FFVII: Blue Wanderer - In the lines von Ich_eben ================================================================================ Kapitel 26: Neue Erkenntnisse ----------------------------- Es ging so schnell. Ohrenbetäubendes Krachen, Bersten und Splittern begleitete den sich über mehrere Sekunden hinziehenden Absturz, und dann... war es vorbei. Beinahe unnatürliche Stille senkte sich Vorhanggleich herab. Sephiroths Blick kletterte durch die Löcher der von seinem Körper durchschlagenen, hölzernen Fußböden/Decken nach oben. Niemals zuvor hatte er sich in einer ähnlichen Situation wiedergefunden, und es schien ihm mehr als angebracht, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Ich bin... heute nicht fit. Es ist mir weder gelungen, den Sturz abzubremsen, noch, mich bei der Landung abzufangen. Und Toron ist auch noch entkommen. Schwach, General Sephiroth. Wirklich schwach. Im tiefsten Grunde seines Herzens wusste er, dass hauptsächlich Hojo für dieses Desaster verantwortlich war. Aber sich die selbst außerhalb des Labors auf seinen Körper ausgeübte Macht dieses Mannes einzugestehen... Sephiroth stemmte sich mit aller mentalen Kraft dagegen. Meine Mission! Mein Fehler! Ich habe Toron unterschätzt. Das passiert mir nicht noch einmal! Dann fiel sein Blick auf Cutter. Sie befand sich in unmittelbarer Nähe, die Augen fest geschlossen, und für einen Moment fragte sich Sephiroth, ob der Tod vielleicht schlicht und ergreifend kein Interesse an dem Teenager hatte. „Cutter.“ Für gewöhnlich hätte er in einer solchen Situation völlig anders reagiert. Aber momentan fühlte selbst er sich zu zerschlagen. Und so wohnte auch seiner Stimme ein Hauch höchst seltener Müdigkeit inne. „Bist du bei Bewusstsein?“ Und nachdem die matte Bestätigung verklungen war, bat er das Mädchen, den von ihr im Rahmen dieser Mission gemachten Fehler, der letztendlich zur aktuellen (und höchst absurden) Situation geführt hatte, zu nennen. Mit Verbesserungsvorschlag. „Ich bin aufs Dach gegangen“, antwortete der Teenager nach einigen Sekunden. „Ohne mich um Deckung zu kümmern.“ Ihre Augen waren immer noch geschlossen. „Das war nicht gut durchdacht. Ich entschuldige mich, und passe nächstes Mal besser auf, Sir.“ „Cutter, Dächer sind dir nicht wohl gesonnen. Ich erinnere besonders an unsere erste Begegnung. Ich möchte, dass du dich ab jetzt von ihnen fern hältst, bis du herausgefunden hast, wie du sie besiegen kannst. Hast du noch Fragen?“ Einen Augenblick lang blieb es ganz still. Dann aber... „Sephiroth-sama? Sind wir tot?“ Sephiroth spürte, wie sich seine Mundwinkel in kurzfristiger Erheiterung hoben – dann verneinte er. Tote konnten sich nicht mit Schmerzen rühmen... „Wir leben ganz sicher noch?“, vergewisserte sich Cutter mit nach wie vor fest geschlossenen Augen. „Ganz sicher. Also...“, er klang immer noch völlig ruhig, „geh runter.“ Geh runter? dachte Cutter. Wieso `geh runter´? Sie öffnete vorsichtig die Augen. Sephiroth erwiderte ihren Blick mit gewohnter Erhabenheit – allerdings aus kürzester Distanz. Die unerwartete Nähe war für Cutter wie ein süßer, schwerer Schock. Er machte sie völlig bewegungslos und ließ die restliche Welt sowie jeden Gedanken sanft verblassen, als sei nichts mehr wichtig außer diesem Moment außerhalb von Raum und Zeit. Die Erinnerung an ihren ersten Kuss schmiegte sich warm in den Kopf des Mädchens, und obwohl die Berührung nur wenige Sekunden gedauert hatte... der behütete, heimliche Wunsch, es zu wiederholen, diese Wärme noch einmal zu spüren, das Gefühl zu behalten... löste sich von seinen durch Vernunft und Respekt auferlegten Fesseln und... „Das war ein Befehl!“ Die Schlachtfeld-Kommandostimme rückte die Grenzen augenblicklich wieder zurecht. Und erst jetzt realisierte Cutter die Position, in der sie sich befand: Lang ausgestreckt auf der SOLDIER Legende liegend. Das Mädchen stieß einen erschrockenen Laut aus, kam blitzartig auf die Beine, wandte sich mit hochrotem Kopf ab und begann, sich hektisch zu entschuldigen. Sephiroth erhob sich und wollte eben anmerken, er habe sie im Fallen gefangen, um Verletzungen vorzubeugen – aber dazu kam es nicht. Die genaue Lokalisierung des immer noch sehr intensiv empfundenen Schmerzes verdrängte alles andere. Nein... Zu tiefgängigeren Gedanken war er vor Entsetzen nicht in der Lage. Nein...!!! Er musste ihn irgendwann in dem Versuch, den Sturz zu bremsen, ausgebreitet haben... Und jetzt... Mit einem Hauch Verzweiflung sah er zu Cutter hinüber, aber der Teenager, mit dem Rücken zu ihm stehend und sich weiterhin entschuldigend, hatte noch nichts mitbekommen. Sephiroth wiederholte die verhasst-vertraute Bewegung, aber der scharfe Schmerz verkündete höhnisch die andauernde Enthüllung des Geheimnisses aus unzähligen, schwarzen Federn. Es gab keinerlei Erinnerungen an ein Leben vor dem gewaltigen, nachtfarbenen Flügel, der sich jetzt gut sichtbar hinter der rechten Schulter des Generals erhob. Für gewöhnlich ruhte all die Dunkelheit sicher verborgen irgendwo in seinem Körper – perfekt an diesen angepasst. Fremdeinwirkung? In Verbindung mit Hojo war alles möglich. Aber warum nur einer? Keine Fremdeinwirkung? Weshalb hätte jemand mit nur einem Flügel zur Welt kommen sollen? Hojo, der mit Sicherheit alles darüber wusste, kicherte nur – und gab immer dieselbe Antwort: „Du bist ein Monster. Und das ist der Beweis!