Nur ein Leben... von -Az- (Und wie alles begann...) ================================================================================ Prolog: -------- Zu was sind Menschen fähig? Zeichnet es die 'Herrscherrasse' aus, dass sie fähig ist, sich selbst zu Grunde zu richten? Zeichnet es uns aus, dass wir denen weh tun, die wir eigentlich lieben? Was macht uns zu etwas besserem? Die Fähigkeit, zu fühlen? Oder die Fähigkeit, eben diese Gefühle zu verstecken, zu vergraben und zu verbergen? Die Fähigkeit, grundlos zu töten? Grundlos Schmerz zuzufügen? Sollte es das sein, was es bedeutet, Mensch zu sein? Kapitel 1: Was ist es... ------------------------ Nur ein Leben... Was ist es, dass eines Menschen Leben zerstört und ihm jedes Gefühl nimmt? Keine Liebe mehr...keine Wärme...nur Hass...und Kälte. Vielleicht beantwortet es die Geschichte eines einzelnen Menschen, der zu etwas geworden ist, was ein jeder fürchtet und er selbst hasst. Es ist mein sechster Geburtstag...ich weiß es noch wie heute. Ich durfte ein paar Schulfreunde einladen und wir fuhren gemeinsam ins Schwimmbad. Eigentlich war es ein wundervoller Tag. So wie ein Kindergeburtstag eben sein sollte. Aber wie hätte es auch anders sein können, es gab eine dunkle Wolke. So wie eigentlich immer. Und diese Wolke hatte einen Namen: Jim...oder besser Jimmy...Er war gerade sieben Monate alt und hat mir den Tag gestohlen. ‚Oh ist der süß!’ und ‚Darf ich ihn mal halten?’ Ja sicher...total süß, der Windelscheißer. Wer hatte eigentlich Geburtstag, ich oder er? Ganz sicher war ich mir jedenfalls nicht, meine Eltern schienen anzunehmen, dass er es war. Und meine Freunde auch. Der Tag ging vorüber und ich saß geschlagene drei Stunden allein in meinem Zimmer, starrte missmutig die Geschenke an. Keines reizte mich besonders und in keinem steckte so etwas wie Liebe drin. Seit diese Mistratte auf der Welt war, war nichts wie vorher. Ich schien keine Bedeutung mehr für sie zu haben. Wer war ich schon? Ja nur ihr erstgeborener Sohn...aber nein, Jimmy war viel wichtiger. Ich hatte ihn gemocht. hatte ihn halten dürfen, wenn meine Mutter dabei war, hatte ihm sogar schon das Fläschchen geben dürfen. Das war ganz zu Anfang, aber sehr schnell hab ich gemerkt, was er wirklich ist – mein Feind. Wenn ich zu nörgeln anfing, meinte meine Mutter immer dasselbe: „Sieh mal, Marc...Er ist noch sehr klein und braucht im Moment viel Zuwendung. Wenn er älter ist, dann haben dein Vater und ich wieder viel mehr Zeit für dich! Versprochen!“ Heißt es nicht, dass Versprechen dafür da sind, um sie zu brechen? Es wurde jedenfalls nicht besser. Im Gegenteil. In den folgenden Jahren entwickelten mein Bruder und ich uns in vollkommen unterschiedliche Richtungen. Er war ein artiges und wohlerzogenes Kind, trug immer schicke Kleidung und hatte gut gekämmtes Haar. Er machte das alles schon selbst. Ich wollte auf keinen Fall so sein. Also zerschnitt ich meine Jeans, woraufhin ich regelmäßig Ohrfeigen bekam und zerwuschelte mir die Haare. War mir doch egal, was meine Eltern davon hielten! Um dem ganzen noch eins draufzusetzen fing ich an zu Rauchen. Allerdings nur heimlich, denn vor dem Ärger hatte ich wahrlich Angst. Als Jim sieben war, bekam er Klavierunterricht...ich wollte Schlagzeug lernen, aber meinen Eltern war das zu grob. Also bekam ich nichts. Ständig gab es Streit zwischen mir und ihm. Er versuchte mir mein Leben zu machen! Er! Der doch sechs Jahre jünger war als ich! Es ging soweit, dass wir uns prügelten...Bis aufs Blut. Ich kam gerade aus der Schule und wollte in mein Zimmer, als er mir den Weg vertrat. „Mom hat gesagt, du sollst mein Zimmer aufräumen!