FFVII: Blue Wanderer - In the lines von Ich_eben ================================================================================ Kapitel 53: Loosing my religion ------------------------------- Die sich nach Rufus Rede über die Stadt legende Stille beinhaltete nie zuvor gekanntes Entsetzen. Die Electric Power Company war noch niemals ein sanfter Herrscher gewesen, aber die jetzt an den Tag gelegte Brutalität vermochte selbst die hartgesottenen Bürger zu erschrecken, und ganz Midgar stellte sich dieselben Fragen. 1. Wo war Hiwako Destin? Und 2. Wie würde er reagieren? Denn jetzt lag der weitere Verlauf der Ereignisse ganz allein an ihm. „Oh, dieser verdammte Mistkerl.“ Das Entsetzen in Zacks Stimme hätte für die gesamte Bevölkerung des Planeten gereicht. „Ich hätte Rufus ja viel zugetraut, aber so was ...?“ Er warf dem ihm gegenüber sitzenden Sephiroth einen langen Blick zu. „Wenigstens wissen wir jetzt, was er vorhat. Und, was sich Hojo im Labor zusammengebastelt hat.“ „Ohne jeglichen Zweifel.“ Die Stimme des Generals klang sehr düster. Er hatte Zack in seinem Büro auf den neuesten Stand der Dinge gebracht und war eben fertig geworden, als schlagartig der Fernseher angegangen war. Jetzt waren beide 1st Class SOLDIER wirklich vollständig informiert. „Ob sich Hiwako jetzt freiwillig stellt, was meinst du?“ Sephiroth schwieg und lauschte auf seinen Instinkt. „Ich weiß es nicht“, antwortete er schließlich relativ unzufrieden. „Du weißt etwas nicht?“, stichelte Zack grinsend. „Der große General Sephiroth ist ratlos! Dass ich das noch erleben darf!“ „Nach dem gestrigen Tag“, fuhr Sephiroth mit einem im Unterton deutlich hörbaren `Lass es, Zackary!´ fort, „dürfte er ziemlich demoralisiert sein und sich permanent fragen, warum der Planet nicht eingegriffen hat.“ Zack stellte das breite Grinsen ab und wurde wieder ernst. „Das ist allerdings ziemlich seltsam. Die Solarplatten hat er beschützt.“ Er schüttelte heftig den Kopf. „Das passt doch alles nicht zusammen, Seph! Warum vernichtet der Planet ShinRa nicht einfach? Gaia hat doch mit dem Verschwinden der Reaktoren überdeutlich gemacht, wozu sie in der Lage ist, und mittlerweile dürfte noch mehr Kraft da sein. Weshalb macht sie nicht weiter?“ Und dann, ohne eine Antwort abzuwarten: „Wäre das ein Puzzle, würde ich jetzt eine Schere holen.“ Sephiroth gestattete sich ein leises Stöhnen. „Zackary Fair, du bist furchtbar!“ „Danke für das Kompliment“, grinste Zack, wurde dann jedoch schlagartig erneut ernst. „Aber ganz abgesehen von den ShinRa Geschichten haben du und Cuttie ja auch ganz andere Probleme.“ „Das hängt davon ab, wie geschickt wir uns anstellen.“ Eine für Sephiroth völlig typische Antwort. Es lag ihm im Blut, eine Gesamtsituation niemals als solche zu sehen, sondern auf der Suche nach einer Schwachstelle auseinander zu nehmen. Zu 99,9 % wurde er fündig. „Geht es Cuttie schon besser?“, erkundigte sich Zack. „Nicht seit gestern Abend. Ich ... mache mir Sorgen um sie. In letzter Zeit geschehen zu viele Dinge gegen ihren Willen.“ „Darüber“, antwortete Zack sehr ernst, „habe ich auch schon nachgedacht. Im Grunde ist es nach wie vor dasselbe Problem: ShinRa ist das genaue Gegenteil von Cutties Psyche und daher ein enorm starker Gegner. Cuttie hat sich oft gewehrt, auch oft mit Erfolg, aber jetzt sind die Dinge einfach stärker als sie.“ „Außerdem“, ergänzte Sephiroth leise, „fängt sie an, ihr Verhalten innerhalb ShinRa zu analysieren und zu beurteilen. Für gewöhnlich begrüße ich dieses Vorgehensweise, da sie zur Fehlervermeidung beiträgt. Aber Cutter beginnt, an sich zu zweifeln - und sich die Schuldfrage zu stellen.“ „Oh, gefährlich!“ „Ja. Ich habe versucht, sie davon abzubringen. Aber du weißt, wie emotional sie ist und wie leicht man sich in der Schuldfrage verlieren kann.“ Zack nickte. Die Schuldfrage ... Es gab in seinem ganzen Bekannten- und Freundeskreis niemanden, der sich im Rahmen seiner ShinRa Karriere diese Frage nicht schon mindestens einmal gestellt hatte. Sie war so schwer zu beantworten ... Wo begann `Schuld´? Schon beim Griff nach der Waffe oder doch erst im Kampf? Machte sich der Unterzeichnende auf einem Todesurteil nicht ebenso schuldig, wie die den Beschluss ausführende Kraft? Und wo endete `Schuld´? Bei einer Erkenntnis? Einer Akzeptanz? Dem eigenen Tod? Wer war `schuldig´? Und wer nicht? Wer konnte sich überhaupt erlauben, darüber zu richten? Es gab Fragen, die man sich besser niemals stellte - und wenn doch, dann nur in Gegenwart der richtigen Personen. Aber niemals allein ... „Mein Instinkt“, fuhr Sephiroth mit ruhiger, fester Stimme fort, „sagt mir, dass die Situation kurz davor ist, in eine für Cutter noch unvorteilhaftere Richtung zu kippen, und deshalb werde ich meine Freundin verstärkt im Auge behalten, um einschreiten zu können, wann immer es nötig ist. Selbst, wenn ich sie dabei verletzen muss. Ich wünsche also, dass du dich zurückhältst!“ Zack nickte ernsthaft. So gerne er Cutter mochte, diesmal hatte Sephiroth Recht. „Wenn ich irgendwie helfen kann, lass es mich wissen!“ Sephiroth nickte und wollte noch ein Wort des Dankes anfügen, aber die sich öffnende Tür war schneller. „Cuttiiiiiiiiiiieeeee“, jubelte Zack, stürmte auf sie zu und drückte sie an sich. Es gab im ganzen ShinRa HQ niemanden, der ein „ie“ so lang ziehen konnte, wie 1st Class SOLDIER Zackary Fair. Cutter erwiderte die Umarmung. Ganz egal, wie erschöpft und müde sich die junge Frau fühlte, es tat gut, so fröhlich begrüßt zu werden. „Neuer Rekord“, merkte sie irgendwann sachte schmunzelnd an. „Kannst aufhören.“ „ ... iiiiiieeeeeee ... ich hätte aber noch Luft für 5 Sekunden ... iiiieeeeeeee ...“ Kurze Zeit später allerdings musste er wirklich Luft holen. Gleichzeitig lockerte er grinsend seine Umarmung, wuschelte der jungen Frau durch die Haare und kehrte brav zu seinem Platz zurück. Auch Cutter setzte sich wieder in Bewegung, allerdings diesmal auf den immer noch hinter dem Schreibtisch sitzenden Sephiroth zu, und schlang wortlos die Arme um seinen Hals. Es tat so gut, die Wärme des anderen Körpers zu spüren, und die ebenso wortlose Erwiderung der Umarmung versicherte ihr, Willkommen zu sein. Es dauerte etliche Sekunden, ehe sich die beiden wieder voneinander lösten. „Wie war dein Besuch in Rufus´ Büro?