Wort mit 13 Buchstaben, das Dich immer wieder einholt. von PierrotKirito ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Ich rannte. Keine Ahnung wohin. Nur weg. Weg. Wohin "weg"? Ich weiß es nicht. Als ich das nächste Mal klar denken konnte, fand ich mich über dem Erdboden wieder. Ich sass erhöht, stierte die Menschen um mich herum an, als wären sie das Leid der Welt, als wären sie an allem Schuld, als wären nur sie an allem schuld. Wo ich mich befand, wurde mir erst später klar. Es war, wie ich immer vermutet hatte. Die Menschen sahen um sich herum, zwei Meter, höchstens drei, und das wars auch schon. Sie sahen weder nach oben, noch nach unten, sahen nur geradeaus. Nicht hinten, nicht rechts, nicht links. Es sei den, sie überquerten eine Straße. Dann war das Drumherum plötzlich wieder wichtig. Vor mir war alles grün. Blätter waren erkennbar. Ich war hier schon öfter. Ein Mann kam aus einem Haus, setzte sich ins Auto und fuhr davon. Komisch. Er hatte mich nicht gesehen, obwohl ich eigentlich sichtbar sein musste. Ich war zwar klein, aber so klein nun auch wieder nicht. Außerdem trug ich einen Mantel, der normalerweise bis zum Boden reichte. Zumindest der musste vom Grund aus zu sehen sein. Und zwischen all den bunten Herbstblättern müsste ein schwarzer Fleck doch auffallen. Scheinbar tat er, bzw ich, es nicht. Ich sah einen Ast an. Früher hatten wir hier immer unsere "Vorräte" abgelegt. Hätten wir wohl damals auch schon "Koala” gestielt, wenn wir gewusst hätten, wie sehr die Tiere stinken? Aus einem anderen Haus drang plötzlich Musik. Ich lauschte. Ein Junge schien zu singen. Ich war mir sicher, dass das nicht zum Lied gehörte. Die Stimme schien so nah. So nah, als würden uns nur wenige Meter trennen. It's a lovely day hörte ich plötzlich heraus. A lovely day? Ironie ist, wenn man vor seinen Ängsten, seiner Wut und seiner Trauer in die Vergangenheit flieht, und dann hört man jemanden "it's a lovely day" singen. Die Stimme verhaspelte sich, der Song ging weiter. Also hatte ich Recht gehabt. Da sang jemand. Übte der etwa für die nächste carsting Show? Sollte er es tun, wäre es besser für die Menschheit und seine Würde, er würde es sein lassen. Tat er aber nicht. Der Song verstummte, das nächste Lied war zu vernehmen. Der Junge schaltete weiter. Etliche Titel spielte er an, etliche Lieder, die mir alle nichts sagten. Ich hatte sie nie gehört, nicht einmal irgendwo jemals aufgeschnappt. Das alles klang so schräg, schief... unwirklich Irgendwann sang er weiter. Jetzt erst bemerkte ich, dass ich ihn aus einem Zimmer mit geöffnetem Fenster hören musste. Die Musik schien mir zumindest daraus zu kommen. Ich war auf Augenhöhe. Das Fenster, das ich meinte, war im zweiten Stock. Es war nicht meine Musik, im Gegenteil, es war das, was ich immer so verhasste. Und doch war diese Musik, wenn man es denn so nennen wollte, irgendwie tröstlich. Zumindest schien sich der Musikgeschmack der breiten Masse nicht zu verändern. Ein schwacher Trost. Meine Hand schmerzte. Ich glaube, mein kleiner Finger war verstaucht- Als ich vorhin die Nachricht gehört hatte, schlug ich mehrmals aus Wut gegen die Scheibe des Autos, in dem wir uns befanden. Scheinbar hatte ich übertrieben. Eine Frau ging unter mir vorbei. Sie sah nach links und rechts, überquerte die Straße und verschwand aus meinem Blickfeld. Auch sie hatte mich nicht gesehen. Befand ich mich etwa außerhalb ihrer Wahrnehmungskraft? War das überhaupt möglich? Eigentlich glaubte ich nicht an so etwas, aber der Gedanke drängte sich einem zwangsläufig auf. Kam ja schließlich nicht alle Tage