FFVII: Blue Wanderer - In the lines von Ich_eben ================================================================================ Kapitel 25: Finstere Überraschungen ----------------------------------- Sephiroth besaß ein feines Gespür für die Vorgänge innerhalb SOLDIER. Er wusste, wann die Dinge anfingen, aus dem Ruder zu laufen, und brachte sie zurück in die richtigen Bahnen, bevor unkontrollierbare Eigendynamik entwickelt werden konnte. Manchmal jedoch galt es, genau das zu erreichen. Eigentlich bestand der ursprüngliche Plan darin, Cutter nicht vor erfolgreichem Abschluss des `Killertrainings´ wieder an Missionen teilnehmen zu lassen. Dieses Vorhaben legte Sephiroth gerade auf Eis, indem er den Teenager via Kurzmitteilung für einen morgen geplanten Einsatz unter seinem Kommando zuteilte. Zur Abwechslung. Als Herausforderung. Hinsichtlich der Antwort, die zum einen Teil aus korrekter Militärsprache, zum anderen Teil aus purer Begeisterung und – als Höhepunkt - diesen furchtbaren `Smileys´ bestand, konnte er nur abermals den Kopf schütteln. Doppelpunkte mit halben Klammern dahinter würden Cutter morgen kaum helfen. Auch nicht in mehrfacher Version! Er zweifelte nicht daran, dass sich der Teenager beim Training im Simulatorraum alle Mühe gab, aber... Ich will Resultate! Vielleicht ist alles, was sie braucht, ein kleiner Stoß in die korrekte Richtung. In den Slums fand so gut wie immer Feindkontakt statt. Und selbst, wenn Cutter überfordert war, so gäbe es immer noch ihn – und er würde sie nicht aus den Augen lassen! Sein Instinkt sagte ihm, dass Entwicklungen bevorstanden, und er erwartete sie mit gelassener Spannung. Einen Sekundenbruchteil später begann das Telefon zu klingeln. Natürlich, dachte Sephiroth. Das war dein Stichwort, nicht wahr, Hojo? Was wird es diesmal? All sein Denken befahl ihm, das Telefon nicht anzurühren... aber seine Hand griff bereits wie ferngesteuert danach. „Weshalb hat das so lange gedauert?! Komm ins Labor!!“ Sephiroth ließ den Hörer sinken, endlose Müdigkeit im Blick, legte die Arme auf den Schreibtisch und ließ den Kopf darauf sinken. Tagelang war es still gewesen - in Bezug auf Hojo ein mehr als beunruhigendes Signal. Es bedeutete, dass er etwas plante. Etwas Großes. Warum, dachte Sephiroth verzweifelt, kann ich jedem helfen außer mir selbst? Er nahm wahr, dass er zitterte und hasste seinen Körper dafür – dann erlangte er die vollständige Kontrolle über selbigen und seine Gefühle zurück. Völlig egal, was Hojo plante, er, General Sephiroth Crescent, würde es überleben! Mit verachtender Gelassenheit verließ er das Büro, und wie üblich erstarrte dort, wo er vorbeikam, das Leben für einen Sekundenbruchteil in entsetzter Bewunderung, verhallend in dem unausgesprochenen Wunsch, wie er sein zu können. Aber spätestens jetzt, dachte Sephiroth nachdem sich einmal mehr die eisernen Fixierungen um seinen Körper geschlossen hatten und Hojo das trügerisch weiße Tuch von den für den heutigen Test bereitgelegten Instrumenten entfernte, würdet ihr euren Wunsch widerrufen! „Das könnte ein bisschen wehtun“, kommentierte Hojo lächelnd. Fahr zur Hölle!, kommentierte Sephiroth lautlos. Aber einmal mehr war es nicht Hojo, für den diese Reise begann. Die Zeit im Labor ließ sich nicht auf die gewohnte Art und Weise messen. Hier bestand sie aus Geräuschen, den Reaktionen seines Körpers, und dem Machtkampf mit der so geduldig wartenden Besinnungslosigkeit, die, würde er ihr eine Übernahme gestatten, zwar Frieden brächte – aber auch einen Moment des Triumphes für den Dämon im trügerisch weißen Arztkittel. Sephiroth kämpfte mit aller Kraft dagegen an. Und blieb einmal mehr Sieger. Das Labor verließ er scheinbar völlig unbeeindruckt, teils für sich, teils für die allgegenwärtige Kameraüberwachung im ShinRa Komplex. Er musste mehrere der durch die fortgeschrittene Uhrzeit glücklicherweise menschenleeren Flure hinter sich bringen, um einen zu erreichen, der für die gnadenlosen Augen einen toten Winkel aufwies, und hier verhielt er einen Augenblick lang erschöpft. Bewegung machte den rasenden Schmerz schlimmer. Von der klaren Botschaft seines Körpers an den Geist, einmal mehr besiegt worden zu sein, ganz zu schweigen. Sephiroth stöhnte leise. Die Welt vor seinen Augen schien alle Festigkeit verloren zu haben. Er versuchte es zu ignorieren, Herr der Lage zu bleiben, erfolterte eine weitere Bewegung... und ging zu Boden, als seine Beine vorwarnungslos unter ihm nachgaben. Nur mühsam gelang es ihm, wenigstens auf alle Viere zu kommen. Reiß dich zusammen! Hoch mit dir! Hier kannst du nicht... „S... phi…oth… ma?“ War da gerade ein Geräusch gewesen? Das viel zu laut in seinen Ohren rauschende Blut ließ keinen klaren Schluss zu. Sephiroth versuchte, etwas zu erkennen, aber die Welt war zu verschwommen, um... Die Berührung erfolgte völlig unvermittelt. Und seine Reaktion entsprach an Heftigkeit dem empfundenen Schmerz: Ein mit unkontrollierter Kraft ausgeführter Stoß. „Fass mich nicht an!“ Es war ihm egal, wie er aussah, wie seine Stimme klang... „Fass mich nicht...