“, erkundigte sich der General, nachdem Cutter auf der Kante seines Schreibtisches Platz genommen hatte. Die junge Frau verzog das Gesicht. „Mies. Absolut, endlos und grauenhaft mies. Dass ich die Stadt immer noch mit den Lines überwachen soll, ist wirklich eine Frechheit. Oh, er lässt sich jetzt übrigens von diesen S-1 Dingern bewachen.“ „Das ging ja schnell“, knurrte Zack. „War zu erwarten“, kommentierte Sephiroth ruhig. „Tseng tut mir so leid“, murmelte Cutter. „Jahrelang war die Bewachung von Rufus Aufgabe der Turks, und jetzt werden sie einfach so ersetzt, durch diese seelenlosen, widerwärtigen, hinterhältigen, unmenschlichen ... Bastarde!“ Sie sah zu Sephiroth hinüber. „Kannst du nichts machen?“ Der General hob spöttisch eine Augenbraue. `Für die Turks?´, sagte diese Bewegung. `Niemals!´ Cutter seufzte leise. Mit genau dieser Reaktion hatte sie gerechnet ... und besaß keine passende Antwort. Sie wusste, die Turks brauchten keine Babysitter, aber es war trotzdem unfair – und so finster, denn wer so intensiv mit Rufus zusammenarbeitete, wie die Turks, so viel wusste und so schnell abserviert wurde, musste damit rechnen, sich früher oder später unfreiwillig im Lebensstrom wiederzufinden. „Was wird jetzt passieren?“, erkundigte sich Cutter leise. „Mit Hiwako, meine ich. Denkt ihr, er wird sich stellen?“ „Ich weiß es nicht“, antwortete Zack ebenso leise. „Ich werde nicht mehr so richtig schlau aus den Geschehnissen. Aber dass Gaia so herzlos ist, ihren Spitzenkämpfer zu verraten, glaube ich nicht.“ „Weshalb sollte sie es nicht tun?“, schaltete sich Sephiroth ein. „Er hat seine Aufgabe erfüllt und ist jetzt nicht mehr nützlich. Warum sollte sie ihn also jetzt noch beschützen? Und jetzt sagt nicht: `Aus Dankbarkeit´.“ Zack und Cutter schlossen ihre geöffneten Münder wieder. Der General schüttelte den Kopf. Hin und wieder erwiesen sich seine beiden besten Freunde als unglaublich vorhersehbar. „Das Hauptziel eines jeden Individuums“, fuhr er fort, „und dazu zähle ich auch den Planeten, ist `Überleben´. Im Extremfall darf es keine Rolle spielen, auf wessen Kosten. Ich gebe zu, dass auch diese Ansicht hinsichtlich der aktuellen Situation gewisse Schwachstellen aufweist, aber ...“ Das Klingeln eines PHS unterbrach ihn. „Cutter Tzimmek“, grollte der General, während seine Freundin hektisch nach ihrem PHS griff, „du hast schon wieder Klingeltöne aus dem Internet runtergeladen!“ „Nein, der ist mir gratis zugeschickt worden ...“ Sie nahm das Gespräch an. „Tzimmek?“ Einen Moment lang blieb es ganz still am anderen Ende. Dann erklang eine Stimme. Sie war fremd, aber nicht unfreundlich. „Hallo, Death Walker Tzimmek Cutter. Erkennst du mich?“ Cutter runzelte die Stirn. „Nicht wirklich, sorry.“ „Wie könntest du auch, du hast meine Stimme ja noch nie gehört ... Das war eine ziemlich blöde Frage, verzeih. Hier ist die schätzungsweise momentan meistgesuchteste Person Midgars.“ Und Cutter begriff. „Oh.“ Und dann, betont fröhlich (und ihres Erachtens nach gänzlich unverdächtig): „Hallo!“ Gleichzeitig sprang sie von der Kante des Schreibtisches, winkte ihren beiden Freunden zum Abschied zu und steuerte die Tür an, hoffend, dass Sephiroth ihr keinen misstrauischen Blick nachwarf. Aber der Unterschied zwischen der Betonung des `Oh´s und des `Hallo´s war dem General ein wenig zu drastisch gewesen. Seine Finger drückten zeitgleich zwei Knöpfe an der Tastatur, und nur eine Sekunde später musste Cutter feststellen, dass sich die auf den Flur führende Tür nicht öffnen ließ. Die junge Frau wandte betont vorsichtig den Kopf. Diesmal zog Sephiroth beide Augenbrauen hoch. `Du kannst mich nicht reinlegen ...´ Dann winkte er seine Freundin betont lässig wieder näher. Cutter überlegte blitzschnell. Natürlich hätte sie die Tür mit Hilfe der Luna Lance öffnen können, aber sie wusste, dass dem General Dinge möglich waren, die für viele andere ShinRa Mitglieder unerreichbar blieben – so z.B. die Umleitung eines laufenden PHS Gespräches auf den eigenen PC, wie Sephiroth es gerade demonstrierte. Die Lautsprecher schalteten sich mit einem leisen Klicken ein, und nur eine Sekunde später erklang Destins Stimme erneut, diesmal für alle Anwesenden gut hörbar. „Hi. Mh ... dieser Anruf wird dir jetzt garantiert ziemlich komisch vorkommen, aber ... Es gibt da einfach noch ein paar Dinge die ich erledigen will, solange es mir noch möglich ist – und du gehörst dazu. Death Walker.“ Cutter ließ deprimiert den Kopf sinken. Jetzt gab es keine Möglichkeit mehr, dieses Gespräch unbemerkt weiterzuführen. Sie warf Sephiroth einen letzten zu gleichen Teilen wütenden wie traurigen Blick zu, kehrte zum Schreibtisch zurück und antwortete Destin. „Nennen Sie mich bloß beim Vornamen oder `Tzimmek´. Dieses Death Walker hat sich mein Boss ausgedacht, und ich finde es grundbescheuert.“ Zu ihrer Überraschung antwortete ihr ein leises Lachen. „Das freut mich sehr. Es beweist, dass ich mich nicht in dir getäuscht habe. Andererseits ... hätte ich wirklich noch Zweifel gehabt, so wären sie gestern beseitigt worden. Und damit komme ich zum eigentlichen Thema. Ich wollte mich bei dir für deinen gestrigen Einsatz bedanken. Dich diesen Kreaturen in den Weg zu stellen, war sehr mutig, und es tut gut zu wissen, dass es selbst bei ShinRa noch Menschen gibt, die sich ihr Mitgefühl bewahrt haben.“ Cutter erstarrte, gefangen in jäher Verblüffung. „Woher wissen Sie, was ich gestern getan habe?“ „Anrufe. Viele haben angerufen, um mich über die Vorgänge in Midgar zu informieren und zu warnen. Unter ihnen waren auch ein paar, die dich beobachtet haben.“ „Aber ich konnte doch überhaupt nichts machen“, flüsterte Cutter und versuchte, die Tränen zurückzublinzeln. „Du hast es versucht. Dieses Wissen reicht mir völlig aus, um deinen Charakter richtig einschätzen zu können. Sei stolz auf diesen Charakter, ok?“ „Ich versuch´ s“, antwortete Cutter leise. „Danke.“ „Sehr gern geschehen. Tzimmek ... ich will dich wirklich nicht überfallen, aber ... möchtest du tatsächlich weiter für ShinRa arbeiten? Wir könnten jemanden wie dich gut brauchen. Eigentlich immer, ganz speziell jetzt.