Die Chronik der Alpträume - 1. Buch - Das Biest von -HarleyQuinn- ================================================================================ Kapitel 1: Die Geburt --------------------- Das Biest war erwacht und stürmte in den Ballsaal. Es hatte keinen Namen und kein Gesicht. Niemand wusste woher es kam, aber das Biest wusste sehr wohl, wohin es wollte. Es witterte Blut, frisch und heiß in den Adern der Tanzenden. Mit einem lauten Krachen sprang die große Flügeltür des Saales auf und brachte uns den Tod. Ich erinnere mich, wie die Panik unter den Gästen ausbrach, als wir in das abscheuliche Antlitz des Biestes blickten. Ihre Schreie gellen mir noch heute in den Ohren. Und dann begann das Biest zu fressen. Es versengte unsere Haut mit seinem feurigen Atem und riß uns das Fleisch von den Knochen mit seinen messerscharfen langen Zähnen. Es fraß und fraß und für uns gab es kein entkommen. Niemand überlebt. Und als das Biest mich mit einem Prankenhieb niederstreckte und mir das Rückgrat brach, wurde meine Welt erst leuchtend rot und dann schwarz wie die Nacht. Als ich erwachte war mein Kopf leer. Ich hörte Weinen und Schluchzen um mich herum. Wimmern und Jammern. Was war geschehen? Wo war ich? Wer war ich? Was war ich? Das Licht des Kronleuchters blendete meine schmerzenden Augen. Mein ganzer Körper war ein einziger Schmerz und da war noch ein Gefühl. Etwas so starkes und ultimatives, dass es mein ganzes Denken bestimmen wollte. Hunger, unersättlicher, quälender Hunger. Alles schien mit zunächst verschwommen. Doch als ich das Schlachtfeld um mich herum in seiner grauenhaften Deutlichkeit vor mir sah, kam die Erinnerung mit der Gewalt eines Stromschlages zurück. Um mich herum lagen verstümmelte Leiber, abgetrennte Gliedmaßen, Gedärm und die Wände troffen feucht und schimmernd vom Blut der Hingerichteten. Jedoch war ich nicht die einzige die Aufrecht in ihrem eigenen Lebenssaft dasaß und leise wehklagte. Auch andere hatten scheinbar überlebt, was man nicht überleben konnte. Lebten wir denn wirklich? Tief in meinem Inneren wusste ich mit Bestimmtheit, dass wir nicht mehr lebten, und eine neue bizarre Form der Existenz angenommen hatten. Weinend hielten sich einige in den Armen, geplagt von der selben Erkenntnis. Aus dem Leben gerissen worden zu sein, um ein grausames Dasein voller Qualen fristen zu müssen. Doch diese Erkenntnis verblasste, als uns alle das brodelnde, drängende und alles überschattende Gefühl des grauenhaften Hungers überfiel. Und wir fraßen. Wir fraßen das, was das Biest uns übrig gelassen hatte. Ich grub meine Zähne tief in das Fleisch einer mir fremden Frau, die noch zuckte und panisch mit den Augen rollte. Sie war schön, hatte halblanges gewelltes blondes Haar und strahlende blaue Augen. Sie sah aus wie eine Puppe aus weißem Wachs. Und voller Abscheu und Entsetzen über mich selbst und mein Tun entrang sich meiner Kehle ein gellender Klagelaut, der sich zum Gewölbe des Saals emporschwang und sich mit dem Schreien und Klagen der anderen vermischte. Als das grausige Mahl beendet war, verließen wir geschlossen den Ballsaal und verriegelten ihn so fest, das nie wieder ein Mensch einen Fuß in dieses Höllenloch setzten konnte. Wir schworen einander, das schreckliche Geheimnis unserer bizarren Geburtsstunde für immer hier einzusperren. Dann kämpfte sich ein unheimlicher Zug verstümmelter, mit Blut beschmierter Gestalten durch das arg in Mitleidenschaft gezogene Schloß hinaus ins freie. Das Biest hatte eine Spur der Zerstörung hinterlassen und war Gott weiß wohin verschwunden. Keine von uns wollte wirklich wissen, wohin es gegangen war und ob es je wiederkehren würde. Die Morgendämmerung begrüßte