“ Ich war so verdutzt, dass ich ihn nicht ernstnahm. „So? Hat sie das? Und warum verdammt sollte ich das tun?“ Ein überlegenes Grinsen huschte über seine Züge. „Weil du es durcheinander gebracht hast und deine Spielzeuge darin verteilt hast.“ Er stieß seine Zimmertür auf und dort lagen tatsächlich meine Spielsachen. Mir war klar, dass er sie dort hingebracht und verteilt hatte. Er wollte mir nur wieder eins auswischen. „Warum räumst du nicht selber weg, was du angerichtet hast, du Penner?“ fragte ich ihn böse und drängte mich an ihm vorbei - oder versuchte es zumindest. Er packte mich am Arm und riss mich erstaunlicher Kraft zurück. „Räum das jetzt auf!“ schrie er und schubste mich in sein Zimmer. Wir diskutierten, schrieen uns an und schließlich schlug er mit einem Buch zu. Er erwischte mich an der Stirn – und ich rastete aus. Ich möchte hier nicht alle Einzelheiten erzählen, aber am Ende hatte er eine blutige Nase und ich vier blutige Kratzer am Oberarm. Und anschließend drei Monate Hausarrest, kein Taschengeld mehr und zu Weihnachten, das vor der Tür stand, bekam ich keine Geschenke. Die meiste Zeit verbrachte ich damals allein auf meinem Zimmer und starrte aus dem Fenster. In meinem Kopf spukten die wildesten Pläne durch den Kopf, wie ich Jim loswerden konnte. Es fing an beim einfachen Verprügeln bis hin zu den grausamsten Tötungsmethoden, die ein Dreizehnjähriger schon kennen konnte. Aber es half alles nichts. Wenn er etwas anstellte, musste ich es ausbaden und Jim kostete seinen Triumph bis ins Letzte aus. Mit Sehnsucht dachte ich an die ersten fünf Jahre, oder besser die zwei Jahre, an die ich mich bewusst erinnern kann, zurück, als meine Mutter noch für mich da war und mein Vater mit mir ein Baumhaus gebaut hat. Abends bekam ich immer eine Geschichte vorgelesen, dann gaben sie mir beide einen Gutenachtkuss. Ich hatte Glück, wenn ich überhaupt noch ein ‚Gute Nacht!’ zu hören bekam. So vergingen weitere zwei Jahre und es wurde nur immer schlimmer. mittlerweile rauchte ich offen und ohne den Protest meiner Eltern zu beachten und trug abgerissene Klamotten. Jim war noch mehr zu einem ‚Engelchen’ geworden. Er schaffte es immer wieder, mich zu provozieren und irgendwann ging ich dazu über, auch meine Eltern zu beschimpfen. „Lass deinen Bruder da raus, Marc!! Du hast das verdammte Geld genommen, um dir davon deine beschissenen Kippen zu kaufen!!“ Das Geld hatte Jim...Er hatte sich davon Süßigkeiten gekauft. „Nein! Ich habe das Geld nicht genommen!“ schrie ich meine Mutter an. „Lüg nicht, Dreckskerl! Wer sollte es sonst genommen haben, wenn nicht ein Taugenichts wie du?!“ Mir standen die Tränen in den Augen und ich wollte wegrennen. „Bleib gefälligst hier, wenn ich mit dir rede!“ zischte meine Mom und packte mich am Arm. „Gib schon zu, dass du es hast!“ Ich brachte kein Wort mehr heraus sondern starrte sie nur an. „Was?! Rede Bürschchen! Oder muss ich deinen Vater holen?“ Das zog. Er war draußen und fegte die Einfahrt. Wenn er das mitbekam, dann würde ich eine Tracht Prügel mit seinem Gürtel bekommen. „Ok!“ jammerte ich. „Ich hab es genommen!“ Tränen liefen jetzt in Strömen mein Gesicht herunter. „Es tut mir leid!“ Sie sah mich böse an. „Heul hier nicht rum, dass nützt dir doch eh nichts!