One by one von -Red-Karasu (He leaves the life he knew) ================================================================================ Kapitel 1: 01 ------------- One by One -01- Es war ein halbwegs schöner Tag, als ich ihn das erste Mal gesehen habe. Zusammen mit Kaoru, meinem besten Freund, saß ich in einem kleinen Straßencafé. Gemeinsam warteten wir auf Shinya, der zu diesem Zeitpunkt der Dritte und Letzte in unserer Runde war. „Die?“ Ich zuckte zusammen, als Kaoru mich zusätzlich zu seiner Anrede auch noch am Ärmel zupfte. „Was?“ „Hörst du mir eigentlich zu?“ „Ähm ja? Schon? Fast?“ Eine glatte Lüge, aber ich konnte mir denken wovon er redete, schließlich kannte ich ihn seit Kindertagen. Was mich aber momentan daran hinderte ihm weiter aktiv zuzuhören, war eine beinahe schmächtige Gestalt, die in einiger Entfernung von uns vor einem Haus stand. Er stand einfach vollkommen regungslos da, anscheinend auf einem Weg, der durch den blühenden Vorgarten des Hauses verlief, und starrte das Gebäude vor sich an. Sein Gesicht war mehr oder weniger von den Schatten, die die Hausfassade auf ihn warf, verborgen, aber ich konnte erkennen, dass er nicht unbedingt glücklich aussah. Nein, der Eindruck, den ich bekam war eigentlich schlimmer: er schien ziemlich fertig mit der Welt zu sein, was mich wunderte, denn seinem Aussehen nach war er sicher ein paar Jahre jünger als ich, und ich selbst war damals erst siebzehn. Heute weiß ich, wie naiv dieser Gedanke war, aber damals konnte ich mir einfach nicht vorstellen, was mit ihm hätte sein können, das ihn dazu brachte so viel Hass zu empfinden. He stands alone outside the blooming yard all is calm there on the street the shadows past him hung right over Kaoru redete munter weiter, aber ich konnte mich von dem Anblick dieses Jungen nicht losreißen. Sein Haar fiel bis fast auf seine Schultern und war offensichtlich gebleicht. Der leichte Sommerwind wehte ihm immer wieder einzelne helle Strähnen ins Gesicht. Ich zuckte ein bisschen zusammen als er zu lächeln begann. Ich hätte mich normalerweise sicher gefreut – ich war schon immer ein Mensch der gern lacht. Aber dieses Lächeln glich mehr einer Grimasse, es war die Parodie eines glücklichen Lachens, denn man sah nur zu genau den Schmerz, die Wut und auch die Verachtung, die dahinter standen. The pain on his face he knew he'd keep his hair is long and it's twisted, it's twisted around the smile spread cheek to cheek „Du bist wirklich abgelenkt, oder?“, fragte mich plötzlich eine leise, offensichtlich amüsierte Stimme, die definitiv nicht Kaoru gehörte. Ich wandte mich von dem Unbekannten ab und drehte mich herum. „Hallo Shin“, begrüßte ich ihn lächelnd. „Wen starrst du da so an?“, fragte mich der Jüngste in unserer Runde neugierig. Shinya sprach meistens nicht viel – laut eigener Aussage fand er es unnötig – aber wenn, dann traf er es auf den Punkt. Und nun war die Ursache meiner Ablenkung wohl auch Kaoru ins Auge gefallen. „Kennst du ihn?“, wollte er wissen und fixierte den Unbekannten nun ebenfalls. „Nein-“, bevor ich weitersprechen konnte, wurde ich von Shinya unterbrochen. „Ich kenne ihn, er geht auf meine Schule“, meinte er und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Weißt du etwas über ihn?“, gab ich meiner eigenen Neugier nach. Shinya zuckte nur kurz mit den Schultern. „Nicht wirklich. Er ist ein Außenseiter. Spricht noch weniger als ich. Sitzt in den Pausen allein da und schreibt unentwegt in ein Notizbuch. Ist anscheinend aus Prinzip unfreundlich.