uns, doch keiner hatte ein Auge für die aufgehende Sonne. Wir waren eine Gemeinschaft, durch einen Unglück scheinbar für die Ewigkeit mit einander verschweißt. Denn dieser Haufen elender Gestalten war alles, was uns noch geblieben war. Wo hätten wir hingehen sollen? Zu unseren Familien, an die wir uns nur noch bruchstückhaft oder gar nicht erinnerten? Mit welchem Ziel? Sie zu fressen? Unmöglich, der Gedanken. Doch schätzte ich mich glücklich, noch zu halbwegs vernünftigen Gedankengängen fähig zu sein. Auch wenn der Hunger immer noch nicht gestillt war und das Verlangen nach mehr Fleisch immer wieder die Oberhand gewinnen wollte. Einigen anderen armen Seelen ging es da weniger gut. Sie waren in Katatonie verfallen, sagten kein Wort, gaben nur undeutliches Grunzen von sich und ihre Blicke waren milchig und starr. Diese galt es im Auge zu behalten, so dass sie nicht blindlings hinfort liefen und aller Welt verrieten, was hier vor sich ging. Wussten wir doch selber nicht, was hier eigentlich geschah. Meine Wunden schmerzen schrecklich. Dort wo das Biest seine Zähne in mein Fleisch geschlagen und große Brocken aus mir heraus gerissen hatte, war das Fleisch durch seinen Feueratem verkohlt und schwarz. Mein ganzer linker Arm, vor kurzem noch vom Rüschenärmel meines Ballkleides bedeckt, war schwarz und versengt. Die Haut blätterte ab, wie Kohle. Ich wagte kaum, ihn zu bewegen. Neben mir an eine Säule gelehnt, stand eine junge Frau mit langem schwarzen Haar, die vor all dem mal sehr hübsch gewesen sein möchte. Doch nun war sie genau so verbrannt und verstümmelt wie wir alle und das Blut ihrer Opfer klebte an ihren Lippen. Langsam ging ich auf sie zu. Ich spürte eine Vertrautheit, als würde ich diese Fremde schon mein Leben lang kennen und eine Freundin nennen. Sanft legte ich eine Hand auf Ihre Schulter. „Die Wunden heilen bereits. Bald wird es nicht mehr weh tun. Dann ist da nur noch der Hunger.“ Sie nickte zustimmend und brachte ein gequältes Lächeln zustande. Ihr Name sei Isobell, sagte Sie. „Der Hunger ist das schlimmste. Aber wenn wir zusammen halten, dann sind wir stark“, meinte sie mit einem hoffnungsvollen Blick in den Augen. Ja, wenn wir zusammen halten. Aber konnte diese Gemeinschaft dauerhaft bestehen? Wir waren keine Menschen mehr. Wir waren Monster mit den Instinkten und Bedürfnissen wilder Tiere. Wie lange konnte das gut gehen? Vorerst war man sich einig, dass wir von hier fort mußten und das unser Schicksal so hinzunehmen sei. Das wir sind was wir sind, was immer wir auch sind. Bis heute weiß ich keine treffende Bezeichnung für diese Krankheit, die uns befallen hatte. Der Klagezug der Verdammten und Ausgestoßenen verschwand in den Wäldern und wurde vom dichten Laub und Gebüsch verschluckt, vorerst verborgen vor des Menschen furchtsamen Auge. Kapitel 2: Der Racheschwur -------------------------- Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. So unangenehm und unüberwindbar eine Situation doch anfangs zu sein scheint, nimmt er sein Schicksal erstaunlich schnell an und fügt sich darin, bis das Neue zum Alltag wird. Auch uns ging es nicht anders. Mit erschreckender Rasanz hatten wir angenommen, was wir nun waren. Fressende Tötungsmaschinen ohne jegliche Eleganz, Reue und Gnade. Zu Lebzeiten habe ich mich immer für einen feinfühligen und sehr sensiblen Menschen gehalten. Nun mußte ich mir eingestehen, dass ich innerhalb weniger Tage und Wochen zu einem kaltblütigen Monstrum geworden war, das nur ein Ziel verfolgte. Den nagenden Hunger zu stillen. Wir fraßen, was uns in die Quere kam. Ob Tier oder Mensch. Alt oder Jung, es machte keinen Unterschied, so lange das Blut heiß in ihren Adern