“ Und damit hatte sie Recht. Die Tracht Prügel bekam ich trotzdem und als ich später auf meinem Bett lag und von Weinkrämpfen geschüttelt wurde, kam niemand, um mich zu trösten... Seitdem habe ich nie wieder auch nur eine Träne vergossen. Es ist Schwäche. Ich schottete mich gegenüber meiner Familie ab, war viel draußen bei meinen Freunden und ging Jim aus dem Weg, so gut es ging. Das funktionierte auch ein Jahr lang ganz gut. Aber die dunkle Wolke hatte ich ja anfangs schon erwähnt. Mein Vater ließ sich irgendwann einfach nicht mehr ignorieren. Er stellte mich zur Rede, was mit mir los sei. Eigentlich wollte ich nicht mit ihm reden...aber er hatte sehr überzeugende Argumente. Die Situation eskalierte. Er schrie mich an, warum ich ihm und meiner Mutter so viel Kummer bereitete, warum ich Jim nicht akzeptieren könnte, warum dies warum das. Alles, was sich über die Jahre angeblich angesammelt hatte, brach nun hervor. Mehr als einmal rutschte ihm die Hand aus. Aber ich wehrte mich nicht, fraß alles in mich hinein. Er würde seine Strafe bekommen...dessen war ich mir ganz sicher und das machte es leichter, die Schläge und Strafen zu ertragen, die ich ab diesem Tag ständig einstecken musste. Trotzdem ging ich noch zur Schule. Es kamen Fragen, wenn ich mal wieder mit einem Veilchen im Unterricht saß, aber ich antwortete nicht. Nach und nach baute ich eine Art Mauer auf. Ich war zwar da, aber nichts aus meinem Inneren drang nach außen. Ich wurde zu einem Objekt, jemand, der vollkommen neutral auf seine Mitmenschen wirkte. Vielleicht mieden mich deswegen die meisten, es war mir nur recht. Doch hinter dieser Fassade, da war ich und da war ich sicher. Und in dieser Sicherheit regte sich Widerstand. Ich war siebzehn und änderte mein Leben auf radikale Weise. Letztes Jahr hatten meine Eltern mich abschieben wollen, in ein Heim. Ich war fortgelaufen. zuerst hatte die Polizei mich überall gesucht, es war ein Leben auf der Flucht gewesen. Aber irgendwann hatten sie es aufgegeben. Ich ließ mir das Haar wachsen und achtete nicht mehr sonderlich auf mein Aussehen. Je schmutziger ich aussah, desto schlechter würde man mich erkennen. So lebte ich auf der Straße. Ich hielt mich mit betteln und kleineren Taschendiebstählen mehr schlecht als Recht über Wasser. Mit den anderen Obdachlosen hatte und wollte ich keinen Kontakt haben. Ich wurde zu einem Einzelgänger und sie mieden mich so, wie mich einst meine Klassenkameraden gemieden hatten. Aber auch das machte mir nichts aus, ich war hinter der Mauer sicher, die mit jedem Tag dicker und stabiler wurde. Das einzige, was mir schmerzte, war noch immer meine Familie. Ab und an schlich ich mich, wenn es dunkel war, zu ihrem Haus und beobachtete sie von draußen. Am häufigsten kam ich in den Wintern, die ich allein und frierend auf der Straße verbrachte. Nichts deutete darauf hin, dass sie einmal zu viert gewesen waren. Mein Zimmer gehörte Jim, er hatte jetzt also zwei Zimmer, eins zum Spielen und eins zum Schlafen. Sie lachten, hatten Spaß. Und es gab keine Fotos mehr von mir. Früher hatten sie am Kühlschrank gehangen, zusammen mit denen von Jim. Teilweise hatten sie mich einfach abgeschnitten. Die Reste hatte ich im Mülleimer gefunden, als ich nach Essen suchte. Ich hatte also keine Familie mehr und sie keinen zweiten Sohn. Und Jim schien sich darüber extrem zu freuen. Er war zum Einzelkind geworden und genoss es sichtlich. Leicht dicklich hockte er da mit Mutter und Vater im Wohnzimmer und schaute fern. Sie hatten mich vergessen. Ich drehte mich um und verschwand wie