Frei wie der Wind aber dennoch gefangen von -Bastet- ================================================================================ Kapitel 21: Das Gedicht ----------------------- Es ging gerade die Sonne auf, als ein alter Mann sich in seinem Bett streckte und reckte. Eine ebenso alte Frau betrat das Zimmer und ging zu ihm hinüber. „Guten morgen. Steh auf, du hast Besuch.“, begrüßte sie ihn liebevoll. Dann stellte sie ihm ein Glas mit Wasser auf sein Nachtschränkchen und verließ den Raum wieder. „Ist der alte Serim doch mal pünktlich?“, rief er ihr hinterher. Zufrieden setzte er sich auf, trank das Wasser und verließ sein Zimmer. Er betrat den Balkon seines weiß getünchten Hauses, auf dem sein Schachbrett stand, entdeckte dort aber nicht wie gewohnt seinen langjährigen Schachpartner. Vor ihm saß eine junge Frau, die sich von seiner Frau verarzten ließ. Zumindest wurde der Jüngeren ein Lappen mit Jod auf die Lippe gedrückt. Diese schien geplatzt zu sein und auch der Rest der betroffenen Gesichtshälfte sah nicht sehr ästhetisch aus. Er wirkte angeschwollen und unförmig. Zudem glich er farblich gesehen eher einer Farbpalette, anstatt eines gesunden Teints. Der Rest der jungen Frau wirkte unordentlich und schmutzig. Sie hatte anscheinend schon seit längerem keine Dusche oder Bad mehr genossen. „Mireille.“, begrüßte er sie freundlich und besorgt zugleich. „Was ist mit dir geschehen?“ „Hallo, Ickartas. Ich bin unglücklicherweise mit einer Räuberbande unweit von Kelenos zusammengestoßen. Sie waren nicht sehr freundlich und ich einen Moment unachtsam. Es ist weiter nichts geschehen.“, beruhigte sie ihn. „Nun, eine Gehirnerschütterung würde ich nicht als „nicht sehr freundlich“ durchgehen lassen. Aber du hattest es wahrscheinlich schon mit ungemütlicheren Gesellen zu tun. Trotzdem sei vorsichtig. So etwas sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen.“, erklärte Ickartas‘ Frau. „Danke, Malina. Ich weiß deine Hilfe wirklich zu schätzen.“, lächelte Mireille und ließ sich weiter verarzten. „Ich bin eigentlich auch nicht gekommen, weil ich mich von deinen ärztlichen Künsten überzeugen wollte, sondern weil ich erneut deine Hilfe benötige.“ Ickartas horchte neugierig auf. „Du suchst ein neues Relikt?“, fragte er und seine Augen flackerten vor Aufregung. Mireille nickte. Sie wusste, wie sehr er selbst gerne auf Reise gehen und schon vergessene Schätze entdecken würde. Doch das hohe Alter und eine wundervolle Frau hielten ihm an diesem Flecken Erde. „Was ist es?“, der alte Mann platzte fast vor Aufregung. „Ich glaube, Mireille sollte sich jetzt erst einmal ausruhen. Dann werden ihre Kopfschmerzen auch besser. Und du bereitest dich besser auf dein Schachspiel mit deinem Freund vor. Schau, er kommt schon herüber. Ihr habt alle Zeit der Welt.“, ernüchterte Malina ihn. Leicht enttäuscht nickte er. Mireille und seine Frau verließen den kleinen Balkon und gingen in das Hausinnere, wo sich die Jüngere auf ein Sofa legte. Dort bekam sie einen Lappen, der mit kaltem Wasser ausgewrungen war, auf die betroffene Stelle in ihrem Gesicht gelegt. „Vielen Dank.“, flüsterte sie. „Schlaf jetzt ein wenig, dann geht es dir gleich besser.“, Malina war eine gütige Frau. Sie half denjenigen, die Hilfe brauchten und sorgte dort für Gerechtigkeit, wo sie nötig war. Die alte Frau setzte sich auf ein anderes Sofa und begann, getrocknete Pflanzen zu zerkleinern und in gläserne Behältnisse zu geben. Ihr würziger Duft erfüllte schon bald den ganzen Raum. Dieses Haus war eine Oase für Ruhe, Frieden und Geborgenheit. Deshalb kehrte die Schatzjägerin auch gerne hier ein. Die Gewürze hatten etwas Beruhigendes an sich und ihr ganzer Körper begann sich zu entspannen. Die Kopfschmerzen ließen nach. Durch halb geschlossene Augen bekam sie noch mit, wie sich der langjährige Freund von Ickartas an den Tisch setzte und sie anfingen darüber freundschaftlich zu streiten, wer die Eröffnung machen durfte. Dann dämmerte sie weg. Als sie ein wenig später aufwachte, stand die Sonne im Zenit. Es wehte eine laue Brise und brachte warme Luft mit sich. Mireille fühlte sich besser; der Schlaf hatte ihr tatsächlich sehr gut getan. Vor ihr saß Ickartas und sah sie an. Die junge Frau setzte sich auf. „Und? Was suchst du?