vor, dass ein augenscheinlich ausgewachsener Mann auf einem Baum sass. Noch dazu einer wie ich. Schwarzer Mantel, schwarzer, zerfetzter Rock, Netzoberteil und ein fliederfarbenes Pali. Wer hätte gedacht, dass man so einfach verschwinden kann? Meine Aufmerksamkeit lenkte sich auf einen Jungen, der irgendwem im Haus etwas zurief. Ich beobachtete den Kleinen. Er wollte hinein, aber das schien der Angesprochene nicht zu bemerken. Letztendlich öffnete sich die Wohnungstüre allerdings doch. Früher hatte ich hier mit Karyu immer gespielt. Stundenlang waren wir hier hoch geklettert. Ich sass auf dem Platz, der immer mir gehört hatte. Nie hatte irgendwer jemals etwas anderes behauptet. Irgendwann war dann noch Zero hinzugestoßen, und er hatte sich den Platz geschnappt, der noch frei war. Ohne, dass wir Zero jemals gesagt hätten, welcher der drei größten Äste hier im Baum noch nicht belegt war. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass jeder seinen Platz beibehielt und niemals dem anderen den seinen wegnahm. Selbst heute war ich genauso wie damals hinaufgeklettert. Und ich hatte noch immer Platz, obwohl schon etliche Jahre vergangen sein mussten, seit ich das letzte Mal auch nur in die Nähe des Baumes gekommen war. Schon seltsam. War ich seit damals nicht mehr gewachsen? Der Junge trat wieder aus dem Haus. Er verließ den Eingang, in dem auch ich früher gewohnt hatte. Damals lebte ich im zweiten Stock, Karyu im ersten, und Zero im Erdgeschoss. Wir waren zufällig hierher gezogen, unabhängig voneinander, und als sich unsere Eltern kennen gelernt hatten, schlossen auch wir Freundschaft. Wie alt wir wohl waren damals? Sechs? Sieben? Oder schon zehn? Der Junge kam auf mich zu. Er spielt mit einem Ast, schien in Gedanken, genau wie ich. Allerdings waren seine Gedanken sicherlich nicht mit denen, die mir gerade im Kopf rumspukten, verwandt. Er dachte sicherlich an irgendein Spiel, das er nun spielen könnte. Amüsiert beobachtete ich, wie er mir immer näher kam. Wenigstens einer, der mich entdecken würde. Auch wenn es daran liegen mochte, dass er auf den selben Baum steigen wollte, wie ich gerade sass. Als der Kleine sich an die erste Stufe machte, lächelte ich. Er war noch immer abwesend und bemerkte mich noch immer nicht. Gerade war ich am überlegen, ob es lustiger wäre, ihn anzusprechen, oder abzuwarten, wann er mich sehen und wieder wegrennen würde. Doch plötzlich geschah etwas Unerwartetes. Er stutze, sah hinter sich und kletterte wieder herunter. Dann ging er weiter, als wäre nie etwas gewesen. Selbst er, der zu mir wollte, hatte mich nicht gesehen. Konnte das sein? War es möglich, dass auch er mich nicht gesehen hatte? War ich so unauffällig oder bestätigte das wieder mein Vorurteil? Wohl eher letzteres. Alle Menschen, egal wie alt, sahen zwei, vielleicht drei Meter vor sich. Der Rest, nämlich rechts, links, oben, unten oder hinter sich, war relativ egal. Kurz darauf, als ich bemerkte, dass die Musik schon lange verschwunden war, hatte ich das Bedürfnis, nach Hause zu gehen und anzufangen, mich mit meinem Problem zu beschäftigen. Meine Musikgruppe war aus der Mode gekommen, wir hatten keine Platten mehr verkauft, unser Vertrag war gekündigt worden und heute hatte einer von uns vieren verkündet, dass er aussteigen wollte, und seine eigene Karriere beginnen würde. Wir anderen waren zurück geblieben, mit all den Schulden, die wir gemacht hatten, um wieder ganz nach oben zu kommen. Mit einem Lächeln sah ich auf dem Weg nach Hause ein, dass es sinnlos war. Unsere Zeit war vorbei. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)