schon so oft in der Dunkelheit. Hatten sie das verdient? So glücklich zu sein? Nein...sicher nicht, aber ich konnte es nicht ändern. Ich ging durch den Schnee, die Hände in den Taschen verborgen und zitternd vor Kälte. Was war das für ein brennendes Gefühl da in mir, wenn ich an Jim dachte? Es wollte mich von innen auffressen, mich verzehren. Aber ich ließ es nicht zu. Noch konnte ich es kontrollieren. Die Nacht war heute wirklich empfindlich kalt. Ich wanderte durch die Straßen der Stadt in das Viertel, wo selbst ich Unterschlupf fand. An den Straßenecken standen Fässer, in denen klägliche Feuer brannten. Um sie gruppierten sich Menschen wie ich. Eigentlich setzte ich mich nicht dazu. Aber in Nächten wie diesen blieb mir keine andere Wahl, wenn ich nicht erfrieren wollte. Ich saß am Feuer mit zwei anderen Typen, die ich nicht kannte. Es herrschte Schweigen, solange, bis einer von ihnen mich ansprach. „Hey...siehst niedergeschlagen aus, Mann! Wasn los?“ Ich hob den Blick und sah ihn kalt an. „Schau uns an und frag dann noch mal...“ knurrte ich zurück. Er zuckte nur mit den Schultern. „Mach doch wenigstens das Beste draus und hör auf, Trübsal zu blasen!“ Ich sah ihn nachdenklich an. „Wenn es einen Ausweg gäbe, dann würde ich aufhören Trübsal zu blasen.“ Er grinste und kramte in seiner Tasche. „Es gibt immer einen Ausweg...ich kann ihn dir zeigen!“ meinte er leise. Ich sah ihn fragend an und er zog die Hand aus dem Rucksack. Darin lag etwas, das im Licht des Feuers leicht glitzerte. Die Nadel eine Spritze. Ich verzog das Gesicht. „Vergiss es Mann...das Zeug rühr ich nich an...“ Er seufzte. „Es ist wirklich gut! Und macht Laune!“ Er betrachtete die Spritze. „Pass auf...ich schenk sie dir, dann kannste selbst überlegen, was du damit tust. Und bei Gelegenheit revanchierst du dich mal bei mir.“ Er stand auf, kam zu mir, drückte mir die Spritze in die Hand und verschwand dann aus dem Lichtkreis des Feuers in die Nacht. Ich drehte die Spritze in der Hand. Das sollte also der Ausweg sein? Aber wo führte der hin...in ein Leben aus Abhängigkeit und Schulden. Aber...einmal? Konnte einmal gefährlich sein? „Steck sie weg, wenn du weiterleben willst...“ raunte mir der zweite Kerl zu, der noch bei mir am Feuer saß. Ich zuckte leicht zusammen. Er hatte die ganze Zeit keinen Mucks von sich gegeben und blickte mich jetzt mit erstaunlich klaren, stechenden Augen an. „Ich meins ernst, solche Dinger sind begehrt und wertvoll...“ Fast aus Reflex steckte ich das Ding in die Tasche meiner Jacke. Er nickte zufrieden und versank wieder in Schweigen und Reglosigkeit. Warum hatte mir der Kerl das Ding dann geschenkt, wenn es so wertvoll war? Ich beschloss, keinen weiteren Gedanken darauf zu verwenden. Und nach ein paar Tagen hatte ich vergessen, dass ich sie überhaupt besaß. So verging auch dieser Winter wie alle anderen zuvor. Das Frühjahr erfüllte mich nicht wie sonst mit tiefer Traurigkeit. Wieder ein Jahr ohne Familie und Freunde. So war es bisher gewesen. Aber diese Traurigkeit kam dieses Jahr nicht. Ich fühlte nur noch Leere und Kälte und in meinem Herzen gab es nur noch den Wunsch, Jim leiden zu sehen. Im Januar hatte ich ihn mit ein paar Freunden im Park beobachtet. Sie hatten sich über alles mögliche unterhalten, auch über Familie. Man hatte ihn nach Geschwistern gefragt. Seine Antwort bestand auf einem Kopfschütteln. Er habe nie Geschwister gehabt... Der Hass trug mich weiter, bis in den April. Wenn ich geahnt hätte, was geschehen