offen zu halten während er den Kuss erwiderte. Niemals hätte er gedacht, sich jemals so fallen lassen zu können ... aber es war möglich. Wenn auch momentan nur kurzfristig. Denn heute gab es noch eine lange Schulung und ein gewisser Death Walker war von seinem General angehalten worden, in jedem Fall pünktlich dort aufzutauchen, ansonsten ... Als die Tür des Appartements sich leise klickend schloss, seufzte Sephiroth tief auf. Wie gerne er noch etwas geschlafen hätte ... Aber in weniger als zwei Stunden würde irgendetwas über Midgar hereinbrechen, und der General plante nicht, zu dieser Zeit brav im HQ zu sitzen! Was immer in den Straßen der Stadt vorging, es würde seiner Aufmerksamkeit nicht entgehen, zumal nicht mit einer unauffälligen Operation wie bei `Silent Cry´ gerechnet werden durfte. Und so verließ er das von den nächtlichen Tätigkeiten völlig zerwühlte Bett, nahm eine lange Dusche und war eben dabei, seine übliche Kleidung anzulegen, als sein PHS piepend den Empfang einer Nachricht signalisierte. Die Schulung würde früher als erwartet beginnen, eine Mitteilung, die an alle Teilnehmer und (zur Info) an Personen höheren Ranges geschickt worden war. Es bedeutete genau zwei Dinge: Cutter würde ihr ursprünglich geplantes Vorhaben abbrechen müssen, und, was immer Rufus für die ahnungslose Bevölkerung Midgars geplant hatte, es würde früher stattfinden. Wesentlich früher ... Das erneute Piepen irritierte den General für einen kurzen Augenblick. Er kannte das Geräusch, aber es gehörte nicht hierher. Jetzt nicht mehr! Er warf einen Blick neben das Bett ... Und seufzte. Das dort liegende PHS war definitiv nicht sein eigenes. „Cutter, du verdammtes Schussel!“ Etliche Straßen von ihm entfernt verließ das `verdammte Schussel´ gerade völlig ahnungslos hinsichtlich des vergessenen PHS einen ihrer Lieblingsläden. Einer der Vorzüge Midgars waren die auch Sonntags geöffneten Geschäfte – wenn auch die Angestellten für gewöhnlich nur die Hälfte der sonstigen Freundlichkeit an den Tag legten. Der Einkauf jedenfalls war ein voller Erfolg gewesen. Wäre nur der eigentliche Grund nicht so trübe ... Die junge Frau seufzte leise. 8 Stunden Schulung! Dann doch lieber eine Mission in strömendem Regen, Hagel oder Schnee. Oder gleich hier. Obwohl ... Irgendwie wirkte die Stadt heute anders, und das lag nicht an der extrem schwülen, das Gewitter ankündigenden Luft. Aber es gab keinerlei optische Hinweise. Es war ... mehr ein Gefühl. Als schliche etwas Nebelhaftes durch die Straßen, auf der Suche nach ... Cutter konnte nicht klar definieren, wonach. Aber irgendein Ziel musste es geben. Und das Gefühl, dieses seltsame Gefühl, wurde immer stärker. Irgendetwas Entsetzliches war unterwegs. Etwas, für das es noch keinen Namen gab. Und es näherte sich. So unaufhaltsam, wie der Himmel seine blaue Farbe verlor. Sephiroth befand sich in einem höchst seltenen Zwiespalt. Einerseits war es ihm absolut nicht recht, Cutter ausgerechnet jetzt in der Stadt zu wissen, befand sie sich, wie ihm sein Instinkt ganz klar mitteilte, doch bereits auf direktem Konfrontationskurs mit ... was auch immer Rufus und Hojo sich diesmal ausgedacht hatten. Aber andererseits beherrschte die junge Frau die Lines. Und da alles auf diesem Planeten (mit Ausnahme von anderen Blue Wanderern) eine Line besaß, gab es nichts, das ihr wirklich gefährlich werden konnte. Selbst, wenn es aus irgendeinem Makotank gekrochen kam. Und dennoch ... Warum beruhigt mich dieses Wissen diesmal nicht? Irgendetwas ist anders! Was? Es gibt nur einen Ort, an dem ich das herausfinden kann. Sephiroth setzte sich in Bewegung. Es dauerte nur wenige Minuten, ehe er den diesmal unbewachten Laborbereich erreichte, die Tür mit der nie abgegebenen ID Karte öffnete und Hojos Reich betrat, den trügerisch weißen Raum durchquerte und den ersten Fuß in den anderen Raum setzte, den Blick über das sich ihm bietende Szenario schweifen ließ, und sofort inne hielt. Die Türen sämtlicher Makotanks waren weit geöffnet, und von ihnen ausgehend führten nasse Flecken am Boden bis zu der Tür, in der Sephiroth immer noch stand. Fußspuren! Was auch immer sich in diesen Tanks aufgehalten hatte, es war ... „Du bist zu spät, mein kleiner Sephiroth.“ Hojo tauchte verächtlich lächelnd hinter einem der Tanks auf. „Viel zu spät. Sie sind schon unterwegs.“ Sephiroths Blick hing an den Makotanks. Cutter hatte die Lines erst gestern Abend erneut überprüft. Keine Auffälligkeiten. Keine Veränderungen. Wie konnte etwas, das dazu vorgesehen war, über Midgar hereinzubrechen, sich hier aufgehalten haben, ohne ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken? „Ich sehe, du bist irritiert. Hast du wirklich geglaubt, ich lasse mich von deiner kleinen Freundin ausspionieren? Vermutlich haben deine kleine Freundin und du friedlich geschlafen oder euch auf äußerst primitive Art und Weise vergnügt, während ich ...“ „Was hast du getan?“ Seine Stimme klang eisig und vermittelte dennoch unterschwellig den Befehl, schnell zu antworten. „Was ich immer tue, mein kleiner Sephiroth. Forschen und entwickeln.“ Er begann zu kichern. „Ihr werdet euch prächtig verstehen, auch wenn die gemeinsame Zeit nur kurz sein dürfte. Aber ich versichere dir, du hast maßgeblich zu meinem Triumph beigetragen! Jetzt allerdings bist du nicht mehr als ein veraltetes Modell, das schon bald entsorgt wird. Und jetzt entschuldige mich, ich habe zu arbeiten. Unter anderem am G-Mako für deine kleine Freundin ...“ Sephiroth musste jeden Funken Selbstbeherrschung aufbringen, um den erneut kichernden Professor nicht augenblicklich und dauerhaft zum Schweigen zu bringen und stattdessen betont würdevoll den Raum zu verlassen. Kaum auf dem Flur angekommen allerdings steigerte er das Tempo. Wie er sich eingestehen musste, war es ihm nicht ganz möglich gewesen, jede von Hojos Anspielungen zu verstehen, aber was er begriffen hatte, war mehr als besorgniserregend. Zumal sich Cutter (noch) ohne Unterstützung mit ... was auch immer ... in der Stadt befand. Während der General das HQ verließ, fasste er die Fakten zusammen. `Sie´ waren aus Makotanks gekommen. Also lebten `sie´. Und waren somit sterblich (und hatte eine Line)! Noch allerdings bestand kein Grund, `sie´ zu töten. Sephiroth hatte keinen Zweifel daran, wenigstens einen von `ihnen´ dennoch problemlos aufzuspüren. Dasselbe galt für Cutter. Wenn er sich beeilte, würde sie doch noch pünktlich zur Schulung kommen. Sogar in ShinRa Uniform! Cutter hatte die Schulung längst vergessen. Sie war in den Lines unterwegs, auf der Suche nach Anhaltspunkten hinsichtlich der drohenden Gefahr. Aber es gab keinen einzigen! Dennoch war sie absolut sicher, sich nicht zu irren. Und nach etlichen weiteren Sekunden, in denen das seltsame Gefühl immer stärker geworden war, schlug es um. Urplötzlich. Und wurde zu der Gewissheit, sich genau hier, an diesem Punkt, in akuter Lebensgefahr zu befinden. Gleichzeitig fegte der erste das Gewitter intensiver ankündigende, jähe Windstoß durch die Straßen Midgars, ähnlich dem unerwarteten Tatzenschlag eines scharfbekrallten Raubtiers. Cutter hielt inne, verließ die Lines. Konzentrierte sich erneut auf das sichtbare Midgar. Nichts. Sie lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Geräusche. Nichts. Sie beobachtete so intensiv wie möglich das Verhalten der Personen auf der Straße. Nichts. Sie hob den Kopf und sah zum Himmel. Nur ziehende Wolken von düsterer Farbe. Aber irgendetwas ist hier ... Ich irre mich nicht! Ich ... Der Schrei kam aus einer der Seitenstraßen, und das ihm innewohnende Entsetzen schien nicht von dieser Welt zu sein, hielt mehrere Sekunden an ... und verklang in einem entsetzlich gurgelnd klingenden Geräusch. Cutter zögerte nicht, sie rannte los. Gleichzeitig kämpfte sie gegen die immer stärker werdende Furcht an und fragte sich gleichzeitig, woher diese kam. Völlig egal, was oder wem sie am Ende des Schreis begegnete, es würde eine Line haben ...! Sie schlitterte um die letzte Kurve, eines der schlimmstmöglichsten Szenarien im Kopf – und wurde mit der Realität konfrontiert. Eine eingeschlagene, geborstene Tür. (Sicherheitsmodell Nr. 1. Üblich in Midgar. Gute Verarbeitung. Stabil. Teuer.) Davor, am Boden, letzte Reste des verglühenden Lebensstroms. Und mitten in diesen Resten, stehend, eine große Gestalt in ShinRa Uniform ohne erkennbares Rangabzeichen. Ein Mensch mit heller Haut, kräftigen Muskeln, kurzen, schwarzen Haaren, grün glühenden Augen. Er stand ganz ruhig. Seine Arme allerdings waren ausgestreckt, hielten mühelos den Körper eines anderen, wesentlich älteren Mannes etliche Zentimeter über dem Boden, Hände um dessen Hals geschlossen, langsam zudrückend. Im Rahmen der zahlreichen Missionen war Cutter mit nahezu allen Formen der Gewalt konfrontiert worden, aber von Abhärtung konnte nach wie vor keine Rede sein. Immer noch gab es nichts, das sie mehr erschreckte als Gewalt. Entsprechend groß war ihr Wunsch, diese zu verhindern oder wenigstens zu mindern. So auch jetzt. Cutter vergaß ihre Angst. „Loslassen!“ Der Mensch reagierte nicht. Es war, als nähme er den Störenfried überhaupt nicht wahr, als existierten nur er selbst und sein Opfer. „Sofort!“, fauchte Cutter und richtete die Luna Lance auf den brutalen Folterer. „Sonst werde ich ...“ Es war nur eine winzige Bewegung, untermalt von einem grauenhaft knirschenden Geräusch und einem Todesröcheln. Die Hände öffneten sich. Ein Körper fiel zu Boden und blieb regungslos liegen. Das Grün des Lebensstromes flammte auf. Und erst dann, ganz langsam, wandte der Mörder den Kopf und sah in Cutters Richtung. Völlige Emotionslosigkeit prägte seinen Gesichtsausdruck. Nur seine Augen, seine grün glühenden Augen, verrieten dass er lebte. Und die Schnelligkeit, mit der er sich schlagartig in Bewegung setzte. Direkt auf Cutter zu. Diese fletschte nur die Zähne. Komm nur, Mistkerl! Mieser, hinterhältiger Mörder! Ich verwandle dich in einen Fußball und lasse die Kinder in den Slums ein paar Stunden mit dir spielen! Grün und blau wirst du sein, Bastard! Sie ließ ihn ganz nahe herankommen, ignorierte ihren Instinkt, der sie zur bedingungslosen Flucht aufforderte, wartete, bis der Mörder sie fast erreicht hatte. Erfahrung zeigte, dass ein in dieser Situation durch die Luna Lance gejagter Befehl immer das nächstliegende Objekt traf. In diesem Fall gab es gar keine Möglichkeit, das Ziel zu verfehlen. Cutter sah dem heranstürmenden Angreifer direkt in die Augen und dachte an einen Fußball, einen schönen Lederfußball, um den sich die Kinder in den Slums förmlich reißen wür ... Später würde es ihr unmöglich sein zu sagen, ob ihr Unterbewusstsein ihren Körper in Bewegung gesetzt hatte, oder ob die Augen dem Verstand mitteilten, dass etwas schief gelaufen war und dieser blitzschnell das Ausweichmanöver in Gang setzte. Aber so streifte der ihrem Brustkorb geltende Schlag lediglich ihren Arm. Schmerz, dicht gefolgt vom unverkennbaren Gefühl austretenden Blutes flammte auf. Das nächste Manöver fand im vollen Bewusstsein desselbigen statt. Cutter katapultierte sich rückwärts – und ihr Angreifer folgte sofort. Dicht. Viel zu dicht! Er gestattete keine Zeit für Gedanken. Für Angst. Für Verblüffung. Nur Reaktion. Jedes bisschen Beweglichkeit, zu dem sie fähig war. Und die Gewissheit, dass der geringste Fehler tödlich sein würde. Seine Angriffe kamen mit der Präzision einer Maschine. Schnell. Hart. Entschlossen. Die grün glühenden Augen ließen sein nächstes Opfer nicht eine Sekunde unbeobachtet, berechneten, erwogen. Und schlugen zu. Er ließ Cutter keine Option außer bedingungsloser Flucht. Und dennoch schien ein Grinsen in diesen Augen zu glühen. Eines der übelsten Sorte. `Ich krieg dich sowieso ...´ Es war schon lange her, dass Cutter eine Situation dermaßen überrascht hatte. Für gewöhnlich blieb immer Zeit, irgendetwas zu tun. Wenigstens eine Sekunde. Hier nicht. Ausweichen, berechnen, aufpassen, bremsen, beschleunigen, ausweichen, ausweichen, ausweichen. Der Mann besaß keine Waffen. Er führte sämtliche Angriffe mit dem Körper aus, und egal, womit dieser kollidierte, es hielt ihn nicht auf. Mittlerweile hatte sich der Kampf in eine weitere Seitenstraße verlagert, und Cutter spürte, wie ihre Kraft nachließ. Ein Trick musste her. Eine List! Nur welche? Es war mehr Instinkt als wirkliche Überlegung. Etliche Meter vor ihr befand sich etwas auf der Straße. Feinste Steinchen. Kein Hindernis. Es sei denn, man formte sie etwas um. Cutter stieß sich mit aller Kraft vom Boden ab, wirbelte herum, ignorierte die erschreckend kurze Distanz zwischen sich und ihrem Verfolger, richtete die Luna Lance auf die Krümel ... Die Stahlwand schoss binnen eines Sekundenbruchteils völlig vorwarnungslos aus dem Boden, bremste kompromisslos, nahm die Sicht. Cutter reagierte sofort, ließ ihre Flügel erscheinen, katapultierte sich durch die zunehmende Düsternis auf das Dach des nächstliegenden Gebäudes und verhielt dort, die Flügel und sich selbst eng an die Oberfläche des Daches gepresst, den Blick vorsichtig über den Rand desselbigen auf die Straße gerichtet. Der Angreifer hatte die Stahlwand natürlich längst hinter sich gelassen. Jetzt folgte er allem Anschein nach völlig unverletzt der Straße, sah sich aufmerksam um, blickte in jede Seitenstraße, lauschte, bereit auf das geringste verräterische Geräusch zu reagieren. Auf ihrem Dach hielt Cutter den Atem an. Blut rauschte in ihren Ohren und das Geräusch ihres Herzschlages schien die ganze Welt zu erfüllen. Was, wenn dieses ... Ding ... all das hören konnte? Aber andererseits, sie befand sich hier auf einem Dach! Kein Mensch konnte so hoch springen ... Oder? Wenigstens war es ihr jetzt möglich, ihn zu beobachten. Wie er immer wieder inne hielt, prüfte ... und sich schließlich umwandte, den Weg zurückging und aus Cutters Blickfeld verschwand. Dennoch wagte es die junge Frau nicht, sich zu entspannen. Immer wieder sah sie sich um, gepeinigt von der Phantasie des schlagartig auf dem Dach auftauchenden Angreifers. Irgendwann wurde ihr bewusst, heftig zu zittern. Es war schon lange her, dass sie jemand so in die Enge getrieben hatte, und damals war sie bei Weitem nicht so stark gewesen, wie heute. Insgeheim war sie sogar davon ausgegangen, eine derartige Situation nie wieder zu erleben. Aber jetzt? Und weshalb hatte sich dieser Mistkerl nicht in einen Fußball verwandelt? Einen eigenen Fehler schloss sie vollkommen aus, also wie ... ?! Es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden. Cutter kam gleichzeitig mit dem ersten dumpfen Gewittergrollen auf die Füße und begann mit der Verfolgung. Sie bewegte sich ausschließlich über die Dächer vorwärts, wobei ihr die Flügel gute Dienste beim Überwinden größerer Zwischenräume leisteten, und hatte ihren `Freund´ bald wieder erreicht. Als erstes versuchte sie, ganz bewusst Kontakt zu seiner Line herzustellen. Das Ergebnis war niederschmetternd. Er besaß keine. Mit anderen Worten, dachte die junge Frau, ohne die Flügel hätte er mich vielleicht früher oder später erwischt, und genauso getötet, wie die beiden Menschen vorher. Aber ... wenn er keine Line hat, ist er dann auch ein Blue Wanderer? Ihr Instinkt schüttelte heftig den Kopf. Aber was war dieser Mann dann? Warum zog er mordend in ShinRa Uniform durch die Straßen? Und dann diese Augen. Der Ausdruck darin, so kalt und berechnend. Seine Bewegungen, geschmeidig wie Wasser. Die Schnelligkeit und Präzision seiner Angriffe. All das kam Cutter so bekannt vor, dass sie sich unmöglich gegen die bittere und furchteinflößende Erkenntnis sträuben konnte. Dieser Typ auf der Straße unter ihr war ... Sephiroth. Irgendwie. Das also hatte Hojo in seinem Labor entwickelt. Dennoch war es kein `zweiter Sephiroth´. Dieser hier war ... irgendwie anders. Auf eine Art und Weise, die sich noch nicht identifizieren ließ. Jetzt hielt er inne, so ruckartig als habe man ihm den Befehl dazu erteilt, und bog ab. Cutter folgte ihm, eine entsetzliche Vorahnung in Form eines eisigen Klumpens im Bauch tragend. Sie sollte sich nicht irren. Ein weiteres Mal hatte eine Tür der brachialen Gewalt des Angreifers nichts entgegenzusetzen. Erschrockene Stimmen wurden laut, dann veränderte sich der Tonfall, wurde bestimmend, protestierend ... und endete in einem keuchenden Geräusch. Cutter hatte genug gesehen und gehört. Sie kannte das Ende, und würde es nicht ein zweites Mal geschehen la ... Die Berührung an ihrer Schulter erfolgte so unvermittelt wie der erste, über den mittlerweile grauschwarzen Himmel tastende Blitzschlag. Die junge Frau zuckte zusammen, wandte ruckartig den Kopf, kollidierte mit einem grün glühenden Blick, brachte blitzartig die Luna Lance in Position ... und erkannte im letzten Augenblick, dass ihr keine Gefahr drohte. Jedenfalls nicht in Form eines Angriffes. Es war Sephiroth wie erwartet kein Problem gewesen, seine Freundin zu finden. Er hatte sie zurechtstutzen und augenblicklich zurück ins HQ schicken wollen – ein Plan der, nicht zuletzt aufgrund des im Laufe der vergangenen Minuten empfangenen Gefühlschaos, längst hinfällig war. Stattdessen gab es nur eine Sache, die der unmittelbaren Klärung bedurfte. Nach einem kleinen Hinweis. „Habe bitte realisiert, dass du dich auf einem Dach befindest. Wer oder was hat dich angegriffen?“ Gleichzeitig warf er der Verletzung einen prüfenden Blick zu, stufte sie als nicht lebensbedrohlich (und daher als momentan nicht erwähnungswürdig) ein und lauschte aufmerksam Cutters Bericht. Was er erfuhr, deckte sich mit seinen schlimmsten Befürchtungen – und erklärte etliche von Hojos Bemerkungen. „Er – oder es - ist immer noch da drin!“ Die Luna Lance wies auf die zerborstene Tür. „Vermutlich haben Hojo und Rufus ihn auf die Haushalte mit Solaranlagen angesetzt.“ „Aber 99,9 % von Midgar hat Solaranlagen! Heißt das, dieser Typ wird weiter durch die Stadt ziehen und Menschen umbringen? Das dürfen wir nicht zulassen, Sephy, wir müssen ihn stoppen, irgendwie!“ Entschlossenheit und Verzweiflung glühten in Cutters Augen. Sie war wild entschlossen, diesem Töten ein Ende zu bereiten. Sephiroth hingegen ... „Wir mischen uns hier nicht ein! Das ist ein Befehl!“ Er wollte, er musste wissen, wozu Hojos neuste Entwicklung fähig war, ließen einige der Bemerkungen des Wissenschaftlers doch auf eine bald stattfindende, direkte Konfrontation schließen. Außerdem galt es, Cutter aus der Gefahrenzone zu halten, denn ohne eine zu beeinflussende Line begab sie sich bei jeder Begegnung in höchste Gefahr. Die Reaktion auf seine Anweisung allerdings war, einmal mehr, das genaue Gegenteils des angebrachten und respektvollen `Ja, Sir!´ Nämlich ... „Spinnst du?! Dieser Typ zieht durch Midgar und tötet Menschen! Menschen, die sich nicht gegen ihn verteidigen können, die nicht mal gewarnt worden sind! Sie haben keine Chance!!“ „Das ist Sinn und Zweck dieses Angriffes. Rufus will ein Exempel statuieren. Abgesehen davon ist dieses Exemplar nicht das einzige seiner Art.“ „Von dieser Sorte laufen mehrere durch Midgar?!“ Sie wollte noch mehr sagen. Aber eine erneute Bewegung in der Tür des beobachteten Hauses hinderte sie daran. Hojos Neuentwicklung trat zurück auf die Straße. Letzte Fäden des Lebensstroms umklammerten seine Füße, als wolle all das Grün den erfolgreichen Mörder daran hindern, den Tatort zu verlassen. Aber das Wesen ließ sich davon nicht einen Sekundenbruchteil beirren und setzte seinen Weg fort. Zeitgleich schloss sich auf dem Dach Sephiroths Hand um Cutters unverletzten Arm – nicht schmerzhaft, aber deutlich spürbar. Genau wie die ersten fallenden Wassertropfen. „Du hast mich gehört! Wir werden uns hier nicht einmischen, sondern beobachten und Fakten sammeln.“ „Weißt du was?“, fauchte Cutter so leise wie möglich. „Gerade klingst du genau wie Hojo und Rufus!“ Sephiroth hätte mit jedem Argument dieser Welt gerechnet, nur nicht mit diesem. Seine Irritation war so groß, dass er den Griff um Cutters Arm fast gelockert hätte. Aber eben nur fast. Denn in Midgars Straßen ging der Tod um – und er hatte keine Line. Es mochte dem Death Walker einmal gelungen sein, zu entkommen, und man hätte annehmen können, es würde ihr daher immer wieder gelingen. Aber Cutter wollte nicht weglaufen. Sie wollte helfen! Auch auf die Gefahr hin, verletzt zu werden, seelisch wie körperlich. Und diesmal, das versicherte der wispernde Instinkt des Generals, standen die Chancen auf das Eintreffen beider Varianten extrem hoch. Und so hielt Sephiroth seine Freundin fest. Er hätte noch wesentlich mehr getan als das, um sie davon abzuhalten, sich erneut in den Kampf zu stürzen. Aber dazu sollte es nicht kommen. Das Geräusch inmitten der fallenden Tropfen hatte keinen spektakulären Klang. Es war sogar sehr leise. Aber das ausgelöste Gefühl glich dem unerwarteten Kontakt mit einer sehr scharfen Glasscherbe. Und Sephiroth, der in seinem Kopf Tausende von Geräuschen gespeichert hatte, identifizierte es sofort - und reagierte. Der harte, Cutter völlig unvermittelt treffende Stoß beförderte sie nicht eben sanft, aber dafür äußerst effektiv aus dem direkten Gefahrenbereich. Sie selbst sah nur ein mit grün glühenden Augen und in ShinRa Uniform gekleidetes `Etwas´ über die Dachkante springen, wie ein Dämon aus einem Märchen, sah, wie der beinahe beiläufige Tritt des Generals es exakt eine Sekunde vor Kontakt mit dem Dach wieder in die Leere daneben beförderte und wie Sephiroth Masamune zog und seinem Gegner augenblicklich folgte. Der Ausdruck in den Augen des Generals ... Er will diesen Kampf!, dachte Cutter mit steigendem Entsetzen. Er will ihn unbedingt! Und ich soll mich nicht einmischen. Aber ich kann doch nicht hier sitzen und nichts tun! Was, wenn er verletzt wird? Vielleicht sogar getötet! Dieses Ding aus dem Labor ist kein Mensch! Es ist so schnell und brutal. Und Hojo hat die Finger mit im Spiel. Hojo! Er will Sephy aus dem Weg räumen. Was, wenn er plant, es mit diesen Biestern zu versuchen? Es war schon lange her, dass Cutter solch eine Angst um Sephiroth gehabt hatte, und sie wusste nicht, was sie tun sollte. Vorerst begnügte sie sich damit, wieder auf die Beine zu kommen, um besser sehen zu können. Aber von dem Kampf, sofern er schon begonnen hatte, war weit und breit nichts zu entdecken. Ich will zu ihm! Und helfen! Aber in einer solchen Situation ist er allein am besten. Und sein Blick ... Er will um jeden Preis gewinnen! Und er hat Masamune! Aber dieses verdammte Biest hat keine Line. Was hat es stattdessen alles? Was soll ich nur mach ... Ein nur wenige Straßen entfernt erklingendes Geräusch beantwortete die Frage. Mehrere kurze, dicht aufeinanderfolgende Schüsse. Irgendjemand wehrte sich gegen irgendjemanden - oder irgendetwas. Und Cutter konnte sich schon denken, welche Möglichkeit zutraf. Ihr waren diesbezüglich ganz klare Befehle erteilt worden. Aber auch wenn sie den tieferen Sinn dieser Anweisungen ganz genau verstanden hatte, es war ihr unmöglich, sie zu befolgen. Irgendeine Möglichkeit musste es geben, diese Wesen vom Töten abzuhalten! Die junge Frau fletschte die Zähne, breitete die Flügel aus und setzte sich inmitten des immer dichter fallenden Regens so schnell wie möglich in Bewegung. Kapitel 52: Was im Labor entstand Teil 2/2 ------------------------------------------ Mittlerweile fiel der Regen vorhangdicht. Blitze zuckten über den nachtschwarzen Himmel, als wollten sie diesen zerreißen. Donner grollte wie ein urzeitliches Monster, das aus dem Schlaf gerissen worden war und lautstark seinen Unmut darüber verkündete. Immer wieder fegten Sturmböen über und durch die Stadt. Und inmitten dieses apokalyptischen Szenarios befand sich Sephiroth - und er war nicht alleine. Momentan allerdings ließ sich nicht sagen, wer wen jagte. Denn der Instinkt des Generals, der sich sonst nie irrte, der ihn mit unschlagbarer Präzision zum Ziel führte, schlug mal in diese, mal in jene Richtung aus. Er konnte sich nicht entscheiden! Und so war auch sein Besitzer leicht irritiert – und gezwungen, eine andere Strategie anzuwenden. Sie funktionierte zwar, entsprach aber bei Weitem nicht der üblichen Vorgehensweise. Sephiroth war es nicht gewohnt, sich so verhältnismäßig ziellos durch die Stadt zu bewegen. Es erfreute ihn nicht, um eine Ecke zu biegen ohne vorher von seinem Instinkt über wahrscheinlich auf ihn wartende Unannehmlichkeiten informiert worden zu sein. Und doch ging es momentan nur so. Sehr zur Bequemlichkeit seines Gegners. Schon zweimal hatte er (bwz. `es´) hinter einer Kurve gewartet und sofort angegriffen. Einmal, indem es ein ganzes Auto geworfen hatte und ein zweites Mal mit Magie. Sich unter dem Auto durchzuducken ohne die eigene Vorwärtsbewegung auch nur für eine Sekunde zu stoppen, bedurfte es nur der üblichen Körperkontrolle. Um den magischen Angriff abzuwehren, war nicht mehr als ein gezielter Schlag mit Masamune nötig gewesen. Aber beide Male war das Wesen mit der Schnelligkeit eines Gedankens verschwunden und hatte so keine Möglichkeit des Gegenangriffes eröffnet. Und so blieb Sephiroth nur, weiter durch die Stadt zu streunen und auf den nächsten Angriff zu warten. Warten! Noch dazu in einem Kampf! Wie er es verabscheute! Sich belauern, ja. Aber das?! Es war so ... Zeit schindend! Und hochgradig psychologisch. Denn das Wesen hatte auf ihn gewartet. Zweimal. Man konnte also davon ausgehen, dass es von der immer noch andauernden Irritation seines Gegners wusste. Wie würde es diese weiter nutzen? Für gewöhnlich, dachte der General, bin ich es, der immer weiß, wo der Feind ist. Diesmal ist es genau umgedreht. Und ich bin ganz klar im Nachteil. Eine mehr als ungewöhnliche Situation. Aber ... sie fordert mich auch heraus. Auf eine Art und Weise, die mir völlig fremd ist. Und ich genieße sie. Würde ich die Kontrolle über meinen Körper nur ein klein wenig locker, würde dieser in heftiges Zittern ausbrechen. Nicht aus Angst. Sondern vor Erregung! Es ist lange her, dass ich zum letzten Mal einen Kampf so wollte, wie diesen hier! Gleichzeitig zwang er sich zur Ruhe. Kämpfen, ja. Aber niemals unbeherrscht oder gar ohne Strategie. Die jetzige besaß ihren vorübergehenden Schwerpunkt im Aufspüren des Gegners. Sephiroth stieß sich vom Boden ab und gelangte über mehrere günstig liegende Hausdächer auf eines das hoch genug war, um die darunter liegenden Straßenzüge zu überblicken. Aber das immer noch tobende Gewitter machte es selbst den scharfen Augen des Generals schwer, mehr außer Regen und vage Umrisse zu erkennen, was den Vorteil eine solchen Unwetters, nämlich normale Menschen in die Sicherheit ihrer Häuser zu treiben, quasi neutralisierte. Abgesehen davon gab es selbst aus dieser Position immer noch zu viele tote Winkel, die geschickt genutzt werden konnten. Vorausgesetzt, der Gegner wusste von der besseren Sichtposition des anderen. Was nicht der Fall war! Der General gestattete sich ein flüchtiges Grinsen. Dort war sein Gegner! Nur zwei Kreuzungen entfernt. Gar kein Zweifel. Sephiroth spannte alle Muskeln für einen gigantischen Sprung an und ... Vielleicht war es Zufall, vielleicht Glück, vielleicht auch Schicksal. Wenn man eine hochkonzentriert vor einem Mauseloch sitzende Katze jäh berührte, machte diese für gewöhnlich einen erschrockenen, kerzengeraden Sprung in die Luft. In diesem Fall war es keine Berührung. Sondern ein Blitzeinschlag in einem der Gebäude unmittelbar hinter dem General. Der Knall war ohrenbetäubend. Sephiroths Kopf ruckte jäh herum ... und kollidierte mit einem anderen, tiefgrün glühenden, auf ihn gerichteten Blick in einer Entfernung von weniger als zwei Metern. Masamune jagte mit einer gedankenschnellen Bewegung durch die Luft, teilte Regentropfen im Flug, hätte absolut tödlich sein müssen ... und verfehlte sein Ziel. Weil dieses mit der Gelassenheit des über ihm grollenden Donners auswich, die Distanz rasend schnell verkürzte ... Es blieb keine Zeit mehr für einen erneuten Angriff. Nicht einmal für Sephiroth. Nur der Sprung über die Dachkante. Die zupackende Hand seines Gegners verfehlte ihr Ziel nur um wenige Millimeter, wich der durch Masamune von unten nach oben geschleuderten Energieentladung aus und verschwand. Sephiroth erreichte das unter ihm liegende Hausdach und letztendlich auch den Boden, ohne Schaden davongetragen zu haben. Und dann, zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren, ging er in Deckung, spürte, wie sein Herz nicht nur ein klein wenig, sondern spürbar schneller schlug als sonst im Kampf – und konnte über das wenige Sekunden zurückliegende Ereignis nur ungläubig den Kopf schütteln. Es hat sich an mich herangeschlichen. An mich! Und ich habe es nicht kommen hören. Weshalb habe ich es nicht kommen hören? Es war hinter mir! Es war hinter mir und mein Instinkt hat nicht angeschlagen. Ohne den Blitzeinschlag hätte es mich voll erwischt! Und es ist Masamune ausgewichen, als wäre der Angriff langsam gewesen, was er nicht war. Es hat mich zur Flucht veranlasst. Mich! Das gelingt niemandem! Ich jage andere, und bringe sie zur Strecke! Hojo, du verdammter Mistkerl ... Erneut zwang er sich zur Ruhe. Gut. Dem Wesen war etwas Unglaubliches gelungen. Aber es hatte keinen Erfolg gehabt! Was wohl bedeutete, dass es sich weiter steigern würde. Sephiroth knirschte mit den Zähnen. In Ordnung! Auch er hatte noch ein paar Tricks auf Lager. Tricks, denen bisher niemand gewachsen gewesen war, die ... Die Meldung seines Instinkts kam nicht mit der sonstigen Zielstrebig- und Genauigkeit. Sie glich mehr einem schüchternen: `Ähm ... ich bin nicht ganz sicher ... aber wenn du kurz Zeit hättest ... wenn nicht, bin ich auf keinen Fall sauer oder enttäuscht, aber wenn du mir eine Sekunde schenken kannst ...?´ Sephiroth erstarrte. Nicht, dass er es gewollt hätte, aber sein Körper tat es trotzdem, gefangen in einer dumpfen Vorahnung. Dann wandte der General den Kopf. Langsam. Und konnte nicht verhindern, dass sich seine Augen in jähem Erstaunen weiteten. Das Wesen saß wenige Meter hinter und nur knapp zwei Meter über ihm, auf dem Dach einer Garage, in lässiger Pose, und sah zu ihm hinüber als wartete es auf den Beginn einer Vorstellung, deren Titel zwar interessant klang, dessen Inhalt aber dennoch gewaltig enttäuschen dürfte. Mit anderen Worten: Genau den Blick, den Sephiroth selbst einem Gegner zuwarf, der sich ihm gewachsen fühlte. Diesem Blick jetzt zum ersten Mal selbst ausgeliefert zu sein, war ... mehr als erniedrigend. Und steigerungsfähig. Denn die Mundwinkel des Wesens verzogen sich zu einem spöttisch-verächtlichen Grinsen. Dann erhob es sich, sprang von dem Dach und verschwand, ohne den geringsten Angriff geführt zu haben. Der General stand da wie erstarrt und fühlte sich, als habe er gerade einen Volltreffer durch einen sehr großen, sehr schweren Gegenstand erlitten. Dieses ... Ding war ihm nicht nur gefolgt, ohne bemerkt zu werden, sondern hatte ihn auch noch ganz direkt beobachtet. Wie lange schon? 5 Sekunden? 1 Minute? 5 Minuten? Und es machte sich lustig über ihn! Es spielte mit ihm. Als sei er nur ein kleiner, unwürdiger Ersatz für einen echten Gegner, und nicht die Person, die er doch eigentlich war, deren alleiniges Auftauchen auf einem Schlachtfeld schon für den Sieg gesorgt hatte, dem es gelungen war, SOLDIER zu dem zu machen, was es jetzt war, der noch nie einen Kampf verloren hatte, dem ein legendärer Ruf als Schwertkämpfer und General vorauseilte ... Nichts von alledem schien von Bedeutung zu sein. Nichts! Sephiroth gelang es, zu blinzeln. Die Bewegung verjagte auch die restliche Starre seines Körpers und brachte die Gedanken wieder ins Laufen. In Ordnung, dachte er. Ich ergänze die Liste der mit bekannten Fähigkeiten um den Punkt `Bösartiger Humor´. Das bedeutet noch lange nicht, dass ich ihm unterlegen bin! Bei der nächsten Begegnung gehört er mir! Eine halbe Sekunde später setzte sich die Garage, auf die Sephiroth immer noch starrte und auf der das Wesen so bequem gesessen hatte, urplötzlich in Bewegung und raste auf ihn zu. Der General fletschte die Zähne und umfasste Masamune fester. Er war einmal in die Flucht geschlagen worden. Das genügte! Die durch das Schwert verursachte Energieentladung glich einer gigantischen Schockwelle. Sie stoppte die Vorwärtsbewegung der Garage, schob sie zurück und pulverisierte sie gleichzeitig. Es blieb nur Staub – und ein Gefühl des Triumphes. Das noch genau eine halbe Sekunde andauerte. Dann kollidierte die Faust eines von oben kommenden Angreifers mit der linken Schulterrüstung des Generals. Sephiroths Rüstung war auf ganz Gaia einmalig. Sie erlaubte die größtmöglichste Beweglichkeit und ausreichend Schutz – von einer Art und Weise, die überdeutlich sagte: `... aber eigentlich ist das nur Zierde. So nah wird niemals irgendjemand an mich herankommen!´ Entsprechend unbeschadet sahen der Bauchschutz und die Schulterrüstungen aus – bis jetzt. Die gewölbten Platten oberhalb der linken Schulter brachen unter der Wucht des Aufpralls wie die Schale eines rohen Eies, verwandelten sich in große und kleine Bruchstücke, die zu Boden fielen oder sich durch das noch über der Schulter liegende schwarze Leder in den Körper darunter gruben. Sephiroth drängte den Schmerz zurück und ließ sich auf die Knie fallen, um seinem Gegner das Gleichgewicht zu nehmen, und dieser nutzte die veränderte Position aus, als habe er auf genau diese Veränderung gewartet, stieß sich ab, entging dem durch die Luft jagenden Masamune ein weiteres Mal völlig problemlos und war nach einer halben Sekunde im immer noch fallenden Regen hinter einer Hausecke verschwunden. Sephiroth kam mit einer geschmeidigen Bewegung wieder auf die Füße, das Schwert nach wie vor kampfbereit erhoben, nahm augenblicklich die Verfolgung auf ... und hielt wieder inne. Es war unlogisch. Dieses Wesen war schneller als er. Vermutlich beobachtete es ihn schon wieder. Der General warf seiner linken Rrüstung einen prüfenden Blick zu. Nutzlos geworden. Dann bewegte er probehalber die Schulter. Sie schmerzte, aber dieser Schmerz ließ sich durch die eingedrungenen Bruchstücke erklären. Nach deren Entfernung wurde der Schmerz schlimmer, aber der Knochen war unbeschädigt. Was zum Einen eine schnelle Heilung bedeutete, und zum Anderen, dass Sephiroth Masamune weiterhin in seiner besseren Hand halten konnte. Zwar kam er mit der rechten annähernd auf dieselbe Geschicklichkeit, aber eben nur annähernd. Viel wichtiger war, dass sein Gegner eine Strategie offenbart hatte. Der nächste Angriff würde vermutlich darauf ausgelegt sein, die linke Schulter vorübergehend gänzlich unbrauchbar zu machen. Und danach die rechte. Eine schlaue, brutale Vorgehensweise. Denn selbst der beste Schwertkämpfer war hilflos, wenn er seine Waffe nicht halten konnte, und Sephiroth bezweifelte, dass man ihm genug Zeit ließ, um die gebrochenen Knochen zu heilen. Er musste unwillkürlich an Cutter denken. Zwar hatte er ihr ganz klare Befehle erteilt, aber im tiefsten Grunde seines Herzens wusste er, dass sie sich noch irgendwo in der Stadt befand - und gegen genau dieselben Wesen kämpfte, wie er. Wenn auch auf andere Art und Weise. Gemessen an der Tatsache, dass selbst er schon Probleme hatte ... Moment mal!, dachte der General. Ich habe keine Probleme! Ich bin nur ... Aber seine schmerzende Schulter belehrte ihn eines Besseren. Und so zwang er seine Gedanken wieder auf sich selbst, die aktuelle Situation. Und die Wahrheit. Sie ließ sich nicht mehr leugnen, und war erschreckend. Dieses Wesen war ihm nicht einfach nur ähnlich – es kämpfte wie er, nur härter, schneller und brutaler, als er es jemals getan hatte. Der durch jahrelanges, intensives Training erreichte geistige und körperliche Zustand Sephiroths bildete für dieses Wesen lediglich die Basis, und ließ es somit zu der neuen, wesentlich verbesserten Version des Originals werden. Als kämpfe man gegen ein eigenständig agierendes Spiegelbild voller zusätzlicher Extras. Zugegeben hätte der General es nie, aber hinsichtlich dieser akzeptierten Erkenntnis überlief selbst ihn ein kalter Schauer. Diesmal würde es wirklich knapp werden. Verdammt knapp! Unwichtig, wie knapp es wird, dachte Sephiroth, du kriegst mich nicht! Ich weiß zwar noch nicht genau, wie ich es diesmal anstellen werde, aber diesen Triumph werde ich Hojo nicht gönnen, niemals! Abgesehen davon ... Cutter braucht mich. Und ich sie. Wir brauchen einander. Lebend! Aber wie nur sollte er einen so starken Gegner bezwingen? Der Gedanke brachte ihn unwillkürlich zum Schmunzeln. So also hatten sich seine bisherigen Herausforderer irgendwann gefühlt. Interessant. Aber kein Grund, sie zu bedauern. Viel sinnvoller war jetzt ein Standortwechsel. Diesmal wählte er seine neue Position sehr genau aus und verharrte dort, nachdenklich, sehr wachsam ... und einmal mehr unterlegen. Der Angriff kam so unvermittelt und entschlossen, dass Sephiroth nicht ein Sekundenbruchteil Zeit für Gegenwehr blieb. Innerhalb eines Sekundenbruchteils verwandelte sich die Welt um ihn herum in Milliarden von steinernen, wild durcheinanderfliegenden Bruchstücken von unterschiedlicher Größe und Schwere. Und dann, schlagartig, grün glühende Augen direkt vor ihm, Augen, in denen nur eine einzige Botschaft zu finden war. `Hab´ ich dich!´ Der General dachte nicht nach. Er handelte reflexartig. Entfaltete den schwarzen Flügel und katapultierte sich nach oben, aus dem Bereich der Trümmer und der unmittelbaren Reichweite seines Gegners, ließ die aufsteigende Wolke aus Staub unter sich zurück. Für die Dauer von einigen wenigen Herzschlägen war alles gut. Dann schoss etwas aus der Wolke. Grün glühende Augen. Und zwei, zwei tiefschwarze Flügel, die den dazugehörigen Körper so schnell vorwärts trugen, dass Sephiroth abermals keine Zeit blieb, um auch nur an einen Gegenangriff zu denken. Er glich diesen Mangel aus, indem er blitzartig höher stieg, die Distanz wahrte, aber sein Gegner folgte ihm mit spielerischer Leichtigkeit, getragen durch die Kraft von zwei Flügeln. Einen Moment lang verfolgten die unterschiedlichen Versionen einander - und dann, ohne jegliche Vorwarnung, begann Hojos Kreatur die Entfernung zu verkürzen. Langsam. Wissend, dass seine Beute ihm hier oben genauso wenig entkommen konnte, wie am Boden. Ein Boden, der mittlerweile etliche Kilometer unter ihnen lag. Sephiroth hatte keine Probleme mit Landungen, aber kein ihm bekannter Trick hätte die Wucht eines Aufpralls aus dieser Entfernung auch nur im geringsten nützlichen Maße gedämpft. Es galt also unter allen Umständen den Flügel zu bewahren ... Den Flügel. Wenn dieses ... Monster ... mir jetzt den Flügel bricht, bin ich geliefert. Wenn es mich nicht schon hier erledigt, schlage ich mit voller Wucht am Boden auf. Vielleicht überlebe ich den Aufprall. Aber dann wird unsere nächste Begegnung meine letzte sein. Denn es ist Masamune schon mehrfach ausgewichen und ... Er hielt inne. Richtig. Das Wesen war dem legendären Katana ausgewichen. Es mied die direkte Konfrontation! Weil es auf ganz Gaia noch niemals irgendjemanden oder irgendetwas gegeben hatte, das es länger als eine Sekunde mit dieser Waffe hätte aufnehmen können. Sephiroth umfasste sein Schwert unwillkürlich fester. Masamune, daran zweifelte er keine Sekunde, konnte es auch mit diesem neuen Gegner aufnehmen. Aber wie sollte er Hojos neuste Schöpfung dazu bringen, sich direkt in die Reichweite des Schwertes zu begeben? Die Kreatur kannte ihren eigenen Schwachpunkt, und war sehr bemüht, ihn nicht schutzlos zu offenbaren. Es gab nur eine Möglichkeit. In Ordnung, dachte der General. Das wird weh tun. Gleichzeitig spürte er einen einzigen harten Pulsschlag in seiner Hand. Er kannte dieses Gefühl. Es war eine Rückmeldung Masamunes auf seine Gedanken. Die Erinnerung an ein einmal gegebenes, für lange Zeit gültiges Versprechen. `Bereit, wenn du es bist!´ „Danke“, wisperte der General. Dann verengten sich seine Augen, fixierten den sich beständig nähernden Gegner. Es war an der Zeit, dieses Duell zu entscheiden! Die Attacke wirkte genau so, wie sie wirken sollte. Verzweifelt. Nahezu besiegt. Ein letztes Aufbäumen vor dem Ende. Der kurze Augenblick vor dem Todesröcheln - und doch Teil eines mörderischen Plans. Sephiroths Gegner reagierte wie erhofft. Er wich aus und katapultierte sich gleichzeitig noch höher, auf Augenhöhe mit dem veralteten Original. Der General gab sich alle Mühe nicht übertriebene, aber dennoch gut sichtbare Angst zu zeigen – und trat die horizontale Flucht an, in einem steil ansteigenden Winkel. Denn wenn Teil 1 seines Plans funktionierte, brauchte er so viel Zeit wie möglich für den 2.ten, wesentlich gefährlicheren Teil. Wenn ... Hojos Monster nahm sofort die Verfolgung auf. Und während Sephiroth es ganz bewusst langsam näher kommen ließ, machte er die erste positive Entdeckung seit Beginn des Kampfes. In den Straßen Midgars war sein Instinkt unentschlossen und unsicher gewesen, aber hier oben, ganz allein mit seinem Gegner, funktionierte er wieder einwandfrei, meldete zuverlässig jeden Zentimeter, den sich das Wesen näherte, und schuf somit einen unschätzbaren Vorteil. Der General musste sich nicht, wie geplant, ständig umsehen, sondern nur nach innen lauschen, und gleichzeitig nach außen eine verzweifelte Flucht vortäuschen ... Und dann, urplötzlich, war es soweit. Sein Instinkt schrie auf, gellend. Gleichzeitig spürte Sephiroth einen scharfen, seinem Flügel geltenden Luftzug ... und konnte nur Sekundenbruchteile später fühlen, wie die Faust seines Gegners traf. Knochen brachen, Schmerz flammte auf. Sephiroth konnte seinen Gegner nicht sehen – und sah die Situation dennoch klar vor sich. Für einen kurzen Augenblick schwebten Original und verbesserte Version nur wenige Zentimeter voneinander entfernt genau übereinander. Für einen kurzen Augenblick gab es gar keine Zweifel bezüglich der Dominanzfrage. Für einen kurzen Augenblick schien der Kampf entschieden. Dann rollte sich Sephiroth mit einer einzigen, blitzschnellen Bewegung vom Bauch auf den Rücken, den noch verbliebenen Schwung nutzend, beide Hände fest um das bereits vorher in die richtige Stellung gebrachte Schwert geschlossen, sah seinem Kontrahenten direkt in die Augen ... und schlug zu. Nur ein einziges Mal, aber mit ganzer Kraft. Die unvergleichliche Klinge Masamunes setzte am Kopf des Monsters an und glitt durch diesen und den gesamten restlichen Körper hindurch, wie ein heißes Messer durch ein Stück Butter, alles mit der Schnelligkeit eines einzigen Herzschlages. Das Glühen in den Augen des Wesens erlosch, als habe man einen Stecker gezogen. Dann kippten die beiden Körperhälften voneinander weg, gestatten einen Einblick in dessen Innerstes. Kein Fleisch. Kein Blut. Keine Knochen. Keine Innereien. Nur ein weiterer Beweis für Hojos genialen Irrsinn. Dann fielen beide Teile in Richtung Boden. Sephiroth rollte sich wieder auf den Bauch und behielt die Reste seines Gegners so lange im Auge, wie ihm der immer noch dicht fallende Regen dies gestattete. Erst als er sie nicht mehr sehen konnte, atmete er leicht auf – und nahm war, langsam am Ende seines Schwunges angekommen zu sein. Schon sehr bald würde auch er fallen. Der General schlug probehalber einmal mit dem Flügel und verzeichnete, wie erwartet, keinerlei Stabilisation oder gar Antrieb, nur Schmerz. Er faltete den Flügel wieder in sich zusammen, ließ ihn in die Tiefen seines Körpers zurückkehren und bemerkte, dass der Fall begann. Jetzt kam es auf jede Sekunde an. Sephiroth kannte viele, viele Tricks, um den eigenen Sturz zu bremsen, und er führte die effektivsten immer wieder und wieder aus, unermüdlich, kämpfte um jede Sekunde und konnte doch nicht verhindern, dass der asphaltierte Boden Midgars immer näher und näher kam und er selbst sich trotz aller Tricks immer noch mit der Schnelligkeit eines Steins auf diesen zu bewegte. Der Augenblick, in dem der Boden förmlich auf ihn zusprang, ihm versicherte, seinen Körper mit aller Härte zu empfangen, ihm weitere Knochen zu brechen und vielleicht sogar sein Leben zu nehmen, kam mit aller Intensität, traf auf Nerven wie Drahtseile, begann, daran zu nagen ... Der General holte tief Luft. Und entfaltete blitzartig den schwarzen Flügel. Schlug ein paar Mal mit aller Kraft, peitschte die Luft, ignorierte alle Regeln ... Und landete aufgrund des in der Zwischenzeit geheilten Knochens nicht sanft, aber sicher und auf beiden Beinen stehend in einer glücklicherweise durch den Regen immer noch wie leergefegten Seitenstraße Midgars. Einen kurzen Augenblick lang verharrte er bewegungslos in dem Bestreben, das Gefühl, immer noch zu fallen, abzuschütteln. Es dauerte eine kleine Weile, aber letztendlich gelang es ihm. Erst dann, als alle Sinne davon überzeugt waren, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, ließ er den Flügel verschwinden, und begann mit einer Analyse des Kampfes. Besonders der Strategie, die ihn trotz aller Nachteile hatte gewinnen lassen. Warum konnte ich ihn letztendlich doch erledigen? Weil ich mich für meine Verhältnisse nicht typisch verhalten habe. Stattdessen bin ich ein Risiko eingegangen. Ich habe mich streckenweise nicht auf meine Fähigkeiten, sondern auf mein Glück verlassen. Das entsprach nicht meiner üblichen Vorgehensweise. Zack und manche meiner SOLDIER handeln hin und wieder so. Cutter ebenfalls. Es macht sie ... unberechenbar. Bei mir geht man immer davon aus, dass ich mein Bestes gebe. Logisch denke. Nicht weglaufe. Darauf hat dieses Wesen spekuliert. Wenn ich meinen Kampfstil in Bezug auf diese Biester also ändere ... genau einkalkulierte Fehler begehe, nur, um sie einen Moment später wieder zu korrigieren, ... würde das bedeuten ... Weiter kam er nicht. Auch die Augen dieses Wesens glühten grün, aber es war nicht dasselbe. Es stieß ein lautes Zischen aus und stürzte sich auf Sephiroth. Dieser ergriff sofort die Flucht (augenrollend, aber gespannt, ob seine neue Strategie der Schlüssel zum dauerhaften Sieg sein würde), und verschwand hinter einer Hauswand. Sein Gegner folgte ihm, schlitterte um die Kurve ... und kollidierte mit Masamune. Ihm blieb nicht einmal Zeit für die geringste Schrecksekunde, so schnell teilte das Katana seinen Körper in zwei säuberliche Hälften. Der General warf den traurigen Überbleibseln einen verächtlichen Blick zu und wandte sich seinem neuen, eben in seinem Blickfeld aufgetauchten, Gegner zu. Der Tag versprach, wesentlich besser zu werden, als er angefangen hatte! Letztendlich jedoch war kein Kampf gleich, und jeder einzelne forderte die Sinne des 1st Class SOLDIERs in höchstem Maße, zumal dessen Instinkt wieder so unentschlossen war, wie zu Beginn des ersten Kampfes. Sephiroth musste alles geben, um die Monster in Reichweite zu bringen, tricksen, täuschen, Risiken, hohe Risiken eingehen. Einmal tat er so, als sei er nach einer Attacke seines Gegners schwer verletzt und blieb einfach liegen, ein anderes Mal entfernte er sich humpelnd, dann wieder machte er mit voller Absicht einen Fehler ... Er siegte jedes Mal. Aber es waren die schwierigsten Kämpfe seines bisherigen Lebens. Und sie wurden von einem Gefühl überschattet, das der General nur zu gut kannte. Cutter war in Schwierigkeiten – und diesmal war es mehr als nur eine Situation, die sich nicht zum positiven entwickelte, sondern eine Mischung aus echter Todesangst und dem verzweifelten Hilferuf nach ihm. Dem Ruf jetzt schon zu folgen, war allerdings unmöglich, und so konnte der General nur auf die Fähigkeiten seiner Freundin vertrauen (vor allem die, am Leben zu bleiben), und sich bei seinem eigenen Kampf nicht ablenken lassen. Es endete mit den letzten fallenden Regentropfen und Einbruch der Dämmerung. Sehen konnte man sie nicht, da der Himmel immer noch wolkenverhangen war und unentschlossen schien, aber der General konnte sie spüren. Und als fürchteten Hojos neueste Kreationen die Finsternis, wichen sie zurück und verschwanden zwischen den Häusern. Sephiroth gestattete sich eine Sekunde Pause und setzte sich anschließend wieder in Bewegung, auf das Gefühl lauschend, das ihn so sicher zu Cutter bringen würde, wie ein Stück Eisen den Weg zu einem Magneten fand. Aber einem bestimmten Zeitpunkt wäre dieses Gefühl völlig überflüssig gewesen. Geräusche nahmen dessen Platz ein – Kampfgeräusche. Der General beschleunigte das Tempo, trat um eine Kurve und hielt inne, erfasste die Situation. Midgar war ein Sammelsurium aus Straßen, Gebäuden und Plätzen, wobei manche dieser Straßen nur den Sinn zu haben schienen, wenige Meter nach ihrem Anfang schon wieder zu enden, vorzugsweise als Sackgasse zwischen zwei Häusern. Was sich Sephiroth hier offenbarte, war eine solche Sackgasse, allerdings wurde diese von dreien der Labormonster belagert. Sie waren dabei, sich mit aller Kraft durch massiven, den Weg nach vorne und oben blockierenden Beton zu graben, kamen allerdings nicht richtig vorwärts, da der Beton ebenso schnell nachzuwachsen schien, wie sie ihn zerstörten. Fast hätte Sephiroth gelächelt. Sich in einem Berg aus Beton zu verstecken ... nur Cutter konnte auf eine solche Idee kommen. Aber er lächelte eben nur fast. Für gewöhnlich versteckte sich seine Freundin nicht vor einem Gegner! Sie kreuzte seinen Pfad ganz offen und schlug ihren Widersacher in die Flucht! Aber diesmal war sie ganz klar unterlegen – ein Zustand, den es schnellstmöglich zu ändern galt. Die drei Laborratten bemerkten die Gegenwart des Generals einen Sekundenbruchteil zu spät und bezahlten mit ihrer Existenz dafür. Sephiroth stieg über die leblosen Körper, in denen (wie bei den bereits getöteten Exemplaren) nicht ein Funken des Lebensstroms glühte, und legte eine Hand auf den kalten Beton. Mehr war gar nicht nötig, um Cutter über seine Anwesenheit zu informieren. Die Betonwand zog sich zurück und verschmolz wieder mit den Wänden der rechts und links des Weges liegenden Häuser. Sephiroth betrat die Sackgasse, folgte ihr etliche Meter, hielt schließlich inne und drehte sich zu einer der Wände. „Death Walker Tzimmek Cutter“, seine Stimme klang so kalt und hart, als spräche er mit irgendeinem seiner SOLDIER, „du hast dich der Befehlsverweigerung schuldig gemacht. Des weiteren bist du trotz mehrfacher Ermahnung nicht zu einer für dich äußerst wichtigen Schulung erschienen. Als Konsequenz streiche ich dir die restlichen freien Nachmittage dieses Monats!“ Cutter, in sitzender Position, die Luna Lance in den Händen haltend, reagierte nicht. Sie sah durch die Dunkelheit, die Hauswände und sogar durch Sephiroth selbst hindurch, als läge alles Wesentliche irgendwo dahinter, und schwieg. Ein Schweigen, das tiefer ging als jedes Wort und, bei Cutter, auf tiefe mentale und körperliche Erschöpfung hinwies. Der General ließ sich vor seiner Freundin in die Hocke gleiten. „Du bist verletzt.“ Jetzt klang seine Stimme nur noch ruhig und gefasst. Sachlich. Sie glich einem im Meer schwimmenden Stück Treibgut, groß und stark genug, um einem erschöpften Schwimmer die Möglichkeit zu geben, sich festzuhalten und vielleicht sogar tragen zu lassen. Und Cutter griff danach. Eine mentale Bewegung, die sich in der materiellen Welt als langsames Nicken äußerte. „Ja.“ Ihre Stimme klang völlig tonlos. „Was ist mit deinen Beinen?“ „Waren beide gebrochen. Ich habe sie mit Materia geheilt, aber ...“ Sie verstummte, schniefte leise und fuhr fort: „Ich ... ich habe versucht, diese Typen vom Töten abzuhalten, mit allem, wirklich allem! Aber es hat nicht geklappt. Sie haben einfach weiter Türen eingetreten und Menschen getötet, und es war ihnen ganz egal, wen sie erwischt haben. Und irgendwann hatten sie genug von mir und sind zu dritt auf mich losgegangen.“ „Das war zuviel für dich.“ „Sie hatten keine Line. Niemand von ihnen. Einer hat nur eine Sekunde gebraucht, um mich bewegungsunfähig zu machen. Er war so schnell ... Zum Glück befanden wir uns zu dem Zeitpunkt genau hier, also habe ich mich eingekerkert und gehofft, dass sie irgendwann die Lust verlieren. Aber sie haben nicht aufgegeben. Ich hatte so Angst, dass sie reinkommen ...“ Sie blinzelte. Tränen begannen über ihre Wangen zu laufen. „Diese getöteten Menschen ... ich konnte ihre Angst spüren. Und ihre Verwirrung. Und ...“, sie presste beide Hände auf die Ohren, „... ich kriege dieses Todesröcheln nicht aus meinem Kopf! Es geht einfach nicht weg ...“ Sephiroth seufzte leise. Genau deshalb ... Er streckte die Hände aus und schob Cutters eigene Hände vorsichtig, aber mit Nachdruck von den Ohren. „Deshalb habe ich dich ursprünglich zurück ins HQ geschickt.“ „Ich weiß“, wisperte Cutter und sah ihn zum ersten Mal seit Beginn der Diskussion ganz bewusst an. „Ich wusste es von Anfang an. Aber ich konnte einfach nicht auf dich hören.“ Sie schüttelte abermals den Kopf, schniefte leise und wischte sich energisch über die Augen. Trotzdem gelang es ihr nicht ganz, die feste Version ihrer Stimme zu finden. „Ich verstehe es nicht, Sephy. Diese Dinger ... leben doch irgendwie. Warum haben sie keine Line? Alles auf diesem Planeten hat eine Line, damit eine Kommunikation mit dem Planeten stattfinden kann. Und diese Bastarde sind definitiv keine Blue Wanderer!“ „Nein. Es ist ... Ich bin selbst in einen Kampf verwickelt worden und habe in dessen Verlauf einen Blick ins Innere dieser Wesen geworfen. Es ist eine neue Generation von Monstern - und eine weiterentwickelte Form meiner Selbst.“ „Das habe ich längst begriffen. Aber warum haben sie keine Line?! Sogar Monster haben eine! Sie sind ... anders als die von Menschen, Objekten oder Tieren, chaotischer, schwieriger, aber sie haben eine! Hojo mag alle möglichen Gesetze brechen und überlisten können, aber niemals den Planeten; so mächtig ist er nicht!“ „Anscheinend ist es ihm trotzdem gelungen.“ Die Stimme des Generals klang immer noch völlig ruhig und sachlich. „Ich denke allerdings nicht, dass es sich dabei um ein angestrebtes Ergebnis handelt.“ „Du hältst es für einen Zufall?“ „Was sonst bleibt übrig? Nicht einmal Hojo ist es möglich zu erforschen, was er nicht sichtbar machen kann. Fakt ist, etwas wie diese Wesen hat es niemals zuvor auf diesem Planeten gegeben. Vielleicht hat Gaia Probleme zu erkennen, was sie sind, und sie haben deshalb keine Line.“ „Du meinst, es könnte sich noch eine aufbauen?“ „Durchaus möglich. Aber ich bin kein Experte. Du schon.“ „Momentan nicht. Momentan bin ich einfach nur ... restlos kaputt. Was ist in der Stadt los? Ich habe Schüsse gehört.“ „Rufus hat eine vermutlich Ausgangssperre verhängt, deren Sicherstellung durch das Militär gewährleistet wird.“ „Schon wieder Gewalt. Oh, dieser Mistkerl! Und was ist mit diesen ... Dingern? Sind sie wieder im HQ?“ „Davon gehe ich aus. Sie werden wohl nicht mehr gebraucht.“ „Bis zum nächsten Mal. Und die Menschen können nicht weg. Weshalb ... Nein. Er will Solar Solution in die Enge treiben, nicht wahr? Hiwako zu einer unbedachten Tat oder gleich zur Kapitulation zwingen.“ „Ich gebe Solar Solution noch maximal eine Woche, dann wird ein erneuter Machtwechsel stattfinden.“ „Blut und Tränen. Immer wieder, Blut und Tränen. Kann ich denn wirklich nichts machen? Diese Biester mögen keine Line haben, aber Rufus hat eine, und ...“ „Vergiss nicht, Cutter, Rufus ist der Punkt, an dem alle Fäden zusammenlaufen. Wenn er stirbt, zerfällt die Electric Power Company in ihre Einzelteile. Es würde mich nicht wundern, wenn sich gewisse Dinge schon vorher selbst vernichten. Seine Konten zum Beispiel. Rufus würde sich eher beide Hände abhacken als zulassen, dass jemand außer ihm selbst Hand an sein Geld legt. Und ohne Geld sind selbst Hojo die Hände gebunden. Denn seine Arbeit verschlingt täglich Unsummen. Und betrifft auch dich.“ Er streichelte über Cutters Wange. „Glaub mir, in Situationen wie dieser gibt es nur eine einzige akzeptable Strategie.“ Cutter wollte protestieren. Aber die Fakten zerschlugen jedes Argument zu Staub. Und zwangen selbst sie zur Vernunft. „Also“, sagte sie schließlich leise, „A.B.R.?“ Sephiroth nickte. Abwarten. Beobachten. Reagieren. Der mit Abstand schlauste Plan in einer Situation, die man noch nicht vollständig zu überschauen vermochte, die einem mit Nebel gefüllten Tal glich, aus dem nur die Spitzen der höchsten Bäume herausragten. Jeder konnte sehen, dass es welche gab. Aber über deren genauen Zustand vermochte niemand etwas zu sagen. Bis auf weiteres musste das Wissen über die bloße Existenz von Bäumen ausreichen. Und so nickte auch Cutter. Gleichzeitig streckte sie die Hand nach der zerbrochenen Schulterrüstung aus. „Sephy, bist du verletzt?“ „Nein.“ Er schmunzelte. „Ich wollte meinem Gegner wenigstens einen Treffer gönnen. Alles andere wäre zu arrogant gewesen.“ „Angeber. Erzähl!“ Sie lauschte schweigend, schüttelte letztendlich den Kopf und konstatierte mit gänzlich veränderter, wesentlich düsterer Stimme: „Es wird nicht gut enden, oder? Letztendlich kriegt Rufus immer, was er will. Ganz egal, wie hoch der Preis ist. Und es spielt überhaupt keine Rolle, ob sich seine Opfer wehren oder nicht. Er wird Solar Solution vernichten, die Makoreaktoren wieder ans Netz bringen und den Planeten zerstören. Wir werden alle wegen des Größenwahns einer einzelnen Person sterben.“ Niemals zuvor hatte Sephiroth seine Freundin so hoffnungslos sprechen hören. Es beunruhigte ihn zutiefst! Und er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, als sei dies nur die Vorstufe zu wesentlich drastischeren, Cutter betreffenden Entwicklungen ... Dann rief er sich in Erinnerung, dass auch die junge Frau den ganzen Tag kämpfend verbracht hatte, und in welchem Zustand sie sich jetzt befand. „Phoenix, sieh dich an. Du bist klatschnass und völlig erschöpft. In diesem Zustand sieht alles äußerst trostlos aus. Was du jetzt brauchst, ist ein heißes Bad und Schlaf.“ „Hmhm“, machte Cutter leise. „Weißt du, du siehst momentan aus, als könntest du selbst mindestens eine dieser Sachen brauchen.“ „Tatsächlich? Dann bade ich mit dir.“ Ein Lächeln huschte über Cutters Gesicht. Gleichzeitig richtete sie die Luna Lance auf die zerstörte Schulterrüstung, reparierte diese ... und fiel Sephiroth um den Hals. „Dir ist nichts passiert ... Ich bin so froh!“ „Hast du ernsthaft einen anderen Ausgang des Kampfes erwartet?“ Aber gleichzeitig schob er seine Arme um ihren Körper, hielt sie fest auf eine Art und Weise, die überdeutlich versicherte, dass alle den Kampf betreffende Coolness momentan nur gespielt war. Es war knapp gewesen, unglaublich knapp. Und würde daher vermutlich kein weiteres Mal funktionieren. „Was werden sie jetzt tun?“, erkundigte sich Cutter leise. „Hojo und Rufus. Sie wollen dich immer noch erledigen. Wenn sie es mit diesen Monstern nicht schaffen ...“ „... werden sie sich etwas Neues ausdenken. Und ich werde es besiegen. Nichts und niemand kommt langfristig an mir und Masamune vorbei. Eigentlich sollten sie das mittlerweile wissen.“ „Hm“, machte Cutter leise und kuschelte sich enger an ihn. „Hmmh.“ Auch Sephiroth verstärkte seine Umarmung ein wenig. „Ich bin so froh, dass du lebst“, wisperte er irgendwann. „Und so kreativ bist. Die Idee mit dem nachwachsenden Beton war großartig.“ „Ich kam mir eher wie ein Feigling vor.“ „Ich kann dir versichern, du warst keiner. Also, hör wenigstens diesmal auf deinen General und Freund, ok?“ Und als Cutter nickte, fuhr er fort: „Gehen wir zurück ins HQ.“ „`Herz der Finsternis´ trifft es besser.“ „Wann hattest du Zeit, Comics zu lesen?“ Gleichzeitig kam er auf die Beine und zog Cutter mit sich. Gemeinsam verließen sie die Seitenstraße. So leer Midgar während des Gewitters gewesen war, so voll fanden sie es jetzt vor, aber es war ausschließlich ShinRa Militär, das schwer bewaffnet in den Straßen patrouillierte und die Bevölkerung zwang, in den Häusern zu bleiben. Cutter nahm dieses ganze Szenario in sich auf und konnte spüren, wie der seelische Schmerz stärker wurde. Es war einfach nicht richtig. All das hier entbehrte jeder Grundregel. Es ließ einfach alles vermissen, wofür so viele Menschen täglich kämpften. Respekt, Toleranz, Freundlichkeit ... Es war eine pure Machtdemonstration, erfüllt von Finsternis und Verachtung. „Weißt du“, sagte die junge Frau irgendwann leise zu ihrem Begleiter, „in diesem Comic geht’s ähnlich zu, wie hier. Nur, dass es dort einen Superhelden gibt, der gegen das Böse kämpft und es letztendlich vernichtet. Und dann ist alles gut.