“, fragte er sie gebannt. „Ich weiß es nicht.“, sagte Mireille. Verwirrt sah der alte Mann sie an. „Aber du sagtest doch,...“ „Ich weiß, aber ich habe nicht gesagt, dass ich etwas bestimmtes suche. Das einzige, was ich kenne, ist der Ort, wo es ist.“, erklärte die Schatzjägerin und beobachtete die wechselnden Gesichtsausdrücke ihres Gegenübers. „Und wo ist es?“, fragte Ickartas zögerlich. Mireille liebte es jedes Mal ihn aufs Neue auf die Folter zu spannen. „Es ist im Argas – Krater.“ Es entstand eine kurze Stille. „Was? Aber dann suchst du ja das Ewige Feuer!“, rief er aus. „Sag mir, was es ist.“, bat sie ihn. „Dieses Feuer verbrennt alles, was sich ihm in den Weg stellt! Die Erde, die Berge, die Felsen. Aber es ist immer nur eine Legende gewesen. Viele Leute haben sich auf die Suche nach diesem sagenumwobenen Feuer gemacht, aber sie waren alle ohne Erfolg. Manche behaupten sogar, dass es sich eigentlich nicht um das Feuer handelt, sondern um eine Bestie, die schon seit ewigen Zeiten in der Höhle schlummert. Die meisten verloren ihre Leben auf ihren Expeditionen. Dass du danach suchst, ist schon so etwas wie eine Bestätigung dafür, dass es existiert!“, die Wangen des alten Mannes glühten vor Begeisterung und seine Augen funkelten, wie die eines Jungen, der das erste Mal in seinem Leben einen Frosch gefangen hatte. „Das muss unter uns bleiben.“, warnte sie ihn und versuchte seinen Übermut einzudämmen. „Ja, ich weiß. Wie immer.“, doch das ausgelassene Grinsen stand noch immer auf seinem Gesicht. „Oh, warte. Ich habe noch ein Schriftstück, das dir weiterhelfen könnte.“ Ickartas sprang auf und wuselte in seine kleine Privatbibliothek. Mireille hörte ihn rascheln und von einem Regal zum anderen rennen. Sie lehnte sich ein wenig vor und sah, wie Papierrollen und Büchertürme im ganzen Zimmer verteilt waren. Einige wackelten bedrohlich. „Ah! Ich habe sie!“, hörte sie einen begeisterten Ausruf. Mireille lehnte sich zurück, als ihr alter Freund den Raum wieder betrat. Er hielt eine alte Papierrolle in den Händen und überreichte sie der Schatzjägerin. Mireille entrollte sie vorsichtig und warf einen Blick auf die alten Runen. „Das ist moranisch. Hätte nicht gedacht, dass es noch Schriftstücke mit der Alten Schrift gibt.“, sagte sie fachmännisch. „Kannst du es noch lesen? Einst habe ich es dir beigebracht.“, bemerkte er und sah sie gebannt an. Sie lächelte. „Also, wenn ich mich nicht arg täusche... geht es ungefähr so...“, Mireille begann zu lesen. „Oh, Hochwohlgeborener, der du es erachtest dich des Schatzes zu bemächtigen, das Tor, du kannst es nicht öffnen, ohne dein eigen Blut des Todes und des Lebens. Dann du wirst erhalten, das, was dein Herz verlangt nach, so wird sich öffnen das Tore, und du kannst ihn entreißen, aus der Schlangen Zähne. Doch so seiest du gewarnt, dein Herz soll sein voll Reinheit und frohen Mutes, dann wirst nicht verschlungen du, von des Schlangen Schlundes.“ Mireille endete und sah ihren alten Lehrmeister an. „Sehr gut. Ich wusste, dass du es noch kannst.“ „Woher hast du die Rolle?“, fragte sie wissbegierig. „Ein Reisender brachte sie mir vor etlichen Jahren mit. Ich war selbst noch sehr jung und fing an, mich für alte Legenden, Relikte und Schätze zu interessieren. Doch hieran habe ich mir die Zähne ausgebissen. Ich selbst war damals an dem Krater und habe den Eingang nicht gefunden. Vor einigen Jahren wurde er erst entdeckt, doch die Leute konnten ihn nicht öffnen. Er ist von Magie gebannt und hat sich nie jemandem geöffnet. Wenn du ihn nicht öffnen kannst, wer dann?“, erklärte Ickartas. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)