Sinnlose Versprechen von Pansy ================================================================================ Kapitel 9: - 9 - ---------------- - 9 – „Muss ich das wirklich noch einmal wiederholen?“, meinte Holly ein wenig entnervt. Sie zwickte Jason in den Arm und funkelte ihn an. Abwehrend hob er die Hände und lächelte geschlagen. „Nein, ich hab’s kapiert.“ Noch immer war seine Haltung von Niedergeschlagenheit geprägt, doch von Minute zu Minute ging es ihm den Umständen entsprechend wieder besser. Vorerst machte er wenigstens den Anschein dazu. Seufzend sank sie zurück. „Na endlich.“ Lachen schallte durch den Raum. Es war Eddy, der sich alsbald den Bauch hielt. „Da will er Bürgermeister werden und möchte schon bei der kleinsten Kleinigkeit aufgeben“, kicherte er. Sein Blick jedoch war von purem Ernst durchtränkt. „Kleinste Kleinigkeit“, echote Jason verächtlich. „Jason!“ Eddy wurde um einige Nuancen lauter. Bisher hatte er sich zwar aus dem Gespräch zwischen den anderen beiden mehr oder minder herausgehalten, doch nun konnte er nicht mehr an sich halten. „Du wusstest, worauf du dich eingelassen hast. Die Politik kann zum schmutzigen Geschäft werden und das heute war keine Seltenheit. Anstatt jetzt klein bei zu geben und den Drahtziehern – und ich bleibe dabei, dass Lance’ Schuld noch lange nicht bewiesen ist! – damit die Oberhand zu gewähren, solltest du aufrecht durch die Welt gehen und damit deine Stärke demonstrieren! Rechtschaffene Ziele trägst du in deinem Herzen und diese solltest du bis an dein Ende verfolgen.“ Noch immer trug der Drucker ein Lächeln in seinem Gesicht. „Tret’ diesen machthungrigen Tunichtguten mal kräftig in den Hintern, damit sie nicht alles glauben, nur weil es ihnen im ersten Moment die nervenzehrende Ungewissheit nimmt!“ Schon bald seit einer Stunde redeten Holly und ab und zu auch Eddy auf den Blondschopf ein. Sie wussten es zwar nicht besser als Jason, doch bezweifelten sie – beziehungsweise hofften sie -, dass Lance seine Hand in Unschuld wusch. Egal, was er sich am Vortag oder sonst wann geleistet haben mochte, man konnte ihn nicht einfach einer solchen Derbheit bezichtigen. Und schon gar nicht, wenn es sich um Verrat und Rufmord an seinem eigenen Freund handelte! Bedrückende Stille legte sich über die drei und Jason sah von seinen Händen, die auf seinen Beinen ruhten, immer mal wieder auf gen Holly oder Eddy. „Ich hab’s ja verstanden“, entgegnete er nach einer ganzen Weile kleinlaut. „Wunder geschehen ja doch!“, zwinkerte Eddy und reichte Jason abermals ein Gläschen voll Schnaps. Selbst reckte er auch ein Glas in die Höhe und prostete dem Blonden zu. „Nieder mit den Anschuldigungen!“ Er legte das durchsichtige Gefäß an seinem Mund an und schluckte anschließend kräftig. Jason tat es ihm gleich. Der Alkohol besänftigte zunehmend sein Gemüt und am liebsten hätte er sich gleich die Flasche gekrallt. Hätte Holly nicht neben ihm gesessen, würde er schon längst singend am Boden liegen und die Welt mit den handfestesten Schimpfwörtern bedenken. Doch er gab seinen Freunden tief in seinem Innern Recht. Er hatte diesen ganzen Wahnwitz mit einem ehrlichen Ziel begonnen und musste nun zusehen, dieses auf Gedeihen und Verderb zu verteidigen. Sich und sein Leben wieder ins rechte Licht rücken und Lance die Möglichkeit gewähren, seinen Standpunkt darzulegen. Auch wenn es ihm schwer fiel. „Auf euch!