“ „Die Bösen bestraft und die Guten leben glücklich bis an ihr friedliches Lebensende? Dieses Szenario brauchst du in der realen Welt nicht zu suchen.“ „Aber ich würde es mir so sehr wünschen. Dass ein Superheld kommt und alles wieder in Ordnung bringt. Einfach, weil die Guten es verdient haben.“ „Das Argument reicht in dieser Welt nicht aus.“ „Ja.“ Ihre Stimme klang immer noch sehr leise. Und sehr traurig. „Es sollte anders sein.“ Als sie um die nächste Straßenecke bogen, tauchte das gigantische ShinRa HQ am Ende der Straße vor ihnen auf, wie ein König in seinem Thronsaal, majestätisch, erhaben, unnahbar und besitzergreifend. Der große Puppenspieler, der an den Fäden zog. Cutter hatte sich nie für eine Marionette der Electric Power Company gehalten – aber im Rahmen der jüngsten Ereignisse konnte sie spüren, dass diese Ansicht nicht zutraf. Die ungewollten Verbindungen waren überall. In ihren Gedanken, an ihrem Körper, in ihrem Herzen. Und sie schmerzten. Durchtrennen allerdings ließen sie sich nicht, denn jede einzelne von ihnen hinderte die junge Frau daran, abzustürzen. Und die Puppenspieler wussten das nur zu gut. Wirklich, dachte Cutter. Hat mein Protest jemals irgendetwas am System geändert? Nein. Ganz egal, wie sehr ich mich gesträubt habe, dieses oder jenes mit den Lines nicht zu tun, man hat immer Mittel und Wege gefunden, mich zu zwingen. Oder habe ich mich zwingen lassen? Nein. Die Konsequenzen wären für mich untragbar gewesen. Aber dafür waren die Lines niemals vorgesehen, niemals ... Dennoch habe ich sie genau dafür benutzt. Von Anfang an. Ich habe widerwillig, aber aktiv geholfen, ShinRa´ s Macht zu steigern. Und das heißt, der aktuelle Zustand der Stadt und selbst der des Planeten ist zum Teil auch meine Schuld. Dasselbe gilt für die heute gestorbenen Menschen. Denn wenn Widerwillen einen nicht davon abhält, eine Tat zu begehen, welchen Sinn sollte er im Nachhinein noch haben? Sephiroth fiel auf, wie still seine Freundin und wie seltsam das von ihr empfangene Gefühl war, aber er fragte nicht, wissend, dass sie zu ihm kommen würde, wenn die Last zu schwer wurde. Und so gingen sie schweigend nebeneinander her, betraten schließlich das trügerisch friedlich wirkende HQ und steuerten die Aufzüge an. Lange dauerte es nicht, ehe sich die Türen vor einer der Kabinen öffneten. Der Blick ins Innere allerdings offenbarte ein Überraschung der eher unschönen Sorte. Es gab genau zwei Personen, mit denen Cutter so wenig Zeit wie möglich verbringen wollte. Nicht, weil sie sich fürchtete (obwohl diese Furcht durchaus angebracht gewesen wäre), sondern weil diese beiden Menschen sie reizten, auf jede nur erdenkliche Art und Weise, und sie förmlich herausforderten, ihnen Schranken zu setzen. Genau das nicht zu tun, gehörte zu den größten Regeln, die Cutter täglich einhalten musste. Eine dieser beiden Personen war Rufus Shinra. Die andere ... Hojo verzog keine Miene hinsichtlich des sich ihm bietenden Anblickes. Er sagte kein Wort, als Sephiroth und Cutter die Kabine betraten. Die Türen schlossen sich, der Fahrstuhl glitt weiter nach oben. Etliche Sekunden blieb es ganz still. Dann allerdings ... „Du lebst noch.“ Die Stimme des Professors war kälter als Eis. „Zu schade.“ „Deine billigen Kopien“, antwortete Sephiroth zu gleichen Teilen gelangweilt wie verächtlich, „können mir nichts anhaben.“ „Noch.“ Der General ließ sich nicht zu einer weiteren Antwort herab, berührte aber warnend Cutters Schulter, vermittelte eine ganz bestimmte Botschaft. `Lass es!´ Seiner Aufforderung wurde Folge geleistet. Wenige Sekunden später hielt der Fahrstuhl auf der Ebene der Wohnmöglichkeiten für Offiziere. Sephiroth und Cutter stiegen aus, die Türen schlossen sich wieder, die kleine Kabine setzte ihren Weg fort. „Eines schönen Tages“, knurrte der Death Walker, „wenn du nicht hinguckst, verwandle ich ihn in eine Ratte und werde ihm irgendeine eklige Rattenkrankheit verpassen! Ich hab schon recherchiert.“ „Death Walker Cutter `Phoenix´ Tzimmek! Du hast zuviel Freizeit.“ Und dann, sachte schmunzelnd: „Verpass ihm die fieseste Krankheit, die deine Recherchen ergeben haben.“ „Deal!“ Und dann, wesentlich friedfertiger: „Ich glaube, ich freue mich auf die Badewanne.“ Sephiroth nickte. Er sich auch. Von `Freude´ waren Rufus und Hojo weit entfernt. Sie zogen es vor, mit der gewohnten Professionalität den ersten Einsatz der S-1 Einheiten auszuwerten – und Rufus war, wie üblich, nicht zufrieden. „Sie haben mir Perfektion versprochen, Professor! Das gelieferte Endergebnis entspricht nicht meinen Erwartungen!“ Hojo schnappte entrüstet nach Luft. „Sie wollten Wesen, ausgestattet mit Kräften, die sonst nur Maschinen erreichen! Schmerzunempfindliche Kreaturen ohne Moralvorstellungen und Werte, die kein eigenes Bewusstsein und keine Gefühle haben, sondern nur den gegebenen Befehlen von autorisierten Personen gehorchen, bis diese Befehle erfüllt sind! Wesen, die kämpfen, bis sie auseinanderfallen! Die keinen Schlaf, keine Erholung und keine Bezahlung benötigen! Eine Mischung aus meiner Genialität, Ihren Anweisungen und Jenovazellen! Genau das habe ich ihnen gegeben!“ „Wenn sie perfekt wären, hätten wir Crescent jetzt nicht mehr am Hals!“ „Das liegt an diesem verfluchten Schwert!“, ereiferte sich Hojo. „Nichts auf ganz Gaia kann dieser Klinge ...“ Rufus war sehr nach einem Nicken zumute, aber er beherrschte sich. Masamune war eine einzigartige Waffe und sie lag in den Händen eines einzigartigen Schwertkämpfers. Auf dem sichtbaren Schlachtfeld war diese Kombination nicht zu stoppen. Aber es gab noch die anderen. Solche, auf die Jenova Projekt 1 seine bevorzugte Waffe nicht mitnehmen konnte. Die unsichtbaren, die innerlichen Schlachtfelder. Eines von ihnen würde sich schon sehr bald eröffnen. „Es war nicht nur das Schwert“, unterbrach Rufus betont gelangweilt. „Sie haben Crescents Kämpfe gegen die S-1 Einheiten mit Hilfe der in der Stadt angebrachten Überwachungskameras ebenso aufmerksam verfolgt, wie ich. Er hat seine Gegner ausgetrickst.“ „Das hätte er nicht tun dürfen!“ „Vielleicht“, der Spott in Rufus´ Stimme war unüberhörbar, „hätten Sie es ihm sagen sollen. `Bleib einfach stehen und lass dich umbringen.´ Ich bin ganz sicher, er hätte auf Sie gehört.“ Gleichzeitig parierte er mühelos einen giftigen Blick seines Gesprächspartners und schüttelte den Kopf. „Vergessen Sie diesbezüglich die S-1 Einheiten.“ Ein kaltes Feuer begann in seinen Augen zu glühen. „Wir erledigen Jenova Projekt 1!“ „Tun wir das, Mr. President. Und wie?“ „Ich dachte an ... Nibelheim.“ Hojo lächelte finster. „Das gesamte Nibelheim, Mr. President?“ „Die gesamte Wahrheit. Er wollte sie doch so sehr erfahren. Wir zeigen sie ihm. Danach wird er sich uns entweder für immer unterordnen, oder seinem Leben selbst ein Ende setzen. Immerhin hält er sich momentan für einen Menschen. Die Erkenntnis, doch keiner zu sein, dürfte ihn zutiefst schockieren.“ Hojos finsteres Lächeln verstärkte sich. „Dann also Nibelheim. Ich werde alle entsprechenden Vorbereitungen treffen.“ „Vorher kümmern Sie sich um die Aufstockung der S-1 Einheiten, sie werden für meine weiteren Pläne benötigt. Und, Professor? Es gibt da noch eine Aufnahme, die Sie sich ansehen sollten.“ Er drehte den Bildschirm des Laptops in Richtung Hojo und startete eine weitere, durch die Überwachungskameras aufgenommene Kampfszene. Zu sehen waren Cutter und die S-1 Einheiten – und wie diese die junge Frau in die Enge trieben, bis sich diese hinter dem Beton versteckte. Rufus beendete die Vorführung. „Fällt Ihnen etwas auf?“ „Ja. Sie lebt noch.“ „Das meine ich nicht. Sie kämpft nicht, wie gewohnt. Normalerweise verwandelt sie ihre Angreifer in irgendetwas völlig Harmloses. Aber diesmal hat sie es nicht getan, obwohl ihr Leben in Gefahr war. Sie haben bei Ihrer Entwicklung der S-1 Einheiten ein weiteres Mal das Ziel verfehlt, Professor.“ Hojo sog zischend die Luft ein und erkundigte sich eisig: „Was wollen Sie damit andeuten, Mr. President?“ „Dass sie stellenweise sogar über das Ziel hinausgeschossen sind, verehrter Professor. Denn es scheint, als hätten unsere S-1 Einheiten ... keine eigene Line.“ Hojo schwieg einen Augenblick. Dann begann er zu kichern, zuerst leise, dann laut. Es wurde zu einem Lachen, das selbst Rufus kalte Schauer über den Rücken jagte. „Fabelhaft! Großartig! Mr. President, wissen Sie, was das bedeutet?“ „Detaillierter, als Sie!“, antwortete Rufus betont verächtlich, konnte Hojos Freude aber nicht bremsen. „Wir werden eine Armee haben, die nicht einmal von Tzimmek oder dem Planeten beeinflusst werden kann! Niemand wird sie aufhalten können! Niemand!“ „Bis auf Jenova Projekt 1“, bemerkte Rufus trocken und mit hörbarem Widerwillen. „Hätten Sie damals nicht die Kontrolle über ihn verloren, könnten wir jetzt anders vorgehen, um uns seiner zu entledigen. Aber Sie mussten ja im entscheidenden Moment versagen.“ Bei aller von Hojo an den Tag gelegten bösartigen Genialität konnte es nie schaden, ihn des öfteren auf seinen größten Fehltritt hinzuweisen. Am besten täglich. (Und am liebsten stündlich, aber dafür fehlte es Rufus leider an Zeit.) „Nun ja, wir werden ihn mit Nibelheim erledigen.“ „Sie können Sich auf mich verlassen, Mr. President!“ Genau das, dachte Rufus, werde ich nicht tun. Und die heimlich in deinem Labor installierten Kameras werden mir bei deiner Überwachung gute Dienste leisten. Die Sache mit Jenova Projekt 1 allerdings dürfte in wenigen Tagen geklärt sein. Endlich! Endlich wird es der Electric Power Company gelingen, sich dieses viel zu stark gewordenen Risikofaktors zu entledigen! Ruhe wird einkehren. Und ich kann endlich wieder friedlich schlafen. Nur noch ein paar Tage! Sieh dich vor, Jenova Projekt 1! Diesmal breche ich deinen Willen vollständig! Besagtes `Projekt´ ahnte nichts von den finsteren Plänen, in denen es gänzlich ungewollt die Hauptrolle spielen würde. Erst jetzt, nach dem langen heißen Bad mit Cutter (und nach dem langsamen, gefühlvollen Sex, denn es war beiden unmöglich gewesen, sich nackt in derselben Wanne zu befinden ohne dem anderen körperlich so nah wie möglich zu sein) bemerkte er, wie müde er selbst war. Auch Cutter schien förmlich im stehen einschlafen zu wollen, und so dauerte es nicht lange, ehe sie schlafen gingen. Für gewöhnlich wartete Sephiroth ab, bis die eng an ihn geschmiegte Cutter eingeschlafen war, aber diesmal gelang es ihm nicht. Aber er wachte auf, als sie sich irgendwann von ihm löste und das Bett verließ. Der General wartete auf ihre Rückkehr, auf das erneute Anschmiegen, das seine Freundin in einer Perfektion beherrschte, die ihn schon nach wenigen Sekunden glauben ließ, der Körper in seinen Armen sei nie fort gewesen. Aber diesmal kam sie nicht zurück. Irgendwann verließ Sephiroth das Schlafzimmer, um sie zu finden. Die unsichtbare Verbindung zwischen ihr und ihm führte ihn direkt auf den Balkon. Cutter saß auf dem Boden, an die Wand gelehnt, und starrte ins Leere, so intensiv, dass sie zusammenzuckte, als sie ihn neben sich bemerkte. „Hey“, sagte sie dann leise. „Hab ich dich geweckt?“ „Ein bisschen.“ Und dann, obwohl der Sachverhalt im Grunde klar genug war, um sich jede diesbezügliche Frage zu sparen: „Phoenix, kannst du nicht schlafen?“ Kopfschütteln. „Ich hab´ s versucht. Aber jedes Mal, wenn ich kurz vorm Einschlafen bin, habe ich wieder dieses Todesröcheln im Kopf – und bin sofort hellwach.“ Sephiroth seufzte leise, aber nicht genervt, und ließ sich neben ihr nieder, spürte nur wenige Herzschläge später, wie sich ihr Kopf auf seine Schulter legte. „Die Erinnerungen sind noch sehr frisch.“ Seine Stimme klang sanft, verstehend. „Sie werden im Laufe der Zeit ihre Schärfe verlieren.“ „Meinst du?“ Tränen glitzerten in ihren Augen. „Ich glaube nämlich, nicht.“ „Ich meine nicht nur, ich weiß es. Weil es bei mir genauso war.“ Er schwieg einen Moment. „Das Geräusch, wenn sich früher im Labor die Eisenfesseln um meine Hand- und Fußgelenke schlossen ... Es hatte einen ganz speziellen Klang. Sehr ... hart. Und, natürlich, Hojos Stimme. Das ganze Labor und die Vorgänge darin. Ich weiß nicht, was grausamer war: Die Erinnerungen an all die dort stattgefunden Experimente oder der Gedanke an die neuen Versuche. Mein Körper hat sich immer wieder regeneriert, aber du weißt, wie tief die mentalen Verletzungen waren. Ich war mir so sicher, niemals darüber hinwegzukommen und habe sie akzeptiert, statt etwas dagegen zu tun. Dann sind ... so viele Dinge geschehen, die mir geholfen haben, und heute sind all diese Verletzungen, bis auf einige wenige Ausnahmen, vollständig verheilt. Deine werden genauso heilen.“ Cutter glaubte und vertraute Sephiroth, weil die von ihm vorhergesagten Dinge für gewöhnlich genau so eintrafen. Sie hätte so gerne genickt! Aber momentan fehlte ihr selbst für diese kleine und doch so aussagekräftige Bewegung die Kraft. „Worüber grübelst du noch?“, erkundigte sich ihr Freund leise. „Über mich. Und ShinRa. Hiwako. Und den Planeten. Ich muss ständig daran denken, dass ...“ Sie verstummte. Aber Sephiroth hatte keine Probleme, den Rest des Satzes zu ergänzen. „... auch du gewissermaßen schuld an der aktuellen Situation bist. Wie jeder, der für ShinRa arbeitet. Vom niedrigsten, bis hin zum höchsten Rang.“ „Aber ich bin anders! Ich hätte die Macht ... die Fähigkeiten, alles zu verändern!“ „Die du deiner Rückkehr und der militärischen Rangordnung untergeordnet hast.“ „Ja. Und mittlerweile denke ich, das war grundfalsch. Missversteh mich nicht, ich wollte unbedingt zurück zu dir und Zack! Aber ... vielleicht hätte es noch einen anderen, besseren Weg gegeben.“ „Damals nicht. Es ist sinnlos, sich Gedanken darüber zu machen. Was war, ist vergangen. Wir müssen unsere Kraft nutzen, die Gegenwart zu bewältigen. Sich schuldig zu fühlen ist wenig hilfreich, wenn man daraus keine Lehre ziehen kann oder die Umstände eine Weiterentwicklung dieser Lehre, in Form von Taten, verhindern.“ „Du meinst also, ich soll weitermachen wie bisher, weil ich sowieso nichts ändern kann?“ Ihre Stimme hatte einen seltsamen Klang. Als habe tief in ihr irgendetwas einen Sprung, der sich rasch ausbreitete. „Ich meine“, antwortete Sephiroth ruhig, „diese Sache hat ein Ausmaß angenommen, das weder du noch ich in gewünschtem Ausmaß beherrschen können. Wann habe ich zum letzten Mal zugegeben, irgendetwas nicht zu können?“ Cutter schwieg einen Moment. „Ich kann mich nicht erinnern.“ „Dann glaub mir einfach, Phoenix. Momentan können wir nichts tun, aber wir werden trotzdem wachsam bleiben und unsere Chance nutzen, sobald sie sich bietet. Also steigere dich nicht in diese Situation herein. Schuld ist etwas sehr Gefährliches. Sie kann dich in die lichtlose Tiefe ziehen, wie ein schwerer Stein. Ich würde dir zwar ohne zu zögern hinterher springen, aber wenn du dich nicht wehrst, verschenkst du vielleicht gerade die Sekunde oder die Situation auf die es ankommt, um dich wieder zu befreien.“ Cutter schmunzelte sachte. Es tat gut zu wissen, dass es jemanden gab, der ein Auge auf sie hatte. Aber gleichzeitig wusste sie mit tiefer innerer Gewissheit, dass es diesmal nicht ausreichen würde. Eine einmal gewonnene Erkenntnis ließ sich nur sehr schwer wieder verdrängen, und gerade die, aktiv an der momentanen Situation Midgars beteiligt zu sein, hatte sich mit scharfen Widerhaken in das Bewusstsein der jungen Frau gegraben. Und drang beständig (und äußerst schmerzhaft) tiefer ein. „Ich hätte es wissen müssen.“ Destins Stimme war nur ein Flüstern. „Dass Rufus etwas Derartiges plant. Ich hätte es wissen müssen.“ „Hättest du dann irgendetwas anders gemacht?“ Rogers Stimme am anderen Ende der Leitung klang ein wenig leiser als sonst, und tief in ihr glühte namenloses Entsetzen über die vergangenen Stunden. „Ja“, wisperte Destin. „Ich hätte es gar nicht erst begonnen.“ „Aber du hast es begonnen. Du ... verdammt, Destin, dich trifft keine Schuld!“ Seine Stimme gewann zunehmend an Energie. „Du hast selbst gesagt, der Planet hatte fast keine Kraft mehr. Wenn er stirbt, sterben wir alle! Dieses ganze Szenario, inklusive der heutigen Morde, geht aufs Konto des machtgeilen Rufus, und das weißt du! Also hör auf, dir irgendwelche Schuldgefühle einzureden, kapiert?!“ In Rogers Stimme klang noch eine andere Botschaft mit. `Sag Ja, oder ich stehe innerhalb von 3 Minuten vor deiner Tür und wir werden solange diskutieren, bis du mir glaubst!´ Keine gute Idee hinsichtlich des in den Straßen auf- und ablaufenden Militäraufgebotes. „Ja.“ Destin war selbst überrascht, wie ruhig seine Stimme schlagartig klang. „Das habe ich gesagt. Ich ... hatte es völlig vergessen. Du hast Recht! Es ist alles Rufus´ Schuld!“ „Na bitte! Destin, was heute passiert ist ... Es ist grausam und brutal, aber es wird Rufus nichts nützen! Der Untergang seines Unternehmens ist beschlossene Sache, ganz egal, wie sehr er strampelt! Denk dran, der Planet ist auf unserer Seite.“ „Ich werde es nicht wieder vergessen.“ Sie beendeten das Gespräch. Destin legte das Telefon weg, ließ sich in seinem Stuhl zurücksinken und schloss die Augen. Der Planet ist auf unserer Seite? Wirklich? Weshalb hat er diese Leute dann nicht beschützt? Mittlerweile dürfte er doch genug Kraft gesammelt haben. Wie nur konnte er dieses Massaker zulassen? Liegt Gaia am Ende gar nichts an uns, sondern nur an sich selbst? Habe ich ... etwas Wichtiges missverstanden? „Bitte“, flüsterte er, „sprich mit mir. Sag mir, dass ich mich irre. Erklär es mir ...“ Er begann zu warten. Auf die Müdigkeit. Den Schlaf. Und den Traum. Den Traum, der ihm alles erklären würde. Er wartete die ganze Nacht. Vergeblich. Und als der Morgen graute, wusste Destin mit Gewissheit, dass er keine Antwort bekommen würde, sondern stattdessen die Tatsache akzeptieren musste, verraten worden zu sein. Von der Existenz, für die er so hart gekämpft, an die er so geglaubt hatte, für die Menschen gestorben waren ... Und er verstand es nicht. Aber er sollte keine Zeit haben, sich weiter darüber Gedanken zu machen, denn der Schrecken war noch nicht vorbei. Der Fernseher schaltete sich ein. Destin zuckte erschrocken zusammen und suchte mit dem Blick nach der Fernbedienung – aber diese lag auf dem Gerät. Der Fernseher hatte sich von ganz alleine aktiviert! Und nur wenig später wurde klar, wer dafür gesorgt hatte. Das ShinRa Logo füllte, untermalt von der Hymne der Electric Power Company, den ganzen Bildschirm. Und nicht nur diesen. Die Töne waren schlagartig in der ganzen Stadt zu vernehmen, und ein Blick aus dem Fenster sagte Destin, dass auch die großen, überall in Midgar benutzten Reklametafeln dasselbe Bild zeigten, wie der Fernseher. Etwa eine Minute lang. Dann verschwand das Logo, die Musik verstummte. Rufus erschien. Er saß hinter einem tiefschwarz glänzenden Schreibtisch und lächelte wie ein Raubtier, das gerade seine Lieblingsbeute in die Enge getrieben hatte und sich nun fragte, welches Körperteil er zuerst angreifen sollte. „Guten Morgen, Midgar.“ So freundlich seine Stimme klang, man konnte die blitzenden, scharfen Reißzähne förmlich hören. „Gut geschlafen? Süß geträumt?“ Die Betonung machte überdeutlich, dass er nur aus purem Spott fragte, und eine Antwort nicht die geringste Rolle spielte. „Ich habe keine Sekunde geschlafen. Ich musste denken. Für mich ... und letztendlich auch für euch. Und ich bin zu einem Entschluss gekommen. Ich möchte mich für das gestrige Verhalten meiner neuesten S-1 Spezialeinheiten entschuldigen. Sie waren ... vielleicht ... ein wenig grob. Aber das lässt sich auf ihre Sorge bezüglich ihres Arbeitsplatzes zurückführen. Die Electric Power Company ist der größte Arbeitgeber dieses Planeten, und eine Schließung wäre ... nennen wir es vorsichtig: Unerwünscht. Das umschreibt einen Zustand, der sich für alle Beteiligten höchst unangenehm auswirken würde. Von daher danke ich den Bewohnern Midgars für ihre Entscheidung, der Solarenergie den Rücken zu kehren und die Energieversorgung wieder gänzlich in die Hände ShinRa´s zu legen. Das schließt die schnelle, für euch relativ kostengünstige Entfernung der Solarplatten mit ein. Wann ich diese Last von euch nehme, liegt ganz bei euch.“ Seine Stimme änderte sich, wurde merklich kälter und befehlender. „Bringt mir Hiwako Destin! Bis es soweit ist, werden meine S-1 Einheiten jeden Tag mindestens einmal durch die Stadt ziehen und eure Entschlussfreudigkeit auf die bereits bekannte Art und Weise fördern! Zum nächsten Mal in ... ach, lasst euch überraschen. Es liegt ganz in euren Händen, dieses für euch sicher höchst ungewollte Szenario zu beenden. Euch allen noch einen schönen Tag!“ Das Bild verblasste. Stattdessen erschien erneut das ShinRa Logo. Auf jedem Fernseher, auf jeder Reklametafel. Lautlose Versicherung für `ShinRa ist überall!´ Destin nahm es kaum wahr. Er fühlte sich wie mit Eiswasser übergossen und gleichzeitig in Brand gesteckt. Es war noch nicht vorbei ... Die entsetzlichen Ereignisse des gestrigen Tages würden sich wiederholen ... immer und immer wieder ... Bis er sich stellte. Destin seufzte tief auf, schloss die Augen, ließ den Kopf auf die am Rand der Tischplatten liegenden Arme sinken und nahm wahr, heftig zu zittern. Jetzt hing jedes einzelne Leben in Midgar von seiner Entscheidung ab. Und er würde eine Entscheidung treffen müssen. Ganz allein. ----------------------------------------------------- Nachtrag, 04.12.10 Liebe Fans, Freunde und Komplizen, ich wollte es nicht wahr haben, kann es aber nicht weiter leugnen. Leider ist trotz aller Planung, aller Arbeit und aller investierter Zeit in `Blue Wanderer´ jetzt genau das passiert, was ich eigentlich um jeden Preis verhindern wollte: Mein Vorsprung an fertig geschriebenen Kapiteln ist zu Ende und der Rest (inklusive des für diesen Samstag vorgesehenen Updates) ist mehr oder weniger Baustelle. Ich sehe mich daher gezwungen, `Blue Wanderer´ auf Eis zu legen, bis es mir gelungen ist, diese Baustelle/n in etwas zu verwandeln, das man gefahrlos betreten kann. Im Grunde fehlt auch gar nicht mehr viel, aber was fehlt, ist wirklich wichtig. Tut mir leid, aber das ist die einzige Möglichkeit. Liebe (und gleichzeitig zerknirschte ) Grüße B. Kapitel 53: Loosing my religion ------------------------------- Die sich nach Rufus Rede über die Stadt legende Stille beinhaltete nie zuvor gekanntes Entsetzen. Die Electric Power Company war noch niemals ein sanfter Herrscher gewesen, aber die jetzt an den Tag gelegte Brutalität vermochte selbst die hartgesottenen Bürger zu erschrecken, und ganz Midgar stellte sich dieselben Fragen. 1. Wo war Hiwako Destin? Und 2. Wie würde er reagieren? Denn jetzt lag der weitere Verlauf der Ereignisse ganz allein an ihm. „Oh, dieser verdammte Mistkerl.“ Das Entsetzen in Zacks Stimme hätte für die gesamte Bevölkerung des Planeten gereicht. „Ich hätte Rufus ja viel zugetraut, aber so was ...?“ Er warf dem ihm gegenüber sitzenden Sephiroth einen langen Blick zu. „Wenigstens wissen wir jetzt, was er vorhat. Und, was sich Hojo im Labor zusammengebastelt hat.“ „Ohne jeglichen Zweifel.“ Die Stimme des Generals klang sehr düster. Er hatte Zack in seinem Büro auf den neuesten Stand der Dinge gebracht und war eben fertig geworden, als schlagartig der Fernseher angegangen war. Jetzt waren beide 1st Class SOLDIER wirklich vollständig informiert. „Ob sich Hiwako jetzt freiwillig stellt, was meinst du?“ Sephiroth schwieg und lauschte auf seinen Instinkt. „Ich weiß es nicht“, antwortete er schließlich relativ unzufrieden. „Du weißt etwas nicht?“, stichelte Zack grinsend. „Der große General Sephiroth ist ratlos! Dass ich das noch erleben darf!“ „Nach dem gestrigen Tag“, fuhr Sephiroth mit einem im Unterton deutlich hörbaren `Lass es, Zackary!´ fort, „dürfte er ziemlich demoralisiert sein und sich permanent fragen, warum der Planet nicht eingegriffen hat.“ Zack stellte das breite Grinsen ab und wurde wieder ernst. „Das ist allerdings ziemlich seltsam. Die Solarplatten hat er beschützt.“ Er schüttelte heftig den Kopf. „Das passt doch alles nicht zusammen, Seph! Warum vernichtet der Planet ShinRa nicht einfach? Gaia hat doch mit dem Verschwinden der Reaktoren überdeutlich gemacht, wozu sie in der Lage ist, und mittlerweile dürfte noch mehr Kraft da sein. Weshalb macht sie nicht weiter?“ Und dann, ohne eine Antwort abzuwarten: „Wäre das ein Puzzle, würde ich jetzt eine Schere holen.“ Sephiroth gestattete sich ein leises Stöhnen. „Zackary Fair, du bist furchtbar!“ „Danke für das Kompliment“, grinste Zack, wurde dann jedoch schlagartig erneut ernst. „Aber ganz abgesehen von den ShinRa Geschichten haben du und Cuttie ja auch ganz andere Probleme.“ „Das hängt davon ab, wie geschickt wir uns anstellen.“ Eine für Sephiroth völlig typische Antwort. Es lag ihm im Blut, eine Gesamtsituation niemals als solche zu sehen, sondern auf der Suche nach einer Schwachstelle auseinander zu nehmen. Zu 99,9 % wurde er fündig. „Geht es Cuttie schon besser?“, erkundigte sich Zack. „Nicht seit gestern Abend. Ich ... mache mir Sorgen um sie. In letzter Zeit geschehen zu viele Dinge gegen ihren Willen.“ „Darüber“, antwortete Zack sehr ernst, „habe ich auch schon nachgedacht. Im Grunde ist es nach wie vor dasselbe Problem: ShinRa ist das genaue Gegenteil von Cutties Psyche und daher ein enorm starker Gegner. Cuttie hat sich oft gewehrt, auch oft mit Erfolg, aber jetzt sind die Dinge einfach stärker als sie.“ „Außerdem“, ergänzte Sephiroth leise, „fängt sie an, ihr Verhalten innerhalb ShinRa zu analysieren und zu beurteilen. Für gewöhnlich begrüße ich dieses Vorgehensweise, da sie zur Fehlervermeidung beiträgt. Aber Cutter beginnt, an sich zu zweifeln - und sich die Schuldfrage zu stellen.“ „Oh, gefährlich!“ „Ja. Ich habe versucht, sie davon abzubringen. Aber du weißt, wie emotional sie ist und wie leicht man sich in der Schuldfrage verlieren kann.“ Zack nickte. Die Schuldfrage ... Es gab in seinem ganzen Bekannten- und Freundeskreis niemanden, der sich im Rahmen seiner ShinRa Karriere diese Frage nicht schon mindestens einmal gestellt hatte. Sie war so schwer zu beantworten ... Wo begann `Schuld´? Schon beim Griff nach der Waffe oder doch erst im Kampf? Machte sich der Unterzeichnende auf einem Todesurteil nicht ebenso schuldig, wie die den Beschluss ausführende Kraft? Und wo endete `Schuld´? Bei einer Erkenntnis? Einer Akzeptanz? Dem eigenen Tod? Wer war `schuldig´? Und wer nicht? Wer konnte sich überhaupt erlauben, darüber zu richten? Es gab Fragen, die man sich besser niemals stellte - und wenn doch, dann nur in Gegenwart der richtigen Personen. Aber niemals allein ... „Mein Instinkt“, fuhr Sephiroth mit ruhiger, fester Stimme fort, „sagt mir, dass die Situation kurz davor ist, in eine für Cutter noch unvorteilhaftere Richtung zu kippen, und deshalb werde ich meine Freundin verstärkt im Auge behalten, um einschreiten zu können, wann immer es nötig ist. Selbst, wenn ich sie dabei verletzen muss. Ich wünsche also, dass du dich zurückhältst!“ Zack nickte ernsthaft. So gerne er Cutter mochte, diesmal hatte Sephiroth Recht. „Wenn ich irgendwie helfen kann, lass es mich wissen!“ Sephiroth nickte und wollte noch ein Wort des Dankes anfügen, aber die sich öffnende Tür war schneller. „Cuttiiiiiiiiiiieeeee“, jubelte Zack, stürmte auf sie zu und drückte sie an sich. Es gab im ganzen ShinRa HQ niemanden, der ein „ie“ so lang ziehen konnte, wie 1st Class SOLDIER Zackary Fair. Cutter erwiderte die Umarmung. Ganz egal, wie erschöpft und müde sich die junge Frau fühlte, es tat gut, so fröhlich begrüßt zu werden. „Neuer Rekord“, merkte sie irgendwann sachte schmunzelnd an. „Kannst aufhören.“ „ ... iiiiiieeeeeee ... ich hätte aber noch Luft für 5 Sekunden ... iiiieeeeeeee ...“ Kurze Zeit später allerdings musste er wirklich Luft holen. Gleichzeitig lockerte er grinsend seine Umarmung, wuschelte der jungen Frau durch die Haare und kehrte brav zu seinem Platz zurück. Auch Cutter setzte sich wieder in Bewegung, allerdings diesmal auf den immer noch hinter dem Schreibtisch sitzenden Sephiroth zu, und schlang wortlos die Arme um seinen Hals. Es tat so gut, die Wärme des anderen Körpers zu spüren, und die ebenso wortlose Erwiderung der Umarmung versicherte ihr, Willkommen zu sein. Es dauerte etliche Sekunden, ehe sich die beiden wieder voneinander lösten. „Wie war dein Besuch in Rufus´ Büro?“, erkundigte sich der General, nachdem Cutter auf der Kante seines Schreibtisches Platz genommen hatte. Die junge Frau verzog das Gesicht. „Mies. Absolut, endlos und grauenhaft mies. Dass ich die Stadt immer noch mit den Lines überwachen soll, ist wirklich eine Frechheit. Oh, er lässt sich jetzt übrigens von diesen S-1 Dingern bewachen.“ „Das ging ja schnell“, knurrte Zack. „War zu erwarten“, kommentierte Sephiroth ruhig. „Tseng tut mir so leid“, murmelte Cutter. „Jahrelang war die Bewachung von Rufus Aufgabe der Turks, und jetzt werden sie einfach so ersetzt, durch diese seelenlosen, widerwärtigen, hinterhältigen, unmenschlichen ... Bastarde!“ Sie sah zu Sephiroth hinüber. „Kannst du nichts machen?“ Der General hob spöttisch eine Augenbraue. `Für die Turks?´, sagte diese Bewegung. `Niemals!´ Cutter seufzte leise. Mit genau dieser Reaktion hatte sie gerechnet ... und besaß keine passende Antwort. Sie wusste, die Turks brauchten keine Babysitter, aber es war trotzdem unfair – und so finster, denn wer so intensiv mit Rufus zusammenarbeitete, wie die Turks, so viel wusste und so schnell abserviert wurde, musste damit rechnen, sich früher oder später unfreiwillig im Lebensstrom wiederzufinden. „Was wird jetzt passieren?“, erkundigte sich Cutter leise. „Mit Hiwako, meine ich. Denkt ihr, er wird sich stellen?“ „Ich weiß es nicht“, antwortete Zack ebenso leise. „Ich werde nicht mehr so richtig schlau aus den Geschehnissen. Aber dass Gaia so herzlos ist, ihren Spitzenkämpfer zu verraten, glaube ich nicht.“ „Weshalb sollte sie es nicht tun?“, schaltete sich Sephiroth ein. „Er hat seine Aufgabe erfüllt und ist jetzt nicht mehr nützlich. Warum sollte sie ihn also jetzt noch beschützen? Und jetzt sagt nicht: `Aus Dankbarkeit´.“ Zack und Cutter schlossen ihre geöffneten Münder wieder. Der General schüttelte den Kopf. Hin und wieder erwiesen sich seine beiden besten Freunde als unglaublich vorhersehbar. „Das Hauptziel eines jeden Individuums“, fuhr er fort, „und dazu zähle ich auch den Planeten, ist `Überleben´. Im Extremfall darf es keine Rolle spielen, auf wessen Kosten. Ich gebe zu, dass auch diese Ansicht hinsichtlich der aktuellen Situation gewisse Schwachstellen aufweist, aber ...“ Das Klingeln eines PHS unterbrach ihn. „Cutter Tzimmek“, grollte der General, während seine Freundin hektisch nach ihrem PHS griff, „du hast schon wieder Klingeltöne aus dem Internet runtergeladen!“ „Nein, der ist mir gratis zugeschickt worden ...“ Sie nahm das Gespräch an. „Tzimmek?“ Einen Moment lang blieb es ganz still am anderen Ende. Dann erklang eine Stimme. Sie war fremd, aber nicht unfreundlich. „Hallo, Death Walker Tzimmek Cutter. Erkennst du mich?“ Cutter runzelte die Stirn. „Nicht wirklich, sorry.“ „Wie könntest du auch, du hast meine Stimme ja noch nie gehört ... Das war eine ziemlich blöde Frage, verzeih. Hier ist die schätzungsweise momentan meistgesuchteste Person Midgars.“ Und Cutter begriff. „Oh.“ Und dann, betont fröhlich (und ihres Erachtens nach gänzlich unverdächtig): „Hallo!“ Gleichzeitig sprang sie von der Kante des Schreibtisches, winkte ihren beiden Freunden zum Abschied zu und steuerte die Tür an, hoffend, dass Sephiroth ihr keinen misstrauischen Blick nachwarf. Aber der Unterschied zwischen der Betonung des `Oh´s und des `Hallo´s war dem General ein wenig zu drastisch gewesen. Seine Finger drückten zeitgleich zwei Knöpfe an der Tastatur, und nur eine Sekunde später musste Cutter feststellen, dass sich die auf den Flur führende Tür nicht öffnen ließ. Die junge Frau wandte betont vorsichtig den Kopf. Diesmal zog Sephiroth beide Augenbrauen hoch. `Du kannst mich nicht reinlegen ...´ Dann winkte er seine Freundin betont lässig wieder näher. Cutter überlegte blitzschnell. Natürlich hätte sie die Tür mit Hilfe der Luna Lance öffnen können, aber sie wusste, dass dem General Dinge möglich waren, die für viele andere ShinRa Mitglieder unerreichbar blieben – so z.B. die Umleitung eines laufenden PHS Gespräches auf den eigenen PC, wie Sephiroth es gerade demonstrierte. Die Lautsprecher schalteten sich mit einem leisen Klicken ein, und nur eine Sekunde später erklang Destins Stimme erneut, diesmal für alle Anwesenden gut hörbar. „Hi. Mh ... dieser Anruf wird dir jetzt garantiert ziemlich komisch vorkommen, aber ... Es gibt da einfach noch ein paar Dinge die ich erledigen will, solange es mir noch möglich ist – und du gehörst dazu. Death Walker.“ Cutter ließ deprimiert den Kopf sinken. Jetzt gab es keine Möglichkeit mehr, dieses Gespräch unbemerkt weiterzuführen. Sie warf Sephiroth einen letzten zu gleichen Teilen wütenden wie traurigen Blick zu, kehrte zum Schreibtisch zurück und antwortete Destin. „Nennen Sie mich bloß beim Vornamen oder `Tzimmek´. Dieses Death Walker hat sich mein Boss ausgedacht, und ich finde es grundbescheuert.“ Zu ihrer Überraschung antwortete ihr ein leises Lachen. „Das freut mich sehr. Es beweist, dass ich mich nicht in dir getäuscht habe. Andererseits ... hätte ich wirklich noch Zweifel gehabt, so wären sie gestern beseitigt worden. Und damit komme ich zum eigentlichen Thema. Ich wollte mich bei dir für deinen gestrigen Einsatz bedanken. Dich diesen Kreaturen in den Weg zu stellen, war sehr mutig, und es tut gut zu wissen, dass es selbst bei ShinRa noch Menschen gibt, die sich ihr Mitgefühl bewahrt haben.“ Cutter erstarrte, gefangen in jäher Verblüffung. „Woher wissen Sie, was ich gestern getan habe?“ „Anrufe. Viele haben angerufen, um mich über die Vorgänge in Midgar zu informieren und zu warnen. Unter ihnen waren auch ein paar, die dich beobachtet haben.“ „Aber ich konnte doch überhaupt nichts machen“, flüsterte Cutter und versuchte, die Tränen zurückzublinzeln. „Du hast es versucht. Dieses Wissen reicht mir völlig aus, um deinen Charakter richtig einschätzen zu können. Sei stolz auf diesen Charakter, ok?“ „Ich versuch´ s“, antwortete Cutter leise. „Danke.“ „Sehr gern geschehen. Tzimmek ... ich will dich wirklich nicht überfallen, aber ... möchtest du tatsächlich weiter für ShinRa arbeiten? Wir könnten jemanden wie dich gut brauchen. Eigentlich immer, ganz speziell jetzt.“ Cutter lächelte traurig. ShinRa verlassen ... sogar gegen ShinRa kämpfen ... Rufus die Schranken weisen ... etwas wie Normalität einkehren lassen ... keine Aktionen mehr gegen ihren Willen ... „Hiwako, ich würde nichts lieber, als jetzt `Ja´ sagen, hier alles hinschmeißen und die Fronten wechseln. Aber ... es geht nicht. ShinRa und ich sind wegen gewisser ungeplanter Ereignisse bis auf Weiteres untrennbar miteinander verbunden. Aber“, fauchte sie dann, „ich finde diesen Laden zum Kotzen! Ehrlich! Immer geht es nur um Gewalt und Macht und den Tod! Rufus wird uns noch alle umbringen!“ Ihre Stimme wurde wieder leiser. „Und ich muss hier bleiben ... Ich muss. Vorläufig gibt es keine andere Möglichkeit.“ Einen Moment lang blieb es auf der anderen Seite des PHS ganz still. „Weißt du“, antwortete Destin schließlich, „etwas Ähnliches habe ich mir fast schon gedacht. Es ist nicht nur wegen deines Generals, oder?“ „Nein. Ich bin von einer Substanz abhängig, die sich G-Mako nennt. Bislang kann nur ShinRa sie herstellen, und ich weiß noch nicht, ob Sephiroth und ich eine Alternative gefunden haben. Bis wir es wissen, bleibt mir nur das verdammte G-Mako, sonst erledigt mich der nächste Anfall innerhalb weniger Stunden.“ „Sehr, sehr schade. Aber ich kann deine Entscheidung nachvollziehen. Tja ... Im Grunde war´ s das dann schon.“ „Hiwako? Was wollen Sie jetzt machen?“ „Ich stelle mich.“ Seine Stimme klang völlig ruhig. „Schutz des Planeten hin oder her, ich kann nicht verantworten, dass ShinRa weiter Menschen tötet. Und auf ein Eingreifen Gaias kann ich wohl nicht mehr hoffen.“ „Nein!“ Fast glich es einem Schrei. „Rufus wird Sie töten lassen!“ „Ich weiß. Aber was soll ich sonst tun? Du hast gesehen, was er dieser Stadt gestern angetan hat, und er wird es wiederholen, immer und immer wieder.“ „Aber vielleicht sammelt Gaia schon Kräfte, um etwas dagegen zu tun! Sie dürfen jetzt nicht aufgeben, Hiwako ... Bitte!“ „Und wenn sie das nicht tut? Wie viele fremde Leben ist mein eigenes Leben wert?“ Darauf wusste Cutter keine Antwort. „Aber wir sprechen doch hier von Rufus!“, erinnerte sie schließlich. „Der ist in der Lage und lässt trotzdem weiter töten, nur, weil es ihm Spaß gemacht hat und er seine neuen Einheiten weiter ausprobieren will!“ „Letztendlich muss jeder für seine eigenen Taten gerade stehen. Ich kann nicht verantworten, dass noch mehr Menschen sterben, weil ich mich irgendwo verstecke. Verstehst du? Ich kann einfach nicht.“ Cutter atmete tief ein und aus. Sie hätte gerne noch weiter protestiert, aber im tiefsten Grunde ihres Herzens wusste sie, dass kein Argument dieser Welt den Mann am anderen Ende der Leitung umstimmen konnte. Und so sagte sie nur leise: „Ich habe Sie und `Solar Solution´ von Anfang an sehr gemocht, Destin. Und ich ... hätte mir ein anderes Ende gewünscht.“ „Ja. Ich mir auch. Lebe wohl, Cutter. Es war mir eine Ehre, dich kennen gelernt zu haben.“ „Mir auch, Destin. Und viel ...“ Aber das leise Klicken ertönte, bevor sie Gelegenheit hatte, den Satz zu beenden. Dann war alles still. Cutter stand noch einen Moment lang bewegungslos da, erst dann steckte sie ihr PHS langsam weg, sah zu Sephiroth hinüber und sagte leise: „Siehst du? Wie ich gesagt habe. Rufus kriegt immer, was er will.“ Wie üblich, und wie immer auf Kosten anderer. Es war so ungerecht. So traurig. So erschreckend. Und so endlos deprimierend. Langsam, sehr langsam ließ sich Cutter wieder in dem Sessel vor Sephiroths Schreibtisch nieder, und dann senkte sich Stille wie eine dicke Decke über den Raum. „Vielleicht ist es nur ein Trick“, überlegte Zack. „Vielleicht soll Hiwako ins HQ gebracht werden, um dort irgendetwas zu tun.“ „Hiwako kann nichts tun, was dem Planeten nicht mittlerweile selbst möglich wäre“, erinnerte Sephiroth. „Aber wenn Destin immer noch unter dem Schutz des Planeten steht“, sagte Zack irgendwann, „wird Rufus es nicht schaffen, ihn zu töten. Oder?“ „Man sollte nicht glauben, wie lange du schon für ShinRa arbeitest!“, grollte sein kommandierender Offizier. „Wenn es Rufus einmal gelingt, seine Finger daran zu legen, kann er alles und jeden töten. Es liegt in der Natur des Starken, über den Schwachen zu herrschen.“ „Es ist aber ein Unterschied, ob man jemanden zwingt oder überzeugt!“, beharrte Zack – und erntete einen höchst spöttischen Blick. „Wozu wertvolle Zeit mit Diskussionen verschwenden? Hiwako wusste, dass er sich mit dem mächtigsten Gegner auf ganz Gaia eingelassen hat. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“ Zacks Ansicht nach gab es dazu noch eine ganze Menge zu sagen, aber er wusste, Sephiroth würde weder mit ihm, noch einer anderen Person darüber diskutieren. Und so stellte er lediglich eine weitere Frage. „Ob der Planet eingreifen wird?“ Der General wollte schon antworten, aber das Klingeln seines PHS ließ ihm dazu keine Gelegenheit. Er nahm das Gespräch an, lauschte, sagte: „Verstanden!“, und legte das Gerät wieder weg, sah zu seiner sehr schweigsamen Freundin und Zack hinüber, und verkündete ohne Triumph zu vermitteln (aber doch sehr zufrieden): „Wir haben ihn.“ Erneute Dunkelheit senkte sich auf rein mentaler Ebene herab. „In ein paar Wochen“, fuhr Sephiroth fort, „gehört die Stadt wieder zu 100 % ShinRa!“ Zack nickte verdrießlich. Cutter reagierte gar nicht. Der Widerwille hinsichtlich der zu erwartenden Ereignisse war zu stark. „Rufus wird ihn erschießen lassen“, vermutete Zack finster. „Oder?“ „Vorher finden vermutlich noch wesentlich schmerzhaftere Dinge statt, aber letztendlich ... Ja. Vermutlich in einer Liveübertragung, damit die Leute daran erinnert werden, wie wenig Spaß ShinRa versteht.“ Und nach einer kurzen Pause in Richtung Cutter: „Du hast deine Hiwako-Wette also verloren.“ Die junge Frau lächelte flüchtig, aber sehr traurig. Die Wette. Die im festen Glauben an einen Sieg des Guten abgeschlossene Wette. Damals war Cutter so sicher gewesen, zu gewinnen. Damals waren noch so viele Dinge ... anders gewesen. Manche heller, andere finsterer. So vieles war seitdem geschehen - aber Wetteinsatz blieb Wetteinsatz. Sephiroth sah das genau so, und grinste. „Ab jetzt musst du in meiner Gegenwart vernünftige Bücher lesen. Nicht auszudenken was passieren würde, wenn du stattdessen einmal pro Woche bei mir hättest schlafen dürfen.“ Zack, der wusste, dass Cutter schon seit Wochen fast jede Nacht bei Sephiroth schlief, konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Seph, lass ihr die Comics! Am Ende findet sie vernünftige Bücher noch so interessant, dass du keinen Sex mehr kriegst, und SOLDIER kann keinen sexuell frustrierten General brauchen, du bist auch so schon schwierig genug zu ertragen!“ „Zackary“, grollte Sephiroth, „du bist ein Idiot!“ Gleichzeitig warf er Cutter einen vorsichtigen Blick zu. Für gewöhnlich hätte sich seine Freundin längst in die Diskussion eingeschaltet und Zack Recht gegeben. Diesmal allerdings kam aus ihrer Richtung nicht das geringste Geräusch. Ihr Gesichtsausdruck allerdings ... Ganz offensichtlich weilte die junge Frau in den Lines. Außerdem verriet ihr Augenausdruck einmal mehr den Wunsch, zu helfen. Sephiroth lag mit allen Einschätzungen richtig. Cutter war in die Lines gegangen, fest davon überzeugt, das vertraute Bild vorzufinden: Hunderte Exemplare von Hiwakos Line. Aber diesmal ... „Sie sind weg.“ Ihre Stimme klang ganz leise. „All die Kopien seiner Line. Es ist nur noch eine einzige übrig.“ „Er steht also tatsächlich nicht mehr unter dem Schutz des Planeten?“, übersetzte Zack ehrlich entsetzt. Die ganze Situation wurde immer geheimnisvoller. Aber bevor er diesbezüglich auch nur eine Silbe äußern konnte, erklang abermals Cutters Stimme. Leise, aber fest - und sehr deutlich. „Er wollte den Planeten retten, und damit uns alle. Ich werde nicht zulassen, dass Rufus ihn umbringt!“ „Oh, doch.“ In der Stimme des Generals lag mehr als ein Hauch Eisigkeit. Nämlich das Versprechen eines möglicherweise schon innerhalb der nächsten Sekunden losbrechenden Schneesturms. „Du wirst!“ „Aber ...“ „Nein! Je schneller diese Solarsache geklärt ist, je besser! Gerade wir zwei haben momentan wichtigere Dinge zu tun.“ „Wir werden aber momentan nicht in Richtung HQ gezerrt! Uns droht keine Erschießung vor laufender Kamera! Ihm schon! Und das willst du zulassen?“ „Ich würde sogar für eine Sicherstellung der Erschießung sorgen!“ „Aber Hiwako ist nicht böse!“ „Cutter, wann wirst du es endlich begreifen!“ Aus seiner Stimme war jeglicher Funken Sympathie gewichen. Jetzt klang sie nur noch kalt, hart und beherrschend. Die Stimme eines Anführers und gnadenlosen Killers. „Hier geht es nicht um `Gut´ und `Böse´!“ „Aber es ist nicht fair!“ „Deine ewiggleichen Argumente beginnen mich zu langweilen. Komm wieder, wenn du neue hast und sie nicht diese Angelegenheit betreffen.“ „Ich lasse mich nicht einfach so von dir rausschmeißen!“, fauchte Cutter wütend. „Das kannst du mit einem deiner Untergebenen machen, aber nicht mit deiner Freundin!“ „Momentan“, antwortete Sephiroth mit gefährlicher Ruhe, „sehe ich hier weder das Eine, noch das Andere, sondern nur eine Person, die immer noch nicht begriffen hat, dass sie ihre Kräfte, die sie alle Ebenen betreffend besser für sich selbst aufsparen sollte, einmal mehr verschwendet! Die immer andere retten will und deshalb Gefahr läuft, sich nicht selbst retten zu können! Eine Person, der es ihrem direkten Vorgesetzten gegenüber an Respekt mangelt, eine Person, die sich einmischt ohne explizit darum gebeten worden zu sein, eine Person, die man keine fünf Sekunden aus den Augen lassen kann, ohne sich zu fragen, welchen Unsinn sie als nächstes anstellen wird, und eine Person, die aus ihren Fehlern nichts lernen will, daher immer und immer wieder dieselben, im Grunde völlig unnötigen Konsequenzen durchmacht und Zeit verschwendet! Aber all das verblasst hinsichtlich deines aktuellen Zustandes: Mental und körperlich angeschlagen und somit höchst instabil! Du wirst dir eine andere Stabilisierung statt Hiwakos Rettung suchen und das Exekutionskommando in Ruhe arbeiten lassen! Das ist ein Befehl, der bei Missachtung mit entsprechenden militärischen Konsequenzen geahndet wird! Hast du mich verstanden!“ Cutter konnte nicht sofort antworten. Sie war zu erschlagen von der detaillierten Auflistung fast all ihrer dauerhafte und momentanen Schwächen. Der eigene, angeschlagene Zustand war ihr bewusst, aber sie hätte niemals damit gerechnet, diesen eines Tages zum Vorwurf gemacht zu bekommen, noch dazu von Sephiroth, der doch wusste, wie große Mühe sie sich gab, trotz all dieser Schwächen gute Arbeit zu leisten. Es fühlte sich wie glatter Verrat an. Entsprechend verletzt fiel Cutters Antwort aus. „Ich hasse dich!“ „Meinetwegen, aber befolge meinen Befehl und halt dich raus! Du darfst wegtreten!“ Tränen der Wut glitzerten in Cutters Augen, aber sie verließ wortlos das Büro, allerdings nicht, ohne die Tür so heftig wie möglich hinter sich zuzuknallen. Leider war das Geräusch `dank´ der speziellen Bauweise kaum zu hören. Die nun einsetzende Stille wurde erst nach einer ganzen Weile von Zack unterbrochen – allerdings sehr leise. „Whoa ... Ich habe dein Manöver verstanden, aber ... war das nicht ein bisschen zu hart? Du hast ihr das Gefühl gegeben, absolut gar nichts auf die Reihe zu kriegen.“ „Ich dachte, du hättest mein Manöver verstanden, Zackary? Glatte und höchst tragische Selbstüberschätzung! Wie so oft.“ Und nur eine Sekunde später: „Wohin willst du?“ „Cuttie trösten.“ „Negativ!“ „Aber ...“ „Ich habe dir vor weniger als einer Stunde klare diesbezügliche Anweisungen gegeben! Du wirst dich also für die nächsten 2 Stunden von ihr fern halten!“ „Was hast du vor?!“ Sephiroth antwortete nicht. Er griff nach Masamune und verließ das Büro, wissend, dass er jetzt sehr, sehr schnell sein musste - und er war es. Binnen einer Minute war er im Besitz sämtlicher erforderlicher Daten und auf den Fluren des HQs unterwegs. Er wusste nur zu genau, mit der geplanten Aktion seine Kompetenzen weit zu überschreiten, aber es störte ihn nicht. Er konnte auch ganz ohne Befehl grausam sein. Und abgesehen davon ... Wenn ein Waldbrand außer Kontrolle zu geraten drohte, musste man ihm die Nahrung entreißen, indem man z.B. noch unbeschadete Bäume fällte und beiseite räumte. Oder, wie in diesem Fall, einen einzigen Baum. Im Gefangenentrakt als Wache zu arbeiten war eine der langweiligsten Aufgaben, die man als Mitarbeiter der Electric Power Company zugeteilt bekommen konnte und wurde für gewöhnlich in beliebiger Dauer als Strafe für Ungehorsam eingesetzt. Sie bestand darin, einen Flur mit Türen zu bewachen und dabei nach Möglichkeit nicht einzuschlafen – eine höchste Ansprüche an die Selbstdisziplin stellende Tätigkeit wenn man bedachte, dass diese Türen auf fünf unterschiedliche Methoden gesichert waren und nur von außen geöffnet werden konnten. Lediglich die Abholung oder Anlieferung eines neuen Gefangenen brachte für wenige Sekunden Abwechslung in den nicht gerade durch Aufregung geprägten Arbeitsalltag des Wächters, und so war sich Jostin ziemlich sicher, dass nach der erst wenige Minuten zurückliegenden Einlieferung des neuen `Gastes´ für den Rest seiner Schicht nichts Außergewöhnliches mehr geschehen würde. Mit anderen Worten: Jostin war dabei, sich gedanklich einem äußerst angenehmen Tagtraum hinzugeben, dessen hauptsächliche Zutat aus nackten, willigen Damen bestand. Entsprechend groß war der Schock, als sein traumverlorener Blick schlagartig mit der Realität in Form von viel, viel Silber, schwarzem Leder und auf höchst beängstigende Art und Weise finster grün glühenden Augen kollidierte. Er versuchte schlagartig auszusehen wie jemand, der seinen Job äußerst ernst nahm, hatte aber keinerlei Erfolg. „Träumen während er Arbeit!“ Die Stimme des Generals hätte massiven Fels dazu gebracht, sich furchtsam Wimmernd irgendwo zu verkriechen. „Noch dazu im Gefangenentrakt. Ich werde Ihren Vorgesetzten darüber informieren!“ „Ja, Sir! Danke, Sir!“ Sephiroth warf dem zitternden Mann einen zu gleichen Teilen strafenden wie verächtlichen Blick zu, ließ ihn hinter sich zurück, näherte sich Zellentür 14 und begann mit der Deaktivierung der Sicherheitsvorkehrungen. Das rote Lämpchen über der Tür erlosch, das grüne flammte auf. Der General betrat die Zelle. Diese Unterbringungsmöglichkeiten für Gefangene waren immer gleich. Ein nur wenige Meter messender, ganz in weiß gehaltener Raum, ausgestattet mit einer Toilette aus unzerstörbarem Material. Keine Fenster. Keine Wasch- oder Duschmöglichkeiten. Kein Bett. Keinerlei Fluchtmöglichkeit. Das Licht erlosch niemals. Kameras überwachten jeden Winkel des winzigen Raumes, versteckte Abhörgeräte zeichneten jedes gesprochene Wort auf. Die Hölle für jemanden, dem seine Privatsphäre wichtig war, der seine Freiheit liebte oder unter Platzangst litt. Wer bisher noch keine Angst kannte, lernte sie hier kennen. Hier lebte man intensiver als irgendwo dem Tod entgegen - und man war sich dessen völlig bewusst. Trotzdem war Destin auffallend ruhig. Er saß gegenüber der Tür auf dem Boden, sah Sephiroth entgegen und konstatierte völlig gelassen: „So sehen wir uns wieder, General. Irgendwie wusste ich, dass Sie es sein würden.“ „Das hat Ihr Bruder damals in Wutai auch gesagt.“ Destin schmunzelte. „Wirklich? Das ist typisch für uns. Wir haben oft völlig unabhängig voneinander dieselben Sachen gesagt.“ „Er hat genauso versagt, wie Sie.“ „Ich würde es nicht unbedingt `versagen´ nennen“, antwortete Destin fast sanft. „Allein der Versuch, sich gegen den Tyrannen aufzulehnen, ist ein Eintrag in die Geschichtsbücher wert.“ „Welchen Sinn hat Auflehnung, wenn Sie nicht zum Erfolg führt?“ „Sie bringt Hoffnung. Für den nächsten mutigen Kämpfer. Und für alle, die auf den Kämpfer warten. Solar Solution hätte es fast geschafft, General. Das können nicht einmal Sie leugnen.“ „Ich kann alles leugnen. Die Wahrheit, Hiwako, lautet: Sie haben sich von Anfang an überschätzt!“ Destin schwieg einen Augenblick, lauschte in sich hinein, auf der Suche nach jener Ruhe, die ihm die Gegenwart des Planeten versicherte, und damit den Zustand, auserwählt zu sein. Sicher vor jeglicher Gefahr! Aber sie war nicht da – ganz verschwunden oder blockiert von den schrecklichen Erinnerungen an den gestrigen Tag. Destin konnte nicht mit Sicherheit sagen, was es war. Aber er fühlte sich endlos verlassen, allein ... und schuldig an jedem einzelnen der gestrigen Tode. Diese Menschen waren gestorben, weil sie die Solartechnik genutzt hatten. Seine Solartechnik! Viele seiner späteren Kunden hatten ganz zu Beginn Ängste und Sorgen bezüglich möglicher ShinRa Racheaktionen geäußert, und Destin konnte sich nur zu gut an seine eigenen, beruhigenden Worte und guten Argumente erinnern. Letztendlich war es ihm gelungen, die Menschen zu überzeugen. Sie hatten ihm vertraut! Und jetzt waren so viele von ihnen tot ... Es war seine Schuld! Er hatte die Electric Power Company unterschätzt. Er trug die Verantwortung! Destin hatte die Option, sich zu stellen, nicht gewählt, um sich vor genau dieser Verantwortung zu drücken, denn um den Tod herbeizuführen hätte es genug andere Möglichkeiten gegeben. Die eigene Auslieferung an Rufus war mehr mit der Bitte, die Bevölkerung Midgars nicht länger zu quälen, gleichzusetzen. Und obwohl er nicht sicher war, ob der Präsident der Electric Power Company darauf eingehen würde – mehr blieb ihm nicht. Nur diese eine, winzige Hoffnung. „Ich habe geglaubt, General“, antwortete er Sephiroth leise. „An `Solar Solution´ und den Planeten, fester als an mich selbst. Die Entwicklung der Dinge ist ...“ Er hielt inne und schüttelte in einer mehr als tausend Worte sagenden Bewegung den Kopf. Es spielte keine Rolle mehr, genauso wenig wie sein eigenes Entsetzen und das fast höhnische Schweigend des Planeten. Nichts spielte mehr eine Rolle ... ... außer dem urplötzlich in der Hand des Generals liegenden Schwertes. Destin schloss die Augen, wünschte sich unwillkürlich, dass doch nur alles ein Trick gewesen war, um ihn hierher zu bringen, wünschte sich, aufzuwachen, wünschte sich den Schutz des Planeten, mehr als jemals zuvor, jetzt, genau JETZT ... Aber nichts geschah. Die Welt entwickelte nicht, wie sonst, ein Eigenleben, um ihn zu beschützen. Alle Gesetze blieben bestehen, alle Regeln pochten auf ihre Gültigkeit. Die Wunderkraft war bis zum letzten Bisschen aufgebraucht. Masamune erledigte den Rest. Das Grün des Lebensstromes leuchtete auf und trug Destins Seele dorthin, wo alles, was er im Verlauf des Kampfes verloren hatte, vielleicht schon auf ihn wartete. Sephiroth wandte den Blick von dem verglühenden Grün und sah direkt in eine der Kameras, befehlend und beherrschend. „Eine Kopie dieser Aufnahme geht an Präsident ShinRa und die andere an die Nachrichtenabteilung! Jetzt!“ Der Befehl würde, das wusste er mit Sicherheit, sofort befolgt werden. Die Typen im Kontrollraum waren keine Kämpfer und wollten sich unter Garantie nicht mit einem 1st Class SOLDIER anlegen. Was Rufus potentiellen Ärger anging ... Schicksal. Der Präsident würde eine Möglichkeit finden müssen, damit klar zu kommen. Der General verließ den Raum wieder. Die Hinrichtung an sich war ein voller Erfolg gewesen, aber ... Ich wünschte, Cutter hätte mir nichts von ihren Rettungsplänen erzählt. Ich wünschte, ich würde meine Freundin nicht so gut kennen. Ich wünschte, sie könnte besser lügen. Ich ... „Das hattest du also in Wahrheit vor.“ Zacks Stimme erklang völlig unvermittelt, aber leise direkt neben ihm. „Ich muss zugeben, dich doch nicht ganz verstanden zu haben.“ Sephiroth hielt inne, wandte den Kopf in Zacks Richtung und antwortete ebenso leise: „Nenn mir eine akzeptable Alternative. Nur eine!“ „Es gibt keine“, antwortete Zack kopfschüttelnd. „Hiwako selbst zu töten war richtig, weil du auf diese Art und Weise Cutter davon abhältst, sich im Rahmen einer Rettungsaktion in Gefahr zu bringen.“ „Ich bin ihr Freund“, wisperte Sephiroth. „Ich kann nicht tatenlos mit ansehen, wie sie sich in Gefahr bringt, mental noch weiter abzustürzen, denn wenn Hiwako auf der Flucht irgendetwas zugestoßen wäre, hätte sich Cutter ganz persönlich die Schuld gegeben. Und genau das wäre passiert, ich weiß es! Aber gleichzeitig war mein Handeln falsch, denn sie wird es nicht verstehen ...“ Zack nickte ernsthaft. „In ihren Augen war Hiwako unschuldig und ein großartiger Kämpfer, der diesen Krieg geführt hat, ohne zu töten – und er hätte fast gewonnen. Für sie wird es sein, als habe das Gute nahezu endgültig verloren.“ „Denkst du, das ist mir nicht klar?! Aber was soll ich tun? Rufus Tod würde all das beenden, aber solange Cutter vom G-Mako abhängig ist, kann ich weder ihn, noch Hojo töten, und ob unsere pflanzlichen und High Tech Alternativen Wirkung zeigen haben, ist noch nicht klar. Mir sind die Hände gebunden. Solange dieser Zustand anhält, kann ich nur dafür sorgen, dass er sich nicht noch weiter verschlechtert!“ „Das weiß ich doch“, antwortete Zack sanft. Gleichzeitig musste er daran denken, dass sein bester Freund in jeder anderen Konstellation keinen Sekundenbruchteil gezögert hätte, eine einzelne Person zu opfern, um seine Pläne umzusetzen. Dass es jetzt ausgerechnet Cutter war, die ihn davon abhielt, war mehr als grotesk – und gerade für Sephiroth besonders schwer zu ertragen. „Wir finden eine Lösung!“, fuhr Zack fort. „Ganz bestimmt. Der Planet hat viel Kraft gesammelt. Vielleicht plant er etwas.“ Sephiroth antwortete nicht. Es war nicht seine Art, sich in die endlose Welt des `vielleicht´, die nahtlos in die der Träume überging, zu verirren. Er hielt sich an Daten, Fakten und seine Erfahrung, denn auch, wenn es manchmal sehr schwer war, einer musste immer realistisch bleiben, um die anderen wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen – und ihnen gegebenenfalls aus dem tiefen Loch, das sie beim Aufprall erzeugt hatten, zu helfen. Das Loch, in dem sich Cutter schon sehr bald wiederfinden würde, dürfte ziemlich tief sein. Möglicherweise würde sie die Hilfe ihres Freundes beim Herausklettern nicht annehmen, aber er musste es wenigstens versuchen. „Ich sehe nach Cutter.“ Zack nickte und ließ Sephiroth allein, wissend, dass dieser die aktuellen Entwicklungen unter 4 Augen mit Cutter klären musste, und so lauschte der General nur wenig später nach innen, auf die einzigartige Verbindung zwischen sich und seiner Freundin. Die junge Frau hielt sich nicht mehr im HQ auf, sondern in Midgar (bei ihrem Glück bestimmt unmittelbar vor einer der großen Reklametafeln), und so verließ auch Sephiroth das Gebäude, um sie zu finden und ihr beizubringen, auf welche Nachricht sie sich als nächstes einstellen musste. Aber einmal mehr machte die entsprechende Abteilung ihrem schnellen Ruf alle Ehre. Seit dem frühen Morgen und der verhängten Ausgangssperre war nur ein einziges Symbol auf allen Fernsehgeräten und Reklametafeln abgebildet: Das ShinRa Logo. Jetzt verschwand es, und die Tafeln wurden tiefschwarz. Für genau zwei Sekunden - dann erschien Rufus. Er saß hinter seinem wie üblich gänzlich leeren Schreibtisch, wirkte wie ein grausamer König in seinem Thronsaal und lächelte kalt und herablassend in die Kamera. Seine Worte standen dem in nichts nach. „Verehrte Bürger Midgars. Es freut mich sehr zu sehen, dass der Wunsch nach Freiheit in euren kleinen, relativ bedeutungslosen Leben doch noch so weit oben steht. Dank eurer Mithilfe konnte die Electric Power Company den als gefährlich geltenden Hiwako Destin fassen. Die Überbleibsel seiner schädlichen und lächerlichen Taten, die Solarplatten nebst sämtlichem technischen Zubehör, werden ab morgen entsorgt. Wer dumm genug ist kann gerne versuchen, die ausführenden Kräfte daran zu hindern. Bis meine Stadt vollständig befreit ist, bleibt die Ausgangssperre bestehen! Den Neugierigen unter euch möge die folgende Dokumentation nähere Hinweise zum Verbleib Hiwako Destins geben.“ Es folgte die Aufnahme der reinen Hinrichtung. Die für solche Filme zuständige Abteilung hatte sich einmal mehr alle Mühe gegeben, den Ruf des Generals als gnadenlosen Killers weiter zu stärken und etliche Effekte mit eingebaut. Sephiroth selbst hatte für Spielereien wie Zeitlupe und Farbverstärkung (besonders wenn seine Augen oder Masamune betroffen waren) nichts übrig. Allein der Erfolg zählte! Aber durch seine harten Gedanken drang noch etwas Anderes: Gefühle, die nicht seine eigenen waren. Entsetzen, und dann Trauer mit der Intensität eines zu Tal stürzenden Wasserfalls. Ohne Zweifel hatte auch Cutter die Botschaft des Präsidenten gesehen. Sephiroth hielt inne und lauschte, für einen Moment unschlüssig hinsichtlich der weiteren Vorgehensweise. Dann empfing er ein neues Gefühl. Einen Wunsch. Sehr alt und sehr verständlich. Cutter wollte jetzt alleine sein. Der General akzeptierte schweren Herzens und kehrte zum HQ zurück. Ein Film musste nicht lang sein, um die Botschaft zu übermitteln. Diese 20 Sekunden hatten viele Personen mitten ins Herz getroffen. Roger blickte immer noch wie erstarrt auf den jetzt wieder tiefschwarzen Fernsehbildschirm, war sich dessen aber nicht bewusst. Zu tief saß der Schreck. Als er ein klein wenig nachließ, griff Roger nach dem Handy und rief Destin an. Es klingelte einmal, zweimal ... dann erklang eine Stimme – aber es war nicht die erwartete, sondern eine Bandansage. „Die von Ihnen angerufene Person wurde von der Electric Power Company exekutiert. Bitte legen Sie auf. ... Die von Ihnen angerufene Person wurde von der Electric Power Company exekutiert. Bitte legen Sie auf. ... Die von Ihnen angerufene Person ...