“ Es war Sephiroth nach wie vor unmöglich zu definieren, ob ihn die Aussage an sich, oder die Person, von der sie stammte, mehr erschütterte. Als Monster fühlte er sich nur bei den Experimenten im Labor, wissend, dass kein normaler Mensch zu einem Überleben unter diesen Bedingungen fähig war – aber unsicher, ob sich durch diese Erkenntnis eine ganze Existenz definieren ließ. Was Hojo anging... Sephiroth hatte immer wieder über das seltsame Verhältnis zwischen sich und ihm nachgedacht, (auch darüber, wie sinnlos es war, darüber nachzudenken), und sich gefragt, wer richtig lag. Fakt war: Der Flügel gehörte zu den bestgehütetsten Geheimnissen des Generals. Solange niemand außer ihm selbst, Präsident ShinRa und Hojo davon wusste, blieb Sephiroth wenigstens vom Äußeren her für andere... menschlich. Definiert. Jetzt allerdings... Er versuchte ein weiteres Mal, all die Dunkelheit an ihrem gewohnten Platz zu verstecken. Erfolglos. Cutters leises „Sephiroth-sama?“ hätte ihn beinahe zusammenzucken lassen, und für einen Augenblick befahl dem General jeder einzelne Sinn, den Teenager zu töten. Es würde keine Fragen geben. Nicht nach diesem Absturz! Seine Hand schloss sich fester um Masamune, Cutter nicht aus den Augen lassend. Diese stand ganz ruhig da und sah zu ihm hinüber. In ihrem Blick tobte Chaos, aber weder Argwohn noch Angst, – und Sephiroth nahm wahr, dass er zögerte. Warum kannst du nicht normal reagieren und einfach weglaufen? Begreifst du nicht, in welcher Gefahr du dich befindest?! Was du siehst? Was ich... vielleicht... bin? Auch Cutters Gesichtsausdruck verriet tiefes Nachdenken. Und schließlich, völlig ernst... „Sir? Kriegt man als General von SOLDIER Flügel?“ Sephiroth starrte zu dem Teenager hinüber, die intensivste Verblüffung seit Jahren empfindend, und dann... begann er leise zu lachen. Das Geräusch war dunkel, und ebenso anschmiegsam wie seine Stimme, wenn er ihr nicht den harten, militärischen Klang verlieh. Melodiös. Unaufdringlich. Warm. Und Cutter fühlte sich innerhalb einer einzigen Sekunde süchtig danach werden. Aber es endete ebenso unverhofft, wie es begonnen hatte. Sephiroth sah zu dem Teenager hinüber, murmelte: „Oh, Cutter...“, schüttelte den Kopf... und verwarf die halbherzigen Mordpläne, um mit einer Mischung aus Resignation und Spannung auf weitere Reaktionen zu warten. Cutter hatte sich nicht bewegt. In ihrem Kopf erklangen Zacks Worte: `Sephiroth ist nicht wie wir. Er ist... anders.´ Ob der 1st das gemeint hatte? Der Blick des Mädchens hing an dem Flügel. Er gehörte zu Sephiroth... irgendwie... und war bisher gut versteckt gewesen... irgendwo... Warum war er jetzt so offensichtlich zu sehen? „Ist er... bist du verletzt?“ „Es wird heilen“, antwortete der General mit gewohnter Erhabenheit. „Er ist wunderschön“, sagte Cutter leise, streckte gedankenverloren die Hand aus... und zuckte entsetzt zusammen, als ihr Handgelenk in scharfem Schmerz lautlos aufschrie. Ihr sich unmissverständlich ändernde Gesichtsausdruck ließ einen Hauch Irritation durch Sephiroths Blick huschen. Ich habe ihren Sturz aufgefangen, außerdem trägt sie den Anzug. Sie sollte nicht verletzt sein... „Was ist mit deiner Hand?“ „Verstaucht!“, beteuerte Cutter, zog die Hand eng an den Körper und legte die andere schützend davor. „Bestimmt nur verstaucht!“ Es durfte einfach nicht schlimmer sein. Sephiroth überlegte kurz und logisch. Die Verletzung musste sich vor der Mission ereignet haben. Aber ihm lag keine – nicht einmal eine mentale - Benachrichtigung darüber vor, also wie... Eine unscharfe Erinnerung begann in ihm aufzusteigen. Gestern Abend auf dem Flur... war nicht vor Zack schon jemand dort gewesen? Eine Person, deren Berührung er mit einem heftigen Schlag beendet hatte? Und... war nicht sein Name gefallen? `Sephiroth-sama...