“ Er brach zusammen ohne den Satz beendet zu haben, röchelnd, und außerstande, irgendetwas dagegen zu tun. Auch Cutter bewegte sich nicht. Die unerwartete Attacke hatte sie hart an die Wand geschleudert, und jetzt schoss der vorerst am ganzen Körper empfundene Schmerz in ihr linkes Handgelenk – aber der Teenager nahm es kaum wahr. Gefangen in einem wahren Tornado der unterschiedlichsten Gefühle sah sie zu Sephiroth hinüber. Das kann nicht sein... Das kann einfach nicht sein!! Sie hatte die finsteren Erinnerungen an die Entführung in Junon im Keller ihres Herzens angekettet, mit der festen Absicht, nie wieder darüber nachzudenken. Aber jetzt... gaben die Fixierungen unter dem Druck nach. Die Finsternis kam zurück. Torons Stimme, die völlige Gefühlslosigkeit, deren Kern allerdings Arroganz bildete... „Du hältst ihn für stark, deinen General Sephiroth. Aber es gibt Momente, in denen ist er einfach nur ein zerschlagenes, zitterndes Etwas, das im tiefsten Grunde seines Herzens nach einem Ort zum Sterben sucht! Ich möchte dir etwas über ihn erzählen. Eine Insiderinfo. Unser Lieblingsgeneral wurde in ShinRa´ s Labor zur Welt gebracht, vielleicht sogar dort gezeugt, und ein Professor Namens `Hojo´ nahm ihn unter seine Fittiche. Hojos größte Freude besteht darin, Experimente an lebenden Menschen durchzuführen, und weißt du was? Dein strahlender Held ist bis zum heutigen Tage sein Lieblingsversuchsobjekt! Oh, du solltest ihn mal erleben, wenn Hojo mit ihm fertig ist. Du würdest ihn kaum wiedererkennen...“ Lügen! Miese, hinterhältige, aus der Luft gegriffene Lügen! Nichts und niemand auf dieser Welt war stärker als Sephiroth! Niemals hätte er zugelassen, sich von einer anderen Person derart missbrauchen zu lassen! Es gab keinen Grund! Daran hatte Cutter felsenfest geglaubt. Bis jetzt. Pures Entsetzen hatte diesen Glauben soeben in Tausend Scherben zerschlagen. Es hinderte den Teenager sogar daran, den Blick von dem Mann, den alle nur als die Verkörperung des Stolzes sahen, abzuwenden. Eben versuchte er wieder aufzustehen, sank aber schon nach wenigen Bewegungen abermals zitternd in sich zusammen. Und so sehr sich Cutter einen Albtraum einzureden versuchte – sie wusste, dass sie wach war. Ihr Denken setzte wieder ein, zuerst knirschend und ruckelnd, dann mit beinahe zügelloser Hektik. Ich muss etwas tun, ich muss etwas tun, ich muss etwas tun... Denk nach, denk nach, denk... Zack!! Vorsichtig griff sie zu ihrem Handy. Es dauerte nur wenige Minuten, ehe der 1st in dem Flur auftauchte und Cutter bedeutete, sich mit langsamen, ruhigen Bewegungen aus der direkten Gefahrenzone zu bewegen. Gleichzeitig zwang er die in ihm tobenden Gefühle zu erstarren, bis nur noch absolute Ruhe und äußerste Wachsamkeit existierten. Auch in seinem jetzigen Zustand handelte es sich bei dem Mann vor ihm um eine perfekt funktionierende, im äußersten Fall tödliche Kampfmaschine, deren jetzige Reaktionen einzig und allein dem Selbsterhaltungstrieb dienten. Erst als die innere Umstellung vollständig abgeschlossen war, näherte sich Zack vorsichtig dem immer noch am Boden liegenden Sephiroth, dessen Atemzüge klangen, als kämpfe er mit äußerster Kraft um jeden einzelnen von ihnen. „Seph?“, flüsterte Zack, erhielt aber keine Antwort. „Seph!“ Nichts. Aber Sephiroth musste hier weg, schnell, bevor es noch mehr Zeugen geben würde. Er entschloss sich zum Äußersten, legte vorsichtig seine Hand auf den Arm des Generals... Sephiroths Kopf ruckte nach oben. Vor Schmerz gleißendes Grün, nur unterbrochen von zu dünnen Strichen zusammengezogenen, vertikal stehenden Pupillen, fraß sich in Zacks Blick. Der gleichzeitig durchgeführte Angriff wäre für andere völlig unerwartet gekommen, aber der 1st blockte die Attacke mit der Schulterrüstung, als habe er darauf gewartet und griff todesmutig mit beiden Händen nach dem Gesicht des mittlerweile wieder auf allen Vieren befindlichen Generals, brachte ihn zum aufsehen. „Sieh mich an, sich mich an! Ich bin´s! Wir verschwinden jetzt von hier, ok? Ok!“ Es gelang ihm nur mit äußerster Kraftanstrengung, den großen Mann auf die Beine zu bekommen. Cutters entsetzten Blick ignorierend bat er sie, den Lotsen zu spielen, um das Appartement des Generals ohne weitere Zeugen zu erreichen. Gleichzeitig aktivierte er den mitgebrachten Sender, um das Übertragungsbild der die Flure überwachenden Kameras zu stören - nicht genug, um das Reparaturteam auf den Plan zu rufen, aber doch ausreichend um für einige Sekunden kein klares Bild liefern und sich vorbeischleichen zu können. Einmal mehr waren die 2nd Lines Fähigkeiten des Teenagers die Rettung. Dennoch schienen Stunden zu vergehen, ehe Zack endlich die Tür zu Sephiroths Appartement öffnete und selbiges zusammen mit dem immer noch schwer atmenden General betrat. Cutter wollte folgen, aber der 1st versperrte ihr kopfschüttelnd den Weg, schickte sie in ihr Quartier und schloss die Tür. „Oh, dieser Bastard!“ Vorsichtig bugsierte er seine kostbare Last in eine sitzende Position auf die Couch. „Wir sollten ihn umbringen, Seph, nur du und ich, wir...“ „... verschwinde...“ Es war vor Zittern kaum zu verstehen. Zack jedoch schüttelte entschlossen den Kopf und legte seine Hände auf die Rüstung, zweifelsfrei mit dem Ziel, diese zu entfernen... Sephiroths Hand fuhr rasend schnell vorwärts, griff hart zu, brachte den 1st mittels einer einzigen Bewegung auf Augenhöhe.... „Befolge meinen Befehl, SOLDIER!