“ Er reckte das Glas noch mal gen Zimmerdecke, ehe er es lautstark auf dem Tisch abstellte. Nachdem sie sich noch eine kleine Ewigkeit darüber unterhalten hatten, wie es nun weiter gehen solle, torkelte Jason in Begleitung von Eddy nach Hause. Die Finsternis gab ihnen Schutz und ließ sie vor den wenigen Leuten, die sich jetzt noch auf den Straßen verirrten, unerkannt bleiben. Eine dicke Wolkendecke schob sich am Himmel entlang und die Straßenlaternen säumten lichtlos den Straßenrand. Den Weg kaum sehend setzte Jason unsicher einen Fuß vor den anderen und stützte sich mit seinem vollen Gewicht auf den Drucker, der zwar ebenso ein paar Schnäpse intus hatte, doch lange nicht so angeheitert wie sein Freund war. „Vorsicht: Stufe!“, raunte er dem Blonden leise zu, der ungeachtet dessen einen großen Schritt machte und unsanft auf seinem Hintern gelandet wäre, hätte der andere ihn nicht gehalten. „Für was warne ich dich eigentlich!“, schnaufte der Größere und packte Jason noch fester. Dirigierte ihn über die Kreuzung und um die nächste Straßenecke. „Holly is toll“, meinte Jason und grinste Eddy etwas dümmlich an. „Sie gefälld dir, was?“ „Du bist betrunken!“, war alles, was der andere entgegensetzte. Doch so benebelt war der Blondschopf auch wieder nicht, dass er die plötzliche Anspannung des festen Körpers, der ihn hielt, nicht bemerkte. „Vielleicht…“ Hicksend wandte Jason sein Gesicht Eddy zu. „… sollde ich von nun an auch… Frauen beglüggen…!“ „Ich hätte dir vielleicht doch nicht so viel von dem Zeug geben sollen“, seufzte Eddy und schleifte ihn weiter neben sich her. „Ha!“, stieß der Blonde aus. „Ich glaub’… ich such mir heud noch eine.“ Schwach haute er sich auf die Brust. „Ne Frau wird mich scho nicht so ächden.“ Die Augen verdrehend schüttelte Eddy mit dem Kopf. Worauf hatte er sich da nur eingelassen! Er hätte Holly ihn doch nach Hause fahren sollen, wäre vielleicht doch die bessere Variante gewesen, als sich nun mit einem betrunkenen, zum Bürgermeister kandidierenden jungen Mann abzuquälen. Doch im nächsten Moment grinste er amüsiert. „Eine Frau hat so ihre Vorzüge.“ „Sie is nich so ruppig“, verzog Jason das Gesicht. „Hey, das klingt ja fast so, als ob du langsam auf den Geschmack der Frauen kommst.“ Eddy mühte sich ab, Jason zurück auf die Beine zu ziehen, denn dieser war plötzlich eingeknickt. „Warum muss… ich ihn so liebn?“ Die Frage klang verzweifelt. „Wir sind gleich da“, entgegnete Eddy nur. „Bei ihm…“ Verdrossen fuhr sich Jason durchs Haar und versuchte von den drei Straßen, die er sah, die richtige zu wählen. „… fühl ich mich… Meinsd du, er is da?“ Eddy zuckte mit den Schultern. „Wer weiß.“ Da Jason nichts mehr sagte, schwieg auch Eddy auf den letzten Metern. Eigentlich hatte er dem Jüngeren nur aus einem Grund ständig Alkohol zukommen lassen: Er hatte keinen anderen Weg gewusst, um ihn all das für eine kleine Weile vergessen zu lassen, was ihm widerfahren war. Bevor durch Jasons Adern nämlich genug Hochprozentiges geflossen war, hatte er Holly immer wieder auf das Thema Father Dest angesprochen. Aber sie hatte die Fragen immer von neuem abgewehrt. Und er als Drucker wusste nur allzu gut, weshalb. „Leg dich ins Bett und schlaf dich ordentlich aus“, meinte Eddy, als sie vor Jasons Haustür standen. Ein Rat, den der Blondschopf auf alle Fälle beherzigen sollte. Sobald der Tag anbrach, würde er keine ruhige Minute mehr haben. Dass er überhaupt so glimpflich davon gekommen ist, grenzte schon an ein Wunder. Eddy hatte ja fest damit gerechnet, dass die Bürger auf ihn einstürmen und ihn zu Brei verarbeiten würden. Er war heilfroh, dass sich seine Befürchtungen nicht bestätigt hatten, doch Jasons Unheil hatte eben erst begonnen… Mit einer Hand öffnete der Drucker die Tür und schob den Blondschopf in die Wohnung hinein. Weder brannte Licht noch ließ anderes darauf schließen, dass Lance zuhause war. Er nahm seine Hände von seinem Freund und fragte ihn, ob er allein zurecht käme. „Aba sicher doch“, nickte er überzeugt. Doch schon begann er zu schwanken und prallte mit seiner rechten Schulter an die Wand. „Verdammd!