´ Ich habe dich verletzt!, dachte der General. Und du hast es nicht gemeldet. Zack... Zack wollte mir vorhin sagen, dass Toron dir vom Labor erzählt hat. Du wusstest, was du gesehen hast. Niemals hättest sehen dürfen. Und wolltest nicht der Auslöser für noch mehr mich betreffende Schwierigkeiten sein. Stattdessen nimmst du lieber verletzt an einer Mission teil. Du hast immer noch nicht begriffen, was Verantwortung bedeutet! Und Egoismus! All diese Ansichten mochten korrekt sein – verhielten sich jedoch äußerst seltsam gegenüber des absurden, von Cutter in die Tat umgesetzten Wunsches, ihn zu beschützen. Dabei, dachte Sephiroth finster, kann ich das in bestimmten Situationen nicht einmal selbst. Und du... tust es einfach. Dessen aber völlig ungeachtet, ich muss mich um deine Verletzung kümmern. Das Ausstrecken seiner Hand glich auf seltsame Art und Weise mehr einer Bitte, als einem Befehl, und der General rechnete nicht mit einer Reaktion. Das von anderen gegen ihn gehegte Misstrauen... Mit Sicherheit war es nun auch in Cutter erwacht. Zurecht! Aber noch während er darüber nachdachte, legte sich die Hand des Teenagers in seine. Und Sephiroth begriff zum ersten Mal in seinem Leben, dass es einen Unterschied zwischen `Gehorsam´ und `Vertrauen´ gab. Es war diese Hand, verletzt, angreifbar, die sich einer wesentlich stärkeren Macht auslieferte. Freiwillig. Und furchtlos. Trotz allem. Während er die Hand des Teenagers vorsichtig aber gründlich untersuchte, dämmerte es ihm, dass er das soeben Erhaltene – und sei es nur in diesem einen Fall - nicht als die Reaktion auf eine von einem ranghöheren Offizier gegebene Aufforderung hinnehmen durfte. Aber wie sollte er reagieren? Vorerst beschränkte er sich auf die Diagnose: „Auch gebrochen“, und wandte eine Heilmateria an. Cutter fühlte dem verblassenden Schmerz nach und wünschte sich, er möge das immer noch in ihrem Kopf tobende und vom knirschen der Scherben untermalte Chaos mitnehmen, aber natürlich geschah nichts dergleichen. Und noch während sie versuchte, wenigstens etwas Ruhe zu erschaffen, erklang Sephiroths Stimme. Leise. Und fast schüchtern. „Ich kann... die Berührungen anderer nur mit äußerster Selbstdisziplin ertragen. Das gestern Abend...“ Er verstummte. Was mache ich hier?! Und warum? Ich sollte nicht darüber sprechen, zu keinem! Und dennoch... Es lag Sephiroth fern, Mitleid mit seinen Feinden zu haben oder gar Reue zu empfinden. Aber Cutter war kein Feind. Eine derart harte Behandlung wie gestern Abend... hatte sie nicht verdient. Er sah von der immer noch in seiner eigenen Hand gehaltenen Hand auf, begegnete Cutters Blick... und wurde Zeuge, wie sich das bis vor wenigen Sekunden noch darin tobende Chaos legte. Bis jetzt, dachte das Mädchen, war ich immer der Meinung, du hältst die Leute aufgrund deiner hohen Position auf Distanz. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit, oder? Du möchtest verhindern, dass sie sehen, was ich gesehen habe. Und ich dachte, jemand wie du hätte keine Probleme. Ich war so ein Idiot! Was den Scherbenhaufen angeht... das ist meine Schuld. Ich habe es restlos übertrieben. Es tut mir leid. „Es war... ein unkontrollierter Moment“, vollendete der General seinen Satz. „Das gestern Abend“, antwortete Cutter völlig ruhig, „warst nicht du.“ Oh doch, dachte Sephiroth finster. Mein anderes, in mir mit den Ketten meiner Selbstdisziplin gefesseltes Ich. Die Stimme, die mich im Traum besucht, mich schweißgebadet hochfahren lässt, der Teil von mir, der auf den Schlachtfeldern nach Blut lechzt und niemals genug bekommt... Der Dämon in mir. Aber jetzt... genug davon! Die Hand des Teenagers ließ sich wieder schmerzfrei bewegen. Der General verstaute die Heilmateria griffbereit und nahm das Ende des unfreiwilligen Sturzes näher in Augenschein, den mit allem möglichen Gerümpel vollgestellte Keller des Hauses. Wohl oder übel mussten sie hier die Heilung des Flügels abwarten. In Cutters Kopf tobten Fragen. Wo der andere Flügel war, zum Beispiel. Oder warum Sephiroth die Heilmateria nicht auf sich selbst anwandte. Aber hinsichtlich ihres mehr als gedeckten Bedarfes an dunklen Geheimnissen ließ sie es bleiben und vergrub sich schweigend in die Lines. Wofür normale Körper Wochen gebraucht hätten, erledigte das Sephiroths Körper durchströmende Mako innerhalb kürzester Zeit, und als der Flügel geheilt und wieder sicher versteckt war, brachen sie ohne weitere Verzögerung auf. Die Gedanken des Generals kreisten um die kürzlich gewonnen Informationen bezüglich Torons. Ein Blue Wanderer. Und die Anführerin der Rebellenorganisation `Liberation´! Das jedenfalls erklärt deren gezielte Angriffe auf unsere Schwachstellen. Die IT Abteilung ist damit nicht mehr betroffen. Und ich werde mit Shinra sprechen müssen. Wie überaus lästig! Während er in Gedanken das Gespräch vorbereitete, warf er der neben sich gehenden Cutter einen kurzen Blick zu. Ihr ungewöhnliches Schweigen verriet tiefes Nachdenken. „Toron ist eine Frau“, murmelte sie irgendwann. „Und du... hast das gewusst. Und nichts gesagt. Das war... ganz schön gemein von dir. Sir.