würde, dann wäre ich fortgegangen, hätte mich irgendwo versteckt. Aber ich ahnte es nicht. Es war ein sonniger Nachmittag, Leute gingen spazieren, lachten, aßen Eis...ich nicht. Für Eis hatte ich schon lange kein Geld mehr. Nein, ich hockte zitternd in einer dunklen Gasse, neben den Mülltonnen eines kleinen Lokals und versuchte, das stechende Gefühl in meinem Magen zu ignorieren. Seit fast fünf Tagen hatte ich nichts mehr gegessen. Normalerweise war der Frühling eine gute Zeit, da sich das Leben wieder mehr draußen abspielte. Aber das Glück schien mich endgültig verlassen zu haben. Ich trank aus schmutzigen Pfützen und durchwühlte den Müll. Aber es reichte einfach nicht mehr. Mittlerweile hatten sich Frust und Verzweiflung zu mir gesellt und ließen mich den Hass vergessen. Die Sonne schien mir aufs Gesicht herab und brannte in meinen Augen. Die Jacke hatte ich aufgezogen und legte sie mir jetzt hinter den Kopf. Zumindest war die harte Wand so etwas besser zu ertragen. Ich wollte gerade die Augen schließen und versuchen zu schlafen, als mich etwas unangenehm in den Nacken stach. „Kacke verdammt, was-?“ fluchte ich lauthals vor mich hin und zog den Gegenstand aus der Tasche. Was ich fand ließ mich innehalten. Es war der Ausweg, den mir einst jemand geschenkt hatte. Damals hielt ich es für dumm und leichtsinnig. Aber heute, hier in dieser elenden dunklen Gasse, in der mich nichtmal die Strahlen der Frühlingssonne wärmen konnten, da erschien mir die kleine Spritze mit der klaren Flüssigkeit darin wie ein Freund, der im letzten Augenblick kommt, um zu helfen. Mir war egal, was von jetzt an aus mir wurde... Ein kurzer Schmerz zuckte durch meinen Arm, als die Nadel meine Haut durchstach und ein Brennen schien meine Venen zu durchlaufen. Jetzt war es zu spät. Die Spritze fiel leise klimpernd zu Boden, ein bisschen Blut floss aus der Einstichwunde und ich schloss die Augen...dann sollte er sich also zeigen, mein Ausweg... Ich kann mich an die nun folgenden Wochen nur verschwommen erinnern. Sie waren geprägt von Rausch und Ernüchterung, von dem Drang, den Weg weiterzugehen. Und sie waren geprägt von Gefühlen. Hass, Wut, Trauer aber auch Liebe und Hoffnung. Ich bin mir sicher, dass ich des öfteren bei dem Haus meiner Familie gewesen bin und wenn dies geschah, überwiegte eindeutig der Hass. Nicht auf meine Mutter oder auf meinen Vater, sondern eindeutig auf meinen Bruder Jim, der mich ins Vergessen gedrängt hatte. Für sie war ich tot, nicht mehr existent. Nach endlosen Wochen des Umherirrens und vielen Drogenexzessen war ich völlig am Ende. Meine Seele schien mich aufzufressen, sowie die Gier nach Glück. Ich war am Ende meines Weges angekommen, Jim hatte mich dorthin gebracht, wo meine Familie mich lange vermutete. Es war die Letzte...die Goldene...Ich setzte die Nadel an, stach sie in meine Vene und – hielt inne. Was zum Teufel tat ich da eigentlich gerade?! Ich bestrafte mich für etwas, das mein Bruder zu verschulden hatte! Nicht ich sollte leiden! Ich warf die Spritze ärgerlich weg. So weit hatte er mich gebracht! Er würde bezahlen für das, was er mir angetan hatte und ich würde ihm nehmen, was auch er mir genommen hatte! Keine drei Nächte später stand ich vor dem Haus meiner Eltern. Es war warm, trotz der Tatsache, dass es erst April war und in den Nächten eigentlich noch empfindlich kalt. Eine Nachtigall sang ihr klagendes Lied und irgendwo bellte ein Hund. Unwichtige Nebensachen, die ich nicht weiter bemerkte. Für