“ „Alles in allem also sehr sympathisch...“, beendete Kaoru den Satz mit einem leichten Augenrollen. Dann schafften es meine Freunde doch noch mich so weit abzulenken, dass meine Aufmerksamkeit wieder ihnen und unserem Gespräch galt. Dieses drehte sich, wie so viele in der letzten Zeit, einmal mehr um die Frage, wie wir am besten geeignete Leute für unsere Band finden sollten. Wir drei machten schon einige Zeit lang zusammen Musik, aber mit zwei Gitarristen und einem Schlagzeuger konnte man eben nicht wirklich viel auf die Beine stellen. Kaoru hatte sich aus Verzweiflung sogar schon am Bass versucht, was allerdings nicht wirklich von Erfolg gekrönt gewesen war. Und keiner von uns hatte Gesangsfähigkeiten, die man irgendeinem Publikum zumuten konnte. Für eine kurze Zeit hatten wir gedacht, dass wir zumindest für diesen Job jemanden gefunden hätten, aber lange hatte auch das leider nicht funktioniert. Also ging es auch heute wieder um mögliche Kandidaten, die wir rekrutieren könnten, wie Kaoru sich gern ausdrückte. Was wir durch unser Gespräch nicht mitbekamen und ich erst später erfuhr, war, dass der Junge, der bis jetzt regungslos verharrt hatte, sich irgendwann in Bewegung setzte. Er tat nicht viel. Ohne seine Augen von dem Gebäude vor sich zu nehmen, trat er ein paar Schritte zurück, so dass er jetzt mitten auf dem Gehweg stand und sein blondes Haar von der Sonne zum Leuchten gebracht wurde. Er ließ eine Hand in seine Hosentasche gleiten und holte einen kleinen, metallisch glänzenden Gegenstand daraus hervor. Mit einem letzten verächtlichen Lächeln wandte er sich von dem Haus ab und setzte unter den starren Blicken seiner dunklen Augen die kalte Klinge an sein Handgelenk. Another child, another soul grabs a hold to the metal that will end his misery Er zitterte nicht einmal, sondern sah vollkommen gefühllos zu, wie das Blut langsam über sein Handgelenk bis zu seinen Fingerspitzen lief und von dort auf den trockenen Betonweg tropfte. Den verletzten Arm hielt er ausgestreckt von sich, so als wollte er jemandem diesen Beweis des Lebens zeigen, das langsam aus seinem Körper sickerte. One by one we stand beneath the sun with arms high open wide Der entsetzte Schrei einer Passantin, die endlich auf das Tun des Jungen aufmerksam geworden war, riss uns ruckartig aus unserem Gespräch. Unsere Köpfe fuhren herum und wir konnten nicht anders als einige Sekunden schockiert auf die Szene zu starren, die sich uns bot. Auch der Blonde hatte nun gemerkt, wie sehr er die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, doch anstatt wegzulaufen oder sich helfen zu lassen setzte er die Rasierklinge noch einmal an, um sich einen weiteren tiefen Schnitt zuzufügen. Gerade so, als wolle er diesem Leben möglichst schnell ein Ende setzen. Two by two he's getting you to watch him as he leaves this life he knew Einen Augenblick lang sahen wir uns entsetzt an, nur um dann beinahe synchron aufzuspringen und – ebenso wie einige andere Leute – zu dem Jungen zu eilen, der eben langsam auf dem Bürgersteig in sich zusammensackte. Mit einem Mal war es furchtbar laut, zu viele Stimmen riefen laut durcheinander, bis es irgendwer endlich schaffte einen Krankenwagen zu rufen. Shinya und ich waren indessen zu dem Unbekannten geeilt und hatten uns neben ihn auf den Boden gekniet, um herauszufinden, ob er noch ansprechbar war. Als er leicht an der Schulter des Jungen rüttelte, schlug dieser die Augen auf, die