“ Also das, dachte Sephiroth milde amüsiert über die Furchtlosigkeit des Teenagers, hat mir so direkt noch nie jemand gesagt. Gleichzeitig beschloss er, ihr die Kritik durchgehen zu lassen. „Es spielt keine Rolle“, antwortete er. „Oder glaubst du, deine Angst in Junon wäre mit diesem Hintergrundwissen geringer gewesen?“ „Ja.“ Es klang ein wenig trotzig und beinhaltete somit genau dasselbe, wie das halblaut gegrollte `Cutter´ des Generals, nämlich die feste Überzeugung: `Das glaubst du doch selbst nicht!´ „Hast recht“, murmelte der Teenager und seufzte leise. So tröstend und beruhigend Sephiroths Anwesenheit war – diesmal schien es nicht genug zu sein. Seine Hand befand sich in unmittelbarer Nähe. Cutter hätte gerne danach gegriffen, konnte sich aber schon denken, dass die Konsequenzen keinesfalls dem Gewünschten entsprechen würden. Und so ließ sie es sein. „Warum hat sie in Junon ihre Stimme verstellt?“ „Ein psychischer Trick. Sie wollte dich so massiv wie möglich verängstigen, um dich zum Sprechen zu bringen.“ In Gedanken fügte er hinzu: Diese Stimmimitationen beherrschte sie schon im Labor. `Ihr´ Hojo war nahezu perfekt. Sie hat ihn Sachen sagen lassen, die... mich zum Lachen gebracht haben. Eigentlich dachte ich, das würde nie wieder jemandem gelingen, aber vorhin... hast du es geschafft. Gleichzeitig quittierte er Cutters leises `Danke schön fürs Retten, Sephiroth-sama´ mit einem knappen Nicken, ohne auf das in der Betonung versteckte `Wenn du das oft genug machst, bin ich bestimmt eines Tages in der Lage, es alleine zu schaffen´ einzugehen. Stattdessen warf er seiner Begleiterin einen verstohlenen Blick zu. Cutter war dabei, mit finsterem Gesichtsausdruck die Einschusslöcher im Stoff ihrer Uniform zu befühlen. „Sie hat auf mich geschossen.“ Es klang höchst vorwurfsvoll. „So ein... Biest!“ „Melde dich in der Kleiderkammer wegen einer neuen Uniform“, wies Sephiroth gelassen an. Es war nur Material. Der darin steckende Teenager allerdings beschwor eine den gestrigen Abend betreffende Frage herauf, die er unmöglich selbst beantworten konnte. Kein Mensch war in dem einem mehrstöckigen Labyrinth gleichenden HQ in der Lage, einen anderen Menschen ohne genaue Positionsangabe finden. Dennoch war Cutter genau das gelungen. Sephiroth glaubte weder an Zufälle, noch an Schicksal. Die Geschehnisse des gestrigen Abends... mussten in eine andere Kategorie gehören. Er erkundigte sich danach. Die stockend gegebene Antwort ließ beide einen Moment innehalten. Cutter war in der vergangenen Nacht aus einem Albtraum erwacht in dem unbestimmten Gefühl, mit Sephiroth oder Zack könnte etwas nicht stimmen, hatte die Lines gecheckt und sich dann besorgt (und in ihrer Eile ohne den schützenden Anzug) auf die Suche gemacht – in der Hoffnung, sich zu irren, und wenn nicht... helfen zu können. Irgendwie. „Ich wollte nicht spionieren oder in deine Geheimnisse stolpern, ich...“ Sephiroth hob die Hand, ließ das Mädchen verstummen. Unabhängig von allem gerade gehörten, es gab eine Information, die bedeutsamer – und schockierender - war als alle anderen, und es gelang ihm nicht ganz, seine Überraschung zu verbergen. „Ich habe eine Line?“ „Natürlich!“, antwortete der Teenager verblüfft. „Warum solltest du keine haben?“ Weil es eine Menge gute Gründe dafür gibt!, dachte Sephiroth fast aggressiv, bremste sich jedoch. Oder... ist dies die Antwort, nach der ich schon so lange suche? Aber... die Lines sind so detailliert, so gewissenhaft, und ich bin nicht wie andere. Dies einfach so zu übersehen... passt nicht zu ihnen. Wo ist der Haken? Er überschlug kurz alles von Cutter über die 2nd Lines gelernte, ehe er die nächste Frage stellte. „Welche Farbe hat sie?“ Cutter schwieg einen Augenblick. Dann aber... „Wenn du in einer sternenklaren Nacht zum Himmel aufsiehst – das ist sie.“ „Sie ist schwarz?!“ „Mit winzigen, silbernen Pünktchen drin. Sie ist...“ ... die Schönste von allen.. . „wunderschön.“ Schwarz, dachte Sephiroth. Wie die Grenzline, deren Überschreitung alle außer Cutter wahnsinnig werden lässt. Wie überaus passend! Dann fiel ihm wieder ein, dass jede Farbe und jedes Muster in den 2nd Lines einzigartig war. Unter diesem Standpunkt durch eine schwarze mit silbernen Punkten vertreten zu werden... war nicht monströs. Sondern nur ebenso Einzigartig wie alle anderen. Und damit... normal. Ich könnte, dachte Sephiroth, diese Aussage akzeptieren, und nie wieder darüber nachdenken. Aber er spürte mit nicht zu ignorierender Gewissheit, dass noch nicht alles gesagt war. Erfahrung hatte ihn um die Existenz von Momenten gelehrt, in denen man sein Gegenüber besser mit vollem Rang ansprach. Um zu erinnern, zu warnen... oder Akzeptanz klarzustellen. Wie jetzt. Ihm die gewünschte Antwort zu liefern... nur eine einzige Person war dazu in der Lage. „Und was, Ghost Walker Cutter Tzimmek, unterscheidet meine Line dennoch von allen anderen?