mich war nur noch eines wichtig, nämlich das, was ich heute vor hatte. Ich schlich geduckt zur Hintertür, die - wenn man wusste wie- sehr leicht von außen zu öffnen war. Eine Sicherheitslücke, die ich schon früh entdeckt hatte, die ich aber für mich behalten hatte. Mit einem leisen ‚Klick’ sprang die Tür auf und ich huschte in das Haus. Einen Moment lang blieb ich stehen und schloss die Augen. Ich sog fast gierig den Duft meiner Kindheit ein und stellte mir die Vergangenheit vor. Aber auch die Gegenwart wie sie hätte sein können. Doch diese Bilder waren nicht wahr. Sie waren ein Traum, der sich nie mehr erfüllen würde und so wusste ich, was zu tun war. Lautlos und schnell wie ein Schatten huschte ich in die obere Etage, denn ich wusste, dass ich dort finden würde, was ich suchte. Leise trat ich vor eine Tür. Eine unscheinbare, weiße Tür aus Ahornholz. Ein weiße Tür mit einem fast kindischen Namensschild. Und auf diesem Schild stand in geschwungener Schrift nur ein Wort. Jimmy...Mein Gesicht verfinsterte sich, als ich die Hand auf die Klinke legte...der schwarze Lederhandschuhe knatschte leise, als er sich um das kühle Metall schmiegte. Ich schloss nochmals die Augen und zählte in Gedanken bis drei. Dann zog ich die Maske ins Gesicht und öffnete die Tür. Da lag er...leise schnarchend und in eine warme Decke gehüllt. Diese kleine Ratte... Ich trat ins Zimmer und an das Bett heran. Dann ging alles ganz schnell. Ich riss Jim am Kragen seines Pyjamas hoch und noch ehe er richtig wach war und begriff, was geschah, schlug ich ihm die flache Hand in den Nacken. Was dann folgte war reine Routine. Fesseln, knebeln und dann auf den Flur mit ihm, wo ich ihn erst mal ablegte. Es gab noch zwei Personen, bei denen ich genauso verfahren würde... „Jedem das, was er verdient...“flüsterte die Stimme des Fremden in sein Ohr. Panik stand in den Augen des Jungen, der auf seine Eltern starrte. Da lagen sie, mit weit aufgerissenen Augen, im Tode vor Entsetzen geweitet. In den Augen seiner Mutter glitzerten ihre letzten Tränen. Der Mann hatte keine Gnade gezeigt. Er hatte sie kaltblütig umgebracht, seinem Vater das Genick gebrochen, seiner Mutter die Kehle durchgeschnitten...alles vor seinen Augen! Er wollte es nicht glauben! Das musste ein Alptraum sein! Er würde gleich aufwachen, schweißgebadet und mit rasendem Herzen, aber er würde das Geräusch der splitternden Knochen und die Farbe des Blutes auf dem Teppich nicht mehr sehen, wenn er in das Schlafzimmer der Eltern ging! Jim wusste, dass es nicht stimme. Es war grausame, schreckliche Realität. Eine Realität, die ihn verändern würde...nachhaltiger, als er jetzt schon ahnte. Was war das nur für ein Mensch? Es war ein Mensch ohne Gefühl, ohne Liebe und Wärme, erfüllt von Hass und Kälte. Ein Mensch, den Jira unbewusst erschaffen hatte. An diesem Abend war Marc in das Haus seiner Eltern gegangen. Und an diesem Abend war es Marik, der es wieder verließ. Epilog: -------- Jira und Marik wollten nie mehr miteinander zu tun haben, aber wie immer,wenn man versucht, jemandem aus dem Weg zu gehen, sind ihrer beider Schicksale untrennbar miteinander verwoben. Einer wurde das Verhängnis des anderen. Ein Krieg zwischen zwei Gangs, zwischen zwei Menschen, zwischen zwei Brüdern... Ein krieg, der selbst den Tod überdauert und niemals enden wird. Denn dafür sind die Wunden zu tief, die sie sich gegenseitig beigebracht haben. Sie werden nichtmehr heilen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)