“, fluchte er und stützte sich mit beiden Händen am daneben stehenden Schuhschrank ab. „Gehd schon“, meinte er an Eddy gewandt, der ihm doch noch bis zum Schlafzimmer behilflich sein wollte. „Wie du meinst.“ Eddy war nicht erpicht darauf, ihn zu entkleiden und ins Bett zu bringen. Darum verabschiedete er sich mit einem Schulterklopfen und ging. Als sich Jason allein wusste, ließ er sich zu Boden sinken. Mit leichter Unkoordiniertheit und nur grober Motorik tastete er die Schuhe ab, die er in den einzelnen Schubladen fand. Und auch wenn alles um ihn herum sich zu drehen schien, erkannte er, dass Lance nicht da war. Mit einem bitteren Gesichtsausdruck mühte er sich zurück auf die Beine und wankte gen Schlafzimmer. Er stieß die Tür auf und öffnete den Mund: „Willkomm daheim, Süßa!“ Wie oft er sich bereits gewünscht hatte, Lance auf dem Marktplatz nicht erspäht zu haben, war einerlei, denn ihm wäre es ohnehin lieber gewesen, niemals dort hoch oben über den anderen gestanden zu haben. Die Politik brachte nur Ärger und egal, was Holly und Eddy ihm einzureden versucht hatten, würde er nicht noch einmal solch eine Aktion starten. Doch bekanntlich lief im Leben alles anders als man es plante. Als seine Beine das große Bett streiften, sackte er sofort darauf nieder, den Gedanken beiseite schiebend, dass er noch mit voller Montur bekleidet war. Denn der Geruch, der ihm in die Nase stieg, raubte ihm sowieso das letzte bisschen Verstand. So demütigend Lance’ Aroma um ihn herum auch war, so sehr sog er ihn tief in sich ein. Trotz der Dunkelheit drehte sich alles. Und alles um eine einzige Person. Ein Kissen fest umschlingend entrückte er der Welt, die anscheinend von schierer Unbarmherzigkeit geprägt war. Zögerlich zuckten Stunden später seine Lider. Grelles Licht fiel durch die zwei Fenster in das Schlafzimmer und brannte in seinem Kopf wie Feuer, als er die Augen gänzlich aufschlug. Er fühlte sich völlig gerädert und voller Schmerzen. Sein Haupt glich einer monströsen Erscheinung, die nur eines zum Ziel hatte: Höllenqualen! Stöhnend drehte er sich auf den Rücken und legte sich einen Arm quer über das Gesicht. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, weshalb er sich derart miserabel fühlte und im nächsten Moment verfluchte er Eddy und jedweden Alkohol der Welt. Aber eine andere Person verdammte er noch viel mehr… Lance. Noch immer war er der festen Überzeugung, dass sein Freund ihm diesen Mistkerl mit den aschfahlen Haaren und der Narbe auf der Wange auf den Hals gehetzt hat. Als er an den Schwarzhaarigen dachte, wurde ihm ganz anders. Die Schmerzen waren schon schlimm genug, doch auch nur ein Bild von Lance vor seinem geistigen Auge zu sehen, noch viel schlimmer. Wie gern hätte er gelacht, um diesem Spuk ein Ende zu setzen, doch selbst die schrillsten Laute hätten es nicht vermocht, auch nur ein Detail von dem Geschehen rückgängig zu machen. Als er sich vorstellte, wie abertausende Menschen sich simultan vor irrem Lachen schüttelten, hätte er wirklich beinahe angefangen seine Mundwinkel nach oben zu verziehen. Doch die Kopfschmerzen waren derart unerträglich, dass er selbst das leiseste Lächeln bleiben ließ. Stattdessen zog er die Bettdecke über sich, um endlich völlig dem gleißenden Licht zu entgehen. „Vor mir brauchst du dich nicht verstecken“, drang es gedämpft an seine Ohren. Insgeheim verdrehte er die Augen. Lance wollte er jetzt und hier gewiss nicht sehen. Auf seine Anwesenheit konnte er gut und gerne verzichten! ‚Scher dich zum Teufel!’, wollte er ihm entgegensetzen, doch mehr als ein Krächzen verließ seine Kehle nicht. Da ihm seine Stimme den Dienst versagte, empfand er auch nicht das Bedürfnis, unter der Decke hervor gekrochen zu kommen. Zwar kam er sich infantil vor, aber was kümmerte es nach einem solchen Tag wie der gestrige noch!? Das Bett senkte sich zu seiner Linken herab und eine leichte Kühle kroch zu ihm durch, als die Decke kurz angehoben wurde. Da es ihm zuwider war, neben Lance zu liegen, drehte er sich zur Seite und schob sich ganz an den Rand des Mobiliars. Wenn er sich nicht so ausgelaugt gefühlt und nicht solche Kopfschmerzen gehabt hätte, wäre er sofort aufgestanden und hätte den Raum verlassen. „Es musste so geschehen.