“ ... und stieß ihn so energisch von sich, dass Zack nur mit Mühe das Gleichgewicht halten konnte. Die Sprache in Sephiroths Augen war, jetzt, wo die sonst perfekt sitzende Maske fehlte und er mit Schmerzen kämpfte, die jeden anderen längst in tiefe Besinnungslosigkeit katapultiert hätten, mehr als deutlich. Verschwinde, sonst werde ich dich auf der Stelle töten. Es war keine Drohung, sondern eine Prophezeiung. Und Zack wusste, dass er Sephiroth, auch wenn dieser es weder in der Vergangenheit, noch heute oder in naher Zukunft einsehen würde, lebend nützlicher war als tot. Aber als er die Tür hinter sich schloss, standen Tränen in seinen Augen. Tränen der Verzweiflung, der Wut... der Besorgnis. Er hielt inne, lehnte den Kopf an die kühle Wand und verpasste selbiger, auf der verzweifelten Suche nach einem Ventil für die empfundene Hilflosigkeit, einen heftigen Schlag. Sephiroth in diesem Zustand vorzufinden... es war nicht das erste und würde nicht das letzte Mal sein. Aber Schock und Wut sickerten bei jeder derartigen Begegnung etwas tiefer, und Zack fragte sich, wann er es nicht mehr würde ertragen können. Wann er den Fehler begehen würde, zu versuchen, diesen Zustand selbst zu verändern. Mehr als alles andere auf der Welt wünschte er sich, seinen besten Freund zu befreien. Aber die Kraft dazu war ihm nicht gegeben. Einzig und allein Sephiroth selbst war dazu in der Lage. Und gelänge es ihm nicht, dessen war sich Zack sicher, würde er eines Tages im Labor sterben, qualvoll und einsam. Mindestens genauso grausam wie die Tatsache, seinem besten Freund nicht helfen zu können, war jedoch Cutters Verstrickung in diese Sache. Und jetzt würde er zu ihr gehen müssen, um sie zu beruhigen, denn vermutlich war gerade eine kleine Welt für sie zusammengebrochen. Wenige Minuten später nahm er neben der bewegungslos auf dem Bett liegenden Cutter Platz und begann, mit langsamen, ruhigen Bewegungen ihren Rücken zu streicheln. „Das hättest du nicht sehen sollen, Cuttie.“ Seine Stimme klang leise und war schwer von Trauer und Besorgnis. „Alles... aber das nicht.“ „Habe ich aber“, antwortete der Teenager völlig emotionslos. Und dann, absolut unvermittelt: „War das Hojo?“ Für Zack fühlte sich die Frage an, als risse ihm jemand den Boden unter den Füßen weg. „Cuttie“, fragte er mühsam, „woher weißt du von... Hojo?“ „Toron.“ „Dieser Mistkerl!“, wisperte Zack. „Cuttie, warum hast du nichts gesagt?“ „Ich habe... Hojos Line gecheckt. Er ist... von seiner Arbeit im Labor besessen, aber er... wäre körperlich nicht in der Lage Sephiroth-sama all diese grauenhaften Dinge, von denen Toron erzählt hat, anzutun.“ Sie schüttelte matt den Kopf. „Ich habe ihm nicht geglaubt...“ Zack hätte gerne etwas gesagt. Aber all seine Gedanken waren in purer Hilflosigkeit erstarrt. Und so konnte er Cutter nur weiter zuhören. „Dann ist alles, was mir Toron außerdem erzählt hat, auch wahr? Dass Sephiroth-sama in diesem Labor aufgewachsen ist? In einem Käfig? Und, dass die Experimente ohne jegliche Betäubung stattfinden? Auf diesem... Tisch?“ Zacks Grauen wuchs mit jedem gehörten Wort, aber das war Nichts im Vergleich mit seiner Wut auf Toron. Auf Cutters Frage hin hätte er nur zu gerne gelogen – aber momentan, das spürte er genau, fehlte ihm dazu die nötige Glaubwürdigkeit. „Es ist wahr“, antwortete er mit einer Stimme, die wie geborsten klang. Neben ihm brach Cutter in Tränen aus. „Aber es ist doch Sephiroth!!! Wieso lässt er das zu?? Ich habe Hojos Line gecheckt, Zack, er ist viel kleiner und schwächer als... als... er sollte das nicht tun können, niemand sollte das, wieso... Wieso lässt er zu, dass man ihm so weh tut???“ Genau diese Frage hatte sich Zack unzählige Male selbst gestellt. In seinen Augen gab es nur eine einzige Begründung. „Er kennt es nicht anders, Cuttie.“ Seine Stimme klang sehr sanft. „Seph ist in und mit diesem Labor und Hojo groß geworden. Es ist... wie ein Teil von ihm. Hojo duldet keinen Widerspruch, und Seph war noch ein Kind, als es begann.“ Vielleicht, fügte er in Gedanken hinzu, sogar noch ein Baby. „Er konnte sich nicht gegen die Experimente wehren. Und Hojo war immer stärker. Das hat sich in Sephs Kopf zu einer unverrückbaren Grundlage entwickelt. Für ihn ist dieser Bastard nahezu allmächtig. Ich habe versucht, es ihm auszureden – er hat mir nicht zugehört. Ich habe versucht, ihn mit Gewalt davon abzuhalten, ins Labor zu gehen – er hat mich fast getötet. Es ist sinnlos, glaub mir.“ „Und warum tut dieser Hojo das??“ „Er ist Wissenschaftler. Einer von der kaltblütigen, perversen Sorte, aber... eben doch Wissenschaftler. Und Sephiroth ist... nicht wie wir. Er ist... “ Details und Erinnerungen formten eine Feststellung, von der Zack lange gebraucht hatte, um sie zu akzeptieren und, soweit dies möglich war, zu ignorieren, ohne dabei sein eigenes Todesurteil zu unterzeichnen. „... anders“, vollendete er den Satz. „Das ist keine Begründung!“ „Für Hojo schon.“ Abgesehen davon, fügte er lautlos hinzu, braucht dieser Dreckskerl keine Begründung! Er sieht Sephiroth als sein persönliches Eigentum, mit dem er nach Belieben verfahren kann, und es ist mir unmöglich, etwas dagegen zu tun! „Ich... denke, er will Seph bis ins Detail erforschen.“ Wie eine verdammte, neuartige Spezies... „Und das geht nur so??!?“ Es war ein einziger, vor Grauen betäubter Protestschrei – wurde jedoch nur Sekunden später wieder zu leiser, purer Hilflosigkeit. „Aber Sephiroth-sama ist doch viel stärker!“ Tränen liefen über Cutters Gesicht. „Er könnte ihn mit einem einzigen Schlag...