“ Cutter lächelte traurig. ShinRa verlassen ... sogar gegen ShinRa kämpfen ... Rufus die Schranken weisen ... etwas wie Normalität einkehren lassen ... keine Aktionen mehr gegen ihren Willen ... „Hiwako, ich würde nichts lieber, als jetzt `Ja´ sagen, hier alles hinschmeißen und die Fronten wechseln. Aber ... es geht nicht. ShinRa und ich sind wegen gewisser ungeplanter Ereignisse bis auf Weiteres untrennbar miteinander verbunden. Aber“, fauchte sie dann, „ich finde diesen Laden zum Kotzen! Ehrlich! Immer geht es nur um Gewalt und Macht und den Tod! Rufus wird uns noch alle umbringen!“ Ihre Stimme wurde wieder leiser. „Und ich muss hier bleiben ... Ich muss. Vorläufig gibt es keine andere Möglichkeit.“ Einen Moment lang blieb es auf der anderen Seite des PHS ganz still. „Weißt du“, antwortete Destin schließlich, „etwas Ähnliches habe ich mir fast schon gedacht. Es ist nicht nur wegen deines Generals, oder?“ „Nein. Ich bin von einer Substanz abhängig, die sich G-Mako nennt. Bislang kann nur ShinRa sie herstellen, und ich weiß noch nicht, ob Sephiroth und ich eine Alternative gefunden haben. Bis wir es wissen, bleibt mir nur das verdammte G-Mako, sonst erledigt mich der nächste Anfall innerhalb weniger Stunden.“ „Sehr, sehr schade. Aber ich kann deine Entscheidung nachvollziehen. Tja ... Im Grunde war´ s das dann schon.“ „Hiwako? Was wollen Sie jetzt machen?“ „Ich stelle mich.“ Seine Stimme klang völlig ruhig. „Schutz des Planeten hin oder her, ich kann nicht verantworten, dass ShinRa weiter Menschen tötet. Und auf ein Eingreifen Gaias kann ich wohl nicht mehr hoffen.“ „Nein!“ Fast glich es einem Schrei. „Rufus wird Sie töten lassen!“ „Ich weiß. Aber was soll ich sonst tun? Du hast gesehen, was er dieser Stadt gestern angetan hat, und er wird es wiederholen, immer und immer wieder.“ „Aber vielleicht sammelt Gaia schon Kräfte, um etwas dagegen zu tun! Sie dürfen jetzt nicht aufgeben, Hiwako ... Bitte!“ „Und wenn sie das nicht tut? Wie viele fremde Leben ist mein eigenes Leben wert?“ Darauf wusste Cutter keine Antwort. „Aber wir sprechen doch hier von Rufus!“, erinnerte sie schließlich. „Der ist in der Lage und lässt trotzdem weiter töten, nur, weil es ihm Spaß gemacht hat und er seine neuen Einheiten weiter ausprobieren will!“ „Letztendlich muss jeder für seine eigenen Taten gerade stehen. Ich kann nicht verantworten, dass noch mehr Menschen sterben, weil ich mich irgendwo verstecke. Verstehst du? Ich kann einfach nicht.“ Cutter atmete tief ein und aus. Sie hätte gerne noch weiter protestiert, aber im tiefsten Grunde ihres Herzens wusste sie, dass kein Argument dieser Welt den Mann am anderen Ende der Leitung umstimmen konnte. Und so sagte sie nur leise: „Ich habe Sie und `Solar Solution´ von Anfang an sehr gemocht, Destin. Und ich ... hätte mir ein anderes Ende gewünscht.“ „Ja. Ich mir auch. Lebe wohl, Cutter. Es war mir eine Ehre, dich kennen gelernt zu haben.“ „Mir auch, Destin. Und viel ...“ Aber das leise Klicken ertönte, bevor sie Gelegenheit hatte, den Satz zu beenden. Dann war alles still. Cutter stand noch einen Moment lang bewegungslos da, erst dann steckte sie ihr PHS langsam weg, sah zu Sephiroth hinüber und sagte leise: „Siehst du? Wie ich gesagt habe. Rufus kriegt immer, was er will.“ Wie üblich, und wie immer auf Kosten anderer. Es war so ungerecht. So traurig. So erschreckend. Und so endlos deprimierend. Langsam, sehr langsam ließ sich Cutter wieder in dem Sessel vor Sephiroths Schreibtisch nieder, und dann senkte sich Stille wie eine dicke Decke über den Raum. „Vielleicht ist es nur ein Trick“, überlegte Zack. „Vielleicht soll Hiwako ins HQ gebracht werden, um dort irgendetwas zu tun.“ „Hiwako kann nichts tun, was dem Planeten nicht mittlerweile selbst möglich wäre“, erinnerte Sephiroth. „Aber wenn Destin immer noch unter dem Schutz des Planeten steht“, sagte Zack irgendwann, „wird Rufus es nicht schaffen, ihn zu töten. Oder?“ „Man sollte nicht glauben, wie lange du schon für ShinRa arbeitest!“, grollte sein kommandierender Offizier. „Wenn es Rufus einmal gelingt, seine Finger daran zu legen, kann er alles und jeden töten. Es liegt in der Natur des Starken, über den Schwachen zu herrschen.“ „Es ist aber ein Unterschied, ob man jemanden zwingt oder überzeugt!“, beharrte Zack – und erntete einen höchst spöttischen Blick. „Wozu wertvolle Zeit mit Diskussionen verschwenden? Hiwako wusste, dass er sich mit dem mächtigsten Gegner auf ganz Gaia eingelassen hat. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“ Zacks Ansicht nach gab es dazu noch eine ganze Menge zu sagen, aber er wusste, Sephiroth würde weder mit ihm, noch einer anderen Person darüber diskutieren. Und so stellte er lediglich eine weitere Frage. „Ob der Planet eingreifen wird?“ Der General wollte schon antworten, aber das Klingeln seines PHS ließ ihm dazu keine Gelegenheit. Er nahm das Gespräch an, lauschte, sagte: „Verstanden!“, und legte das Gerät wieder weg, sah zu seiner sehr schweigsamen Freundin und Zack hinüber, und verkündete ohne Triumph zu vermitteln (aber doch sehr zufrieden): „Wir haben ihn.“ Erneute Dunkelheit senkte sich auf rein mentaler Ebene herab. „In ein paar Wochen“, fuhr Sephiroth fort, „gehört die Stadt wieder zu 100 % ShinRa!“ Zack nickte verdrießlich. Cutter reagierte gar nicht. Der Widerwille hinsichtlich der zu erwartenden Ereignisse war zu stark. „Rufus wird ihn erschießen lassen“, vermutete Zack finster. „Oder?“ „Vorher finden vermutlich noch wesentlich schmerzhaftere Dinge statt, aber letztendlich ... Ja. Vermutlich in einer Liveübertragung, damit die Leute daran erinnert werden, wie wenig Spaß ShinRa versteht.“ Und nach einer kurzen Pause in Richtung Cutter: „Du hast deine Hiwako-Wette also verloren.“ Die junge Frau lächelte flüchtig, aber sehr traurig. Die Wette. Die im festen Glauben an einen Sieg des Guten abgeschlossene Wette. Damals war Cutter so sicher gewesen, zu gewinnen. Damals waren noch so viele Dinge ... anders gewesen. Manche heller, andere finsterer. So vieles war seitdem geschehen - aber Wetteinsatz blieb Wetteinsatz. Sephiroth sah das genau so, und grinste. „Ab jetzt musst du in meiner Gegenwart vernünftige Bücher lesen. Nicht auszudenken was passieren würde, wenn du stattdessen einmal pro Woche bei mir hättest schlafen dürfen.“ Zack, der wusste, dass Cutter schon seit Wochen fast jede Nacht bei Sephiroth schlief, konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Seph, lass ihr die Comics! Am Ende findet sie vernünftige Bücher noch so interessant, dass du keinen Sex mehr kriegst, und SOLDIER kann keinen sexuell frustrierten General brauchen, du bist auch so schon schwierig genug zu ertragen!