“ Das Mädchen erstarrte mitten in der Bewegung. Warum, dachte sie, weiß er immer, wenn man versucht, etwas vor ihm zu verheimlichen? Weshalb stellt er immer die richtigen Fragen? Und warum... bin ich so eine schlechte Lügnerin? Sephiroths Line besaß eine Besonderheit, der Cutter niemals zuvor begegnet war. Eigentlich hatte der Teenager beschlossen, es als eines der Geheimnisse des Generals zu betrachten und nicht mehr darüber nachzudenken. Aber jetzt... „Ich kann sie nicht lesen“, antwortete sie schlicht. „Ich hab´ s versucht, gestern Abend. Zum ersten Mal. Aber es hat nicht geklappt. Sie sagt mir nur, wo du bist... ungefähr, aber längst nicht so klar wie bei anderen, ich habe gestern fast 30 Minuten in den Fluren nach dir gesucht... und ich habe ihren Puls ... mehr nicht.“ Und damit, dachte Sephiroth, passt doch wieder alles zusammen. Nicht einmal die Lines wissen genau, was ich bin. Oh, das würde Hojo gefallen, ich bin sicher, er würde jubeln. „Aber“, jetzt klang Cutters Stimme wieder gewohnt lebhaft, „das hat auch Vorteile. Niemand wird dich jemals ausspionieren können. Es ist... ein bisschen, als hättest du keine.“ Sie lachte. „Kein Wunder, dass du so gut mit den Lines klar kommst, du bist ja selbst fast ein Blue Wanderer!“ So einfach ist das für dich?, dachte Sephiroth. Du machst mich zu einem `fast Blue Wanderer´ und schon ergibt es für dich einen Sinn. Für einen Augenblick wünschte er sich, die Situation mit derselben Leichtigkeit betrachten zu können. All die Unerfahrenheit und Unschuld, den Glauben nutzen um für etwas Unerklärliches eine Erklärung zu finden. Und damit glücklich zu sein. Wie gut, wie schön musste sich das anfühlen! Aber ohne sie zu kennen spürte Sephiroth, dass die Wahrheit eine andere war, und, dass er ihr eines Tages begegnen musste – um sie zu akzeptieren oder daran zu zerbrechen. Weshalb habe ich das Gefühl, als stünde nur diese entsetzliche Ungewissheit zwischen mir und einer die ganze Welt betreffenden Katastrophe? Dann schüttelte er den Kopf. Was für ein Unsinn. Nicht einmal ich wäre in der Lage, etwas so mächtiges heraufzubeschwören. Er fokussierte seine Konzentration wieder auf die aktuelle Situation. „Warum hast du dich nicht gewehrt, als Toron dich packte? Der Anzug verfügt über genug Möglichkeiten.“ „Ich habe den Elektroschocker eingesetzt.“ Cutters Stimme klang frustriert. „Aber er hat überhaupt nichts geholfen.“ „Vielleicht wirkt er nur bei Zack“, kommentierte Sephiroth mit dem für ihn typischen, unerwarteten Humor, wurde aber gleich darauf wieder ernst und ließ sich die Kontakte des Elektroschockers zeigen. „Sie zeigte keinerlei Reaktion?“, vergewisserte er sich. Die Kontakte waren in Ordnung. „Nicht mal ein Zucken! Ob er kaputt ist?“ Sephiroth schwieg, aber seine Gedanken waren in Aufruhr. Hojo, das wusste er mit Sicherheit, hatte auch Toron nicht mit seinen Experimenten verschont. Ob es da einen Zusammenhang gab? Ein Blick in die entsprechende Akte hätte helfen können, aber Hojo dokumentierte letztendlich nur Erfolge, Besonderheiten – und neue Tests. Toron... in welche Kategorie gehörst du? Wie kann ich das ohne deine Akte herausfinden? In Hojos Labor verliert man seinen Namen und wird zu einer Nummer – aber du hast mir deine, ich bin ganz sicher, nie genannt. Unser Fluchtversuch... in welchem Stadium befand sich das dich betreffende Experiment? Und wenn es noch nicht abgeschlossen war – wie interessant war es für Hojo? Genug um eine Akte anzulegen? Er hasste unbeantwortete Fragen, das weiß ich, und du bist ihm entkommen... Er könnte deine Akte aber auch vernichtet haben um Spuren zu verwischen... Sephiroth lächelte düster. Wirklich, in diesem Punkt sind wir uns sehr ähnlich. Dann allerdings verschwand das Lächeln wieder. Sogar ein Kind kann sich Hojos direktem Wirkungsbereich entziehen. Und ich bin... längst keines mehr. Es sollte mir so leicht fallen... „Ich werde den Anzug überprüfen lassen“, beantwortete er die Frage des Teenagers. Lautlos fügte er hinzu: ... und ihn um eine Kleinigkeit ergänzen. Dann kehrten seine Gedanken zurück zu Toron. Als Blue Wanderer besaß sie keine eigene Line, mit der man sie hätte aufspüren können... welche Möglichkeiten gab es noch? Er beriet sich kurz mit Cutter. Die Waffe der Rebellin war ein Standardmodell. Keine Auffälligkeiten. In Midgar an jeder Straßenecke erhältlich. Der `FireBooster´ hingegen bestand aus mehreren Komponenten, deren genaue Definition in der kurzen Zeit nicht hatte stattfinden können, und die ursprünglich von Cutter entdeckte `richtige´ Line entstand nur durch ein Zusammensetzen aller Teile. „Das war ziemlich clever von ihr“, murmelte der Teenager düster. „Nicht clever genug. Nach Abschluss dieser Mission werden wir die vorliegenden Daten in meinem Büro auswerten. Und noch etwas, Cutter.