floss und genügend Fleisch für einen Bissen an ihren Knochen hing. Doch mußten wir bald feststellen, dass unsere kleine Schar stetig anwuchs. Wen wir nicht vollständig verschlangen und zerrissen, so dass nur blanke Knochen von ihm übrig blieben, der erhob sich nach seinem Tode und wurde unter Qualen und Pein neu geboren zu einem der unseren. Anfangs dachte man nicht darüber nach. Denn das Denken war uns fremd geworden. Nur der Trieb steuerte unser Tun. Doch ein kleiner Rest der jungen Frau, die ich einst war, hatte in mir überlebt. Und irgendwann stelle sich mir die Frage, wie das weiter gehen sollte. Wir wurden mehr und mehr und eines Tages wären unsere Jagdgründe erschöpft und nur noch unseres gleichen würde auf Erden wandeln. Galt es also nicht, dem in irgendeiner Form Einhalt zu gebieten? Zu selektieren, wem man dieses grausige Schicksals des hungrigen Jägers auferlegte? Und ein weiterer Gedanke drängte sich mir auf. Der Ort unserer Geburt kam mir wieder in den Sinn und der Ballsaal, den wir versiegelt hatten. Was war aus jenen geworden, die unsere erste Nahrung dargestellt hatten? Waren Sie auch erwacht? Und wenn ja, hatten sie entkommen können? Und warum befiel mich ein Gefühl des Grauens bei dieser Vorstellung? Wieso dieses Ungute Gefühl, als hätten wir sie vollends vernichten müssen? Meine Grübeleien blieben nicht unbemerkt. Isobell trat zu mir und sprach aus, was ich dachte, noch ehe ein Wort über meine Lippen kam. „Wir müssen das Siegel brechen und uns versichern, dass der Ballsaal unversehrt ist.“ Mit Grauen sah ich zu ihr auf. Diese katzenhafte wunderschöne Frau hatte sich zu unserer heimlichen Anführerin aufgeschwungen. Ich weiß nicht warum, aber wir folgten ihr, auch wenn es mich erschreckte, was aus ihr geworden war. Sie liebte es, dass zu sein, was der Tod aus ihr gemacht hatte. Kostete jeden Vorzug aus und strotzte vor Kraft und vor allem vor Verlangen zu töten und zu fressen. Ihr Haar war nicht länger schwarz. Aus Trotz und Ironie hatte sie es sich schreiend pink gefärbt und trug es zu einem Zopf hochgebunden. Ich hingegen war wohl das genaue Gegenteil. Trotzdem ich mich dem Schicksal gefügt hatte, haßte ich meine verderbte Existenz. Und immer wieder wünschte ich mir, dass man die Zeit zurückdrehen könnte um alles ungeschehen zu machen. Als Isobell nun so leichthin davon sprach, den verfluchten Wort wieder zu öffnen, sträubte sich in mir alles gegen diese Vorstellung. Ich war überzeugt, dass uns großes Unglück drohen würde, sobald sich die großen Flügeltüren öffnen würden, wie die Büchse der Pandora. „Wir sollten keinen Fuß in dieses Schloß setzen. Nie wieder.“, versuchte ich einzuwenden, doch es war bereits beschlossene Sache. Also ignorierte ich die Stimme in mir, die mich laut schreiend immer wieder warnte, mich dem Ort des Verderbens zu nähern. Was wenn das Biest dort auf uns lauerte? So widersinnig es erscheinen mag, hing ich doch an dem was von meinem Leben übrig geblieben war. Ich war noch nicht bereit dazu, für immer zu gehen. Drohend ragte das Schloß vor uns auf. Ein Schauder überfiel mich, doch ich schritt mutig neben Isobell an der Spitze unseres Trosses voran. Im Inneren des Schlosses war es stockdunkel, doch unsere Augen sahen, als wäre es helllichter Tag. Wir erklommen auf allen vieren kriechend wie Bergsteiger eine eingestürzte Treppe, die uns direkt zum Ballsaal führen sollte. Jeder Normalsterblich wäre an die Grenzen seiner Kräfte gestoßen, doch für uns war es ein leichtes. Der Tod hatte uns Stärke verliehen und Isobell strahlte mich triumphierend an, als wir das obere Ende der Treppe erreicht hatten. „Ich liebe diesen neuen Körper. Er ist so stark. Ich habe eine Kondition, die ich in meinem ganzen Leben nicht besessen habe.