“ „Zackary“, grollte Sephiroth, „du bist ein Idiot!“ Gleichzeitig warf er Cutter einen vorsichtigen Blick zu. Für gewöhnlich hätte sich seine Freundin längst in die Diskussion eingeschaltet und Zack Recht gegeben. Diesmal allerdings kam aus ihrer Richtung nicht das geringste Geräusch. Ihr Gesichtsausdruck allerdings ... Ganz offensichtlich weilte die junge Frau in den Lines. Außerdem verriet ihr Augenausdruck einmal mehr den Wunsch, zu helfen. Sephiroth lag mit allen Einschätzungen richtig. Cutter war in die Lines gegangen, fest davon überzeugt, das vertraute Bild vorzufinden: Hunderte Exemplare von Hiwakos Line. Aber diesmal ... „Sie sind weg.“ Ihre Stimme klang ganz leise. „All die Kopien seiner Line. Es ist nur noch eine einzige übrig.“ „Er steht also tatsächlich nicht mehr unter dem Schutz des Planeten?“, übersetzte Zack ehrlich entsetzt. Die ganze Situation wurde immer geheimnisvoller. Aber bevor er diesbezüglich auch nur eine Silbe äußern konnte, erklang abermals Cutters Stimme. Leise, aber fest - und sehr deutlich. „Er wollte den Planeten retten, und damit uns alle. Ich werde nicht zulassen, dass Rufus ihn umbringt!“ „Oh, doch.“ In der Stimme des Generals lag mehr als ein Hauch Eisigkeit. Nämlich das Versprechen eines möglicherweise schon innerhalb der nächsten Sekunden losbrechenden Schneesturms. „Du wirst!“ „Aber ...“ „Nein! Je schneller diese Solarsache geklärt ist, je besser! Gerade wir zwei haben momentan wichtigere Dinge zu tun.“ „Wir werden aber momentan nicht in Richtung HQ gezerrt! Uns droht keine Erschießung vor laufender Kamera! Ihm schon! Und das willst du zulassen?“ „Ich würde sogar für eine Sicherstellung der Erschießung sorgen!“ „Aber Hiwako ist nicht böse!“ „Cutter, wann wirst du es endlich begreifen!“ Aus seiner Stimme war jeglicher Funken Sympathie gewichen. Jetzt klang sie nur noch kalt, hart und beherrschend. Die Stimme eines Anführers und gnadenlosen Killers. „Hier geht es nicht um `Gut´ und `Böse´!“ „Aber es ist nicht fair!“ „Deine ewiggleichen Argumente beginnen mich zu langweilen. Komm wieder, wenn du neue hast und sie nicht diese Angelegenheit betreffen.“ „Ich lasse mich nicht einfach so von dir rausschmeißen!“, fauchte Cutter wütend. „Das kannst du mit einem deiner Untergebenen machen, aber nicht mit deiner Freundin!“ „Momentan“, antwortete Sephiroth mit gefährlicher Ruhe, „sehe ich hier weder das Eine, noch das Andere, sondern nur eine Person, die immer noch nicht begriffen hat, dass sie ihre Kräfte, die sie alle Ebenen betreffend besser für sich selbst aufsparen sollte, einmal mehr verschwendet! Die immer andere retten will und deshalb Gefahr läuft, sich nicht selbst retten zu können! Eine Person, der es ihrem direkten Vorgesetzten gegenüber an Respekt mangelt, eine Person, die sich einmischt ohne explizit darum gebeten worden zu sein, eine Person, die man keine fünf Sekunden aus den Augen lassen kann, ohne sich zu fragen, welchen Unsinn sie als nächstes anstellen wird, und eine Person, die aus ihren Fehlern nichts lernen will, daher immer und immer wieder dieselben, im Grunde völlig unnötigen Konsequenzen durchmacht und Zeit verschwendet! Aber all das verblasst hinsichtlich deines aktuellen Zustandes: Mental und körperlich angeschlagen und somit höchst instabil! Du wirst dir eine andere Stabilisierung statt Hiwakos Rettung suchen und das Exekutionskommando in Ruhe arbeiten lassen! Das ist ein Befehl, der bei Missachtung mit entsprechenden militärischen Konsequenzen geahndet wird! Hast du mich verstanden!“ Cutter konnte nicht sofort antworten. Sie war zu erschlagen von der detaillierten Auflistung fast all ihrer dauerhafte und momentanen Schwächen. Der eigene, angeschlagene Zustand war ihr bewusst, aber sie hätte niemals damit gerechnet, diesen eines Tages zum Vorwurf gemacht zu bekommen, noch dazu von Sephiroth, der doch wusste, wie große Mühe sie sich gab, trotz all dieser Schwächen gute Arbeit zu leisten. Es fühlte sich wie glatter Verrat an. Entsprechend verletzt fiel Cutters Antwort aus. „Ich hasse dich!“ „Meinetwegen, aber befolge meinen Befehl und halt dich raus! Du darfst wegtreten!“ Tränen der Wut glitzerten in Cutters Augen, aber sie verließ wortlos das Büro, allerdings nicht, ohne die Tür so heftig wie möglich hinter sich zuzuknallen. Leider war das Geräusch `dank´ der speziellen Bauweise kaum zu hören. Die nun einsetzende Stille wurde erst nach einer ganzen Weile von Zack unterbrochen – allerdings sehr leise. „Whoa ... Ich habe dein Manöver verstanden, aber ... war das nicht ein bisschen zu hart? Du hast ihr das Gefühl gegeben, absolut gar nichts auf die Reihe zu kriegen.“ „Ich dachte, du hättest mein Manöver verstanden, Zackary? Glatte und höchst tragische Selbstüberschätzung! Wie so oft.“ Und nur eine Sekunde später: „Wohin willst du?“ „Cuttie trösten.“ „Negativ!“ „Aber ...“ „Ich habe dir vor weniger als einer Stunde klare diesbezügliche Anweisungen gegeben! Du wirst dich also für die nächsten 2 Stunden von ihr fern halten!“ „Was hast du vor?!“ Sephiroth antwortete nicht. Er griff nach Masamune und verließ das Büro, wissend, dass er jetzt sehr, sehr schnell sein musste - und er war es. Binnen einer Minute war er im Besitz sämtlicher erforderlicher Daten und auf den Fluren des HQs unterwegs. Er wusste nur zu genau, mit der geplanten Aktion seine Kompetenzen weit zu überschreiten, aber es störte ihn nicht. Er konnte auch ganz ohne Befehl grausam sein. Und abgesehen davon ... Wenn ein Waldbrand außer Kontrolle zu geraten drohte, musste man ihm die Nahrung entreißen, indem man z.B. noch unbeschadete Bäume fällte und beiseite räumte. Oder, wie in diesem Fall, einen einzigen Baum. Im Gefangenentrakt als Wache zu arbeiten war eine der langweiligsten Aufgaben, die man als Mitarbeiter der Electric Power Company zugeteilt bekommen konnte und wurde für gewöhnlich in beliebiger Dauer als Strafe für Ungehorsam eingesetzt. Sie bestand darin, einen Flur mit Türen zu bewachen und dabei nach Möglichkeit nicht einzuschlafen – eine höchste Ansprüche an die Selbstdisziplin stellende Tätigkeit wenn man bedachte, dass diese Türen auf fünf unterschiedliche Methoden gesichert waren und nur von außen geöffnet werden konnten. Lediglich die Abholung oder Anlieferung eines neuen Gefangenen brachte für wenige Sekunden Abwechslung in den nicht gerade durch Aufregung geprägten Arbeitsalltag des Wächters, und so war sich Jostin ziemlich sicher, dass nach der erst wenige Minuten zurückliegenden Einlieferung des neuen `Gastes´ für den Rest seiner Schicht nichts Außergewöhnliches mehr geschehen würde. Mit anderen Worten: Jostin war dabei, sich gedanklich einem äußerst angenehmen Tagtraum hinzugeben, dessen hauptsächliche Zutat aus nackten, willigen Damen bestand. Entsprechend groß war der Schock, als sein traumverlorener Blick schlagartig mit der Realität in Form von viel, viel Silber, schwarzem Leder und auf höchst beängstigende Art und Weise finster grün glühenden Augen kollidierte. Er versuchte schlagartig auszusehen wie jemand, der seinen Job äußerst ernst nahm, hatte aber keinerlei Erfolg. „Träumen während er Arbeit!