er bisher geschlossen gehalten hatte. Dieser Moment hat sich für immer in mein Gedächtnis eingebrannt. Und noch heute laufen mir Schauer über den Rücken, wenn ich an den Ausdruck in seinen unendlich tiefen, dunklen Augen denke. Er schenkte mir ein verächtliches Lächeln, aus dem ich bis heute nicht schlau geworden bin. Es war genauso gespielt, wie das letzte, das er der Welt gezeigt hatte. Ich konnte den Schmerz in seiner Seele sehen, denn in diesem Moment, so kurz er auch war, waren seine dunklen Augen wie Tore, die den Blick in sein Inneres freigaben. Ein lautes Geräusch riss mich aus meinen – im Nachhinein vielleicht eher unpassenden – Gedanken und ich stellte erleichtert fest, dass der Krankenwagen angekommen war und der Blonde schon im nächsten Moment auf eine Trage gehoben und ins Krankenhaus gefahren wurde. Ich sah dem Wagen immer noch fassungslos hinterher und konnte nicht glauben, dass das wirklich gerade passiert war. Alles was wir jetzt tun konnten, und Shinya sprach gerade eben diesen Gedanken aus, war zu hoffen, dass er es überleben würde. Wenn ich mir allerdings das Blut ansah, dass sich auf dem Weg verteilt hatte, war ich mir dessen nicht sicher. How much anger is set aside as each one of us cries red lights they come and they take him away in the thoughts he'll be better some day Kapitel 2: 02 ------------- -02- Im Nachhinein glaube ich, dass dieser Tag mich sehr verändert hat. Ich kann nur schwer beschreiben auf welche Art und Weise, aber Fakt ist, dass ich selbst noch eine Woche nach diesem Ereignis ziemlich abwesend war, weil ich den Ausdruck in seinen Augen nicht vergessen konnte. Ich dachte tage- und nächtelang darüber nach, was diesen Jungen zu so einer verzweifelten Tat hatte bringen können. Vielleicht war es meine geistige Abwesenheit, die Shinya dazu brachte einige Zeit nach diesem Vorfall plötzlich vor meiner Tür zu stehen. „Was machst du denn hier?“, fragte ich ihn überrascht und ziemlich verschlafen. Shinya jedoch hielt mir nur einen Zettel entgegen. „Ich wollte dir das hier geben“, informierte er mich knapp, drehte sich dann um und war ein paar Momente später auch schon wieder verschwunden, bevor ich überhaupt dazu gekommen war, irgendeine weitere Reaktion zu zeigen. Ich schlurfte zurück in mein Zimmer und sah mir dort angekommen den Zettel näher an. Darauf stand eine Adresse, die ich kurz darauf als die eines Krankenhauses identifizieren konnte. Ich zog eine Augenbraue nach oben. Sollte das das Krankenhaus sein, in das der blonde Junge eingeliefert worden war? Und wenn ja, woher hatte Shinya die Anschrift und wieso gab er sie mir? Zumindest eine der Fragen konnte ich mir später, als ich schon auf dem Weg in das angegebene Krankenhaus war, selbst beantworten. Shinya hatte vermutlich unter dem Vorwand, seinen Mitschüler besuchen zu wollen, die Adresse von einem seiner Lehrer oder dem Direktor seiner Schule bekommen. Was mich wieder zu zu der Frage brachte, weshalb er sie mir gegeben hatte. Innerlich zuckte ich mit den Schultern. Vielleicht hatte er sich denken können, warum ich in letzter Zeit immer so abwesend gewesen war. Aber am Ende spielte es eigentlich auch keine Rolle, wenn ich nun hoffentlich die Chance bekommen würde den Jungen zu besuchen, der wohl glücklicherweise überlebt hatte. Nun doch ziemlich nervös betrat ich das Krankenhaus und ging zur Rezeption, um nach der Nummer des Zimmers zu fragen, in dem ich ihn finden würde. Den Namen des Blonden hatte Shinya vorsorglich