“ Seine Stimme gewann an Schärfe. „Du wirst dich von meiner Line fernhalten!“ Einem dumpfen Gefühl folgend fügte er hinzu: „Dasselbe gilt für die von Hojo! Das ist ein Befehl!“ Cutter hatte keine andere Möglichkeit, als zu nicken. Sie verließen das Haus. Die anderen SOLDIER warteten mit den gefesselten und scharf bewachten Gefangenen vor dem ehemaligen Zielgebäude. Sephiroth genügte ein einziger Blick in die Gesichter der Männer, um zu wissen, dass keiner von ihnen reden würde, und so gab er lediglich Anweisung, einen Jeep zum Abtransport anzufordern. Aus den Augenwinkeln sah er Cutter mit Zack sprechen und wusste instinktiv, dass es um Toron ging. Die Reaktion des 1st bestand in einer Umarmung des Teenagers, und dieser entspannte sich. Sephiroth meinte sogar, auf ihren Lippen ein kleines, dankbares Lächeln zu erkennen. Es erinnerte ihn an die Nacht, in der sie in seinem Bett geschlafen und er sie von dem Albtraum befreit hatte. Und obwohl es nach wie vor unlogisch schien... die Nähe eines anderen Menschen konnte beruhigend wirken. Noch eine Erfahrung, die ich nie gemacht habe. Ich musste von Anfang an alleine klar kommen. Um `keine Schwächen zu entwickeln´. Immer stark zu sein. Und ich war... bin es! Aber... es scheint etwas... Gutes zu sein, diese `Nähe´. Etwas... Tröstendes. Ob ich dazu in der Lage wäre? Die für ihn so untypischen Gedanken beschäftigten ihn so sehr, dass er die Observation, deren Mittelpunkt die kleine ShinRa Truppe darstellte, nicht bemerkte. Toron verhielt sich jetzt wieder sehr vorsichtig. Sie wusste, der Überraschungsmoment war vorbei, und eine erneute Konfrontation mit Sephiroth wäre unmöglich zu ihren Gunsten ausgegangen. Das leise hinter ihr erklingende Geräusch brachte sie nicht einmal dazu, sich umzusehen. Sie kannte diese Schritte nur zu gut. „Weshalb bist du nicht auf deinem Posten, Tyrer?!“ „Wollte nach dir sehen. Werde würdig vertreten, keine Sorge.“ Der große Mann runzelte die Stirn. „Weshalb so grimmig?“ Wenige Sekunden später griff er nach dem ihm entgegengehaltenen Fernglas, folgte beim durchsehen den Richtungsangaben Torons... und lachte schließlich höchst trocken und erheitert auf. „Dass ich den Tag, an dem die große `Liberation´ Führerin Rail Toron einen Fehler macht, noch erleben darf...“ „Ich habe keinen Fehler gemacht!“, fauchte die Angesprochene. Dann wurde ihre Stimme zu einem leisen Zischen. „Weshalb lebt sie noch?!“ Sephiroth konnte ihr unmöglich geholfen haben und Toron schloss eigene Fehler völlig aus, also wie... „Sachte, Boss. Die Sache in Junon war eine deiner Privatmissionen. `Liberation´ und ich haben damit nicht das Geringste zu tun.“ Torons Antwort bestand in einem wütenden Zähnefletschen, gleichzeitig riss sie das Fernglas wieder an sich. „Geh zurück auf deinen Posten! Ich habe nicht umsonst dich dort platziert!“ „Schon gut, schon gut...“ Tyrer hob abwehrend beide Hände. „Befreien wir unsere Leute jetzt oder später?“ Toron sah abermals durchs Fernglas. „Diese Grünschnäbel? Weder jetzt, noch später!“ „Sie könnten reden“, bemerkte Tyrer. „Wir ziehen um.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Sie kennen längst nicht alle unserer Verstecke. Und ich predige euch allen ständig, euren Kram griffbereit zu haben. Unter anderem deshalb kriegt uns ShinRa nicht, Tyrer – wir sind zu mobil. Heute hier, morgen dort. Alles, was zu schwer zum Tragen ist...“ „... taugt nichts. Ich weiß. In Ordnung. Ich lasse unsere Leute abrücken.“ Toron nickte und sah abermals durchs Fernglas. Diesmal blieb ihr Blick an dem Mann hängen, der die gegnerischen Befehle gab, und unwillkürlich schlossen sich ihre Hände fester um das Fernglas. Sephiroth... Cutter erneut zu treffen war unterhaltsam. Aber dir nach all den Jahren wieder zu begegnen war... purer Schmerz. Nach langer Zeit, endlich wieder dieser so lang entbehrte Schmerz... Ich hatte völlig vergessen, wie es sich anfühlt... So heiß und mitreißend... Wie sich erst dein Tod für mich anfühlen wird? Sie seufzte leise. Bis dahin würde es wohl noch eine Weile dauern... Aber der Tag, daran zweifelte sie keine Sekunde, würde kommen. Herbeigeführt durch ihre Wut und allem bisher Verlorenen. Sie lächelte. Pass schön auf, Sephiroth. Sorg dafür, dass es für uns beide gut wird... so gut... Ich werde meinen Teil dazu beisteuern! Erst das Eintreffen der Jeeps brachte Sephiroths Gedanken zurück in die Realität. Verladung und Abtransport der Rebellen verlief mit routinierter Schnelligkeit, und im ShinRa HQ angekommen gab der General den Spezialisten der Verhörabteilung explizite Anweisungen bezüglich der gewünschten Ergebnisse, dann übergab er die Gefangenen und suchte gemeinsam mit Cutter sein Büro auf, wo sie die Auswertung der neuen Daten vornahmen und mit dem entsprechenden Vermerk an die Entwicklungsabteilung weiterleiteten. Vielleicht würde es schon bald neue Erkenntnisse geben. Sephiroth ließ Cutter wegtreten und arbeitete, bis ihn die sich schlagartig öffnende Bürotür unterbrach. „Hey Seph! Ich bringe dir was zu essen!