“ Die Stimme des Generals hätte massiven Fels dazu gebracht, sich furchtsam Wimmernd irgendwo zu verkriechen. „Noch dazu im Gefangenentrakt. Ich werde Ihren Vorgesetzten darüber informieren!“ „Ja, Sir! Danke, Sir!“ Sephiroth warf dem zitternden Mann einen zu gleichen Teilen strafenden wie verächtlichen Blick zu, ließ ihn hinter sich zurück, näherte sich Zellentür 14 und begann mit der Deaktivierung der Sicherheitsvorkehrungen. Das rote Lämpchen über der Tür erlosch, das grüne flammte auf. Der General betrat die Zelle. Diese Unterbringungsmöglichkeiten für Gefangene waren immer gleich. Ein nur wenige Meter messender, ganz in weiß gehaltener Raum, ausgestattet mit einer Toilette aus unzerstörbarem Material. Keine Fenster. Keine Wasch- oder Duschmöglichkeiten. Kein Bett. Keinerlei Fluchtmöglichkeit. Das Licht erlosch niemals. Kameras überwachten jeden Winkel des winzigen Raumes, versteckte Abhörgeräte zeichneten jedes gesprochene Wort auf. Die Hölle für jemanden, dem seine Privatsphäre wichtig war, der seine Freiheit liebte oder unter Platzangst litt. Wer bisher noch keine Angst kannte, lernte sie hier kennen. Hier lebte man intensiver als irgendwo dem Tod entgegen - und man war sich dessen völlig bewusst. Trotzdem war Destin auffallend ruhig. Er saß gegenüber der Tür auf dem Boden, sah Sephiroth entgegen und konstatierte völlig gelassen: „So sehen wir uns wieder, General. Irgendwie wusste ich, dass Sie es sein würden.“ „Das hat Ihr Bruder damals in Wutai auch gesagt.“ Destin schmunzelte. „Wirklich? Das ist typisch für uns. Wir haben oft völlig unabhängig voneinander dieselben Sachen gesagt.“ „Er hat genauso versagt, wie Sie.“ „Ich würde es nicht unbedingt `versagen´ nennen“, antwortete Destin fast sanft. „Allein der Versuch, sich gegen den Tyrannen aufzulehnen, ist ein Eintrag in die Geschichtsbücher wert.“ „Welchen Sinn hat Auflehnung, wenn Sie nicht zum Erfolg führt?“ „Sie bringt Hoffnung. Für den nächsten mutigen Kämpfer. Und für alle, die auf den Kämpfer warten. Solar Solution hätte es fast geschafft, General. Das können nicht einmal Sie leugnen.“ „Ich kann alles leugnen. Die Wahrheit, Hiwako, lautet: Sie haben sich von Anfang an überschätzt!“ Destin schwieg einen Augenblick, lauschte in sich hinein, auf der Suche nach jener Ruhe, die ihm die Gegenwart des Planeten versicherte, und damit den Zustand, auserwählt zu sein. Sicher vor jeglicher Gefahr! Aber sie war nicht da – ganz verschwunden oder blockiert von den schrecklichen Erinnerungen an den gestrigen Tag. Destin konnte nicht mit Sicherheit sagen, was es war. Aber er fühlte sich endlos verlassen, allein ... und schuldig an jedem einzelnen der gestrigen Tode. Diese Menschen waren gestorben, weil sie die Solartechnik genutzt hatten. Seine Solartechnik! Viele seiner späteren Kunden hatten ganz zu Beginn Ängste und Sorgen bezüglich möglicher ShinRa Racheaktionen geäußert, und Destin konnte sich nur zu gut an seine eigenen, beruhigenden Worte und guten Argumente erinnern. Letztendlich war es ihm gelungen, die Menschen zu überzeugen. Sie hatten ihm vertraut! Und jetzt waren so viele von ihnen tot ... Es war seine Schuld! Er hatte die Electric Power Company unterschätzt. Er trug die Verantwortung! Destin hatte die Option, sich zu stellen, nicht gewählt, um sich vor genau dieser Verantwortung zu drücken, denn um den Tod herbeizuführen hätte es genug andere Möglichkeiten gegeben. Die eigene Auslieferung an Rufus war mehr mit der Bitte, die Bevölkerung Midgars nicht länger zu quälen, gleichzusetzen. Und obwohl er nicht sicher war, ob der Präsident der Electric Power Company darauf eingehen würde – mehr blieb ihm nicht. Nur diese eine, winzige Hoffnung. „Ich habe geglaubt, General“, antwortete er Sephiroth leise. „An `Solar Solution´ und den Planeten, fester als an mich selbst. Die Entwicklung der Dinge ist ...“ Er hielt inne und schüttelte in einer mehr als tausend Worte sagenden Bewegung den Kopf. Es spielte keine Rolle mehr, genauso wenig wie sein eigenes Entsetzen und das fast höhnische Schweigend des Planeten. Nichts spielte mehr eine Rolle ... ... außer dem urplötzlich in der Hand des Generals liegenden Schwertes. Destin schloss die Augen, wünschte sich unwillkürlich, dass doch nur alles ein Trick gewesen war, um ihn hierher zu bringen, wünschte sich, aufzuwachen, wünschte sich den Schutz des Planeten, mehr als jemals zuvor, jetzt, genau JETZT ... Aber nichts geschah. Die Welt entwickelte nicht, wie sonst, ein Eigenleben, um ihn zu beschützen. Alle Gesetze blieben bestehen, alle Regeln pochten auf ihre Gültigkeit. Die Wunderkraft war bis zum letzten Bisschen aufgebraucht. Masamune erledigte den Rest. Das Grün des Lebensstromes leuchtete auf und trug Destins Seele dorthin, wo alles, was er im Verlauf des Kampfes verloren hatte, vielleicht schon auf ihn wartete. Sephiroth wandte den Blick von dem verglühenden Grün und sah direkt in eine der Kameras, befehlend und beherrschend. „Eine Kopie dieser Aufnahme geht an Präsident ShinRa und die andere an die Nachrichtenabteilung! Jetzt!“ Der Befehl würde, das wusste er mit Sicherheit, sofort befolgt werden. Die Typen im Kontrollraum waren keine Kämpfer und wollten sich unter Garantie nicht mit einem 1st Class SOLDIER anlegen. Was Rufus potentiellen Ärger anging ... Schicksal. Der Präsident würde eine Möglichkeit finden müssen, damit klar zu kommen. Der General verließ den Raum wieder. Die Hinrichtung an sich war ein voller Erfolg gewesen, aber ... Ich wünschte, Cutter hätte mir nichts von ihren Rettungsplänen erzählt. Ich wünschte, ich würde meine Freundin nicht so gut kennen. Ich wünschte, sie könnte besser lügen. Ich ... „Das hattest du also in Wahrheit vor.