mit auf das Papier geschrieben. Tooru Nishimura. Gedanklich sprach ich diesen Namen vor mich hin. Er schien nicht wirklich zu ihm zu passen, wirkte in meinen Gedanken unerklärlicher Weise zu hart und sperrig. Dennoch lächelte ich freundlich, als die Krankenschwester mir den Weg zu seinem Zimmer erklärte und ich mich anschließend auf den Weg dorthin machte. Ich hoffte wirklich das Zimmer schnell zu finden. Ich wollte ja nur nachsehen, wie es ihm ging, Viel zu erzählen hatten wir schließlich nicht. Was sollte ich auch sagen? 'Hallo, ich bin Daisuke, einer der Jungen, die deinen Selbstmordversuch mit angesehen haben', wäre vermutlich nicht unbedingt der ideale Gesprächsstart, selbst für meine laut Shinya eher unsensiblen Verhältnisse. Ich näherte mich also in Gedanken versunken seinem Zimmer, als sich die Tür öffnete und zwei Menschen aus Toorus Zimmer auf den Gang traten, die ich erst einmal als seine Eltern einordnete. Seine Mutter sah aus als hätte sie viel geweint, noch immer meinte ich sie leise schluchzen zu hören, was ich gut nachvollziehen konnte. Anscheinend ganz im Gegensatz zu seinem Vater, der seiner Frau gerade mitteilte, dass sie sich doch nicht so zu haben brauche, der Junge sei schließlich selbst an seiner Situation Schuld. Ich konnte nicht anders als verwundert den Kopf zu schütteln. Wie konnte der Typ so etwas sagen, wenn es seiner Frau – und seinem Sohn – so schlecht ging? Mit Gewalt schüttelte ich diesen Gedanken ab und atmete noch einmal tief durch. Ich war schon wieder so furchtbar nervös. Dann rang ich mich dazu durch, leise die Tür zu öffnen, um in das Zimmer zu treten. Nachdem ich sie wieder geschlossen hatte, trat ich vorsichtig ans Bett und beugte mich darüber, um ihn ansehen zu können. Toorus Augen waren geschlossen, er schien zu schlafen. Dann hatte er vielleicht wenigstens nichts vom Besuch seiner Eltern mitbekommen. In seine Gesichtszüge versunken war ich anscheinend wieder in meine Gedankenwelt abgedriftet, denn erst als eine heisere Stimme mit den Worten „Macht das Spaß?“ an meine Ohren drang, begriff ich, dass ich nicht nur auf den Jungen hinabsah, sondern dessen dunkle Augen auf mich zurück starrten. Dementsprechend war meine Antwort nur ein äußerst intelligentes „Was?“, während ich hastig einen Schritt zurücktrat. Sein Blick folgte mir misstrauisch. „Ob es Spaß macht, mich anzustarren“, wiederholte er nun ziemlich unfreundlich. „Es...es tut mir Leid Tooru, ich wollte dich nicht wecken!“, beeilte ich mich schnell, mich zu entschuldigen. „Kyo.“ „Was?“, fragte ich ein weiteres Mal. „Nenn mich Kyo. Ich hasse diesen anderen Namen.“ Ich nickte nur, denn das, was er sagte, spiegelte sich nur zu gut in diesen unglaublichen Augen wider. Es brachte mich erneut dazu mich zu fragen, warum er sich hatte umbringen wollen, wenn ich doch gleichzeitig neben dem Schmerz so viel Willensstärke, Mut und Stolz in seinem Blick sehen konnte. Ich konnte nicht umhin zu denken, dass dieser Junge, dieser Mensch, doch für mehr bestimmt sein musste, als dafür auf dem Bürgersteig zu verbluten. Tied tight can't see out your eyes that he's sure to shine, sure to shine in this deep dark, fucked up, played out reality show Vielleicht, nein bestimmt sogar, war ich wahnsinnig naiv. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie Kyos Leben aussah. In meinem eigenen lief zwar nicht immer alles glatt, aber zumindest bei mir zu Hause herrschte eine ganz normale friedliche Atmosphäre, wenn man von den ganz normalen, geschwisterlichen Streitigkeiten absah. Aber selbst die hätte ich wohl vermisst, wenn es sie nicht gegeben hätte. Ich verließ das Krankenhaus kaum zehn Minuten nachdem ich das Zimmer betreten hatte. Schließlich hatten wir eigentlich nichts miteinander zu tun – das zumindest hatte er mir unmissverständlich klargemacht. Und Unrecht hatte er nicht: Wir kannten uns nicht und waren uns vor diesem Tag nie begegnet. Und eigentlich hatte ich ja auch nur sehen wollen, wie es ihm ging. Den ganzen Tag allerdings gingen mir weiter Fragen durch den Kopf. Shinya hatte erzählt, dass Kyo ein Außenseiter war, ich glaubte ihm aufs Wort, aber warum war das wohl so? Konnte denn keiner sehen, dass hinter der abweisenden Fassade dieses Jungen mehr steckte als bloßer Trotz? Und wenn ja: wieso versuchte dann keiner ihm näher zu kommen, seine Fassade aufzubrechen und ihm ein wenig Zuneigung und Freundschaft zu schenken? So who's the man with the plan eating up all that he can? don't you see, don't you see Nach diesem Besuch hatte ich dann auch nicht mehr wirklich etwas mit Kyo zu tun. Ich versuchte nicht mehr weiter zu grübeln, da ich wohl nie Antworten auf meine Fragen erhalten würde, und verdrängte ihn allmählich aus meinen Gedanken. Oder hörte zumindest auf mir Sorgen zu machen. Shinya erzählte uns einige Wochen später, dass Kyo wieder in der Schule sei, jetzt aber noch mehr gemieden wurde als sonst. Es versetzte mir einen Stich ins Herz, aber was sollte ich tun? Es tat mir Leid um ihn, aber mich würde er definitiv nicht mehr an sich heran lassen. Dessen war ich mir spätestens dann sicher, als Shinya erzählte, dass Kyo geradezu feindselig reagiert hatte, als er sich nach dessen Befinden erkundigen wollte. Es schien als wäre sein Leben dazu bestimmt, dass er es ganz allein bewältigen müsste. Und auch wenn es egoistisch klingen mag, in diesem Moment war ich sehr froh, dass ich zumindest einige Freunde hatte, auf die ich mich verlassen konnte. One by one we stand beneath the sun with arms high open wide two by two he's getting you to watch him as he leaves this life he knew Kapitel 3: 03 ------------- -03- Ich blicke in das Spiegelbild meiner Augen, starre in deren Dunkel zurück und frage mich auch heute noch, warum Kyos Augen so anders sind. Es ist auf den Tag genau zehn Jahre her, dass Shinya, Kaoru und ich ihn in diesem Café das erste Mal gesehen haben. Zehn Jahre, seit wir beobachten mussten, wie er mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren wurde. Innerlich seufzend ziehe ich erneut an meiner Zigarette und versuche mich darauf zu konzentrieren, mein Haar zu so etwas wie einer Frisur zu stylen. „Die, was ist los? Du schaust so abwesend“, spricht mich Shinya plötzlich an, sodass ich zusammenzucke. Dann schüttle ich leicht den Kopf. Wie immer scheint er jede meiner Stimmungsschwankungen sofort wahrzunehmen, so als wäre das seine Superkraft. „Nichts Besonderes, nur das Datum...“ Der Drummer nickt verstehend. Natürlich hat auch er nicht vergessen, was für ein Tag heute ist. Shinyas Hand legt sich leicht auf meine Schulter und ich lächle. Wir sind trotz unserer kleinen Kabbeleien noch immer sehr gute Freunde, wir kennen uns schon zu lang, als das es anders sein könnte. Der zierliche Brünette setzt sich auf den Platz neben mir und beginnt ebenfalls damit sich zu schminken und eine Weile verbleiben wir so, jeder in sein Tun vertieft, ohne ein Wort zu wechseln. Doch irgendwann kann ich nicht mehr anders und spreche aus, was mir schon einige Zeit im Kopf herumgeistert: „Glaubst du an das Schicksal Shinya? Also daran, dass manche Dinge vorbestimmt sind?