“ Ihre Begeisterung konnte ich jedoch nicht teilen. Besorgt folgt ich ihr zu der riesigen Flügeltür. Ich griff zärtlich nach einer ihrer rosa Haarsträhnen, als sie an der Türe lauschte, und ließ diese durch meine Finger gleiten. „Bitte laß uns gehen. Öffne diese Tür nicht. Du weißt nicht, was uns dort erwartet. Ich habe kein gutes Gefühl dabei. Irgendetwas schreckliches ist dahinter. Ich kann es spüren.“ Isobell sah mich nur lächelnd an. „Kleine Gwen, uns wird nichts geschehen. Wir sind so stark Wer will uns etwas anhaben?“ Sie warf einen Blick über ihre Schulter zu der geifernden Meute hinter uns und grinste selbstsicher. Dann drückte sie die Türe auf und gab den Blick frei auf den stockdunklen Saal, der dahinter so lange verborgen gelegen hatte. Alles war, wie wir es verlassen hatten. Die Toten lagen immer noch dort, wo wir sie zurückließen. Doch etwas stimmte nicht, wie ich es befürchtet hatte. Die Leichen waren nicht verwest. Sie lagen vollkommen unversehrt da und wirkten wie Wachspuppen. Ich trat näher und das sah ich sie. Mein erstes Opfer. Die schöne Blonde. Und sie sah mich. Mir stockte vor Schreck der Atem, als sich erst langsam Ihr Arm bewegte und dann der Rest ihres Körpers schlangengleich folgte und sie sich nackt und unwirklich erhob. Und mit Ihr die Schar derer, die mit ihr gestorben waren. Drohend bewegten sie sich auf uns zu als hätten sie nur auf uns gewartet. Und allen voran die Blonde. Auf ihren Lippen kräuselte sich ein grausames Lächeln, das eine reihe blitzender scharfer Zähne entblößte. Als sie die Stimme erhob, klang diese so eisig das ich glaubte, ich würde vor Schreck erfrieren. „Dachtet Ihr wirklich, Ihr würdet ohne Schaden mit dem davon kommen, was Ihr uns angetan habt?“ Drohend hob sie den Arm und deutete mit dem Zeigefinger auf uns. „Wir werden Euch vernichten… Alle… Einen nach dem anderen.“ Sie waren nicht wie wir. Sie waren etwas viel schlimmeres, dass ich nicht in Wort zu fassen vermag. Und sie waren in der Lage, uns den Gar aus zu machen. Diese Erkenntnis traf uns alle wie ein Faustschlag ins Gesicht und wir flohen. Stoben auseinander wie eine Herde Schafe. Niemand achtete mehr auf den anderen. Unsere Gemeinschaft war zerschlagen in ihrer Furcht und Panik, die wir das letzte mal empfunden hatten, als das Biest uns holte. Ich stürmte auf ein nahe gelegenes Fenster zu und sprang hinaus in die Freiheit. Einfach nur weg von all dem Schrecken, dass dieses Gebäude mir gebracht hatte. Und ich flog, zu meinem eigenen Erstaunen. Hatte ich doch fest damit gerechnet, hart auf den Boden aufzuschlagen. Aber nein, ich flog hinweg über die Bäume und Häuser unter mir. Weit fort vor der blonden Frau und ihren Schergen. Wie verrückt das doch war. Warum hatten wir nicht gewußt das wir das konnten? Die Frage war eigentlich recht simpel beantwortet. Keiner hatte es je zuvor versucht, weil es schlichtweg keinen Grund dafür gab. Und so rettete ich mich mit der Gewissheit, dass ich von nun an für den Rest meines Lebens vor Ihr auf der Flucht sein würde. Denn Sie und ihres gleichen würden nicht ruhen, bis sie nicht auch den letzten von uns erlegt hatten. Kapitel 3: Schwarze Witwe ------------------------- Nun befand ich mich also pausenlos auf der Flucht. Rastlos irrte ich bei Tag und bei Nacht durch meine Heimatstadt und weilte nie länger an einem Ort, als es tatsächlich Not tat. Die Wochen zogen dahin und ich übte mich in Selbstkontrolle, ertrug das Drängen des Hungers, bis zum Unerträglichen. Nur dann konnte ich sicher gehen, dass ich mein Opfer ganz verschlingen würde, ohne auch nur einen Knochen unabgenagt zu lassen. Ich wollte keine