“ Zacks Stimme erklang völlig unvermittelt, aber leise direkt neben ihm. „Ich muss zugeben, dich doch nicht ganz verstanden zu haben.“ Sephiroth hielt inne, wandte den Kopf in Zacks Richtung und antwortete ebenso leise: „Nenn mir eine akzeptable Alternative. Nur eine!“ „Es gibt keine“, antwortete Zack kopfschüttelnd. „Hiwako selbst zu töten war richtig, weil du auf diese Art und Weise Cutter davon abhältst, sich im Rahmen einer Rettungsaktion in Gefahr zu bringen.“ „Ich bin ihr Freund“, wisperte Sephiroth. „Ich kann nicht tatenlos mit ansehen, wie sie sich in Gefahr bringt, mental noch weiter abzustürzen, denn wenn Hiwako auf der Flucht irgendetwas zugestoßen wäre, hätte sich Cutter ganz persönlich die Schuld gegeben. Und genau das wäre passiert, ich weiß es! Aber gleichzeitig war mein Handeln falsch, denn sie wird es nicht verstehen ...“ Zack nickte ernsthaft. „In ihren Augen war Hiwako unschuldig und ein großartiger Kämpfer, der diesen Krieg geführt hat, ohne zu töten – und er hätte fast gewonnen. Für sie wird es sein, als habe das Gute nahezu endgültig verloren.“ „Denkst du, das ist mir nicht klar?! Aber was soll ich tun? Rufus Tod würde all das beenden, aber solange Cutter vom G-Mako abhängig ist, kann ich weder ihn, noch Hojo töten, und ob unsere pflanzlichen und High Tech Alternativen Wirkung zeigen haben, ist noch nicht klar. Mir sind die Hände gebunden. Solange dieser Zustand anhält, kann ich nur dafür sorgen, dass er sich nicht noch weiter verschlechtert!“ „Das weiß ich doch“, antwortete Zack sanft. Gleichzeitig musste er daran denken, dass sein bester Freund in jeder anderen Konstellation keinen Sekundenbruchteil gezögert hätte, eine einzelne Person zu opfern, um seine Pläne umzusetzen. Dass es jetzt ausgerechnet Cutter war, die ihn davon abhielt, war mehr als grotesk – und gerade für Sephiroth besonders schwer zu ertragen. „Wir finden eine Lösung!“, fuhr Zack fort. „Ganz bestimmt. Der Planet hat viel Kraft gesammelt. Vielleicht plant er etwas.“ Sephiroth antwortete nicht. Es war nicht seine Art, sich in die endlose Welt des `vielleicht´, die nahtlos in die der Träume überging, zu verirren. Er hielt sich an Daten, Fakten und seine Erfahrung, denn auch, wenn es manchmal sehr schwer war, einer musste immer realistisch bleiben, um die anderen wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen – und ihnen gegebenenfalls aus dem tiefen Loch, das sie beim Aufprall erzeugt hatten, zu helfen. Das Loch, in dem sich Cutter schon sehr bald wiederfinden würde, dürfte ziemlich tief sein. Möglicherweise würde sie die Hilfe ihres Freundes beim Herausklettern nicht annehmen, aber er musste es wenigstens versuchen. „Ich sehe nach Cutter.“ Zack nickte und ließ Sephiroth allein, wissend, dass dieser die aktuellen Entwicklungen unter 4 Augen mit Cutter klären musste, und so lauschte der General nur wenig später nach innen, auf die einzigartige Verbindung zwischen sich und seiner Freundin. Die junge Frau hielt sich nicht mehr im HQ auf, sondern in Midgar (bei ihrem Glück bestimmt unmittelbar vor einer der großen Reklametafeln), und so verließ auch Sephiroth das Gebäude, um sie zu finden und ihr beizubringen, auf welche Nachricht sie sich als nächstes einstellen musste. Aber einmal mehr machte die entsprechende Abteilung ihrem schnellen Ruf alle Ehre. Seit dem frühen Morgen und der verhängten Ausgangssperre war nur ein einziges Symbol auf allen Fernsehgeräten und Reklametafeln abgebildet: Das ShinRa Logo. Jetzt verschwand es, und die Tafeln wurden tiefschwarz. Für genau zwei Sekunden - dann erschien Rufus. Er saß hinter seinem wie üblich gänzlich leeren Schreibtisch, wirkte wie ein grausamer König in seinem Thronsaal und lächelte kalt und herablassend in die Kamera. Seine Worte standen dem in nichts nach. „Verehrte Bürger Midgars. Es freut mich sehr zu sehen, dass der Wunsch nach Freiheit in euren kleinen, relativ bedeutungslosen Leben doch noch so weit oben steht. Dank eurer Mithilfe konnte die Electric Power Company den als gefährlich geltenden Hiwako Destin fassen. Die Überbleibsel seiner schädlichen und lächerlichen Taten, die Solarplatten nebst sämtlichem technischen Zubehör, werden ab morgen entsorgt. Wer dumm genug ist kann gerne versuchen, die ausführenden Kräfte daran zu hindern. Bis meine Stadt vollständig befreit ist, bleibt die Ausgangssperre bestehen! Den Neugierigen unter euch möge die folgende Dokumentation nähere Hinweise zum Verbleib Hiwako Destins geben.“ Es folgte die Aufnahme der reinen Hinrichtung. Die für solche Filme zuständige Abteilung hatte sich einmal mehr alle Mühe gegeben, den Ruf des Generals als gnadenlosen Killers weiter zu stärken und etliche Effekte mit eingebaut. Sephiroth selbst hatte für Spielereien wie Zeitlupe und Farbverstärkung (besonders wenn seine Augen oder Masamune betroffen waren) nichts übrig. Allein der Erfolg zählte! Aber durch seine harten Gedanken drang noch etwas Anderes: Gefühle, die nicht seine eigenen waren. Entsetzen, und dann Trauer mit der Intensität eines zu Tal stürzenden Wasserfalls. Ohne Zweifel hatte auch Cutter die Botschaft des Präsidenten gesehen. Sephiroth hielt inne und lauschte, für einen Moment unschlüssig hinsichtlich der weiteren Vorgehensweise. Dann empfing er ein neues Gefühl. Einen Wunsch. Sehr alt und sehr verständlich. Cutter wollte jetzt alleine sein. Der General akzeptierte schweren Herzens und kehrte zum HQ zurück. Ein Film musste nicht lang sein, um die Botschaft zu übermitteln. Diese 20 Sekunden hatten viele Personen mitten ins Herz getroffen. Roger blickte immer noch wie erstarrt auf den jetzt wieder tiefschwarzen Fernsehbildschirm, war sich dessen aber nicht bewusst. Zu tief saß der Schreck. Als er ein klein wenig nachließ, griff Roger nach dem Handy und rief Destin an. Es klingelte einmal, zweimal ... dann erklang eine Stimme – aber es war nicht die erwartete, sondern eine Bandansage. „Die von Ihnen angerufene Person wurde von der Electric Power Company exekutiert. Bitte legen Sie auf. ... Die von Ihnen angerufene Person wurde von der Electric Power Company exekutiert. Bitte legen Sie auf. ... Die von Ihnen angerufene Person ...