“ Roger ließ das Handy langsam sinken und sich selbst auf den nächsten freien Stuhl fallen. Ohne Destin würde es kein `Solar Solution´ mehr geben. Wie also sollte es jetzt weitergehen? Konnte es überhaupt weitergehen? Momentan war Roger nicht in der Lage, diese Fragen zu beantworten. Auch Cutter hatte die Exekution gänzlich ungewollt mitverfolgt. Die übertragenen Bilder hatten alle nahezu fertigen Rettungspläne (denn diesmal waren wirklich Pläne nötig gewesen) zerschlagen. Der Schmerz war so intensiv, dass er die junge Frau sofort zum Weinen brachte. Leise, wie es bei ehrlicher Trauer oft der Fall war. Es dauerte etliche Minuten, ehe sich neue Gedanken durch die Trauer hindurchkämpften. Es ist schon wieder geschehen, dachte sie. Mein Wille wurde einfach übergangen. Warum? Ich wollte doch helfen! Was war daran so falsch? Ich verfüge über alle nötigen Fähigkeiten. Weshalb rasen die Dinge in letzter Zeit so an mir vorbei, ohne dass ich sie aufhalten kann? Ich liege mit meinen Ansichten über `Gut´ und `Böse´ nicht falsch, ich bin ganz sicher ... Aber spielt das überhaupt noch eine Rolle? Hat mein Protest letztendlich eigentlich jemals etwas bewirkt, für andere oder mich selbst? Sie begann intensiv nachzudenken, aber ihr fiel nichts ein. Stattdessen kämpfte sich eine der deutlichsten Niederlagen zurück in ihr Bewusstsein. Der Moment, in dem Rufus sie zum ersten Mal aufforderte, die Solarplatten zu zerstören – und seine Reaktion auf den dargelegten Ungehorsam seiner `Waffe´. „Genau da liegt dein Problem, Tzimmek. Du hältst dich für stark, aber das bist du nicht. Ein Wort von mir und meine gesamte Armee ist hinter dir her. Sie ist, wie du weißt, überall. Sie wird dich um die ganze Welt jagen. Wann willst du schlafen, wann essen? Irgendwann wirst du zu erschöpft zum Weglaufen sein, und dann ist meine Armee da, um dich zu töten! Die Zerstörung der Solarplatten ist eine Alternative, deren Annahme ich dir sehr ans Herz lege. Und jetzt befolge meinen Befehl!“ Ja, dachte Cutter. Ich habe mich immer gegen die ShinRa Methoden gewehrt und gesträubt, aber es hat nichts genützt. Rufus hat Recht. Letztendlich bin ich ihm nicht gewachsen. Das war mir nur nicht klar, weil ich so sehr auf meinen eigenen Widerstand fixiert war. Aber ... wenn Rufus Recht hat, dann ist das hier meine Strafe, diese Einsicht, dass auch ich nichts gegen ShinRa tun kann und nicht mehr bin, als eine Marionette. Warum war mir das nie klar? Wie konnte ich mich jemals für stark halten? Oder unabhängig? Er hat mich kontrolliert, von Anfang an, und mit mir die Lines. Wie viel Leid habe ich in seinem Auftrag mit Hilfe der Lines über diese Welt gebracht? Jede erfolgreiche Mission, jeder ausgeführte Befehl ... Alles Stützen für Rufus Macht. Dafür waren die Lines nicht geschaffen, niemals. Ich war immer der Ansicht, sie mit Respekt zu behandeln, dabei habe ich sie missbraucht. Das Geschenk des Planeten und Tzirkas ... ich hab es in den Schmutz geworfen und mit Füßen getreten. Ich bin es wirklich nicht wert, die Luna Lance zu besitzen und mit den Lines zu arbeiten. Und unwillkürlich musste sich die junge Frau fragen, was geschehen wäre oder würde, wenn sie diese Fähigkeit niemals besessen hätte - oder verlieren würde. Ohne die Lines konnte Rufus ihr diesbezüglich keine Befehle mehr erteilen und sie wäre außerstande, weiteren Schaden anzurichten. Aber das würde wohl kaum geschehen. Vielleicht, dachte Cutter müde, sollte ich die Luna Lance einfach an einen anderen, würdigeren Blue Wanderer abgeben. Tzirka hat das schließlich auch getan. Aber ich weiß nicht, wie ... Und das heißt, die Lines und ich sind weiterhin miteinander verbunden – inklusive Rufus und ShinRa. Oh, Gaia ... Ich habe immer so fest daran geglaubt, dass alles gut wird, aber ich war noch nie so weit von einem glücklichen Ende entfernt, wie jetzt. Sogar der Glauben selbst erscheint mir lächerlich ... Sie wusste, diese Erkenntnis hätte sie erschrecken und ängstigen müssen, aber sie empfand nur Müdigkeit, so stark, als zöge sie etwas nach unten. Wie gerne hätte sie einfach nur die Augen geschlossen und wäre eingeschlafen. Für ein Jahr oder zwei oder fünf ... bis es einfach nur vorbei war. Aber das war nicht möglich. Und so blieb Cutter nur die Gewissheit, dass es lediglich nur noch einer Winzigkeit bedurfte, um sie vollends in den Abgrund fallen zu lassen. ShinRa, dessen war sie völlig sicher, würde seinen Teil dazu beitragen – und das, wenn sie das komische Gefühl in ihrer Bauchgegend richtig einschätzte, schon sehr bald. Sephiroth war ins HQ zurückgekehrt und saß wieder an seinem Schreibtisch, aber er arbeitete nicht, sondern weilte mental bei seiner Freundin. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Es war noch nicht greifbar, aber dennoch deutlich zu spüren - und es wurde stärker. Irgendwann wusste der General, womit er es zu tun bekommen würde. Die Erkenntnis ließ ihn die Augen schließen und leise, aber qualvoll aufstöhnen. Das ... Ausgerechnet jetzt ... Noch eine Hoffnung, die zerschlagen wurde, noch ein Glaube, der erlosch. Der General verließ das Büro und betrat nur kurze Zeit später einen anderen Raum, dessen Hauptfarbe aus trügerischem Weiß bestand. „Welch seltener Besuch!“ Hojos Stimme überschlug sich förmlich vor Spott. „Wer von euch beiden hat Sehnsucht nach mir, du oder deine kleine Freundin?“ „Bereite das G-Mako vor!“ „Es ist längst vorbereitet.“ Gleichzeitig lächelte der Professor kalt. „Es wartet nur auf sein Testobjekt – wie die Falle auf eine Maus.“ Er begann zu kichern. „Verzeih, mein kleiner Sephiroth, aber diese Situation ist für mich immer noch höchst belustigend. Am liebsten würdest du mich auf der Stelle töten, aber du kannst nicht – es sei denn, du verrätst deine kleine Freundin, die du doch so sehr liebst. Behalte diesen Zustand bitte bei. Er erheitert mich.“ Die Tür zum Laborbereich öffnete sich exakt in diesem Moment. Cutter betrat den Raum. In ihren glanzlosen Augen tobte Schmerz, und sie wirkte wie jemand, der erst im freien Fall festgestellt hatte, dass er trotz aller anders lautender Gerüchte doch nicht fliegen konnte. Sie warf Sephiroth einen langen, zutiefst niedergeschlagenen Blick zu, dessen Botschaft überdeutlich ankam – auch bei Hojo, der eigentlich keine Ahnung von den Gefühlen anderer hatte. Diesmal allerdings verstand er sofort und lächelte zu gleichen Teilen erheitert wie herablassend. „Ihr werdet ShinRa und mir nie entkommen! Findet euch damit ab, bis zum Rest eures erbärmlichen Lebens ...“ Sephiroth brachte den Professor durch einen heftigen Stoß zum Schweigen. „Vorwärts, Hojo!“ Schweigend, aber immer noch grinsend setzte sich Hojo in Bewegung. Diesmal musste Cutter den Professor nicht mit Hilfe der Luna Lance beeinflussen, um ihn zum Einsatz des G-Makos zu bewegen. Die Anwesenheit des Generals reichte vollkommen aus. Trotzdem schien es diesmal länger zu dauern, ehe das Mako wieder abgelassen wurde und Cutter, sicher in die Flügel gehüllt, aus dem Tank klettern und sich wieder anziehen konnte. Ihre Bewegungen waren langsam und müde, und die von ihr auf Sephiroth übertragenen Gefühle vermittelten tiefe Erschöpfung und eine Trauer, die fast schon als bedingungslose Kapitulation hätte gedeutet werden können. „Gehen wir“, sagte Sephiroth leise. Wenige Sekunden später befanden sie sich wieder auf dem Flur und hielten dort einen Moment inne. Cutter wusste, Sephiroth erwartete trotz aller zurückliegender Ereignisse auch jetzt eine gewisse Art von Stärke, aber die junge Frau fühlte sich momentan nicht in der Lage, diese zu liefern. Alles, wonach sie sich jetzt sehnte, war Ruhe und Schlaf – einerseits alleine, aber andererseits hätte sie gerade jetzt niemand lieber als ihren Freund um sich gehabt. Seine Nähe war immer noch etwas ganz Besonderes, wie ein Leuchtfeuer, das nur auf sie reagierte. Letztendlich überließ sie die Entscheidung ihm und trat den Weg in ihr eigenes, so lange nicht mehr benutztes, winziges Quartier an – und Sephiroth folgte ihr. Er sagte kein Wort, aber als sich Cutter lang auf dem Bett ausgestreckt hatte, ließ er sich ebenfalls auf der Matratze nieder, zog die schwarzen Lederhandschuhe aus und begann, seine Freundin zu streicheln, sanfte Berührungen, die dennoch auf mentaler Ebene stark wirkten, die daran erinnerten, dass noch nicht alles verloren war ... und die eine Geschichte erzählten, von einem Instinkt, der vor der Durchführung des Plans, Hiwako zu retten, warnte, und von Schutz, der nur dann sinnvoll war, wenn er bei Gefahr aktiv wurde. Von einer Verletzung, die er ihr hatte zufügen müssen, um sie vor einer viel intensiverer Verletzung zu bewahren. Auch von einem Tod, der schnell gekommen war, und von so vielen anderen Dingen. Cutter sagte kein Wort. Sie hörte zu und versuchte, so viel Trost wie möglich aus seiner Nähe zu gewinnen und neue Hoffnung zu schöpfen. Aber diesmal reichte es nicht aus. Was sie wirklich wollte, schien nicht dabei zu sein, und sie hatte keine Ahnung, worum es sich bei dieser Sehnsucht handeln könnte. Es war, als wartete sie auf etwas, das es in dieser Form noch nie gegeben hatte. Sephiroth konnte es spüren, aber nichts dagegen tun, außer seine Phoenix aufmerksam im Auge zu behalten, ohne sie unter Druck zu setzen. Und so blieb er bei ihr und bewachte ihren Schlaf, wie sie es einst für ihn getan hatte, stark und aufmerksam für jemanden, der dies momentan nicht für sich selbst sein konnte. Aber im tiefsten Grunde seines Herzens wusste er, dass es diesmal nicht reichen würde. Es fiel Sephiroth nicht leicht, das kleine Quartier seiner Freundin Stunden später wieder zu verlassen, aber er tat es, wissend, dass es selbst für ihn unmöglich war, ständig bei Cutter zu bleiben. Außerdem wollte er sie weder einengen, noch ihr das Gefühl vermitteln, der aktuellen Situation nicht alleine gewachsen zu sein. Dennoch war es nicht wie sonst. Tief in Cutter, das konnte der General deutlich spüren, war etwas bisher fest Verankertes ins Rutschen geraten, etwas sehr, sehr Wichtiges, und ob dieses `Etwas´ wieder zum Stillstand gebracht werden konnte ... noch wusste er weder, ob dies möglich war, noch, worum es sich dabei handelte. Ihm war nur klar, dass er seine Freundin und deren seelischen Zustand im Laufe der nächsten Tage genauestens im Auge behalten musste, um rechtzeitig die richtigen Schlüsse zu ziehen und zu reagieren. Eine bessere Strategie stand selbst ihm momentan nicht zur Verfügung. Und so wachte Cutter nach Stunden alleine in ihrem Quartier auf. Sie deaktivierte mit einer müden Handbewegung die Weckfunktion ihres PHS, rieb sich über die Augen und lauschte in sich hinein. Die Nachwirkungen der Makobehandlung waren diesmal äußerst schwach ausgefallen, was vermutlich an Erschöpfung und dem tiefen Schlaf lag. Man konnte versuchen, einen plötzlichen Schneesturm in Bewegung und somit kämpfend zu überstehen – oder man ließ sich einfach fallen und zuschneien, die sich daraus ergebenden Konsequenzen bedingungslos akzeptierend. Cutters Schneesturm war noch lange nicht vorbei, und so musste sie sich erneut dem eisigen Wind stellen. Eigentlich wären jetzt Vorbereitungen für die nächste Mission nötig gewesen, aber eine SMS im Eingangsordner des PHS wies darauf hin, dass General Crescent seine Freundin für heute aus allen ursprünglich zugeteilten Missionen gestrichen hatte. Cutter hätte gerne etwas wie Dankbarkeit empfunden, aber tief in ihr war alles seltsam leer, und das auf eine merkwürdig endgültige, allumfassende Art und Weise, die sie sich nicht erklären konnte. Haltsuchend griff die junge Frau nach der Luna Lance – und erstarrte, sobald ihre Finger den zweifach gegabelten Stab berührten. Dinge, die man oft in den Händen hielt, riefen im Kopf ein gewisses Echo hervor, das die Erinnerungen an den einstigen Zustand des Objektes mit dem aktuellen Zustand verglich und sofort darauf hinwies, wenn `etwas´ nicht stimmte. Diesmal überschlugen sich die Hinweise, wurden aber langsamer, je länger Cutter die Luna Lance ansah, und verdichteten sich schließlich zu einer ganz bestimmten Gewissheit. Cutter atmete tief durch und schloss die Augen. Sie wusste, sie hätte traurig oder bestürzt sein müssen, aber sie war es nicht. Sie verspürte nicht einmal den Wunsch, Sephiroth anzurufen, um ihn auf den neuesten Stand der Dinge zu bringen und einen passenden Plan zur weiteren Vorgehensweise auszuarbeiten. Sie wusste nur, dass die Electric Power Company sie endgültig besiegt hatte. Cutter stellte die Luna Lance wieder weg, drehte sich auf die andere Seite und war binnen weniger Sekunden erneut eingeschlafen. Mochte die Welt, in der sie hinterher aufwachte, noch genauso schlimm sein wie vorher, der im Schlaf wartende Frieden gehörte jedem – auch ihr, völlig unabhängig von ihrem momentanen Zustand. Kapitel 54: Nibelheim --------------------- Kaum etwas auf ganz Gaia wurden so viele Beschreibungen zugeordnet wie dem Begriff „Zeit“. Für manche war sie `tröstend´, wieder andere hätten eher `unbarmherzig´ gewählt. `Unaufhaltsam´, `allgegenwärtig´, `ungreifbar´ ... Sie verging und niemand, nicht einmal die mächtige Electric Power Company, konnte etwas dagegen tun. Die verstreichende Zeit zog die Welt mit sich wie ein Entwicklungen vorantreibender Motor. Ereignisse fanden statt. Manche waren nachvollziehbar, andere gaben Rätsel auf, manche betrafen andere Personen, viele wurden zu ganz persönlichen Angelegenheiten. Sephiroth sah sich mit einer wilden Mischung konfrontiert. Eigentlich hätte er arbeiten müssen, aber seine Gedanken beschäftigten sich mit allem außer den Papieren auf seinem Schreibtisch. Seit Hiwakos Tod waren Tage vergangen und Rufus hatte die ausgesprochene Prophezeiung wahr gemacht: Die Ausgangssperre für die Bevölkerung Midgars war nach wie vor gültig, gleichzeitig waren S-1 Einheiten dabei, die Solaranlagen zu entfernen – natürlich nicht mit der angebrachten Vorsicht. Sie hinterließen pure Verwüstung und somit zusätzliche Kosten, mit denen die betroffenen Haushalte irgendwie klarkommen mussten. Außerdem erledigten die S-1 Einheiten auch den Wiederanschluss an die Makoenergie. Gegenwehr gab es kaum. Die seit Tagen in ihren Häusern festgehaltenen Menschen wussten um die Sinnlosigkeit eines jeden Protestes und legten eine selbst für Sephiroth nachvollziehbare Mischung aus Angst und Ergebenheit an den Tag. Gleichzeitig hatte der Bau von neuen Makoreaktoren begonnen, die an exakt denselben Stellen wie die verschwundenen Exemplare errichtet wurden. Hier arbeiteten ausschließlich S-1 Einheiten. Sephiroth behielt sie und ihre Fortschritte mit Hilfe der über ShinRa Satelliten gelieferten Bilder im Auge. Die S-1 Einheiten legten ein mörderisches Tempo an den Tag. Sie schliefen nicht, sie aßen nicht, sie machten keine Pausen, sie ließen sich nicht einmal von den Witterungsverhältnissen oder dem Wechsel von Tag und Nacht beeinflussen. Sie arbeiteten. Ihr Verhalten hatte einen ganz bestimmten Verdacht in Sephiroth keimen lassen. Der General war sich noch nicht zu 100 % sicher, brauchte weitere Informationen - aber vielleicht war die eigentliche Schwachstelle dieser Monster doch größer, als erwartet. Parallel zu den neuen Reaktoren arbeiteten ShinRa Techniker und S-1 Einheiten an Verbindungen zu bereits bestehenden, weiter auseinanderliegenden Reaktoren zueinander, eine Taktik, die bisher nur in großen Städten eingesetzt worden war, beim Ausgleich eventueller Energieengpässe greifen und ab demnächst überall einsetzbar sein sollte. Insgesamt machten sich die Arbeiten bereits in stetig ansteigenden Makoverbrauchszahlen bemerkbar – und dem Herbst. Er kam praktisch über Nacht. Sicheres Zeichen für die neuen, bereits arbeitenden Reaktoren, oder war es nur die Stille vor dem Sturm? Aber Gaia hatte so viel Kraft gesammelt, weshalb unternahm sie nicht sofort etwas? Wartete sie auf etwas? Wenn ja – worauf? Oder war sie durch das Auftauchen der S-1 Einheiten verwirrt worden und entwickelte eine neue Strategie, die zu komplex war, um sich zeitgleich um die Makoreaktoren zu kümmern? Sephiroth wusste es nicht und es gab niemanden, den er hätte fragen können. Nicht einmal Aerith konnte Neuigkeiten berichten. Die Situation hätte sich jederzeit in jede nur erdenkliche Richtung entwickeln können und blieb somit ungreifbar und nebelhaft. Sephiroth schätzte diesen Zustand nicht, musste ihn aber vorübergehend akzeptieren. Was er weder akzeptieren konnte, noch wollte, war das Verhältnis zwischen sich und Cutter. Es hatte sich seit Hiwakos Tod verändert, und das auf eine Art und Weise, die Sephiroth nicht gefiel. Auch jetzt ging er die einzelnen Punkte gedanklich durch. Da gab es Cutters `Ich hasse dich!´. Niemals zuvor hatte sie etwas Ähnliches zu ihm gesagt. Sephiroth zweifelte nicht an der Ernsthaftigkeit ihrer Aussage, aber er kannte seine Freundin gut genug um zu wissen, dass diese Wortwohl nicht ihm als Person, sondern `nur´ seinen Vorgehensweisen galt. Im Grunde war es keine Überraschung. Cutter hasste alle Formen der Gewalt und versuchte immer, sie zu umgehen, indem sie Alternativlösungen lieferte – diesmal allerdings hatte er nicht darauf eingehen können und den Willen seiner Freundin übergehen müssen. Die Gründe, dessen war sich Sephiroth völlig sicher, hatte Cutter verstanden, aber es war ihr unmöglich, diese auch zu akzeptieren, und letztendlich lag in genau dieser unerreichbaren Akzeptanz ein Bruchstück des Schlüssels der nötig war, um mit der aktuellen Situation wenigstens einen Teilfrieden zu schließen. Was stattdessen existierte, war ein seelisches Trümmerfeld und etwas, das ... es fühlte sich an wie ein tiefer, dunkler Schacht irgendwo in Cutters Seele, der sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schien. Er vermittelte Chaos und gleichzeitig pures Nichts. Niemals zuvor hatte Sephiroth etwas Ähnliches bei seiner Freundin festgestellt – und er konnte es nicht definieren, denn alle ihre sonst problemlos auf ihn übergehenden Gefühle waren verstummt. Blockiert oder erloschen? Der General wusste es nicht. Was ihm blieb, waren die erneut durch das intensive Nachdenken über seine Freundin ausgelösten, intensiven Kopfschmerzen – und die dennoch klar vor ihm liegenden Fakten. Cutter hielt ihn auf Distanz und antwortete nicht einmal auf seine SMS oder e-mails. Sie besuchte ihn nicht mehr – und sie schlief nicht mehr bei ihm. Stattdessen hatte sie darum gebeten, vorerst auf keine Missionen mehr geschickt zu werden, sondern stattdessen an den aktuellen Schulungen teilnehmen zu dürfen. Cutter! Freiwillig! Mit dem eigens dafür vorgesehenen Dokument, und sie hatte es perfekt ausgefüllt! Mehr noch. Sie war bisher zu jeder Schulung pünktlich! Und als sei all das nicht schon seltsam genug, so gab es Punkte, die mindestens genauso beunruhigend waren: Die ihre beiden Flügel symbolisierenden Lichtpunkte an ihrem Rücken waren verschwunden. Dasselbe galt für das Licht in der Luna Lance. Sephiroth hatte intensiv darüber nachgedacht, ob dieses mittlerweile so vertraute Leuchten wirklich verschwunden war, oder sich auch für ihn unsichtbar gemacht hatte, war aber hinsichtlich Cutters restlichem Verhalten zu der Überzeugung gelangt, dass die erste Variante wesentlich wahrscheinlicher war. Im Großen und Ganzen deutete alles auf eine erschreckende Wahrheit hin. Aber doch nicht bei Cutter!, sträubte sich Sephiroth gedanklich. Jeder andere, aber doch nicht sie ... Andererseits ... vielleicht gerade sie. Aber wenn es so ist, warum redet sie nicht mit mir? Sie weiß doch, dass ich für sie da bin! Ich vermisse sie so sehr! Ich möchte ihr helfen! Aber vielleicht hat sie mit jemand anderem gesprochen? Jemandem wie ... Er griff zum PHS drückte die Schnellwahltaste Nr. 2, lauschte dem Klingeln befahl: „Zack, komm in mein Büro! Jetzt!“, und legte auf, ohne eine Antwort abzuwarten, griff in die Innentasche seiner Uniform, nahm den Gegenstand heraus, öffnete den Deckel und betrachtete schweigend den Inhalt. Sephiroth hatte dieses einzigartige Objekt schon vor Wochen anfertigen lassen, aber noch hatte sich keine Möglichkeit ergeben, es zu überreichen. Er konnte nur hoffen, dass es nicht zu spät war. Der General seufzte leise verstaute das vorsichtig geschlossene Kästchen wieder in seiner Uniform – keine Sekunde zu früh, denn eben öffnete sich die Tür seines Büros. „Du hast nicht getrödelt“, kommentierte der General. „Du warst ziemlich deutlich. Dein Timing gehört trotzdem echt in den Papierkorb, Seph, ich stand gerade unter Dusche und bin noch ganz nass, guck!“ Er schüttelte den Kopf, dass die Tropfen in alle Richtungen flogen, konnte seinen General aber nur zu einem gänzlich desinteressierten: „Mach die Tür zu und setz dich!“ bewegen. „In exakt dieser Reihenfolge, oder darf ich mich auch erst setzen und dann versuchen, die Tür zuzumachen?“ Der General sandte ein warnendes Funkeln in Richtung des immer noch in der geöffneten Tür stehenden SOLDIERs und dieser beschloss, der Aufforderung einfach nur Folge zu leisten. Gleichzeitig fragte er sich, ob diesem Treffen ein offizieller oder inoffizieller Grund zuzuordnen war (der 1st war sich nämlich ziemlich sicher, in letzter Zeit nichts wirklich Absurdes angestellt zu haben – was mit ebenso großer oder größerer Sicherheit zeigte, dass es mal wieder höchste Zeit dafür war!), ließ sich betont entspannt in einen der vor dem Schreibtisch stehenden Sessel fallen, warf seinem besten Freund einen zu gleichen Teilen abwartenden, wie auffordernden Blick zu, und erhielt augenblicklich eine Antwort. „Zack, ich werde dir diese Frage nur ein einziges Mal stellen, und ich erwarte, dass du mir die Wahrheit sagst. Wenn du diesbezüglich ein Versprechen gegeben hast, das sich nicht mit meinen Wünschen deckt, verlange ich von dir, dass du es brichst! Das hast du verstanden! Gut. Hat Cutter in letzter Zeit mit dir gesprochen?“ „Nein.“ Zacks Stimme klang völlig ruhig, aber auf deren Grund brodelte Besorgnis. „Nicht ein Wort. Aber ... sie verhält sich seltsam.“ „Definiere seltsam!“ „Sie ist so distanziert. Sie antwortet nicht auf meine SMS oder e-mails, sie vermeidet einfach jeden Kontakt.“ Sephiroth nickte sachte. Er hatte so sehr auf eine andere Antwort gehofft, aber einmal mehr erwies sich sein Instinkt als richtig. Das einsetzende Schweigen ließ eine gewisse Ahnung in Zack aufsteigen. „Sie hat mit dir auch nicht gesprochen, oder?“ „Sie verhält sich mir gegenüber genau so, wie dir.“ „Ist sie sauer auf uns? Wenn `Ja´, wieso redet sie nicht mit uns?“ „Ich denke nicht, dass es so einfach ist“, antwortete Sephiroth fast sanft. „Deshalb wollte ich zuerst mit dir sprechen. Ich hoffte, sie hätte dir etwas gesagt.“ „Kein Wort“, versicherte Zack ernsthaft. Dann schüttelte er heftig den Kopf. „Da stimmt doch was nicht, Seph. Cuttie brütet nicht über ihren Problemen, Cuttie stürmt los, oft ohne Plan, aber das macht sie durch Begeisterung und Improvisation wieder wett. Die jetzige Version ... ist nicht sie selbst.“ Er schwieg einen Moment und fuhr dann leise fort: „Die Gesamtsituation wird sie bedrücken. Es war aber auch erschreckend viel in kurzer Zeit. Das G-Mako, dann dieser für sie so entsetzliche Tag in Midgar, Hiwako ... Ihre Psyche hatte kaum Zeit, sich zu erholen.“ „Du denkst, sie braucht nur etwas mehr Zeit?“ Sephiroth schüttelte sachte den Kopf. „Wir laufen Gefahr, sie zu verlieren, Zack. An Hojo und Rufus und ShinRa - und an irgendetwas in ihr selbst. Sie spricht nicht mit uns darüber, aber irgendetwas gibt es da, ich kann es spüren. Was immer es ist, Cutter kämpft nicht dagegen. Sie hat sich damit abgefunden. Und“, fügte er mit wesentlich härterer Stimme hinzu, „ich werde rauskriegen, was es ist.“ „Kann ich helfen?“ „Ja. Komm mir nicht in die Quere!“ Gleichzeitig erhob er sich, griff nach Masamune und war nur Sekunden später auf den Gängen des HQ´s unterwegs, einmal mehr blind auf die Verbindung zwischen sich und Cutter lauschend. Sie fühlte sich bei Weitem nicht mehr so stark an, wie früher, aber noch existierte sie – und sie zeigte ihm den Weg. Der General wusste noch nicht genau, was er tun oder sagen würde, er wusste nur, dass er seine Freundin davon abhalten musste, weiter wegzulaufen. Der erste Schritt zur Heilung bestand in der Akzeptanz des Geschehenen, und das musste er ihr irgendwie klar machen, auf eine Art und Weise, die sie nicht noch weiter verletzte. Möglicherweise war der Gegenstand in der Innentasche seiner Uniform die letzte Chance. Zwei Sekunden später erreichte Sephiroth die beiden großen Schwingtüren, hinter denen sich Cutter aufhielt. Für gewöhnlich legte der General beim Betreten eines Raumes völlige Lautlosigkeit an den Tag, aber diesmal ging es ihm um das genaue Gegenteil. Die Türen hatten seinem kraftvollen Stoß nichts entgegenzusetzen und schwangen mit einer Wucht auf, die sie lautstark mit den Wänden zu ihren Seiten kollidieren ließ. Sämtliche zu diesem Zeitpunkt in der Caféteria befindlichen Personen zuckten erschrocken zusammen, und nur eine Sekunde später lagen alle Blicke auf dem General, der eben mit der Gelassenheit eines Jahrtausendgewitters eintrat, das Schwert zog, der neben sich liegenden Wand mit einem einzigen, entschlossenen Schlag einen gezielten Riss an einer ganz bestimmten Stelle zufügte (woraufhin die grünen Lichter sämtlicher Überwachungskameras erloschen), schließlich wieder den Kopf in Richtung der wie gelähmt zusehenden Personen wandte und mit einer Stimme, die nicht laut aber dennoch absolut beherrschend war, befahl: „Raus! Alle!“ Sämtliche Anwesenden sprangen sofort auf und setzten sich zügig in Bewegung. Sephiroth ließ sie scheinbar völlig teilnahmslos an sich vorbeiziehen. Er griff nur ein einziges Mal, als das Gedränge am dichtesten war, zu, fischte eine ganz bestimmte Person aus der Menge, zog sie zu sich und hielt sie am Kragen gepackt, bis auch der letzte Gast fluchtartig den Raum verlassen hatte. Insgesamt waren seit Aussprache des Befehls weniger als 7 Sekunden vergangen. Sephiroth schob Masamune zurück in die Schutzhülle und ließ den Kragen los. „Was soll das werden, wenn es fertig ist?“ „Nichts“, murmelte Cutter. „Das ist zuviel für `Nichts´!“ Er atmete tief durch und fügte wesentlich sanfter hinzu: „Cutter, ich bin dein Freund. Rede mit mir. Hilf mir, dich zu verstehen!“ „Ich bin ok“, lautete die leise Antwort. „Ich brauche nur ...“ „Nein“, unterbrach Sephiroth ebenso leise, aber wesentlich fester. „Das bist du nicht.“ Und dann sprach er es aus. Jene zur Gewissheit gewordene Befürchtung. „Du hast den Glauben verloren, nicht wahr? An eine bessere Zukunft, an die Lines ... und an dich selbst.“ Jäher Schrecken raste durch den Blick der jungen Frau. Dann verdunkelte sich dieser, bis jeglicher Glanz verschwunden war. Cutter hatte nie viel besessen. Was im Laufe der Zeit zu ihr gekommen war, Sephiroth, Zack, die Luna Lance, die Lines, waren Geschenke. Mit ihr verwoben, ja, aber keinesfalls ihr Eigentum. Sie gehörten ausschließlich sich selbst und teilten sich lediglich mit ihr. Mit Cutters Glauben allerdings verhielt es sich anders. Er war mit ihr gewachsen und somit ein Teil ihres Selbst, eine Stütze, die ihr letztendlich geholfen hatte, zu erkennen, wer sie war und was sie bewirken konnte. Ihr Glaube hatte sie stark und mutig werden lassen und eine gewisse Schutzschildfunktion übernommen. Viele Dinge ließen sich leichter ertragen, wenn man nur etwas besaß, an das man glauben konnte, ein Ziel, das all die Bemühungen und den Schmerz wert war. Glaube konnte Flügel verleihen. Er brachte einen dazu, durchzuhalten, wo andere aufgaben. Er konnte der Motor einer ganzen Existenz sein. Ohne den Glauben an irgendetwas, und sei es noch so klein, war man nicht mehr als ein leeres Gefäß, dem die Standhaftigkeit fehlte. Man lief leichter Gefahr, umzufallen und zerstört zu werden. Man traf seine Entscheidungen unschlüssig, war sich über die Konsequenzen nicht im Klaren und war gefährdeter an sich selbst, den anderen und dem Leben allgemein zu verzweifeln. Deshalb war Glaube so wichtig. Weil er retten und leuchten und beschützen und helfen konnte - solange er nicht durch eigene Taten oder die anderer zerstört wurde, denn selbst der stärkste Glaube konnte zerbrechen, wenn die mit ihm kollidierenden Kräfte mächtiger waren. Wie in den vergangenen Tagen. Was früher ein gewaltiger Ozean gewesen war, hatte sich in eine endlose Wüste verwandelt - und ließ sich nicht mehr verbergen. „Ja.“ Nur ein Flüstern. Ich wusste es, dachte Sephiroth. Oh Gaia ... selbst ich möchte mich hin und wieder irren. „Und infolge dessen“, ergänzte er, „kannst du auch die Lines nicht mehr sehen. Deshalb hast du dich freiwillig für alle die Schulungen eintragen lassen.“ Cutter nickte. Gleichzeitig gaben die Beine unter ihr nach, als sei das getragene Gewicht endgültig zu schwer geworden. Die junge Frau sank, am absoluten Ende ihrer körperlichen und mentalen Kräfte angekommen, in die Knie. „Ich wollte nicht, dass er verschwindet.“ Ihre Stimme klang völlig tonlos. „Aber ich konnte ihn weder beschützen, noch festhalten ... und jetzt ist er weg.“ „Und das“, sagte Sephiroth nach einem kurzen Moment des Schweigens leise, „wolltest du ganz alleine überstehen. Wir kennen uns so gut, hast du wirklich gedacht, ich würde nichts merken?“ „Das spielt überhaupt keine Rolle mehr“, wisperte Cutter. „Er ist weg, und ich habe verloren. Es wird nie wieder so, wie früher. Du solltest Rufus und Hojo endlich töten. Kümmer´ dich nicht mehr um mich, ich bin nur noch Ballast.“ Es war, das verstand Sephiroth sofort, kein Test, der klarstellen sollte, ob sich seine Gefühle für sie hinsichtlich der aktuellen Situation verändert hatten. Cutter meinte jedes Wort ernst und war fest von dem eben Gesagten überzeugt. Die Ansichten des Generals allerdings ... „Das sehe ich anders.“ „HÖR AUF, SEPHIROTH!“ Diesmal hallte Cutters Stimme durch den ganzen Raum. „Ich kann nicht länger ausblenden, wie sehr ich Rufus bei der Verwirklichung seiner finsteren Pläne geholfen habe! Das hier ist meine Strafe dafür, die Lines im Namen ShinRa´s benutzt und ausgebeutet und missbraucht zu haben, und ich habe diesen Zustand, der bis zum Rest meines Lebens andauern wird, verdient! Zu 100 %!“ Ihre Stimme wurde erneut zu einem Flüstern. „So ist es am Besten. Wenn ich die Lines nicht mehr sehen kann, hat auch Rufus diesbezüglich keine Macht mehr über mich.“ „Rufus“, antwortete Sephiroth sanft, „wird Macht über dich haben, solange du lebst, und sei es nur in deinen Erinnerungen und Albträumen. Er und die Electric Power Company sind Teil von dir, und du bist Teil von ihnen, daran kannst du nichts ändern, so sehr du es dir auch wünschst. Aber vor dieser Tatsache zu kapitulieren, macht die Situation für dich nur noch schwieriger. Du darfst jetzt nicht aufgeben, Cutter! Auch, wenn du dich im Moment nicht erinnern kannst, du hast viel Gutes bewirkt. Um dich herum war es immer ein klein wenig heller. Gib dieses Licht nicht her. Nicht wegen ShinRa!“ „Sephiroth“, wisperte Cutter, „begreif es doch. Es ist vorbei. Dieses Licht existiert nicht mehr.“ „Du irrst dich“, widersprach Sephiroth ruhig. „Ich kann es tief in dir noch glühen sehen. Nicht mehr stark, das ist wahr – aber es existiert. Und wir werden es vorsichtig füttern.“ Cutter schwieg. Sie konnte spüren, wie Sephiroths Worte versuchten, sich wie Bandagen um ihre verletzte Seele zu legen ... aber sie rutschten immer wieder ab. „Ich weiß nicht mehr, wie man so einen Funken füttert.“ „Aber ich. Wir ...“ Er verstummte. Es gab Momente, in denen Worte gefragt waren, und es gab Situationen, in denen man schweigend handeln musste. Jetzt, das spürte Sephiroth ganz deutlich, war die Zeit für Worte vorbei. Und so schüttelte er den Kopf, ließ sich in die Hocke gleiten und griff in eine der Innentaschen seiner Uniform. Als er die Hand wieder herauszog, enthielt sie ein kleines, rechteckiges, schwarzes Kästchen, an dessen Vorderseite ein rotes Licht glühte. Ein Minisafe. Neueste ShinRa Technologie. Sprachgesteuert. Bei dreimaliger falscher Eingabe des Passwortes oder gewaltsamer Öffnung würde Säure den Inhalt zerstören. Diesen Inhalt hatte Sephiroth in den vergangenen Tagen immer wieder betrachtet. Was dieser symbolisierte, traf zu, bedingungslos. Aber erst jetzt war der richtige Zeitpunkt gekommen, ihn zu überreichen. „Was du für mich bist und immer sein wirst, befindet sich in diesem Kästchen. Das Passwort ist unsere erste gemeinsame Erinnerung. Du musst es dreimal sagen.“ Cutter hatte nicht mehr die Kraft, um nach dem Kästchen zu greifen – aber sie sah es an. Sephiroths Worte ... Die erste gemeinsame Erinnerung ... Es war schon so lange her ... dennoch würde die junge Frau diesen Moment niemals vergessen. Das Ereignis, mit der vor über 4 Jahren alles angefangen hatte, ließ sich tatsächlich mit nur einem einzigen Wort beschreiben. „ ... Bruchlandung ...“ Nach der dritten Wiederholung sprang das Lämpchen augenblicklich von rot auf grün. Der Deckel öffnete sich klickend um einen Millimeter. Cutter klappte ihn vorsichtig ganz auf. Ein schwarzes Samttuch begrüßte ihren Blick, ließ sich aber problemlos anheben. Und darunter ... Cutter konnte nicht sofort reagieren. Sie starrte den Gegenstand an ohne zu atmen und ohne zu blinzeln. Unter dem schwarzen Samttuch befand sich eine passgenaue Vertiefung, und in dieser, ebenso detailliert wie das Original, nur wesentlich kleiner und von einer passenden Kette gehalten, der andere, der fehlende Flügel Sephiroths, gefertigt aus Schwarzem Silber, dem mit Abstand teuersten und am schwierigsten zu beschaffendsten Materials ganz Gaias. „Das wirst du immer bleiben.“ Die dunkle Stimme synchronisierte sich völlig problemlos mit dem Anblick des Flügels. „Ganz egal, wofür du dich hältst, oder was geschieht.“ Cutter holte tief Luft, blinzelte – dann fiel sie ihrem Freund um den Hals und begann haltlos zu schluchzen. Sephiroth legte die Arme um ihren Körper, hielt sie fest. „Lauf nicht weg, Phoenix.“ Seine Stimme klang leise, aber sehr fest. „Sieh dich an. Du hast so lange so großartig gekämpft, und ich bin stolz auf dich. Deine jetzige Müdigkeit ist absolut nachvollziehbar. Deshalb, ruh dich aus. Gib deinen Verletzungen Zeit zum Heilen. Bis sie verschwunden sind, passe ich auf dich auf und halte dir den Rücken frei, bis du es eines Tages wieder selbst tun kannst. Zusammen reparieren wir deinen Glauben und dein Selbstvertrauen, und dann werden alle deine Fähigkeiten zu dir zurückkommen. Einverstanden?“ Cutter sagte nichts, aber sie verstärkte ihre Umarmung und krallte ihre freie Hand fest in die dunkle Uniform, eine Antwort, die völlig ausreichte. Gleichzeitig schloss die junge Frau die Augen. Die Leere in ihr war immer noch existent, aber jetzt schien diese sich schlagartig vor Grenzen wiederzufinden, die Sephiroths Nähe und seine Worte gesetzt hatten, und Cutter hielt sich daran fest, gefunden und geborgen. Die Ruhe des anderen, so vertrauten Wesens ging mehr und mehr auf sie über, wie ein Zauberspruch, der einmal mehr seine volle Wirkung entfaltete. Auch Sephiroth konnte spüren, wie seine Freundin langsam ruhiger wurde, und es erfüllte ihn mit großer Erleichterung. Gleichzeitig beschloss er, dass es wesentlich bessere Plätze zum Ausruhen als die Caféteria gab. Eigentlich hatte er vorgehabt, Cutter auf die Beine zu ziehen, aber als er spürte, wie seine Freundin ihren Griff weiter verstärkte, wurde ihm klar, was sie jetzt wirklich brauchte, und so stabilisierte er ihren Halt mit seinen Armen, richtete sich wortlos auf und verließ, Cutter tragend, die Caféteria. Die junge Frau nahm kaum wahr, dass sie sich bewegten, so groß waren Erschöpfung und Müdigkeit. Aber welche Rolle spielte das schon? Sephiroth war hier, und er hielt sie fest. Mehr war momentan nicht wichtig. Er ließ sie erst los, nachdem er sie vorsichtig auf dem Bett in seinem Appartement abgesetzt hatte. „Versuch zu schlafen“, bat der General leise. „Morgen wird es dir etwas besser gehen.“ Cutter nickte, streifte die Schuhe von den Füßen, ließ die verhasste ShinRa Uniform zu Boden fallen, nahm die Flügelkette aus dem Minisafe und zog die Bettdecke über sich. Sephiroth betrachtete den sich ihm bietenden Anblick – und traute dem Frieden nicht. Jetzt, wo er mit Sicherheit wusste, worum es ging, war ihm auch klar, dass Cutter ihn dringender brauchte als jemals zuvor, und so dauerte es nicht lange, ehe er ebenfalls die Bettdecke über sich zog, den Arm um seine Freundin legte und nur eine Sekunde später spürte, wie sie sich auf die andere Seite drehte und an ihn schmiegte. Mittlerweile hielt sie die Flügelkette in der rechten Hand wie eine Erinnerung, die eine materielle Form angenommen hatte, um sich greif- und fühlbar zu machen, und Sephiroth wusste, dass es noch einige Zeit dauern würde, ehe er seiner Phoenix die Kette um den Hals legen konnte ... aber im Grunde war es auch gar nicht wichtig. Cutter hatte verstanden, was er ihr sagen wollte, jetzt war sie wieder bei ihm, und er würde sein Versprechen halten! Irgendwann verrieten ruhige, gleichmäßige Atemzüge, dass die junge Frau eingeschlafen war. Sephiroth selbst schlief nicht. Er behielt sie im Auge, in der Hoffnung, seine Gegenwart möge sich auch auf ihre Träume auswirken und die Dämonen dort auf Distanz halten. Der Plan ging auf. Es wurde Morgen, ehe Cutter zum nächsten Mal blinzelte, und die ersten bewussten Wahrnehmungen bestanden in Wärme und dem Gefühl, gestreichelt zu werden, langsame, ruhige Bewegungen, die das Fehlen jeglicher Gefahr versicherten. Cutter seufzte leise und schloss abermals die Augen. Es tat so gut, zu wissen, dass sie hier trotz aller Schutzlosigkeit nicht gefährdet, sondern geborgen war. „Wie geht es dir?“, erkundigte sich Sephiroth leise. Cutter öffnete die Augen und lauschte in sich hinein. Die mentale Erschöpfung befand sich noch auf demselben Level wie am gestrigen Abend, aber das Gefühl, hilflos und ausgeliefert zu sein, war fast völlig verschwunden. Der General lauschte der Beschreibung und nickte. „Ich besorge dir ein Materiaset, für den Fall, dass sich neues Unheil zusammenbraut und du diesem allein begegnest.“ Cutter nickte und sagte dann leise: „Ich hätte dir gleich Bescheid sagen sollen, aber ich war so ... Es tut mir leid.“ Sephiroth schüttelte sachte den Kopf. „Als dein kommandierender Offizier trage ich an deinem jetzigen Zustand eine Teilschuld, der ich mich nicht entziehen kann. Um ehrlich zu sein, ich ... hätte nicht gedacht, dass die Auswirkungen meiner dir geltenden Befehle so drastisch sein würden.“ „Es waren nicht nur deine Befehle. ShinRa und ich das war ... einfach zu gegensätzlich. Früher oder später musste es schief gehen. Eigentlich bin ich verblüfft, dass ich so lange durchgehalten habe.“ „Ganz kaputt bist du noch nicht“, erinnerte Sephiroth leise. „Wir nehmen, was noch ganz ist, und reparieren mit Hilfe dessen den Rest.“ „Wir füttern den Funken.“ Gleichzeitig kuschelte sie sich enger an ihn und murmelte: „Ich bin nicht mehr auf dem Laufenden ... Musst du heute auf eine Mission?“ Und als Sephiroth nickte: „Nimmst du mich mit? Ich werde dir keine große Hilfe sein, aber ...“ „Du“, unterbrach der General, „bist mir immer eine Hilfe. Stell bitte trotzdem keinen Unsinn mit dem Materiaset an.“ Cutter fand die Kraft, zum ersten Mal seit Tagen wieder zu schmunzeln, und der General erwiderte das Lächeln, dann löste er die Umarmung und verließ nur wenige Minuten später in der üblichen Uniform das Appartement, stellte das Materiaset zusammen und kehrte anschließend zurück, um mit seiner Freundin zu frühstücken und sich anschließend gemeinsam mit ihr auf den Weg zum Sammelpunkt für die heutige Mission zu machen. Es stimmt, dachte Cutter während sie neben ihrem Freund herging, solange du da bist, bin ich noch nicht ganz verloren. Ich darf das nie wieder übersehen! „Wohin wollen wir eigentlich heute, Sephy?“ „Der Ort heißt `Nibelheim´. Der dortige Reaktor macht Probleme, und da alle Techniker hier beschäftigt sind ...“ „Hast du die Ehre.“ Sephiroth nickte. Er interessierte sich seit jeher für die Reaktoren, und viele der Bücher in seinem Appartement handelten von der komplizierten Technik. Bei personellen Engpässen war es üblich, auf sein Wissen zurückzugreifen. So gesehen war an dieser Mission nichts außergewöhnlich – aber dennoch war irgendetwas anders als sonst. Der Instinkt des Generals war in Aufruhr. Sein Wispern und Flüstern glich dem Kontakt von Besteck und einem Teller kurz vor dem schrillen Quietschen. Eine nicht greifbare, aber dennoch deutlich spürbare Bedrohung. Und Sephiroth war nicht sicher, ob er sich ihr, oder sie sich ihm näherte. Er wusste nur, dass es irgendetwas mit der heutigen Mission zu tun hatte, und alle diesbezüglichen Nachforschungen zu keinem nennenswerten Ergebnis geführt hatten. Um sich abzulenken, warf der General seiner neben ihm gehenden Freundin einen unauffälligen Blick zu. Cutter trug die Luna Lance wie gewöhnlich auf dem Rücken, hatte aber auch Materia bei sich und war somit nicht länger schutzlos. Eben streichelten ihre Fingerspitzen zum wiederholten Mal über die jetzt um ihren Hals liegende Flügelkette. „Sie steht dir“, kommentierte Sephiroth leise, und Cutter sah zu ihm auf und lächelte. „Ich werde sie, solange ich lebe, nicht wieder ablegen, versprochen!“ Sephiroth erwiderte das Lächeln. Er wusste, dass sich seine Freundin bis auf Weiteres an ihm festhalten würde, bis sie genug Kraft gesammelt hatte, um den Weg aus eigener Kraft fortzusetzen – ein Plan, den beide akzeptieren konnten. Sie bogen um die letzte Kurve, der Sammelpunkt kam in Sicht, und nur eine Sekunde später löste sich eine vertraute Gestalt aus der dort stehenden Gruppe und kam ihnen entgegen. „Euretwegen“, grollte Zack, als er in Hörweite kam, „habe ich die ganze Nacht kein Auge zugetan!“ „Sieht man dir an“, antwortete Sephiroth mitleidslos und ignorierte geflissentlich die ihm geltende Grimasse. „Ich sehe euch zum ersten Mal seit Tagen wieder zusammen“, fuhr Zack fort, „und deute das eigentlich als gutes Zeichen, aber, Cuttie, bitte sag mir trotzdem, was los ist und ob ich dir irgendwie helfen kann!“ Cutter holte tief Luft ... und begann zu erzählen. Leicht fiel es ihr nicht, aber das Bewusstsein, auch von Zack keine Vorwürfe erwarten zu müssen, half ihr. Letztendlich schüttelte sie den Kopf. „Ich hätte euch beiden gleich Bescheid sagen müssen. Tut mir leid! Das war wirklich eine totale Katastrophe.“ „Wohl eher eine Cutter-Strophe“, antwortete Zack und wuschelte der jungen Frau mit beiden Händen durch die Haare. Dann allerdings wurde er schlagartig sehr ernst. „Cuttie, ich und der trotz allem oft noch so schlecht gelaunte General da drüben sind deine Freunde. Nicht nur beim Rumalbern, sondern auch, wenn du Probleme hast. Komm zu uns, wenn du uns brauchst, denn ansonsten kommen wir zu dir. Benutz uns. Stütz dich auf uns. Wir verkraften das schon, und helfen dir, wo es nur geht.“ Dann schüttelte er entrüstet den Kopf. „Dass ich dir das noch extra sagen muss! Du weißt es doch!“ Cutter seufzte leise und brachte das Kunststück fertig, gleichzeitig zu nicken und den Kopf zu schütteln – eine Reaktion, die ein breites Grinsen auf Zacks Gesicht zauberte. „Na ja, mach dir keine Sorgen, Seph und ich passen auf dich auf – wie früher! Oh, das wird Spaß machen!“ Cutter schaffte es, das Grinsen halbwegs zu erwidern, Sephiroth stöhnte nur leise und setzte sich wieder in Bewegung, auf den Rest der kleinen ShinRa Truppe zu. Die Mission versprach, interessant zu werden – so oder so. Er konnte nicht ahnen, wie richtig er mit dieser Ansicht lag und was die Mission alles auslösen würde, aber als die Helikopter letztendlich abhoben, sah der General aus dem Fenster und nahm wahr, wie in seinem Herzen hinsichtlich des immer kleiner werdenden ShinRa HQ´s ein neues Gefühl erwachte. Es fühlte sich an wie ein endgültiger Abschied, und für einen Moment war sich Sephiroth völlig sicher, die Machtzentrale der Electric Power Company zum letzten Mal auf diese Art und Weise zu sehen ... Dann schob er den Gedanken energisch beiseite und konzentrierte sich auf die vor ihm liegende Mission. Ganz egal, was in deren Rahmen auf ihn wartete – er würde es zurückschlagen und siegen! Er siegte immer ... Eigentlich hätte die kleine ShinRa Truppe bequem in Nibelheim landen können, aber der General zog es vor, einen Teil der Strecke zu Fuß zu bewältigen, und seine Leute waren schlau genug, nicht zu protestieren und sich ihre Kraft stattdessen für den relativ beschwerlichen Weg durch die Berge aufzusparen. Nibelheim entpuppte sich als winziges Dorf mitten im Nirgendwo, umgeben von karger Vegetation und Felswänden. Der Anblick hätte friedlich und langweilig wirken können – aber Sephiroth war, als läge unterhalb des Offensichtlichen noch etwas Anderes, etwas Ungreifbares ... aber er konnte es nicht näher definieren. Vorerst! Da es bei der aktuellen Mission nicht nur um die Lokalisierung des Fehlers im Makoreaktor, sondern auch um das Training der Kadetten im Kampf gegen Monster ging, war es hinsichtlich der einsetzenden Dämmerung klüger, die Mission erst mit der Helligkeit des kommenden Morgens fortzuführen. Sephiroth erteilte entsprechende Befehle und begann allein mit einem Rundgang durch das Dorf, um das seltsame Gefühl tief in sich näher zu bestimmen. Letztendlich blieb er vor einem ganz bestimmten Objekt stehen. So klein und bescheiden die restlichen Häuser wirkten, so protzig und fehlplatziert wirkte dieses Gebäude, außerdem war es durch einen hohen, stabil aussehenden Zaun vor unerwünschten Besuchern geschützt. Was auch immer sich im Inneren des Bauwerkes befand, es sollte unangetastet bleiben. Sephiroth starrte durch den Zaun hindurch und lauschte nach innen. Irgendetwas dort reagierte auf dieses Gebäude, konnte sich aber für keine klare Richtung entscheiden ... Der General war so konzentriert, dass er fast zusammengezuckt wäre, als Zacks Stimme völlig unvermittelt neben ihm erklang. „Hier bist du, ich such dich schon überall. Äh, was ist das?“ „Die alte ShinRa Mansion.“ Zacks Blick war fest auf das Gebäude gerichtet und er hatte sich längst entschieden, es nicht zu mögen. Irgendetwas Merkwürdiges ging davon aus. Es wirkte bedrohlich – aber noch nicht bedrohlich genug für Zackary Fair! „Oh, von dem Ding sollen wir uns fern halten, hat man mir vorhin gesagt. Es spuckt dort.“ „Wenn überhaupt, dann `spukt´ es dort, Zackary“, grollte der General. „Mit `k´, nicht mit `ck´.“ „Natürlich“, grinste der 1st, „was anderes würde wohl kaum Sinn ergeben, oder?“ „Und weshalb“, erkundigte sich die mittlerweile neben Sephiroth stehende Cutter, „stellt ShinRa so ein protziges Gebäude an so eine einsamen Ort?“ „Auch Geister brauchen ein Zuhause?“, spekulierte Zack. Gleichzeitig hob er die Arme und fuchtelte damit durch die Luft. „Huhuuuuuu!“ Ergänzend zu Sephiroths Blick fügte er hinzu: „Was? Gefallen dir die Vokale nicht? Die kann ich variieren. Pass auf: Hohooooo ... hiiihiiii ...“ „Schalte jetzt in den SOLDIER Modus, ansonsten werden die einzigen beiden Vokale, die noch über deine Lippen kommen, `a´ und `u´ sein, und zwar genau in dieser Reihenfolge!“ Stille. Und dann, äußerst entrüstet: „`Hauauauau´ klingt aber blöd, Seph! Und kein bisschen grusel ... au!“ Sephiroth ließ die Hand, mit der er dem Pseudogespenst einen Schlag gegen den Hinterkopf verpasst hatte, wieder sinken, und dieses verzog das Gesicht, rieb sich über die schmerzende Stelle und maulte: „Mit dir macht aber auch wirklich gar nichts Spaß! Du kaltherziger General! Mögen die Spuckgeister dieses Ortes über dich kommen, huhu, haha, hihi, hoho, hehe und hauhau.“ „Ich bring dich um!“, grollte Sephiroth. „Eines Tages bring ich dich um!“ Zack konterte mit seinem breitesten und frechsten Grinsen, und auch Cutter musste unwillkürlich lachen. Sie wusste, wie sehr Sephiroth an Zack hing, und dass er eine derartige Tat niemals würde über sich bringen können, ganz egal welchen Blödsinn sich der 1st auch ausdenken mochte – jetzt allerdings veränderte sich sein Gesichtsausdruck, wurde wieder ernsthaft. „Der Bau des Makoreaktors kann nicht Grund für die Errichtung dieses Gebäudes gewesen sein, dafür errichtet man Camps. Bestenfalls. Und für ein Ferienhaus ist es zu weit weg von Vergnügungen jeglicher Art.“ Und dann, unüberhörbar misstrauisch: „Es passt nicht hierher!“ „Möglicherweise“, überlegte Sephiroth, „hat es etwas damit zu tun, dass der Reaktor, den wir morgen sehen werden, das erste jemals von ShinRa gebaute Exemplar ist – sag jetzt nicht `Ehrlich?!´, Zackary!“ „Sowas käme mir nie in den Sinn!“, beteuerte Zack betont unschuldig – sein Blick allerdings lag immer noch auf der ShinRa Mansion und verriet großes Misstrauen. „Seht euch die Sicherheitsvorkehrungen an, da kommt nicht mal eine Fliege unbemerkt rein. Soll ich euch was sagen? Ganz egal, warum dieses Haus hier ist, die Sache gefällt mir nicht.“ „Mir auch nicht“, murmelte Cutter. Irgendetwas Düsteres ging von dem Gebäude aus, und die junge Frau konnte einfach nicht definieren, worum es sich dabei handelte. Sie wünschte sich, die Lines sehen zu können, aber all die bunten Helfer entzogen sich ihr nach wie vor. „Sie kommen zurück“, erklang Sephiroths leise Stimme genau neben ihr. Einmal mehr wusste der General ganz genau, was in seiner Freundin vorging. „Setz dich nicht unter Druck.“ Cutter nickte, konnte ihre Trauer aber nicht ganz ausmerzen. Mit den Lines wären so viele Dinge wesentlich einfacher gewesen, und ihr Fehlen ... schmerzte. Momentan allerdings konnte die junge Frau den aktuellen Zustand nur akzeptieren und versuchen, sich trotzdem zu entspannen, und so folgte sie ihren beiden besten Freunden, als diese schweigend zum Dorf zurückkehrten, um in der einzigen Wirtschaft zu Abend zu essen. Das Essen war besser als erwartet. Vor allen Dingen tat es Sephiroth gut, der neben ihm sitzenden Cutter von Zeit zu Zeit einen verstohlenen Blick zuzuwerfen. Es war so schön, sie wieder so nahe bei sich zu haben, (nicht zuletzt, weil er sie so viel besser beschützen konnte) und sie blieb sogar bei ihm, als die Teller weggeräumt wurden und der freie Platz die Entstehung/Aufarbeitung einiger mitgebrachter Berichte gestattete – jedenfalls bis Cutter sich lang auf der Bank ausstreckte, ihren Kopf auf seinen Oberschenkel legte und die Augen schloss. Eine überdeutliche Information. Sie bewog Sephiroth den Bericht zu beenden, sicher zu verstauen und seiner Freundin vorsichtig klar zu machen, dass die Botschaft angekommen war. Wenige Minuten später betraten sie eines der kleinen Schlafzimmer. Cutter ließ ihre ShinRa Uniform auf dem Weg ins Bett einfach fallen, lehnte die Luna Lance an die Wand neben dem Bett, zog die Decke über sich und schloss die Augen. Sephiroth warf der Wölbung unter der Bettdecke einen zu gleichen Teilen strafenden wie erheiterten Blick zu, seufzt leise, sammelte die Uniform ein, legte sie ordentlich zusammen, tat letzteres auch mit seiner eigenen Uniform, lehnte Masamune neben die Luna Lance, zog die Decke ebenfalls über sich und konnte nur einen Sekundenbruchteil spüren, wie sich Cutter an ihn schmiegte. Sephiroth hätte auch die Augen schließen können ... aber gewisse Vorgänge hielten ihn davon ab. Sie waren so seltsam, dass er Cutter einfach darauf hinweisen musste. „Sieh dir die beiden an.“ Cutter blinzelte, drehte sich auf die andere Seite und runzelte die Stirn. Jetzt lagen ihr Blick und der Sephiroths auf denselben beiden Gegenständen: Masamune und der Luna Lance. Wie üblich befanden sie sich in Griffnähe, diesmal allerdings genau nebeneinander. Und als hätten sie nur darauf gewartet ... Die seit etlichen Tagen erloschene Luna Lance strahlte ein neues, seltsam fremdes, aber sehr sanftes Licht aus. Es pulsierte wie Herzschlag. Masamune hingegen schien trotz der Schutzhülle genau dieses Licht zu absorbieren und in jeder Pause in einer neuen, wie flüssiges Silber wirkenden Helligkeit erneut auszustrahlen. Es erweckte unweigerlich den Anschein, als kommunizierten die beiden einzigartigen Objekte miteinander. Niemals zuvor hatten Sephiroth und Cutter sie so gesehen, und so konnten sie einander nur fragende Blicke zuwerfen. Beide wussten, Masamune besaß keine eigene Line und konnte somit unmöglich von der Luna Lance beeinflusst werden - und dennoch, daran gab es nicht den geringsten Zweifel, geschah gerade ... irgendetwas. Lautlos und in völligem Frieden. „Denkst du“, wisperte Cutter, „das ist ein gutes Zeichen?“ Sephiroth hätte gerne eine klare Antwort gegeben, aber selbst ihm war das aktuelle Verhalten Masamunes völlig fremd, und so blieb ihm nur ein für ihn völlig untypisches: „Wir werden sehen“. Cutter nickte und sah schweigend zu der Luna Lance und Masamune hinüber bis ihr die Augen zufielen. Sephiroth hingegen beobachtete die beiden Waffen weiterhin. Irgendwann verblasste das Leuchten. Was auch immer geschehen war, es hatte ein Ende gefunden. Der General griff nach dem legendären Katana, lauschte in es und sich selbst hinein, auf der Suche nach Hinweisen. Aber alles fühlte sich an, wie immer. Letztendlich legte er das Schwert wieder beiseite, schob den Arm über seine schlafende Freundin und sah aus dem Fenster. Er konnte den Reaktor nicht sehen, aber auf seltsame Art und Weise spüren. So klein das Exemplar laut allen vorliegenden Informationen sein mochte, es fühlte sich nicht so an. Sondern, auf eine nahezu unheimliche Art und Weise, größer. Oder doch ... tiefer? Nie zuvor hatte Sephiroth etwas Ähnliches bezüglich eines Makoreaktors empfunden, und es ärgerte ihn. Es war nur ein ShinRa Bauwerk! Nicht mehr, nicht weniger. Und es war defekt. Irgendwo. Eine Standardsituation. Absolut kein Grund zur Besorgnis. Trotzdem gelang es dem General in dieser Nacht nicht, auch nur eine Sekunde zu schlafen. Irgendetwas tief in ihm war in Bewegung geraten. Es ließ sich nicht definieren, aber es fühlte sich an, als werfe es sich immer wieder und wieder gegen eine innere Wand in dem Bestreben, sie zu durchbrechen, und Sephiroth war es unmöglich zu sagen, ob die eigene Sympathie der Wand oder den unermüdlichen Ausbruchsversuchen galt. Es vergingen einige Stunden, ehe Cutter zum nächsten Mal blinzelte. Morgendämmerung begrüßte sie. Und sanfte, ihrem Nacken geltende Küsse, untermalt von warmem Atem. Die junge Frau lächelte zu gleichen Teil wach wie noch verschlafen und drehte sich auf die andere Seite, wisperte: „Hey“, und erwiderte die Küsse auf eine Art und Weise, die überdeutlich mitteilten, wie sehr sie es genoss, auf diese Art und Weise geweckt zu werden und, dass sie sich heute wesentlich besser als in den vergangenen Tagen fühlte. Gute Voraussetzungen, um die heutige Mission erfolgreich zu beenden. Es dauerte nicht lange, ehe sich die kleine ShinRa Truppe vor dem Gasthaus versammelte. Zack trat als letzter aus der Tür – und Cutter fiel sofort auf, dass der 1st seltsam wirkte. Sie trat neben ihn und erkundigte sich leise: „Was ist los?“ Zack schüttelte den Kopf und wirkte sehr verlegen. „Aerith hat mich vorhin angerufen. Sie sagte, dass ...“ Er verstummte und schüttelte abermals den Kopf. „Es ist so – sie hat manchmal Visionen. Letzte Nacht auch, deshalb hat sie mich vorhin angerufen. Sie sagte, wir zwei sollten Nibelheim sofort verlassen, weil etwas Schreckliches geschehen wird. Sie hat Feuer gesehen und jede Menge Tote. Ein wahres Inferno aus Blut und Gewalt. Und sie ... sie meint, Seph wäre der Auslöser gewesen.“ Cutter warf einen Blick zu Sephiroth hinüber. Er stand ganz ruhig da und lauschte den Worten des Scouts, der ihnen den kürzesten Weg zum Reaktor zeigen würde. „Zack“, sagte Cutter leise, „du weißt, ich mag und respektiere Aerith. Aber ich glaube nicht, dass ...“ „Genau da“, unterbrach Zack, „liegt das Problem. Sie hatte bisher immer Recht! Behalten wir unseren General einfach gut im Auge.“ Er wartete das zögerliche Nicken Cutters ab, ehe er den Blick wieder auf Sephiroth richtete. Aerith hatte sich noch nie geirrt. Aber Sephiroth war stärker als jemals zuvor – besonders auf der mentalen Ebene. Aerith musste sich irren. Sie musste einfach! Aber so gerne Zack es geleugnet hätte, sein Instinkt versicherte ihm, dass hier irgendetwas ... wartete. Auf die richtige Person oder den richtigen Moment. Und im schlimmsten Fall würde dieses `irgendetwas´ beides bekommen. Aber nicht, wenn es dabei um Seph geht, dachte Zack grimmig. Das werde ich zu verhindern wissen! Dann folgten er, Cutter und der Rest der kleinen Truppe ihrem General. Als sie an der ShinRa Mansion vorbeikamen, versuchte Cutter erneut, in die Lines zu gehen, konnte aber immer noch keine Besserung feststellen. Wirklich, dachte sie, es ist wie ganz am Anfang. Ich kann die Lines nicht sehen und vertraue ganz auf eure Führung. Die Dinge drehen sich im Kreis. Ob das wohl heißt, dass ich den Lines jemals wieder begegnen werde? Sephy würde bestimmt sagen: `Das hängt von der Größe des Kreises und deiner restlichen Lebenszeit ab.´ Sie seufzte leise. Sinnlos, sich jetzt Gedanken darüber zu machen. Momentan blieb ihr nur, sich auf die Ereignisse in der Gegenwart zu konzentrieren – und auf den vor ihr liegenden Fußmarsch. Es wurde ein kleiner Gewaltakt. Besonders auffällig waren die vielen Monster. Dass in der Umgebung von Makoreaktoren häufiger Angriffe stattfanden war nichts Neues, aber dieses Mal vergingen immer nur wenige Minuten, ehe die Kadetten und die beiden 1st Class SOLDIER sich einem neuen Kampf stellen mussten. Früher hätte Cutter helfen können. Jetzt blieb ihr nur, in Deckung zu gehen und sich trotz Materia nicht zu nutzlos vorzukommen. Es dauerte wesentlich länger als geplant, aber letztendlich erreichte die kleine Truppe den Reaktor. Da dem Scout und den Kadetten als nicht autorisiertem Personal der Zutritt verboten war, endete ihre Reise vorübergehend hier. Sephiroth, Zack und Cutter hingegen setzten den Weg fort. Der General hatte Makoreaktoren schon oft betreten. Die in ihnen herrschende Atmosphäre war ihm vertraut – und so spürte er schon nach den ersten Schritten, dass die in diesem Reaktor herrschende Atmosphäre ... anders war. Wie die Bewegungen von Wasser unterhalb einer Eisschicht, die bereits zu knistern schien. Das Gefühl übertrug sich völlig problemlos auf Sephiroths Sinne und ließ sie noch schärfer arbeiten als sonst, aber vorerst offenbarte sich kein offensichtlicher Grund dafür. Es erreichte lediglich einen neuen Höchststand, als die kleine Gruppe den Raum, in dem der Defekt vermutet wurde, betrat. Der Raum war nicht sehr groß. Viele, auf drei unterschiedlich hohen Ebenen aufgebaute, etwa 2 Meter große und durch dicke Schläuche mit der Wand des Reaktors verbundene Kapseln prägten das Bild. Die Kapseln waren undurchsichtig, besaßen aber im oberen Bereich eine Öffnung, aus der das für Mako typische Licht strahlte und somit nur einen Schluss über den wahren Verwendungszweck zuließ. Dennoch mussten die beiden SOLDIER und Cutter nachsehen. „Noch eine von Hojos Spielwiesen!