“ „Eher bringst du dich in Schwierigkeiten!“, antwortete Sephiroth kühl und machte keinerlei Anstalten, die ihm von Zack entgegengehaltene, verführerischen Duft verströmende Tüte anzunehmen. Woraufhin der 1st sie einfach auf den Schreibtisch plumpsen ließ, selbst in einem der Sessel davor Platz nahm und seine eigene Tüte öffnete. „Kalt schmeckt´s nicht mehr“, warnte er irgendwann kauend. „Ich bin nicht hungrig.“ „Essen kann man immer“, hielt Zack so unschuldig wie möglich dagegen. „Bestimmt hast du den ganzen Tag noch nichts gegessen. Aber vermutlich“, fügte er dann ein wenig düsterer hinzu, „sollte ich einfach nur froh sein, dass du lebst und atmest!“ „Es geht mir gut, Zackary!“ „Iss was, und es wird dir noch besser gehen. Garantie vom Koch in der 74sten!“ So sehr es dem General missfiel, behandelt zu werden wie ein Dreijähriger – mit seinen Ansichten über fehlende Mahlzeiten hatte Zack recht. Und es gab nur eine Möglichkeit, ihn wieder loszuwerden... Mit Todesverachtung im Blick griff Sephiroth in die Tüte. Zack atmete rein innerlich auf. Er wusste, der Körper seines besten Freundes funktionierte... anders. Zurückzuführen ließ sich das auf viele Dinge: Die höheren Makodosierungen, das Labor, der gesamte Tagesablauf... Potions und auch Materia zeigten kaum Wirkung, und so bestand die einzige Möglichkeit zur Auffüllung der körperlichen Energiedepots in Mahlzeiten, je regelmäßiger, desto besser. Leider ließ Sephiroth diese gerne ausfallen, um sich seines Erachtens nach wichtigeren Dingen zu widmen. Ihn jetzt endlich kauen zu sehen, erfüllte Zack mit tiefer Erleichterung. Bald wird es dir besser gehen, Seph. Etliche Minuten lang war nichts zu hören außer dem leisen Rascheln von Papier. Erst als sie satt waren, erkundigte sich Zack leise: „Hat Cuttie mit dir gesprochen? Wegen... allem?“ „Ich bin von alleine drauf gekommen“, antwortete Sephiroth. Die eingenommene Mahlzeit begann, sich in Energie umzuwandeln. Ein gutes, beruhigendes Gefühl. Es verlieh ihm die Gewissheit, bald wieder vollständig bei Kräften zu sein – war aber andere Bereiche betreffend völlig wirkungslos. „Sie hätte nie von Hojo erfahren dürfen.“ Er flüsterte fast. „Niemand hätte jemals...“ Er verstummte und schüttelte den Kopf, um die Sinnlosigkeit des Protestes wissend und bemüht, das in ihm aufsteigende Gefühl zu unterdrücken. Er war sehr, sehr selten dieser Wunsch, getröstet zu werden. Oder zu weinen. Wenn ich nur noch wüsste, wie das geht... Man scheint sich danach besser zu fühlen. Irgendwie. Aber ich weiß es nicht mehr. Ich... habe manchmal das Gefühl, endlos viel nicht zu wissen. Aber das hier... „Ich wollte Cutter nicht in diese Sache mit hineinziehen. Oder dich. Aber jetzt ist sie Teil davon, und in Gefahr, und... ich bin nicht sicher, ob ich etwas dagegen tun kann...“ „Oh Seph...“ Jeden anderen hätte er längst in den Arm genommen. Aber Sephiroth befand sich in einem äußerst labilen Zustand – und auf der höchst schwierig zu erreichenden und somit selten besuchten Ebene namens `Nähe´. Ein winziger Fehler, und aus ihm würde binnen eines Sekundenbruchteils wieder der unnahbare General werden. Es galt, genau das zu verhindern, zu vermitteln, dass jeder Schwäche zeigen durfte. Selbst der große General Crescent. „... das wissen wir doch. Du kennst mich. Mehr muss ich dazu nicht sagen, oder? Und Cutter... war schon immer unberechenbar. Verdammt, sie schafft es sogar, sich selbst zu überraschen.“ Sephiroth sah zu ihm hinüber, schweigend, und mit einem Blick der - für ihn unbewusst - klar machte, wie nötig er jedes der gehörten Worte brauchte. „Ich werde alles Nötige tun, um sie von der Sache mit dir und Hojo fern zu halten. Mach dir keine Sorgen. Sie wird es für sich behalten.“ Denn wenn es eine Person gibt, für die Cutter alles Leid der Welt ertragen würde, dann bist du das. „Glaub mir.“ Er lächelte wissend. „Versuch es wenigstens.“ Der General nickte. Zack hatte recht. Cutter war, von den Missionen abgesehen, immer noch ein völliger Außenseiter. Niemand würde ihr glauben. Abgesehen davon... Sie hat versucht, mich zu beschützen. Mich! Es ist sehr, sehr lange her, dass jemand das zum letzten Mal für mich getan hat... Er zwang seine Gedanken zurück in die Gegenwart. „Strategisch gesehen war die heutige Lektion wertvoll. Cutter weiß jetzt, wie ernst die Lage ist.