“ Lance’ lapidar dahergesagter Satz klang dumpf in Jasons Verstand nach. Am liebsten hätte er seinen Freund gepackt und durchgeschüttelt, dass dieser nie wieder so etwas Überhebliches und gleichzeitig total Unsensibles von sich geben würde. Aber schon die kleinste Bewegung intensivierte den Schmerz in seinem Haupt und außerdem hatte er keine Lust, sich die Hände schmutzig zu machen. So sehr er diesen Menschen auch liebte, solch eine Schmach, die er ihm bereitet hatte, würde er ihm niemals vergeben können. Noch nicht einmal, wenn Lance seine Untat einsehen und sich hundert Mal bei ihm entschuldigen würde. „Halt’ den Mund und geh!“, erwiderte er schwach. Wie es ihm das Herz zerriss! Die Person, die man liebte, so nah und doch so unerreichbar neben sich liegen zu haben. Die Sehnsucht, ihn küssen zu wollen ob der Gewissheit, dass er die Schuld an seiner Misere trug. Eine Nadel nach der anderen bohrte sich in sein pulsierendes Organ und drohte ihn alsbald verbluten zu lassen. „Muss ich mich denn immer wiederholen?“, kam es entnervt zurück. „Das ist meine Wohnung!“ Ein weiterer Schlag mitten ins Gesicht. Warum hatten Holly und Eddy diesen jungen Mann neben ihm verteidigt? Hatte er überhaupt ein wenig Rückhalt anderer verdient? – Es war so niederschmetternd, sich solche Fragen stellen zu müssen. Und doch schwirrten diese und vieler solcher mehr in seinem Verstand herum. „Du…!“, setzte sich Jason nun doch auf, das Stechen zwischen seinen Schläfen dabei vollkommen ignorierend. „Ja?“, sah ihn der Schwarzhaarige interessiert an. Lance wirkte übernächtigt und seine blauen Iriden glommen nur halb so höhnisch wie sonst. Vielleicht steckten in diesen Augen noch weitere, ernst gemeintere Emotionen, aber um die scherte sich Jason nicht. Bei dem Anblick, der sich dem Blondschopf bot, war er der Sprache plötzlich nicht mehr mächtig. Schon allein die blassen Wangen, die er gerne berührt hätte, das zerzauste Haar, durch das er gerne gestreichelt hätte, benebelten ihn. Seine Augen zusammenkneifend wandte er sich von seinem Freund ab. „Mistkerl!“, fauchte er lediglich und erhob sich. Kleine funkelnde Sterne erschienen vor ihm und er ertastete sich mehr oder minder blindlings den Weg. „Wenigstens nennst mich nicht mehr Lance“, ächzte der Ältere. „Was habe ich dir getan“, begann Jason gepresst und machte auf der Türschwelle kehrt, „dass du mir mein ganzes Leben versaust?“ Völlig entmutigt suchte er den Blick des anderen auf. Er musste seinem Freund einfach noch einmal in die Augen sehen, bevor er ging. Doch es kam keine Antwort. Nur ein undefinierbares Glimmen in den blauen Iriden. Jason packte ein Zorn, der seinen Schädel zum Glühen brachte. Unter dem verstärkten Schmerz zuckte er zusammen und hielt sich am Türrahmen fest. Selbst fügte er auch keine Silbe mehr hinzu. Er erachtete jedes weitere Wort als völlig überflüssig. Lance fungierte ohnehin als Wand, an der alles abzuprallen schien. Mit einem unangenehmen Ziehen in der Brust wandte er seinem Freund den Rücken zu und schlurfte in die Küche. Dort griff er wie vor kurzem bereits einmal nach Aspirin und verleibte sich gleich zwei Tabletten ein. Als er das Glas, in das er Leitungswasser