neuen mehr erschaffen, denn die Welt war aus den Fugen geraten. Unseresgleichen hatten die Welt überschwemmt, genau wie Ihresgleichen. Und die Zahl der Lebenden schwand bedrohlich dahin. Die Menschheit tat gegen uns und gegen Sie, was sie nur konnten, aber nichts glückte. Die Toten waren zu stark. Zu widerstandsfähig und sie kannten unseren Schwachpunkt nicht. Gefressen werden bis auf den letzten fetzen Fleisch. Mittlerweile hatte ich das Rauschen in meinem Kopf, dass den Hunger ankündigte recht gut unter Kontrolle. Gute genug, dass ich mich in der Lage fühle, mehr oder minder bedenkenlos mit den Menschen zu kommunizieren. Und die Sehnsucht nach meinem alten Leben trieb mich nach Hause, zum Haus meiner Eltern. Des Nachts schlich ich leise durch den Garten, gehüllt in schwarze Kleider und einen langen Mantel, um wie ein Schatten mit der Dunkelheit zu verschmelzen. Ich ging um das Haus herum und stieg über den kleinen Zaun, der den Garten von der Terrasse trennte. Die Terrassentür stand leichtsinnig offen und die weißen Gardinen wehten im Nachtwind. Kein Licht brannte um Haus. Ich schlüpfte leise durch die Tür und in dem Moment, als ich meinen Fuß über die Schwelle setzte, wusste ich, dass meine Eltern nicht mehr da waren. Das ich sie nie wieder sehen würde, weil ich zu spät gekommen war. Einen Moment stand ich in dem mir so vertrauen Wohnzimmer. Ja, langsam kehrten meine Erinnerungen an mein Leben zurück. Bruchstückhaft und voller Lücken, aber ich kannte jeden Winkel dieses Hauses, als wäre ich nie weg gewesen. Und ich war nicht allein. Ich roch, dass hier noch jemand lebte, den ich kannte. Der Geruch wurde immer stärker, kam auf mich zu. Ich hob den Kopf und sah zur Wohnzimmertür. Leichenblass und mit vor den Mund geschlagener Hand stand dort meine Großmutter. „Kind, oh Gott, Kind! Du lebst! Du bist hier! Komm herein!“ Die alte Frau eilte auf mich zu und schlang die Arme um mich. Doch ich löste mich energisch aus ihrem schwachen Griff, aus Furcht, der Geruch ihres Fleisches könnte meinen Willen brechen. Und da bemerkte sie es. Sie sah es an meinen Händen, die nicht aussahen, wie die Hände eines Lebenden. Und an meinen Augen, die trotz größer Anstrengung Mordlust und Heimtücke widerspiegelten. Doch zu meiner Überraschung wich sie nicht vor mir zurück, sondern lächelte nur verstehend. „Also bist du eine von Ihnen, ja? Nun, das macht nichts. Du wirst mich nicht verschlingen, oder? Komm, setz dich.“ Sie deutete auf die Couch. Ich schüttelte zögernd den Kopf: „Es tut mir leid. Ich kann nicht bleiben. Ich sollte nicht einmal hier sein. Und du auch nicht. Die Tür ist nicht einmal verschlossen. Du solltest besser auf dich achten, wenn…“ Doch ich kam nicht dazu, meinen Satz zu beenden, denn ich wurde von der Türklingel unterbrochen. Immer noch Lächelnd entschuldigte sich meine Großmutter und hob eine Hand. „Gleich, wir reden gleich. Warte nur hier. Ich öffne schnell die Tür.“ Mit diesen Worten eilte sie schon in den Flur hinaus. Unschlüssig stand ich wie festgenagelt mitten im Wohnzimmer und horchte angestrengt, wer wohl die Besucher sein mochten. Ich kannte ihre Stimmen. Es waren alte Freunde meiner Großeltern. Ein Ehepaar, dass ich selbst nur flüchtig kannte, aber gut genug, um zu entscheiden, dass sie harmlos waren und ihr nichts antun würden. Also verschwand ich so leise, wie ich gekommen war und flüchtete mich ins Dunkel des Gartens hinaus. Mit den Augen des Jägers streifte mein Blick durch die Nacht. Doch ich war nicht auf der Suche nach Menschenfleisch, um meinen Hunger zu stillen. Ich suchte wachsam nach Ihnen, die mich jagten und nach meinesgleichen, die sich vermehrten wie die Karnickel. Mit einem Satz sprang ich über den Gartenzaun auf das angrenzende verwilderte Grundstück. Und da sah ich schon einen von uns. Seine Augen blitzten Drohend, als er mich bemerkte und seiner Kehle entrang sich ein Knurren. Unbeeindruckt schritt ich nah an ihn heran und zischte:“ Wage es, der Alten ein Leid zuzufügen und deine Tage sind gezählt.