“, grollte Zack angewidert hinsichtlich des sich ihm bietenden Anblickes eines halb menschlichen, halb monsterhaften Körpers. Cutter stimmte mit lautlosem Nicken zu, Sephiroth ließ sich zu keinem Kommentar herab. Längst war sein Blick die breite, zwischen den Tanks hinaufführende Treppe hinaufgeglitten und fixierte jetzt die große, zweigeteilte und fest versiegelte Tür am Ende der Stufen. Höchster ShinRa Sicherheitsstandart. Aber der Blick des Generals hatte sich nicht daran festgekrallt, sondern an den 6 darüber angebrachten Buchstaben in beeindruckender Größe. Sie formten einen Namen. `JENOVA´ Sephiroth konnte spüren, wie sein ganzer Körper zu prickeln begann. Das Gefühl kam von innen und drang mühelos bis zur obersten Hautschicht vor. Sogar in den Gedanken des Generals entfachte es ein Gefühl wie Schmirgelpapier, ließ sie rau und fast rissig werden – hielt sie jedoch nicht davon ab, nach einer Erklärung zu suchen. Aber es schien keine zu geben. Makoreaktoren hatten Nummern, keine Namen. Und gerade diese Buchstabenreihenfolge ... Warum prangt der Name meiner Mutter über der inneren Tür eines Makoreaktors?! „Tss“, ließ sich der jetzt neben ihm stehende Zack halblaut vernehmen. „Normale Männer schenken ihren Frauen Blumen und Pralinen. Verrückte Wissenschaftler benennen einen Makoreaktor nach ihrer Frau. Gut, dass wir das klären konnten.“ Sephiroth hätte gerne protestiert, aber ihm fiel nicht ein einziges gutes Argument ein. Zacks Worte waren nachvollziehbar. Zumal dies der erste Makoreaktor gewesen war, den ShinRa jemals gebaut hatte. Neben ihm starrte Zack auf die gemeißelten Buchstaben und spürte eine Gänsehaut über seinen Rücken kriechen. Irgendetwas hier ... es begann nicht, merkwürdig zu werden. Es blieb merkwürdig. Die riesige Villa in dem von allen Göttern verlassenen Nibelheim. Und jetzt das hier ... Der 1st schüttelte sich heftig. „Wenn Hojo schon seine verdammten Finger mit im Spiel hat, ist Rufus nicht fern. Und wenn die beiden zusammen an was arbeiten ...“ „Leute?“ Cutters Stimme hatte einen seltsam drängenden Klang. „Können wir bitte einfach nur versuchen, den Defekt aufzuspüren und dann so schnell wie möglich verschwinden? Ich kann die Lines nicht sehen, aber irgendetwas Seltsames ist hier, und um ehrlich zu sein: Es macht mir Angst!“ Sephiroth löste den Blick fast widerwillig von dem Schriftzug, der eine magnetische Anziehungskraft auf ihn auszuüben schien, und wandte die Aufmerksamkeit wieder den Kapseln zu. Er rechnete nicht ernsthaft damit, auf Anhieb irgendetwas zu finden ... und wurde überrascht. Der Defekt war so offensichtlich, dass ihn ein Anfänger hätte aufspüren können, eine relativ effektive Notlösung schnell gefunden, und so hatte der General abermals Gelegenheit, zu dem Schriftzug mit dem vertrauten Namen zu sehen. Er konnte es sich einfach nicht erklären. Ob es wohl eine Möglichkeit gab, einen Blick hinter diese Tür zu ... „Hey.“ Zack ließ seine Stimme ganz bewusst fast ein wenig zu laut erklingen. Erinnerungen an das Telefonat mit Aerith tobten in seinem Kopf, vereinten sich mit allen Empfindungen zu einem Gefühl, ähnlich der Stimmung kurz vor dem Losbrechen eines gewaltigen Gewitters. Irgendetwas hier war ... nicht in Ordnung. Und Sephiroth musste Distanz dazu gewinnen. Sofort! „Mission beendet. Lasst uns abhauen!“ Eine endlos scheinende Sekunde geschah gar nichts. Dann, zur großen Erleichterung des 1st, nickte sein bester Freund und setzte sich in Bewegung. Kurze Zeit später war die kleine ShinRa Truppe wieder auf dem Rückweg, der sich `dank´ erneuter zahlreicher Monsterbegegnungen ebenso in die Länge zog, wie die zuvor gemeisterte Strecke. Sephiroth verhielt sich wie gewohnt, aber Cutter konnte spüren, dass er intensiv nachdachte. Ganz offensichtlich war ein Teil seiner Gedanken im Reaktor geblieben, und bis sie Nibelheim wieder erreichten, hatte sich daran nichts geändert. Seinen Befehlen allerdings war nichts anzumerken. Zack befolgte sie brav, bestellte einen Helikopter und gab den Kadetten bis zu dessen Eintreffen Freizeit, dann wandte er sich wieder seinem besten Freund zu, öffnete den Mund um eine Frage zu stellen ... aber das Klingeln eines PHS hielt ihn davon ab. Sephiroth griff nach seinem PHS, drückte gleichzeitig mit der freien Hand Zacks Unterkiefer wieder nach oben, und nahm das Gespräch trotz des auf dem Display angezeigten Hinweises `Unterdrückte Rufnummer´ an. Einige Sekunden lang blieb es völlig still am anderen Ende der Leitung. Dann jedoch ... „Hallo, mein kleiner Sephiroth.“ Sephiroth gestattete es sich, mit den Augen zu rollen. Hojo. Großartig. „Was willst du?“ „Die Frage ist nicht, was ich will. Sondern, was du willst.“ Sephiroth schmunzelte. „Hast du immer noch nicht begriffen, dass du verloren hast?“ Leises Kichern antwortete ihm. „Hat dir das Innere des Reaktors gefallen? Die Idee mit dem Schriftzug ist von mir. Hübsch, nicht wahr?“ „Werde von mir aus im nächsten Leben Schriftsteller oder Designer. Was willst du, Hojo?!“ Beim Klang des so verhassten Namens fletschte Cutter unwillkürlich die Zähne. Zack hingegen nickte nur sehr ernst, eine Bewegung, die überdeutlich `Wusste ich es doch!´ sagte. „Ich möchte dir etwas geben“, antwortete der Wissenschaftler eben nur für Sephiroth hörbar. „Verzichte.“ „Etwas ganz Besonderes“, fuhr Hojo unbeeindruckt fort. „Einen Schlüssel. Zu deiner Vergangenheit. Ist dir aufgefallen, dass die ShinRa Villa in Nibelheim ein wenig zu ... groß geraten ist? Das liegt an dem durch sie behüteten Geheimnis. Es befindet sich im Keller. Es war so lange allein ... Über deinen Besuch würde es sich ganz besonders freuen, ich bin mir sicher. Du wirst es lieben. Du bist doch ...“ Sephiroth beendete das Telefonat, schaltete das PHS aus und schob es zurück in eine der Innentaschen seiner Uniform. „Was hat er gesagt?“, grollte Zack. Am liebsten hätte Sephiroth eine ausweichende Antwort gegeben und sich entfernt. Aber er wusste, dass Zack eine solche Behandlung nicht hinnehmen würde. Für Cutter galt dasselbe. Und so fasste er die eigentliche Aussage des Wissenschaftlers in einem einzigen Satz zusammen. Die letzte Silbe war noch nicht verklungen, als Zack schon begann, heftig mit dem Kopf zu schütteln. „Falle!“ Gleichzeitig wünschte er, der verdammte Helikopter wäre schon hier. Aber bis zu dessen Eintreffen würden noch Stunden vergehen. Genug Zeit, um Aerith schreckliche Vision wahr werden zu lassen. Der General selbst antwortete nicht. Er sah zu der ShinRa Villa hinüber, die im Schattenspiel der vor dem Mond ziehenden Wolken lag. Die Wechsel von Dunkelheit und Licht wirkten wie Morsezeichen, und Sephiroth konnte spüren, wie tief in ihm etwas darauf reagierte. Erst Cutters leises: „Hey?“ brachte ihn dazu, den Blick abzuwenden. „Geh nicht hin. Ich habe leider keine Ahnung, was in diesem Keller sein könnte, aber es kann nichts Gutes sein, wenn Hojo will, dass du es siehst.“ „Genau!“, schaltete sich Zack ein. „Du solltest ...“ „Ich kann mich nicht erinnern, euch als meine Aufpasser angestellt zu haben!“ „Sieh es positiv, Seph, deine Freunde sind multifunktional einsetzbar.“ Richtig, ergänzte der General in Gedanken. Und momentan empfinde ich ihre Gegenwart als äußerst störend! Aber er hatte im Laufe der Zeit zuviel über den Begriff `Freundschaft´ gelernt, um auch nur einen Sekundenbruchteil lang ernsthaft zu glauben, Zack und Cutter würden sich abschütteln oder gar dauerhaft verjagen zu lassen. Auch dies war ein Aspekt von `Freundschaft´ und war letztendlich von ihm begriffen und akzeptiert worden. Manchmal war es nur sehr schwierig, dieses Wissen in geplante Taten mit einzubinden. Wie jetzt. Abermals sah er zu der ShinRa Villa hinüber. Worin auch immer ihr Geheimnis bestand, Hojo wollte, dass er es fand. Er hat, dachte Sephiroth, den Wunsch, mich wieder zu beherrschen, immer noch nicht aufgegeben. Genauso wenig wie ich mein Bestreben, ihn zu töten. Wenn er ernsthaft glaubt, die Kontrolle über mich durch den Inhalt dieses Kellers zurückzugewinnen, muss es sich dabei wirklich um einen äußerst wichtigen, mich betreffenden Punkt handeln. Mit anderen Worten: Es kann so gut wie alles sein, vielleicht sogar etwas absolut Lächerliches ... Langsam setzte er sich in Bewegung und nahm nur eine Sekunde später wahr, dass Zack und Cutter ihm folgten. „Ich hätte ja mit vielem gerechnet“, murrte Zack wenige Minuten später, „aber dass ausgerechnet dein Name das Passwort zum Öffnen der Haupttür war ...“ „Hojo-Humor“, konstatierte Sephiroth trocken. „Ja. Bin ich froh, dass deiner besser ist!“ Der General schmunzelte verhalten, sagte aber nichts sondern zog es vor, die nähere Umgebung zu studieren. Große Häuser wirkten äußerst lebendig, solange sich viele Personen darin aufhielten, aber leer schien sich das Innere eines solchen Gebäudes auf seltsame Art und Weise zu verdoppeln. Dazu kamen die tiefe Grabesstille und das kalte Licht des Vollmondes, das durch die Fenster fiel und geisterhafte Helligkeit schuf. Schon der großzügig angelegte Eingangsbereich der Villa ließ darauf schließen, wie prunkvoll diese einst eingerichtet gewesen sein musste. Jetzt war davon nicht mehr viel zu sehen. Das Mondlicht offenbarte überall renovierungsbedürftige Stellen, die aber ausschließlich auf mangelnde Pflege und den Zahn der Zeit zurückzuführen waren. Ganz offensichtlich hatte der Scout die Wahrheit gesagt: Niemand traute sich, das Haus zu betreten. Bis heute Nacht. „Was für ein unheimlicher Ort“, wisperte Cutter. Sie hatte nie an Geister und dergleichen geglaubt, begann sich aber hinsichtlich des vor ihr liegenden Szenarios unwillkürlich zu fragen, ob diese Ansicht nicht ein bisschen zu ... voreilig gewesen war. Und so rückte sie ein klein wenig näher an Sephiroth heran, konnte spüren, wie die Furcht in ihrem Herzen zurückwich – und durch Zacks Worte erneut angefacht wurde. „Irgendetwas ist hier.“ Die Stimme des 1st klang ernst und wachsam. „Könnt ihr es spüren?“ „Ja“, antwortete Sephiroth leise. „Und es gilt mir.“ Schon seit Betreten des Hauses war ihm, als griffe eine auf rein mentaler Ebene existierende Macht nach seinem Bewusstsein in dem Bestreben, es mit sich zu ziehen. Es war überall. Drang aus den Wänden, dem Boden, kam über die Treppe zum ersten Stock geglitten, aus jedem Zimmer, sogar aus dem Mondlicht und den Fenstern. „Weißt du“, erwiderte Zack fest, „wir müssen nicht in diesen Keller gehen. Wir können uns jetzt umdrehen, in ein paar Stunden mit dem Helikopter zurück ins HQ fliegen, du kannst Hojo zusammenstauchen, weil er es gewagt hat, deine Zeit zu stehlen, und alles dich betreffende würde bleiben, wie es ist. Meines Erachtens nach warst du mit dir selbst noch nie so sehr im Reinen, wie jetzt. Mach dir das nicht kaputt.“ Eine Moment lang blieb es ganz still. Dann aber ... „Wenn du logisch und vorausschauend denkst, Zackary Fair, bist du mir unheimlich. Lass das!“ „Nicht, wenn es dich davon abhält, eine Dummheit zu begehen. Wer sich in Gefahr begibt, hat eine Menge Spaß – oder kommt darin um. Hier ist absolut nichts Spaßiges.“ „Wo bleibt deine Neugier, SOLDIER?“ „Wartet am Eingang auf mich und will zurück nach Midgar.“ „Und ich will wissen, was in diesem Keller ist.“ „Worauf tippst du?“, schaltete sich Cutter leise ein. „Ich meine, was wenn ...“ Sie verstummte. „Was auch immer da unten ist“, antwortete Sephiroth ruhig, „es spielt keine Rolle.“ „Wenn es sowieso keine Rolle spielt“, knurrte Zack, „lass uns abhauen!“ „Hojo kann mir nichts mehr anhaben“, beharrte Sephiroth. „Ich habe ihn besiegt. Er wird das niemals einsehen, aber das ändert nichts an den Tatsachen. Er hat verloren. Er wird mich nie wieder anrühren, weder mental, noch körperlich. Weil ich jetzt ganz genau weiß, was und wer ich bin.“ Er streckte die Hand aus und streichelte über die Wange seiner Freundin. „Das habt ihr mich gelehrt. Du und Zack. Dagegen ist Hojo machtlos, ganz egal was er versucht. Also mach dir keine Sorgen um mich.“ Aber Cutter schüttelte heftig den Kopf. Sie wusste, Sephiroth war sich absolut sicher, aber diesmal ... „Sephy, momentan bist du nur hier, weil Hojo dir gesagt hat, dass du hergehen sollst! Er macht sich deine Neugier und dein Selbstvertrauen zunutze! Er ist sich absolut sicher!“ „Genau“, schaltete sich Zack sehr ernst ein. „Versteh mich nicht falsch, Seph, ich glaube dir, aber diesmal wäre es mir lieber, du würdest auf uns hören und den Rückzug antreten.“ „Ihr glaubt also“, fasste Sephiroth ruhig zusammen, „ich bin mir zu sicher?“ Und als seine beiden besten Freunde heftig nickten: „Es steht euch frei, zu gehen oder zu bleiben, aber ich will wissen, wovon Hojo redet.“ Zack und Cutter mussten einander nicht einmal fragend ansehen. Ihr General schmunzelte. „Wisst ihr, eigentlich bin ich froh, dass ihr so multifunktional einsetzbar seid.“ „Suchen wir den verdammten Eingang zum Keller!“, knurrte Zack. Sephiroth nickte. Das Trio wurde im ersten Stock fündig. Die Geheimtür war nicht sonderlich gut getarnt und ließ sich so widerstandslos öffnen, als habe sie nur auf diesen Moment gewartet. Ruhe und Finsternis begrüßten die drei neugierigen, aber dennoch sehr wachsamen Blicke, die sich schließlich auf der ersten nach unten führenden und gerade noch sichtbaren Treppenstufe trafen. „Ich gehe vor. Cutter, du folgst mir. Zack übernimmt die Nachhut.“ Wenige Sekunden später waren sie auf der kreisförmig absteigenden und zur linken Seite hin äußerst steil abfallenden Treppe unterwegs. Cutter fand sich schlagartig in einer ganz neuen Herausforderung wieder. Mit Hilfe der Lines hätte sie die gesamte Umgebung völlig problemlos erfassen können. Aber so war sie wie erblindet und musste sich voll und ganz auf ihre noch nützlichen Sinne verlassen. Glücklicherweise befand sich die Treppe in einem guten Zustand und die Stufen führten in regelmäßigen Abständen nach unten. Ein gewisser Rhythmus stellte sich ein. Aber in der trügerischen Sicherheit wuchs das Gefühl, sich etwas Entsetzlichem zu nähern. Zack war niemand, der leicht in Panik geriet. Aber das hier war anders. Auf eine Art und Weise, die er einfach nicht beschreiben konnte. Nur, dass `es´ stark war. Erschreckend stark. Und es steigerte sich mit jedem Schritt. Irgendwann endete die Treppe in künstlichem Dämmerlicht. Jetzt erstreckte sich ein weiter Gang vor dem ShinRa Trio. Cutter und Zack warfen Sephiroth einen zu gleichen Teilen besorgten wie fragenden Blick zu. Ihr General stand ganz still und sah in den vor sich liegenden Gang. „Die Luft hier unten“, murmelte er irgendwann, „ich könnte schwören, sie zu kennen. Als ... wäre ich schon einmal hier gewesen. Aber dem ist nicht so, ich bin ganz sicher!“ Er schüttelte den Kopf und setzte sich erneut in Bewegung. Cutter und Zack wechselten einen zu gleichen Teilen überraschten, wie auch besorgten Blick. Eigene Verwirrung war ihnen nicht fremd, aber diese auch bei Sephiroth zu sehen, mehr als seltsam und beunruhigend. Und so folgten sie ihm mit äußerster Aufmerksamkeit, auf der Suche nach dem Detail, das die Verwirrung beseitigen konnte. So unspektakulär der Gang an sich wirkte, so unauffällig war auch die Tür, die irgendwann seitlich gelegen auftauchte. Sie schien aus Holz zu bestehen, entpuppte sich aber bei näherer Begutachtung als geschickt getarnte ShinRa Sicherheitstür der Stufe Z-25 G – und steigerte Sephiroths Verwirrung. Er kannte diese Sorte Türen. Sie wurden ausschließlich im Laborbereich eingesetzt. Weshalb existierte eine solche Variante ausgerechnet hier? Es ergab absolut keinen Sinn! Es sei denn ... Eine furchtbare Ahnung begann in dem General aufzusteigen, zu klar, zu tief um sich als Irrtum herauszustellen. Die Tür hatte Masamune nicht das Geringste entgegenzusetzen. Sie landete scheppernd in einem Raum, dessen Deckenbeleuchtung sofort reagierte, sich einschaltete und der Dunkelheit ihren jahrelang friedlich schlafenden Inhalt entriss. „Was zum ...“, wisperte Zack und ließ das Busterschwert zögerlich sinken. Der sich ihm bietende Anblick war zu grotesk, um wahr zu sein, kümmerte sich aber nicht im Geringsten um die Ansichten des 1st, sondern bleib weiterhin bestehen. Nicht gerade sauber. Renovierungsbedürftig. Veraltet. Aber dennoch ein Labor unter der Erde. Es gab Schränke, in denen sich früher einmal große und kleine Wichtigkeiten befunden haben mochten. Makotanks mit einladend weit geöffneten Türen, weitere ShinRa Technologie ... und in der Mitte des Raumes einen großen Tisch, einen Untersuchungstisch, mit eisernen Hand- und Fußfesseln, über dem eine kreisförmige Metallplatte mit eingelassenen, ebenfalls runden Lampen angebracht war. Der Anblick jagte eisige Schauer über Sephiroths Körper. Dann realisierte er, dass es nicht nur der Tisch an sich war. Der gesamte Raum schien das Gefühl zu verursachen. Dazu kam dieser seltsam dumpfe Druck der Vertrautheit. Ich kenne diesen Raum!, dachte der General irgendwann. So sah Hojos Labor vor der Modernisierung aus. Er hat mich damals schlafen gelegt, damit ich für die Dauer des Umbaus nicht im Weg bin. Und als ich wieder aufwachte, war ... alles anders. Wie kann dieser alte Raum immer noch existieren?! Dieser verdammte Bastard hat mich angelogen! Aber warum wollte er, dass ich die Wahrheit erfahre? Was ist hier los? „Wir sehen hier mehr als ein ausrangiertes Labor vor uns“, ließ sich der neben ihm stehende Zack leise vernehmen. „Oder?“ Sephiroth hätte gerne geschwiegen. Aber dafür war Zack nicht mitgekommen. Und so fasste er die Kernaussage dieses Raumes in wenigen Sätzen zusammen. „Aber“, murmelte Cutter, die ebenfalls gut zugehört hatte, „wenn das alles noch hier ist ...“ „Genau!“, knurrte Sephiroth. „Es gab nie eine Modernisierung. Man hat mich von hier nach Midgar gebracht. Die Frage lautet: `Warum?´ und `Wozu?´!“ Er verhielt einen Augenblick bewegungslos, dann wandte er sich abrupt um und trat zurück in den Gang, steuerte mit entschlossenen Schritten die ursprünglich anvisierte Tür an dessen Ende an. Zack und Cutter folgten ihm. Es war wie beim Puzzeln. Erst richtig aneinandergefügt ergaben die einzelnen Stücke ein Bild. Und vermutlich lagen alle anderen Teile hinter der nächsten Tür verborgen. Das Gefühl, sich irgendetwas Großem zu nähern, wurde mit jedem Schritt stärker, und Sephiroths Instinkt knurrte, aber auf eine Art und Weise die überdeutlich versicherte, dass er lieber still gewesen wäre. Niemals zuvor hatte der General etwas Ähnliches gefühlt. Dennoch näherte er sich der Tür weiter. Da Hojo mit im Spiel war, konnte dahinter absolut alles warten. Zack dachte genauso. Außerdem musste er ständig an das vor etlichen Stunden geführte Telefonat mit Aerith denken. Die Worte seiner Freundin flatterten in seinem Kopf herum wie ein Schwarm aufgescheuchter Vögel, und der 1st konnte sie einfach nicht zu einer Landung bewegen. Gleichzeitig wusste er, dass es ihm unmöglich sein würde, Sephiroth aufzuhalten. Kein Hindernis und kein Argument der Welt wären dazu fähig gewesen. Und so behielt er seinen momentanen Status von wachsamer Schweigsamkeit bei. Auch Cutter war sehr still geworden. Ihr war nicht klar, was hinter dieser Tür lauerte, aber sie war sich absolut sicher, dass es nur grauenhaft werden konnte. Und sie hatte Angst. Hauptsächlich um Sephiroth, denn hier ging es nur um ihn. Sie erreichten die Tür. Auch diese Variante gehörte zum höchstmöglichsten ShinRa Sicherheitsversion, nicht als Einlass, sondern als unüberwindbare Barriere geschaffen. Selbst Zacks Busterschwert hätte nichts dagegen ausrichten können! Was mochte sich hinter einem solchen Hindernis verbergen? Ich wünschte, ich könnte die Lines sehen, dachte Cutter. Ich wünschte es so sehr! Aber ihr Wunsch wurde nicht erhört. Ihr blieb nur, die beiden SOLDIER zu beobachten, die sich längst mit Handzeichen verständigten. Eben nickte Zack und presste ohne das geringste Geräusch zu verursachen das Ohr an die Tür. Lauschte eine Weile hochkonzentriert. Und wich schließlich zurück, schüttelte den Kopf. Nichts zu hören. Wenn es hinter dieser Tür ein Lebewesen gab, so verhielt es sich momentan still (schlafend oder bereit zum Sprung?). Sephiroths Aufmerksamkeit hatte sich von der Tür auf den rechts daneben liegenden Bereich fokussiert. Hier war eine kleine, aus Zahlen und Buchstaben bestehende Tastatur nebst matt leuchtendem Display in die Wand eingelassen. Der General beobachtete sie eine Weile schweigend. Ein Passwort. Ein Passwort zum Öffnen der Tür. Das ist Hojos Spiel, dachte Sephiroth. Er wollte mich dazu bringen, herzukommen. Seine Bemühungen waren vergebens, wenn ich an einem simplen Passwort scheitere, denn mit Gewalt werde ich diese Tür nicht öffnen. Hojo will, dass ich den Inhalt dieses Raumes sehe. Also muss er ein Passwort gewählt haben, das mir bekannt ist, und auf das ich hinsichtlich dieses Szenarios komme, und zwar innerhalb kürzester Zeit. Mein Name hat die Haupteingangstür geöffnet, also wird er diese Kombination hier unten nicht schon wieder verwendet haben ... Es ist ein Rätsel. Hojo ... ich ... und ... Sein Instinkt raunte einen Namen. Einen Namen der im Grunde völlig absurd war und keinesfalls hierher passte. Und dennoch war er so eng mit Sephiroth verwoben, dass dieser jegliche Zweifel beiseite schob und Cutter zu sich winkte. Ihre bedeutete, Buchstaben in einer ganz bestimmten Reihenfolge in den winzigen Computer einzugeben und dann sofort in Deckung zu gehen. Die junge Frau blinzelte verblüfft hinsichtlich der genannten Buchstabenreihenfolge, dann aber nickte sie. Beobachtete, wie Sephiroth Masamune zog und neben Zack vor der Tür auf Position ging. Ein letztes Nicken. Dann begann Cutter Tasten zu drücken. J E N O V A `Enter´! Das leise Klicken der sich öffnenden Tür war noch nicht einmal annähernd verklungen, als Sephiroth diese mittels eines entschlossenen Fußtrittes ganz aufstieß. Die beiden SOLDIER stürmten vorwärts, entschlossen und siegessicher, wie sie sich all ihren Gegnern präsentiert hatten ... und bremsten nur wenige Meter später wieder ab. Ein für sie gänzlich untypisches Verhalten. „Das ist ein Scherz“, konnte Cutter Zack irgendwann knurren hören. „Oder?“ Sephiroth seufzte leise, antwortete aber nicht. Stattdessen erklang ein leises Klicken. Licht fiel in den dunklen Gang, erstreckte sich bis zu Cutter und zog sie vorwärts, hinein in den Raum. Wenige Sekunden später fand sich die junge Frau in einer der größten Verblüffungen ihres bisherigen Lebens wieder. Das Licht hatte keinen einzigen der erwarteten Schrecken enthüllt, sondern Regale voller Bücher. Sie erstreckten sich beidseitig einen breiten Flur entlang und mündeten in einem weiteren, kreisförmigen Raum, in dessen Mitte sich ein großer Schreibtisch mit entsprechender Sitzmöglichkeit befand. Und obwohl Bücher zu den beruhigendsten Anblicken überhaupt gehörten ... diese hier waren anders. Etwas Seltsames ging von ihnen aus, als seien es Raubtiere, die ihre Opfer langsam von allen Seiten einkreisten und unaufhaltsam immer näher rückten. „Okeeey, Hojo hat eine Privatbibliothek hier unten. Toll.“ Zack gab sich alle Mühe, normal zu klingen, aber an den äußersten Rändern zitterte seine Stimme, verriet nur zu deutlich, dass auch er die bedrohliche Atmosphäre wahrgenommen hatte – und, dass er sie nicht mit den sonst so wirkungsvollen Waffen bekämpfen konnte. Trotzdem gab er nicht auf. Speziell Sephiroths schlagartige Regungslosigkeit war höchst besorgniserregend. „Ich bin zutiefst beeindruckt. Bücher. Wenn´ s wenigstens DVD´s wären. Aber Bücher. Tss ... Gehen wir wieder hoch!“ Aber weder Cutter, noch der General bewegten sich. Der Blick der jungen Frau galt einzig und allein ihrem Freund. Schließlich griff sie nach seiner Hand. „Zack hat Recht. Lass uns wieder hoch gehen. Ich habe wirklich keine Angst vor Hojo, aber um dich schon, und hier unten ist irgendetwas, das dir Schaden zufügen wird, ich weiß es einfach!“ Aber der Blick des Generals löste sich nicht von den Büchern. Sie waren, wie er schon nach kurzer Zeit feststellte, nach Themengebieten geordnet. Gaia, der Lebensstrom, Mako, Makoreaktoren. Sephiroth zog seine Hand aus Cutters Griff und folgte dem Flur. Forschung, Forschung an diversen Lebewesen und etliche weitere Dokumentationen. Er erreicht den kreisförmigen Raum. Auch hier reichten die Bücherregale fast bis zur Decke und waren gut gefüllt. Aber noch verstand der General nicht, was er mit dem Planeten zu tun haben sollte. Oder mit dem Lebensstrom. Oder mit den Bänden „Die Cetra 1 – 10“. Oder mit ... Sein Blick huschte über den Schreibtisch ... und erstarrte. Weshalb lag ein einzelnes Buch mitten darauf, obwohl durchaus noch Platz dafür in einem der Regal gewesen wäre? Langsam trat Sephiroth näher. Bücher waren seltsam. Ihr Inhalt konnten Schrift auf Seiten sein. Oder, wenn das richtige Herz auf das richtige Buch traf, Tore zu anderen Welten. Sie konnten einen verzaubern, berühren, wütend machen, lieben lehren, erklären, trösten und noch so vieles mehr. Einen Aspekt jedoch besaß jedes gute Buch: Dem Leser den Glauben zu schenken, eigens für ihn geschrieben worden zu sein. Sephiroth hatte in seinem bisherigen Leben viele Bücher gelesen, hauptsächlich Fachbücher zu allen möglichen Themengebieten. Keines von ihnen war in der Lage gewesen, ihm das Gefühl zu vermitteln, verstanden worden zu sein. Aber das jetzt vor ihm liegende Exemplar war, auf eine nicht greifbare Art und Weise, anders. Es schien förmlich nach ihm zu rufen. Wieder und wieder. Wie etwas, das gefunden werden wollte. Von ihm. Nur von ihm. Und als der General vorsichtig die Fingerspitzen auf den Einband legte, war ihm, als schnappe im tiefsten Inneren seiner Seele irgendetwas zu, unwiderruflich und für den Rest seines Lebens. Gleichzeitig versicherte ihm sein Instinkt, dass dieses Buch nur den Anfang darstellte. Den Anfang zur Beantwortung aller Fragen, die er sich jemals bezüglich seiner Existenz gestellt hatte, und derer, die zu formulieren es ihm bisher nicht möglich gewesen war. Es war seltsam. Bis vor wenigen Minuten war sich der General so sicher gewesen, absolut Allem wiederstehen zu können – jetzt aber begann diese Ansicht zu bröckeln. Vorsichtig. Und dennoch deutlich spürbar. Der frei gewordene Platz wurde augenblicklich von der mit Wissen beladenen Aura des Raumes gefüllt. Diese Bibliothek, dachte Sephiroth, ist meinetwegen hier. Aber ich bin hier, weil mich Hojo hierher geführt hat. Wenn er meinen Aufenthalt hier will, ist er sich absolut sicher, einen gewissen Einfluss geltend machen zu können. Ob er sich irrt oder nicht finde ich nur heraus, wenn ich hier bleibe ... Und für einen Moment fragte sich Sephiroth, ob es nicht wirklich besser gewesen wäre, auf Zack zu hören und diesen Ort niemals zu betreten. Aber es war zu spät, wusste er doch mit tiefer, innerer Gewissheit, dass er diesen Raum ebenso wenig würde vergessen können, wie das Buch, das immer noch in seinen Händen ruhte. Fast wäre er erschrocken zusammen gezuckt als das Klingeln eines PHS durch den Raum schallte. Zack nahm das Gespräch an, lauschte, bestätigte, steckte das Gerät wieder weg und wandte sich zu seinem General um. „Unser Helikopter ist im Anflug.“ In seiner Betonung schwang noch ein anderer Satz mit. `Lass uns drei auch abhauen, Seph!´ Der General schwieg einen Augenblick. Sah sich in dem Raum um. Fühlte der bedrohlich wissenden Atmosphäre, die dabei war, sich immer dichter um ihn zu schließen, entgegen. Sah hinüber zu Zack und Cutter, die seinen Blick schweigend erwiderten, sichtlich besorgt, sich äußerst unwohl fühlend, und dennoch fest entschlossen, hier zu bleiben, wenn die Situation es erforderte. Für mich, dachte Sephiroth, würden sie bleiben. Nur für mich. Und was ist mit mir? Will ich wirklich hier bleiben? Finden, was immer hier auf mich wartet? Hojo will mich immer noch erneut unter seine Kontrolle bringen und glaubt, das hier könnte ihm dabei helfen. Aber wenn ich mich jetzt umdrehe, weggehe und nie wieder herkomme, hat er ein weiteres Mal verloren. Und ich bleibe, was und wer ich bin. Für mich. Und andere. Er atmete tief durch, erwog ein letztes Mal alle Pro- und Kontrapunkte ... und traf eine Entscheidung, legte das Buch zurück auf den Schreibtisch, wandte sich zu seinen beiden Freunden um und nickte. „Wir fliegen zurück nach Midgar.“ Zack und Cutter atmeten zeitgleich auf. „Gaia sei Dank!“, murrte der 1st.. „Ehrlich, Seph, du ...“ „Vorwärts, SOLDIER! Ich habe schon Helikopter in gepflegten Vorgärten landen sehen, bloß weil ihnen niemand gesagt hat, dass der angrenzende Marktplatz dafür viel besser geeignet ist.“ „Das ist nicht dein Ernst!“, prustete Cutter und griff nach seiner Hand. „Verlass dich drauf!“ Nebeneinander gingen die drei durch den von Bücherregalen gesäumten Flur und näherten sich der Tür. „Ich bin so froh, dass wir hier abhauen“, murmelte Cutter und drückte seine Hand fester. „Ich glaube nämlich, das wäre nicht gut ausgegangen.“ Sephiroth antwortete nicht. Sein Blick war fest auf die Tür und den davor liegenden Gang gerichtet. Nur fünf Schritte, und sie würden diese Welt aus Büchern und Informationen verlassen ... Noch vier Schritte ... noch drei ... noch zwei ... einer ... „Darf ich dabei sein, wenn du Hojo verprügelst?“, erkundigte sich Zack. „Ich möchte zu gerne ...“ Sie traten in den Gang. Sephiroth warnte nicht. Er löste sich von Cutter, griff gleichzeitig nach Zacks wie immer auf dessen Rücken getragenen Busterschwert, trat zurück in die Bibliothek und hatte die Tür geschlossen, noch ehe seine Freundin oder Zack Gelegenheit hatten, auch nur das Geringste dagegen zu tun. Eine Sekunde später allerdings bebte die Tür schon leicht unter der verhältnismäßig starken Wucht, mit der sich Zacks Körper von außen dagegen warf. Der General ließ sich davon nicht stören. Er wusste, eine Tür wie diese ließ sich so nicht öffnen, und so teilte er ihr lediglich durch den in ihr eingelassenen Minicomputer ein neues Passwort zu. Tut mir leid, dachte Sephiroth. Wirklich! Aber das hier gehört mir. Und ich trete meinen Gegnern prinzipiell allein entgegen. Er wandte sich um und kehrte langsam zu dem kreisförmigen Raum zurück und ließ sich in dem hinter dem Schreibtisch stehenden Stuhl nieder. Sah sich um, schweigend. Jetzt gehörte all das hier wirklich ganz allein ihm – und es schien ihn Willkommen zu heißen. Etliche Minuten vergingen. Dann griff Sephiroth nach dem Buch mit dem Titel `Jenova Projekt´ und begann zu lesen. Kapitel 55: Finsterer Triumph für ShinRa ---------------------------------------- „Er hat uns reingelegt!“, wisperte Cutter. Entsetzen und Hilflosigkeit füllten sie vom Kopf bis zu den Zehenspitzen. „Er hat uns reingelegt ...“ Zack antwortete nicht. Er warf sich immer noch mit aller Kraft gegen die Tür. Aber das Hindernis wollte einfach nicht nachgeben. Irgendwann hielt der 1st inne, schwer atmend und schweißgebadet, aber nur eine Sekunde. Dann begann er, auf die Tür einzuschlagen. „SEPH, DU IDIOT! Mach die Tür auf!“ Aber natürlich blieb die Tür verschlossen. Zack hielt abermals inne und warf Cutter einen fragenden Blick zu. Die junge Frau versuchte mittlerweile verzweifelt, Sephiroth über sein PHS zu erreichen, aber das Gerät war nicht aktiviert und schied somit zur Kontaktaufnahme aus – trotzdem versuchte sie es immer und immer wieder. „Bleib hier!“, knurrte Zack irgendwann. „Ich suche von oben nach einer andere Möglichkeit!“ Cutter nickte, sah dem davon stürmenden 1st nach und ließ den Kopf gegen die Tür vor sich sinken, in Gedanken voll und ganz bei Sephiroth. Warum, warum wollte er sie und Zack ausgerechnet jetzt nicht dabei haben? In diesen Büchern konnte alles Mögliche stehen! Hojo war sich so sicher gewesen! Und dann Aerith Vision ... „Sephy ...“, wisperte Cutter. „Lass mich rein. Bitte, lass mich rein!“ Aber die Tür öffnete sich nicht. Sie blieb auch verschlossen, als Zack mit einem geliehenen Schwert zurückkam und versuchte, sich gewaltsam Zutritt zu verschaffen. Der Raum hinter ihr, das hatten seine Recherchen ergeben, verfügte über keinerlei sonstige Verbindung zur Oberfläche und lag unter metertiefem, massiven Felsen. Blieb nur der Computer. Zack begann, Begriffe einzugeben, aber er wusste, wie sinnlos dieses Unterfangen war. Vermutlich hatte Sephiroth als neues Passwort nicht nur Buchstaben, sondern auch Ziffern benutzt. Dieses Passwort zu finden war mit den vorliegenden Möglichkeiten absolut unmöglich, und da Rufus und Hojo dieses Szenario eingefädelt hatten, lagen die Chancen, einen Computerspezialisten aus dem HQ einfliegen zu lassen, bei Null. Dasselbe galt für die Möglichkeit, Hunger und Durst könnten den General nach Ablauf einer bestimmten Frist aus dem Raum treiben. Sephiroth hatte immer ein oder mehrere Notfallsets bei sich, und Zack und Cutter kannten niemanden, der diese kleinen Portionen so lange strecken konnte, wie ihr General – und somit wussten beide, dass Sephiroth diesen Raum erst wieder verlassen würde, wenn er erfahren hatte, was er vielleicht schon sein ganzes Leben lang wissen wollte. Dennoch konnten weder Cutter noch Zack einfach aufgeben. Erst als der winzige Bildschirm vor Zacks Augen zu verschwimmen begann und Cutters PHS Akku vollständig leer war, legten sie eine notgedrungene Pause ein. „Wir hätte nicht zulassen dürfen, dass er hier runter geht“, wisperte Cutter. Sie saß in dem engen Gang, die rechte Körperhälfte dicht an die Tür gedrückt, um nicht die geringste Bewegung zu verpassen. Tränen glitzerten in ihren Augen. „Was hätten wir denn tun sollen?“, erkundigte sich der ihr gegenüber sitzende Zack ebenso leise. „Ihn KO schlagen? Dazu sind weder du noch ich in der Lage. Wir haben alles versucht. Mach dir keine Vorwürfe.“ Er atmete tief durch und erhob sich wieder. „Ich schicke die Kadetten mit dem Helikopter zurück, organisiere uns etwas zu essen und ein paar Decken.“ Cutter nickte langsam. All ihre Sinne waren wie betäubt, und die Wirkung wurde mit jeder Sekunde stärker. Dazu kam die entsetzliche Angst um Sephiroth. Er sah sich etwas Entsetzlichem gegenüber, das stand außer Frage, und keiner seiner beiden Freunde konnte mit ihm dagegen kämpfen. Cutter ließ abermals den Kopf gegen die Tür sinken, schloss die Augen und konzentrierte sich auf ihren Freund, gefangen in der verzweifelten Hoffnung, ihn durch ihre Gedanken wenigstens ansatzweise beschützen zu können. Im Grunde waren es nur ein paar Meter, die Sephiroth von Cutter trennten, aber gleichzeitig schienen es ganze Welten zu sein, Welten aus Wörtern, in die der General immer tiefer eintauchte – oder zog ihn etwas (oder jemand?) hinab? Anfänglich hatte er die Gefühle seiner Freundin noch spüren können. Sie glichen dem berühmten roten Faden, der einem aus dem Labyrinth half, aber je tiefer sich Sephiroth in dieses finstere Labyrinth aus Worten hineinwagt, je dünner wurde der Faden. Irgendwann konnte er den durch das Lesen gewonnen Erkenntnissen und dem damit verbundenen Entsetzen nicht mehr entgegenwirken. Er riss. Sephiroth selbst nahm nicht einmal wahr. Die gelesenen Worte wurden zu einem Strudel, der mit jeder Silbe an Stärke zunahm, bis er zu intensiv war, als dass irgendjemand oder irgendetwas ihn jemals wieder hätte stoppen können. Sephiroth versuchte, an der Oberfläche zu bleiben. Aber die Worte drückten ihn immer wieder und wieder unter Wasser, nahmen ihm die Luft zum Atmen, zum Überleben, ließen die Welt vor seinen Augen verschwimmen und sprengten Stück für Stück alles, was er sich so hart erarbeitet und woran er so fest geglaubt hatte. Und er konnte nichts dagegen tun. Nichts gegen die Wahrheit. Nichts gegen die aus seinen Knochen aufsteigende Kälte. Nichts gegen sein Bewusstsein, das jedes Wort aufsaugte. Nichts gegen seine Tränen. Nichts gegen das Gefühl, zu sterben. Seite um Seite des `Jenova Projektes´ verschwand in seinem Bewusstsein. Als er die letzte Seite beendet hatte, klappte er den Deckel nicht zu. Stattdessen starrte er auf all das trügerische Weiß und versuchte verzweifelt, irgendetwas zu fühlen. Aber all die entsetzlichen Wahrheiten hatten nur Leere zurückgelassen, eisige, allumfassende Leere. Und Antworten. Die grausamer waren als alles jemals zuvor erfahrene. Weil dies die einzig richtigen waren. Dass seine Mutter und das Jenova Projekt denselben Namen trugen, war kein Zufall. Vor einigen Jahrzehnten hatte ein ShinRa Wissenschaftler unter einer Gesteinsschicht den nahezu perfekt konservierten Körper einer Cetra, einer Angehörigen des sogenannten `Alten Volkes´, das lange vor den heutigen `Menschen´ existierte, gefunden. Die `Cetra´ sollten, wie alle überlieferten Geschichten einstimmig aussagten, den Schlüssel für das sogenannte `Promised Land´ besitzen, in dem es Mako im Überfluss geben sollte. Die Electric Power Company, damals noch unter der Leitung von Rufus Vater, aber genauso erstrebt auf Einfluss und Reichtum, beschloss ein unglaubliches Experiment zu wagen: Die Erschaffung einer Cetra aus dem Genmaterial des gefundenen, konservierten Körpers (`Jenova´ genannt) um an den Schlüssel zum `Promised Land´ zu gelangen. Zu diesem Zweck wurden einem menschlichen Fötus noch im Mutterleib hohe Mengen an Jenovazellen injiziert. Ein grauenhaftes Experiment, dessen Leiter natürlich niemand anderes als Hojo gewesen war. Über den Wirtskörper wurde kein weiteres Wort erwähnt. Aber das Ergebnis ... ... bin ich, dachte Sephiroth irgendwann in gelähmter Ruhe. Ich bin das. Die Dokumentationen lassen keinen Zweifel zu. Selbst der schwarze Flügel wird erwähnt. Ich hatte ihn schon seit meiner Geburt. Ich bin so geboren! Und ein Fehlschlag. Denn mir fehlen alle eine `Cetra´ auszeichnenden Eigenschaften. Das haben die früheren Untersuchungen ergeben. Ich bin keine Cetra. Aber ich bin auch kein Mensch. Sondern nur ... ein ... fehlgeschlagenes ... Experiment. Ein Monster. Es war lange her, dass Sephiroth zum letzten Mal vor Schmerz geschrieen hatte. Aber jetzt tat er es. Gleichzeitig fühlte er Tränen über seine Wangen laufen. Hojo hatte Recht gehabt. Er hatte immer Recht gehabt. Nur ein fehlgeschlagenes Experiment. Ein Monster in der Gestalt eines Menschen. Die Ausbildung zum SOLDIER eine Art Notlösung, keine Talentförderung. Sein jetziger Rang war nichts gegen das ursprünglich angestrebte Ziel. Nur ein fehlgeschlagenes Experiment, dem man aus einer Laune heraus gestattet hatte, weiterzuleben. Hatte ein solches `Ding´ überhaupt das Recht, zu existieren? Nein. Sephiroth ließ den Kopf auf die am Rand des Schreibtisches liegenden Arme sinken und schloss die Augen. Er gab sich keine Mühe, sich zu beherrschen. Er ließ das Schluchzen und Zittern zu, bis es von selbst abklang. Erschöpfung gesellte sich zu der immer noch extrem stark empfundenen Leere – und dem Hauch Widerwillen. Wenn sich die Sache wirklich so einfach darstellte – wozu dann all die anderen Bücher in diesem Raum? Es musste noch eine Antwort geben. Irgendwo, zwischen all diesen Seiten. Und er musste sie finden! Oder ein Monster bleiben. Er erhob sich wie ferngesteuert, griff nach einem der zahlreichen Bücher und begann zu lesen. Cutter sah kaum auf, als Zack neben ihr anhielt. Sie reagierte erst, als der 1st sich vor ihr in die Hocke gleiten ließ. „Du hast ja immer noch nichts gegessen. Cuttie, das war dein Frühstück! Mittlerweile ist es kurz vor Mitternacht. Du wirst noch umkippen!“ „Ich habe keinen Hunger“, wisperte Cutter und sah wieder zur Tür. „Es geht ihm nicht gut. Ganz egal, was er da drin erfahren hat, es frisst ihn auf, von innen, und ich kann überhaupt nichts machen. Ich sollte etwas tun können, Zack. Ich bin seine Freundin! Ich sollte jetzt da drin sein und mit ihm reden!“ Sie schüttelte den Kopf. „Wie konnte ich mich nur so austricksen lassen? Ich hätte wissen müssen, was er vorhat.“ „Er hat mich genauso reingelegt“, knurrte Zack und ließ sich neben ihr nieder. „Vergiss das nicht. Er hat unser ihn betreffendes Vertrauen ausgenutzt, um diese verdammte Tür zuzuschlagen, und jetzt ist er mit seinen Dämonen allein. Aber die Tür aufmachen und uns reinlassen, damit wir ihm helfen, kann er auch nicht. Meinethalben soll er da drin krepieren!“ Er verschränkte die Arme vor dem Oberkörper und sah demonstrativ in die entgegengesetzte Richtung. „Der macht mich wahnsinnig, ehrlich! Immer glaubt er, anderen etwas beweisen zu müssen. Mir, dir, Rufus, Hojo, ShinRa, sich selbst. Er hat immer noch nicht kapiert, dass man den Dingen manchmal ganz bewusst den Rücken kehren muss, um Schaden von sich fernzuhalten. Aber er hat das natürlich nicht nötig, muss immer an vorderster Front stehen, und jetzt haben wir das Ergebnis! Oh Gaia, ich war noch nie so wütend auf ihn, wie jetzt! Ich dachte wirklich, jetzt, nachdem wir so viel zusammen durchgemacht und er sich so verändert hat, würde er uns völlig vertrauen. Aber er tut es nicht. Und diesmal habe ich Angst um ihn.“ „Ich auch“, wisperte Cutter. „Aber um dich“, fuhr Zack leise fort, „habe ich mindestens genauso viel Angst. Und deshalb wirst du jetzt verdammt nochmal etwas essen, verstanden? Los!“ Cutter nickte und begann mechanisch zu kauen. Aber genau wie Zack ließ auch sie die Tür nicht aus den Augen – und beide dachten an das von Aerith vorhergesagte Szenario. Es kam näher. Tage vergingen. Nichts änderte sich. Einmal täglich rief Aerith an, um sich nach Neuigkeiten zu erkundigen. Sie flehte Zack an, mit Cutter zu verschwinden, sie weinte, sie bettelte, sie versuchte es mit Strenge und Autorität. Ohne Erfolg. Zack und Cutter blieben. Sie harrten vor der Tür aus, bereit, bei der geringsten Bewegung auf die Füße zu springen. Aber die Tür bewegte sich nicht. Dass sich dahinter etwas tat, ließ sich nur erfühlen, und es war kein gutes Gefühl. Manchmal erklangen gedämpfte Geräusche, aber sie verstummten ebenso plötzlich, wie sie erklungen waren und ließen keine nähere Bestimmung zu. Sie peitschten lediglich jähe Hoffnung auf eine Änderung herauf, und begruben eben jene Hoffnung dann wieder mit lähmender Stille. Es war jene Sorte Warten, in der Seelen zerbrechen konnten. Zack gab sich alle Mühe, sich und Cutter genau davor zu bewahren. Er sorgte dafür, dass sie sich hin und wieder bewegten, aßen, genug tranken, miteinander sprachen, wirklich schliefen. 6 Tage und Nächte lang bewachten sie die Tür – aber als sich diese am Abend des siebten Tages völlig unvermittelt öffnete, brauchten die beiden Wachposten dennoch eine Sekunde länger als geplant, um auf die Füße zu kommen. „Sephiroth!“ Zack gab sich keine Mühe, seinen angestauten Ärger zurückzuhalten. „Du verdammter Mistkerl! Wir sitzen seit einer Woche hier draußen und machen uns die größten Sorgen um dich, und du ...“ „Sephy“, fiel Cutter leiser aber nicht weniger besorgt ein, „was ist passiert?“ Sephiroth sah die beiden Personen vor sich nur an, finster und zutiefst distanziert. Sie ... hatten diese beiden das Recht, ihm irgendetwas zu sagen? Diese beiden klar definierten Wesen in ihrer eindeutigen Welt? Sie kamen ihm vertraut vor, ja. Aber sie hatten nichts mit ihm zu tun. Jetzt nicht mehr. Niemand hatte das und würde es jemals wieder haben. Der Unterschied war zu groß. Denn sie waren Menschen. Und er ... ein Monster in Gestalt eines Menschen. Nicht dasselbe. Niemals wieder. Die Bücher in dem hinter ihm liegenden Raum hatte keine neuen Antworten enthüllt. Und somit war die Zeit des Glaubens und der Lügen vorbei. Die Zeit der Wahrheit war angebrochen. Auch für andere! Der menschliche Körper besaß viele empfindliche Stellen, die auf einen harten Schlag äußerst sensibel reagierten. Eine ganz bestimmte Stelle in der Nähe des Halses gehörte dazu. Die Handkanten des Generals trafen diesen empfindlichen Punkt zweimal völlig synchron und mit einer Härte, die nicht die geringste Chance zur Gegenwehr ließ. Zack und Cutter gingen bewusstlos zu Boden. Sephiroth wartete nicht einmal ab, bis sie völlig ruhig lagen. Er stieg über sie hinweg und machte sich auf den Weg zum Ausgang, um der Welt zum ersten Mal ganz bewusst in seiner wahren Gestalt entgegenzutreten. Kühle, nach Herbst riechende Nachtluft begrüßte ihn, als er aus der Eingangstür der ShinRa Mansion trat. Vor vielen Jahren hatten die Mitarbeiter des Jenova Projektes vielleicht täglich genau dasselbe getan. Menschen, die ihm unfassbares Leid angetan hatten, gegen das er sich nicht wehren konnte, dessen Ergebnis er war, und womit er leben musste. Und all diese Menschen waren sich ihrer Taten vollauf bewusst gewesen. Vielleicht hatten sie sogar Freude bei ihrer Arbeit empfunden. Bei dem Gedanken wurde Sephiroth fast schlecht. Menschen, Menschen ... immer wieder andere Menschen! Sie allein waren Schuld an seiner Existenz, seinem Schmerz, seiner Einsamkeit ... Auch die Bewohner Nibelheims gehörten zu dieser Sorte! Hatten sie keine Fragen gestellt? Sich nicht über die jähe Betriebsamkeit der Electric Power Company in diesem verschlafenen Ort gewundert? Nein. Es war ihnen egal gewesen. Weil die Vorgänge ihr kleines, sinnloses Leben nicht betrafen. Vermutlich hatten sie sich noch an ShinRa bereichert. Es war an der Zeit, Vergeltung zu üben. Vergeltung für so viel Desinteresse, so viel Arroganz, so viel Gleichgültigkeit. Sephiroth setzte sich lautlos in Bewegung, steuerte die ersten Häuser Nibelheims an. Sein Schmerz würde auf diesen Ort überspringen wie ein Funken, der zu tobenden Flammen wurde und alles vernichtete. Sie hatten es verdient! Und er würde dafür sorgen, dass sie nicht das Geringste dagegen tun konnten – genau wie er selbst vor vielen Jahren. Anfänglich wusste Cutter nicht sofort, warum es um sie herum so dunkel war. Oder, was sie geweckt hatte. All ihre Sinne schienen wie erloschen zu sein, reaktivierten sich erst nach endlos scheinenden Sekunden, und das keinesfalls zeitgleich. Aber irgendwann drang die Stimme zu ihr durch. Sie rief ihren Namen, immer und immer wieder. Irgendwann stellte sich das Gefühl ein, heftig geschüttelt zu werden. Keine sonderlich angenehme Empfindung. „Hör auf!“, murrte sie und öffnete blinzelnd die Augen. Dämmerlicht traf ihr Bewusstsein trotz der geringen Stärke mit der Intensität eines Hammers, ließ sie schmerzerfüllt den Kopf wegdrehen und die Augen zukneifen. „Cuttie! Nicht wieder einschlafen! Wach auf!“ „Zack?“, murmelte Cutter und blinzelte abermals. „Was ... was ist ...“ „Komm auf die Beine, wir sind in Schwierigkeiten!“ Cutters Benommenheit ließ mit Höchstgeschwindigkeit nach. Schwierigkeiten? Von welcher Sorte? Und warum? Sie und Zack hatten doch vor der Tür zu der unterirdischen Bibliothek auf Sephiroth gewartet und ... „Sephiroth!“ Cutter kam ruckartig auf die Füße und taumelte, als heftiger Schwindel einsetzte, bekam sich aber nur Sekunden später wieder in den Griff und stürmte in die Bibliothek. „Sephy!“ „Er ist nicht hier, ich habe schon nachgesehen. Er hat nur dieses Chaos und mein Schwert zurückgelassen.“ Die junge Frau bremste jäh ab und sah sich um. Von der zuvor herrschenden Ordnung war nichts mehr zu erkennen. Überall lagen Bücher, manche noch aufgeschlagen, andere wirkten wie weggeworfen. Manche waren zerrissen. Von den stabilen Regalen waren nur noch Bruchstücke übrig. Zentimetertiefe, meterlange Einschnitte in den Wänden ließen keine Zweifel daran, dass die Regale Masamune zum Opfer gefallen waren, und dasselbe galt auch für den massiven Schreibtisch. Der ganze Raum sah aus, als habe ein Dämon darin gewütet. „Zack, was ist passiert? Wo ist er?“ „Ich weiß es nicht. Aber ...“ „Warum riecht es hier so stark nach Rauch?“ „Deshalb sind wir in Schwierigkeiten! Wir müssen an die Oberfläche, sofort!“ Cutter sah sich verzweifelt in dem Raum um. Aber Zack hatte Recht. Wenn es tatsächlich irgendwo über ihnen brannte und sich das Feuer ausweitete, würde das hier unten zu einer Falle werden, aus der es kein Entrinnen gab. Vielleicht eröffnete sich später noch die Möglichkeit, zurückzukommen, um ... Aber nicht jetzt! Nebeneinander rannten die beiden durch den Gang, der Treppe entgegen, in Gedanken bei Sephiroth. Was immer er in der Bibliothek erfahren hatte, es war zweifellos grausamer, als jemals befürchtet. Er hat kein Wort gesagt, dachte Zack. Er hat mich angesehen, als sei ich ein Fremder, und dann hat er zugeschlagen, ohne zu zögern. Seph, bitte, bitte bau nicht noch mehr Mist! Sephy, dachte Cutter, was hast du gelesen? Was hat dich so verwirrt! Bitte, bitte lass dich von uns finden! Rede mit uns! Ich bin ganz sicher, zusammen können wir alles wieder hinkriegen ... Sie erreichten das Ende der Treppe. Hier war der Brandgeruch stärker, aber auf dem Weg nach draußen begegnete ihnen kein Feuer – ein Zustand, der sich mit dem Öffnen der Haupttür der ShinRa Mansion schlagartig änderte. Nibelheim brannte. Die Flammen schlugen meterhoch in den tiefschwarzen Nachthimmel, als wollten sie diesen verschlingen, gleichzeitig hielten sie sämtliche Häuser fest in ihrem Griff. Die Luft war erfüllt von den typischen Geräuschen eines gigantischen Brandes. Die Hitze schlug Cutter und Zack schon von weitem entgegen, aber sie stürzten sich furchtlos weiter hinein, auf der Suche nach Sephiroth – und in der Hoffnung, den Bewohnern helfen zu können. Etliche kamen ihnen schon entgegen, entsetzt, hustend, verängstigt, verletzt. Keiner wusste was passiert war, so plötzlich hatten Feuer und Rauch sie aus dem Schlaf gerissen. Viele wiesen Brandverletzungen auf. Die meisten Menschen trugen nur einen Schlafanzug, einigen wenigen war es gelungen, Gegenstände zu retten. Zack, der schon viele schwierige Einsätze erfolgreich gemeistert hatte, reichte ein Blick um zu wissen, dass diese Menschen trotz Allem noch genug Kraft besaßen, um die Flucht fortzusetzen, und so stürmte er zusammen mit Cutter weiter. Schon nach der nächsten Kurve schlug ihnen Hitze wie eine gigantische Faust entgegen, brannte im Hals, in den Lungen und versicherte, momentan alleiniger Herrscher zu sein und sich nicht so leicht besiegen zu lassen. Aber die sich noch in Nibelheim aufhaltenden Menschen waren nicht bereit, kampflos aufzugeben. Verbissen und mit aller Kraft bekämpften sie das Feuer, bemüht, die Nerven zu behalten und sich nicht intensiver in Gefahr zu bringen, als nötig. Cutter und Zack wechselten einen stummen Blick. Genau dieses Szenario hatte Aerith vorhergesehen. „Shit!“, wisperte Zack. Gleichzeitig spürte er, wie sich Cutters Hand fest um seinen Arm schloss. „Er ist im Reaktor, ich weiß es einfach! Wir müssen hin!“ Der 1st zögerte, versuchte zu formulieren ... und ließ es bleiben. Er wusste, keine Macht und kein Argument der Welt wären in der Lage gewesen, Cutter davon abzuhalten, jetzt zu Sephiroth zu gelangen, ganz egal, wie gefährlich es für sie werden konnte. Und so nickte er nur. Sekunden später waren die beiden wieder unterwegs, rannten durch vor Hitze flirrende Luft und verließen den todgeweihten Ort. So durchtrainiert und schnell Cutter war, mit der Kondition eines 1st Class SOLDIERs konnte sie es nicht aufnehmen, und Zack, das wussten beide, durfte nicht warten oder gar Zeit verlieren, indem er sich immer wieder umsah. Ihnen reichte ein einziger Blick zu Verständigung. Dann nahm der 1st ein Tempo auf, das für einen normalen Menschen unmöglich zu erreichen gewesen wäre. Cutter sah ihm nach und nahm wahr, wie eine sehr seltsame Angst von ihrem Herzen Besitz ergriff. Die, eine geliebte Person nie wieder zu sehen. Das würde Sephy nie tun! , dachte die junge Frau. Jeden anderen würde er töten, aber niemals, niemals Zack! Dann verfluchte sie die Tatsache, ihre Flügel und die Lines verloren zu haben, und konzentrierte sie sich wieder ausschließlich aufs Laufen. Nibelheim in Brand zu stecken war so leicht gewesen. Es hatte Sephiroh einmal mehr daran erinnert, warum sein Interesse an Menschen so gering gewesen war. Sie waren so schwach. Erbärmliche, sentimentale Kreaturen, die sich nicht einmal im Ansatz mit ihm messen konnten. Sie verdienten es nicht, zu leben. Und, vor allem, sie waren Schuld! Sie hatten den Tod auf jede nur erdenkliche Art und Weise verdient! Sephiroth lächelte grimmig und folgte der zum Eingang des Reaktors führenden Treppe weiterhin, sprengte die Tür durch einen gezielten Schlag mit Masamune, trat ins Innere und stieg die zweite Treppe hinauf, hielt inne und hob den Kopf zu den Buchstaben im Stein. Er wusste noch nicht, wie er reagieren würde. Nur, dass er `es´ sehen wollte. Die Realität hinter dem Namen `Jenova´. Ganz egal, wie sie aussehen mochte. Die versiegelte Tür hatte Masamune nichts entgegenzusetzen. Sephiroth durchquerte das zerstörte Hindernis langsam, den Blick unverwandt nach vorn gerichtet. Direkt hinter der Tür gab es eine halbrunde Plattform, auf der man noch ein paar Schritte gehen konnte. Dann begann das typische Innenleben eines Makoreaktors. Modernste ShinRa Technik. Schläuche, Kabel, Rohre, Computerdisplays, Schalter, Knöpfe, blinkende Lichter, alles erfüllt vom typischen Geräusch einer gigantischen, arbeitenden Maschine. Das ganze Szenario wurde von dem vertrauten Grünton überflutet. Aber inmitten all dieser Vertrautheit, parallel zur Eingangstür und wesentlich höher, erhabener, liegend als diese ... Es sah aus, wie ein seltsam längliches Gebilde von metallisch grauer Farbe. An dessen Vorderseite allerdings prangte eine Maske in Form eines menschlichen Gesichtes. Der General erwiderte den Blick der schwarzen, toten Augenhöhlen einen Moment lang, dann trat er auf das rohrähnliche Verbindungsstück zwischen den beiden Ebenen und folgte ihm. Je näher er kam, desto mehr Details konnte er entdecken. Die Maske war unglaublich fein gearbeitet und perfekt mit dem länglichen Gebilde, das sich jetzt als Sichtschutz entpuppte, verbunden. Kabel und Schläuche führten von diesem weg und weiter nach unten, wo ShinRa Technik immer noch dabei war, die Energie des Planeten zu stehlen, oder liefen an der Decke und den Wänden des Reaktors entlang, um sich irgendwo in dem Bauwerk zu verlieren. Sephiroth erreichte das Ende des Verbindungsstückes. Auch hier gab es eine Plattform, auf welcher das seltsame Gebilde ruhte. Abermals verhielt der General einen Augenblick lang bewegungslos, sammelte seine mentalen Kräfte, versuchte sich vorzubereiten. Dann schloss er die Hände fest um zwei günstige Punkte und legte alle Kraft in einen einzigen, entschlossenen Ruck. Das Bauwerk in seinen Händen gab sofort nach, ließ sich so widerstandslos entfernen, als habe es auf diesen Moment gewartet, wurde davon geschleudert und verlor sich nur Sekunden später im Glühen irgendwo weit unter dem General. Dieser aber nahm es kaum wahr. Sein Blick war fest nach vorn gerichtet. Was sich hinter der Maske und der grauen Metallverkleidung versteckt hatte, war ein Makotank. Und in diesem Tank ... Sephiroth kam langsam näher. Nahm den Anblick in sich auf. Und versuchte, nicht wahnsinnig zu werden. Ihre Haare ... ihre blasse Haut ... ihre Augenbrauen ... die Form ihrer Lippen ... selbst Länge und Beschaffenheit ihrer Wimpern. So ähnlich. Zu ähnlich. Seine DNA. Für einen Moment konnte weder denken, noch fühlen. Und so legte er lediglich seine Hände auf das Sicherheitsglas und ließ den Kopf nach vorne sinken, bis dieser die kühle, durchsichtige Barriere berührte. Schloss die Augen. Und verhielt völlig bewegungslos. Das also war sie. Die letzte Bestätigung der in der ShinRa Mansion erfahrenen Informationen. Sie entsprachen der Wahrheit. Einer Wahrheit so kalt und grausam, wie sie ihm trotz all seiner Erfahrenheit selten begegnet war, die ihm die so mühsam erkämpfte Menschlichkeit nahm, unwiderruflich, und ihn zu einem Monster werden ließ ... Die Stimme erklang völlig unerwartet und nicht aus dem Tank. Vielmehr schienen sich die Worte ungehindert im Kopf des Generals zu entfalten. Der Klang der Stimme war leise - und sehr liebevoll. /Endlich hast du den Weg zu mir gefunden. Willkommen zuhause, mein lieber, lieber Sohn. Nach so vielen Lügen hast du endlich die Wahrheit erfahren. Wie fühlst du dich?/ Sephiroth schüttelte sachte den Kopf. Er wollte jetzt nicht reden. Nur zuhören. /Das war eine sehr dumme Frage, verzeih. Ich weiß, wie du dich fühlst. Ich wusste es immer./ Sephiroth hatte die Bedeutung von Fragen sehr genau analysierte, bevor er einen Satz formulierte, der mit einem Fragezeichen endete – aber diesmal war selbst er zu zerschlagen, um zu analysieren. Er wollte nur noch eines: Den Rest seiner Antworten. „Warum“, wisperte er, „hast du nicht schon früher zu mir gesprochen?“ /Ich habe es versucht. Immer und immer wieder. Aber man hat dich mir zu sehr entfremdet. Du weißt, wer dafür die Verantwortung trägt./ „Hojo. Und ShinRa.“ /Ja. Es ist ganz allein ihre Schuld! Du warst nie für den Schmerz, den du jetzt fühlst, vorgesehen. Oder für das, was du jetzt bist./ Wie gut, wie süß diese Stimme klang. Sie sagte ihm genau die Worte, die er hören wollte. Schmiegte sich in seinen Kopf, tröstend, betäubend, liebevoll ... Aber warum wurde dann das Gefühl, mental abzustürzen, immer stärker? Sollte er sich überhaupt dagegen wehren? Wenn es jetzt endete, wie auch immer, war es vorbei. Für immer. Mit dem jetzigen Wissen konnte es nur noch `anders´ werden. Aber nie wieder `gut´. Manchmal war der Freitod keine Flucht. Sondern der letzte große Sieg über alle Mächte, die einen zu beherrschen glaubten. Und doch gab es tief in Sephiroth einen Punkt, der sich noch nicht von der immer mehr anschwellenden Gleichgültigkeit hatte überdecken lassen. Er schien mit jeder vergehenden Sekunde heißer zu werden. /Du hast schon viel über die Wahrheit erfahren, mein Sohn, aber das Gefängnis aus Lügen, in dem du eingesperrt warst, ist immer noch nicht vollständig zerstört. Ich werde dir helfen, die letzten Reste davon zu zerschlagen. Ich gebe dir freie Sicht. Weißt du, was du bist, Sephiroth?/ „Ein Monster. In Gestalt eines Menschen.“ Das Gefühl, abzustürzen, nahm an Intensität zu. /Ja. Aber nur in den Augen der Menschen, die sich leicht täuschen lassen. Ich hingegen sehe anders. Sephiroth, du bist nur deshalb keine Cetra, weil dein menschliches Erbgut dominiert. Aber du hast alle nötigen Veranlagungen. Sie müssen nur geweckt werden, dann werden sie die schwachen, menschlichen Zellen umwandeln und dich zu einem reinen Cetra machen. Ich allein vermag das. Vereine dich mit mir, und all das Leid, der Schmerz und deine Einsamkeit werden vergehen. Für immer! Du wirst nie wieder alleine sein. Und wir werden gemeinsam ins `Promised Land´ gehen. Ich habe es gesehen, einmal, bevor ... all das hier geschah. Es ist wunderschön dort. Ich wollte zurückkehren. Aber nicht ohne dich./ „Du hast auf mich gewartet?“, wisperte Sephiroth. /Nur auf dich! Und jetzt bist du hier. Komm mit mir, und nichts wird mehr wichtig sein, außer uns. Du bist Ich. Ich bin du. Wir brauchen niemanden, außer uns./ „Niemanden, außer uns?“, wiederholte Sephiroth leise. Gleichzeitig konnte er spüren, wie der winzige Punkt in ihm immer intensiver zu brennen begann. Es war, als versuche dieser, seinen Besitzer auf etwas aufmerksam zu machen, etwas Wichtiges! /Komm mit mir. Und ich sorge dafür, dass alles gut wird!/ Alles wird gut. Diese Worte kamen Sephiroth so bekannt vor. Sie waren von einer Person, die ihm, als er noch ein Mensch gewesen war, etwas bedeutet hatte, immer wieder ausgesprochen worden. Aber letztendlich waren auch ihre Worte nur Lügen gewesen. Denn nicht, absolut nichts war `gut´ geworden. Und außerdem ... Diesmal ließ ihn die Intensität der einsetzenden Kopfschmerzen wimmernd auf die Knie fallen und nach vorne sinken, bis sein von beiden Händen gehaltene Kopf den kühlen Boden berührte. /Siehst du? Selbst sie bereitet dir nur Schmerzen. Sie hat dir immer nur Schmerzen bereitet, ganz egal, wann du an sie gedacht hast. Habe ich Recht?/ „Ja.“ Nur ein tonloses Flüstern. /Weil sie ein Mensch ist, Sephiroth. Wir sind Cetra. Wir sind zu etwas Höherem bestimmt. Komm mit mir, und ich zeige dir, was ich meine./ So geschwächt und verletzt Sephiroth war, und so sehr er sich ein Ende all dessen wünschte, so heiß glühte der winzige Punkt tief in ihm. Und endlich hatte dieser eine Stärke erreicht, die seinen Namen offenbarte. `Misstrauen´. Aber warum? Jenovas Worte klangen so einleuchtend, so gut, so freundlich ... Warum hätte sie ihm schaden wollen? Aber ... waren die Kopfschmerzen jemals so stark gewesen? Konnte ... konnte da ein Zusammenhang bestehen? Nein. Nein, ausgeschlossen. Welchen Sinn hätte das gehabt? Weshalb sollte sie ihm Schmerz zufügen? Sie brauchte ihn. Sie ... Du brauchst mich, dachte Sephiroth. Das ist es. Du. Brauchst. Mich! Und ich schätze, ich brauche dich genauso. Mühsam kam er wieder auf die Beine. „Was muss ich tun?