“ „Für Seph ist Hojo kein körperlicher Gegner, sondern ein mentaler, verstehst du? Ich würde ihn mit bloßen Händen umbringen, wenn Seph das helfen würde, aber dem wäre nicht so!! Diesem Kampf, diesen mentalen Prozessen, die sich entwickelt haben und anfangen zu laufen, sobald die Beiden sich begegnen, muss sich Seph alleine stellen, und er muss den Sieg auf eine Art und Weise erringen, die für ihn zu 100 % akzeptabel ist.“ Er hielt einen Augenblick lang erschöpft inne. Auf dem körperlichen Schlachtfeld konnte 1st Class SOLDIER Zackary Fair stundenlang kämpfen, ohne müde zu werden, aber Gespräche wie dieses wurden auf eine andere Art und Weise ausgetragen. Er hielt nie lange durch. „Es ist Seph´ s Kampf“, wiederholte er. „Gegen Hojo. Gegen, mit, für sich selbst. Und deshalb... dürfen wir uns nicht einmischen. Wir müssen... ihn diesen Kampf um seine Seele... allein austragen lassen.“ Cutter sah mit Tränen in den Augen zu ihm auf, stellte fest, dass Zacks Augen auf dieselbe Art und Weise glänzten... und begriff die brutale Wahrheit. Weder sie, noch der 1st waren diesem Schlachtfeld auf irgendeine Art und Weise gewachsen. „Was soll ich jetzt machen?“, wisperte sie. Die Stimme des 1st klang ernst und sehr eindringlich. „Niemandem von dieser Nacht erzählen. Es wäre dein Todesurteil! Was da unten im Labor vor sich geht, obliegt der höchsten Geheimhaltungsstufe. Wenn ShinRa wüsste, was ich weiß, würde man mich auf der Stelle verschwinden lassen, spurlos. Und dich auch. Sie sind dazu in der Lage. Wir können nur versuchen, Seph zu helfen, indem wir unseren Job gut machen. Kriegst du das hin?“ „Ich muss.“ Ihre Stimme war aufgrund der geringen Lautstärke kaum zu verstehen. „Oder?“ „Ja“, antwortete Zack auf dieselbe Art und Weise. „Es ist deine einzige Chance.“ Niemals zuvor hatte er sich so müde gefühlt wie in diesem Augenblick. Und Cutters mattes Nicken ließ ihn wissen, dass es ihr ebenso ging – und noch etwas anderes. „Möchtest du jetzt gerne allein sein?“ „Ja. Zack? Danke, dass du mir die Wahrheit gesagt hast.“ Der 1st fand nur noch die Kraft für ein knappes Nicken. Dann verließ er das winzige Quartier, langsam, erschöpft und ohne die geringste Ahnung, wohin er jetzt gehen sollte, denn der Schmerz würde ihm überall hin folgen. Und Zack wusste, dass diese Nacht sowohl für ihn, als auch für Sephiroth und Cutter von Qualen unterschiedlichster Art und Weise bestimmt sein würde, auf Schlachtfeldern, die jeweils nur einer einzelnen Seele gehörten. „Verdammt sind wir“, flüsterte der 1st tonlos. „Alle miteinander!“ Völlig unbeeindruckt von den Schrecken der zurückliegenden Nacht - der nächste Morgen kam. Zaghaftes Licht kroch über die Schlachtfelder und begrüßte die Überlebenden. Cutter hatte in der zurückliegenden Nacht kein Auge zugetan, zu der Müdigkeit kam das Gefühl völliger Überforderung – und Angst. Angst um Sephiroth, den sie zum letzten Mal in diesem dem Tod näher als dem Leben scheinenden Zustand gesehen hatte. Die Erinnerung und die entsetzliche, ihn betreffende Ungewissheit waren quälender als alles bisher erlebte und ließen im Kopf des Teenagers ein Horrorszenario nach dem nächsten entstehen. Cutter nahm kaum wahr, die Erste an der Sammelstelle für die heutige, von Sephiroth geleitete Mission, auf die sie sich gestern noch so gefreut hatte, zu sein. Alles erschien schlagartig so nebensächlich... Selbst Zack realisierte sie erst, als er unmittelbar neben ihr anhielt und ihr in gewohnter Manier, aber bei weitem nicht so lebhaft wie sonst, mit beiden Händen durch die Haare fuhr. „Lebt er noch?“, wisperte Cutter. „Kopf hoch“, flüsterte der 1st. „Er kommt. Du wirst sehen.“ Cutter nickte tapfer. Wenn jemand die Situation beurteilen konnte, dann Zack, denn ganz offensichtlich hatte er etwas wie gestern Abend nicht zum ersten Mal erlebt. Aber dennoch... Wie soll ich mich jetzt verhalten? Soll ich... darf ich was sagen? Oder wird Sephiroth-sama von mir erwartet, dass ich den gestrigen Abend einfach ignoriere? Ich möchte... ihn so gerne fragen, wie es ihm geht, aber warum sollte er mir antworten? Was soll ich nur machen? Vorerst blieb ihr nur, weiterhin unentwegt nach ihm Ausschau zu halten – und als er endlich auftauchte, fühlte sie ihr Herz einen Schlag aussetzen vor Erleichterung. Zu ihrer Überraschung verhielt sich der General wie gewohnt und informierte, ohne ihr oder Zack auch nur einen einzigen überflüssigen Blick zuzuwerfen, alle Anwesenden über das Ziel der heutigen Mission: Es galt, ein Versteck der Rebellen in den Slums auszuräumen. Die Truppe setzte sich in Bewegung. Es dauerte nicht lange, und Zack schob sich neben seinen General. „Es tut gut, dich lebend zu sehen“, sagte er behutsam, hoffend, dass Sephiroth die Metapher zu `Wie geht es dir?´ verstehen und antworten würde. Dieser verstand sehr genau. Aber... Was spielt mein Zustand für eine Rolle? Ich habe eine Mission und werde sie erfüllen. Nur das zählt. Niemand würde es jemals erfahren. Aber in der vergangenen, halb wachend, halb besinnungslos verbrachten Nacht, hatte er sich zum ersten Mal gewünscht, einfach sterben zu können, um dem alles überwältigenden Schmerz zu entkommen. Erst gegen Morgen war es ihm gelungen, sich irgendwie unter die Dusche zu schleppen, wo er eine gefühlte Ewigkeit verweilte, unter heißem Wasser mit einem vor Kälte zitternden Körper und einem Geist, der wie ein verwundetes Tier darin festsaß und verzweifelt einen Ausweg suchte. Letztendlich hatte er die optische Kontrolle zurückgewonnen – innerlich jedoch kämpfte er mit stumpfen Sinnen, etlichen anderen Nebenwirkungen und um die Kraft der kontinuierlichen Vorwärtsbewegung, das Kunststück, sich nichts anmerken zu lassen, das Idol zu bleiben, dem so viele nacheiferten. Sein Schmerz war nicht für ihre Augen bestimmt. „Geh auf deinen Posten!