“ Blitzschnell ergriff ich seinen Arm und verdrehte ihn bis der Knochen splitterte. Er jaulte kläglich und flehte:“ Ich tu ihr nichts, ich schwöre ich tu ihr nicht. Laß mich los, ich habe solchen Hunger. Laß mich gehen. Ich werde sie nicht fressen. Ich schwöre! Ich schwöre!“ Widerwillig ließ ich dieses Häuflein Elend ziehen. Ich befand das er es nicht wert war, sich um ihn zu kümmern. Mein Leichtsinn, zog jedoch umgehend Folgen mit sich. Ich hatte das Grundstück noch gar nicht ganz überquert, als Schritte hinter mir erklangen, die sich rasch näherten. Ich drehte mich um und sah das Ehepaar auf mich zu rennen, dass eben noch bei meiner Großmutter im Haus war. Sie hatten mich noch gar nicht ganz erreicht, als mich die erschreckende Erkenntnis traf, das sie zu den Meinen gehörten. Fassungslos starrte ich beide an und realisierte im ersten Moment nicht, was die Frau, deren Namen ich einfach nicht mehr wusste, mir zu sagen versuchte. Der Kerl, den ich laufen ließ, war ins Haus eingedrungen. Er hatte sein Versprechen nicht gehalten. Ich rannte los, dicht gefolgt von den beiden, setzte mit Leichtigkeit über den Gartenzaun und da rannte er mir auch schon in die Arme. Kein Zögern, keine Gnade, kein Erbarmen. Meine Zähne Borten sich in seinen Hals und ehe er wusste, wie ihm geschah, fielen auch der Mann und seine Frau über ihn her. Wir zerrissen ihn. Zerrten ihm die Därme aus dem Leib, badeten in seinem Blut und labten uns an seinem Fleisch, bis nichts mehr von ihm übrig war. Als ich den Kopf hob und zur Terrassentür hinüber sah, sah ich die weißen Vorhänge im Wind wehen. Schwermut erfasste mein totes Herz, und ich wendete den Blick ab, wusste ich doch genau, was sich gerade hinter dem Vorhang abspielte. Er hatte sie nicht ganz gefressen und sie erhob sich unter Qual und Schmerz in mein verfluchtes Leben. Diesen Anblick konnte und wollte ich nicht ertragen, stand auf und verließ ohne ein weiteres Wort den Garten meines Elternhauses, um nie wieder hierher zurück zu kehren. Mein Entschluß war gefaßt. Nachdem was ich in dieser Nacht gesehen hatte, stand für mich fest, dass wir nicht weiter existieren durften. Und so kannte ich nur einen Weg. Mich mit denen zu verbünden, die meiner Hilfe bedurften. In der Hoffnung vor uns sicher zu sein, hatten sich die Menschen, die glaubten, noch etwas zu sagen zu haben, diejenigen auf deren Schultern die Hoffnung der Menschheit schwer lastete, in einem Bunker aus Stahl und Beton verschanzt. Wie leichtsinnig. Wären wir hier erst einmal eingedrungen, säßen sie fest, wie in einer Mausefalle. Sie ließen mich ein, umringt von einer Horde bis an die Zähne bewaffneter Männer. Lächelnd Schritt ich zwischen Ihnen vor Ihren Anführer, der mich aus sicherer Entfernung von oben bis unten musterte. „Sie wollen uns also helfen? Wie? Es gibt keinen Weg, Sie zu töten. Keinen den wir nicht schon gegangen wären.“ Ich sah ihm fest in die Augen und erwiderte: “Ich bin eine von Ihnen. Ich weiß, wie man uns tötet.“ „Und warum sollten wir Ihnen vertrauen, meine Liebe? Wer sagt uns, dass Sie uns nicht in den Rücken fallen?“ Ich grinste ein breites Haifischgrinsen, trat nah an ihn heran, dicht gefolgt von seinen Wachhunden, beugte mich zu ihm vor und flüsterte: „Weil ich Sie, Sir, bis jetzt noch nicht gefressen habe.“ Ende? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)