“ /Hol mich aus diesem Tank! Das hier ist ein Makoreaktor, richtig? Er hat direkten Kontakt zum Lebensstrom. Wir werden uns im Lebensstrom vereinen. Dein Körper wird vergehen, aber ich werde dir einen neuen, reineren geben. Er wird keinerlei Spuren deines früheren Lebens tragen. Du wirst sein, wie du immer hättest sein sollen. Lass dich nicht aufhalten. Auch nicht von ihm./ Sephiroth antwortete nicht. Er musste sich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, wer gerade hinter ihm aufgetaucht war. Es spielte keine Rolle ... Eigentlich hatte Zack fest vorgehabt, seinen besten Freund anzuschreien. Lautstark. Und mit aller momentan empfundener Wut. Aber der sich ihm jetzt bietende Anblick war zu ... Der 1st suchte nach Worten. Aber er fand sie nicht. Nur seine sich mehr und mehr in Verblüffung wandelnde Wut. Er konnte Sephiroth sehen. Der General stand vor einem Makotank, dessen Inhalt ... Zack kam vorsichtig näher. Blieb schließlich neben dem Mann, der in den Tank starrte, stehen. Versuchte zu begreifen, was er da sah. Und scheiterte. „Whoa ...“, in Zacks Stimme klangen Ekel, Misstrauen und Neugier zu gleichen Teil mit, „was ist das?“ „Die Wahrheit.“ Sephiroths Stimme klang wie ein Tausende aneinander reibende Scherben. Niemals zuvor hatte Zack seinen besten Freund so sprechen hören. Es machte ihm Angst, und dasselbe galt für das Wesen in dem Tank. Es ähnelte Sephiroth ... so sehr ... Trotzdem schaffte Zack es, den Kopf zu schütteln. „Die Wahrheit? Das da? Klar. Wach auf, Seph! Das stinkt nach einem von Hojos miesen Tricks, und zwar zehn Meilen gegen den Wind! Rufus wird auch bis zum Hals und wahrscheinlich noch weiter mit drinstecken. Darauf wirst du doch nicht ernsthaft reinfallen!“ Sephiroth antwortete nicht. Nach wie vor war sein Blick fest auf den Inhalt des Tankes gerichtet. Der Ausdruck darin glich einer auf Feuer zulaufenden Benzinspur. Und Zack begriff, dass die Situation kurz vor der Eskalation stand. Vielleicht blieb nur noch ein Zeitfenster von wenigen Sekunden. „Na komm, hauen wir ab.“ Gleichzeitig legte er auffordernd eine Hand auf den Arm des Generals. Eine Bewegung, die nur einen Sekundenbruchteil später durch einen heftigen Stoß beantwortet wurde. Zack taumelte rückwärts und schaffte es im letzten Moment, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. „Au“, murmelte er und rieb sich den Brustkorb. Auch das war keine von Sephiroths üblichen `Reiß dich zusammen, SOLDIER!´ Ermahnungen gewesen. Dafür schmerzte die Stelle zu sehr. Der 1st sah auf und kollidierte mit grün glühenden Augen, in denen sich alles Eis dieser Welt versammelt zu haben schien. Zack kannte diesen Blick. Es war fast derselbe von früher, noch bevor es ihn selbst und Cutter in Sephiroths Welt gegeben hatte. Aber die ihm jetzt inne wohnende Distanz schlug die frühere Version um Längen. Dasselbe galt auch für die Stimme des Generals. „Verschwinde!“ „Nicht ohne dich!“ Gleichzeitig näherte er sich abermals. „Seph, das ist nicht die Realität! Begreif das doch! Du ...“ „Du weißt gar nichts!“ „Ich brauche nichts zu wissen! Das da“, er zeigte auf den Tank, „ist ein Trick! Um dich zu verwirren! Merkst du nicht, wie perfekt all das eingefädelt ist? Die Mission hierher, deine Antworten in Shinra Mansion und dann das hier! Es ist alles so offensichtlich, wie kannst du darauf hereinfallen?! Willst du so blöd sein?“ „Ich werde mich nicht wiederholen!“ „Aber ich!“, knurrte Zack grimmig. „Bis du es begreifst!“ Gleichzeitig legten sich seine Hände fest um das Busterschwert. Der Makotank sah nicht besonders stabil aus. Ein einziger Schlag würde ausreichen! Der 1st stürmte vorwärts, holte aus ... Einen Sekundenbruchteil später kollidierte das Busterschwert mit dem urplötzlich schützend vor dem Tank aufgetauchten Masamune. „Du wagst es!“, wisperte Sephiroth. „Sogar zweimal!“, fauchte Zack und holte ein weiteres Mal aus. Weiter kam er nicht. Die Attacke traf ihn mit voller Wucht, schleuderte ihn davon. Es gelang dem 1st erst nach etlichen Metern, sich wieder zu fangen. Sein Körper schmerzte (jetzt schon!) und er war sicher, irgendwo Blut zu verlieren. Aber trotzdem galt sein erster am kampfbereit erhobenen Busterschwert vorbeigleitender Blick Sephiroth. Der General stand neben dem Tank, bestrahlt durch dessen grünes Licht, das sich in seiner Uniform, Haaren, Augen und dem noch gesenkt haltenden Schwert spiegelte, als sei er erfüllt davon, unzerreißbar damit verbunden. Dann hob Sephiroth Masamune an. Langsam. Und nahm jene Stellung ein, die alle Zweifel hinsichtlich der Ernsthaftigkeit seines Vorhabens hinwegfegte. Zack kannte diesen Anblick. Sein General und bester Freund hatte sich so schon oft einem Gegner gestellt. Und immer gewonnen. Das Spiel, sofern es jemals eines gewesen war, jetzt war es zu Ende. Jetzt machte Sephiroth ernst. Er wollte und würde töten. Ihn. Zack fletschte unwillkürlich die Zähne, mehr aus Wut, als aus Angst. „Du alter, blöder Sturkopf! Greif an, wenn du dich traust!“ Denn letztendlich, fügte er in Gedanken hinzu, bin ich auch ein 1st Class SOLDIER! Ich kann und werde es mit dir aufnehmen! Sephiroth hielt sich nicht mit einer verbalen Reaktion auf. Er sah Zack direkt in die Augen – und griff an. Cutter rannte immer noch. Aber der Weg schien kein Ende zu nehmen. Gleichzeitig steigerte sich die empfundene, hauptsächlich Sephiroth geltende Angst immer weiter und weiter. Es hatte, ab eines gewissen Zeitpunktes, keine Rolle mehr gespielt, wo er war und was er tat. Ein Teil seiner Existenz war unwiderruflich mit der Cutters verschmolzen und somit immer bei ihr. Sie konnte ihn spüren, ganz egal, wie nah oder fern er war. Aber vor wenigen Minuten war dieser Teil von ihm erloschen, wie die Flamme einer Kerze in einem jähen Luftzug. Und es ließ sich nicht wieder aktivieren. Mittlerweile rannte die junge Frau, als ginge es um ihr Leben. Denn genau das war der Fall. Zack hielt schwer atmend auf einem der glücklicherweise ausreichend breiten Verbindungsrohr inne, musste sich aber nur eine Sekunde später schon wieder mit aller Kraft abstoßen, um eine erneute Kollision mit Sephiroth zu verhindern. Der General kam wie ein von der Sehne geschnellter Pfeil von der Seite herangeschossen, Masamune über den Kopf erhoben und bereit für einen neuen Angriff. Er hatte sich während des gesamten Kampfes nicht ein einziges Mal verteidigt oder war ausgewichen. Er attackierte pausenlos, zwang Zack sich auf mit Technik vollgestopftem Raum mit aller vorhandenen Geschicklichkeit und Schnelligkeit zu bewegen und ließ ihm kaum Zeit für eigene Angriffe. Er spielte mit ihm. Jede seiner Bewegungen schien zu sagen: `Weshalb verschwende ich nur meine Zeit mit dir?´ Und jede Attacke traf auf die ein oder andere Art und Weise. Der nächste Schlag Masamunes fegte Zacks für die nächste Landung ausgewählten Punkt beiseite, ließ den 1st fallen. Dieser drehte sich blitzschnell im Sturz, hielt nach seinem ... sturen Freund ... Ausschau – und realisierte erst in letzter Sekunde, dass dieser längst unter ihm auf einem weiteren Rohr wartete. Zack fletschte die Zähne und schwang das Busterschwert, blockte die ihm geltende Attacke und führte nur einen Sekundenbruchteil nach dem Aufprall einen eigenen Schlag mit aller Kraft. Eine kreischendes Geräusch verriet einen Treffer, gleichzeitig wurde Zacks Sicht durch eine aufsteigende Dampfwolke getrübt – nur für einen Augenblick. Aber die Zeit reichte aus. „Schwach!“, wisperte es direkt neben Zacks Ohr. Gleichzeitig jagte rasender Schmerz durch seinen gesamten Körper. Zack keuchte auf, fand aber noch die Kraft für eine zweite Attacke. Er würde nicht aufgeben! Er durfte nicht aufgeben! Er war alles, was zwischen Sephiroth und einer noch größeren Tragödie stand. Und Cutter ... Cutter und Sephiroth durften einander nicht verlieren! Sie hatten einander doch gerade erst gefunden ... Und er wollte seinen besten Freund auch nicht verlieren. Nicht so! Und am liebsten sowieso gar nicht. Vielleicht hatte ihn der Blutverlust abgelenkt. Oder die gebrochenen Knochen. Vielleicht aber auch seine eigenen Gedanken. Aber er durchschaute den Plan des Generals eine Sekunde zu spät. Und sein Körper konnte nicht mehr schnell genug auf die Erkenntnis reagieren. Die Attacke wurde zum Volltreffer. Riss sämtliche Luft aus Zacks Lungen. Ließ die Welt vor seinen Augen in Schwärze versinken. Er nahm nicht wahr, wie ihn der zweite Angriff traf, mitten in der Luft, und quer durch den Reaktor schleuderte wie einen Spielball. Erst die nächste Wand stoppte seinen Körper, und er rutschte an ihr herunter und landete in sitzender Position auf dem Boden einer weiteren Plattform. Zack wusste nicht, wie viele Knochen gebrochen waren oder wie hoch der Blutverlust war. Es interessierte ihn auch nicht. Er lebte. Und das hieß, er konnte kämpfen! Er versuchte aufzustehen, aber sein Körper wollte einfach nicht gehorchen. Es war wie damals, als Hojo ihn schwer verletzt aufgelesen hatte. Damals war Sephiroth aufgetaucht, um ihn zu retten. Sephiroth war auch jetzt hier - aber diesmal aus einem völlig entgegengesetzten Grund. Eben tauchte der General vor Zack auf. Langsam, mit unvergleichlicher Erhabenheit, immer noch kraftvoll, unverletzt, graziös und unaufhaltsam. Er kam immer näher, blieb schließlich vor dem 1st stehen. Warf ihm einen langen Blick zu. Für einen Moment hatte Zack das Gefühl, als sei alles doch nur ein Spiel gewesen. Klar, er hatte Sephiroth einfach zu sehr genervt. Irgendwann riss selbst dessen Geduldsfaden. Aber jetzt waren die Fronten ja geklärt. Gleich würde er eine Heilmateria aktivieren und ... Die Bewegung kam zu schnell, um etwas, irgendetwas dagegen zu tun. Zack realisierte den jähen Schmerz, der seinem Bewusstsein völlig klar machte, dass gerade etwas wirklich Lebensbedrohliches geschehen war. Dann wandte er den Kopf. Masamune war völlig mühelos in seinen Körper eingedrungen. In der linken Körperhälfte. Brustkorb. Genau dort, wo das Herz schlug. Zu schlagen versuchte. Und scheiterte. „Zackary Fair“, Sephiroths Stimme klang, wie sie es früher getan hatte, kalt und abweisend, „ich habe dir immer prophezeit, dich eines Tages zu töten! Ich hoffe, du bist nicht überrascht.“ Zack sah über Masamunes scheinbare Endlosigkeit hinauf zu den grün glühenden, eisigen Augen und erblickte doch immer noch keinen Gegner oder gar Feind. Nur jemanden, der dabei war, verloren zu gehen. Vielleicht für immer. Jemand, der sein bester Freund gewesen war. Den er bewundert und respektiert und, auf seine ganz eigene Art und Weise, auch geliebt hatte. Für alles, was er war und nicht war. Wer immer ihm jetzt beistehen würde – Zack würde es nicht mehr sein. Denn es war keine Kraft mehr übrig, um zu kämpfen. Der 1st blinzelte mühsam. Ein der Schwerelosigkeit ähnelndes Gefühl begann in ihm aufzusteigen und seine Sinne zu überdecken. Sehr sanft. Sehr stark. Sogar der tobende Schmerz verneigte sich davor und verblasste. Die Welt vor Zacks Augen wurde dunkler, ohne bedrohlich zu wirken. Und er musste unwillkürlich an Aerith denken. Und an Cutter. Wie wichtig ihm diese beiden Personen gewesen waren. Daran, dass er sie nie wieder sehen würde. Wie traurig sie über seinen Tod sein mussten. Aber in seinen jetzt in ihm aufsteigenden Erinnerungen sah er beide auch lachen. Er sah sich selbst, sein ganzes Leben im Zeitraffer. Seine Siege, seine Niederlagen, seine Gewinne, seine Verluste. Seine Zeit bei SOLDIER. Die erste Begegnung mit Sephiroth und der feste Entschluss, ein Freund des distanzierten Generals zu werden. Die diesbezüglichen Erfolge. Frauen. Viele ... viele Frauen, die seinem Charme nicht hatten widerstehen können. Einige liebten ihn immer noch. Andere eher nicht. Cutter, die es geschafft hatte, Sephiroths eisiges Herz zu schmelzen. Aerith, die einzige Frau, mit der er sich den Rest seines Lebens hätte vorstellen können. So viele Weggabelungen. So viele Entscheidungen. Richtige. Falsche. Abenteuer. Stolz, Mut, Träume ... aber auch Angst, Wut, Hoffnungslosigkeit. All das bildete die Seele eines – seines – Lebens. Und jetzt ... endete es. Erste Ausläufer aus zartem Grün stiegen aus der Dunkelheit empor, schienen ihn bei der Hand zu nehmen wie es ein Erwachsener mit einem Kind tun mochte, und nahmen ihn mit, dorthin, wo alles Leben begann und endete. Sephiroth bewegte Masamune um keinen Millimeter. Er sah zu, wie Zacks immer noch fest auf ihn gerichteter Blick trübe wurde, wie seine Augen schließlich brachen und letztendlich das Grün des Lebensstroms den Körper des 1st´s mitnahm. Der General betrachtete all das ohne Trauer oder gar Reue zu empfinden. Menschen ... es waren immer Menschen gewesen, die an seinem Leid Schuld gewesen waren. Dieser hier würde letztendlich nur ein Toter unter vielen sein. Unwichtig und entbehrlich. Die Vergangenheit spielte jetzt keine Rolle mehr. Sephiroth zog das Katana zurück, reinigte es, beförderte mit einem gezielten Tritt Zacks Busterschwert in den tief unten glühenden Lebensstrom, wandte sich um und kehrte zu dem Tank, der die einzige Wahrheit enthielt, zurück. /Gehen wir, mein Sohn. Ins `Promised Land´./ Sephiroth nickte und hob Masamune. Einen Herzschlag später glitt das Schwert mühelos durch das Sicherheitsglas des Tankes, sowie das Mako darin, und trennte Jenovas Kopf vom Torso und aller Technik. Sephiroth barg ihn in seinen Armen, schob Masamune zurück in die Schutzhülle und setzte sich in Bewegung, folgte einem der dicken Rohre, bis er sich über dem Herz des Reaktors befand. Tief, tief unter seinen Füßen glühten erste Ausläufer des Lebensstroms. Kein Schmerz. Keine Lügen. Kein Verrat. Es war ein gezielter, entschlossener Schritt nach vorne. Die Gesetze der Schwerkraft griffen erneut. Sephiroth fiel. Dem Ende, dem Anfang, dem Lebensstrom entgegen, einverstanden, und mit geschlossenen Augen. /Sephiroth?/ Und dann änderte sich die Stimme in seinem Kopf. Wurde laut. Kreischend. Überschäumend vor Hass. Auf ihn, auf alles Leben auf diesem Planeten, auf den Planeten selbst. /ICH HABE DICH ANGELOGEN!/ „Ja“, lautete die zutiefst ruhige Antwort des Generals. Gleichzeitig öffnete er die Augen. Augen, in denen nichts von der zuvor so stark empfundenen Benommenheit übriggeblieben war. Stattdessen glühten diese vor Stärke und Entschlossenheit. „Ich dich auch!“ Eine Sekunde später schlug der Lebensstrom über ihnen zusammen. Cutter stürmte durch die weit geöffneten Eingangstore des Makoreaktors, hielt inne und konzentrierte sich auf die Verbindung zu Sephiroth. Aber diese schien deaktiviert zu sein. Es gab nicht das geringste Signal. Niemals zuvor war etwas Ähnliches vorgekommen. Irgendetwas Entsetzliches musste geschehen sein. Die junge Frau rannte weiter, jetzt laut nach ihrem Freund und Zack rufend. Aber nur das leise, für einen Makoreaktor typische Summen antwortete ihr. Sie erreichte den Raum mit den kleineren Tanks, erklomm die Treppe, immer drei Stufen auf einmal nehmend. Jetzt waren auch die beiden Torflügel unterhalb des gigantischen `Jenova´ Schriftzuges geöffnet – wie es aussah, mit Gewalt. Cutter passierte sie und hielt, gebremst von eisigem Entsetzen, jäh inne. Der hier stattgefundene Kampf ließ sich nicht leugnen. Überall gab es Spuren. Auch Blut war darunter. Dann dieser zerstörte Tank, dessen Inhalt sich nicht näher definieren ließ. An einer der Wände, im unteren Bereich, gab es mehr Blut. Und einen dünnen Einschnitt in der Wand. Masamune, kein Zweifel. Sephiroth hatte hier irgendetwas oder irgendjemanden getötet. Aber was? Oder wen? Den Inhalt des Tankes? Möglich. Wo waren die beiden 1st Class SOLDIER? Nahezu panisch vor Angst schrie die junge Frau ihre Namen. Aber nur ihr eigenes Echo antwortete ihr. Es klang wie Hohngelächter. „Nein!“, wisperte Cutter. „Nein, nein, nein ... Komm schon, Cutter, reiß dich zusammen, du musst jetzt in die Lines, du musst!“ Aber es gelang ihr nicht. Sie versuchte es immer wieder und wieder. Erfolglos. Sie war zu vertieft in ihre Bemühungen, um zu bemerken, dass sie nicht allein war. Aber sie zuckte entsetzt zusammen, als die Stimme hinter ihr erklang. Eine zutiefst spöttische Stimme, die aber zu gleichen Teilen auch Kälte und Verachtung in sich trug. „Und wen haben wir hier? Spar dir deine Bemühungen. Er kann dir nicht mehr antworten.“ Cutter zuckte entsetzt zusammen und wirbelte herum. Hojo stand nur wenige Meter von ihr entfernt, die Hände in der für ihn üblichen Manier hinter dem Rücken gefaltet, und grinste. „Letztendlich war die Wahrheit eben doch zuviel für ihn. Nun ja. Was kann man auch erwarten von einem fehlgeschlagenen Experiment wie ihm ...“ Die Angst. Die Anspannung. Das Gefühl, Teil einer unglaublichen Tragödie zu sein, ohne genau zu wissen, welche Rolle man dabei spielte. Die sichere Gewissheit, blockiert zu sein. Und jetzt auch noch Hojo ... Hojo, der – einmal mehr – genau zu wissen schien, worum es ging und was geschehen war ... Es war zuviel. Irgendein Schalter in Cutters Kopf legte sich um, ließ sie alle Vorsicht, alle Logik und letztendlich auch sich selbst vergessen. „HOJO, DU VERDAMMTER BASTARD! WAS HAST DU JETZT WIEDER GETAN?!“ Gleichzeitig stürmte sie vorwärts, die Luna Lance mit der gefährlich aussehenden Spitze nach vorne gestreckt. Zum Zuschlagen würde sie allemal reichen! Und zum Zustoßen ... Die S-1 Einheit tauchte urplötzlich neben Hojo auf und schlug zu. Nur ein einziges Mal. Aber es reichte aus. Cutter brach getroffen zusammen und blieb bewegungslos liegen. Hojo betrachtete sie zu gleichen Teile interessiert, wie auch angeekelt – dann fiel der Blick des Wissenschaftlers auf die Luna Lance. Eine neue Idee zuckte durch seinen Kopf. Könnte es sein, dass ... Aber warum nicht? Immerhin ... „Heb das auf!“ Die S-1 Einheit setzte sich sofort in Bewegung. Ging neben der immer noch bewusstlosen Cutter in die Hocke. Streckte die Hand nach der Luna Lance aus ... Hojo hatte von der gewaltigen Abwehrreaktion dieser Waffe gehört. Er rechnete mit etwas Ähnlichem ... und wurde Zeuge, wie sich die Hand der S-1 Einheit um den Stab schloss. Und dieser reagierte nicht. Er reagierte nicht! Hojo begann zu lachen. Das Geräusch tobte durch den Makoreaktor, wurde von den Wänden und der Decke zurückgeworfen, immer wieder und wieder, bis es klang, als lache nicht einer, sondern Hunderte von Hojos ihr selbstzufriedenes, spöttisches `Weil ich ein Genie bin!´ Lachen. Irgendwann ebbte die Heiterkeit des Wissenschaftlers zu einem leisen Kichern ab. „Nimm das Mädchen auch mit. Vielleicht wird sie sich doch noch als nützlich erweisen. Und sorg dafür, dass sie bewusstlos bleibt!“ Die S-1 Einheit befolgte die ihr gegebenen Befehle und folgte Hojo aus dem verhängnisvollen Raum. Rufus kam ihnen auf der Treppe entgegen. „Weshalb hat das so lange ged ...“ Er verstummte hinsichtlich des Anblickes der die bewusstlose Cutter über der Schulter und der Luna Lance in der rechten Hand tragenden S-1 Einheit. „Ein kleines Geschenk für Sie, Mr. President“, kicherte Hojo. „Ich bin sicher, Sie finden hervorragende Verwendung dafür.“ Rufus schaffte es nicht ganz, sein zufriedenes Lächeln zu unterdrücken, und trat an Hojo vorbei, um selbst einen Blick in den Raum zu werfen, der eines der größten Geheimnisse der Electric Power Company barg. Oder besser, geborgen hatte. „Was hat er getan?!“ „Selbstmord begangen. Nur zu verständlich, wenn man bedenkt, was er alles herausgefunden hat. Unser Plan hat funktioniert, wir sind ihn los.“ „Denken Sie nicht, dass der Körper von Jenova Projekt 1 zusammen mit Jenova in direkter Verbindung mit dem Lebensstrom zu gewissen ... Problemen führen könnte?“ „Jenova war die letzte Cetra, Mr. President. Vermutlich wird der Planet überglücklich sein, sie wieder zurückzubekommen. Wir brauchen sie nicht mehr. Die S-1 Einheiten sind jetzt schon um Klassen besser als alles, was wir je durch sie erreichen konnten.“ Für einen kurzen Moment wollte Rufus protestieren. Rein instinktiv. Dann rief er sich zur Ordnung. Hojo hatte Recht. Die Electric Power Company brauchte keine Jenovazellen mehr, und auch kein Jenova Projekt 1. Im Grunde nicht einmal einen Death Walker Tzimmek Cutter. Wobei letztere zu interessant war, um sie jetzt schon zu entsorgen. Ein finsteres Lächeln umspielte Rufus Lippen, als er zusammen mit Hojo und der S-1 Einheit in den bereitstehenden Helikopter stieg. Ja. Mit Tzimmek ließ sich noch das Ein oder Andere anstellen. Und sei es nur zur Unterhaltung. Wenige Sekunden später hob der Helikopter ab, überfolg in gleichgültiger Höhe die Reste dessen, was einst Nibelheim gewesen war, und steuerte das noch in weiter Ferne liegende Midgar an. Es dauerte sehr, sehr lange, ehe Cutter wieder zu sich kam, und die erste Empfindung war Schmerz. So intensiv, so allumfassend, dass die junge Frau einen Moment lang nur leise Wimmern konnte. Irgendwann begann der Schmerz, sich auf das eigentliche Zentrum, den Kopf, zu konzentrieren. Vertrautes Gefühl kehrte in den restlichen Körper zurück. Vermittelte Kälte und Härte. Cutter blinzelte verwirrt. Steriles Weiß und gnadenlose Helligkeit begrüßten sie mit der größtmöglichen Gleichgültigkeit und entpuppten sich nach einigen Sekunden als Licht und weiße, leicht zu reinigende Fliesen. Warum liege ich auf dem Boden? Mühsam stemmte sich Cutter in eine sitzende Position und versuchte, ihre Gedanken trotz der Kopfschmerzen in Gang zu halten. Weshalb ist hier alles so weiß? Ich war doch gerade noch im Reaktor. Bin ich immer noch dort? Aber hier ist es so still, der Reaktor war erfüllt von Lärm. Nibelheim scheidet auch aus, das dürfte mittlerweile bis auf die Grundmauern niedergebran ... Sephy! Die junge Frau kam so schnell wie möglich auf die Beine. Ganz egal, wo sie hier war, sie musste wieder raus! Und nach Sephy suchen! Und was war mit Zack? Sie hatte Blut gesehen. Mindestens einer ihrer beiden besten Freund war verletzt, vielleicht brauchte er sogar Hilfe ... Hektisch sah sie sich um. Der Raum war winzig und verfügte außer weißen Fliesen und extrem heller Deckenbeleuchtung noch über eine Kloschüssel. Keine Fenster. Aber die Tür befand sich ihr genau gegenüber. Cutter stürmte darauf zu und wollte den Griff drücken. Aber es gab keinen. Es existierte überhaupt keine Möglichkeit, die Tür von innen zu öffnen. Cutter begann, mit den Fäusten gegen die Blockade zu hämmern, zu rufen und dagegen zu treten. Letztendlich warf sie sich mehrmals mit allem zur Verfügung stehenden Schwung gegen das Hindernis. Aber es hielt stand. Und bestätigte die entsetzliche Ahnung. Ich bin eingesperrt. Die Erkenntnis war so stark, dass Cutter unwillkürlich taumelte. Ich bin hier drin eingesperrt. Was ... Wo bin ich? Und wo ist meine Luna Lance? Sie ist nicht hier. Aber sie muss hier sein! Niemand außer mir kann sie berühren! Aber die Waffe war und blieb verschwunden. Eisiges Entsetzen begann in Cutter aufzusteigen. Sie war hier eingesperrt. Allein. Ohne die Chance auf Verteidigung hinsichtlich aller Gefahren, die noch auf sie zukommen mochten. Und wo war `hier´? Hinsichtlich der kärglichen Einrichtung kam nur das ShinRa HQ in Frage. Cutter nickte langsam. Ja. Das ergibt Sinn. Hojo hat mich im Reaktor irgendwie ausgeknockt. Ich weiß nicht, wie, mir fehlt jede Erinnerung. Er hat es sogar geschafft, mich von der Luna Lance zu trennen. Und dann hat er mich ins HQ verfrachtet und hier eingesperrt. Wie soll ich denn hier jemals wieder rauskommen? Und was ist mit Sephy und Zack? Den beiden darf nichts passiert sein, bitte ... Sie schloss die Augen, konzentrierte sich und versuchte, in die Lines zu gehen. Aber die bunten Linien erschienen nicht. Cutter versuchte es immer und immer wieder. Erfolglos. Irgendwann hielt sie inne, ließ sich an der Wand zu Boden rutschen, zog die Knie eng an den Körper und legte den immer noch schmerzenden Kopf darauf. So kann ich nichts machen ... Sephy, Zack ... ich hoffe, es geht euch gut ... Aber nichts und niemand antwortete ihr. Aerith erreichte ihre Kirche genau eine Sekunde bevor es zu regnen begann. Sie öffnete die Tür, schlüpfte in die vertraute Dämmerung, schloss die Tür wieder und holte tief Luft. Sich in den Slums zu bewegen, wenn es draußen regnete, war gefährlich. Zwar hätte man meinen können, die Platte garantiere eine gewisse Trockenheit, aber `Dank´ ShinRa wurde das Wasser vom oberen Teil Midgars aus direkt in die Slums geleitet, wo es sich stets den kürzesten Weg suchte und, je nach Intensität, schon für die ein oder andere Katastrophe gesorgt hatte. Mit anderen Worten: Sobald es regnete, suchten die Bewohner der Slums einen sicheren Ort auf und warteten, bis das Gröbste vorüber war. Aerith fühlte sich prinzipiell in ihrer Kirche am wohlsten. Aber seit einiger Zeit konnte sie selbst hier nicht mehr glücklich sein. Dass Zack, Cutter und Sephiroth zu der Mission nach Nibelheim aufgebrochen waren, lag nun schon über eine Woche zurück, und seit Sonntag erreichte sie niemanden mehr auf dem PHS. Radio und Fernsehen berichteten die üblichen Lügen und zeigten, vielleicht als einzige Wahrheit, Bilder der mittlerweile fertiggestellten, arbeitenden Makoreaktoren und die an den neuen Reaktoren arbeitenden, von der Bevölkerung Midgars so verhassten und gefürchteten S-1 Einheiten – aber kein Wort von dem General und seiner kleinen Truppe. Aerith Versuche, logisch zu denken, waren an dem Bewusstsein gescheitert, dass etwas Entsetzliches geschehen war. Hinsichtlich ihrer Vision des brennenden Nibelheims war sie krank vor Sorge um Zack, zumal sie ihn auch auf dem PHS nicht erreichen konnte. Nicht einmal Cutter meldete sich. In ihrer Verzweiflung hatte Aerith sogar versucht, mit dem General zu sprechen. Ohne Erfolg. Aber nicht nur Zacks Stimme fehlte. Auch Gaia selbst war, bis auf den erneut erwachten Klagelaut, verstummt, und alle Versuche, erneut Kontakt mit dem Planeten aufzunehmen, waren hinsichtlich der herrschenden mentalen Stille gescheitert. Niemals zuvor war etwas Ähnliches geschehen, denn für gewöhnlich antwortete der Planet immer. Gaia und Aerith verband etwas Besonderes, beide waren sich dessen völlig bewusst, und beide reagierten aufeinander. Ein Geheimnis, das Aerith Zack irgendwann unbedingt hatte anvertrauen wollen. War es jetzt vielleicht zu spät? Die Vorstellung, die Liebe ihres Lebens verloren zu haben, machte Aerith mehr Angst als jeder andere Gedanke ihres bisherigen Lebens. Genauso schlimm war das Gefühl, möglicherweise versagt zu haben. Aber mehr, als ihren Freund zu warnen, hatte sie nicht tun können. Dass er ihre Warnung in den Wind schlug, war so typisch für ihn! Zack hielt sich nicht für unbesiegbar, aber hin und wieder legte er hinsichtlich ernsthafter Themen eine erschreckende Verspieltheit an den Tag, und diesmal, das wusste das Blumenmädchen mit Sicherheit, war ihm aufgrund dessen etwas zugestoßen. Die empfundene Leere ließ Schlimmes erahnen, aber Aerith weigert sich mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft, vom Allerschlimmsten auszugehen. Und so versuchte sie erneut, ihn anzurufen, ließ das Handy einmal mehr irgendwann traurig sinken, schob es zurück in die Tasche und folgte langsam dem Mittelgang der Kirche bis zum Blumenbeet kurz vor dem Altar. Mittlerweile füllte noch dämmrigeres Licht als sonst den großen Raum und beschwor selbst hier ein bedrückendes, ungewolltes Gefühl von Einsamkeit und Kälte herauf. Aerith fröstelte. Der Herbst war rasend schnell über das Land gekommen. Bereits jetzt waren alle Bäume kahl, und die Blätter lagen schwarz und krank aussehend am Boden. Wie in all den Jahren zuvor auch. Der wundervolle Sommer schien nur ein seltsamer Traum gewesen zu sein, der von der Realität überrannt worden war und jetzt mehr und mehr verblasste. Es wirkte wie eine Metapher für die Zukunft des Planeten. Denn wenn es so weiterging, würde es keine mehr geben. Aerith fürchtete sich nicht vor dem Tod. Aber jetzt schon zu sterben schien ihr zu früh, viel zu früh ... Sie schüttelte den Kopf. Nein! Es würde eine Lösung geben! Es gab immer irgendeine Lösung! Man musste die Dinge nur mit wachem Geist wahrnehmen und sich bereit halten. Genau das würde sie tun! Und, natürlich, auf Zack warten. Er kam zurück! Bisher war er immer zurückgekommen. Aerith nickte, wie um sich selbst Mut zu machen, und ließ sich auf die Knie gleiten, um besser nach ihren Blumen sehen zu können. Draußen wurde es immer dunkler, außerdem hatte heftiger Wind eingesetzt. Er fegte fauchend und heulend wie ein riesiger Wolf durch die Slums und riss alles mit sich, was er greifen konnte. Und er brachte Unheil mit sich. Aerith war so auf die Blumen konzentriert, dass sie entsetzt zusammenzuckte, als der Sturm das Kirchenportal aufriss und krachend an die nächste Wand schleuderte, ein Laut, der in der Stille wie ein Schuss widerhallte. Das Blumenmädchen sprang auf die Füße, rannte zum Eingang, schloss die Tür wieder und schob zusätzlich einen schweren Riegel vor. Mochte der Sturm noch so wütend an der Tür rütteln, jetzt würde er nicht mehr hereinkommen. Und sie würde hier sicher sein, so wie immer. Das Gefühl überrollte Aerith, als sie die Hände von dem Riegel nahm. Es war eiskalt, begann bei ihrer Kopfhaut, fiel mit der Schnelligkeit eines Atemzuges bis in die Zehenspitzen und schoss dann wieder hinauf zum Bauch, wo es einen harten, festen Klumpen formte. Niemals zuvor hatte die junge Frau etwas Ähnliches gefühlt. Aber die Bedeutung des Gefühl war ihr instinktiv klar. Gefahr. Große Gefahr! Und all ihre Sinne reagierten darauf. Sie schienen `Lauf weg!´ zu schreien und wisperten zeitgleich: `Sinnlos ...´ Aerith schloss die Augen. Sie wusste, was auch immer es war, es würde sich irgendwo hinter ihr aufhalten. Und so holte sie tief Luft, öffnete die Augen wieder ... und wandte sich langsam um. Sephiroth kauerte auf der Kanzel wie ein sprungbereites Raubtier mit unheilvoll grün glühenden Augen. Sein Blick war fest auf Aerith gerichtet. Und seine Aura ... Aerith konnte die Auren anderer Menschen sehen. Auch die des Generals. Sie war schon immer dunkel gewesen. Jetzt aber war sie tiefschwarz. Und, was ebenso beängstigend war: Sie flackerte nicht. Nur Entschlossenheit rief eine derartige Stabilität hervor. Diese Entschlossenheit, das konnte Aerith genau spüren, galt ihr. Und trotzdem war das da auf der Kanzel Sephiroth! Sogar mit ihm konnte man, wie das Blumenmädchen von den so lang zurückliegenden Telefonaten wusste, reden. Genau das würde sie jetzt tun. Reden! Sie öffnete den Mund ... aber die Stimme des Generals kam ihr zuvor. Der finstere Klang füllte, obwohl er im Grunde nicht laut war, die gesamte Kirche. Nur drei Worte. „Hallo, kleine Cetra.“ Aerith erstarrte. Woher wusste er ... „Woher ich das weiß? Das bleibt mein Geheimnis. Hast du ernsthaft geglaubt, dich für immer verstecken zu können? Wie armselig!“ Es war nicht Sephiroths Stimme. Er klang immer distanziert und erhaben. Das hier aber brodelte in einer Mischung aus Kälte, Verachtung ... und Hass. Mehr Hass als alles andere. Er war allumfassend. Und somit mehr, als ein menschliches Bewusstsein jemals hätte aufbringen sollen. Aerith wusste, dass sie sich in großer Gefahr befand. Aber es war ihr unmöglich, zu schweigen. „Sephiroth, was ist passiert?“ „Viel interessanter, kleine Cetra, ist die Frage: `Was wird noch passieren.´ Vor langer, langer Zeit war dein Volk zahlreich und mächtig. Sogar mächtig genug, um eine Katastrophe abzuwenden, die den gesamten Planeten hätte zerstören können. Du bist die letzte deiner Art und trägst das gesamte Wissen deines Volkes in dir. Du weißt, wovon ich spreche.“ Aerith konnte spüren, wie sie blass wurde. Die Gegenwart des Generals bewirkte etwas in ihrem tiefsten Inneren. Erinnerungen, die man an sie weitergegeben hatten, derer sie sich auch bewusst gewesen war, aber niemals angerührt hatte, drängten sich in ihr Bewusstsein, erzählten von falscher Freundlichkeit, Verrat, der Erkenntnis über eine gigantischen Bedrohung für den Planeten (die Erinnerung daran fühlte sich an wie eine scharfe Glasscherbe), einem grauenhaften Kampf, hundertfache Tode, endloses Leid, unzählige Tränen, namenlosen Schmerz und einen letztendlich durch die Cetra herbeigeführten Sieg, der hinsichtlich der erlittenen Verluste kaum als solcher zu bezeichnen war. Aber warum kam Sephiroth hierher, um sie daran zu erinnern? Sie blickte zu ihm hinüber, suchte nach dem letzten Puzzlestück – und wurde Zeuge, wie das Wesen vor ihr kalt lächelte und zwei gewaltige, tiefschwarze Flügel entfaltete. Gleichzeitig wurde Aerith Seele von einer Aura überspült, die sich perfekt mit den vorherigen Erinnerungen an jene Bedrohung synchronisierte und sie gleichzeitig noch übertraf. Und Aerith begriff. „Du bist es?“, wisperte sie entsetzt. „Aber wir haben dich vernichtet ...“ Gleichzeitig wollte sie schreien. Weglaufen vor diesem Wesen, das wie Sephiroth aussah, aber niemals er sein konnte –ihre Füße jedoch schienen wie mit dem Boden verwachsen zu sein, und so konnte sie nur dieser entsetzlichen Stimme weiter zuhören. „Diesmal werde ich gewinnen. Denn du bist die letzte. Und ich werde dich töten!“ Zack, dachte Aerith verzweifelt, wo bist du? Ich brauche dich! Bitte, komm her! „Dein Herz, kleine Cetra, ruft nach Zack. Aber er wird nicht auftauchen. Ich habe ihn getötet! Sein Blut hatte eine schöne Farbe.“ In Aerith Kopf begannen alle Gedanken zu fallen. Was sie befürchtet und nicht hatte wahr haben wollen, erwies sich nun als richtig. Zack ... Zack war tot. Er würde nicht mehr zurückkommen. Nie wieder. Aerith blinzelte und spürte Tränen über ihre Wangen laufen. Sie wusste, es war sinnlos, nach dem Grund zu fragen. Bestimmt hatte Zack versucht, seinen besten Freund aufzuhalten ... und jetzt war er tot. Er würde nie wieder zurückkommen. Damit nicht genug, sein Mörder war hier, um auch sie zu töten, und das bedeutete: Er wusste, welch mächtigen Zauber sie behütete. Den stärksten der Cetra. `Holy´. Ein Zauber, der alles Unheil von der Oberfläche des Planeten fegen würde, ganz egal, wie dieses auch aussehen mochte. Aerith hatte sich immer gefragt, welche Herausforderung in der Lage sein mochte, eine so starke Antwort heraufzubeschwören. Jetzt wusste sie es. Die Katastrophe war, diesmal in Gestalt Sephiroths, zurück, und hatte erneut vor, Gaia zu vernichten. Nur `Holy´ konnte sie jetzt noch davon abhalten - sofern es Aerith gelang, den Zauber zu aktivieren. Scheinbar verzweifelt barg sie das Gesicht in den Händen. „Bitte töte mich nicht! Ich ... ich tue alles, was du willst!“ Gleichzeitig fiel sie auf die Knie, senkte den Kopf, schloss die Augen und faltete die Hände. Nur ein kurzes Gebet an das Herz des Planeten ... Mehr war nicht nötig, um den Zauber zu aktivieren. Nur ein paar Sekunden ... Das Unheil in Gestalt Sephiroths verließ mit einer geschmeidigen Bewegung die Kanzel. Mit seiner immer noch tiefschwarzen Aura, den grün glühenden Augen und den weit ausgebreiteten Flügeln wirkte er wie ein Dämon, der kam, um der Welt den Tod zu bringen. „Du tust, was ich will? Dann ... stirb!“ Gleichzeitig legten sich seine Hände um Aerith Hals und drückten zu. Die Hände der letzten Cetra schnellten nach vorne und versuchten, sich aus diesem Griff zu befreien – und wie als Antwort wurde der Druck um ihren Hals stärker, langsam und berechnend. Der Schmerz intensivierte sich, das Atemholen wurde schwieriger. Aerith keuchte und begann, seine Hände mit ihren Fäusten zu bearbeiten. Aber ihre Attacken prallten wirkungslos ab und wurden mit jeder Sekunde, in der diese grauenhaften Hände stärker zudrückten, schwächer. Das Blumenmädchen versuchte zu kratzen, zu schreien, sich aus diesem Griff zu befreien ... und scheiterte. Bunte Ringe begannen vor ihren Augen zu tanzen, gleichzeitig kroch von allen Seiten Finsternis heran, die sämtliche Sinne betäubte und mit sich zog. Längst hatte Aerith ihren ursprünglichen Plan vergessen. All ihr Denken war beherrscht von Panik und dem verzweifelten Wunsch, sich zu befreien, um atmen zu können, atmen ... Aber die Hände um ihren Hals waren zu stark. Aerith letzte Gedanken galten Zack, der Welt, in der sie gemeinsam mit ihm hatte leben wollen, und der Welt in ihrem jetzigen Zustand. Sie würde untergehen. Denn `Holy´ war nicht aktiviert worden. Der Tod des Blumenmädchens befreite alle ihre Gefühle. Schlagartig nicht mehr an einen Körper gebunden, versuchten sie, Kontakt zum nächsten Lebewesen herzustellen – und wurden abgeschmettert, mit einer Kraft, die sie zerbrechen ließ und auflöste. Gefühle waren sinnlos. Sie waren es immer gewesen. Wer Gefühle hatte, baute unwillkürlich auch Hemmungen auf. Wozu sich mit solch Hindernissen belasten, wenn man die Freiheit, die absolute Freiheit, wählen konnte? Fassungsloses Schweigen senkte sich über die Kirche, nachdem Aerith Körper im aufglühenden Lebensstrom verschwunden war. Ihr Mörder ließ sich davon nicht beeindrucken, verließ den Tatort und auch die Stadt Midgar. Niemals wieder würde er sie betreten. Er warf nicht einen einzigen Blick zurück. Dabei gab es im ShinRa HQ jemanden, der ihn dringender brauchte, als alles andere. Tseng saß mit um eine Tasse Kaffee geschlossenen Händen an seinem Schreibtisch. Das Getränk war längst kalt geworden, aber der Turk nahm es gar nicht wahr, so intensiv dachte er nach. Seine Gedanken drehten sich um die Electric Power Company. Hojo und Rufus. Die S-1 Einheiten. Die Turks, ganz allgemein. Und, letztendlich, auch über sich selbst. Die Erkenntnisse, zu denen er kam, gefielen ihm nicht. Aber die Wahrheit ließ sich nicht länger verleugnen. Vielleicht hatte er sie auch schon zu lange ignoriert. Die Electric Power Company war mächtiger als jemals zuvor, nicht zuletzt, weil es jetzt mehr Makoreaktoren gab, als jemals zuvor. Die S-1 Einheiten bauten sie schneller zusammen, als Tseng es jemals für möglich gehalten hätte, und mit jedem neuen Reaktor verlor der Planet mehr Energie. Das Weinen Gaias wurde mit jedem Tag lauter, ein endloser, verzweifelter Hilferuf. Aber wer hätte darauf reagieren können? Den S-1 Einheiten war niemand gewachsen und sie töteten ohne Skrupel jeden, der sich in ihren Weg stellte. Gleichzeitig verschwanden immer mehr Angestellte der Electric Power Company spurlos. Auch etliche von Tsengs Leuten waren darunter. Verluste, welche die Turks schwer getroffen hatten. Somit blieb nur der harte Kern übrig. Reno, Rude, Tseng selbst und Elena. Tendenz: Fallend. Dazu kam das Ausbleiben von Aufträgen. Früher hatten sich die Turks vor Arbeit kaum retten können. Heute standen sie bestenfalls auf Abruf. Sogar Papierkram gab es kaum noch zu erledigen. Es war Tseng schwer gefallen, zu begreifen, dass seine Einheit auf der Abschussliste stand. Aber letztendlich hatte er handeln müssen. Reno, Rude und Elena waren fort, und ihr offizieller Standort eine Lüge. Mehr als das (und selbst im HQ zu bleiben) konnte Tseng nicht tun. Bei der Erinnerung an die diesbezügliche Diskussion musste er unwillkürlich schmunzeln. Seine Leute waren alles andere als einverstanden gewesen. Sogar Rude hatte angefangen, zu diskutieren. Rude! Ein größeres Kompliment konnte man von dem sonst so schweigsamen Mann kaum bekommen. Aber letztendlich hatte Tseng auf die Ausführung der erteilten Anweisungen bestanden. Und jetzt war er allein. Das HQ wirkte seltsam groß und leer ohne die Präsenz seiner Einheit, aber auch dem zeigte sich Tseng gewachsen. Außerdem gab es wichtigere Dinge, um die er sich jetzt Gedanken machen musste. Cutter, zum Beispiel. Tseng wusste nicht genau, was in Nibelheim geschehen war, aber sowohl 1st Class SOLDIER Sephiroth Crescent, als auch 1st Class SOLDIER Zackary Fair waren ShinRa intern für tot erklärt worden. Nur Cutter war zurückgekehrt. Wobei `zurückgekehrt worden´ Tsengs Ansicht nach die bessere Beschreibung war. Seitdem befand sie sich, wie er herausgefunden hatte, in Einzelhaft. Das Oberhaupt der Turks kannte die weißen, kahlen Zellen. Sie waren die Hölle auf Erden. Aufbewahrungsorte für Menschen, mit denen Rufus ganz besondere Pläne hatte, bestens dafür geeignet, einen schon nach kürzester Zeit in den Wahnsinn zu treiben. Dieser Ort war geschaffen worden, um den Willen eines Menschen zu brechen. Und Tseng wusste nicht, ob Cutter noch bei klarem Verstand war, wie es ihr ging, oder was man ihr in den wenigen Tagen seit ihrer Einlieferung bereits angetan hatte. Fakt war nur: Sowohl Hojo, als auch Rufus Shinra waren sehr interessiert an ihr, und Cutter war unbewaffnet, sonst hätte sie sich längst befreit. Wann immer Tseng an sie dachte, spürte er ein starkes Kratzen in seinen Gedanken, das sowohl Cutter selbst, als auch der aktuellen Situation galt. Tseng wusste, es hätte ihm egal sein müssen. Die Ereignisse hielten sich nicht damit auf, nach Gerechtigkeit zu fragen und dann den oder die Richtige/n zu treffen. Sie fanden einfach statt. Wer nicht auswich oder genug Kraft hatte, um sich dagegen zu wehren, wurde überrollt, außerdem hatte er momentan genug eigene Probleme, um die er sich kümmern musste! Aber Tseng Instinkt sprach eine andere, äußerst klar verständliche Sprache, ließ sich nicht zum Schweigen bringen, und hatte schließlich eine Idee heraufbeschworen. Eine absolut irrsinnige Idee, deren Durchführung so ziemlich allem widersprach, wofür Tseng stand und woran er glaubte. Aber das Weinen des Planeten synchronisierte sich völlig problemlos mit dieser Idee. Tseng hatte intensiv darüber nachgedacht. Alle Pro- und Kontrapunkte gegeneinander abgewogen. Genaue Analysen der betroffenen Personen, soweit ihm dies möglich war, getroffen ... und letztendlich eine bedeutsame Entscheidung getroffen. Das noch am selben Tag stattfindende Treffen der Turks fand an einem neutralen Platz, weit weg von jeglicher Zivilisation, statt. Es war eines der kürzesten in der Geschichte der Spezialeinheit – und gleichzeitig eines der Bedeutendsten. Tseng sprach alleine. Nur wenige, wohlformulierte Sätze, denen kein einziger Befehl innewohnte. Nur eine Frage, der eine Stille von zwei Sekunden folgte. Dann aber erklang dreifache Zustimmung. Die Turks trennten sich wieder und begannen mit den Vorbereitungen zu ihrer höchstwahrscheinlich letzten Mission. Rufus konnte nicht ahnen, wie gelegen den Turks sein nur einen Tag später erteilte Aufforderung, sich hinsichtlich einer neuen Mission im HQ einzufinden, kam. Natürlich war allen bewusst, dass zumindest Reno, Rude und Elena nicht mehr von dem Einsatz zurückkommen sollten, und so traten sie ihn auch nur zum Schein an, kehrten schon nach kurzer Zeit zurück und huschten, alle nötigen Schleichwege nutzend, durch das HQ, um ihre für eine erfolgreiche Durchführung des beschlossenen Plans notwendigen Plätze einzunehmen. Reno betrat das abgedunkelte Kontrollzentrum für die Todeszellen auf die Sekunde genau, tötete die beiden wie üblich gelangweilt auf die Monitore starrenden Männer mit der für einen Turk üblichen Schnelligkeit, nahm eines der Headphones an sich, wandte seine Aufmerksamkeit den Kameras für Zelle Nr. 4 zu, und zoomte die darin befindliche Person näher heran. Cutter lag bewegungslos auf dem Boden, das Gesicht zur Wand gedreht. Reno aktivierte den Lautsprecher. „Cutter!“ Keine Reaktion. Reno schob den Lautstärkeregler auf Maximum. „Cutter, wach auf!“ Die junge Frau zuckte zusammen und erschauderte. Reno musste unwillkürlich lächeln. Sie reagierte noch auf ihren Namen. Ein gutes Zeichen! Gleichzeitig konnte er beobachten, wie Cutter sich auf die andere Seite drehte und zu gleichen Teilen verwirrt wie benommen blinzelte. „Cutter, ist dein Wille noch ungebrochen?“ Einen weiteren Moment lang verharrte die junge Frau bewegungslos. Dann aber kam sie auf die Beine, nahm Anlauf und warf sich mit aller noch vorhandener Kraft und gefletschten Zähnen gegen die Tür. Renos Lächeln verstärkte sich. „Geh weg von der Tür, ich schicke dir Verstärkung.“ Nur einen Knopfdruck später hatte der schon vor der Zelle wartende Tseng Gelegenheit, in den Raum hinein zu schlüpfen. Reno hielt einen Moment lang inne. Mit den richtigen Hilfsmitteln war es so einfach, einem anderen die Freiheit zu schenken ... Jetzt war sein Teil der Mission beendet. Der Turk verließ den Raum ebenso unauffällig, wie er ihn betreten hatte und tauchte erneut unter. In der Zelle löste Tseng nicht grob, aber doch sehr nachdrücklich die sich jäh um seinen Körper geschlossenen Arme. „Sorry!“, wisperte Cutter und blinzelte heftig, um die aufsteigenden Tränen zurückzudrängen. „Ich ... ich habe ... ich bin ...“ Ihre Stimme klang rau, und die junge Frau war blass - kein verwunderlicher Zustand hinsichtlich der aktuellen Situation – aber nichts, womit sich Tseng lange aufzuhalten plante. „Bist du körperlich unversehrt?“ „Ja. Ich hätte fest damit gerechnet, dass Hojo ...“ „Er trifft noch entsprechende Vorbereitungen. Zieh das hier an.“ Cutter nickte, griff nach einer der verhassten ShinRa Uniformen – und hielt jäh inne. Noch immer war es ihr unmöglich, die Lines zu betreten, und so hatte sie, bis auf entsetzliche Ahnungen und innere Leere keinerlei Anhaltspunkt auf den Verbleib ihrer beiden besten Freunde. Jetzt aber gab es jemanden, den sie fragen konnte! „Tseng, was ist mit Sephiroth und Zack? Haben Sie was von ihnen gehört?“ Tseng runzelte flüchtig die Stirn. Er hätte mit jeder Frage gerechnet, aber nicht mit dieser. „Solltest du das nicht selbst wissen?“ „Ich habe jeglichen Kontakt zu den Lines verloren.“ Ihre Stimme klang seltsam brüchig. „Schon Tage vor Nibelheim. Ich ... hatte und habe einfach nicht mehr genug Kraft und Glauben übrig.“ Für einen Augenblick wusste Tseng nicht, was er denken oder wie er reagieren sollte. Niemals, nicht im Entferntesten, hatte er einen derartigen Verlust in seine Pläne einkalkuliert. Es warf die gesamte Flucht über den Haufen. Um nicht zu sagen, es ließ sie nahezu unmöglich werden. Aber Cutter hier zurückzulassen, kam nicht in Frage. Eben erklang die leise Stimme der jungen Frau erneut. „Damit haben Sie nicht gerechnet. Tut mir leid.“ „Noch ist es nicht vorbei! In Wutai gibt es ein Sprichwort. `Was einem bestimmt ist, geht niemals für immer verloren´. Finden wir raus, ob das auch auf dich zutrifft!“ Cutter zögerte. Dann aber nickte sie und nahm gleichzeitig die ihr entgegengehaltene Potion entgegen und begann zu trinken. „Die Luna Lance“, informierte Tseng während er wenige Sekunden später die leere Flasche wieder entgegennahm, „befindet sich in Hojos Labor, also werden wir zuerst dorthin gehen. Rude hat die unvermeidlichen Kameras auf dem Weg dorthin unter Kontrolle. Wenn sich die Luna Lance wieder in deinem Besitz befindet, geh nach Abschnitt G1. Dort wird ein vollgetankter Jeep stehen. Der Schlüssel steckt. Die Jungs vom Fuhrpark werden immer wieder angewiesen, keine fahrbereiten Wagen unbeaufsichtigt stehen zu lassen, aber sie `vergessen´ es ziemlich oft. Verlass die Stadt. Versuch deine Fähigkeiten zurückzuerlangen, bevor Rufus den Planeten endgültig zerstört, in meinen Augen bist du die einzige, der das noch gelingen kann.“ Cutter schwieg ergriffen. Nicht nur, dass die Turks ihre Loyalität gegenüber Rufus Shinra brachen, nein, Tseng, Reno, Rude und Elena taten dies für sie. Vorerst nur für sie! Das kann ich nie wieder gutmachen ... Dann folgte sie dem Turk aus dem verhassten Gefängnis. Kapitel 56: Verzweifelte Hoffnungen ----------------------------------- Cutter kannte einige Schleichwege im HQ, aber die Wege, auf die Tseng sie führte, waren ihr völlig neu, und so blieb ihr nur, dem Turk staunend zu folgen. „Ich hatte ja keine Ahnung ...“, brachte sie schließlich zustande. Tseng wandte den Kopf und grinste fast verschmitzt. „Das ist der Sinn von Schleichwegen und Geheimgängen. Aber, um ehrlich zu sein, deine Verblüffung erstaunt mich.“ „Ich wäre nicht mal annähernd auf die Idee gekommen, nach so was überhaupt zu suchen!“ „Um ein weiteres Mal ehrlich zu sein, ein paar dieser Abkürzungen wurden von den Turks erst vor kurzer Zeit ... nennen wir es mal `erschlossen´. Vermutlich werden sie nie wieder verwendet.“ „Verstehe“, antwortete Cutter leise. „Wow.“ Und in Gedanken fügte sie hinzu: Hoffentlich geht alles gut ... Tsengs Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Kennst du den Schwachpunkt der S-1 Einheiten?“ Und als Cutter den Kopf schüttelte: „Sie befolgen nur die Befehle von Rufus und Hojo.“ „Das heißt, wenn keiner der beiden ihnen einen Befehl gegeben hat, tun sie gar nichts?! Das ist aber ein ziemlich großer Schwachpunkt!“ „Den wir nutzen werden! Wenn wir im Labor sind, werde ich Hojo ausschalten. Sofern die S-1 Einheit nicht den Befehl hat, ihn zu beschützen, wird sie sich völlig ruhig verhalten, und das heißt, du hast freien Zugriff auf die Luna Lance!“ „Und wenn die S-1 Einheit doch den Beschützer spielen soll?“ „Du kümmerst dich ausschließlich um die Luna Lance und überlässt den gesamten Rest mir.“ „Aber ...“ „Kein `aber´!“ Und dann, verhältnismäßig grimmig: „Meine gesamte Einheit und ich stehen ganz oben auf Rufus´ Todesliste, aber so leicht werden wir es ihm nicht machen! Dich zu befreien war eine Gemeinschaftsentscheidung, bei der es keine Gegenstimmen gab, deshalb kümmer dich nicht um uns. Bring die Luna Lance wieder in deinen Besitz und versuch zu fliehen. Erlange deine Fähigkeiten zurück! Und dann entscheide selbst, was zu tun ist. Du bist eine der wenigen Personen in diesem Unternehmen, die trotz großer Macht ihre Seele nicht verloren haben. Vergiss das nicht, ganz egal, was geschieht!“ Cutter mochte Tseng. Er war jemand, der sich – genau wie Sephiroth – niemals zu überstürzten Handlungen hinreißen ließ. Was er tat, hatte immer einen Grund, auch, wenn dieser oft nicht gerade als `gut´ zu bezeichnen gewesen wäre, aber letztendlich vermittelte auch der Turk ständig das Gefühl, dass nichts schief gehen konnte, weil er sich intensive Gedanken gemacht hatte. Sowieso, die Turks. Wäre die ShinRa Belegschaft ein Kartenspiel gewesen, so hätte man Leuten wie den Turks die Rolle der Joker zugesprochen. Und wer freute sich in einem derart riskanten Spiel nicht über den ein oder anderen Joker? Momentan hatte Cutter, wie es schien, 4 Stück auf der Hand, aber allein der Gedanke, die Turks könnten bei diesem letzten Spiel ihr Leben verlieren ... wie jedoch waren Tsengs Worte gewesen? `Es war eine Gemeinschaftsentscheidung, bei der es keine Gegenstimmen gab!´ Er und seine Leute wollten diese Rettungsaktion. Niemand hatte sie dazu gezwungen oder überredet. Sie gingen diesen Weg, den Weg des freien Willens, weil es ihres Erachtens nach der richtige war. Und so blinzelte Cutter tapfer die Tränen zurück, nickte und wisperte: „Versprochen! Tseng? Vielen Dank!“ Es entging ihrer Aufmerksamkeit, aber Tseng schmunzelte kaum merklich. Es war wirklich kein Wunder, dass Sephiroth und Cutter zueinander gefunden hatten. Dass der General tot war ... am liebsten hätte Tseng diese Information nicht zurückgehalten. Aber er wusste, dass dies die gesamte Rettungsaktion vereitelt hätte, und so schwieg er. Cutter würde es selbst herausfinden müssen. Er konnte nur hoffen, dass sie nicht dran zerbrach. Aber es war sehr wahrscheinlich. Wenig später erreichte das ungleiche Duo den Laborbereich und letztendlich auch die Tür, die zu Hojo führte. Für gewöhnlich hätte Cutter zuerst mit Hilfe der Lines den derzeitigen Standort des Wissenschaftlers ausfindig gemacht, aber so konnten sie und Tseng nur die Tür öffnen und hoffen, sich nicht direkt mit Hojo konfrontiert zu sehen. Sie hatten Glück. Im ersten, trügerisch weißen Raum, befand sich niemand. Tseng bedeutete Cutter, ihm zu folgen und schlug die Richtung zum zweiten Raum, dem mit den Makotanks, ein. An der Tür angekommen hielten sie inne, spähten vorsichtig hinein und wechselten wenige Sekunden später einen: „Oh, verdammt!“ Blick. Hojo stand nur wenige Meter von ihnen entfernt, den Rücken zur Tür gewandt, und starrte in einen der Tanks. Ihn zu erledigen und die Luna Lance zu holen, wäre ein so leichtes Unterfangen gewesen – hätte sich diese nicht in den Händen einer der S-1 Einheiten befunden. Es lag Tseng völlig fern, aufzugeben. Aber somit war die Luna Lance momentan absolut unerreichbar. Er warf Cutter einen langen Blick zu, den diese nicht erwiderte, da ihre Augen fest geschlossen waren. Als sich die Lider über den bernsteinfarbenen Iriden wieder hoben, lag in ihnen ein Ausdruck, den Tseng nur zu gut kannte. Verzweifelte Hoffnung. Dann hob die junge Frau die Hand und signalisierte: `Sie = Hojo. Ich = S-1 Einheit. Los!´ Bei `verzweifelter Hoffnung´ wusste man für gewöhnlich nie, was überwog. Aber von Cutter ging in diesem Moment mehr `Hoffnung´ als `Verzweiflung´ aus. Und so vertraute ihr Tseng, ohne sich weiter zu sträuben, trat aus der Deckung, in den Raum hinein, war binnen weniger Herzschläge genau hinter Hojo und schlug zu. Nur einmal. Aber der Wissenschaftler sackte augenblicklich in sich zusammen. Tseng ignorierte, dass sich die S-1 Einheit augenblicklich umwandte, da sie nur das tat. Sie hatte keinen Befehl, Hojo zu beschützen. Und so fing Tseng den jetzt erschlafften Körper des Professors auf, ließ ihn zu Boden gleiten und realisierte nur einen Sekundenbruchteil später, wie Cutter an ihm vorbeiging - direkt auf die S-1 Einheit zu. Was hat sie vor?! Sie hat keine Chance gegen dieses Ding! Aber andererseits war die Luna Lance ihre Waffe. Tseng wusste von der gewaltigen Energieentladung damals in Rufus Büro. Was, wenn der Stab über weitere, ebenso durchschlagende Effekte verfügte? Aber konnte Cutter diese in ihrem momentanen Zustand wecken? Er wollte aufspringen. Sie zurückreißen. Aber Cutter war schneller. Wandte den Kopf in seine Richtung, rollte mit den Augen und stürzte Tseng mit nur einem Satz in restlose Verblüffung. „Meine Güte, immer diese brutalen Turks!“ Sie bewegte sich weiter auf die S-1 Einheit zu und deutete mit dem Daumen auf Tseng. „Besonders der da. Grauenhaft. Überhaupt keine Manieren.“ Sie schüttelt den Kopf, sah zu der S-1 Einheit, die ihren Blick völlig emotionslos erwiderte, auf und lachte. „Aber jetzt bin ich ja wieder bei dir.“ Dann wies sie auf die Luna Lance ... „Das ist jetzt wieder meine. Danke schön fürs Aufpassen, Sephy!“ ... und legte ohne jegliche Furcht die Hand auf den mondlichtfarbenen Stab. Und die S-1 Einheit, eine der S-1 Einheiten, die für so viel Leid gesorgt hatten, die für ihre Unbarmherzigkeit gefürchtet und gehasst waren, die nur den Befehlen Rufus und Hojos gehorchten ... öffnete die Hand und ließ sich die Luna Lance wegnehmen. Cutter wich immer noch vergnügt lächelnd zurück. „Danke! Ok, die nächste Mission wartet. Ich sollte mich sputen. Ich nehme diesen Grobian mit, bevor er noch mehr kaputtmachen kann, ok? Abmarsch, Turk!“ „Wie hast du ...?“, wisperte Tseng, nachdem er neben sie getreten war und sie sich in Bewegung gesetzt hatten. „Hojo“, wisperte Cutter wesentlich freundlicher als noch vor wenigen Sekunden zurück, „hat die S-1 Einheiten aus Sephiroth heraus erschaffen. Und Sephiroth ist mein Freund. Ich ... wusste es nicht mit 100 %iger Sicherheit, aber anscheinend ...“ Weiter kam sie nicht. Eine Hand schloss sich fest um ihren linken Fußknöchel, gleichzeitig zischte eine von unten kommende Stimme: „Du bleibst hier!“ Hojo war wieder bei Bewusstsein. Cutter dachte nicht nach, sie handelte, schlug mit der Luna Lance zu, so fest es nur ging, spürte Knochen brechen und rannte mit Tseng, untermalt vom Schmerzensschrei des Professors, in Richtung Tür. „Pack sie!“, konnten die flüchtenden Hojo noch kreischen hören, bevor sie die auf den Flur führende Tür erreichten. „Fang sie und bring sie zurück! Das ist Verrat, Tseng, das ...“ Die Tür schloss sich. Tseng und Cutter erhöhten das Tempo. „Lauf zum Jeep!“ Cutter erinnerte sich mit aller Kraft an ihr Versprechen und rannte los. Gleichzeitig ertönte hinter ihnen das typische Geräusch einer S-1 Einheit, die den direkten Weg durch die Tür nahm, ohne diese zu öffnen, und nur eine Sekunde später begannen die Alarmanlagen in der „Häftling auf der Flucht“ Variante zu schrillen. Dieses Geräusch, Cutter wusste es nur zu gut, würde die gesamte im HQ befindliche, in den Bereitschaftsmodus versetzte Army mobilisieren. Es war besser, das Gebäude zu verlassen, bevor die Army wusste, wen sie zur Strecke bringen sollte. Von der S-1 Einheit, die mit Sicherheit mittlerweile Verstärkung bekommen hatte, ganz zu schweigen. Cutter rannte, wie sie noch niemals zuvor gerannt war, wissend, dass sie nach wie vor relativ schutzlos war, mit wild klopfendem Herzen, keuchendem Atem und einer Angst im Herzen, die sich mit Worten nicht beschreiben ließ. Sie kam nur wenige Flure weit, ehe die erste S-1 Einheit ihren Weg kreuzte. Cutter bremste ab, wirbelte herum und bog in einen der angrenzenden Flure ab, allerdings nur, um sich nur wenige Biegungen später mit einem weiteren Gegner derselben Art konfrontiert zu sehen. Abermals blieb nur die Flucht in eine neue Richtung - und abermals endete sie aus demselben Grund. Diesmal blieb nur langsames Zurückweichen, wieder auf den Hauptflur. Und hier warteten S-1 Einheiten in jeder Richtung. Cutter saß in der Falle. So fest ihre Hand um die Luna Lance geschlossen war, hilfreich würde der Stab nicht sein. Nicht so. Dabei liegt es gar nicht an ihr, dachte Cutter verzweifelt. Ich bin kaputt. Ich! Und jetzt werden sie mich kriegen. Ich habe Hojo verletzt! Hojo! Jetzt wird er mich in sein Labor holen und auseinandernehmen, bei vollem Bewusstsein, Stück für Stück, und ich kann nichts dagegen machen, gar nichts, ich ... ich werde sterben. Langsam und qualvoll. Sephy, Zack, wo seid ihr? Aber niemand antwortete ihr. Sie war allein. Bis auf die S-1 Einheiten, die jetzt aus allen Richtungen anrückende Army ... und Hojo. „Sieh an, sieh an. Hast du wirklich geglaubt, fliehen zu können? Du hast mir das Handgelenk gebrochen! Mir, dem größten Genie der Electric Power Company! Du bist eine gefährliche Terroristin ... und ich werde herausfinden, was in deinem Kopf so schief gehen konnte! Packt sie!