“, befahl er unbewegt. Zack aber blieb unerschrocken an seiner Seite. Es gab etwas, das sein bester Freund unbedingt wissen musste... „Seph“, sagte er leise, „Toron hat Cuttie...“ „Ich werde mich nicht wiederholen, SOLDIER!“ Er wusste, dass dieser Titel Zack daran erinnern würde, was ein Mann in diesem Rang war, warum, und wie er es bis hierher geschafft hatte. Und, dass es Momente gab, in denen man unempfindlich sein musste, um nicht an den Geschehnissen oder sich selbst zu zerbrechen. Er atmete unbemerkt auf, als sich Zack wieder zurückfallen ließ und kniff gleichzeitig kurzfristig die Augen zusammen, als die Welt vor diesen ein weiteres Mal unscharf wurde. Sephiroth, reiß dich zusammen! Konzentrier dich auf die Mission oder auf... Wo steckt eigentlich Cutter?! Für gewöhnlich mogelte sie sich in einer Situation wie dieser hier immer nach vorne, bis er sie daran erinnerte, wo der korrekte Platz eines Blue Wanderers war und zurückschickte. Diesmal jedoch, das bestätigte ein kurzer Blick, befand sie sich genau an der richtigen Position. Der Anblick ließ ein seltsames Gefühl in ihm aufsteigen. Als... solle ihm dieser kampflos aufgesuchte Platz etwas mitteilen... Eine Art... Code? Unsinn, schimpfte er sich. Cutter hat endlich eingesehen, wo ihr Platz ist. Das ist alles! Oder... hat es doch damit zu tun, was Zack mir sagen wollte? Meine Erinnerungen an den gestrigen Abend sind so... verschwommen... Aber jetzt fehlte zum Nachdenken die Zeit. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder der aktuellen Mission zu – und dem anderen Gefühl. Seit Verlassen des HQs war es immer stärker geworden. Nur bevorstehender Ärger von einer unerwarteten Seite aus konnte sich auf eine solche Art aufbauen. Lüften würde sich das Geheimnis bald, denn in wenigen Augenblicken würden sie die Slums betreten. Militär in diesen Straßen war zwar nichts ungewöhnliches – die Präsenz General Crescents jedoch würde sich mit rasender Geschwindigkeit herumsprechen. Um genau das und eine vorzeitige Warnung an die Rebellen zu verhindern, wurden die SOLDIER unmittelbar nach dem Betreten der Slums förmlich zu Schatten, die sich erst unmittelbar vor dem Zielobjekt, hinter einigen scheinbar leerstehenden Häusern, erneut sammelten. Cutter versuchte, sich zu konzentrieren, aber es gelang ihr stets nur kurzfristig. Immer wieder wanderten ihre Gedanken zu der vergangenen Nacht. Das Handgelenk... schmerzte trotz stundenlanger Kühlung immer noch, und die Schwellung verhieß nichts gutes. Aber das war nicht das Schlimmste. Irgendetwas tief in ihr war zerbrochen, und alle Versuche, den mentalen Scherbenberg zu etwas Neuem zusammenzusetzen oder die Bruchstücke wenigstens zu sortieren, waren fehl geschlagen. Letztendlich war ihr nur die schmerzhafte Gewissheit geblieben, momentan nichts tun zu können. Was Sephiroth anging... er war hier, aber war er wirklich OK? Er verhielt sich normal, aber... „Cutter, ich rede mit dir!“ Das Mädchen zuckte erschrocken zusammen und sah ihn an – dieses Mal jedoch zwangen sie die in ihrem Kopf knirschenden Scherben, dem unergründlichen (und sonst so furchtlos erwiderten) Makoblick auszuweichen. Sie sieht sofort weg, wie alle anderen?, dachte Sephiroth. Seit wann das? Was ist hier los? Zack... was wolltest du mir sagen? „Überprüf das Haus auf dessen Inhalt!“ Binnen weniger Sekunden bestätigte Cutter die Angaben des Geheimdienstes. In dem Gebäude befanden sich außer Menschen auch noch massenhaft Munition, Waffen, und... „Da ist eine ganz seltsame Line, Sir.“ Ihre Augen waren fest geschlossen, ein Zeichen höchster Konzentration. „Sie... ist aus mehreren Komponenten zusammengesetzt, wie... Bauteile. So etwas ist mir noch nie begegnet.“ „Eine Waffe?“ „Es hat definitiv einen Abzug, aber... ob es gefährlich ist... Keine Ahnung, Sir.“ Sephiroth dachte einen Augenblick nach. Ihm lagen keine neuartigen Waffenentwicklungen der Rebellen vor, aber das musste nichts heißen. Fortschritt zeichnete sich durch Bewegung aus. Das Gefühl von sich aufbauender Gefahr war stärker geworden – synchronisiert sich jedoch nicht mit Cutters Angaben. Da musste mehr sein! Aber vorerst... „Wird als Waffe eingestuft bis uns nähere Details vorliegen. Gesondert im Auge behalten und Veränderungen melden!