“ Roger ließ das Handy langsam sinken und sich selbst auf den nächsten freien Stuhl fallen. Ohne Destin würde es kein `Solar Solution´ mehr geben. Wie also sollte es jetzt weitergehen? Konnte es überhaupt weitergehen? Momentan war Roger nicht in der Lage, diese Fragen zu beantworten. Auch Cutter hatte die Exekution gänzlich ungewollt mitverfolgt. Die übertragenen Bilder hatten alle nahezu fertigen Rettungspläne (denn diesmal waren wirklich Pläne nötig gewesen) zerschlagen. Der Schmerz war so intensiv, dass er die junge Frau sofort zum Weinen brachte. Leise, wie es bei ehrlicher Trauer oft der Fall war. Es dauerte etliche Minuten, ehe sich neue Gedanken durch die Trauer hindurchkämpften. Es ist schon wieder geschehen, dachte sie. Mein Wille wurde einfach übergangen. Warum? Ich wollte doch helfen! Was war daran so falsch? Ich verfüge über alle nötigen Fähigkeiten. Weshalb rasen die Dinge in letzter Zeit so an mir vorbei, ohne dass ich sie aufhalten kann? Ich liege mit meinen Ansichten über `Gut´ und `Böse´ nicht falsch, ich bin ganz sicher ... Aber spielt das überhaupt noch eine Rolle? Hat mein Protest letztendlich eigentlich jemals etwas bewirkt, für andere oder mich selbst? Sie begann intensiv nachzudenken, aber ihr fiel nichts ein. Stattdessen kämpfte sich eine der deutlichsten Niederlagen zurück in ihr Bewusstsein. Der Moment, in dem Rufus sie zum ersten Mal aufforderte, die Solarplatten zu zerstören – und seine Reaktion auf den dargelegten Ungehorsam seiner `Waffe´. „Genau da liegt dein Problem, Tzimmek. Du hältst dich für stark, aber das bist du nicht. Ein Wort von mir und meine gesamte Armee ist hinter dir her. Sie ist, wie du weißt, überall. Sie wird dich um die ganze Welt jagen. Wann willst du schlafen, wann essen? Irgendwann wirst du zu erschöpft zum Weglaufen sein, und dann ist meine Armee da, um dich zu töten! Die Zerstörung der Solarplatten ist eine Alternative, deren Annahme ich dir sehr ans Herz lege. Und jetzt befolge meinen Befehl!“ Ja, dachte Cutter. Ich habe mich immer gegen die ShinRa Methoden gewehrt und gesträubt, aber es hat nichts genützt. Rufus hat Recht. Letztendlich bin ich ihm nicht gewachsen. Das war mir nur nicht klar, weil ich so sehr auf meinen eigenen Widerstand fixiert war. Aber ... wenn Rufus Recht hat, dann ist das hier meine Strafe, diese Einsicht, dass auch ich nichts gegen ShinRa tun kann und nicht mehr bin, als eine Marionette. Warum war mir das nie klar? Wie konnte ich mich jemals für stark halten? Oder unabhängig? Er hat mich kontrolliert, von Anfang an, und mit mir die Lines. Wie viel Leid habe ich in seinem Auftrag mit Hilfe der Lines über diese Welt gebracht? Jede erfolgreiche Mission, jeder ausgeführte Befehl ... Alles Stützen für Rufus Macht. Dafür waren die Lines nicht geschaffen, niemals. Ich war immer der Ansicht, sie mit Respekt zu behandeln, dabei habe ich sie missbraucht. Das Geschenk des Planeten und Tzirkas ... ich hab es in den Schmutz geworfen und mit Füßen getreten. Ich bin es wirklich nicht wert, die Luna Lance zu besitzen und mit den Lines zu arbeiten. Und unwillkürlich musste sich die junge Frau fragen, was geschehen wäre oder würde, wenn sie diese Fähigkeit niemals besessen hätte - oder verlieren würde. Ohne die Lines konnte Rufus ihr diesbezüglich keine Befehle mehr erteilen und sie wäre außerstande, weiteren Schaden anzurichten. Aber das würde wohl kaum geschehen. Vielleicht, dachte Cutter müde, sollte ich die Luna Lance einfach an einen anderen, würdigeren Blue Wanderer abgeben. Tzirka hat das schließlich auch getan. Aber ich weiß nicht, wie ... Und das heißt, die Lines und ich sind weiterhin miteinander verbunden – inklusive Rufus und ShinRa. Oh, Gaia ... Ich habe immer so fest daran geglaubt, dass alles gut wird, aber ich war noch nie so weit von einem glücklichen Ende entfernt, wie jetzt. Sogar der Glauben selbst erscheint mir lächerlich ... Sie wusste, diese Erkenntnis hätte sie erschrecken und ängstigen müssen, aber sie empfand nur Müdigkeit, so stark, als zöge sie etwas nach unten. Wie gerne hätte sie einfach nur die Augen geschlossen und wäre eingeschlafen. Für ein Jahr oder zwei oder fünf ... bis es einfach nur vorbei war. Aber das war nicht möglich. Und so blieb Cutter nur die Gewissheit, dass es lediglich nur noch einer Winzigkeit bedurfte, um sie vollends in den Abgrund fallen zu lassen. ShinRa, dessen war sie völlig sicher, würde seinen Teil dazu beitragen – und das, wenn sie das komische Gefühl in ihrer Bauchgegend richtig einschätzte, schon sehr bald. Sephiroth war ins HQ zurückgekehrt und saß wieder an seinem Schreibtisch, aber er arbeitete nicht, sondern weilte mental bei seiner Freundin. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Es war noch nicht greifbar, aber dennoch deutlich zu spüren - und es wurde stärker. Irgendwann wusste der General, womit er es zu tun bekommen würde. Die Erkenntnis ließ ihn die Augen schließen und leise, aber qualvoll aufstöhnen. Das ... Ausgerechnet jetzt ... Noch eine Hoffnung, die zerschlagen wurde, noch ein Glaube, der erlosch. Der General verließ das Büro und betrat nur kurze Zeit später einen anderen Raum, dessen Hauptfarbe aus trügerischem Weiß bestand. „Welch seltener Besuch!“ Hojos Stimme überschlug sich förmlich vor Spott. „Wer von euch beiden hat Sehnsucht nach mir, du oder deine kleine Freundin?“ „Bereite das G-Mako vor!“ „Es ist längst vorbereitet.“ Gleichzeitig lächelte der Professor kalt. „Es wartet nur auf sein Testobjekt – wie die Falle auf eine Maus.“ Er begann zu kichern. „Verzeih, mein kleiner Sephiroth, aber diese Situation ist für mich immer noch höchst belustigend. Am liebsten würdest du mich auf der Stelle töten, aber du kannst nicht – es sei denn, du verrätst deine kleine Freundin, die du doch so sehr liebst. Behalte diesen Zustand bitte bei. Er erheitert mich.“ Die Tür zum Laborbereich öffnete sich exakt in diesem Moment. Cutter betrat den Raum. In ihren glanzlosen Augen tobte Schmerz, und sie wirkte wie jemand, der erst im freien Fall festgestellt hatte, dass er trotz aller anders lautender Gerüchte doch nicht fliegen konnte. Sie warf Sephiroth einen langen, zutiefst niedergeschlagenen Blick zu, dessen Botschaft überdeutlich ankam – auch bei Hojo, der eigentlich keine Ahnung von den Gefühlen anderer hatte. Diesmal allerdings verstand er sofort und lächelte zu gleichen Teilen erheitert wie herablassend. „Ihr werdet ShinRa und mir nie entkommen! Findet euch damit ab, bis zum Rest eures erbärmlichen Lebens ...