“ Und die S-1 Einheiten rückten vor. Langsam, denn ihr Opfer konnte unmöglich entkommen. Es saß fest, war eingekeilt zwischen der Wand hinter ihrem Rücken und purer Gewalt. Cutter suchte verzweifelt nach einem Fluchtweg. Aber es gab keinen. Selbst das Glas hinter ihr war Sicherheitsglas und ließ sich nicht zerschlagen; und sogar, wenn es ihr gelungen wäre, sie war unmöglich fit genug, um sich nach einem Sprung aus dem zwölften Stock abzufangen. Und Flügel hatte sie nicht mehr. Es ist wahr, dachte Cutter und ließ den Kopf sinken. Ich habe nichts mehr. Gar nichts mehr. Dabei war das doch früher mal anders. Ich hatte so viel. Sephy. Zack. Die Lines. Die Luna Lance. Mich selbst. Wie nur konnte ich all das verlieren? Und dann gab sie sich selbst die Antwort. Indem ich mich zu etwas habe machen lassen, das ich nicht bin. Ich bin zu einem `Death Walker´ geworden. Ich habe den Tod gebracht oder zugelassen, dass andere ihn durch meine Hilfe herbeiführen. So wollte ich nie sein, niemals ... Warum bin ich es trotzdem geworden? Und wieder fand sie die Antwort alleine. Weil ich bei Sephy sein wollte. Mehr als alles andere. Und ich war bei Sephy. Anders und intensiver als jemals ein anderer Mensch zuvor. Aber dabei habe ich einen Teil von mir irgendwann verloren. Es ist wahr. Vielleicht hätte ich all das vorhersehen müssen, damals, als ich den Vertrag zum zweiten Mal unterschrieben habe. Aber ich war zu naiv und zu gutgläubig, habe mich über- und ShinRa unterschätzt. Das war mein größter Fehler. Aber ich habe ihn begangen. Ebenso wie all meine anderen Taten. So erschöpft Cutter war, so überrascht war sie über die urplötzliche Ruhe ihrer Gedanken. Sie glitten dahin wie Wasser, weder schnell noch langsam, aber beständig. Als seien sie auf der Suche ... An meinen Taten kann ich nichts mehr ändern, niemals wieder. Was also bleibt mir? Selbstmitleid? Nein. Selbstmitleid ist wie ein Strudel. Es zieht einen immer tiefer hinab und letztendlich ertränkt es einen. Hoffnung auf Vergebung? Wenn ich möchte, dass andere mir vergeben, muss ich zuerst lernen, mir selbst zu vergeben. Und dazu muss ich die schrecklichen Punkte meiner Vergangenheit und meine Taten als das akzeptieren, was sie sind. Dinge, auf die ich nicht stolz bin. Und die ich niemals wieder tun möchte. Cutter war sich dessen nicht bewusst. Aber in der Luna Lance, die bisher wie erloschen in ihrer Hand gelegen hatte, erwachte ein winziger Funken des früheren Lichts. Ich habe all diese Dinge getan, weil ich dachte, dies sei der einzige Weg. Das war ein Irrtum. Es war nur der Weg, den ich gewählt habe. Mit allen Höhen und Tiefen. Aber das Leben und die Welt bestehen aus mehr als nur einem Weg. Es gibt unzählige Wege, unzählige Weggabelungen, unzählige Möglichkeiten. Ich ... Muss ich mich vielleicht einfach nur neu entscheiden? In der Luna Lance wurde der Lichtpunkt intensiver, gleichzeitig begannen sich fein glühende Linien herauszuschieben und krochen an dem Stab entlang. Sie wirkten wie Adern. Oder eine Landkarte, bestehend aus Straßen und Möglichkeiten. Gleichzeitig erwachte ein sanfter Pulsschlag in dem zweifach gegabelten Stab, als feuere er seine Besitzerin an, weiter zu denken. Und Cutter begriff. Genau! Das ist es. Sephy hat es mir schon einmal gesagt, aber den wahren Sinn dieser Worte verstehe ich erst jetzt. Ich muss meine Vergangenheit akzeptieren. Und aus den Fehlern lernen! Um sie nie wieder zu begehen! Ich muss wach und aufmerksam sein, die Fallen erkennen und einen großen Bogen drum herum machen, oder sie entschärfen. Man lernt nicht nur aus seinen Erfolgen, sondern auch aus seinen Fehlern. Und ich war ... viel zu lange ... ShinRa´s Death Walker! Licht explodierte in ihren Händen. Die Luna Lance hatte nicht einfach nur zu leuchten begonnen, sie strahlte so gleißend hell, dass jedes menschliche Wesen geblendet die Augen schloss. Cutter hörte sich selbst aufschreien und wusste nicht, ob es ein Jubel- oder ein Kampfschrei war. Aber sie wusste, dass sie nicht mehr schutzlos war - und eine neue Möglichkeit gefunden hatte. Sie wirbelte die immer noch gleißend helle Luna Lance herum und wünschte sich etwas. Einen Sekundenbruchteil später gab es keine Army und keinen Hojo mehr. Nur noch bunte, über den Boden rollende Murmeln. Und, mitten zwischen ihnen, eine große, gleich von mehreren Krankheiten gezeichnete Ratte. Cutter grinste vergnügt. „Das ist eins von meinen Experimenten, Hojo! Ich hoffe, es gefällt Ihnen!“ Aber so gerne sie sich noch eine Weile an Hojos neuestem Äußeren erfreut hätte, die S-1 Einheiten ließen ihr keine Gelegenheit. Sie hatten einen Befehl erhalten – und würden ihn befolgen! Sie rückten vor. Cutter wirbelte herum und sprang. Die Wand hatte den Kräften der Luna Lance nichts entgegenzusetzen, verschwand mit der Schnelligkeit eines Lidschlages. Cutter ließ sich einfach fallen. Die S-1 Einheiten folgten ihr, wie erwartet, erreichten aber niemals ihr Ziel oder gar den Boden, denn dieser wurde urplötzlich lebendig, schoss nach oben, wickelte sich um seine Gegner, zerrte sie nach unten, schloss sich über ihnen und wurde zu Stahl. Cutter landete nur einen Sekundenbruchteil später dank der jetzt zurückgewonnenen Flügel völlig unversehrt auf der matt schimmernden Oberfläche und begann in Richtung des von Tseng beschriebenen Jeeps zu rennen, schlitterte um eine Kurve und konnte nur wenige Sekunden später hören, wie die S-1 Einheiten aus dem Gefängnis ausbrachen und sich in die Luft katapultierten, um die Umgebung von oben besser sondieren zu können. Der wenig später quer über das ShinRa Gelände jagende Jeep weckte sofort ihre Aufmerksamkeit, ließ sie die Verfolgung aufnehmen. Das Fahrzeug brach rücksichtslos durch das große Eingangstor, löste den Alarm aus, jagte dessen völlig ungeachtet aber weiter, erreichte die Hauptstraße und setzte die Flucht unter Nichtachtung sämtlicher Verkehrsregeln fort. Die S-1 Einheiten folgten dem Fahrzeug, jagten es, ließen es nicht eine Sekunde aus den Augen, zwangen es schließlich in eine scharfe Kurve ... eine zu scharfe Kurve. Die Reifen des Jeeps verloren den Bodenkontakt. Einen endlos scheinenden Moment lang verharrte das Auto in bedrohlicher Schräglage – dann kippte es um, überschlug sich mehrfach, ging schließlich in Flammen auf ... und explodierte. Als die S-1 Einheiten landeten, waren von dem Fahrzeug nur noch brennende Bruchstücke übriggeblieben – und eine Pfütze dunkelroten Blutes auf dem Asphalt. Genug Beweise um zu begreifen, dass mindestens ein Leben erfolgreich ausgelöscht worden war. Die S-1 Einheiten traten den Rückzug an. Übrig blieben nur die Überreste einer gewonnenen Schlacht. Tseng war nicht über Nacht zum kommandierenden Offizier der Turks geworden. Dem derzeitigen Rang gingen unzählige Ereignisse, hauptsächlich Missionen, voraus. Situationen, die er stets hatte meistern können, unter anderem, weil er sich schlauer und geschickter anstellte als die Leute, gegen die er angetreten war. Aber trotz aller Erfolge hatte sich Tseng immer bemüht, objektiv zu bleiben. Er war sich ziemlich sicher, nicht unsterblich zu sein, und handelte entsprechend. Tseng war kein Narr! Dass er dieses sonst immer im Vordergrund seines Denkens gesicherte Wissen diesmal komplett beiseite geschoben hatte, um zu tun, was er getan hatte, war ihm ebenso bewusst wie die Tatsache, den seinen eigenen Tod betreffenden `Standby Modus´ aufgehoben zu haben. Rufus Shinra zu verraten, war ein absolutes Todesurteil, und es würde vollstreckt werden, ganze egal, wo. Aus exakt diesem Grund war Tseng zu dem Entschluss gekommen, seinem Noch-Arbeitgeber nicht die Freude einer Hetzjagd zu gönnen, sondern genau hier zu bleiben: In einem der höher gelegenen Flure des HQ´s, von denen aus man einen guten Blick auf die Straßen der Stadt und die Zufahrt zur Electric Power Company hatte. Auf diese Art und Weise war es ihm möglich gewesen, Cutters Flucht sowie deren weiteren Verlauf mitzuverfolgen, und dasselbe galt auch für die Rückkehr der einmal mehr siegreichen S-1 Einheiten zum HQ. Tseng schmunzelte immer noch. Ernsthaft anzunehmen, Cutter, die ihre Fähigkeiten zurückerlangt hatte, würde sich so leicht wieder einfangen lassen ... Nur dumme, seelenlose Marionetten aus dem Labor konnten etwas derart Absurdes ernsthaft glauben! Aber somit standen die Chancen recht gut, dass niemand außer Tseng Zeuge gewesen war, wie die echte Cutter sich blitzschnell mit Hilfe ihrer Flügel (deren Existenz den Turk seltsamerweise kein bisschen überraschte) in Richtung Himmel katapultierte, während die S-1 Einheiten den durch die Lines gesteuerten Jeep verfolgten und somit ihrem eigentlichen Zielobjekt genug Zeit gaben, völlig unbehelligt im Nachthimmel über der Stadt zu verschwinden. Der Plan hatte funktioniert. Cutter war wieder frei. Gut gemacht!, dachte Tseng. Viel Glück! Einen Sekundenbruchteil später drückte sich die Mündung einer Schusswaffe an seinen Hinterkopf. „Das war sehr, sehr dumm, Tseng!“ Rufus Stimme klang leise, aber höchst bedrohlich. Tseng jedoch zuckte weder zusammen, noch hob er beschwichtigend die Hände oder versuchte gar, sein Verhalten zu erklären. Er wandte lediglich den Kopf – und lächelte. „Oh, nicht ganz so dumm, wie den Planeten zu töten, auf dem man lebt.“ „Sie wird nicht weit kommen!“ „Cutter war schon immer weiter als du oder ich, Rufus. Weil sie sich ihr Gewissen nicht hat nehmen lassen. Jetzt hat sie ihre Kräfte und sich selbst zurück. Wenn sie erfährt, dass Sephiroth und Zack tot sind, wird sie dich vernichten, und dein gesamtes Imperium dazu.“ Rufus lächelte kalt. „`Tot´ ist ein ausgezeichnetes Stichwort. Gute Reise, Tseng.“ Sein Zeigefinger krümmte sich. Rufus hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, einen Schalldämpfer zu benutzen, und so hallte das ausgelöste Geräusch laut durch den Flur. Tseng aber nahm es gar nicht mehr wahr. Zu dicht waren sich Kugel und Kopf gewesen. Der Turk brach zusammen und blieb bewegungslos liegen. Rufus beobachtete den leblosen Körper, den aufflammenden Lebensstrom und die beschmutzte Scheibe angewidert, dann wandte er sich um und verließ den Flur. Cutter bewegte sich mit ruhigen Flügelschlägen durch die Nacht und konnte ihr glückliches Grinsen einfach nicht abstellen. Entkommen! Entkommen aus einer scheinbar wirklich aussichtslosen Lage! Die S-1 Einheiten ausgetrickst! Zurück zu sich selbst gefunden! Und wieder unterwegs! Die junge Frau schloss die Augen. Es tat so gut, sich wieder zu bewegen. Frische Luft zu atmen. Den Wind zu spüren. Aber sie konnte nicht leugnen, dass ihr Adrenalinspiegel stetig abfiel und die Erschöpfung anstieg. Lange würde sie sich nicht mehr in der Luft halten können. Wohin sollte sie also gehen? Sich unter Menschen aufzuhalten, erschien ihr keine Option. Einsamkeit war besser. Und Ruhe. Aber wo? Eine glückliche Erinnerung flackerte in ihrem Kopf auf, dicht gefolgt von mentalem Schmerz, aber das Glück überwog. Ja. Es gab einen Ort, der wie geschaffen dafür war, sich auszuruhen. Die Landung auf der kleinen Lichtung mitten im Wald erfolgte völlig lautlos. Cutter sah sich um. Bei ihrem letzten Besuch hier war alles so anders gewesen. Warm und vom Licht der Sonne beschienen, mit gesund aussehendem, bis zur Hüfte reichendem Gras und leicht im Wind rauschenden Bäumen. Ein paradiesischer Ort, erfüllt von tiefem Frieden. Jetzt war es kalt, das Gras war braun und vertrocknet, die Bäume wirkten wie Gerippe, die ihr Geäst verzweifelten Händen ähnlich in den düsteren Himmel streckten, und auch der Frieden war nahezu spurlos verschwunden. Ein Ort völliger Trostlosigkeit. Die kleine Holzhütte am Waldrand aber schien diesem Gefühl mit aller Kraft zu trotzen. Langsam ging Cutter auf sie zu, und für einen Moment verspürte sie die Hoffnung, Sephiroth und Zack könnten hier sein, gleichzeitig allerdings wies ihr Verstand darauf hin, wie sinnlos diese Gedankengänge waren hinsichtlich der sicheren Gewissheit, dass die beiden SOLDIER sie niemals so lange allein und hilflos der Electric Power Company überlassen hätten - es sei denn, ihnen war etwas zugestoßen. Die gesamte Situation (inklusive des Blutes im Makoreaktor) sprach dafür, aber daran konnte Cutter einfach nicht glauben, schließlich ging es hier um Sephiroth und Zack, ihre beiden besten Freunde, außerdem waren es erfahrene Kämpfer ... und dennoch wusste die junge Frau, das irgendetwas Entsetzliches geschehen war. Noch hatte es keinen Namen, aber bestimmt würde ein Blick in die Lines alles klären. Und wenn ihr in Schwierigkeiten seid, dachte Cutter grimmig, komme ich, euch retten. Ich habe meine Fähigkeiten zurück, ich ... Euch ist nichts passiert in der Zwischenzeit, ok? Bitte! Dann schüttelte sie den Kopf in dem Versuch, ihre Ängste zu vertreiben, öffnete die Tür der Hütte, trat ein, schloss die Tür wieder sachte und ließ den Blick durch den ersten Raum schweifen. Es sah noch genauso aus, wie im Sommer. Zerschlagene Fenster, welke Blätter auf dem Boden, Staub, Spinnweben, in der Luft der Geruch von langsam vermoderndem Holz, und doch, deutlich spürbar, dieser gewisse Zauber von glücklichen Tagen. Aber keine Spur von Sephiroth und Zack. Cutter ließ sich langsam auf einen der neben dem Tisch stehenden Stühle nieder, schloss die Augen und betrat trotz ihrer Erschöpfung die Welt der 2nd Lines. Sie wusste, dass sie nicht suchen musste. Wie immer würde ein Ruf genügen, um die beiden gewünschten Lines zu ihr zu bringen ... aber nichts geschah. Cutter blinzelte irritiert. Bin ich wirklich so müde? Abermals schloss sie die Augen, konzentrierte sich stärker, und rief erneut. Aber die Lines, die Lines der beiden wichtigsten Menschen ihres Lebens, jene schwarze mit den sternsilbernen Punkten und jene, die aussah wie wild zusammengewürfeltes Konfetti ... erschienen nicht. Auch nicht nach mehrmaligem Rufen. Cutter öffnete langsam die Augen, schüttelte den Kopf und bemühte sich, die immer stärker werdende Kälte in sich zu verdrängen. Das kann nicht sein! Sie sind da! Sie müssen da sein! Sie sind doch immer da gewesen! Ich weiß, ich ... ich bin zu müde. Genau, das ist es. Ich muss nur ein wenig schlafen, dann werde ich sie schon sehen können. Cutter versuchte, sich an diese Hoffnung zu klammern – aber sie sah, wie klar alle anderen 2nd Lines vor ihr lagen. Und so sehr sie sich auch wehrte, sie wusste, was es bedeutete, wenn eine (oder mehrere) Lines auf ihren Ruf hin nicht erschienen. Das betreffende Leben ... war zu Ende. „Nein“, wisperte Cutter, gefangen in einem Entsetzen, das tiefer ging als es Worte auszudrücken vermochten. „Bitte, bitte nein ...“ Aber die Realität ignorierte ihr Flehen. Die Fakten änderten sich nicht. Cutter schloss abermals die Augen und lauschte in sich hinein, wild entschlossen, irgendeinen Hinweis auf den wahren Verbleib von Sephiroth und Zack zu erspüren ... empfand aber nur Leere. Sie war anders als alle bisher bekannten Varianten. Diese Leere zeugte von einem wirklich großen Verlust, versicherte auf endlos traurige Art und Weise, zu keinem Albtraum zu gehören, aus dem man erwachen konnte, und ließ einem somit nur die Option, den aktuellen Zustand zu akzeptieren. Cutter wehrte sich mit aller übriggebliebenen Kraft dagegen. Es konnte, es durfte einfach nicht wahr sein! Jede andere Person, jede, aber nicht diese beiden ... niemals! Dass ihre Lines nicht erschienen war ein dummer Zufall, ein Streich, irgendetwas, aber es bedeutete nicht den Tod! Nicht dieses Mal ... Nur dieses eine, einzige Mal nicht ... Abgesehen davon, weder Sephiroth noch Zack wollten sterben! Darauf mussten die Geschehnisse doch Rücksicht nehmen ... Irgendwann wurde Cutter bewusst, dass sie weinte. Und noch während sie sich fragte, warum, denn es gab doch gar keinen Grund, die Lines logen und sie selbst war einfach zu erschöpft, brach der letzte Rest ihrer mentalen Stärke zusammen wie ein Kartenhaus in einem starken Windstoß. Sephiroth und Zack waren nicht gekommen, um sie aus dem ShinRa HQ zu befreien, weil sie nicht mehr am Leben waren. Cutters haltloses, verzweifeltes Schluchzen füllte den Raum, schwoll an und ab, aber es versiegte nicht. Ich konnte ihnen nicht helfen, dachte Cutter irgendwann unter Tränen. Ich war nicht da. Meine beiden besten Freunde waren in Gefahr und ich war völlig nutzlos ... Tief in ihr erlangten Leere und Kälte restlose Gewalt und spielten diesen Triumph gnadenlos aus, indem sie jedes bisschen wiedererlangte, zaghaft leuchtende Hoffnung zerschlugen. Allumfassende Finsternis breitete sich in Cutter aus. Sephy und Zack waren in ihren vorsichtig geschmiedeten Zukunftsplänen immer ein fester Bestandteil gewesen – und jetzt waren sie nicht mehr hier. Dasselbe galt für die Zukunft, denn die konnte sich Cutter ohne ihre beiden besten Freunde einfach nicht vorstellen. Was also blieb noch? Nur dieser dem entsetzlichen G-Mako unterworfene Körper und die Electric Power Company. Nichts, wofür es sich zu kämpfen lohnte. Sollte Rufus doch den Planeten zerstören. Jetzt war sowieso alles sinnlos ... Die Müdigkeit kam wie ein starker Retter in der Not und überspülte Cutters Bewusstsein mittels einer einzigen, zu gleichen Teilen entschlossenen wie auch sanften Bewegung. Die Realität verlor jeglichen Schrecken und Festigkeit, wurde weich und biegbar, franste schließlich an den Rändern aus und begann, sich aufzulösen. Das erste bewusst wahrgenommene Gefühl war Wärme. Angenehme, alles umfassende Wärme, die: `Alles ist gut´, zu flüstern schien. `Du bist hier sicher.´ Leises, wie aus großer Ferne kommendes, gleichmäßiges Rauschen, verstärkte das Gefühl von Sicherheit. Cutter hatte geschlafen, tief und fest, weil es hier sicher war. Aber ... weshalb war sie dann aufgewacht? Die Antwort erfolgte nur einen Herzschlag später in Form eines Kitzelns auf ihrer Wange. Cutter murrte leise und drehte den Kopf weg. Aber das Kitzeln folgte ihr, dicht gefolgt von einem mühsam unterdrückten Kichern, dessen Art und Tonfall sie nur zu gut kannte. „Zack“, grollte sie, „hör auf.“ „Aber ich habe doch gerade erst angefangen, dich zu ärgern.“ Cutter schnaubte amüsiert, gleichzeitig griff sie zu und nahm dem 1st den langen Grashalm, mit dem er sie immer noch kitzelte, ab. Eine Sekunde später erkundigte sich Zack hörbar grinsend: „Würde es dich sehr frustrieren, wenn ich dir sage, dass mir quasi unbegrenzter Nachschub zur Verfügung steht?“ „Mh“, machte Cutter leise und schmunzelte. Mittlerweile konnte sie auch den Stoff einer Decke unter sich wahrnehmen und das Zwitschern von Vögeln irgendwo über ihr. Und dann, schlagartig, lichtete sich der Nebel über ihrem Orientierungssinn. Richtig. Sie war in diesem Wald, in der Nähe des Makoreaktors, der für die Tests, die ihn und Seinesgleichen vor den Angriffen des Planeten schützen sollten, vorgesehen worden war. Der erste Test war furchtbar schief gegangen und jetzt hatte Rufus die Kontrolle übernommen. Oh, kostbare Freizeit ... Cutter atmete tief durch. Jetzt konnte sie den Wald auch riechen. Ein guter, friedlicher Geruch. Was für ein Vergleich zu ... „Zack“, wisperte sie mit immer noch fest geschlossenen Augen, „ich hatte einen furchtbaren Traum. Ich ... habe geträumt, ShinRa hätte dich und Sephiroth umgebracht und ich konnte nicht das Geringste dagegen tun. Ich konnte euch nicht helfen. Das war so grauenhaft! Vielen Dank fürs Wecken.“ Sie hätte mit einer von Zacks üblichen, frechen Antworten gerechnet - aber der 1st schwieg. Es war, das wurde Cutter irgendwann klar, ein Schweigen in der keine Kraft für die erwartete Reaktion gesammelt wurde, und so blinzelte die junge Frau verwirrt. Zack lag genau neben ihr. Er sah aus wie immer, aber der Ausdruck in seinen Augen ... Niemals zuvor war er so ernst und traurig gleichzeitig gewesen. Und Cutter begriff, obwohl sie es eigentlich gar nicht wollte. „Das hier ist der Traum“, flüsterte sie. „Richtig?“ Zack nickte sachte. Cutter schloss die Augen und spürte, wie abermals Tränen über ihre Wangen zu laufen begannen. Für einen kurzen, zerbrechlichen Moment war wieder alles gut gewesen - und jetzt musste sie diesen Moment schon wieder hergeben. Es war nicht richtig! Das hier hätte die Realität sein sollen! Aber sie war es nicht. Und so würde es bleiben, ganz egal, wie stark die geleistete Gegenwehr sein mochte. Zacks Stimme vermischte sich mit ihren Gedanken. „Alles, was in Nibelheim und danach passiert ist, stand so nicht im Drehbuch. Jedenfalls nicht in meinem. Aber das ist jetzt alles völlig unwichtig, wichtig ist nur, dass du mir zuhörst. Du ...“ Aber Cutter nahm seine Worte kaum wahr. Jetzt erinnerte sie sich wieder – an alles. Damals war sie nicht alleine mit Zack hier gewesen, und so ignorierte sie sein zu gleichen Teilen flehendes wie eindringliches: „Tu´s nicht“, drehte sich auf die andere Seite ... und erstarrte. Sephiroth lag mit dem Gesicht zu ihr gedreht auf der Decke und schien zu schlafen. Die Schatten der lichtüberglänzten Baumkrone über ihm malten ungreifbare Symbole auf seine helle Haut, wie die Erinnerungen an ferne Träume, und die von ihm ausgehende Ruhe synchronisierte sich völlig problemlos mit der restlichen Umgebung. „Sephy ...“, wisperte Cutter, streckte die Hand aus und streichelte vorsichtig über Sephiroths Wange. Sie fühlte sich an wie immer, glatt und warm, aber ... „Er kann dich nicht wahrnehmen.“ Zacks Stimme klang leise und mitfühlend. „Das hier ist ... nur ein Traum, zusammengefügt aus deinen und meinen Erinnerungen. Ich ... musste einen Ort und einen Moment wählen, an dem wir beide anwesend und entspannt waren. Mir ist nur dieser Platz eingefallen. Tut mir Leid.“ Cutter konnte nicht antworten. Schmerz von unbekannten Intensität war dabei, abermals ihr Herz zu zerreißen. Sephiroth war so nahe und gleichzeitig so fern ... Wach auf!, dachte die junge Frau verzweifelt. Bitte, wach auf. Blinzle und sei da. Sag meinen Namen. Oder etwas anderes. Nur bitte, bitte wach auf ... „Cuttie, ich weiß, das ist unglaublich schwierig für dich, aber ich habe nicht viel Zeit, mit dir zu reden, deshalb musst du mir jetzt gut zuhören. Hörst du mir zu?“ Die Stimme des ehemaligen 1st Class SOLDIER klang zu ernsthaft und drängend, um sie zu ignorieren. Cutter nickte, immer noch unter Tränen. Und so begann Zack zu erzählen. Von den Cetra und Aerith. Den Wünschen der Electric Power Company. Vom Jenova Projekt, dessen Ergebnis Sephiroth war. Und vom Planeten selbst, der ihm all diese Dinge anvertraut hatte. „Gaia hatte viel Kraft angesammelt, aber jetzt gibt es einfach zu viele Reaktoren. Mittlerweile kann sie das Leben auf ihrer Oberfläche nur noch mit äußerster Mühe aufrecht erhalten und konzentriert den Rest ihrer Kraft auf Sabotageaktionen, aber sie kann nur noch für kurzfristige Störungen sorgen. Irgendjemand muss ihr helfen, indem die Reaktoren vernichtet werden. Das ist die einzige Chance.“ Mittlerweile hatte Cutter es geschafft, auf die Knie zu kommen, aber ihr Blick galt nach wie vor einzig und allein dem wie schlafend daliegenden Sephiroth. Wie aus weiter Ferne hörte sie sich selbst sagen: „Und dieser jemand soll ich sein.“ „Niemand außer dir ist dazu noch in der Lage.“ „Wozu, Zack?“ Cutters Stimme klang völlig ruhig. „Niemand auf dieser Welt war mir wichtiger, als Sephy und du – und jetzt seid ihr tot. Ich selbst bin immer noch vom G-Mako abhängig und wenn die Wirkung das nächste Mal nachlässt, werde auch ich sterben, denn ich kehre auf keinen Fall zu ShinRa zurück. Nenn mich egoistisch, aber ich sehe keinen Sinn mehr im kämpfen. Soll Rufus doch gewinnen. Es stört mich nicht mehr. Und ich bin so müde.“ „Ich kann dich so gut verstehen. Glaub mir, ich bin auch traurig. Wenn ich könnte, würde ich die Zeit zurückdrehen und so viele Dinge verhindern. Aber diese Macht ist mir nicht gegeben. Ich ...“ „Ich vermisse euch so entsetzlich!“, schluchzte Cutter. „Ich wollte, dass wir drei für immer zusammenbleiben. Was war daran so falsch? Ihr habt mich immer beschützt, aber als ihr mich gebraucht habt, war ich nicht da! Ich wollte da sein, ich ...“ „Oh, Cuttie, Cuttie!“ Gleichzeitig schlang er die Arme um den Körper der jungen Frau und legte seinen Kopf auf ihre Schulter. Als er wieder sprach, klang seine Stimme nach wie vor warm und tröstend. „Nichts, absolut nichts an dieser Nibelheimgeschichte ist deine Schuld, und daran wird sich niemals etwas ändern. Verantwortlich sind ganz allein Rufus und Hojo! Sie haben all das organisiert und geplant, und das weißt du auch, also hör bitte auf, dich schlecht zu fühlen. Du kannst nichts dafür! Verstehst du mich?“ Zack, das begriff Cutter trotz allem, hatte Recht. Die Geschehnisse im Nibelheim Reaktor waren die Früchte einer Saat, die von zwei Wahnsinnigen ausgestreut und letztendlich eingebracht worden war, rücksichtslos und unbarmherzig. Die geschlagenen Verletzungen waren ihnen ebenso egal, wie der verursachte Schmerz und die endlose Trauer. Weil es nicht ihre Verletzungen, ihr Schmerz und ihre Trauer waren. Für sie war Nibelheim ein Triumph. Für Cutter hingegen ... „Ich will euch zurück!“, schluchzte sie. „Hörst du mich? Ich will euch sofort zurück!“ Zack schwieg einen Moment, und ihm war anzumerken, wie hart er mit sich selbst kämpfte. „Ich sollte dir das nicht sagen.“ Seine Stimme klang, als bewege sie sich über einen unberechenbaren Untergrund. „Weil ich keine falschen Hoffnungen wecken will. Nicht einmal Gaia weiß mit Sicherheit, was passiert ist, und ich weiß es auch nicht, aber ...“ „Wovon redest du?“ „Cuttie, es wäre möglich, dass Sephiroth noch existiert.“ Cutter vergaß, dass dies nur ein Traum war, sie vergaß die Vergangenheit, sie vergaß sogar ihren Schmerz. Nur noch Zacks Stimme existierte. „Es gibt nicht viele Punkte, die dafür sprechen, aber es gibt welche. Sephiroth und Jenova haben im Lebensstrom gegeneinander gekämpft und letztendlich hat ihn ein Wesen, das wie unser Freund aussieht, wieder verlassen – aber er hat keine Line mehr, und Gaia ist es nicht gelungen, eine neue zu ihm aufzubauen. Das liegt an ihrem schlechten Zustand und Jenovas Identität als außerirdisches Wesen.“ „Deshalb war Sephys Line schon immer so anders“, wisperte Cutter. „Ja. Die von ShinRa an ihm durchgeführten Experimente haben seine Line von Anfang an maßgeblich beeinflusst. Gaia war es schon immer nicht möglich, sie so klar zu lesen wie die anderer Lebewesen – und jetzt gibt es gar keine Verbindung mehr. Aerith ist sich ganz sicher, von Jenova getötet worden zu sein. So gesehen ist es sehr wahrscheinlich, dass Jenova in seiner Gestalt herumläuft. Aber ... seine Seele – und wir wissen, dass er eine hatte! - befindet sich auch nicht im Lebensstrom.“ „Er lässt sich nicht so einfach besiegen!“, flüsterte Cutter. „Dazu ist er viel zu stur, selbst, wenn es ihm schlecht geht. Vielleicht ist es genau anders herum und er kontrolliert Jenova!“ „Das glaube ich nicht“, antwortete Zack sanft. „Vergiss nicht, Aerith war Teil einer direkten Konfrontation. Sie sagte, von `unserem´ Sephiroth sei nichts mehr übrig geblieben. Wenn überhaupt, dann ist es viel wahrscheinlicher, dass er noch irgendwo in Jenova existiert. Wenn du deine Hoffnung in irgendetwas setzen willst, dann nur darin. Aber um herauszufinden, ob es wirklich so ist, darfst du jetzt nicht aufhören, zu kämpfen.“ „Ich will nicht glauben, dass er verloren hat!“, flüsterte Cutter. „Ich will nicht!“ „Das kann ich so gut verstehen. Versuch, die Wahrheit herauszufinden. Wenn Jenova die Kontrolle hat, wird sie versuchen, sich die Lebensenergie des Planeten anzueignen, das war von Anfang an ihr Plan. Aber dafür muss sie Gaia schwer verletzen. Wie sie das tun will, weiß niemand, aber Gaia ist zu schwach, um ihr etwas entgegenzusetzen.“ „Wenn ich gewinne, kommt Sephy dann zurück?“ „Darüber hat Gaia nichts gesagt.“ Cutter wandte sich um und griff nach der Hand des 1st. „Was ist mit dir? Werde ich dich jemals wiedersehen?“ Zack schüttelte sachte den Kopf und streichelte tröstend durch Cutters Haare. „Mich kannst du nicht mehr retten, Cuttie, und treffen wirst du mich maximal in deinen Träumen. Aber möglicherweise kannst du alle anderen retten. Versuch es, ok? Alles Leben auf dieser Welt glaubt an dich und drückt dir fest die Daumen.“ Cutter schniefte leise, nickte und atmete tief durch. Dann beugte sich zu dem wie schlafend daliegenden Sephiroth hinunter und küsste ihn mit aller für ihn empfundenen Zärtlichkeit. „Ich lasse dich nicht allein“, wisperte sie und schob ihre Hand auf seine. „Versprochen! Ich finde dich. Und wenn es das letzte ist, was ich tue.“ Und dann, etwas lauter: „Zack, schick mich zurück. Und pass auf dich und Aerith auf, ja?“ „Versprochen. Und viel, viel Glück!“ Cutter nickte abermals. Nur Sekunden später ging das Licht in Dämmerung über. Die Geräusche des Waldes wurden leiser und verstummten schließlich ganz, Zacks Gegenwart verblasste, Sephiroths Körper wurde unscharf, das Gefühl, seine Hand zu halten, verging. Dunkelheit senkte sich herab. Als Cutter zum nächsten Mal blinzelte, saß sie wieder in der kleinen Holzhütte am Tisch, allein, und doch nicht alleine. Sie ließ sich zurücksinken, atmete tief durch und ging in Gedanken noch einmal alles gehörte durch. Dann fuhr sie sich mit beiden Händen übers Gesicht und durch die Haare, atmete ein weiteres Mal tief durch, hielt abermals inne und murmelte: „Ich darf jetzt nicht mehr schusselig sein!“ Dann versuchte sie, eine Strategie zu entwickeln, so, wie es ihre beiden besten Freunde getan hätte. Hunderte von Kilometern entfernt schlugen zwei tiefschwarze Flügel in regelmäßigem, ruhigen Rhythmus, um den dazugehörigen Körper stabil in der Luft zu halten. Dessen Blick war nicht auf die Erde unter sich, sondern auf den Himmel über sich gerichtet, und sein mentaler Blick galt einzig und allein Teilen der Macht in sich, die jetzt, beherrscht von einem starken Willen, gebündelt und schließlich in Richtung des dunklen Firmaments geschleudert wurden. Die Wolken zerrissen, als habe man mitten unter ihnen eine gigantische Ladung Sprengstoff gezündet. Die Luft bebte und zitterte, hatte dem Fremdkörper allerdings nichts entgegenzusetzen, und so verließ dieser den direkten Wirkungsbereich Gaias mit unmessbarer Schnelligkeit. Erst den Kräften des Weltalls gelang es, ihn zu bremsen – und aktivieren gleichzeitig die wahre Natur der bisher völlig gestaltlosen Kraft. Ob diese zu einem Ruf, einem Sog oder einem Befehl wurde ... es gab Nichts und Niemanden, der diese Frage hätte beantworten können. Aber eine Antwort war auch völlig nebensächlich hinsichtlich der Reaktion. Das Weltall wimmelte nur so von umherfliegenden Brocken unterschiedlichster Konsistenz und Größe. Was sie bewegte, war größtenteils unerforscht, und wohin sie sich bewegten, relativ uninteressant, solange sie in akzeptabler Entfernung an Gaia vorbeizogen oder in der Atmosphäre verglühten. Jetzt kamen innerhalb eines bestimmten Radius all diese Vorwärtsbewegungen zum Stillstand, verhielten völlig bewegungslos, als würden sie lauschen ... und setzten sich schließlich wieder in Bewegung. Sie kamen aus allen Richtungen, große und kleine, junge und alte, und sie alle trafen sich an demselben Punkt: Einem dumpfen Glühen inmitten all der Finsternis, winzig wirkend, aber dennoch stark genug, um all die Brocken miteinander zu vereinen. Das Endergebnis versetzte zahlreiche von ShinRa um den Planeten angeordnete Satelliten so schlagartig in Panik, dass ihre Sensoren völlig überfordert den Dienst quittierten. Andere aber sendeten wahre Datenfluten an die Computer weit unter sich – mit durchschlagendem Erfolg. Alarmsysteme wurden binnen Sekundenbruchteilen aus dem Schlaf gerissen, und jedes Aufleuchten der rot blinkenden Lichter in den Fluren, sowie jeder einzelne, durchdringende Signalton vermittelte dieselbe Botschaft: `Gefahr!´ In den dazugehörigen, ansonsten eher ruhigen Abteilungen des ShinRa HQ´s trat augenblicklich eine Panik ein, wie es sie noch nie gegeben hatte. Mitarbeiter, die sonst nur gingen, mussten schlagartig rennen, Kaffeetassen zerschellten am Boden, weil sie im ersten Schrecken einfach fallen gelassen oder mittels einer entschlossenen Bewegung beiseite gefegt wurden, um Platz zu schaffen, Computer, deren Haupttätigkeit bisher in friedlichem Träumen bestanden hatte, erwachten urplötzlich zum Leben und lieferten Daten in Form von über den Bildschirm rasenden Zahlenketten. Die ersten Ausdrucke allerdings verursachten allgemeines Kopfschütteln und nervöses Gelächter. Ein Scherz! Irgendeinem lebensmüden Idioten war es gelungen, sich ins ShinRa System zu hacken und einen Angriff aus dem All zu simulieren ... Alternativ auch eine Panne, hervorgerufen durch ... irgendetwas. Diese Zahlen konnten unmöglich der Wahrheit entsprechen! Die Abteilung für in- sowie externe Computersicherheit wurde kontaktiert und informiert, allerdings nicht mit dem gewünschten Ergebnis. Es gab keinerlei Hinweise auf ein gewaltsames Eindringen ins ShinRa System, nur die bissige Bemerkung des IT Profis, vermutlich befände sich das Problem irgendwo zwischen Computer und dem Stuhl davor. Der zu diesem Zeitpunkt diensthabende Offizier wies wutschnaubend auf seine langjährige Erfahrung mit allen Computern und den gängigen Programmen hin, versprach dem wenig beeindruckten IT Profi am anderen Ende, eine Beschwerde bei Präsident ShinRa einzureichen, beendete das Gespräch und gab Anweisungen, den Hauptcomputer herunterzufahren und neu zu starten. Einige, wenige Sekunden lang herrschte Stille. Dann begann der Alarm erneut. Neue Anweisungen wurden erteilt, und nur kurze Zeit später begannen die ersten brauchbar im All platzierten ShinRa Satelliten, Bilder zu liefern. Es dauerte nicht lange bis feststand, was den Alarm ausgelöst hatte. Die Erkenntnis beschwor entsetzte Totenstille bei allen Anwesenden herauf. In sich stetig verringernder Entfernung zu dem Planeten befand sich ein Meteor von gigantischer Größe, eine Bedrohung, die, wie alle Erkenntnisse klar und nüchtern mitteilten, bei einer Kollision mit Gaia problemlos in der Lage war, alles Leben auszulöschen. Entsprechend zittrig klang die Stimme des diensthabenden, für den Bereich `Weltraum´ zuständigen Offiziers. „Ich brauche alle relevanten Daten für einen Bericht bei Präsident ShinRa! Sofort!“ „Ich hoffe“, Rufus Stimme wohnte nicht ein Hauch Freundlichkeit inne, „Sie sind sich darüber bewusst, dass die Verschwendung meiner Zeit üble Konsequenzen für Sie beinhalten wird!“ „Sir“, der Offizier vor dem Schreibtisch war schweißgebadet, und das nicht nur, weil er den Weg gerannt war, „ich versichere Ihnen, die Wahrheit zu sagen. Sehen Sie sich die Informationen doch an! Wir ...“ „Wenn die Bedrohung wirklich so groß ist“, unterbrach Rufus eisig, „weshalb stehen Sie dann noch hier rum? Ergreifen Sie entsprechende Gegenmaßnahmen!“ Der Mann wurde noch eine Spur blasser. „Sir, das ... das wird nicht möglich sein.“ „Und weshalb, wenn ich fragen darf?“ „Sie ... Sie haben uns vor 2 Jahren die Gelder zur `Weiterentwicklung der Bekämpfung möglicher Gefahren aus dem Weltall´ gestrichen. Und die ... die jetzigen Möglichkeiten reichen laut aller Berechnungen bei Weitem nicht aus, um einen so großen Meteoriten ...“ „Hören Sie auf, Ihre Zeit mit reden zu verschwenden und sorgen Sie dafür, dass dieses ... Ding verschwindet, verstanden!“ „Aber Sir ...“ „Ich werde mich nicht wiederholen!“ Der Mann schlich wie ein geprügelter Hund aus dem Raum. Rufus gestattete sich ein verächtliches Zischen. Immer diese elenden Zweifler! Es war höchste Zeit, dass die S-1 Einheiten ihren Platz einnahmen! Abgesehen davon gab es nichts, womit ShinRa nicht fertig wurde. ShinRa war es letztendlich sogar gelungen, sich Sephiroth´s zu entledigen. Der `legendäre General´ war nur noch eine Erinnerung, lächerlich und im Begriff, zu verblassen. Auf diesen Meteoriten, dessen war sich Rufus absolut sicher, würde schon bald dasselbe zutreffen. Aber er sollte sich irren. Die Electric Power Company feuerte jedes über die entsprechende Reichweite verfügende Geschoss auf den Meteoriten ab, erreichte jedoch nicht das Geringste. Und so näherte sich die gigantische Bedrohung unaufhaltsam weiter dem Planeten, gut sichtbar durch einen unheilvoll weiß glühenden Fleck am Himmel, Nachts- und Tagsüber. ShinRa hatte eine strikte Nachrichtensperre an alle Eingeweihten (inklusive der Personen in den freien Planetarien) verhängt, aber nicht einmal das vermochte die Wahrheit lange zurückzuhalten. Aus winzigen Tropfen wurde ein reißender Strom, und bald wussten alle Bewohner Gaias von der drohenden Katastrophe – und, dass nicht einmal die mächtige Electric Power Company etwas dagegen tun konnte. In manchen Gegenden brach Panik aus. Menschen kauften Unmengen an Lebensmitteln und begannen mit dem Bau unterirdischer Bunker oder zogen sich in die Berge zurück, wo es viele tiefe Höhlen gab. Andere saßen einfach nur stumm da und weinten. Einige belächelten die Bedrohung oder ignorierten sie sogar ganz. Manche fanden aber auch die Kraft, zu kämpfen. Ihre Wut richtete sich ganz gezielt gegen die Makoreaktoren, scheiterte jedoch in den meisten Fällen an den S-1 Einheiten. Einige wenige Angriffe allerdings verliefen erfolgreich, und das auf eine Art und Weise, die nur Trümmer von den jeweiligen Reaktoren übrig ließ – ein Szenario, das von den dort stationierten S-1 Einheiten sofort mit dem zügig voranschreitenden Wiederaufbau gekontert wurde. Es war ein Spiel, das die Angreifer unmöglich gewinnen konnten. Und über allem schwebte der immer näher kommende Meteor, das Ziel vieler, vieler ängstlicher Blicke. Auch Rufus Blick war momentan fest auf das Firmament gerichtet, allerdings lag in den Augen des Präsidenten keinerlei Furcht. Das Firmament ... eigentlich hätte es schwarz sein müssen, denn es war kurz vor Mitternacht, aber es leuchtete in unheilvollem, sich gleichmäßig in alle Richtungen ausdehnenden hellrot, das sich mit jeder Sekunde weiter ausbreitete. Der Meteor selbst glühte als weißer Kreis im Zentrum – immer noch. Er hatte sich allen Gegenmaßnahmen der Electric Power Company widersetzte und näherte sich weiterhin. Rufus schnaubte verächtlich. Ganz egal, ob die Experten ShinRa´s einen Einschlag innerhalb der nächsten Stunden und die Vernichtung allen Lebens auf diesem Planeten errechnet hatten, dieses ... Ding würde die Welt nicht zerstören! Nicht, solange sich auch nur ein einziger Gegenstand darauf befand, der das ShinRa Symbol trug, ganz egal, was welch völlig anderes Bild die vorliegenden Informationen zeichneten! Fehlende Zeit zur Entwicklung wirkungsvoller Maßnahmen ... Lächerlich! Wer brauchte schon Zeit, wenn einem eine ganze Armee, inklusive der S-1 Einheiten, zur Verfügung stand? Bisher hatte diese Armee alles und jeden zurückschlagen können, und daran würde sich nichts ändern! Die neuerlich zerstörten Makoreaktoren und der immer noch ungefasste Attentäter zählten nicht. Früher oder später würde man ihn (bzw. `sie´, denn Rufus konnte sich natürlich schon denken, wer ihm erneut den Kampf angesagt hatte) schon stellen. Wenn sie nicht sogar freiwillig zu ihm kam ... Abhängigkeit konnte so nützlich sein! Allerdings gab es, das musste Rufus sich eingestehen, auch Fragen, die er nicht so schnell beantworten konnte, die er sich immer wieder gestellt hatte, zuerst unbewusst, dann gegen sein Willen, dann ganz bewusst. Warum tauchte dieser Meteor gerade jetzt auf, und dann auch noch so plötzlich? Rufus hatte an Cutter gedacht, den Gedanken dann aber wieder verworfen, wissend, dass die junge Frau niemals ihres Erachtens nach Unschuldige in eine Privatangelegenheit hineinziehen würde, außerdem war sie immer noch vom G-Mako abhängig. Sie brauchte ShinRa! Nur deshalb war auch Rufus selbst noch am Leben! Aber wenn Tzimmek nicht für die aktuelle Situation verantwortlich war – wer dann? Im Grunde blieb nur Jenova Projekt 1, aber Crescent war tot! Tot! Falls er wirklich eine Seele besessen hatte, trieb diese jetzt im Lebensstrom. Abgesehen davon, wie soll Jenova Projekt 1 an solche Macht gekommen sein? Nein, ausgeschlossen! Aber es gab noch einen Punkt, der für eine Einwirkung von Jenova Projekt 1 sprach, nämlich die gewaltige, gänzlich unbekannte Energie, die sich seit ein paar Stunden am Nordkrater sammelte. Im Rahmen dieser Entdeckung hatte Rufus sofort Anweisungen erteilt, und jetzt war er in einem Helikopter auf dem Weg, um sich diese Sache selbst anzusehen – natürlich nicht alleine. Sämtliche Transport- und Kampfhelikopter der ShinRa Luftstreitkräfte, sowie alle S-1 Einheiten, begleiteten ihn, und in Kürze würden sie den Ausgangspunkt der Energie erreichen. Sollte es sich dabei wirklich um Crescent handeln, so war er so gut wie tot, und diesmal endgültig! Möglicherweise traf diese Prophezeiung auch auf andere, wesentlich nähere Personen zu. Rufus warf seinem Gegenüber einen finsteren Blick zu und konnte sich das Grinsen nur mit äußerster Mühe verkneifen – nicht aber einen Kommentar. „Immer noch wütend, Hojo?“ Hojo schob die ewig rutschende Brille mit einer ruckartigen Bewegung zurück auf ihren Platz. „Bei allem nötigen Respekt, Mr. President, Sie haben mich gegen meinen Willen aus meinem Labor in diesen Helikopter gezerrt und mir Beweggründe genannt, die ich als höchst lächerlich einstufe! Ganz egal, worum es sich bei dem Ursprung dieser Energiequelle handelt, Jenova Projekt 1 ist tot!“ „Dann haben wir ja nichts zu befürchten.“ „Von uns beiden fürchtet sich nur einer, Mr. President, und das sind Sie!“ Irgendetwas in Rufus sprang von `Gelb´ auf `Rot´. Er hasste es, sinnlose Diskussionen zu führen, aber noch mehr hasste er es, Widerspruch zu erhalten. Hojos Auflehnung verdiente nur eine einzige Reaktion. „Hojo, Sie sind hiermit offiziell gefeuert! Und noch etwas verspreche ich Ihnen: Bevor diese Sache erledigt ist, werde ich Sie höchstpersönlich erschießen! Und jetzt halten Sie die Klappe!“ Hojo schwieg beleidigt. Rufus entspannte sich etwas und konzentrierte sich wieder auf die Umgebung außerhalb des Helikopters. Irgendwo vor der Maschine befand sich der Nordkrater – und der Ursprung der unbekannten Energiequelle. Sie hielt sich konstant auf demselben hohen Niveau, als wolle sie es vermeiden, nicht gefunden zu werden. Mit anderen Worten, dachte Rufus, es ist ihm egal, ob wir ihn bemerken. Wenn `er´ es wirklich ist. Vielleicht will er sogar, dass wir zu ihm kommen? Aber warum kommt er nicht zu uns? Oder direkt zu mir? Dann rief er sich in Erinnerung, noch gar nicht zu wissen ob es wirklich Jenova Projekt 1 war, der dieses Endzeitszenario heraufbeschworen hatte. Es war klüger abzuwarten, bis der Ursprung dieser seltsamen Energie sich offenbarte. Aber tief in Rufus, auf rein mentaler Ebene, vibrierte etwas Unheilvolles, und es wurde stärker, je näher er dem Nordkrater kam. Die Region um den Nordkrater war eine seltsam leere, unwirkliche Welt, beherrscht durch Eis, Schnee, Kälte, Felsen und unberechenbaren Wind, hinzu kam eine Vegetation die so karg war, dass es kaum ein Lebewesen ernsthaft wagte, sich hier lange aufzuhalten. Wer es trotzdem tat, suchte entweder den Tod oder verfolgte einen Plan, der dem Tod trotzen sollte. Rufus stufte sich definitiv in letztgenannte Kategorie ein. Mittlerweile hatte er den Co-Piloten des Helikopters von dessen Sitz gejagt, den Platz selbst eingenommen und starrte entweder aus dem großen Frontfenster der Maschine oder auf den Laptop in seinen Händen, auf dessen Monitor die verbliebene Distanz bis zu der fremden Energiequelle angezeigt wurde. Viel war nicht mehr übrig, allerdings setzte jetzt starker Schneefall ein, der die Sicht weitestgehend einschränkte. Im vom Firmament ausgehenden Licht glühten die umherwirbelnden Flocken in allen Nuancen der Farbe Rot, eine außer Kontrolle geratene Vorstellung von fliegendem Feuer – und ein Vorgeschmack auf die bald stattfindenden Ereignisse, denn Feuer würde es hier schon sehr bald mehr als genug geben. Der einzige Gewinner, der einzige Herrscher ... „Fliegen Sie langsamer!“ Der Pilot, diesmal jemand rein menschlicher Art, gehorchte, nahm aus den Augenwinkeln wahr, wie sein Arbeitgeber die Wärmebildkamera des Helikopters aktivierte, und verfluchte innerlich die Tatsache, dass dem Co-Piloten auf dessen Seite dieselben Steuerungsmöglichkeiten gegeben waren, wie ihm selbst. Es war mental schon anstrengend genug, Rufus Shinra zu befördern, konnte der Mann nicht wenigstens die Finger von den einzelnen Steuerungselementen lassen?! Ungeachtet des schlauerweise nur gedanklich geäußerten Protestes konzentrierte sich Rufus auf den Monitor vor sich und den in seinen Händen. Der Nordkrater lag jetzt weniger als einen Kilometer von ihnen entfernt, und somit auch die seltsame Energiequelle, was bedeutete, dass die Wärmebildkamera möglicherweise gleich aktiv werden ... Das Licht erwachte urplötzlich im bisher dunklen Bildschirm direkt vor Rufus, waberte hin und her – und nahm dann Konturen an. Menschliche Konturen. Ich wusste es!, dachte Rufus. Er lebt ... „Glückwunsch, Hojo! Nicht einmal der Lebensstrom kann etwas mit Jenova Projekt 1 anfangen!“ „Niemals! Ein solcher Sieg übersteigt selbst die Möglichkeiten dieses Monsters!“ Für einen kurzen Moment erwog Rufus ernsthaft, den Monitor in seinen Händen nach Hojo zu werfen – dann überlegte er es sich anders, bedachte den mittlerweile hinter den beiden Pilotensitzen aufgetauchten Professor mit einem Blick, der überdeutlich: `Ich diskutiere nicht mit Leuten, die ich in absehbarer Zeit töten werde!´ sagte, und starrte aus der Scheibe. Immer noch wurde die Sicht durch die rotglühenden Flocken erheblich beeinträchtigt. „Tun Sie etwas gegen den verdammten Schnee!“ „Verzeihung, Mr. President“, die Stimme des Piloten klang leicht brüchig, „aber das ist Schnee.“ „Den können nicht einmal Sie erschießen“, kicherte Hojo zutiefst vergnügt. Ganz offensichtlich hatte er sich mit seinem Schicksal, schon sehr bald sterben zu müssen, abgefunden und nutzte die verbleibende Zeit für Respektlosigkeiten. Rufus reagierte mit keinem Wort, beschloss aber, den Professor nicht mit dem ersten Schuss zu töten. Mindestens 4 Kugeln würde auch dieser Körper aushalten, und damit jede Menge Schmerz ... Dann riss er sich wieder zusammen und wies den Piloten an, die Maschine tiefer sinken zu lassen, um sich dem Ursprung für die immer noch im Monitor angezeigte Wärmequelle weiter zu nähern, gleichzeitig aktivierte er die Scheinwerfer. Zwei breite Lichtstrahlen erschienen, aber die wirbelnden Schneeflocken lagen wie ein lebendiger, schützender Vorhang vor dem Helikopter und dessen Ziel. Auch die Aktivierung der Kamera bewirkte trotz des starken Zooms nichts. „Näher ran!“ „Sir, diese Region ist bekannt für ihren wechselhaften Wind. Wenn wir uns dem Krater noch weiter nähern, laufen wir bei diesem geringen Tempo Gefahr ...“ Nur einen Sekundenbruchteil später drückte sich eine entsicherte Waffe an seine Schläfe. Rufus selbst sagte kein Wort. Nur sein Blick vermittelte überdeutlich den Ablauf der weiteren Geschehnisse, sollte seinem Befehl nicht sofort Folge geleistet werden, und einmal mehr wurde seinem Willen entsprochen – etwas verspätet sogar hinsichtlich des Schneefalls, denn dieser verringerte sich merklich. Auch der Wind wurde schwächer. Die Sicht besserte sich. Jetzt konnte man die gezackte Öffnung des Nordkraters wenige 100 Meter vor dem Helikopter deutlich erkennen – und noch mehr. Rufus bediente ein weiteres Mal die Kamera, und diesmal lieferte diese ein klares Bild. Aber auf dem Monitor erschien nicht, wie erwartet, Jenova Projekt 1, sondern ... „Tzimmek?“, wisperte Rufus. „Oh?“, erklang Hojos Stimme direkt neben seinem Ohr. „Tatsächlich.“ Und dann, mit unüberhörbarer Genugtuung: „Die können Sie auch nicht erschießen, Mr. President. Was für ein ausgesprochenes Pe ...“ Rufus dachte nicht nach. Er holte mit der Waffe aus und schlug zu, einmal, kraftvoll, äußerst zielgerichtet – und erfolgreich. Hojo verstummte mitten im Satz und fiel ohnmächtig zu Boden. Sein Geldgeber hielt sich nicht einen Sekundenbruchteil länger mit ihm auf, sondern konzentrierte sich wieder auf die Geschehnisse vor dem Helikopter. Wenn Tzimmek hier war, so konnte das nur eins bedeuten. Sein Blick wanderte weiter nach oben. Sephiroth schwebte, getragen von zwei gewaltigen, tiefschwarzen Flügeln etliche Meter über dem Nordkrater und wirkte, umgeben von den immer noch rotgefärbten Schneeflocken und überflutet vom unheilvollen Licht des kurz vor der Kollision mit Gaia stehenden Meteoriten wie ein erhabener Gott des Todes. Sein grün glühender Blick war von einer Kälte erfüllt, welche selbst die an diesem Ort vorhandenen Temperaturen, inklusive Schnee und Wind, problemlos in den Schatten stellten, aber er schien kein bestimmtes Ziel zu haben. Es war, als sehe er durch alles hindurch, weil es nichts mehr gab, das es wert war, angesehen zu werden – und Rufus begriff, wer für das Erscheinen des gewaltigen Meteoriten verantwortlich war. Natürlich nicht er selbst oder seine Firma. Sondern ... Nach allen stattgefundenen Ereignissen, dachte er zufrieden, hast du deinen irrsinnigen Glauben, ein Mensch zu sein, also doch begraben, um zum perfekten Monster zu werden, das diese Welt vernichten will. Aber vergiss nicht, armselige Kreatur, die Electric Power Company hat dich erschaffen ... und sie wird dich auch vernichten! Selbst, wenn es diesen Meteor nicht aufhält – dein Tod gehört mir! Und nicht einmal sie wird daran etwas ändern können, ganz egal, was sie vorhat. Er konnte es nicht wissen, aber Cutter auch war nicht ganz klar, was sie als nächstes tun würde. Den eisigen, heulenden Wind, die Schneeflocken, die sich langsam formierende Luftstreitmacht ... all das bemerkte sie gar nicht. Ihre Aufmerksamkeit war auf Sephiroth gerichtet. Seit der gewaltsamen Trennung in Nibelheim war jede Sekunde von dem Traum, ihren Freund wiederzusehen, beherrscht worden, und letztendlich hatte nur dieser Traum (und Zacks Besuch) ihr die Kraft gegeben, durchzuhalten und erneut gegen die Reaktoren und die S-1 Einheiten vorzugehen. Jetzt lagen einige wenige Reaktoren in Trümmern, aber ob es reichen würde, konnte Cutter nicht sagen. Sie wusste nur, dass sie keinen Sekundenbruchteil nicht nach innen und außen gelauscht hatte. Auf den Ruf, der ihr die Richtung zu Sephiroth weisen würde. Letztendlich war er erklungen. Cutter hatte sich sofort auf den Weg gemacht. Ihr Traum, Sephiroth wiederzusehen ... jetzt war er wahr geworden, und wäre alles normal gewesen, keine Macht der Welt hätte die junge Frau davon abgehalten, ihrem Freund um den Hals zu fallen und ihn einfach nur festzuhalten, wissend, dass er ohne jegliches Wort verstehen würde ... Aber an diesem Wiedersehen gab es kaum etwas Normales zu verzeichnen. Am drastischsten war die Aura des Generals. Cutter wusste, wie einzigartig sich diese anfühlte, jetzt aber war davon nichts mehr zu spüren. Unbändiger Hass und unmenschliche Kälte hatten alles vorherige verdrängt, außerdem fehlte seine Line, wie Zack schon gesagt hatte, jetzt endgültig – und obwohl er sich in ihrer unmittelbaren Nähe befand, erhielt Cutter auf ihren Ruf hin nicht, wie sonst, ein Echo. Dennoch konnte und wollte sie nicht an den Verlust der wichtigsten Person ihres Universums glauben. Er war doch hier, genau vor ihr! Seine Aura und der zweite Flügel hatte nichts zu sagen, absolut nichts ... Wenn es einen Kampf gab, den Cutter öfter als alle anderen geführt hatte, so lautete dessen Titel „Verstand gegen Gefühl“. Auch jetzt prallten die ungleichen Gegner im Kopf der jungen Frau hart aufeinander, krallten sich ineinander fest, schnappten nacheinander, verbissen sich ineinander, ließen wieder los, stürmten erneut aufeinander zu ... und hielten inne, als Cutter inmitten all der nur zu offensichtlichen Dinge ein Detail entdeckte, das ihr endgültige Gewissheit brachte. Die junge Frau atmete tief durch, ließ ihre Flügel erscheinen und schwang sich in die Luft. Kapitel 57: Ein Herzschlag voller Liebe --------------------------------------- Als Cutters Füße sich vom Rand des Nordkraters lösten, verstummte der Wind so plötzlich, als habe er nur auf diesen Moment gewartet. Jetzt war nur noch das Donnern der Helikopterrotoren zu hören. Die schwebenden Kampfmaschinen hatten sich mittlerweile auf eine Art und Weise um ihr Ziel positioniert, die es ihnen ermöglichen würde, aus allen Richtungen zu schießen ohne einander zu treffen. Noch aber schwiegen alle Waffen. Cutter ließ sich davon nicht beeinflussen. Wenn das Feuer erwachte, würde sie diesem mit Hilfe der Lines Einhalt gebieten, die Helikopter zur Landung zwingen und so die Situation entschärfen. Bis es soweit war, gehörte all ihre Aufmerksamkeit Sephiroth. Jetzt befand er sich nur wenige Meter vor ihr. Am Ausdruck seiner Augen und seiner Aura hatte sich nicht das Geringste geändert ... und doch lächelte Cutter ihn an, und mit Sicherheit galt ein Teil dieses Lächelns auch dem Gegenstand, der endgültige Klarheit in die Situation gebracht hatte. Jenes Objekt, das Sephiroth widerspiegelte wie nichts sonst auf der Welt ... „Ich wusste es“, sagte Cutter leise. „Dass du es bist, meine ich. Weil Masamune noch bei dir ist. Du hast mal gesagt, es würde nur jemandem dienen, der seine Kraft beherrschen kann, ohne es zu unterwerfen, erinnerst du dich? Wenn Jenova über dich gesiegt hätte, wäre Masamune sofort verschwunden, also ... Hallo, Sephy. Ich freu mich so, dich zu sehen. Ich habe dich wahnsinnig vermisst!“ Sie wartete einen Moment auf eine Reaktion, irgendein Zeichen – aber nichts geschah, und auch der kalte Ausdruck in den Augen des Generals änderte sich nicht. Cutter fuhr dennoch unerschrocken fort: „Sephy, hör mir zu. Zack hat mich im Traum besucht. Ich weiß vom Jenova Projekt und was ShinRa dir angetan hat, als du noch nicht in der Lage warst, um dich zu wehren. Deine Wut ist so nachvollziehbar und absolut gerechtfertigt, und die Schuldigen gehören für alle Ewigkeit bestraft ...“ Sie kam nicht eine einzige Silbe weiter. Masamune lag innerhalb eines Sekundenbruchteils in den durch schwarzes Leder bedeckten Händen und bewegte sich nur einen winzigen Augenblick später vorwärts. Niemals zuvor war das gefürchtete Katana so schnell gewesen. Es ließ keine Zeit für irgendeine Reaktion oder gar Gegenwehr, drang mühelos in Cutters Schulter ein, zerschnitt Muskeln, Sehnen, Fleisch, alles mit einer Wucht und einer Geschwindigkeit, die es auf der anderen Seite des Körpers wieder austreten ließ. Cutter konnte sich selbst vor Schmerz aufschreien hören, gleichzeitig begannen bunte Ringe vor ihren Augen zu tanzen. Die junge Frau nahm kaum wahr, wie das Schwert mit einer ruckartigen Bewegung zurückgezogen wurde und sie von einem harten Schlag in Richtung Boden geschleudert wurde. Erst in letzter Sekunde verhinderte ein reflexartiger Einsatz der Flügel in Verbindung mit einer Beeinflussung der Lines die knochenbrechende Landung. Dennoch konnte Cutter für einen Moment nur auf alle Viere gestützt verharren und keuchend versuchen, dem gigantischen, ihren Körper beherrschenden Schmerz wenigstens ansatzweise Einhalt zu gebieten. Es gelang ihr erst nach einer ganzen Weile. „Masamune“, brachte sie schließlich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, „ist eine so furchtbare Waffe.“ Gleichzeitig lächelte sie gequält und stemmte sich mühsam wieder auf die Beine, presste die Hand auf die heftig blutende Schulterwunde. „Das hatte ich ganz vergessen.“ Über ihr lächelte Sephiroth kalt. Er wusste, welchen Eindruck alle Eingeweihten unweigerlich hatten gewinnen müssen, aber allein die Vorstellung, er könnte sich besiegen lassen von solch einer ... Missgeburt war so hochgradig lächerlich! Aber Jenova war genau davon ausgegangen, und davon, seinen damals höchst angeschlagenen mentalen Zustand ausnutzen und für ihre eigenen Zwecke missbrauchen zu können. Sie hatte sein Misstrauen allem und jedem gegenüber ebenso unterschätzt, wie seine berechnende Persönlichkeit – und somit ihre ganze Beute. Es war angenehm gewesen, im Lebensstrom zu treiben. Sephiroth hatte sein ganzes Leben lang versucht, seinen Körper dem in ihm wohnenden Geist anzupassen, aber Fleisch, Blut und Knochen waren immer unterlegen gewesen. Zu langsam, zu schwer. Ohne einen Körper war alles viel einfacher. Jenova hatte mit ihm gekämpft, versucht, ihn zu unterwerfen, wie es alle anderen vor ihr versucht hatten. Aber Sephiroth war im Training, schon seit seiner Geburt. Er wusste, worauf es bei einem mentalen Kampf ankam und setzte sein Wissen entsprechend ein, wehrte die heranstürmende Jenova ab, wieder und wieder und wieder, gestattete sich nicht den kleinsten Riss, durch den sie hätte schlüpfen können. Der Lebensstrom hatte ihm dabei sogar geholfen, denn hier musste Jenova ihre wahre Gestalt annehmen. Sie war ebenso wenig eine Cetra, wie Sephiroth selbst. Niemals zuvor hatte er etwas Derartiges gesehen, aber für die Dauer des Kampfes waren Äußerlichkeiten völlig nebensächlich. Inmitten des brodelnden Lebensstromes waren die beiden Anomalien immer wieder und wieder aufeinandergeprallt. Sephiroth hatte Jenovas Schmerz gespürt – und ihre Unfähigkeit, damit umzugehen. Irgendwann erkannte er, wie schwach sie war. Schwach und verletzlich. In den zurückliegenden Jahren, die sie in dem Makotank verbracht hatte, war es ihr unmöglich gewesen, neue Kraft zu tanken. Inmitten des Lebensstroms war sie zwar von genau der ersehnten, dringend zum Überleben notwendigen Energie umgeben, aber nicht dafür ausgelegt, diese in sich aufzunehmen und gleichzeitig zu kämpfen. Letztendlich war es Sephiroth gelungen, ihren Willen zu brechen. Und jetzt gehörte sie ihm. Bis zur letzten Zelle, und somit auch ihre Erinnerungen an alles, was sie einst gewesen war: Ein Wesen aus dem All, das sich von Planetenenergie ernährte, indem es die entsprechenden Planeten förmlich `aussaugte´. Jenova hatte dies schon bei vielen Planeten getan und war niemals auf ernsthaften Widerstand gestoßen. Aber die Cetra waren anders. Sie durchschauten das Spiel und wehrten sich mit aller ihnen zur Verfügung stehenden Kraft. Den stärksten unter ihnen war es schließlich gelungen, Jenova im Körper einer der Ihren zu versiegeln und diesen an einem geeigneten Platz zu verstecken. Ironischerweise war genau dieser Körper viele Jahre später von ShinRa entdeckt und zum Grundbaustein des Jenova Projektes geworden. Die Electric Power Company hatte keine Cetra, sondern ein Monster gefunden, erneut zum Leben erweckt – aber mit dem falschen Geist kombiniert. Oh ja, Sephiroth konnte Jenova irgendwo tief in sich leise Wimmern hören. Und er genoss es! Er würde dieses Wimmern ausweiten, auf die ganze Welt! Er hob den Kopf in Richtung der gigantischen, weißglühenden Feuerkugel am Himmel, die er Dank Jenovas unterworfener Macht hatte rufen können. Nur noch wenige Minuten und alles würde verschwinden, alles, was ihn jemals verletzt und belogen hatte ... jeder, der sich erinnerte. Es endete. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Keine Lügen mehr. Kein Schmerz. Keine Verwirrung. Endlich ... Frieden. Er warf dem Meteor einen sehnsüchtigen Blick zu. Nur noch wenige Minuten ... Unter ihm hatte Cutter Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Jeder Herzschlag pochte in ihrer schmerzenden Schulter nach und die Wunde blutete immer noch, aber momentan war keine Zeit, die Verletzung zu versorgen. Die junge Frau hob den Kopf und richtete den Blick wieder auf den hoch über ihr schwebenden Sephiroth. Sie kannte diese wilde, brutale Entschlossenheit, einen Plan in die Tat umzusetzen, aber niemals zuvor war einer seiner Pläne so zerstörerisch gewesen. Er würde alles töten, inklusive sich selbst, und es kümmerte ihn nicht. Für ihn waren immer nur einige wenige Menschen auf eine sehr persönliche Art und Weise wichtig gewesen, und ganz offensichtlich war dieser Sonderstatus, wie Zacks Tod und der pochende Schmerz in Cutters Schulter bewiesen, längst erloschen. Und dennoch ... „Ich gebe dich nicht auf“, wisperte Cutter. „Niemals!“ Dann umfasste sie die Luna Lance fester, breitete ein weiteres Mal die Flügel aus und schwebte nur Sekunden später abermals vor ihrem Freund. „Sephy, hast du denn alles vergessen? Die Welt besteht nicht nur aus ShinRa. Es ...