“ Er wandte sich wieder dem Zielobjekt zu. Da man von Wachen ausgehen konnte, plante er nicht, die vor dem Haus liegende, freie Fläche zu überqueren. Aber für gewöhnlich gab es auf dem Dach immer einen Zugang in die unteren Etagen, und die Häuser hier standen dichtgedrängt und wirkten verwahrlost und verlassen. Eines von ihnen ungesehen zu betreten, auf dessen Dach zu gelangen und den Weg von dort aus bis zum Hauptziel fortzusetzen, schien die schnellste und vielversprechendste Lösung darzustellen. Auf sein Signal hin teilte sich die Gruppe in zwei Einheiten auf. Sephiroth überzeugte sich unauffällig von Cutters – akzeptabler – Deckung, dann gab er das Zeichen zum Aufbruch. Nur Sekunden später betraten er und sein Team unbemerkt eines der leerstehenden Häuser. Wenige Augenblicke später konnte der General hören, wie die zurückgebliebene Gruppe das Feuer eröffnete und selbiges nach einigen Schrecksekunden erwidert wurde. Alles lief nach Plan. In ihrer Deckung beobachtete Cutter tief konzentriert die Lines, wobei ihr besonderes Augenmerk der Großen Unbekannten galt. Neue Lines waren immer spannend. Aber diese hier vermittelte durch ihre seltsame Zusammensetzung mehr und mehr das Gefühl von tödlicher Gefahr, die mit jeder aktionslosen Sekunde stärker wurde. Irgendwas Furchtbares wird passieren, dachte Cutter, ich weiß es, ich spüre es, ich... Die Line verriet einen Stellungswechsel, den der Teenager sofort an Sephiroth meldete. Und dann... betätigte irgendjemand in dem feindlich besetzten Haus den Abzug. Eine faustgroße, einzelne Patrone jagte auf die Stellung der Ködertruppe zu, explodierte – ... Blauweißes Feuer, so mächtig wie die Wut eines Drachen, verschluckte den Boden, den Himmel, die Nachbargebäude. Und Cutter, deren Deckung ein wenig hinter denen der anderen lag, musste entsetzt mit ansehen, wie die Berührung des Feuers alles während der unaufhaltsamen Vorwärtsbewegung dahinschmelzen ließ wie Eis in der Sonne. Auch menschliche Körper. Manchmal lag die einzige Überlebenschance in bedingungsloser Flucht. Cutter rettete sich in eines der leerstehenden Häuser, aber die Sicherheit entpuppte sich als Illusion. Es vergingen nur wenige Sekunden, ehe die massive Wand begann, widerstandslos zu schmelzen, und erst jetzt dämmerte dem Teenager, wie unüberlegt es gewesen war, vor einem unbekannten Gegner ausgerechnet in einem fremden Haus Deckung zu suchen. Hektisch sah sie sich nach einem Ausweg um, aber die einzige auf dieser Etage befindliche Tür war durch das Feuer hoffnungslos blockiert - es blieb nur die Treppe. Cutter hatte erst wenige Stufen hinter sich gebracht, als die Wand endgültig nachgab. Blauweißer Tod strömte gierig in den Raum. Cutter rannte, gedankenlos. Das Haus war bis auf die Wände, das Dach und die Treppe nie fertiggestellt worden, und so konnte sie auf ihrer Flucht sehen, wie sich die Hölle aus fauchendem blau und weiß unter ihr empor streckte und dabei Stufe um Stufe schmolz wie ein gefräßiges Untier... Erst in der oberen Hälfte des Hauses verlor das Feuer seine vernichtende Wirkung und fiel langsam in sich zusammen. Der Teenager verhielt schwer atmend und mit wild schlagendem Herzen einen Moment, um wieder zu Kräften zu kommen, dann sah sie sich um. Der Rückweg... existierte nicht mehr. Blieb nur, dem Verlauf der Treppe weiter zu folgen. Vielleicht würde sich auf dem Dach eine neue Möglichkeit eröffnen? Sephiroth sah wie gebannt zu dem durch den Angriff der Rebellen stark beschädigten Nachbargebäude hinüber. Zwei seiner Männer waren in dem blauweißen Feuer gestorben, ohne dass er oder sie das Geringste dagegen hätten tun können, und er nahm diesbezüglich kalte Wut, der das seltene Gefühl von Hilflosigkeit zugrunde lag, wahr. Er und seine restlichen Männer befanden sich bereits auf dem Dach des Zielobjektes, und einer von ihnen war dabei, mit Hilfe einer kleinen Sprengladung den blockierten Eingang zu den unteren Etagen frei zu räumen. Die entscheidende Änderung der Situation stand kurz bevor, aber bis dahin... Sephiroth lauschte der unnatürlichen Stille, und konnte förmlich spüren, wie sich der Tod auf den nächsten Schlag vorbereitete. Der geringste Hinweis auf ein Versteck des Gegners würde das Inferno erneut entfesseln. Er hatte keinerlei Zweifel, dass seine SOLDIER dies wussten und ihre Deckung nicht verlassen würden. Was Cutter anging… Sie lebte, dessen war er sicher. Und stellte genau daher ein potentielles Risiko dar – auch für sich selbst. Sephiroth wechselte auf ihre Funkfrequenz.... ... und sah den Teenager einen Sekundenbruchteil später auf dem gegenüberliegenden Dach auftauchen – unvermittelt, vor allem aber gut sichtbar. Schussel!, dachte Sephiroth. „Keeper 5, Deck...“ Triumphierendes Fauchen verschluckte den Rest des Satzes. Eine weitere Patrone schoss davon und detonierte nur Sekunden später mit dem anvisierten Ziel. Etwa eine Sekunde lang schien es, als führe die ohnehin schon schwer beschädigte Hauswand erbitterte Verhandlungen mit dem blauweißen Angreifer. Dann setzte der unaufhaltsame Schmelzprozess ein. Das Dach begann, sich gefährlich zu neigen, katapultierte Cutter in einen Kampf um ihr Gleichgewicht und einer verzweifelten Suche nach einer Alternative zu unten und fallen. Aber es gab keine. Nur die sich immer schneller neigende Ebene, welche ... „Keeper 5, spring!“ Sephiroths Stimme, kristallklar und schneidend scharf durch Cutters Headphone dringend, zerstörte das scheinbar unbeeinflussbare Ende. Es gab noch ein Gebäude in unmittelbarer Nähe, aber die Dächer waren nicht auf derselben Höhe, ein Zutritt somit ausschließlich durch eines der zahlreichen, glücklicherweise unverglasten Fenster möglich... Auf dem wie lebendig wirkenden Dach gab Cutter alles, um der kurzen und immer steiler abfallenden Strecke das ultimative Tempo herauszuholen, näherte sich der Kante... „Das schafft sie nie!