“ „Menschlich gesehen wäre sie heute beinahe draufgegangen.“ Er schüttelte den Kopf. „Seph – in unserer Cuttie steckt ein Phoenix, ich sag´s dir!“ „Es ist nicht `unsere Cuttie´. Sie hatte Glück, sie hatte den Anzug.“ Und mich. „Deshalb hat sie überlebt. Was ist eigentlich in der Tüte neben deinen Füßen?“ „Unser Nachtisch?“ Diesmal schmunzelte der Große General sachte. „Her damit.“ In ihrem Quartier lag Cutter auf dem Bett, ließ die Ereignisse des gestrigen und heutigen Tages an sich vorbeiziehen und war heilfroh, alles lebend überstanden zu haben – auch, wenn sich gewisse Dinge grundlegend verändert hatten. Behutsam tastete sie nach den Scherben in ihrem Kopf. Sie waren immer noch da, fühlten sich aber wesentlich stumpfer an als noch vor ein paar Stunden. Vielleicht – hoffentlich – würde sich irgendwann etwas Neues aus ihnen zusammensetzen lassen. Aber eine Gewissheit würde bleiben: Sephiroth war nicht Ok. Nach allem, was Cutter erfahren und gesehen hatte... Kein Mensch konnte unter diesen Umständen OK sein. Und obwohl der General in ihren Augen nichts an Stärke verloren hatte, so wusste sie doch: Die Bilder würden sie noch lange, lange Zeit begleiten. Vielleicht sogar für den Rest ihres Lebens. Um sie daran zu erinnern, wie leicht eine Fassade einstürzen und wie brutal die dahinter verborgene Wahrheit sein konnte. Und apropos `Wahrheit´... Er hat versucht, es zu verbergen, aber ich habe gesehen, wie überrascht er war, als ich ihm sagte, er habe eine Line. Dabei haben doch alle Menschen eine Line, es sei denn, sie sind Blue Wanderer wie ich. Er ist definitiv keiner, also warum diese Überraschung? Etwa wegen des Flügels? Schlagartig fiel ihr ein, wie Toron Sephiroth genannt hatte. `Monster´. So ein Quatsch, dachte Cutter ärgerlich. Bloß, weil er einen Flügel hat, ist er doch kein Monster! Seine Line befindet sich bei denen der Menschen! Blue Wanderer haben überhaupt keine Line. Sind wir deshalb Monster?! Nein! Sie hielt einen Augenblick in ihren Überlegungen inne. Gut, ich kann seine Line nicht lesen. Aber was heißt das schon? Obwohl... könnte nicht dieser Hojo da überall mit drin hängen? Toron hat gesagt... Schluss jetzt! Ich will nicht über Toron nachdenken oder ihr glauben! Sie ist eine fiese, brutale Kidnapperin und Rebellin, sogar Rebellenführerin, hat keinen Respekt vor Sephiroth, auf mich geschossen, und überhaupt... Sie ist wunderschön. Trotz dieser seltsamen Augen. Ob sie krank ist? Vielleicht ist sie deshalb so schlecht drauf... Ich wüsste zu gerne, woher sie Sephiroth-sama kennt... Habe ich nicht vorhin `Schluss!´ gedacht?! Sie zwang ihre Gedanken in eine andere Richtung. Sephiroth war... heute kurzfristig so anders gewesen. Sanft. Ob er ein schlechtes Gewissen gehabt hatte? Vielleicht sogar Schuldgefühle? Das wäre aber doch Unsinn. Er kann nichts dafür... Aber irgendwie hatte Cutter das Gefühl, als habe sie heute eine verborgene Seite an dem sonst so distanzierten General entdeckt. Und sein Lachen... Die Erinnerung ließ einen warmen Schauer über den Rücken des Mädchens laufen. Am liebsten hätte sie es immer wieder und wieder gehört. Da dies jedoch völlig ausgeschlossen war, blieb ihr nur, es irgendwo in ihrem Herzen zu verwahren. Dabei war die Frage absolut ernst gemeint... Und... hat er mich nun aus- oder angelacht? Dann ließ sie eine andere Erinnerung unwillkürlich grinsen. Er hat mich `Ghost Walker´ genannt... Das heißt dann wohl, mein Antrag ist doch bewilligt? Auch, wenn es nur zwischen uns beiden ist. Noch ein Geheimnis, das wir uns teilen. Und was diese andere Sache angeht... „Du bist kein Monster“, wisperte der Teenager. „Ganz egal, was andere sagen! Du bist keins!“ Irgendwo in den Slums verzog Tyrer skeptisch das Gesicht und sah zu seiner Diskussionspartnerin/Chefin hinüber. „Muss diese Aktion wirklich sein? Sie wird nichts bringen.“ „Oh Tyrer, wir haben das schon mindestens einmal diskutiert, und du kennst meinen Standpunkt. Man muss den Feind immer beschäftigen. Und die Gelegenheit ist günstig!“ „Ich bin dagegen. Bitte ignorier es diesmal nicht.“ „Tyrer, du bist eine Spaßbremse! Na schön, ich überlege es mir.“ „Danke. Ich bin in ein paar Tagen wieder da. Versuch... noch da zu sein, bis ich zurückkomme.“ Mit äußerst gemischten Gefühlen verließ er das Versteck und mischte sich unter die Bewohner der Slums. Die zurückgelassene Rail griff nach einem Bleistift, der die Firmeninitialen der Electric Power Company trug, begann, ihn hin- und herzudrehen... und zerbrach ihn schließlich ruckartig in zwei Teile, betrachtete das in der Mitte gespaltene ShinRa Logo. Konnte es ein besseres Omen für ein geplantes Attentat geben? Rail lächelte zufrieden und rollte die Pläne auf dem Tisch aus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)