“ Aber dann verstummte sie wieder. Es war sinnlos. Jedes ihrer Worte, das konnte sie jetzt deutlich spüren, prallte an etwas ab, das sich am ehesten mit einem undurchdringlichen, mentalen Schutzwall vergleichen ließ, und Cutter begriff, dass ihr nur noch eine Möglichkeit blieb: Sie musste diesen Schutzwall durchdringen. Aber wie? Mit Gewalt? Oder würde schon eine Berührung reichen? Aber Sephiroth würde sich, obwohl Cutter diesbezüglich schon immer eine Art `Sonderstatus´ besessen hatte, in seinem jetzigen Zustand nicht einmal von ihr ohne Gegenwehr berühren lassen. Und das heißt, dachte Cutter, ich muss an Masamune vorbei. Ihr Blick glitt zu dem furchteinflößenden Katana in Sephiroths Hand, an dem ihr Blut klebte. Der Anblick weckte neuen Schmerz, aber zeitgleich auch eine Erinnerung: Die an ein seltsames Leuchten, ähnlich einer Unterhaltung, beobachtet zwischen Masamune und der Luna Lance in der ersten Nacht in Nibelheim. Diese Beobachtung musste irgendeinen tieferen Sinn haben. Wann hätte sich dieser offenbaren sollen, wenn nicht jetzt? Ich habe nur einen Versuch. Manchmal mussten Brutalität und Sanftheit miteinander verschmelzen, um etwas bewirken zu können. Cutter katapultierte sich vorwärts, mehr Gefühl als Verstand, mehr Hoffnung als Wissen, direkt auf Sephiroth zu, die glühende Luna Lance über die Schulter erhoben, bereit, mit aller Kraft zuzuschlagen ... und tat, als sie nahe genug war, genau das. Ihr Gegner lächelte nur kalt und hob ohne jegliche Eile seine eigene Waffe, das Schwert, dem kein Material auf ganz Gaia auch nur das Geringste entgegenzusetzen hatte, das in Kombination mit der auch jetzt bei 100 % liegenden Entschlossenheit seines Besitzers immer siegreich gewesen war, das ihn wiederspiegelte wie nichts anderes auf der Welt ... ... und ließ es mit einer mindestens ebenso entschlossenen Waffe kollidieren. Es gab kein Geräusch. Keine fliegenden Funken. Keine umherwirbelnden Bruchstücke. Kein Verblassen des die Luna Lance umgebenden Glanzes. Nur die lautlose Einlösung eines beidseitigen Versprechens zwischen den einzigartigen Waffen, gegeben nur für diesen Moment, in dem Leben oder Sterben, klare Sicht oder Nebel nur von der Schärfe einer Klinge abhing – einer Klinge, die sich jetzt zum erstenmal dem Willen ihres aktuellen Besitzers wiedersetzte ... und stumpf wurde. Nur für eine Sekunde. Aber diese Sekunde reichte aus, um die Luna Lance völlig gefahrlos an dieser Klinge entlang gleiten zu lassen. Gleichzeitig schob sich Cutter ruckartig vorwärts und konnte spüren, wie die gefährliche Spitze der Luna Lance in den Körper vor sich eindrang und so eine Verbindung herstellte. Cutter schloss die Augen, hielt inne ... und erinnerte sich. An alles, was Sephiroth in ihren Augen war und für immer sein würde, ganz egal, was er davon oder von sich selbst hielt: Jemand, der es absolut wert war, nicht allein gelassen zu werden, jemand, der mit dem geschenkten Vertrauen behutsam umzugehen wusste, jemand, dessen Gegenwart mehr bedeutete, als die Nähe aller anderer Menschen ... Jemand, der es verdient hatte, zu existieren, Freunde zu haben und geliebt zu werden. Für einen Augenblick war das Gefühl in ihr so heiß, dass sie glaubte, von innen heraus zu verbrennen – dann schickte sie es auf die Reise, durch die Luna Lance direkt zu dem anderen, mit ihr verbundenen Körper. Ein Herzschlag voller Liebe. Er entpackte sich direkt in Sephiroths Bewusstsein, langsam und schnell gleichzeitig, behutsam und stark, befehlend und bittend – und er neutralisierte jedes Quäntchen Kraft, ganz egal, wofür dieses vorher benutzt worden war. Es glich dem Herunterfahren eines Systems vor dem kompletten Neustart. Für Sephiroth fühlte es sich an, als explodiere irgendetwas völlig schmerzlos in seinem Kopf. Einen Sekundenbruchteil später wurde die Welt vor seinen Augen schwarz, die beiden tiefschwarzen Flügel zogen sich wieder in seinen Körper zurück, das Gesetz der Schwerkraft setzte ein, die Verbindung mit der Luna Lance löste sich. Sephiroth fiel, aber er nahm es kaum wahr. In seinem Kopf hallte immer noch das sanfte Echo dieses einen, endlos liebevollen Herzschlags nach, bewegte sich durch die Dunkelheit, suchte in den für nutz- und wertlos befunden, weggeschlossenen Erinnerungen nach Gleichwertigem ... und wurde fündig. Er reaktivierte bittersüße, verwirrende Gefühle, es entstaubte die Gewissheit, sich ganz bewusst verändert zu haben, es brachte Situationen zurück, die sich nur im Rahmen von `Freundschaft´ entwickeln konnten, absurde, witzige, haarsträubende Geschichten, von denen er ein fester Bestandteil gewesen war ... Aber all das war vor Nibelheim und der damit verbundenen, grauenhaften Wahrheit, ein echtes Monster zu sein, gewesen. So gesehen konnte dieses `Vorher´ jetzt unmöglich noch Bestand haben, auch, wenn der jetzt langsam verhallende Herzschlag ganz klar anderer Ansicht gewesen war. Der Herzschlag ... und das mit ihm transportierte Gefühl. Ich kenne dieses Gefühl. Sein Name ist ... `Liebe´. Woher kenn ich es? Es fühlt sich so vertraut an, und es gilt mir – mir ganz allein. Außerdem scheint es alles zu wissen und alles zu verstehen. Es macht mir nicht den geringsten Vorwurf. Warum? Wenn es doch weiß, wen ... was es vor sich hat! Weshalb ist gerade das ausgerechnet jetzt hier, bei jemandem, wie mir? Das ergibt keinen Sinn ... Seine Überlegungen waren zu intensiv, um ihn bewusst wahrnehmen zu lassen, dass er seine Flügel verloren hatte und immer noch einem Boden entgegen fiel, der zu hart und felsig war, um bei einem Aufprall keine gebrochenen Knochen als Tribut zu fordern, und letztendlich nahm Sephiroth nicht einmal wahr, wie sich dieser Boden schlagartig verwandelte, weich und geschmeidig wurde und ihn auffing ohne den geringsten Schmerz zu verursachen oder die immer noch nicht abgeschlossenen Gedankengänge zu stören. Sephiroth war sich immer noch sehr sicher, trotz dieses ihm geltenden Gefühls ein Monster zu sein, aber für einen Moment war ihm, als sei er schon einmal ... mehr gewesen. Jemand anderes, für sich und andere, genauer gesagt, für zwei ganz bestimmte Personen. Hatten sie ihn nicht gekannt, wirklich gekannt, trotz allem, und ... waren sie nicht ab eines gewissen Zeitpunktes immer da gewesen? Ja. Er war sich ganz sicher. Es hatte sie gegeben. Wo waren sie jetzt, da sie dringend gebraucht wurden? Sephiroth wusste, dass er im Grunde so nicht denken durfte. Er war, trotz allem, stark, und der Starke fand immer Wege, Herausforderungen allein zu bewältigen - aber im Moment wünschte er sich nur eins: Die Nähe eines Wesens, das eine Wahrheit in sich trug, die ihm nicht schaden, sondern beschützen und heilen wollte. Die Wärme erreichte seinen Körper völlig vorwarnungslos, aber so intensiv, dass Sephiroth unwillkürlich erstarrte. Erst nach ein paar Sekunden gelang es ihm, mühsam zu blinzeln. Er war darauf gefasst, eine Welt zu sehen, die sich immer noch unter ihm erstreckte. Stattdessen aber blickte er zum Himmel auf – und brauchte einen Augenblick, um sich zu koordinieren. Was ... bin ich abgestürzt? Ich? Aber ich fühle keinen Schmerz, und auch nicht jene Betäubung, die dem Schmerz so dicht folgt ... nur Wärme. Woher kommt sie? Erst dann realisiert er die um seinen Nacken und Oberkörper geschlungenen Arme. Daher kam also diese Wärme. Irgendjemand hielt ihn im Arm. Ihn! Wer, um alles in der Welt, hatte den Nerv ... Es fühlte sich so gut an. Als könnte ihm keine Macht der Welt mehr irgendetwas anhaben, als sei er sicher und beschützt für alle Ewigkeiten, als spielte nichts mehr eine Rolle außer der Gegenwart dieser einen Person. Und sie war für ihn hier. Nur für ihn ... Sein Wunsch war in Erfüllung gegangen. Es spielt keine Rolle, wer du bist, dachte Sephiroth. Lass mich nicht allein. Und dann ... fiel sein Blick auf die Kette um den Hals der Person, und den daran befestigten Anhänger. Ein tiefschwarzer, detailliert gearbeiteter Flügel aus Schwarzem Silber. Der Anblick fühlte sich an wie ein langsam ins Schloss gleitender Schlüssel. Sephiroth streckte die Hand aus und streichelte vorsichtig über den Anhänger, gleichzeitig war dem General, als ob sich der Schlüssel langsam drehte und eine fest verschlossene Tür dazu brachte, sich zu öffnen. Ich kenne dich, dachte er irgendwann mit seltsamer Klarheit. Du warst ... bist ... der Grund für so vieles. Du hast dich in mein Leben geschlichen, und irgendwann war es `unser´ Leben. Ich erinnere mich an dich ... An dein Lachen ... und deine Fähigkeit, für mich zu leuchten ... an die Momente, in denen wir uns nahe waren, mental wir körperlich. Du hast mir so viel beigebracht, obwohl ich der festen Ansicht bin, dass du dir selbst über die Konsequenzen deiner Taten nicht immer im Klaren warst. Du bist mir wichtig! Du bist mein wahrer, fehlender Flügel. Und dein Name ist Phoenix. Oder ... „ ... Cut ... ter ...“ „Willkommen zurück“, wisperte Cutter und verstärkte die Umarmung. „Herzlich Willkommen zurück!“ Sephiroth schob eine Hand auf ihre, drückte sachte zu und konnte nur einen Sekundenbruchteil später spüren, wie Cutter die Bewegung erwiderte. Der General atmete tief durch und schloss die Augen, öffnete sie aber nur einen Moment später wieder. Jetzt nahm er mehr Details wahr – vor allem aber eins: Den blutgetränkten, zerrissenen Stoff über Cutters Schulter, und leider war ihm die Form des Einschnittes nur zu gut bekannt. „Ich habe dich verletzt ...“ „Ja, und es tut ziemlich weh. Mach dich darauf gefasst, dass ich dir später dafür in den Hintern trete.“ Sephiroth lächelte gequält. Keine andere Antwort hätte er von seiner Cutter erwartet. Gleichzeitig versuchte er, die einsetzenden Schuldgefühle zurückzudrängen, aber das leise und dennoch drängende: „Kannst du aufstehen?“ seiner Freundin ließ ihn die Prioritäten neu setzen, nicken, und mühsam, aber letztendlich erfolgreich wieder auf die Beine kommen. Sein Körper fühlte sich seltsam an. Es war nicht direkt Schmerz (selbst die durch die Luna Lance zugefügte Verletzung war längst wieder verheilt) nur eine seltsame Art von ... er konnte es nicht benennen. Aber dieses Gefühl war Nichts im Vergleich zu der ihm von all seinen Sinnen vermittelte, drohende Gefahr. Er blickte sich um und kollidierte mit den Blicken der S-1 Einheiten, die mittlerweile die Transporthelikopter verlassen hatten – aber das war nicht der Grund für die Bedrohung. Der General hob den Kopf. Der Meteor musste sich, der gigantischen Größe nach zu urteilen, jetzt unmittelbar vor der direkten Kollision mit Gaia befinden. Vermutlich blieben nur noch wenige Sekunden. Sephiroth starrte das scheinbar unaufhaltbare Schicksal des Planeten an und schüttelte irgendwann den Kopf. Das ... war so nicht geplant. Nichts von all dem hier war jemals so geplant. Und jetzt habe ich es nicht mehr unter Kontrolle. Es stimmt, ich bin von anderen grauenhaft behandelt worden – aber eben nicht von allen. Wie nur konnte ich sie vergessen? Die guten und schönen Erlebnisse, und die Personen, die mich mochten, obwohl sie wussten, dass ich `anders´ bin. Ich habe all das, und damit jegliche mich betreffende Weiterentwicklung, verraten. Und ich habe Zack getötet. Zack ... Ich erinnere mich an unsere Diskussion im Reaktor. Zack wollte mich beschützen. Er wollte mich immer beschützen, letztendlich vor allen Dingen vor mir selbst ... Und ich habe ihn getötet! Wie konnte ich das nur tun? „Was habe ich getan?“, wisperte er und spürte nur einen Sekundenbruchteil später, wie Cutter ihre Arme um ihn schlang und sich an ihn schmiegte, versuchte, zu trösten ... Aber diesmal reichte es nicht aus. „Alle werden sterben!“, flüsterte Sephiroth. Und dann, in endlos tiefem Entsetzen: „Du wirst sterben ...“ „Ich bin bei dir. Alles andere kümmert mich nicht.“ Aber ich will nicht, dass du stirbst, dachte Sephiroth verzweifelt und schloss seine Arme fester um Cutter. Und ich will auch nicht sterben! Aber ich kann nichts mehr tun. Aerith war die einzige, die ... Genau deshalb habe ich sie getötet. Das hätte ich nicht tun dürfen. Ich hätte so viele Dinge nicht tun dürfen ... Oh Gaia, ist das wirklich das Ende der Welt? Für einen Augenblick schien die Antwort auf diese Frage ausschließlich `Ja!´ zu lauten. Eine Sekunde später allerdings ... erwachte das Gefühl. Zuerst glaubte Sephiroth, es ganz allein zu empfinden. Dann fiel ihm Cutters Gesichtsausdruck auf. Es war der, den die junge Frau immer aufsetzte, wenn sie nach innen lauschte. Nur einen Herzschlag später begann das Beben. Es kam aus dem Boden direkt unter ihnen und fühlte sich an, als stiege es langsam aus den darunter liegenden Schichten auf. Cutter und Sephiroth lösten sich voneinander und traten unwillkürlich zurück, aber dem Beben entgingen sie nicht. Es schien sich über eine gigantische Fläche zu erstrecken, wurde mit jeder Sekunde stärker – und verstummte völlig unvermittelt. „Was ...“, wisperte Cutter. Zu mehr kam sie nicht. Das leuchtende Grün erschien direkt vor ihren Füßen. Es tastete nicht suchend umher, es zögerte nicht, es fragte nicht. Es stieg leuchtend und flirrend zum Himmel auf, unzählige Fäden aus Grün in allen nur erdenklichen Nuancen, Spuren aus Licht, aus Kraft, aus Erinnerungen und Geschichten. Der Lebensstrom. Er kletterte schweigend aus den Tiefen der Erde empor, überall auf ganz Gaia, und machte sich auf den Weg zu der größten Bedrohung, die es jemals für den Planeten gegeben hatte, streckte sich immer höher und höher hinauf, unaufhaltsam und entschlossen, es nicht geschehen zu lassen. Irgendwann kollidierten die ersten Ausläufer des Lebensstroms mit dem gigantischen Meteoriten. Flammenähnliche Ausläufer rasten über den Himmel und verloschen, Explosionen waren deutlich zu sehen ... aber nicht mehr. Weder verschwand der Meteor, noch wurde er zurückgetrieben oder fiel einfach auseinander. „Sie schafft es nicht“, flüsterte Cutter. „Sie hat einfach nicht mehr genug Kraft ... Dieser verdammte Rufus!“ „Nicht nur er“, knurrte Sephiroth. „Alle, die jemals Vorteile von Makoenergie genossen haben, tragen eine Teilschuld. Wir wussten, woraus diese Energie besteht, aber das hat uns nicht davon abgehalten, sie zu benutzen. Jetzt kriegen wir die Quittung! Es sei denn, du hast noch irgendeine Idee.“ Cutter hätte gerne protestiert, eine geniale Idee präsentiert, eine hilfreiche Kraft besessen ... aber sie konnte nichts tun, nicht einmal mit Hilfe der Lines, denn letztendlich waren diese lediglich die Verbindung des Planeten zu seiner Oberfläche. Die eigentliche Kraft lag in den Objekten und den Lebewesen selbst. Frei wurde diese Energie erst, wenn ihre Energie in den Lebensstrom zurückkehrte. Wenn sie ... starben. Leben und sterben. Letztendlich ging es nur darum. Manche töteten, um zu überleben. Andere lebten, um zu töten. Das Leben endete und wurde wiedergeboren, manchmal noch in derselben Sekunde, an einem anderen Ort. Auf Gaia war beides, wenn es die totale Gewalt an den Tag legte, unaufhaltsam, daher war es manchmal ratsam, den Tod und das Leben gleichermaßen zu fürchten. Und sehr, sehr selten beinhaltete ein Vorgang die beiden Urkräfte gleichermaßen. Aber jetzt ... war es soweit. Gaia holte sich mit Gewalt zurück, was von jeher ihr gehörte: Lebensenergie. Ihr Wunsch, ihr Wille nicht zu sterben, brachte den Tod – aber nicht für die alten und schwachen Dinge, sondern für die starken, all jene, die viel Kraft in sich trugen, ganz egal, um wen oder was es sich handelte. Menschen und Tiere brachen in sich zusammen, starben binnen eines Sekundenbruchteils, Flüsse versiegten, Meere trockneten aus, Gebirge fielen in sich zusammen, Bäume wurden morsch und zerbrachen, und alle, alle setzten ihre Kraft frei, die sofort zum Lebensstrom zurückkehrte und diesen stärkte. Das sich schlagartig intensivierende Glühen des immer noch zum Himmel aufsteigenden Grüns glich einem infernalischen Kampfschrei, der mit jeder Sekunde lauter zu werden schien. Der Lebensstrom stemmte sich mit aller Entschlossenheit gegen den Meteor ... und stoppte dessen Vorwärtsbewegung. Für einen Augenblick schien es, als seien beide Gegner gleich stark, und als dieser Augenblick Gefahr lief, zu einer Ewigkeit zu werden ... sprengte die Kraft des Lebensstroms den gewaltigen Gegner auseinander. Der Meteor explodierte in einem Lichtblitz von gleißender Helligkeit, die so stark war, dass alle Überlebenden auf Gaia geblendet die Augen schließen und sich reflexartig wegdrehen mussten. Erst nach einer ganzen Weile traute sich das Leben, wieder vorsichtig zu blinzeln und zum Himmel aufzusehen. Der Meteor war verschwunden. Was von ihm übrig war, nämlich Milliarden von kleinen Bruchstücken, verwandelte sich in der Atmosphäre zu ungefährlichen Sternschnuppen, deren helle Spuren noch sekundenlang nachglühten, ehe sie ganz verschwanden. Der Lebensstrom aber verhielt in seinen aktuellen Positionen, wie ein Wächter, der sich seiner Sache ganz sicher sein wollte. Es dauerte über eine Stunde, aber dann verglühte das letzte Bruchstück des Meteoriten in der Atmosphäre. Stille breitete sich aus. Stille, in der noch niemand zu jubeln wagte. Das Glühen des Lebensstromes war jetzt wieder sanfter geworden, in der nun herrschenden Dunkelheit aber trotzdem immer noch gut zu erkennen. Der Anblick hatte etwas Erhabenes, Einzigartiges an sich, und alles Leben wusste, dass es diese Sicht erst im Augenblick des Todes wieder haben würde, und so schwieg es, vielleicht zum ersten und letzten Mal geeint in Demut. Sephiroth hatte Cutter im Laufe der Geschehnisse wieder zu sich gezogen und die Arme um ihren Körper geschlungen, fest entschlossen, sie zu beschützen, falls es Gaia einfallen sollte, doch irgendwie Hand an ihre Kraft legen zu wollen. Aber Cutter hatte den Kampf unbeschadet überstanden. Eben sah sie zu ihm auf und flüsterte: „Wir haben gewonnen. Haben wir doch, oder?“ Sephiroth zögerte einen Moment – dann aber nickte er. Ja. Sie hatten gewonnen. Gaia ... das Leben ... hatte gewonnen. Warum, dachte der General, bin ich dann trotzdem so unruhig? Warum warnt mich mein Instinkt, auf der Hut zu sein? Wir haben gewonnen, aber es ist noch nicht vorbei ... Irgendetwas ist noch nicht korrekt ... Was ist noch übrig? Wie ... Und dann wusste er es. Die Antwort lag so klar vor ihm, dass er sich unwillkürlich fragte, wie er überhaupt darüber hatte nachdenken können. Der Meteor als sichtbare Bedrohung war vernichtet. Aber letztendlich war dieser nur einem Ruf gefolgt. Die eigentliche Gefahrenquelle, nämlich Jenova, existierte nach wie vor. Und Sephiroth wusste, dass Gaia sich darüber ebenso im Klaren war, wie er – und, dass sie sich darum kümmern würde. Um ihn ... Die ihm am nächsten liegende Ader des Lebensstromes setzte sich nur einen Sekundenbruchteil später mit der Schnelligkeit eines Gedankens und völlig vorwarnungslos in Bewegung, raste jäh vorwärts, direkt auf ihn zu, beseelt von dem Willen, die potentielle Gefahr `Jenova´ für immer zu vernichten. Cutter sah das grüne Glühen wie eine geballte Faust auf sich und Sephiroth zuschießen, begriff instinktiv, auf wen die Attacke es abgesehen hatte, und brachte die Luna Lance binnen eines Sekundenbruchteils in Angriffsstellung. Du kriegst ihn nicht! Ich lasse dich nicht vorbei! Aber es gab nichts, was sie der Attacke hätte entgegensetzen können. Die Flut aus Grün erreichte sie nur einen Sekundenbruchteil später ... und teilte sich – allerdings nur, um sich unmittelbar hinter ihr wieder zu vereinen. Sephiroth war zurückgewichen, um mehr Spielraum zu haben, und erwartete die Attacke mit in Angriffsstellung gebrachtem Schwert, kampfbereit und gefährlich, wie er es immer gewesen war, und der mit Masamune durchgeführte Schlag spaltete die Erde mehrere Meter tief ... aber den Lebensstrom vermochte der Angriff nicht aufzuhalten. Das grüne Glühen durchdrang seinen Körper, füllte sein Denken und seine Seele mit einer einzigen, zu gleichen Teilen sanften wie starken Bewegung – und löschte die immer noch in seinem Willen gefangene, mittlerweile lautstark kreischende Jenova aus, wie eine Kerzenflamme in einem jähen Windhauch. Dann war es vorbei. Das Grün versickerte langsam im Boden, wie Wasser in einer Wüste. Und in der immer noch herrschenden Stille fiel Sephiroth auf die Knie und dann, wie in Zeitlupe, zu Boden. Er selbst nahm es kaum wahr. Sein Körper fühlte an, als würde er verblassen, und nur einen Herzschlag später wurde Sephiroth klar, dass es genau so war, und auch, warum es so war, nur so sein konnte, und für einen Moment verfluchte er seine eigene Intelligenz, die ihn selbst jetzt noch alles begreifen ließ – vor allem, dass er den aktuellen Ereignissen völlig hilflos gegenüberstand. Und er war nicht der einzige ... „Sephy!“ Cutter war urplötzlich da, ließ sich neben ihn auf die Knie fallen und stützte seinen Kopf mit ihren Armen. „Steh auf! Bitte, steh wieder auf!“ Sephiroth versuchte es. Aber diesmal lief jeder diesbezügliche Befehl ins Leere. Der General hätte es seiner Phoenix so gerne erklärt. Dass er seinen `echten´ Körper bei dem Kampf mit Jenova im Lebensstrom aufgegeben hatte und der jetzige Körper nur existieren konnte, solange sein Wille die unterworfene Jenova dazu zwang, die gewünschte Form anzunehmen. Aber jetzt war das Wesen aus dem All tot, und Sephiroths Wille mochte vieles ermöglicht haben – diesen Körper am Leben zu erhalten, war allerdings selbst für ihn unmöglich, und dasselbe galt für jegliche Erklärungen. Es blieb keine Zeit mehr, und keine Kraft. Nicht einmal, um seine Hand auf die Cutters zu schieben und sich zu verabschieden. Ich habe es nicht gesagt, dachte er. Dass ich dich liebe ... Ich habe es nicht gesagt ... Seine Sinne begannen, zu verschwimmen, aber er konnte dennoch spüren, wie Cutter ihre Hände in dem verzweifelten Versuch, ihn festzuhalten, in seine Uniform grub. Es tut mir leid, dachte Sephiroth. Cutter, es tut mir so leid ... Cutter schüttelte den Kopf und ließ ihn nach vorne sinken, bis er Sephiroths Stirn berührte. Die junge Frau wusste: Ihr Freund wollte nicht verschwinden – aber es gab nichts, was er dagegen hätte tun können, und ihr selbst blieb nur Flehen. „Oh, bitte ... bitte nicht.“ Tränen liefen über ihr Gesicht. „Bitte ...“ Gleichzeitig versuchte sie, zu denken – aber letztendlich sandte sie keine Worte aus, sondern pures Gefühl. Es hätte ein Angebot sein können oder eine Entscheidung, eine Bitte oder ein verzweifelter Befehl, pure Verzweiflung und pure Liebe ... und es wurde erhört. Die Stimme erklang völlig unerwartet direkt in Cutters Bewusstsein, leise, aber dennoch gut zu verstehen, und höchst respektvoll. **Bist du ganz sicher?** Die Antwort bestand aus einem heftigen Nicken, ohne auch nur einen Sekundenbruchteil zu zögern. Eine absolut ernst gemeinte Reaktion auf eine absolut ernst gemeinte Frage. Die Folgen ließen nur wenige Sekunden auf sich warten. Cutter konnte spüren, wie etwas auf rein mentaler Ebene in sie eindrang. Es verursachte keinerlei Schmerz und löste ebenso wenig Furcht aus, es war einfach da, bewegte sich behutsam vorwärts, gelangte tiefer und tiefer, bis es den Punkt erreichte, der von Anfang an das Ziel gewesen war: Cutters Seele. Hier verhielt es einen Augenblick, und dann ... schob es vorsichtig eine der größten Barrieren beiseite, über die eine Seele nur verfügen konnte. Die, hinter der sich ein Teil dessen verbarg, womit man auch schwierige Zeiten überstehen konnte: Kraft. Sie strömte aus der Öffnung wie Wasser aus einem gesprengten Staudamm und hatte Cutter binnen weniger Sekunden ganz und gar geflutet. Die junge Frau lauschte in sich hinein, nahm aber weder Angst, noch Trauer oder Bedauern wahr, sondern nur das Gefühl, das absolut Richtige zu tun. Du wirst klar kommen, dachte sie. Sephy ... Ich weiß es. Dann schloss sie die Augen, und als sei dies das Startsignal gewesen, begann die Kraft ihren Körper zu verlassen und auf den anderen, so nahen und doch so weit entfernten Körper überzugehen. Für Sephiroth fühlte es sich an, als setze man ihn wieder zusammen, als hole irgendetwas all seine Sinne aus einem Meer von Undurchsichtigkeit und schiebe sie behutsam wieder auf ihren richtigen Platz. Es dauerte etliche Minuten, ehe der General zum nächsten Mal blinzelte. Ihm war kalt und er lag, wie er nach einigen Sekunden feststellte, auf unbequem hartem Boden – kein besonders angenehmer Zustand, aber für einen kurzen Moment hatte Sephiroth vergessen, wie man sich bewegte, und so blieb er einfach liegen und versuchte, sich zu erinnern. Irgendetwas war nicht in Ordnung gewesen ... Richtig, dachte er irgendwann. Ich hätte sterben sollen. Aber dann kam Cutter, und ... Cutter! Der Versuch, auf die Beine zu kommen, schlug fehl, und letztendlich musste sich Sephiroth damit begnügen, auf den Knien zu sitzen, aber seine eigene Situation kümmerte ihn momentan wenig. Wo war Cutter? Er konnte viele Dinge sehen, nicht aber seine Freundin. Suchend sah er sich weiter um, aber sie blieb verschwunden. Der General schloss die Augen und konzentrierte sich auf das ihn mit seiner Phoenix verbindende Gefühl. Cutter schien ganz nahe zu sein, blieb aber verschwunden, wenn er die Augen öffnete. So etwas war niemals zuvor geschehen. Sephiroth schüttelte unwillig den Kopf – und erstarrte. Sein Blick hatte etwas gestreift, einen Gegenstand am Boden. Der General griff vorsichtig danach, berührte etwas Kühles, Glattes, das sich seltsam vertraut anfühlte. Er zog es behutsam zu sich und betrachtete es einen Moment lang schweigend. Eine Kette ... ein einzelner, schwarzer Flügel ... Cutters Kette. Aber sie liebte dieses Schmuckstück, nicht nur, weil er sie ihr geschenkt hatte, sondern hauptsächlich wegen der Bedeutung. Cutter würde diese Kette niemals freiwillig zurücklassen. Wie hatte sie gesagt? `Ich werde sie nicht mehr abnehmen, solange ich lebe!´ Solange ich lebe ... Sephiroth erstarrte in derselben Sekunde mental und körperlich. `Solange ich lebe ...´ Dann glitt sein Blick über die Flügelkette und krallte sich erneut fest. Die Luna Lance lag in unmittelbarer Nähe am Boden, geborsten, gebrochen und gänzlich erloschen, nur noch ein nutzloser Gegenstand, dessen Aufgabe nach vielen, vielen Jahren erfüllt war – und gleichzeitig Teil einer entsetzlichen Ahnung. Sephiroth schüttelte den Kopf, wisperte: „Nein!“ und schloss die Augen. Ich hätte sterben sollen, weil Jenova gestorben ist. Aber ich lebe. Stattdessen bist du verschwunden, Cutter, aber wenn ich dich rufe, ist es, als wärst du ganz nah bei mir. Bitte sei jetzt da, wenn ich die Augen öffne! Sei da, lach mich an und fall mir um den Hals, nenn mich `Sephy´ und ... bitte, sei einfach da! Aber als er die Augen öffnete, hatte sich nichts an seiner Situation geändert – abgesehen von den Fakten, die sein jetzt wieder klar und scharf arbeitender Verstand in die alternativlose Wahrheit umwandelte. Cutter ... seine Cutter, seine Phoenix, seine Freundin ... hatte einen Weg gefunden, ihm ihre Kraft zu geben, all ihre Kraft, und war infolge dessen in den Lebensstrom zurückgekehrt. Sephiroth konnte sich nicht bewegen, er konnte nicht einmal denken oder gar den in ihm tobenden Schmerz, der sich anfühlte, als zerrisse man Herz und Seele gleichzeitig, Einhalt gebieten, und dasselbe galt für die Nässe auf seinen Wangen. Er kümmerte sich nicht darum. Er saß einfach nur da, auf den Knien, für einen Moment außerhalb von Raum und Zeit und starrte auf die Flügelkette in seinen Händen. In etlicher Entfernung, aber dennoch in Schussreichweite, machte sich Unruhe in den Reihen der fliegenden der ShinRa Armee breit. Jeder einzelne hatte gesehen und begriffen, was geschehen war, und viele fühlten mit dem General, wünschten sich einfach nur, diesen Ort verlassen zu können, um seine Trauer nicht zu stören – aber die Anwesenheit Rufus Shinra´s hielt sie am Platz. Auch Rufus war klar, was er gerade gesehen hatte, allerdings fühlte er weder Mitleid, noch den Wunsch, zu verschwinden. Vielmehr drehten sich seine Gedanken bereits um die Fortsetzung des sich unten abspielenden Szenarios. Tzimmek war tot – damit war Jenova Projekt 1 wieder frei und erneut zu einem gefährlichen Gegner geworden. Sobald er sich dessen bewusst wurde, würde er zurückschlagen, tödlich und absolut endgültig. Es sei denn, die ShinRa Armee kam diesem finalen Schlag zuvor. Mit einer entschlossenen Bewegung schaltete sich Rufus auf den Funkkanal, der es ihm ermöglichte, zu der gesamten Armee zu sprechen, ohne dass Außenstehende etwas davon mitbekamen. Der Befehl belief sich auf ein einziges Wort. „Feuer!“ Die ShinRa Armee war die stärkste Armee, die es jemals auf Gaia gegeben hatte. Das lag natürlich an ihrer Größe und dem milliardenschweren Investitionen, aber größtenteils an der Mentalität derer, die in ihr dienten, und an der Gnadenlosigkeit, mit der sie die erteilten Befehle befolgten. Auch jetzt bewegten sich gehorsam Hände in den Cockpits der Helikopter – aber viele kamen nicht weiter als bis zum toten Punkt, wo sie verharrten, gefangen zwischen der Anweisung und der Gewissheit, absolut das Falsche zu tun, denn alle hatten gesehen, was unter ihnen geschehen war ... aber ein gutes Drittel der Armee befolgte den Befehl. Das Geräusch der freigesetzten, potentiellen Todesurteile riss Sephiroth aus seiner Trance. Für einen kurzen Moment schien die Welt vor seinen Augen zu kippen, kämpften Trauer und Überlebenstrieb miteinander ... Dann sprang der General auf die Füße und wich zurück, gerade noch rechtzeitig, um den ersten Kugeln zu entgehen, fletschte unwillkürlich die Zähne und umfasste Masamune fester, gleichzeitig erwog er seine Optionen. Er sah sich allein einem großen Teil der Luftstreitmacht der Electric Power Company gegenüber. Maschinengewehre, Raketen und, wie es aussah, sämtliche S-1 Einheiten. Sie stürmten auf ihn zu wie eine Flutwelle. Für gewöhnlich schätzte Sephiroth große Herausforderungen, aber das hier würde, wie er sich eingestehen musste, nicht lange gut gehen. Sicher, Masamune war in der Lage, schwere Schäden anzurichten, aber irgendwann würden die ersten Kugeln treffen, seine Bewegungsfähigkeit einschränken und bis zur endgültigen Niederlage waren es dann hinsichtlich dieser Menge an Gegnern nur noch ein paar Minuten. Sephiroth knirschte mit den Zähnen. Cutter war doch nicht für ihn gestorben, damit Rufus ihn umbringen konnte! Trotzdem musste er sich etwas einfallen lassen, und das schnell ... Sein Blick glitt haltsuchend umher und fiel letztendlich auf die Luna Lance. Es fühlte sich an, als lege sich ein Schalter tief in Sephiroths Innersten um. Ruhe flutete seine Gedanken, Ruhe, die eine neue, tiefgreifende Gewissheit offenbarte. Cutter hatte ihm ihre Kraft gegeben. Ihr Leben. Und damit auch ... Mitten im Kampf schloss Sephiroth die Augen, öffnete sie nur einen Herzschlag später wieder – und lächelte. Vor ihm erstreckten sich die Lines. Sie waren genauso, wie Cutter sie immer beschrieben hatte, jede einzelne wunderschön, absolut einzigartig, beladen mit Informationen ... Und er konnte sie sehen. Mehr noch. Er wusste jetzt mit absoluter Sicherheit, wohin das Licht der Luna Lance gegangen war, und, was er als nächstes tun würde, hatte er Cutter doch immer, wenn sie von den Lines erzählte, genau zugehört und jedes einzelne Wort abgespeichert. Jetzt rief er sein Wissen ab! General Sephiroth Crescent hob Masamune und führte eine Attacke in Richtung der ShinRa Armee. Nur ein einziger Schlag. Aber er genügte. Gewehrläufe verknoteten sich, in der Luft befindliche Raketen und Kugeln zerbröselten augenblicklich, ebenso wie alle noch im Lauf oder der Trägervorrichtung befindlichen Geschosse. Schlagartig war die anwesende Luftstreitmacht nahezu wehrlos. „Was zum ...“, wisperte Rufus. Er hatte den Kampf von seinem Helikopter aus verfolgt, siegessicher und in Gedanken längst bei seiner Rückkehr ins HQ – jetzt allerdings musste er hilflos mit ansehen, wie seine Pläne durchkreuzt wurden. Was Crescent da tat ... einzig Tzimmek wäre dazu in der Lage gewesen. Aber Tzimmek war tot! Wie um alles in der Welt hatte sie es geschafft, ihre Fähigkeiten auf Crescent zu übertragen? Es war Rufus unmöglich, diese Frage zu beantworten, er wusste nur, wer Schuld an der aktuellen Situation war. Hatte Jenova Projekt 1 nicht von Anfang an unter Hojos Aufsicht gestanden? Der jähe, kalte Luftzug traf Rufus Hinterkopf völlig unvermittelt, ließ den Präsidenten herumzucken und gleichzeitig die Waffe ziehen, den Finger bereits am Abzug, ahnend, welches Szenario sich ihm bieten würde. Er wurde nicht enttäuscht. Die seitliche Tür des Helikopters war weit geöffnet, die Abseilvorrichtung aktiviert, und eben stieß sich Hojo ab und verschwand aus Rufus Blickfeld. Rufus brauchte nur eine Sekunde um die weit geöffnete Tür ebenfalls zu erreichen und das Feuer nach unten zu eröffnen, aber statt tödlichen Kugeln produzierte der Abzugschalter nur höhnisches Klicken. Rufus hörte sich selbst vor Wut aufschreien, als er einmal mehr hilflos mit ansehen musste, wie ihm die Kontrolle entglitt, Hojo wohlbehalten den Boden erreichte und zwischen den Felsen verschwand. Blass vor Wut wandte sich der Präsident zu dem Piloten um – und erstarrte beim Blick durch die große Frontscheibe des Helikopters. Die S-1 Einheiten, alle der Electric Power Company zur Verfügung stehenden S-1 Einheiten, die doch heute endgültig ihren größten Triumph hätten feiern sollen ... waren vernichtet. Sephiroth stand völlig ruhig zwischen den Trümmern seiner `verbesserten Versionen´, Masamune erhoben. Die Spitze des Schwertes zeigte direkt auf Rufus´ Helikopter. „Rückzug!“, zischte Rufus, und der mittlerweile schweißgebadete Pilot gehorchte sofort. Sephiroth sah zu, wie der Helikopter aus seinem Blickfeld verschwand und nahm Kontakt zu dessen Line auf. Er hätte die Maschine sofort abstürzen lassen können, aber der Plan – der neue Plan - sah das genaue Gegenteil vor. Für jemanden wie Rufus gab es schlimmere Strafen als den Tod. Sephiroth blickte dem davonrasenden Helikopter nach und dachte an die bevorstehende Verfolgung. Sie ließ sich nur fliegend bewältigen. Für gewöhnlich hätte er jetzt seinen verhassten, schwarzen Flügel ausbreiten müssen. Wie sehr er dieses weitere Zeichen seiner Unmenschlichkeit gehasst hatte! Aber jetzt gab es keinen einzelnen, nachtfarbenen Flügel mehr. Stattdessen existierten nun zwei winzige Lichtpunkte auf Sephiroths Rücken. Sie wärmten, wie es sonst nur ein großes Feuer geschafft hätte, und als der General zum ersten Mal seine neuen Flügel daraus entfaltete, verspürte er keine Wut und keinen Scham. Weil es Cutters Flügel waren. Wenige Sekunden später hatte der General den Boden weit unter sich zurückgelassen und steuerte das neue Ziel an. Rufus hätte es unter keinen Umständen zugegeben, aber er war in Panik. Nichts, absolut nichts war nach Plan verlaufen! Zwar gab es jetzt keinen Meteor mehr, dafür aber eine weitaus größere Bedrohung: Crescent. Er war nicht nur am Leben und frei, sondern beherrschte jetzt auch noch die Lines, höchstwahrscheinlich auf dieselbe Art wie Tzimmek, und Rufus wusste, dass dies für ihn früher oder später üble Konsequenzen bedeuten würde. Im Grunde rechnete er in jeder Sekunde mit einem Angriff des Generals – noch aber war alles ruhig. Zu ruhig. Ich bin ihm nicht gewachsen, dachte Rufus. Ganz egal, was er tut, ich bin völlig hilflos. Für einen kurzen Moment erwog er es, mit dem General in Verhandlungen zu treten, dann aber wies er jeglichen diesbezüglichen Gedanken von sich. Erstens war er Rufus Shinra, DER Rufus Shinra, Präsident der mächtigen Electric Power Company, und als solcher verhandelte er nicht, sondern erteilte Befehle, und zweitens ... gab es absolut nichts, was er Crescent hätte anbieten können. Er will mich tot sehen und die Chancen auf Erfüllung seines Willens stehen sehr hoch ... Aber noch lebe ich! Mir fällt schon etwas ein, mir fällt immer etwas ein. Ich brauche nur ein wenig mehr Zeit ... Der Helikopter näherte sich weiter mit Höchstgeschwindigkeit Midgar, und irgendwann tauchte am Horizont das vertraute grüne Licht des ShinRa HQ´s auf. So unzufrieden Rufus war, dieser Anblick vermochte fast, ihn zu besänftigen. Seine Stadt ... Sein HQ ... Symbol für alles, was er war und wofür die Electric Power Company stand ... Zusammen mit all den Makoreaktoren wirklich beeindruckend, gemacht für die Ewigkeit, denn all das hier würde auch nach Rufus´ Tod noch existieren und die Bevölkerung Gaias daran erinnern, wer und was er gewesen war. Was war schon ein Mensch. Nichts im Vergleich zu einem wirklich großen Bauwerk! Je näher sie Midgar kamen, je getrösteter fühlte sich Rufus. Irgendwann überflog der Helikopter die ersten Häuser. Jetzt waren es nur noch wenige Straßenblöcke bis zum HQ, von dem Rufus schon Einzelheiten erkennen konnte ... ... und Crescent. Er schwebte in einiger Entfernung zu dem Bauwerk, getragen von genau denselben Flügeln, die Rufus vorher bei Tzimmek gesehen hatte, sah dem Helikopter entgegen, lächelte kalt, richtete den Blick und das Schwert auf das HQ ... und Rufus begriff. Gleichzeitig spürte er sein Herz einen Schlag aussetzen und kalten Schweiß am ganzen Körper ausbrechen. Es gab nicht viele Dinge, die schlimmer waren, als der Tod, aber es gab sie. Speziell für jemanden, der stolz auf das Erreichte war und selbiges gern präsentierte. Das Glas in den Fenstern des HQ´s zersprang nicht einfach, es explodierte zeitgleich knallend von innen nach außen und regnete in seiner neuen Form aus Myriaden glitzernder Scherben zu Boden. Irgendwie erinnerte es an Tränen. Gleichzeitig ertönte ein neues Geräusch. Es klang dumpf und dennoch stark, als habe das Gebäude gerade einen gigantischen Schlag erhalten. Dann begannen die obersten, jetzt glasleeren Fenster Staub auszuspucken, als würden sie sich erbrechen, gleichzeitig erloschen schlagartig sämtliche Lichter, erwachte düsteres, flackerndes Rot in den obersten Etagen. Feuer! Aber dies war nicht die einzige Farbe. Auch das Grün des Lebensstroms flackerte in der Dunkelheit. Nur eine Sekunde später spuckte die zweite Fensterreihe Staub aus, gefolgt von Feuer und dem Glühen des Lebensstroms, dann die dritte, die vierte, die fünfte ... immer schneller und schneller. Irgendetwas innerhalb des Gebäudes war in Bewegung geraten, vernichtete, tötete, näherte sich unaufhaltsam den Kelleretagen ... Irgendwann begriff Rufus, was vor sich ging. Die Etagen innerhalb des Gebäudes zerfielen. Sie begruben Büros, Menschen, das Wissen dieser Menschen, Daten ... alles, alles wurde vernichtet oder kehrte in den Lebensstrom zurück. Die Risse am Gebäude begannen, nachdem auch die Fenster im Erdgeschoss immer wieder Staub erbrochen hatten (und somit von einer Vernichtung bis in die Kelleretagen berichteten), zogen sich mit rasender Geschwindigkeit an der gesamten Fassade entlang und erreichten schließlich auch den höchsten Punkt des HQ´s, Rufus Büro. Einen kurzen Augenblick lang blieb es ganz still – dann explodierte der Raum in Tausende Bruchstücke, und mit ihm begann auch die Fassade des HQ´s einzustürzen, nach innen, absolut kontrolliert und unaufhaltsam. Rufus hätte gerne geschrieen, aber er konnte die Vorgänge nur hilflos verfolgen. Letztendlich blieb von dem gewaltigen, stolzen ShinRa Hauptquartier mit seinen zahlreichen Büros, Menschen und Maschinen nur ein rauchender, gigantischer Trümmerhaufen zurück, in dem Feuer und der Lebensstrom zu gleichen Teilen loderten. Aber es war noch nicht zu Ende. Wenige Sekunden später erschütterte eine weitere Explosion Midgar. Rufus wandte benommen den Kopf – und erstarrte. Wo sich noch vor wenigen Augenblicken ein die Stadt mit Mako versorgender Reaktor befunden hatte, streckte sich jetzt eine gigantische Feuersäule, durchzogen von grün glühenden Linien des Lebensstroms in den Himmel. Sie fauchte und zischte wie ein Untier, das man endlich von seinen Ketten befreit hatte, und nur wenige Herzschläge später erschien eine zweite Feuersäule in der Dunkelheit. „Nein!“, hauchte Rufus. Aber sein Protest bewirkte nicht das Geringste. Sephiroth vernichtete die Makoreaktoren Midgars. Stück für Stück, bis nur noch lodernde Feuersäulen übrig waren, die ebenso plötzlich verschwanden, wie sie aufgetaucht waren – und Rufus wusste auch warum: Weil die dem Planeten zugefügten Verletzungen heilten, und das mit rasender Geschwindigkeit. Der Lebensstrom kehrte zu sich selbst zurück. Für gewöhnlich kümmerte sich Rufus nicht um die Gefühle der Lebewesen in seiner näheren Umgebung, diesmal allerdings konnte sogar er sich vorstellen, was in Gaia vorgehen musste – und, was sie vorhatte. Es deckte sich 1:1 mit dem, was Rufus in ihrer Situation getan hätte. Seine Finger zitterten so sehr, dass er Schwierigkeiten hatte, die Übersichtskarte der Makoreaktoren auf dem Laptop aufzurufen. Die für Midgar stehenden Symbole waren bereits verschwunden ... und eben erlosch ein weiteres Exemplar. Gleichzeitig stieg am fernen Horizont eine gigantische Feuersäule gen Himmel auf, hielt sich einige Sekunden, und verschwand wieder. Nur eine Sekunde später verschwand ein weiteres Symbol ... und noch eines ... und noch eines. Rufus konnte sich selbst aufschreien hören, aber sein Protest verhallte ebenso wirkungslos wie der Widerstand aller Wesen, die sich jemals gegen ihn und seine Taten aufgelehnt hatten, und es änderte nichts an den Tatsachen. Gaia vernichtete die Makoreaktoren, Stück für Stück, ließ sie in Flammen aufgehen, die sie fraßen, schmolzen und restlos vernichteten. Es war eine absolut einzigartige Säuberungsaktion, welche die Electric Power Company in ihrer bisherigen Form von der Oberfläche des Planeten hinwegfegte, und mit ihr auch alle Vorrichtungen, die Gaia Kraft entzogen. Rufus verfolgte die Geschehnisse machtlos mit Hilfe des Laptops, und jedes erlöschende Symbol traf sein Herz in Form eines mentalen Schlages. Als auch das letzte Symbol erlosch, war Rufus Herz ebenso vernichtet, wie seine einst so stolzen Bauwerke – und es tat weh. Zum ersten Mal in seinem Leben empfand er seelischen Schmerz, und er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Aber ihm blieb auch gar keine Zeit mehr, weiter darüber nachzudenken. Diesmal war es kein mit Hilfe der Lines geführter Schlag, sondern eine weiße, sich von Masamunes Klinge lösende Energieentladung, gut sichtbar und auf urplötzlichem, direkten Konfrontationskurs mit dem Helikopter, dessen Pilot geistesgegenwärtig reagierte und ein Ausweichmanöver einleitete – aber die Attacke folgte der Flugbewegung, glitt durch den Hauptrotorkopf wie ein heißes Messer durch ein Stück Butter und trennte ihn vom Rest der Maschine. Der Helikopter stürzte zu Boden, kollidierte mit dem harten Untergrund, rutschte darüber hinweg, drehte sich aufheulend einmal um die eigene Achse und blieb schließlich rauchend und größtenteils zerstört liegen. Eine seltsame Stille begann sich mit ihm als Mittelpunkt auszubreiten, und sie hielt an, bis sich zwischen seinen dunklen Trümmern etwas bewegte, zaghaft und unsicher. Rufus war sich nicht sicher, ob er wirklich noch lebte. Sein ganzer Anzug war voller Blut, aber sein Körper schmerzte, außerdem war er noch niemals zuvor so schwach und wackelig auf den Beinen gewesen, von der Müdigkeit ganz abgesehen. Aber er bewegte sich, und das hieß, er konnte kämpfen ... oder weglaufen und sich irgendwo verstecken, um Kraft zu tanken oder tatsächlich zu sterben. Momentan wusste Rufus nicht, was er wollte, nur, dass er sich nach Ruhe sehnte. Wären die Turks hier gewesen ... aber sie waren es nicht. Ebenso wenig wie die S-1 Einheiten oder die Armee. Er war allein – bis auf die Schritte. Sie kamen immer näher, ruhig und gleichmäßig, versicherten überdeutlich: `Ich weiß, wo du bist!´ Rufus wich zurück, stolperte über ein Trümmerstück und schlug rittlings auf dem Boden auf. Für einen kurzen Augenblick verschwamm die Welt vor seinen Augen, und als sie sich wieder festigte, war er nicht mehr allein. Sephiroth stand genau vor ihm, das ungeschützte Masamune noch gesenkt haltend, und erwiderte den Blick seines früheren Arbeitgebers mit einem Augenausdruck und einer Aura, die nichts außer Härte und Kälte in sich bargen. Rufus versuchte, Stand zu halten ... und versagte. Er wollte den Kopf abwenden, um diesem Blick zu entkommen und musste feststellen, dass sein Körper ihm nicht mehr gehorchte. Ob er wollte oder nicht, er musste Sephiroth weiterhin direkt in die Augen sehen. Gleichzeitig wurde ihm klar, dass es jetzt soweit war. Er würde sterben, vermutlich langsam und qualvoll, denn diesmal würde Crescent die Chance dazu definitiv nutzen. Rufus konnte die Vorwärtsbewegung des Schwertes schon förmlich sehen und den ausgelösten Schmerz spüren ... Aber stattdessen geschah etwas völlig Anderes. Die Stimme seiner Nemesis erklang, leise, aber dennoch gut verständlich, innerhalb und außerhalb Rufus´ Kopf. Nur zwei Worte. „Nie wieder!“ Rufus runzelte unwillkürlich die Stirn. `Nie wieder´? Was sollte das heißen? Und dann ... begriff er. Seine wahre Strafe bestand nicht aus dem Tod, sondern dem Leben, einem Leben ohne Macht und Angestellten, einer Armee und der mächtigen Electric Power Company. All das war vernichtet worden, und Rufus verfügte nicht über das Wissen, es wieder aufzubauen, denn selbst wenn viele Teile dessen, was einst gewesen war, noch in ihm existierten, er hatte nie gelernt, dieses Wissen ohne die Ausübung von Macht und Gewalt zu kommunizieren und die Menschen auf friedliche Weise zu überzeugen – Menschen, die ihn in seiner wahren Gestalt als machthungrigen Lügner, Betrüger und Mörder gesehen hatten. Sie wussten, was er war! Außerdem hatten sie hilflos mit ansehen müssen, wie er ihre Leben mit Füßen getreten und Freunde und Familienmitglieder tötete, um seine alleinige Macht zu festigen. Ganz egal, wie er es anstellte, niemand würde ihm ein anderes Ich mehr abnehmen. Natürlich hätte Rufus trotzdem versuchen können, sich durchzusetzen. Machthungrige Menschen gab es auch jetzt noch. Aber es existierte weit und breit niemand mehr, der ihm den Rücken freihielt. Es gab keinen Schutz mehr. Nicht für ihn. Außerdem hätte er beinahe den Planeten vernichtet, der doch Heimat von allen war. All das hatte sich die Bevölkerung Gaias gemerkt, inklusive seines Gesichtes, und Rufus wusste mit tiefer innerer Sicherheit, dass man ab jetzt noch genauer auf ihn achten und es ihm in Zukunft nicht einmal möglich machen würde, zwei Bauklötze aufeinander zu stapeln. Vermutlich konnte er froh sein, wenn man ihn ignorierte, statt durch die Straßen zu jagen. Und Rufus begriff noch etwas. Man konnte jemanden töten, indem man die betreffende Person am Leben ließ und diese somit zwang, sich zu erinnern, an die Niederlage und alles, was vorher gewesen war und niemals wieder sein würde. All diese Erkenntnisse katapultierten Rufus in eine mentale Schockstarre, in der er nicht einmal bemerkte, wie sich seine Nemesis umwandte und den Schauplatz verließ. Sephiroth sah sich nicht ein einziges Mal mehr um. Er wusste, das Kapitel `Rufus Shinra´ war abgehakt, und wenn er in sich hineinlauschte, so konnte er spüren, wie die so lang herbeigesehnte Heilung einiger übriggebliebener mentaler Verletzungen einsetzte, wesentlich schneller und stärker, als dies bei einem einfachen Tod seines ehemaligen Peinigers der Fall gewesen wäre. Es fühlte sich gut an. So gut, dass Sephiroth, sobald er außer Sicht war, einfach nur einen Moment mit geschlossenen Augen inne hielt, um es zu genießen, dann aber öffnete er die Augen wieder und setzte sich abermals in Bewegung. Jetzt existierte nur noch eine Person, der er geben würde, was sie verdiente. Hojo tastete sich mühsam durch das zu gleichen Teilen felsige wie rutschige Gelände. Der Wind hatte noch keinen Sekundenbruchteil nachgelassen und fegte ihm so eisig ins Gesicht, als wolle er den unerwünschten Eindringling aus dieser Region vertreiben, außerdem war immer noch Nacht. Keine guten Voraussetzungen, um sich auf unbekanntem Grund zu bewegen, aber momentan blieb dem Professor keine andere Wahl. Er hielt einen Moment inne, um nach potentiellen Verfolgern zu lauschen, aber nur das Heulen des Windes war zu hören – Geräusche, welche die selbst verursachten verschluckten und somit leicht als Vorteil hätten gewertet werden können, aber Hojo wusste, wie gut die Armee ausgerüstet war und dass sie ihn selbst unter diesen schwierigen Bedingungen relativ problemlos aufspüren konnte. Lange würde es, wenn Rufus wirklich Verfolger auf ihn angesetzt hatte (was sehr wahrscheinlich war), also nicht gut gehen. Er brauchte ein Versteck! Der Professor sah sich suchend um, konnte aber nichts hilfreiches entdecken und setzte seinen Weg langsam fort. Dabei wanderten seine Gedanken zu Rufus und Sephiroth. Ob Jenova Projekt 1 den Präsidenten bereits getötet hatte? Hojo hielt dieses Szenario für sehr wahrscheinlich. Ob es ohne Rufus noch eine Electric Power Company geben würde? Hojo hatte Schwierigkeiten, sich ein entsprechendes Bild vorzustellen, abgesehen davon ... Seine tastende Hand griff jäh ins Leere, aber diese Art von Leere war neu: Kalt, aber trocken. Hojo keuchte vor Überraschung. War es ihm tatsächlich gelungen, eine Höhle zu finden? Vorsichtig bewegte er sich weiter vorwärts, und schon nach wenigen Schritten bestätigte sich seine Hoffnung. Die Höhle war nicht besonders groß, aber sie reichte aus, um ersten Schutz zu gewähren. Hojo wich bis ins äußerste Ende zurück, schlang die Arme um den Körper und versuchte, das Zittern zu unterdrücken. Gleichzeitig spürte er eine starke Emotion in sich aufwallen. Im Gegensatz zu vielen anderen empfand der Professor keinerlei Erleichterung bezüglich des zerstörten Meteoriten und dem Fortbestehen des Planeten, sondern nur Empörung über die eigene aktuelle Situation. Sie war eine bodenlose Frechheit! Er hätte überhaupt nicht hier sein dürfen, sondern im Labor, beschäftigt mit wichtigen Experimenten! Überhaupt, Experimente! Dieses verdammte Jenova Projekt 1 hätte tot sein müssen! Warum hatte er nicht einfach aufgeben und sterben können?! Alles starb eines Tages! Nur dieses ... Ding musste sich immer wiedersetzen, überleben und auch noch zurückkommen! Es fiel Hojo schwer, sich einzugestehen, dass seine wahre Meisterleistung nicht aus den S-1 Einheiten, sondern seinem eigenen Sohn bestand. Ob Sephiroth herkommen würde, um auch ihn zu töten? Auch diese Chancen standen sehr hoch, zumal es ihm jetzt möglich war, genau wie Tzimmek die Lines zu sehen und zu beeinflussen. Bei aller Genialität war es Hojo unmöglich zu begreifen, wie Cutter dieses Übergabekunststück fertiggebracht hatte. Er ahnte, dass `Liebe´ mit im Spiel war, aber mehr ließ sich nicht entschlüsseln. Und überhaupt, wie Sephiroth an diese Fähigkeiten gelangt war, spielte keine Rolle. Wichtig war nur, dass er sie hatte – und welche Konsequenzen sich daraus für den Professor ergaben. Wenn er kommt, was kann ich tun? Was kann ich sagen? Es ist mir nicht möglich, ihn aufzuhalten – aber ich kann ihn ein letztes Mal daran erinnern, wie oft ich ihn beherrscht habe! Denn mich mag er töten können, nicht aber die Erinnerungen an mich! Sie werden ihn verfolgen bis an sein Lebensende, und das heißt, ich werde ihn verfolgen bis an sein Lebensende! Hojo lächelte finster. Ein guter Plan. Annähernd so gut wie ... Der jäh in die Höhle fauchende Windstoß brachte ihn dazu, unwillkürlich die Augen zu schließen. Nur für eine Sekunde. Aber als er sie wieder öffnete, hatte sich die Welt um ihn herum gänzlich verändert. Jetzt sah sie genauso aus, wie der Vorraum zu seinem Labor im ShinRa HQ. Der Raum war genauso, wie Hojo ihn in Erinnerung hatte, auch das kleinste Detail stimmte, selbst die Spieglung des Lichtes auf dem aufgeklappten Deckel des Laptops. Fast hätte Hojo es glauben können – wäre da nicht sein Verstand gewesen, der ihm immer wieder unerbittlich versicherte, sich nach wie vor in einer Höhle irgendwo in den Bergen zu befinden. Was seine Augen ihm zeigten, war nicht real ... auch, wenn es noch so sehr dem Ort glich, an dem er sich immer äußerst wohl, um nicht zu sagen, `Zuhause´ gefühlt hatte – und stark. Hier war er groß gewesen. Mächtig. Nahezu unbesiegbar. Hier hatte es niemand gewagt, ihn auch nur schief anzusehen, hier war nur er Herrscher gewesen, Herrscher über Leben und Tod. Wie viele großartige Erfolge er in diesem und dem Nebenraum vollbracht hatte! Wie klug und sinnvoll er immer vorgegangen war, um das gewünschte Endergebnis zu liefern! Wo andere versagten und aufgaben, war es ihm stets gelungen, Lösungen zu finden, und das war der Unterschied zwischen einem Genie wie ihm und allen anderen Verlierern! Es war eine gute Zeit gewesen. Und das alles sollte jetzt enden? Die urplötzlich hinter ihm erklingende Stimme beantwortete diese Frage. „Hallo Hojo.“ Die Betonung erinnerte an ein gespanntes, auf dem einzig möglichen Weg liegendes Fangeisen. „Hast du mich vermisst?“ Hojo wandte gänzlich unbeeindruckt den Kopf in Richtung des urplötzlich nur wenige Meter hinter ihm stehenden Sephiroths und lächelte verächtlich. „Weshalb sollte ich?“ „Oh, aber ich habe dich vermisst.“ „Tatsächlich? Ich bin gerührt.“ „Das solltest du auch sein.“ Gleichzeitig begann er, langsam vorwärts zu gehen – und Hojo wich unwillkürlich zurück, ein Anblick, der Sephiroths tief empfundene, finstere Lust noch verstärkte. Rufus und die Electric Power Company zu vernichten hatte fast Spaß gemacht, aber Hojo war etwas völlig Anderes. Ihn aufzuspüren war so leicht gewesen. Sephiroth hatte die Schwarze Line nur ein einziges Mal rufen müssen, und die eigentliche Überwindung der für alle Uneingeweihten endgültigen Grenze war, mit Cutter als mentalem Fokus, ein Kinderspiel gewesen. Mehr noch. Hojos Line hatte bereits dahinter auf ihn gewartet. Ihr zu folgen, deren Ursprung in dem felsigen Gelände aufzuspüren und die Höhle in ein Ebenbild des ersten Laborraumes zu verwandeln, war innerhalb kürzester Zeit erledigt worden. Blieb nur noch eine Sache übrig ... „Es gibt“, fuhr Sephiroth fort und trieb den Professor dabei weiter in Richtung eines ganz bestimmten Objektes vor sich her, „nur sehr wenige Menschen, die mir in meinem Leben wichtig waren – aber du gehörst definitiv dazu. Dasselbe gilt für Rufus. Ihr habt mich geprägt auf eine Art und Weise, die ... einen ganz besonderen Dank erfordert. Du bist noch übrig.“ Ein leises, metallisch klingendes Klirren untermalte sein letztes Wort. Hojo hatte Sephiroth während des Zurückweichens nicht aus den Augen gelassen, aber jetzt wandte er unwillkürlich den Kopf, um zu sehen, welches Objekt ihn daran hinderte, die Distanz auch weiterhin zu wahren – und diesmal weiteten sich seine Augen in jähem Schrecken. Es war der Tisch. Jener Tisch mit den eisernen Fixierungen im Hand- und Fußbereich, auf dem Sephiroth ihm so oft hilflos ausgeliefert gewesen war. Hojos Kopf ruckte wieder herum, gleichzeitig öffnete er den Mund, um zu protestieren ... aber kein Laut drang aus seiner Kehle. Der Gegenstand in Sephiroths Hand unterdrückte jede diesbezügliche Reaktion. Eben liebkoste der General das Objekt mit seinem Blick, sah wieder zu dem Professor ... „Du und Rufus habt Cutter auf dem Gewissen! Hojo, das hier werden die längsten Stunden deines Lebens!“ ... trat einen raschen Schritt vor, packte Hojos Kittel fest auf Brusthöhe, hielt das glitzernde Skalpell direkt vor die Augen des Professors ... und lächelte. „Entspann dich!“ Sephiroth war immer völlig klar gewesen, was er Hojo antun wollte. In seinem ursprünglichen Plan hatte es Heilmateria gegeben – jetzt ersetzten die Lines diese Möglichkeit. Aus der restlichen Theorie wurde Praxis. Im Kopf des ehemaligen Versuchsobjektes waren alle jemals durchgeführten Experimente gespeichert, und die grauenhaftesten, schmerzhaftesten fanden in jener Nacht erneut statt, aber diesmal war es Sephiroth, der die Werkzeuge führte, seinen einstigen Folterer bei klarem Bewusstsein hielt und ihn so alles klar spüren ließ. Die Vorgänge waren unmenschlich und barbarisch, und kein Schrei, kein Wimmern, kein verzweifeltes Aufbäumen, kein Flehen und Betteln hielten sie davon ab, zu geschehen, eins nach dem anderen. Es gab kein Entrinnen. Und Sephiroth genoss es. Er zerstörte und heilte, um erneut zu zerstören, wieder zu heilen und wieder zu zerstören, stundenlang - bis er spürte, wie im Kopf seines Testobjektes ein ganz bestimmter Teil zerbrach. Erst dann hielt er inne und lauschte in sich hinein. Was er fand war jene Ruhe, die ihm versicherte, dass es genug war. Sephiroth heilte den Körper vor sich ein letztes Mal und gab der Höhle wieder ihr ursprüngliches Gesicht zurück. Auch der Tisch unter Hojo verschwand, ließ den Körper schwer zu Boden fallen, wo dieser verharrte, zitternd und wimmernd, mit weit aufgerissenen Augen, in denen diesmal unkontrollierter Wahnsinn tobte. Hojo, das stand völlig fest, würde nie wieder sein, was und wer er vorher gewesen war. Sephiroth warf dem Endergebnis seiner `Behandlung´ einen letzten, völlig zufriedenen Blick zu und trat aus der Höhle. Mittlerweile war es draußen hell geworden, eine gleichgültige, schwere Helligkeit, in der sich Wind und Schneeflocken ziellos umherirrten, aber die Luft war angenehm klar und kalt, und Sephiroth atmete sie tief ein, während er seinen Weg fortsetzte – bis ihm klar wurde, dass er ebenso ziellos umherirrte, wie Wind und Flocken. Die Erkenntnis ließ ihn unwillkürlich innehalten und an die zurückliegenden Ereignisse denken. Was er Rufus, der Electric Power Company und Hojo angetan hatte ... Sephiroth verspürte keine Schuldgefühle und kein Mitleid, nur die sichere Gewissheit, endlich diesbezüglichen den verdienten Frieden gefunden zu haben. Was den ganzen Rest anging, er zweifelte nicht daran, dass die Menschen neue, alternative Energiequellen erschließen würden. Vielleicht tauchte `Solar Solution´ erneut auf der Bildfläche auf. Destins Leute verfügten über das entsprechende Wissen und würden mit Sicherheit neue Solarplatten herstellen und anbringen können. Es würde weitergehen, irgendwie. Aber nichts davon vermochte stärker zu sein als die Trauer über Cutters Tod. Für mich, dachte Sephiroth. Sie ist nur für mich gestorben. Oh Cutter, was soll ich nur tun ohne dich? Wohin soll ich gehen? Ohne dich sind alle Orte düster und kalt. Was nützt mir meine vollständige Heilung, wenn es niemanden gibt, mit dem ich sie teilen kann? „Komm zurück.“ Nur ein Flüstern gegen die gesamte Realität. „Hörst du mich? Wirklich `gut´ und `richtig´ kann es nur mit dir werden ... Komm zurück! Diesmal für immer.“ Aber nichts geschah – und Sephiroth wusste auch, warum. Cutter war schon oft in Schwierigkeiten gewesen, sie hatte sich in scheinbar auswegslose Situationen verstrickt, sie war sogar für 4 Jahre verschwunden ... aber niemals, niemals gestorben. In einem solchen Fall galten andere Gesetze – aber taten sie das auch für einen Phoenix? Momentan schien es darauf nur eine einzige, klare Antwort zu geben, die sich überdeutlich in der momentanen Situation wiederspiegelte, und Sephiroth war bewusst, dass ihm momentan nichts blieb außer der Hoffnung auf eine Änderung. Zeitgleich wurde ihm klar, wie müde er war. Der letzte Schlaf lag schon so weit zurück, dass er sich nicht mehr daran erinnern konnte, und jetzt forderte sein Körper eine Pause. Sephiroth sah sich um, konnte aber keinerlei Schlafplatz entdecken und öffnete schließlich kurzerhand mit Hilfe der Lines einen der großen, in unmittelbarer Nähe liegenden Felsen, schuf einen Hohlraum, kletterte hinein, schloss den Felsen bis auf einen Spalt, der genügend Luft zum Atmen hineinließ, wieder, hüllte sich in Cutters wärmende Flügel und war nur wenige Minuten später fest eingeschlafen. Leben und Tod gehörten zu den ältesten und mächtigsten Kräften des Planeten, endlos in Vielfalt und Wirken, untrennbar miteinander verbunden. Man hätte annehmen können, dazwischen gäbe es keinen Spielraum, und für gewöhnlich traf diese Annahme zu – aber manchmal konnten Leben und Tod mit nichts weniger anfangen, als mit Routine. Cutter wusste nicht, was sie geweckt hatte, und so lauschte sie mit geschlossenen Augen. Um sie herum erstreckte sich ein Meer aus perfekter, samtener Stille, und irgendwann wurde der jungen Frau klar, dass sie nur diese Ruhe geweckt haben konnte. Aber ... warum war es so überirdisch still? Für einen kurzen Moment schien es, als gäbe es keinerlei Erinnerungen – dann änderte sich dieser Zustand, langsam, als blase irgendjemand behutsam eine Schicht Staub von einer bisher sehr zurückhaltend strukturierten Oberfläche. Erinnerungen erschienen in Cutters Bewusstsein, Erinnerungen, die ebenso vertraut, wie fremd wirkten. Und noch während die junge Frau über diese rätselhafte Beschaffenheit nachdachte, wurde ihr klar, weshalb sich diese so darstellten. All diese Erinnerungen betrafen ihr Leben. Aber ... ... ich lebe nicht mehr. Ich habe Gaia gebeten, meine Kraft einem sterbenden Wesen zu geben und es so vor dem Tod zu bewahren. Gaia hat mein Flehen erhört, und ich habe daraufhin eine der ältesten Grenzen dieser Welt überschritten. Ich bin gestorben. Und meine Kraft, mein Leben gehört jetzt ... Sephy. Meinem Sephy. Er lebte, und Cutter fühlte intensive Dankbarkeit gegenüber Gaia, die sich auf den Handel eingelassen hatte, in sich aufsteigen. Sephiroth lebte. Trotz aller Widrigkeiten, aller Umstände, aller heimtückischer Pläne und Fallen, trotz ShinRa und Jenova – und er war jetzt wieder frei. Cutter zweifelte keinen Sekundenbruchteil daran, dass er die Chance Rufus und Hojo zu töten, nicht erneut ungenutzt vorbeiziehen lassen würde, und sie wünschte ihm viel Glück, und endlich eine vollständige Heilung. Er war jetzt wieder bei klarem Verstand! Er würde es schaffen, daran bestand gar kein Zweifel, aber bei allem Glück und aller Dankbarkeit empfand Cutter auch tiefen, innerlichen Schmerz. Ich habe ihm versprochen, nicht zu sterben – und jetzt habe ich dieses Versprechen gebrochen. Ob er das verstehen wird? Er denkt immer noch viel zu logisch, ganz im Gegensatz zu mir. Sephy ... Wie geht es dir? Ich kann dich nicht fühlen, bestimmt weil die Grenze zwischen uns so klar definiert ist. Ob sich dieser Zustand noch ändert? Hoffentlich ... Aber vielleicht kann ich dich ja vom Lebensstrom aus sehen, wenn ich mich gleich aufs Sehen konzentriere? Es ist nicht sehr wahrscheinlich, aber ich hoffe es trotzdem so sehr ... Und dann ... konzentrierte sie sich aufs Sehen. Ihr Verstand war darauf gefasst, Dunkelheit und die grün glühenden Fäden des Lebensstroms um sich herum zu erkennen, ihr Herz hingegen hoffte, einen Blick auf Sephiroth werfen zu können – aber nichts von alledem traf zu. Dämmriges Licht begrüßte Cutter. Es hatte dieselbe Farbe wie der Boden, auf die junge Frau lag, und der sich ohne jegliches Hindernis bis zum Horizont zu erstrecken schien – oder verschmolz er schon nach wenigen Metern mit dem Licht? Cutter konnte es nicht mit Gewissheit sagen, außerdem war die gerade gewonnene Erkenntnis, immer noch einen Körper zu haben, viel interessanter. Er wirkte wie weichgezeichnet, ließ sich aber wie gewohnt bewegen. Trotzdem schien es der jungen Frau irgendwie angemessener, nicht aufzustehen, sondern auf den Knien sitzend zu verweilen. Noch begriff sie nicht ganz, was hier vor sich ging, aber ihre Verwirrung hielt nicht mehr lange an. Die Stimme erklang ganz leise, direkt neben ihrem Ohr. **Hallo Cutter.