“, murmelte einer der SOLDIER auf Sephiroths Dach. ... legte alle Kraft in den Absprung - Die Staub- und Schuttwolke, erzeugt durch die ersten den Boden erreichenden Trümmer des zusammenbrechenden Hauses, war so dicht, dass nicht einmal Sephiroth erkennen konnte, wie der Sprung ausgegangen war. Aber ohnehin musste er seine Aufmerksamkeit jetzt anderen Dingen zuwenden: Der Weg zu den unteren Etagen war frei geräumt, und der Schwerpunkt dieser Mission lag nicht darin, auf einen Teenager aufzupassen. Lautlos betraten die SOLDIER das Gebäude. Es dauerte eine Weile, ehe Cutter den Kampf um ihr Bewusstsein gewann. Ihr ganzer Körper schmerzte, und der nach oben gerichtete Blick lieferte eindeutige Gründe: Der Boden/die Decke der einzelnen Etagen bestand nicht etwa aus Beton, sondern... Holz. Die Lines bestätigten, dass es völlig morsch und auch auf der aktuellen hölzernen Ebene äußerste Vorsicht geraten war. „Du durchschlägst drei Stockwerke und hast keine Schramme? Respekt!“ Cutter zuckte erschrocken zusammen. Sie war nicht allein? Die weibliche Eigentümerin der Stimme stand in lässiger Pose neben einem der Fenster und sah mit unverhohlenem, fast schon aufdringlichem Interesse zu dem Teenager hinüber. Irgendetwas Seltsames ging von ihr aus – oder lag es nur an der immer noch andauernden Benommenheit? Cutter schüttelte heftig den Kopf in der Hoffnung, die durcheinandergewirbelten Sinne wieder zu ordnen, dann sah sie abermals auf. Diese Frau... irgendwie glich sie einem brennenden Streichholz unmittelbar vor einer sehr kurzen Zündschnur. Aus einem Grund, den Cutter nicht nachvollziehen konnte, sah sie Fremden immer zuerst direkt in die Augen. So auch jetzt. Zuerst war ihr nicht klar, was sie störte. Dann wusste sie es. Der bei allen anderen Menschen farbige Ring um die tiefschwarze Pupille war hier... völlig weiß. Es ließ die Augen wirken wie die Doppelmündung einer Waffe. Abgesehen davon sah die Frau aus wie eines der Models in den teuren Hochglanzmagazinen, groß, schlank, mit seidig glänzenden Haaren und einem Gesicht, das ebenso gut einem Engel hätte gehören können. Eine absolute Schönheit. Eine Verführerin, wie sie im Buche stand. Was tat eine solche Frau hier, in den Slums? Noch dazu in der Nähe des Schlachtfeldes? Vorsicht!, flüsterte Cutters innere Stimme. Steh auf! Schnell! „Glück gehabt“, antwortete sie beim aufstehen fast verlegen auf die zuvor geäußerte Bewunderung. Und dann, etwas selbstsicherer: „Sie sollten besser gehen, es ist gefährlich hier.“ Zivilisten in ShinRa Angelegenheiten zu verwickeln war niemals eine gute Sache. Aber diesmal... „Ich weiß.“ Die Frau lächelte, sah kurz aus dem Fenster und dann wieder zu Cutter hinüber. „Meine Leute haben deine Leute ziemlich unter Druck gesetzt.“ Zuerst glaube das Mädchen, sich verhört zu haben. Die Benommenheit war immer noch nicht vollständig gewichen, und so wiederholte der Teenager nur: „Ihre Leute?“ Pass auf, wisperte es hinter ihrer Stirn, pass auf, pass auf!! „Ganz recht. Cutter-chan.“ „Woher kennen Sie meinen Namen??“ „Oh...“ Sie hob die Hand zum Mund und kicherte leise. „Verzeihung. Ich vergaß. Vielleicht... kommt dir diese Stimme bekannter vor?“ Cutter zuckte entsetzt zusammen und wich hastig zurück. Diese Stimme... genau dieselbe wie vor einigen Tagen in ihrem Quartier... und dann in Junon, neben der Angst die einzige Gesellschaft... ein Klang wie aneinanderreibende Knochen. „Cutter-chan... Ich habe dich mit eigenen Händen im Meer von Junon versenkt. Du solltest friedlich im Lebensstrom treiben. Und doch sehe ich dich schon wieder – lebendig und unversehrt. Ich frage mich, wie du das gemacht hast.“ Cutter schluckte mit weit aufgerissenen Augen und trockener Kehle. „To... ron?“ Das kann nicht sein, das kann absolut nicht sein, Toron ist ein Kerl! Oder? Oder??? „Du glaubst mir nicht? Schade!“ Die beiden Schüsse kam völlig vorwarnungslos und zu schnell, um ausweichen zu können, schleuderten Cutter zurück auf den gefährlich ächzenden Boden. Es tat weh, es tat so entsetzlich weh... „Verstehe.“ Torons Stimme haftete etwas enttäuschtes an. „Sephiroths Idee, nehme ich an.“ Cutter versuchte, trotz des Schmerzes einen Sinn in den gehörten Worten zu finden, aber dieser blockierte alle Gedanken. „Tut aber trotzdem weh, oder? Nochmal?“ Weshalb, dachte der Teenager mühsam, kann ich sie immer noch hören? Sie hat mich zweimal getroffen, müsste ich nicht tot sein?! Dann, blitzartig, begriff sie. Der Anzug!! Schutz gegen Feuer, Säure, Schwertklingen... und Kugeln. Der Schmerz hatte sie dennoch an den Rand der Besinnungslosigkeit katapultiert, und das Ende von weiteren Treffern somit vorprogrammiert. In letzter Sekunde gelang es ihr, dem erneuten Angriff und allen folgenden auszuweichen. Dass sie dabei vorwärtsgetrieben wurde, registrierte sie erst, als es zu spät war und sie sich genau dort befand, wo Toron sie hatte haben wollen: In einer der Raumecken. Cutter versuchte zu flüchten, aber ihr Gegner versperrte ihr mittels eines gezielten Sprunges den Weg. Hart grub sich Torons Hand in die Haare des Teenagers, riss deren Kopf zurück, drückte die eisige Pistolenmündung an ihre Schläfe, sah dem Mädchen direkt in die angstgeweiteten Augen. „Sag Goodbye, Cutter-chan!!” Zu schnell, zu stark, zu entschlossen. Ihr Blick... Sie würde abdrücken. Kein Ausweg mehr. Keine Fluchtmöglichkeit. Keine Chance, das Blatt zu wenden... Pures Adrenalin jagte durch den Körper