“ Sephiroth brachte den Professor durch einen heftigen Stoß zum Schweigen. „Vorwärts, Hojo!“ Schweigend, aber immer noch grinsend setzte sich Hojo in Bewegung. Diesmal musste Cutter den Professor nicht mit Hilfe der Luna Lance beeinflussen, um ihn zum Einsatz des G-Makos zu bewegen. Die Anwesenheit des Generals reichte vollkommen aus. Trotzdem schien es diesmal länger zu dauern, ehe das Mako wieder abgelassen wurde und Cutter, sicher in die Flügel gehüllt, aus dem Tank klettern und sich wieder anziehen konnte. Ihre Bewegungen waren langsam und müde, und die von ihr auf Sephiroth übertragenen Gefühle vermittelten tiefe Erschöpfung und eine Trauer, die fast schon als bedingungslose Kapitulation hätte gedeutet werden können. „Gehen wir“, sagte Sephiroth leise. Wenige Sekunden später befanden sie sich wieder auf dem Flur und hielten dort einen Moment inne. Cutter wusste, Sephiroth erwartete trotz aller zurückliegender Ereignisse auch jetzt eine gewisse Art von Stärke, aber die junge Frau fühlte sich momentan nicht in der Lage, diese zu liefern. Alles, wonach sie sich jetzt sehnte, war Ruhe und Schlaf – einerseits alleine, aber andererseits hätte sie gerade jetzt niemand lieber als ihren Freund um sich gehabt. Seine Nähe war immer noch etwas ganz Besonderes, wie ein Leuchtfeuer, das nur auf sie reagierte. Letztendlich überließ sie die Entscheidung ihm und trat den Weg in ihr eigenes, so lange nicht mehr benutztes, winziges Quartier an – und Sephiroth folgte ihr. Er sagte kein Wort, aber als sich Cutter lang auf dem Bett ausgestreckt hatte, ließ er sich ebenfalls auf der Matratze nieder, zog die schwarzen Lederhandschuhe aus und begann, seine Freundin zu streicheln, sanfte Berührungen, die dennoch auf mentaler Ebene stark wirkten, die daran erinnerten, dass noch nicht alles verloren war ... und die eine Geschichte erzählten, von einem Instinkt, der vor der Durchführung des Plans, Hiwako zu retten, warnte, und von Schutz, der nur dann sinnvoll war, wenn er bei Gefahr aktiv wurde. Von einer Verletzung, die er ihr hatte zufügen müssen, um sie vor einer viel intensiverer Verletzung zu bewahren. Auch von einem Tod, der schnell gekommen war, und von so vielen anderen Dingen. Cutter sagte kein Wort. Sie hörte zu und versuchte, so viel Trost wie möglich aus seiner Nähe zu gewinnen und neue Hoffnung zu schöpfen. Aber diesmal reichte es nicht aus. Was sie wirklich wollte, schien nicht dabei zu sein, und sie hatte keine Ahnung, worum es sich bei dieser Sehnsucht handeln könnte. Es war, als wartete sie auf etwas, das es in dieser Form noch nie gegeben hatte. Sephiroth konnte es spüren, aber nichts dagegen tun, außer seine Phoenix aufmerksam im Auge zu behalten, ohne sie unter Druck zu setzen. Und so blieb er bei ihr und bewachte ihren Schlaf, wie sie es einst für ihn getan hatte, stark und aufmerksam für jemanden, der dies momentan nicht für sich selbst sein konnte. Aber im tiefsten Grunde seines Herzens wusste er, dass es diesmal nicht reichen würde. Es fiel Sephiroth nicht leicht, das kleine Quartier seiner Freundin Stunden später wieder zu verlassen, aber er tat es, wissend, dass es selbst für ihn unmöglich war, ständig bei Cutter zu bleiben. Außerdem wollte er sie weder einengen, noch ihr das Gefühl vermitteln, der aktuellen Situation nicht alleine gewachsen zu sein. Dennoch war es nicht wie sonst. Tief in Cutter, das konnte der General deutlich spüren, war etwas bisher fest Verankertes ins Rutschen geraten, etwas sehr, sehr Wichtiges, und ob dieses `Etwas´ wieder zum Stillstand gebracht werden konnte ... noch wusste er weder, ob dies möglich war, noch, worum es sich dabei handelte. Ihm war nur klar, dass er seine Freundin und deren seelischen Zustand im Laufe der nächsten Tage genauestens im Auge behalten musste, um rechtzeitig die richtigen Schlüsse zu ziehen und zu reagieren. Eine bessere Strategie stand selbst ihm momentan nicht zur Verfügung. Und so wachte Cutter nach Stunden alleine in ihrem Quartier auf. Sie deaktivierte mit einer müden Handbewegung die Weckfunktion ihres PHS, rieb sich über die Augen und lauschte in sich hinein. Die Nachwirkungen der Makobehandlung waren diesmal äußerst schwach ausgefallen, was vermutlich an Erschöpfung und dem tiefen Schlaf lag. Man konnte versuchen, einen plötzlichen Schneesturm in Bewegung und somit kämpfend zu überstehen – oder man ließ sich einfach fallen und zuschneien, die sich daraus ergebenden Konsequenzen bedingungslos akzeptierend. Cutters Schneesturm war noch lange nicht vorbei, und so musste sie sich erneut dem eisigen Wind stellen. Eigentlich wären jetzt Vorbereitungen für die nächste Mission nötig gewesen, aber eine SMS im Eingangsordner des PHS wies darauf hin, dass General Crescent seine Freundin für heute aus allen ursprünglich zugeteilten Missionen gestrichen hatte. Cutter hätte gerne etwas wie Dankbarkeit empfunden, aber tief in ihr war alles seltsam leer, und das auf eine merkwürdig endgültige, allumfassende Art und Weise, die sie sich nicht erklären konnte. Haltsuchend griff die junge Frau nach der Luna Lance – und erstarrte, sobald ihre Finger den zweifach gegabelten Stab berührten. Dinge, die man oft in den Händen hielt, riefen im Kopf ein gewisses Echo hervor, das die Erinnerungen an den einstigen Zustand des Objektes mit dem aktuellen Zustand verglich und sofort darauf hinwies, wenn `etwas´ nicht stimmte. Diesmal überschlugen sich die Hinweise, wurden aber langsamer, je länger Cutter die Luna Lance ansah, und verdichteten sich schließlich zu einer ganz bestimmten Gewissheit. Cutter atmete tief durch und schloss die Augen. Sie wusste, sie hätte traurig oder bestürzt sein müssen, aber sie war es nicht. Sie verspürte nicht einmal den Wunsch, Sephiroth anzurufen, um ihn auf den neuesten Stand der Dinge zu bringen und einen passenden Plan zur weiteren Vorgehensweise auszuarbeiten. Sie wusste nur, dass die Electric Power Company sie endgültig besiegt hatte. Cutter stellte die Luna Lance wieder weg, drehte sich auf die andere Seite und war binnen weniger Sekunden erneut eingeschlafen. Mochte die Welt, in der sie hinterher aufwachte, noch genauso schlimm sein wie vorher, der im Schlaf wartende Frieden gehörte jedem – auch ihr, völlig unabhängig von ihrem momentanen Zustand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)