** Es war dieselbe alte, respektvolle Stimme, deren Klang vor über 1 Jahr, als Cutter in völliger Dunkelheit schwebte, zu ihr gedrungen war, und auch dieselbe, die vor wenigen Minuten erkundigt hatte, ob sich Cutter mit der geäußerten Bitte bezüglich Sephiroths Rettung völlig sicher war, und ließ somit überhaupt keinen Zweifel daran aufkommen, wessen Stimme sie war. „Hallo Gaia“, antwortete Cutter ebenso leise. Und nach einer kleinen Pause: „Vielen Dank, dass du Sephy gerettet hast.“ **Du hast Sephiroth gerettet. Dein Mut, deine Entschlossenheit ... vor allem aber deine Liebe. Ich begegne diesem Gefühl sehr oft, weißt du, aber es nimmt selten eine solche Intensität an, wie bei dir und ihm.** Cutter musste unwillkürlich schmunzeln. „Ich habe ihn so wahnsinnig lieb.“ Sie blinzelte und spürte Tränen über ihre Wangen laufen. „Ich wollte ihn niemals wieder verlieren ...“ **Ich weiß**, flüsterte es neben ihrem Ohr. **Unter anderem deswegen bist du jetzt hier, im Herz des Planeten, und nicht im Lebensstrom. Denn ich ... wollte mich bei dir entschuldigen.** „Entschuldigen?“, wiederholte Cutter. „Wofür?“ **Für alles, was ich dir im Laufe deines Lebens nicht ersparen konnte.** „Tut mir leid“, murmelte Cutter und fuhr sich energisch über die Augen, „aber ich verstehe kein Wort. Du bist der Planet! Ich habe lediglich auf dir gelebt.“ **Cutter, du kannst ja keine Ahnung haben, wie lange es dauert, jemanden wie dich zu erschaffen. Genau deshalb gibt es so wenige Blue Wanderer. Es ist sehr, sehr schwierig, etwas in diese Welt zu entlassen, das keine Line und damit keine direkte Verbindung zu mir hat, und selbst wenn meine Bemühungen erfolgreich waren, so kann ich doch nie sagen, was daraus wird. Viele gehen mit der Fähigkeit, die Lines zu sehen, respektvoll um, aber viele auch nicht, und aus letzterem entsteht früher oder später immer großes Leid für alle Betroffenen.** „Ich weiß, was du meinst“, antwortete Cutter düster. „Letztendlich kann man mich getrost auch zur letzten Gruppe zählen.“ **Nicht unbedingt**, wisperte es neben ihrem Ohr. **Viele deiner Taten entsprachen nicht deinem wahren Willen, und genau dort liegt für mich der Unterschied. Niemand ist immer stolz auf seine Handlungen, aber letztendlich zählt nur, dass man seine Fehler erkennt, sie akzeptiert, eine Lehre daraus zieht, und nicht wieder begeht. Du hast genau das begriffen und hättest es auch umgesetzt. Mehr kann man wirklich nicht verlangen, deshalb sei dir bewusst: Was es auch immer zu vergeben gab, es ist vergeben. Kannst du mir glauben?** „Hm“, machte Cutter leise. Es war nicht so, dass sie Gaia nicht glauben wollte. Aber die zurückliegenden, die Lines betreffenden Ereignisse erschienen zu persönlich, als dass jemand anderes außer ihr selbst wirklich hätte verstehen können. **Tzirka**, wisperte Gaia, **ging es genau wie dir. Sie war der erste Blue Wanderer, weißt du?** „Der erste?“, wiederholte Cutter restlos verblüfft. „Der allererste?“ **Ja.** „Aber das ... Sie ... Wie alt war Tzirka?“ **Alt. Sehr, sehr alt. Ich habe mir immer gewünscht, besser mit den Menschen kommunizieren zu können, und da schien es mir nur logisch, jemanden zu erschaffen, der wie ich die Lines sehen und beeinflussen konnte. Tzirka war der Prototyp. Aber es funktionierte nicht so, wie ich es erhofft hatte. Tzirka war dir vom Charakter her sehr ähnlich und sich, genau wie du, über die ihr zur Verfügung stehende Macht völlig im Klaren, und genau wie du wollte sie nur Gutes damit bewirken. Aber es ging schief. Menschen begreifen nicht immer, wann man ihnen ein Geschenk macht, und niemand hat Tzirka verstanden. Letztendlich hatte sie das Gefühl, nur Unglück zu verursachen und bat mich darum, sich zurückziehen zu dürfen. Ich bot ihr an, die Luna Lance zurückzugeben, aber Tzirka wollte nicht. Sie sagte, eines Tages würde die Welt das Geschenk, die Lines zu beeinflussen, begreifen und behutsam damit umgehen. Seitdem war sie die Wächterin der Luna Lance. Sie hat viele Jahre lang beobachtet und gesucht, wurde aber nicht fündig. Und dann, eines Tages, störte ein gewisser Teenager, der ohne den Schutz eines mentalen Fokus´ über die Schwarze Line ging, ihre Ruhe.** „Das war dann wohl ich“, murmelte Cutter verlegen. **Ja. Dass ihr euch begegnet, war von mir nicht geplant, aber genau das macht `Leben´ aus: Unvorhergesehene Dinge. Wie es nach dieser Begegnung weiterging, weißt du selbst.** Cutter nickte sachte und fügte hinzu: „Ganz offensichtlich ist die Welt immer noch nicht bereit für jemanden wie mich.“ **Nein. Aber das ist genauso wenig deine Schuld, wie die Tzirka´s. Es ist die Welt, die umdenken muss.** Abermals nickte Cutter sachte. Jetzt ergaben viele Dinge viel mehr Sinn. Und dennoch ... „Apropos `Welt´ - darf ich dich was fragen?“ **Du möchtest wissen, warum ich ShinRa nicht vernichtet habe, als ich noch die Chance dazu hatte. Weißt du, ich bin trotz meines Alters noch ein relativ junger Planet, der jeden Tag dazulernt. Zu den Dingen, die sich mir schon sehr früh erschlossen haben, gehört die Erkenntnis, dass Überzeugungen, die sich einem auf natürlichem Weg erschließen, für die mentale Entwicklung bedeutender sind als solche, die man mit Gewalt herbeiführt.** „Das heißt“, begann Cutter zu übersetzen, „du hast bis zum Schluss gehofft, Rufus würde zur Vernunft kommen.“ **Ich wollte ihm eine Chance geben. Alles verdient eine Chance. Und wenn ich jedes Mal, sobald es nicht nach meinem Willen geht, eingreifen und Gewalt anwenden würde, wäre ich ein Tausendfach schlimmerer Herrscher, als ShinRa es je war.** „Trotzdem hat er dich fast getötet.“ **Ja. Diesmal hatte ich zu große Hoffnungen in ein Wesen gesetzt. Natürlich hätte ich ihn trotzdem mit Leichtigkeit töten können, aber dann wäre nur eine andere Person an seine Stelle gerückt. Ich wollte eine Botschaft vermitteln.** „Und dann kamen Destin und `Solar Solution´.“ **Ja.** „Auch für den Fall, dass ich mich jetzt komplett unbeliebt mache – warum hast du zugelassen, dass Destin stirbt?“ **Destin war so erschüttert über die durch die S-1 Einheiten verursachten Schäden in Midgar, dass er eine mentale Blockade errichtet hat, die ich nicht mehr durchdringen konnte, und so war es mir unmöglich, weiter zu ihm zu sprechen.** „Es sah aus, als sei er dir egal.“ **Glaub mir, ich habe alles versucht. Aber letztendlich ist mir klar geworden, dass Destin sterben wollte. Selbst, wenn es mir gelungen wäre, ihn zu retten, er hätte sich bis zu seinem Tod schuldig am Tod dieser Menschen in Midgar gefühlt, und ich hätte ihm nicht helfen können, weil er zu fest von seiner eigenen Schuld überzeugt war. Vergebung hat nur dann einen Sinn, wenn man bereit ist, sie anzunehmen. Destin ... konnte einfach nicht. Sag mir selbst, hättest du unter diesen Voraussetzungen leben wollen?** Cutter schüttelte den Kopf und fügte leise hinzu: „Es war nicht richtig. Er hätte gewinnen müssen!“ **Ja.** „Und die S-1 Einheiten hätten nicht so durch Midgar wüten dürfen.“ **Ja. Aber wenn ich nicht weiß, womit ich es zu tun habe, lasse ich den Dingen ihren Lauf und entscheide später, ob, wann und wie ich eingreife.** „Das hat Sephy auch immer so gemacht“, murmelte Cutter. Gleichzeitig spürte sie erneute Tränen aufsteigen und konnte sie nur wenige Sekunden zurückhalten. Sephy ... **Sephiroth ...**, wisperte Gaia. **Er hat die Electric Power Company zerstört und Rufus und Hojo getötet, auf seine ganz eigene Art und Weise.** „Endlich!“, flüsterte Cutter. „Dann wird er auch endlich vollständig heilen. Er wird klar kommen. Vielleicht ... vielleicht schafft er es sogar, neue Freunde zu finden. Es ist nicht gut, wenn er allein bleibt, er braucht ... andere um sich herum.“ Und vielleicht, fügte sie in Gedanken hinzu, findet er sogar jemand neuen zum Lieben, das braucht er nämlich am allermeisten. Cutter wünschte es ihm trotz ihrer eigenen Trauer so sehr, mehr als alles andere – und sie wünschte sich, Mittel und Wege zu finden, um ihren eigenen Schmerz zu besiegen, denn obwohl sie den mit Gaia geschlossenen Handel keinesfalls bereute, eine Rückkehr von den Toten schloss sie vollständig aus. Aber darunter sollte Sephiroth so kurz wie möglich leiden. Und vielleicht ... „Gaia? Kann man die Lebenden aus dem Lebensstrom beobachten? Wenigstens hin und wieder? Ich verspreche auch, mich nicht bemerkbar zu machen.“ Gaia schwieg einen Augenblick. Cutter war ihr so nahe, dass selbst ihre Gedanken und Gefühle deutlich hörbar waren. All das war wie die letzte Bestätigung zu einem längst gefassten Entschluss des Planeten. **Was hältst du von einer Alternative?** Cutter blinzelte. Alternative?! Es gab eine ... „Alternative?“ **Erinnerst du dich noch an die Sage von dem Wunsch, den der Planet manchmal einem Toten gewährt? Ich schenke dir diesen Wunsch, als Ausgleich für alle Trauer und Verzweiflung. Wenn du möchtest.** Für einen kurzen Moment konnte Cutter gar nicht reagieren. Der Wunsch ... Für sie ... Es war nicht einfach nur eine Sage, sondern die Wahrheit – und es gab nur eine einzige Möglichkeit, ihn umzusetzen. „Ich möchte zurück zu Sephy ... Geht das, Gaia?“ Ein Geräusch, ähnlich einem leisen, freundlichen Lachen, erklang. **Ich wusste, dass du ihn so einsetzen würdest. Ja, Cutter. Ich bringe dich zurück. Ohne deinen Sephiroth würdest du hier nie den Frieden finden, der dir zusteht. Aber erst solltest du dich eine Weile ausruhen und Kraft tanken. Und ... könntest du mir einen Gefallen tun?** „Jeden!“ **Nimm Zack mit, er macht mich wahnsinnig!** Cutter musste unwillkürlich lachen. **Ich habe**, fuhr Gaia mit einer Stimme, in der Erheiterung schwang, fort, **ihm auch den Wunsch gewährt. Er wollte genauso zurück, wie du, aber gegen Sephiroth hätte er immer noch keine Chance gehabt, also bat ich ihn, sich etwas anderes zu wünschen. Er saß ca. 3 Sekunden lang still, hat mit Sicherheit hochgradig tiefgründig überlegt, und weißt du, was er sich letztendlich gewünscht hat?** „Wir reden hier von Zackary Fair, also ... 100 neue Wünsche?“ **Natürlich! Seinetwegen war der Lebensstrom einen Tag lang orange.** Diesmal gelang es Cutter erst nach einiger Zeit, mit dem Lachen aufzuhören. Dann nickte sie. „Alles klar, ich nehme ihn mit.“ **Ich danke dir. Schlaf jetzt. Wenn du zum nächsten Mal aufwachst, bist du wieder Zuhause.** Abermals nickte Cutter, und erst jetzt wurde ihr bewusst, wie müde sie war. Das zurückliegende Leben war ... so vieles gewesen ... und das nächste wartete schon auf sie ... Diesmal, das spürte sie ganz deutlich, würde wirklich alles gut werden. Sie streckte sich lang auf dem dämmrigen Boden aus, schloss die Augen und war innerhalb weniger Sekunden tief und fest eingeschlafen. - - - - - - - - !! Vorletztes Kapitel !! (Das nächste wird unter "Epilog" angelegt.) Epilog: Zukunftspfade --------------------- Es vergingen Stunden, ehe Sephiroth zum nächsten Mal erwachte. Der Sturm vor seinem sicheren, warmen Schlafplatz hatte sich gelegt und dieselbe Stille hinterlassen, die auch in Kopf und Herz des Generals vorhanden war. Sie war neu und fremd, aber nicht bedrohlich, sondern stellte vielmehr einen wachen, wartenden Zustand dar. Viele Dinge waren in der letzten Nacht beendet worden, und jetzt bot die Welt wieder ein wenig mehr Raum für alles, was schon lange geschehen wollte, aber keinen rechten Ansatzpunkt gefunden hatte. Nun schienen sich alle Möglichkeiten an genau demselben Punkt zu versammeln und völlig friedlich ihre Bereitschaft zu demonstrieren. Dabei flüsterten und wisperten sie, immer dieselben Worte. `Lasst uns geschehen ...´ Sephiroth konnte spüren, wie Teile der Welt darauf drängten, neu zu beginnen, ähnlich einem Samenkorn in idealer Erde, aber all das verblasste hinsichtlich seiner Trauer über Cutters und Zacks Tod. Letztendlich waren beide seinetwegen gestorben, aber sich deshalb Vorwürfe zu machen erschien sinnlos, weil es das Geschehene nicht ungeschehen machen konnte. Außerdem, das wusste Sephiroth mit Sicherheit, wären Vorwürfe nicht im Sinn seiner beiden besten Freunde gewesen. Sie wünschten sich, dass er lebte! Das tiefe Verlangen, um sie zu trauern, konnte und wollte er allerdings nicht verdrängen. Niemand, der sich über einen großen Verlust wirklich im Klaren war, konnte das, und so ließ er Trauer und Schmerz einfach zu, hing seinen Gedanken nach und erinnerte sich an all die kleinen und großen Dinge, die Cutter und Zack so einzigartig für ihn gemacht hatten. Im Grunde waren sie alle wundervoll gewesen, selbst Cutters Schusseligkeit und Zacks Unfähigkeit, genau im richtigen Moment einfach mal nichts zu sagen. Die Tatsache, dass sie jetzt nicht mehr hier waren ... Sephiroth wusste, er hätten diesen Zustand einfach akzeptieren müssen. Aber er konnte nicht. Einem Teil seiner Seele und selbst seines Verstandes erschien es völlig irrsinnig, dass seine beiden besten Freunde ihren Tod einfach so hinnahmen – gleichzeitig wies der Rest beständig darauf hin, dass der Tod kein Urlaub war, aus dem man nach einer gewissen Zeit wieder zurückkam, Souvenirs mitbrachte und sich erkundigte, ob man zur Feier des Tages zum Essen ausgeführt wurde. Abgesehen davon waren die beiden Tode so unterschiedlich gewesen. Bei Zack konnte man ohne weiteres von `Mord´ sprechen, und Sephiroth dachte nicht einmal daran, ShinRa und Jenova als `mildernde Umstände´ geltend zu machen, denn letztendlich hatte er Zack töten wollen und dies auch getan. Cutters Tod fiel zwar in eine andere Kategorie, war aber mindestens genauso tragisch, zumal die junge Frau sich über die Konsequenzen ihrer Handlung völlig im Klaren gewesen war. Letztendlich blieb Sephiroth nur die Hoffnung auf ein Wunder. Es vergingen etliche Tage, ehe Schmerz und Trauer die erste Schärfe verloren und auf einer Ebene zu agieren begannen, die zwar permanent existierte, aber auch Raum für andere, relativ schüchterne, aber klare Gedanken ließ. Es musste weitergehen - auch für Sephiroth, und so erwog er seine Optionen. Im Grunde hätte er überall hingehen können, die potentiellen Konsequenzen waren dieselben, kannte doch die ganze Welt sein Gesicht und seinen Ruf, an dem wohl nicht einmal die Auslöschung der Electric Power Company etwas ändern würde, und Sephiroth plante nicht, sich selbst in der Hoffnung auf friedliche Reaktionen als `Großen Erlöser´ hinzustellen. Seines Erachtens nach tat es dem Glauben der Überlebenden besser, wenn sie davon ausgingen, der Planet habe ShinRa allein vernichtet. Möglichen Ausläufern dieses Glaubens sah er gelassen entgegen, wusste er doch, dass man sich ihm auch jetzt nur mit äußerster Vorsicht nähern würde. Wenn überhaupt. Und so gab es letztendlich nur einen Weg, den er einschlagen konnte. Manchmal veränderten sich die Dinge so schnell, dass man ihnen kaum folgen konnte, und meistens hatte man, sobald sich die neue Situation festigte, Probleme, sie wirklich zu begreifen und zu akzeptieren. Genau darüber dachte Roger gerade nach, während er durch die Straßen Midgars wanderte und die vergangenen Tage vor seinem geistigen Auge Revue passieren ließ. So viel hatte sich verändert, und manche dieser Veränderungen waren bei Weitem noch nicht abgeschlossen – andere hingegen waren definitiv beendet. Roger hatte sich in der `Nacht des Meteors´, wie jene Stunden mittlerweile genannt wurden, bei seiner Familie aufgehalten, fest davon überzeugt, noch in dieser Nacht zu sterben, war sein einst so fester Glauben an den Planeten durch Destins Tod und das Wirken der S-1 Einheiten doch schwer erschüttert worden. Zu sehen, wie derselbe Planet mit Hilfe des Lebensstroms den Meteoriten auseinander sprengte und so die Gefahr bannte, war zu grotesk gewesen, um es auf Anhieb zu glauben. Der Bevölkerung Midgars war es genauso ergangen. Erst, als das letzte Bruchstück in Form einer harmlosen Sternschnuppe in der Atmosphäre verglüht war, brach der Jubel aus. Die Menschen fielen sich um den Hals, manche lachend, andere weinend oder schweigend, aber alle geeint in derselben grenzenlosen Erleichterung. Der wenig später einsetzende Lärm des in sich zusammenstürzenden ShinRa HQ´s allerdings fokussierte die Aufmerksamkeit der Menschen neu. In ganz Midgar gab es niemanden, der nicht mindestens einen Freund oder ein Familienmitglied durch die S-1 Einheiten verloren hatte, und so hielten sich Mitleid und Bestürzung in beachtlichen Grenzen. Die wenige Minuten später folgende, erste Explosion, die den Nachthimmel an einer ganz bestimmten Stelle in ein wahres Inferno aus roten Flammen und glühendem Lebensstrom verwandelte, erschütterte die ganze Stadt. Der ersten Explosion folgte eine zweite, eine dritte, eine vierte ... Irgendwann begann das Licht in den Häusern zu flackern und erlosch schließlich ganz, ebenso wie Leuchtreklamen und Ampeln. Noch fahrende S- und U-Bahnen rollten aus und blieben ebenso stehen, wie alle anderen durch Makoenergie betriebenen Fortbewegungsmittel. Binnen weniger Minuten war Midgar erloschen und nur die brennenden Makoreaktoren wiesen darauf hin, dass es hier mehr gab, als nur ein weiteres Stück Dunkelheit, und die Menschen brauchten keinen Dolmetscher, um zu begreifen, dass Rufus Shinra die Quittung für sein gesamtes Wirken bekommen hatte, ausgestellt vom Planeten selbst. Als die Feuer um Midgar herum erloschen, drängten sich die Menschen unwillkürlich näher zusammen. Keiner wusste, was als nächstes geschehen würde, aber alle hofften auf einen neuen Morgen. Ihre Hoffnung wurde erfüllt. Die nach etlichen Stunden einsetzende Helligkeit war anders gewesen als jemals zuvor. Klarer. Reiner. Das Licht offenbarte die endgültige Wahrheit. Von der einst so unerbittlichen Herrschaft ShinRa´s war nur völlige Verwüstung geblieben. Die mächtige Electric Power Company ... hatte verloren. Mehr als nur die Reaktoren und ihr HQ in Midgar, sondern, wie sich nach ein paar Tagen herausstellte, sämtliche Reaktoren auf ganz Gaia. Somit gehörte der Lebensstrom wieder ausschließlich sich selbst – aber das bedeutete auch, dass alle wieder an die Makoenergie angeschlossenen Haushalte schlagartig ohne Energie waren. Kein angenehmer Zustand, wenn man die fortgeschrittene Jahreszeit bedachte ... So sieht´ s aus, dachte Roger. Und ich habe auf meinem Schreibtisch zwei Sorten Anfragen liegen. Unsere Lieferanten für die Solarplatten möchten wissen, wohin sie ihre voll geladenen LKWs schicken sollen, und unsere altneuen Kunden fragen, wann wir die Solarplatten anbringen können. Eigentlich hatte er `Solar Solution´ aufgeben wollen. Er war kein zweiter Destin, der die Stimme des Planeten hörte, er war nur ... Roger. Aber die Menschen kamen zu ihm zurück, weil sie wussten, wie weit die Rebellion gekommen war, und dass sie diesmal endgültig erfolgreich verlaufen würde. Irgendwann war Roger klar geworden, dass er die Stimme des Planeten gar nicht brauchte. Er wusste auch so, was zu tun war, und so hatte er damit begonnen, gewisse Dinge erneut anzupacken. Dazu gehört auch die Reaktivierung eines gewissen gelben Doppeldeckers, der mittlerweile wieder vollständig repariert worden war, jetzt erneut von seinem genesenen (und arbeitswütigem) Piloten Tymor über die Stadt gesteuert wurde und ein Banner mit dem Solar Solution Schriftzug hinter sich herzog. Ein klares Zeichen an die Bewohner Midgars. `Wir lassen euch nicht allein!´ Dennoch zweifelte keiner daran, dass es ein hartes Stück Arbeit werden würde. Auch Roger war sich darüber im Klaren, momentan allerdings gestattete er sich einen kleinen Spaziergang durch die Straßen Midgars, in denen die Menschen einmal mehr ihre Kreativität hinsichtlich des (noch) fehlenden Stroms ausbreiteten. Das zu sehen tat gut, zumal es überdeutliche zeigte, dass die Menschen sich ihren Lebenswillen bewahrt hatte. Roger war so tief in diesbezüglichen Gedanken versunken, dass er fast zusammengezuckt wäre, als eine große Gestalt aus einer der zahlreichen Seitenstraßen trat und seinen Weg verstellte. Roger bremste, unterdrückte den Wunsch, zurückzuweichen und erwiderte den Blick seines Gegenübers, zeitgleich tastete er unauffällig nach der Waffe unter seiner Jacke. „Der Planet hat nicht das ganze ShinRa Pack erwischt“, knurrte er schließlich. „Zu schade.“ „Er hat mich erwischt“, antwortete Sephiroth ruhig. „Nicht genug!“ „Intensiver, als Sie glauben.“ „Ach ja? Was könnte Ihnen ernsthaften Schaden zufügen?“ „Unter anderem der Tod meiner Freundin.“ Roger sah sich schlagartig in einem tiefen innerlichen Konflikt gefangen. Einerseits hasste er den General aus vielen guten Gründen innig – aber einen derart großen Verlust wünschte er trotzdem niemandem. Nicht einmal ihm. „Das tut mir leid“, antwortete er daher aufrichtig, schloss aber trotzdem die Hand ein wenig fester um die versteckte Waffe. Eine Bewegung, die Sephiroth trotz ihrer Behutsamkeit sofort auffiel. „Sie können Ihre Waffe stecken lassen, ich bin nicht hier, um zu töten.“ „Dann gebe ich Ihnen einen Tipp, Crescent! Trommeln Sie Ihre Leute zusammen und verlassen Sie Midgar. Geben Sie die Stadt endlich an die hier lebenden Menschen zurück, sie haben genug unter der Herrschaft ShinRa´s gelitten!“ „Korrekt. Genau deshalb bin ich hier. Sie sehen aus wie jemand, der auf der Suche nach Technikern für die Solarplatten ist.“ Roger blinzelte verblüfft. „Soll das ein Scherz sein?“, brachte er schließlich hervor. Sephiroth schüttelte den Kopf. „Ich habe die Technik von Makoreaktoren verinnerlicht. Die von Ihnen benutzten Solarplatten sind wesentlich unkomplizierter. Abgesehen davon werden Sie jede Möglichkeit nutzen müssen, wenn Sie die Umstellung vor Einbruch des Winters erledigen möchten, und dann werden Sie Personal für die Wartung benötigen.“ Roger stand immer noch völlig bewegungslos da, die Hand fest um die unter der Jacke versteckte Waffe geschlossen. Was Crescent da sagte ... es ergab Sinn, konnte aber nur ein Ablenkungsmanöver sein. Irgendwo schlichen sich schon wieder die verdammten Turks an! Aber ... der General war selbst bewaffnet und hatte es demnach gar nicht nötig, Roger für die Turks hinzuhalten. Also ... meinte er es ernst? „Sie wollen für mich arbeiten? Hat ShinRa seinen Vorzeigekiller wirklich so schlecht bezahlt, dass Sie schon jetzt pleite sind?“ Sephiroth gestattete sich ein amüsiertes Schnauben. „Die Bezahlung ließ zu wünschen übrig, aber so mies war sie nun auch wieder nicht. Außerdem neige ich nicht zur Verschwendung. Es ist noch mehr als genug übrig.“ „Aber Sie kommen nicht ran?“, vermutete Roger grinsend. „Glauben Sie ernsthaft, jemand wie ich lässt sein Geld bei einer durch ShinRa kontrollierten Bank?“ Roger gelang es nicht ganz, seine Enttäuschung zu verbergen. Nein. Natürlich besaß jemand wie Crescent zwar ein Bankkonto, aber der darauf befindliche Betrag dürfte äußerst gering sein. Wahrscheinlich hatte der General den größten Teil seines Gehaltes sofort nach der Überweisung abgehoben und irgendwo sicher versteckt. Zu schade! Roger zwang die Gedanken wieder auf das eigentliche Gesprächsthema. „Weshalb sollte ich mich auf einen solch zwielichtigen Handel einlassen?“ „Weil Sie ruhiger schlafen werden, wenn Sie ansatzweise wissen, wo ich bin.“ Roger öffnete den Mund, schloss ihn aber nur Sekunden später wieder, sah schweigend zu Sephiroth hinüber, suchte nach einer neuen Möglichkeit, die Oberhand zu gewinnen – und wurde fündig. „Sie und die verdammten Turks haben unsere Techniker auf dem Gewissen, und Sie haben Destin getötet! Soll ich das einfach so vergessen?!“ „Nein.“ Sephiroths Stimme klang völlig ruhig. „Sie sollten niemals vergessen, wozu ich fähig bin. Aber momentan geht es nicht um Macht oder Exekution, sondern um diese Stadt und den bevorstehenden Winter, und darum, dass wir alle uns beweisen müssen, auch ohne ShinRa überleben zu können.“ „Die Argumente sind gut, aber ich traue Ihnen trotzdem nicht.“ Sephiroth schmunzelte keinesfalls verhalten. „Das würde ich an Ihrer Stelle auch nicht. Aber ich würde erkennen, wenn man mir die Chance gibt, eine große Kraft auf die eigene Seite zu ziehen.“ Roger schwieg abermals. Die Aura dieses Mannes ... irgendetwas in ihr hatte sich verändert. Jetzt schien sie mehr widerzuspiegeln als `nur´ einen gnadenlosen Killer. Mit Sicherheit trug das Verschwinden ShinRa´s viel dazu bei, noch mehr Gewicht allerdings maß Roger dem genannten Verlust des Generals zu. Destin hatte viele Geschichten über Cutter gehört und weitererzählt. Die junge Frau war mehr für Sephiroth gewesen, als alle anderen. Viel mehr. Ganz egal was man haben musste, um das Herz dieses Mannes zu öffnen, Cutter hatte darüber verfügt. Jetzt war sie nicht mehr da und würde wohl nie wieder zurückkommen. So wenig Roger es sich anfangs zugestehen wollte, die Erkenntnis, dass auch der General einen – vielleicht den höchsten – Preis an ShinRa gezahlt hatte, sickerte immer tiefer in sein Bewusstsein ein. Letztendlich bewirkte genau diese Erkenntnis die entscheidende Wendung. „Wenn ich ablehne, werden Sie das nicht akzeptieren, oder?“ „Nein.“ Roger seufzte, schüttelte den Kopf, seufzte abermals und knurrte schließlich: „Wenn Sie mir oder `Solar Solution´ Ärger machen, Crescent, schwöre ich Ihnen, dass ...“ Er verstummte, nicht zuletzt aufgrund Sephiroths spöttischem Gesichtsausdruck, und wechselte das Thema. „Was ist mit Shinra, diesem Mistkerl?“ „Tot.“ „So? Zufälligerweise war ich Zeuge, wie man ihn aus der Stadt gejagt hat.“ „Für einen Rufus Shinra ist das ziemlich `tot´.“ „Er wird zurückkommen.“ „Zufälligerweise weiß ich, dass ... gewisse Kräfte ein ganz besonderes Auge auf ihn haben. Er ist für den Rest seines Lebens kuriert, ob er will oder nicht.“ Es war die Gewissheit in der Stimme des Generals, die Roger davon abhielt, auch nur einen Sekundenbruchteil zu zweifeln, und so erkundigte er sich stattdessen nach dem Verbleib der `verdammten S-1 Einheiten´. „Vernichtet“, antwortete Sephiroth und strich gleichzeitig mit einer zu gleichen Teilen aussagekräftigen, wie auch beiläufigen Bewegung mit den Fingerspitzen über den Griff des legendären Katanas. Roger verzog das Gesicht. „In Ordnung. Was waren diese Biester überhaupt?“ „Biester.“ Und dann, um auf eine neue Ebene zu wechseln: „Planen Sie, mit den noch vorhandenen Solarplatten in den geheimen Lagern die Energie für die zu produzierenden Exemplare herzustellen?“ „Momentan“, antwortete Roger mit einer Stimme, welcher der leichte Ärger über das Wissen des Generals hinsichtlich der Restmengen an Solarplattern in den Geheimlagern innewohnte, „bleibt uns nur das.“ „Es ist ein neuer Anfang. Diesmal wird es für Sie besser laufen.“ „Ärgern Sie mich nicht, Crescent. Sparen Sie Ihre Energie lieber für die Schulungen und die ersten offiziellen Begegnungen in Ihrer neuen Rolle mit der Bevölkerung Midgars. Ich habe das Gefühl, Ihnen könnte ich das `Solar Solution´ Logo auf die Stirn zeichnen, es würde Ihnen trotzdem nicht ein Funken Freundlichkeit entgegenschlagen.“ „Ich habe für ShinRa gearbeitet“, erinnerte Sephiroth. „Mit fehlender Freundlichkeit kenne ich mich aus. Außerdem lege ich großen Wert darauf, eigene Funken zu schlagen.“ Roger seufzte ein letztes Mal leise – und dann kapitulierte er, nahm die Hand von der Waffe und nannte seinem neuesten Mitarbeiter Datum, Ort und Uhrzeit der ersten Schulung. Sephiroth prägte sich die Daten ein und wandte sich anschließend ohne ein weiteres Wort zu verlieren zum Gehen. Roger sah ihm nach. Er war sich immer noch nicht sicher, ob er gerade einen Fehler begangen hatte und in welche Kategorie er diesen Mann stecken sollte, und er ahnte, dass er noch einige Male darüber nachdenken würde – aber ihm war auch klar, dass sich Menschen verändern konnten, wenn die auf sie einwirkenden Kräfte nur stark genug waren. Warum sollte das nicht auch auf Crescent zutreffen? Und so begann Sephiroths Ausbildung als Techniker bei `Solar Solution´. Wie erwartet reagierten seine neuen Kollegen mit Überraschung, Misstrauen und Ablehnung, aber all diese Reaktionen waren dem General zu vertraut, um ernsthaften Schaden anzurichten. Er ignorierte sie und konzentrierte sich auf das neue Themengebiet, welches sich (wie erwartet) als interessant, aber nicht sonderlich schwierig herausstellte, und es dauerte nicht lange, bis er alles verstanden hatte und seine ersten Touren antrat – zu seiner eigenen Erheiterung mit Roger als Aufpasser/Erklärer bezüglich möglicher und sehr wahrscheinlicher Unannehmlichkeiten. Die Reaktionen der besuchten Haushalte waren sehr unterschiedlich. Manche Personen waren zu verblüfft, um ernsthaft zu diskutieren, andere diskutierten so intensiv mit Roger, dass sie gar nicht bemerkten, wie sich Sephiroth völlig unauffällig entfernte, die Kollektoren anbrachte, aktivierte und demonstrativ zufrieden an den beiden immer noch wild diskutierenden Parteien vorbeiging, die soeben benutzte Bohrmaschine noch in der Hand. Irgendwann hatte sich herumgesprochen, dass General Crescent – jedenfalls momentan – auf der Seite der `Guten´ war, aber nicht alle glaubten an den Seitenwechsel. Mehrere Male musste sich Sephiroth gegen Angreifer verteidigen, und er tat es mit Masamune und auf dieselbe harte, kaltblütige Art die Midgar so gut kannte, aber er kämpfte immer nur solange, bis die Attentäter hektisch die Flucht ergriffen. Er verfolgte sie nie. Die so übermittelte Botschaft brauchte keinerlei Übersetzung. Irgendwann gaben seine Feinde auf und ihm so die Möglichkeit, sich wieder intensiv auf die ihm wichtigen Punkte zu konzentrieren. Sein Körper, zum Beispiel. Jenova war restlos verschwunden, und somit fühlte sich sein Körper (größtenteils mental) völlig neu an. Gereinigt und klar definiert. Menschlich. Damit war eine der Fragen, die sich Sephiroth am häufigsten gestellt hatte, endlich endgültig beantwortet. Hinsichtlich dieser Gewissheit schien der Verlust eines Teils seiner Stärke nur ein fairer Preis zu sein, aber die Dank der Lines erlangten Fähigkeiten glichen selbst das problemlos aus – forderten dafür aber die eigene Line des Generals ein. Sephiroth sträubte sich nicht gegen das Wissen. Niemand konnte alles haben, und auf Gaia gab es nun einmal gewisse Spielregeln auch (und vielleicht erst recht) für Blue Wanderer. Die kampflose Akzeptanz verschaffte ihm genug mentalen Raum, um sich Gedanken über andere Dinge zu machen. Für einige Zeit mochte ein Hotel als Schlafplatz und Wohnort ausreichen, aber irgendwann wurde Sephiroth klar, dass er damit nicht zufrieden war. Sich ein neues, eigenes Zuhause zu suchen war eine der größten Herausforderungen seines bisherigen Lebens – und er zeigte sich ihr gewachsen. Das neue Haus befand sich irgendwo zwischen Zentrum und Rand Midgars. Es war, wie alle Häuser der Stadt, von außen nicht sonderlich schön anzusehen, aber in seinem Inneren befanden sich große, helle Räume, die Sephiroth nach und nach entsprechend ausstattete. Niemals zuvor hatte er auf diese Art und Weise gewohnt. Vieles war spannend und neu, aber alle anderen Dinge waren fremd und seltsam. Sie kratzten in seiner Wahrnehmung und ließen sich nur schwer glatt schleifen oder widersetzten sich dieser Prozedur auch komplett und zeigten sich nach jeder `Behandlung´ nur noch widerspenstiger. In die letzte Kategorie konnte man die Nächte im Laufe der ersten Wochen ordnen. Sie waren seltsam lang und fremd, selbst wenn der General sie lesend oder trainierend verbrachte. Sephiroth sagte sich, dass diese Empfindung nur an der neuen Umgebung lag und nachlassen würde, sobald er und das Haus sich aneinander gewöhnt hatten, aber es dauerte trotzdem sehr lange, ehe dieses Gefühl auch nur ansatzweise verblasste. Gleichzeitig musste er sich den Herausforderungen stellen, die ein Singlehaushalt mit sich brachte. Manche von ihnen ließen sich schneller bewältigen, stellten aber mental hohe Erwartungen. Der (erfolgreiche) Kauf eines eigenen Autos oder, generell, einkaufen gehen. Sephiroth hatte sich in jeder einzelnen, jäh losbrechenden Schlacht schon nach Sekunden problemlos zurechtgefunden, aber die Anordnung der Lebensmittel in einem Supermarkt erschien ihm nicht gerade logisch. Und dann diese aus den Decken herabrieselnde Musik! Die Tatsache, einen dieser lächerlichen Einkaufswagen schieben zu müssen! Im ShinRa HQ hatte eine Mail oder ein kurzer Anruf gereicht und der gewünschte Gegenstand war ihm unauffällig gebracht worden ... aber ShinRa war Geschichte. Und so schob Sephiroth innerlich knurrend, aber äußerlich restlos erhaben seinen Einkaufswagen vor sich her, wie alle anderen auch. Irgendwann wurde dem General klar, dass sich das Verhalten der anderen Menschen ihm gegenüber änderte und dies nur an im Grunde völlig unspektakulären Dingen wie `einkaufen gehen´ liegen konnte. Wirkliches Vertrauen schlug ihm dennoch nicht entgegen, aber darauf legte Sephiroth es auch gar nicht an - die Veränderungen zeigten sich aber dennoch in anderen Elementen. Unvermittelt während der Arbeit angebotene Tassen mit Kaffee, zum Beispiel. Das restlos begeisterte „Vielen, vielen Dank!“ einer 14-jährigen, die eine Sekunde später vor Begeisterung quietschend im Badezimmer verschwand, um nach Wochen der Enthaltsamkeit endlich wieder ein langes, heißes Bad zu nehmen, statt nur kurz und kalt zu duschen (und die ihn somit von der Art her sehr an Cutter erinnerte). Das kurze, grüßende Nicken von (männlichen) Personen, die ihm auf der Straße begegneten, und, im kompletten Gegensatz dazu, (weibliche) Teenager und Frauen, die ihm mit einem sehr seltsamen Augenausdruck nachsahen oder sich bei seinem Anblick gegenseitig anstießen und kicherten, ein Verhalten, das Sephiroth lange Zeit große Rätsel aufgab, bis er irgendwann begriff, was es damit auf sich hatte. Er dachte lange darüber nach, wie er diese Teenager und Frauen sehen sollte, dann entschied er sich, sie aufgrund gewisser (wesentlich dezenter geäußerter, aber dennoch existenter) Parallelen zu seinen ehemaligen SOLDIER Kadetten als deren weibliche, wesentlich albernere und nicht unter seinem Kommando stehende Wesen zu betrachten – und geflissentlich zu ignorieren, auf eine Art und Weise, die ihnen klar machte, dass er sie zwar wahrgenommen hatte, aber dennoch keinerlei Annäherungsversuche wünschte. Seinem Wunsch wurde entsprochen, zwar ohne jegliche Begeisterung, aber damit mussten die benachteiligten Parteien klar kommen. Im Großen und Ganzen aber wurde Sephiroth irgendwann klar, dass die Personen um ihn herum vorsichtig anfingen, ihn als einen der ihren zu akzeptierte. Dasselbe galt auch für seine Nachbarn. Langsam wurden sie ... zutraulich. Sephiroth konnte es nicht anders beschreiben. Vielleicht lag es an seinem Job bei Solar Solution und der damit vermittelten Botschaft, vielleicht auch daran, dass er so viele Dinge genau so tat, wie alle anderen. Und so wurde aus seinem: `Ich bin immer gefährlich!´ ein `Ich kann gefährlich werden.´ (was für manche noch schwerer einzuschätzen war als die vorherige Version) und: `Ich lege keinen Wert auf euch!´ wurde zu: `Ich lege keinen Wert auf euch, aber das heißt nicht, dass ich danach trachte, euch Schaden zuzufügen.´ - und diese Gewissheit reichte den meisten aus, um die aktuelle Situation zu akzeptieren. Über all diese Dinge dachte Sephiroth nach, wenn er nachts nicht schlafen konnte und weder mit Masamune noch mit den Lines, die er nach wie vor klar vor Augen hatte, trainieren wollte. Er hatte viel gelernt, empfand den Kontakt mit anderen Menschen allerdings immer noch als zu schwierig, um sich dabei wirklich zu entspannen – aber die Tatsache, dass all diese Leute auf ihre ganz persönliche Art und Weise seinen Neuanfang mit sich und der Welt begleiteten und ihren Teil dazu beitrugen, ließ einiges verständlicher werden. Vielleicht würden sie ihm eines Tages sogar ... verzeihen. Nicht, dass Sephiroth irgendetwas davon abhängig machte. Seine Aufgabe bestand nicht in der Suche nach Vergebung, sondern im täglichen Überleben und dem Anschluss der Solarplatten nebst sämtlichem Zubehör, einer Arbeit, die er ebenso ernst nahm wie seine frühere Tätigkeit als General bei SOLDIER. Aber er hatte den Unterschied zwischen `Angst´ und `Respekt´ jetzt endgültig verinnerlicht und momentan war ihm `Respekt´ wesentlich lieber. Der Herbst verging und es wurde Winter. Noch immer waren die Solar Solution Techniker dabei, innerhalb und außerhalb von Midgar Solarplatten anzubringen und mussten jetzt mit eisigen Temperaturen und anderen schwierigen Bedingungen kämpfen. Sephiroth leisteten die Lines gute Dienste. Zwar kam er immer noch nicht ganz an Cutters Geschick heran, aber er fand sich zurecht, und das ohne damit aufzufallen. Außerdem sah er hin und wieder nach Rufus, dessen Line verriet, dass sich ihr Besitzer in die Einsamkeit zurückgezogen hatte und wünschte, in Ruhe gelassen zu werden. Hojos Schicksal war, wie ein paar kurze Zeilen in der für Midgar und die Region zuständige Zeitung besagten, noch ein wenig drastischer geworden. Spaziergänger, so hieß es, hätten einen ganz offensichtlich geistig verwirrten Mann aufgelesen, der daraufhin in eine entsprechende Institution gebracht worden war. Hojo in der Klapsmühle! Sephiroth musste grinsen, wann immer er daran dachte, wusste er doch, dass dem Professor mit keiner Therapie und keinem Medikament dieser Welt mehr zu helfen war. Das `größte Genie der Electric Power Company´ würde den Rest seines Lebens mental in jener Nacht verbringen, in der Sephiroth zu ihm gekommen war, um sich für den Schmerz der zurückliegenden Jahre zu `bedanken´. Aber jegliche Emotion des Generals wurde durch Trauer ersetzt, wann immer er an Cutter und Zack dachte, und das tat er jeden Tag, zumal auch keine Nacht verging, in der er nicht einen Traum träumte, in dem Zack oder Cutter oder beide zusammen vorkamen. Er vermisste die beiden entsetzlich, und dieses Gefühl begleitete ihn durch den Winter und wurde auch mit Beginn des Frühlings nicht schwächer, auch, wenn dieser früh und mit ähnlicher Macht kam, wie im vergangenen Jahr. Überall grünte und blühte es. Gaia hatte sich vollständig regeneriert. Selbst die in der `Nacht des Meteors´ verursachten Zerstörungen der Landschaft, wie Gebirge oder Meere, existierten wieder, und das schöner als zuvor. Speziell dort, wo die Makoreaktoren gestanden hatten, war das Gras grüner als sonst, und selbst in den Überreste des gewaltigen ShinRa HQ´s grünte und blühte es. Gerade hier kam Gaias Botschaft, ein nur geflüstertes und dennoch allgegenwärtiges: `Ich bin OK!´ doppelt so stark an. Die Bevölkerung Midgars hatte sich entschlossen, das zerstörte HQ in exakt diesem Zustand zu belassen, ein Mahnmal gegen zuviel Arroganz, Raffsucht und Machtgier, an dem die Menschen hin und wieder Blumen oder Kränze im Gedenken an die Verstorbenen niederlegten. Es wirkte. Die Menschen gingen jetzt anders miteinander um, freundlicher und toleranter. Viele setzten ein ganz besonderes Zeichen, gaben ihre Wohnungen auf und bauten vor Midgar erneut, und noch mehr sprachen sich für eine Demontage der entsetzlichen Platte, dem letzten in der Stadt existierenden ShinRa Bauwerk, aus, und begannen, sie einzureißen oder wenigstens große Löcher zu schaffen. Alles steuerte auf eine friedliche Zukunft hin. Mittlerweile half Sephiroth auch bei der Anbringung und Aktivierung von Solarplatten außerhalb Midgars, des weiteren hatte Roger ihm die Ausbildung der Anfänger übertragen, und so skeptisch manche dieser Entscheidung gegenüberstanden, irgendwann mussten auch sie zugeben, dass es keinen Grund für Beanstandungen gab, denn alle, die durch die Ausbildung des ehemaligen Generals gegangen waren, hätten sich eher lebendig begraben lassen, statt schlechte Arbeit abzuliefern. Dem Frühling folgt ein Sommer, der ebenso hell und warm war, wie der vom vergangenen Jahr. Sephiroth besuchte jene Lichtung mit dem See und der halbverfallenen Holzhütte, aber ohne Cutter war es nicht dasselbe, und so verließ er den Ort wieder, das Herz erfüllt von schweren, bittersüßen Erinnerungen. Die Hoffnung auf ein Wunder allerdings war ungebrochen und sie blieb es den gesamten Sommer über. Nichts geschah. Und dann, eines Tages, kam der Herbst. Einmal mehr begannen die Blätter an den Bäumen, sich bunt zu färben und irgendwann zu Boden zu fallen, wo sie einen raschelnden Teppich bildeten, einmal mehr wisperte der Wind in immer trockener werdenden, schwindenden Gras, einmal mehr wurden die Tage kürzer und die Nächte länger, einmal mehr lag in der Luft dieser bestimmt unbestimmte Duft von Aufbruch und Abschied – aber auch noch etwas Anderes. Es verschaffte Sephiroth schlaflose Nächte und trieb ihn ruhelos durch die Straßen Alt-Midgars, vorbei an Häusern, die ausnahmslos durch die Energie von Solarplatten versorgt wurden und absolut nichts mehr mit der Electric Power Company und ihren Makoreaktoren zu tun hatten, es ließ ihn an die Städte und Dörfer außerhalb Alt-Midgars denken, die ebenfalls durch das Licht der Sonne mit Kraft versorgt wurden, es ließ ihn an seine Techniker denken, die jedem Wetter trotzten um eine Störung zu beheben, nicht aus Angst, sondern weil es ihr eigener Wunsch war ... ShinRa schien so endlos lang her zu sein – und war für Sephiroth dennoch ganz nah. Wenige Tage später jährte sich Zacks Todestag zum ersten Mal. Sephiroth hatte das ganze Jahr um den 1st getrauert, aber an diesem Tag schlug der Schmerz noch einmal mit aller Härte zu und machte es dem General unmöglich, an irgendetwas anderes zu denken. Er stand gedanklich an Zacks Grab und versuchte, die richtigen Worte zu finden, aber es gelang ihm ebenso wenig, wie bei all den Besuchen davor. Vielleicht gab es aber auch gar keine `richtigen´ Worte. Der Tag verging und ließ eine seltsame Leere zurück, die sich vorerst weder ausdehnte, noch schrumpfte, sondern es vorzog, eine gewisse Höhe beizubehalten und sich einige Tage später noch einmal zu steigern. Als Sephiroth an diesem Nachmittag durch die Straßen Alt-Midgars wanderte, waren seine Gedanken ausschließlich bei Cutter. Heute war ihr Todestag. `Es´ war schon 1 Jahr her ... Wahrscheinlich, dachte der General, habe ich deshalb letzte Nacht so intensiv von dir geträumt. Du bist in Gestalt eines Phoenix aus einem Haufen Asche aufgestiegen, hast dich einmal geschüttelt, bist währenddessen wieder zum Menschen geworden, so, wie du immer warst, und mir um den Hals gefallen, so, wie du es immer getan hast. Ich war so glücklich, ich wollte dich für immer und ewig festhalten ... Dann bin ich aufgewacht. Und du warst wieder so weit weg ... Aber ich werde nicht aufhören, zu hoffen, hörst du mich? Es wird in meinem Leben niemals jemanden geben, der dich ersetzen könnte, also wenn du nicht willst, dass ich allein bleibe, musst du zurückkommen. Die ganze Situation glich einem Bannzauber, der nur auf das richtige Wort wartete, um zu erlöschen und eine andere Magie freizugeben, die es in dieser Form noch nie oder bisher nur sehr selten gegeben hatte. Auch daran musste Sephiroth denken, und er tat es zu intensiv um zu bemerken, welchen Weg er einschlug. Erst als der Boden unter seinen Füßen ein ganz bestimmtes Muster annahm, wurde sich der General über die nähere Umgebung bewusst: Er stand zum ersten Mal seit über einem Jahr wieder auf dem Grundstück, das früher zum ShinRa HQ gehört hatte, und vor ihm begann der riesige Schutthaufen, der trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit immer noch zu größten Teilen mit Pflanzen bedeckt war. Sephiroth zögerte, dann aber setzte er sich langsam in Bewegung und begann, die im hellen Licht liegenden Überreste zu umrunden, gleichzeitig nahm er wahr, wie sein Herz anfing, ein wenig schneller zu schlagen. So besiegt und unterworfen dieser Ort war, er barg auch viele, viele Erinnerungen, gute und schlechte, helle und dunkle, Leben und Tod, Glück und Verdammnis, Ewigkeit und flüchtiger Moment all das verschmolz zu einem Ganzen, als Sephiroth um eine Kurve bog ... und jäh erstarrte. Auf einem der etwa kniehohen Schutthaufen, mitten in der schönsten Herbstsonne, saß Zack und polierte sein Busterschwert. Für einen kurzen Augenblick glaubte Sephiroth, zu träumen - aber der Augenblick ging vorbei und das Bild blieb unverändert. Irgendwann setzte sich der General langsam in Bewegung und näherte sich dem 1st, die Sonne ungewollt im Rücken, und so legte sich irgendwann sein Schatten auf Zack. Dieser hielt nach einer Weile inne und grollte ohne aufzusehen: „Du stehst mir im Licht!“ Sephiroth hätte darauf hinweisen können, dass der 1st sogar im Dunklen sehen konnte, aber er wagte es nicht, rechthaberisch zu sein, aus Angst, das Bild vor seinen Augen könnte sich sofort auflösen, und so wechselte er schweigend den Standort, um Zack die mit Sicherheit lang vermisste Sonne zurückzugeben. Dieser nahm das neue Licht schweigend zur Kenntnis und fuhr mit der Politur seines Schwertes fort. Irgendwann konnte Sephiroth die Stille nicht mehr ertragen. „Zack.“ Seine Stimme klang ganz leise und zutiefst ehrlich. „Es tut mir leid.“ „Was tut dir leid?“ „Alles.“ Zack beendete die aktuelle Tätigkeit nicht, aber er neigte leicht den Kopf, sicheres Zeichen für die Bereitschaft, weiter zuzuhören – und Sephiroth wusste, dass er jetzt die richtigen Worte finden musste, Worte, die er so lange gesucht und nicht gefunden hatte ... jetzt kamen sie zu ihm, als hätten sie ihn all die Zeit bewusst ignoriert, um Kraft für genau diesen Augenblick zu sammeln. „Du und Cutter“, fuhr Sephiroth leise fort, „habt mir so viel beigebracht. Über euch, die Welt, die in ihr lebenden Personen ... und letztendlich auch über mich selbst. Es gibt Dinge, die ich immer für sinnlos und unnötig gehalten habe, aber trotzdem brauche, auch, wenn sie mich vielleicht als `schwach´ darstellen. Manchmal bedeutet `Stärke´, ganz bewusst eine `Schwäche´ zuzulassen. `Distanz´ ist nur dann sinnvoll, wenn man nicht im tiefsten Grunde seines Herzens nach `Nähe´ sucht. `Nähe´, die richtige, gute Version bedeutet nicht, dass man unterdrückt wird. Und die wahre Bedeutung von echter Freundschaft lautet: `Du bist niemals allein, ganz egal, was geschieht!´. Ihr hättet mich auch in Nibelheim nicht allein gelassen. Mit euch im selben Raum wäre alles anders gekommen. Eine derartige Eskalation der Geschehnisse ...“ Er verstummte, schüttelte den Kopf und wiederholte leise: „Es tut mir leid. Ich erwarte nicht, dass du mir verzeihst, aber ich wollte es dich wenigstens wissen lassen.“ Für einen kurzen Moment zeigte Zack gar keine Reaktion. Dann aber führte er die angefangene Bewegung zu Ende, hob den Kopf um Sephiroth zum ersten Mal seit Beginn des Gespräches direkt anzusehen und antwortete bitter: „Ich wünschte, du hättest dich früher an die Bedeutung von Freundschaft erinnert.“ „Ich auch!“, antwortete Sephiroth mit derselben Betonung. Zack schwieg einen Moment. „Gaia hat mir vom Jenova Projekt erzählt“, sagte er schließlich ruhig. „Und um ehrlich zu sein, ich bin in Tränen ausgebrochen. Von allen grauenhaften Taten, die ShinRa jemals begangen hat, wird das wohl für immer meine Nr. 1 bleiben. Ich ... kann nachvollziehen, dass du Amok gelaufen bist.“ Sephiroth blinzelte irritiert. Er hätte einen Wutausbruch seitens Zack erwartet, vielleicht sogar einen neuen Kampf, immerhin hatte der 1st im Rahmen der stattgefundenen Ereignisse sein Leben und seine Freundin verloren. Rache wäre nur nachvollziehbar gewesen. Und jetzt das? Verständnis? Sephiroth schüttelte den Kopf. „Nach allem, was ich dir angetan habe, kannst du unmöglich nicht wütend auf mich sein.“ „Oh“, fauchte Zack jäh, „ich bin wütend auf dich, Sephiroth! Du hast mich getötet, du hast Aerith getötet, du hast Cuttie getötet und um ein Haar auch dich selbst und die ganze Welt! Ich bin wütend auf dich ...“, seine Stimme wurde wieder völlig ruhig, „... aber Dank Gaia kenne ich die Details. Ich mache dir keinen Vorwurf.“ Sephiroth schwieg einen Moment und fragte sich, ob er diese Aussage wirklich so akzeptieren durfte. Zacks Worte ergaben Sinn, waren jedoch nicht logisch und spielten sich somit auf jener Ebene ab, die dem General trotz aller bisher erworbenen Kenntnis immer noch gewisse Probleme bereitete. Und obwohl er wusste, dass man Dinge wie `Logik´ manchmal ausklammern musste, leicht fiel es ihm nicht. Vielleicht würde er sogar bis zum Ende seines Lebens damit Schwierigkeiten haben und Hilfe brauchen - aber er war bereit, damit zu leben und andere um diese Unsicherheit wissen zu lassen. „Das geht?“, fragte er schließlich leise. Zack seufzte leise, legte das Busterschwert beiseite, schüttelte den Kopf und erhob sich. „Ja, du Idiot, das geht. Siehst du, Seph, manches hast du immer noch nicht begriffen.“ Und dann ... grinste er. Jenes berühmt berüchtigte Fair-Grinsen. „Man kann dich einfach nicht alleine lassen. Und deshalb bin ich wieder hier: Um auch weiterhin deinen Babysitter zu spielen! Freust du dich?“ Für einen Moment konnte Sephiroth gar nicht reagieren. Soeben hatte sich einer seiner größten Wünsche erfüllt. Er bekam noch eine Chance. Vielleicht war es wirklich die letzte ... Diesmal würde er wirklich gut darauf aufpassen! Irgendwann gelang es ihm, stumm zu nicken. „Sehr gut!“ Gleichzeitig steigerte sich Zacks Grinsen noch einmal. „Möglicherweise wirst du dich nämlich gleich noch viel mehr freuen, denn ... ich bin nicht alleine zurückgekommen.“ Seine Worte stürzten Sephiroth in einen jähen mentalen Fall – fingen ihn aber nur wenige Sekunden später äußerst sanft und klar wieder auf. „Sie hat gesagt, du wüsstest ganz genau, wohin du gehen musst, um sie zu finden.“ Zack lächelte. „Also, geh schon.“ „Danke“, wisperte Sephiroth und wandte sich um. Es stimmte. Er wusste ganz genau, wohin er gehen musste, um Cutter wiederzufinden, und keine Macht der Welt hätte ihn aufhalten können. Er folgte dem Weg um das zerstörte ShinRa Gebäude herum, ging weiter und weiter, näherte sich einer ganz bestimmten Stelle, dort, wo vor so vielen Jahren alles angefangen hatte, wo von einem ganzen Gebäudeteil nur noch eine Wand und ein Teil des Daches übriggeblieben waren - und dann war es für einen Augenblick, als drehe sich die Zeit zurück, als würden alle Gesetze weich und biegsam, um Dinge geschehen zu lassen, die sonst unmöglich waren. Leben und Tod verschmolzen miteinander und entfesselten dabei jene Magie, die Wünsche erfüllte. Irgendetwas Dunkles verdeckte für einen Sekundenbruchteil das Blickfeld des Generals, dieser reagierte blitzschnell ... und fing es auf. Nicht gerade etwas, das der durchtrainierte Schwertkämpfer als „schwer“ bezeichnet hätte. Aber es strahlte eine ungeheure Wärme aus. Und es war zweifellos ... lebendig. So lebendig. Sephiroth schloss die Augen und wisperte: „Cutter Tzimmek, was habe ich dir über Dächer gesagt?“ „Dass ich mich von ihnen fernhalten soll, solange ich nicht rausgekriegt habe, wie ich sie besiegen kann!“, antwortete die so vertraute, so lange nicht mehr gehörte, so sehr vermisste Stimme – und fügte dann hörbar grinsend hinzu: „Aber ich dachte, das gilt nur, wenn du mich nicht auffangen kannst?“ „Ganz genau“, flüsterte Sephiroth. Einen Sekundenbruchteil später schlang Cutter die Beine um seine Taille und fiel ihm um den Hals, schmiegte sich an ihn und krallte sich in sein Hemd, so fest, dass der General für einen Moment der festen Überzeugung war, sie würde ihn nie wieder loslassen, gleichzeitig realisierte er, Cutter längst auf dieselbe Art und Weise festzuhalten – aber es war nicht genug. Was fehlte, war der letzte große Sieg über sich selbst, das bisher ungesagte sagbar zu machen, eine weitere große Wahrheit mitzuteilen ... Jetzt war es auf einmal ganz einfach. „Ich liebe dich.“ Nur ein Flüstern, nur für Cutter bestimmt, und sie schloss die Arme noch fester um ihn, eine Antwort, die tiefer ging, als es jedes ausgesprochene Wort jemals vermocht hätte. „Meine Phoenix“, wisperte Sephiroth und lauschte nur einen Herzschlag später dem ebenso leisen: „Für immer und ewig!“. Nach allem, was sie zusammen erlebt hatten, war dies die einzig akzeptable Zeitspanne. Es dauerte mehrere Minuten, ehe Sephiroth die Augen langsam wieder öffnete und tief durchatmete. Die Bewegung brachte Cutter dazu, ihre Umarmung ein wenig zu lösen, ihren Kopf von seiner Schulter zu nehmen und ihn schließlich wieder nach vorn sinken zu lassen, bis ihre Stirn die ihres Freundes berührte. Ein ganzes Jahr lang hatte die junge Frau, genau wie Zack, im Herz des Planeten geschlafen, um Kraft für die Rückkehr zu sammeln, und jeder einzelne von Cutters Träume war erfüllt von Sephiroth gewesen – und jetzt waren sie wieder zusammen. „Ich habe dich so vermisst!“ „Ich dich auch“, antwortete Sephiroth leise. „Für einen Moment war ich ganz sicher, dich für immer verloren zu haben. Was du getan hast ... Du bist wahnsinnig.“ Cutter grinste vergnügt. „Nicht mehr und weniger als du und Zack. Deshalb passen wir ja so gut zusammen.“ „Aber wirst du deine Fähigkeiten und die Lines nicht vermissen?“ „Die Lines? Oh, richtig, fast vergessen!“ Sie hob den Kopf, eine Bewegung, die zum ersten Mal den Blick auf ihre Augen freigab – auf Augen, die in der alt vertrauten Farbe leuchteten. Nicht der geringste Rest Bernstein war zu entdecken. „Du bist wieder gesund!“ Cutter lachte vergnügt. „Ich schätze, Gaia hat den Lebensstrom benutzt, um das G-Mako zu neutralisieren und meinen Körper zu heilen. Es ist nichts mehr übrig, nirgends!“ Und dann ... streckte sie die Hand aus. Nur eine Sekunde später fiel die Luna Lance hinein, völlig intakt und sanft leuchtend. Sephiroth versuchte gar nicht erst, seine Verblüffung zu unterdrücken. „Du hast sie zurück?!“ „Inklusive aller anderen Fähigkeiten. Damit gibt es jetzt zum ersten Mal 2 Blue Wanderer, welche die Lines beeinflussen können. Jetzt bist du platt, was? Gaia ist der festen Überzeugung, dass es so am allerbesten ist, und weißt du was?“ Sie lachte vergnügt. „Das ganze war meine Idee! Der Planet hat auf mich altes Oberschussel gehört! Jetzt darfst du mich niiiiieeee wieder kritisieren!“ “ Sephiroths Antwort bestand aus einem innigen, langen Kuss. Diesmal hatte die Einsamkeit wirklich verloren. Irgendwann stellte der General Cutter vorsichtig wieder auf dem Boden ab, aber er ließ ihre Hand auf dem Rückweg zu Zack nicht einen Sekundenbruchteil lang los – einen Anblick, den der breit grinsende 1st nicht unkommentiert lassen konnte. „Ich frag mich gerade was passiert, wenn ihr das mit den Lines vergesst und auf einer sehr schmalen, beidseitig von hohen Mauern gesäumten Straße einer genau in der Mitte angebrachten Straßenlaterne begegnet.“ „Der Aufenthalt im Lebensstrom hat dich kein bisschen verändert“, grollte Sephiroth. „Wozu auch? Ich bin großartig genug.“ Sephiroth stöhnte leise, aber dem Geräusch wohnte große Heiterkeit inne. „Natürlich“, fuhr Zack grinsend fort, „nicht so großartig wie der Herr Ex-General. Jetzt beherrscht er auch noch die Lines – und er wird keinen Blödsinn damit anstellen. Wie lang-wei-lig!“ „Für Blödsinn ist Cutter zuständig.“ „Und ich habe jede Menge Blödsinn vor, verlass dich drauf! Ich habe ein Jahr geschlafen! Mein Nachholbedarf ist gewaltig!“ „Übrigens, Seph, großes Kompliment für die Zerstörung von ShinRa, Rufus und Hojo! Das war wirklich genial! Sie haben es nicht anders verdient.“ „Ganz meiner Meinung. Du kannst jetzt aufhören, mir auf die Schulter zu klopfen.“ „Aber das macht Spaß.“ Dann jedoch blieb er stehen, so ruckartig, dass auch Sephiroth und Cutter jäh anhielten und ihn fragend ansahen. Für einen kurzen Moment sagte niemand etwas. Dann erklang Zacks Stimme abermals, leise und sehr ernst. „Es ist wirklich vorbei, oder? Die Guten – nämlich wir – triumphieren, die Bösen sind bestraft, und alles, was von ShinRa geblieben ist, sind unsere Erinnerungen und gelegentlich daraus resultierende Alpträume?“ „Und eine neue Zukunft“, antwortete Sephiroth ernsthaft. „Diesmal werden wir besser damit umgehen. Also ... wie lange hast du vor, wütend auf mich zu sein?“ „Das“, grinste Zack und setzte sich wieder in Bewegung, „kommt ganz auf dich an.“ „Er hat nämlich“, schaltete sich Cutter ebenso breit (und ebenso unheilvoll) grinsend ein, während sie dem 1st folgte, „ eine tolle Idee.“ „Oh, Gnade!“, seufzte Sephiroth. „Cutter, die Worte `Zack´ und `tolle Idee´ im selben Satz zu benutzen ist ...“ „Ein Lieferservice!“, jubelte Zack. „Was?“ „Wir machen einen Lieferservice auf! Cuttie, du und ich lernen, wie man Motorrad fährt – das heißt, ihr zwei lernt, ich Genie kann das bestimmt auf Anhieb - Aerith übernimmt die Planung ...“ „Aerith?“, unterbrach Sephiroth. „Glaubst du, ich lasse mein Mädchen im Lebensstrom? Keine Sorge, im Gegensatz zu mir ist sie kein bisschen wütend, außerdem war sie total begeistert, so lange ungestört mit Gaia sprechen zu können. Frauen kennen so viele Wörter, ehrlich, das ist unglaublich, jedenfalls kommt sie nach, und ... wo war ich?“ „Wir drei, mit Betonung auf `wir´ und `drei´, Zackary Fair, lernen Motorrad fahren, Aerith übernimmt die Planung“, half Sephiroth dem 1st auf die Sprünge. „Richtig! Und wir nennen uns ... Ich wollte uns drei ja immer `Trio Infernale´ nennen, aber jetzt sind wir zu viert, also ... `Quattro Infernale´!“ „Niemals!“, grollte Sephiroth. „`Zacks zackige Zubringer!´“ „Hilfe“, wisperte Sephiroth in Cutters Richtung, erntete ein vergnügtes Lachen und ließ sich davon anstecken. Es tat so gut, seine Freundin und Zack wieder um sich zu haben – und er würde sie nie wieder loslassen. Nie wieder! Gemeinsam verließen sie das Grundstück, auf dem nur noch Bruchstücke an das einst so gigantische ShinRa HQ und all seine Macht erinnerten. „Ich hab´ s! `Trio Infernale plus Aerith, die aufpasst!´ Drei Helden, jeder auf seine ganz eigene Art und Weise, einzigartig, genau wie das Leben und der Lebensstrom selbst, der den Planeten unaufhörlich und rätselhaft durchfließt, erhaben über alle Gegensätze, der Beginn und Ende aller Dinge ist, und Ursprung einer jeden Geschichte. Jeder kann diese Geschichten hören. Man muss nur einen Moment schweigen und lauschen. ~ Ende der Fanfic "FFVII Blue Wanderer - In the lines ~ Nachwort der Autorin „Her faith was strong (but she needed proof) ...“ „Blue Wanderer“ ist zu Ende, und ich möchte mich noch einmal bei euch allen bedanken. Für eure Zeit, eure Geduld, eure Liebe, die Gewissheit wirklich schreiben zu können, die Reviews, die Favoeinträge, eine sich ständig bewegende Statistik, und dass ich für euch sein durfte, was ich schon sein will, solange ich nur denken kann: Autorin. Ihr habt mir mehr gegeben, als ihr euch vielleicht vorstellen könnt. Ihr habt mein Leben verändert. Vielen Dank! Alles Liebe und Gute B. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)