des Teenagers, schob alle Angst zur Seite, übergab Unterbewusstsein und Selbsterhaltungstrieb die volle Kontrolle. Wie ferngesteuert presste Cutter Daumen und Mittelfinger fest aufeinander, aktivierte den im Anzug integrierten Elektroschocker... und bewirkte nichts. Außer einer Bewegung des am Abzug der Waffe liegenden Zeigefingers... Es dauerte einige Sekunden, ehe Cutter registrierte, dass sie nicht mehr Torons, sondern ihren eigenen Blick erwiderte. Er spiegelten sich in einer perfekt polierten, scharfen Klinge, lang, dünn, aber von verheerender Durchschlagskraft. Eine Waffe von legendärer Einzigartigkeit. Masamune. Die Spitze des Schwertes lag direkt am Hals des Gegners, drückte langsam zu. Toron wich zurück. Hinter all dem glänzenden Tod betrat Sephiroth den Raum. Holz ächzte warnend unter seinen Füßen. Morsch, dachte der General sofort. Eine falsche Bewegung und der Boden wird nachgeben. Er hielt inne und benutzte die gigantische Länge des Katanas, um die Distanz zwischen seinem Gegner und Cutter zu vergrößern. Torons Reaktion allerdings schien völlig unangebracht. Sie lächelte. „Es ist lange her.“ Jetzt klang ihre Stimme wieder wie die einer Frau. „Aber endlich sehen wir uns wieder. Sephiroth.“ Das letzte Wort erklang mit unerwarteter Zärtlichkeit. Und nur eine Sekunde später sorgte Toron für eine neue Überraschung. Sie neigte den Kopf bis die todbringende Spitze des Katanas nicht mehr an ihrem Hals lag, schmiegte ihre Wange an die ungefährliche Seite der Klinge und folgte deren Verlauf, langsam, den Blick unverwandt auf Sephiroth gerichtet. Dieser bewegte sich nicht. Er hielt sogar still, als Toron unmittelbar vor ihm stehen blieb, ihre Arme auf seine Schultern legte und zu ihm aufsah. Lachte. „Du bist so groß geworden! Und berühmt! General Sephiroth Crescent.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe dich so vermisst. Aber wie ich sehe, hat Hojos Fürsorge dir gut getan. Aus dir ist ein wunderschönes Monster geworden.“ „Und aus dir ein Rebell.“ Obwohl er diese Erkenntnis erst seit wenigen Sekunden besaß – Torons Aufenthalt ausgerechnet hier und jetzt machte einen Zufall unmöglich - seine Stimme klang sachlich wie gewohnt, und ohne die hinter jedem Wort befindliche Stärke zu unterdrücken. „Oh, nicht irgendein Rebell, alter Freund.“ Ihre Stimme vibrierte seltsam, schien sich förmlich an der Seinen zu reiben, lustvoll, und ihre Augen funkelten arrogant und verspielt gleichzeitig. „Sondern ein Rebell, der in der Lage ist, die Lines zu sehen. Und... die Anführerin!“ „Sieht so dein Plan zur Rettung Midgars aus?“ Es klang sowohl spöttisch als auch enttäuscht. „Von dir hatte ich immer mehr erwartet.“ „Apropos `Midgar retten´... Wie hat dir unser `FireBooster´ gefallen? Beeindruckend, nicht wahr? Euer Material liefert immer eine hervorragende Basis, ist aber leider noch nicht ganz ausgereift. Wir nehmen die Feineinstellungen vor, und schon wird das Ganze akzeptabler.“ „Ich nenne eine Attacke, die einmal ausgelöst unkontrollierbar umherwabert und dabei wahllos Dinge verschlingt `Fehlschlag´. Ihr werdet noch etwas basteln müssen.“ Toron lachte vergnügt. „Ich werde deine Kritik an unsere Techniker weiterleiten.“ Langsam konnte Cutter dem Gespräch wieder folgen. Eine Sache allerdings stand im absoluten Vordergrund ihres Denkens: Sephiroth und Toron... kannten sich. Das Verhalten der Rebellin erweckte in dem Teenager eine Mischung aus Irritation und Faszination. Niemals zuvor hatte sie irgendjemanden so mit Sephiroth umgehen sehen. Und... warum unternahm er nichts?! Irgendwann setzte die Erkenntnis ein, dass die Beiden miteinander spielten, sich mit ihren Handlungen und Äußerungen umkreisten, einander nicht aus den Augen ließen. Es glich einem Tanz mit dem Ziel, Informationen zu gewinnen, den Gegner einzuschätzen um dessen nächste Bewegung zu erraten und einen Sekundenbruchteil eher reagieren zu können als erwartet. In diesem Fall war Toron zu langsam. Masamunes Länge mochte bei einem bereits so nahen Gegner ein Nachteil sein – nicht aber mit der Kenntnis körperlicher Schwachstellen und in der Horizontalen. Sephiroth benötigte nur einen Sekundenbruchteil, dann lag das Katana erneut an einer äußerst empfindlichen Stelle am Hals der Rebellenführerin, übte indiskutabel starken Druck aus. Toron blieb nichts anderes übrig, als abermals zurückzuweichen. „Dazu wirst du nicht mehr kommen.“ Die Stimme des Generals klang wie das Grollen eines tiefschwarzen Gewitters. „Aber unsere Verhörspezialisten freuen sich schon auf dich.“ „Verhör?“ Sie lachte vergnügt. „Oh Sephiroth, glaubst du wirklich, ich bin hier, um mich von dir abführen zu lassen? Ich wollte nur `Hallo´ sagen.“ Sie sah zu Cutter hinüber. „Und was dich angeht... Herzlichen Glückwunsch zur Rückkehr auf Platz 1 meiner Todesliste!“ Die Bewegung ihrer Hand war minimalst – die Auswirkungen allerdings gigantisch. Cutter hatte nicht gewusst, dass ein so winziger Gegenstand innerhalb einer einzigen Sekunde für solch dichten Nebel sorgen konnte. In ihm schoss ein Schatten blitzartig auf sie zu, und noch während der Teenager versuchte, so effizient wie möglich auszuweichen, ächzte von der Tür her Holz, wies auf einen Angriff Sephiroths hin, und dann... kollabierte der morsche Boden aufgrund der ihm zugemuteten Belastung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)