“ Ich sehe ihn durch den Spiegel hindurch an. „Wie meinst du das?“ „Naja, sieh mal … hätten wir uns damals nicht mit unserem ehemaligen Sänger zerstritten, hätten wir nie neue Leute gesucht und uns vielleicht nie in dem Café getroffen, um uns zu besprechen. Dann hätten wir Kyo vielleicht nie kennen gelernt … ziemlich sicher sogar.“ „So hab ich das noch nie wirklich betrachtet...“ Shinya sieht mich schmunzelnd an, ganz so als hätte er mir einen solch komplexen Gedankengang nicht zugetraut. „Aber, sieh es doch mal so“, er hält noch einmal inne, da Kyo gerade die Garderobe betritt und wir folgen ihm beide mit unseren Blicken. „Ob es nun vorbestimmt war oder nicht, ist doch eigentlich nicht so wichtig, Die. Wir haben Kyo kennen gelernt und zusammen mit ihm und später Toshiya konnten wir unseren Traum von der eigenen Band verwirklichen … ist es nicht viel mehr das, was jetzt zählt?“ Ich denke einen Moment nach, nicke dann. „Vermutlich schon...“, sage ich und erwidere sein Lächeln. Do you ever think that things are meant to be? I know we all have our reasons why and now the power of one human being has gone and changed so many lives Dann betritt Kaoru ebenfalls den Raum und teilt uns mit, dass wir uns langsam bereit machen sollten die Bühne zu betreten. Wir verlassen die Garderobe geschlossen, gehen mehr oder minder schweigsam durch die Gänge des Backstagebereiches und bleiben schließlich vor dem Bühnenaufgang stehen. „Wer soll heute?“, fragt unser aktuell violett-haariger Bandleader. „Kyo“, lautet meine Antwort, die ich ohne großes Nachdenken gebe. Doch dieser scheint auch so verstanden zu haben, warum, denn er schenkt mir einen merkwürdigen, jedoch auf seine Art gutmütigen Blick, in dem ein kleines, aber deshalb nicht weniger ehrliches Lächeln steckt. Dann stellen wir uns im Kreis auf und legen in der Mitte die Hände aufeinander. Ich höre kaum, was Kyo sagt, weil ich immer noch viel zu sehr in Gedanken versunken auf den Punkt starre, an dem wir alle uns berühren. Ja, wir sind nicht mehr allein. Keiner von uns. Wir haben gemeinsam etwas geschaffen, das unsere Gefühle ausdrückt und durch das wir andere erreichen können. One by one we start to come undone two by two he's getting through to you Mit unserem Kampfschrei, wie Toshiya es einst nannte, lösen wir den Kreis auf und begeben uns zu dem Durchgang, der den Backstagebereich von der Bühne trennt. Unter den Klängen des Konzert-Intros betreten wir einer nach dem anderen die Bühne, angefeuert von ein paar tausend Fans, die mit dem was wir tun etwas verbinden. Als ich meine Augen über die Menschenmassen vor mir schweifen lasse, realisiere ich wieder einmal was für ein Glück wir doch haben. Nicht nur, dass wir in den jeweils vier anderen Bandmitgliedern eine Ergänzung von uns selbst gefunden haben, mit deren Hilfe wir das tun können, was wir immer wollten. Wir haben es außerdem geschafft, unsere Gedanken durch die Musik so weit zu tragen, dass sie von so vielen gehört und vielleicht sogar verstanden werden. Und damit haben wir, trotz des Stresses der damit verbunden ist, mehr erreicht als die meisten anderen Menschen. Mit diesem Gedanken trete ich an den Bühnenrand und feuere mit einem breiten Grinsen im Gesicht unser Publikum an. One by one we stand, we stand over, over you Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)