gefüllt hatte, abstellte, legten sich unerwartet zwei Arme um seine Taille und zogen ihn abrupt an einen warmen, festen Körper. Er war so überrascht, dass er keinen Widerstand leistete. Heißer Atem in seinem Nacken ließ ihn zudem erschauern. „Leider hatte dich meine Warnung nicht abgeschreckt“, wurde leise auf seine Haut geflüstert. Er schluckte. In seinem Hals verbreitete sich so rasch eine Trockenheit, die ihm seine Stimme verwehrte. Räuspernd wand er sich ein paar Mal in der festen Umarmung, doch Lance ließ sich nicht abschütteln. Die Arme um ihn waren bestimmt. „Deshalb…“, krächzte er und schalt sich für seine Unfähigkeit, energischer zu klingen. „… dieses makabere Mittel, mich von der Politik abzubringen?“ Schon zum zweiten Male an diesem Tag erhielt er keine Antwort. Dafür legten sich warme Lippen auf seine Haut und verteilten sanfte Küsse. Jedwede Berührung war so zart, dass sie ihm kaum real erschien. Es war einfach nur absurd, dass Lance ihn gerade jetzt festhielt und ihm Liebkosungen zukommen ließ. Sein Körper spannte sich merklich an und er legte seine Hände auf Lance’ Arme. „Hör damit auf!“, forderte er, doch seine Stimme entbehrte immer noch jeglicher Festigkeit. Und der Schwarzhaarige erhörte ihn nicht. Jason fühlte die Sehnsucht in sich, die sich mit jeder Sekunde zu intensivieren versuchte, und er verabscheute sich dafür. Wie konnte er diesen Menschen hinter sich noch immer derart begehren, dass er freiwillig verharrte und sich nicht bereits auf ruppige Art und Weise aus dem Griff befreit hatte? Sein von den zig Nadelstichen malträtiertes Herz schlug immer schneller und er konnte nichts dagegen machen. In diesen starken Armen war er schlichtweg hilflos. Knurrend ließ er die weichen Lippen über sich ergehen, die bisweilen sein Ohr erreicht hatten. „Wie gern würde ich dich in der Zeit zurück versetzen“, raunte Lance hinein. Irritiert hielt Jason den Atem und hob seine Brauen an. Er glaubte felsenfest sich verhört zu haben. „Damit du mir noch mal den Pflock ins Herz rammen kannst?“, entwich ihm dann laut. Zu laut, denn er selbst schrak bei der Heftigkeit seiner Worte zusammen. Die Arme um seine Hüften verschwanden und der Blondschopf drehte sich zu seinem Freund um, funkelte ihn boshaft an, wenngleich er dies gar nicht richtig realisierte. Er zitterte am ganzen Leib und hob einen Arm, legte die entsprechende Hand auf eine von Lance’ Schultern und drückte grob zu. Alsbald brachte er ihre Gesichter ganz nah aneinander. „Damit du noch einmal dabei zusehen kannst, wie ich vor der ganzen Stadt verleumdet werde?“ Das war keine Frage, lediglich eine Feststellung. Anschließend versetzte er dem Schwarzhaarigen einen Stoß und lief an ihm vorbei gen Tür. Dass Lance nichts erwiderte und sich überhaupt nicht verteidigte, deutete er als unausgesprochene Zustimmung. Mit rasendem Herzschlag und immer noch hämmerndem Haupt flüchtete er sich ins Bad, knallte hinter sich die Türe zu und kam vor dem Waschbecken zum Stehen, an dem er den Hahn aufdrehte und seinen Kopf unter den eisigen Strahl hielt. Als er das Bad nach einer kleinen Ewigkeit wieder verließ, lief er Lance direkt in die Arme. Er wollte ihm nicht unter die Augen treten, doch der Schwarzhaarige schien auf ihn gewartet zu haben. „Lass mich durch!“, herrschte er ihn an, denn er wollte ins Schlafzimmer, um sich frische Kleidung zu holen. Mehr als ein Handtuch um die Hüften trug er in diesem Moment nicht und dieser anzügliche Blick, der ihm zugeworfen wurde, brachte ihn höchstens aus seiner eben wieder erreichten Fassung. Und darauf wollte er es gewiss nicht ankommen lassen. „Kannst du nicht einen Schritt zur Seite gehen oder labst du dich auch noch an meiner Niedertracht?“ „Vielmehr an deinem Körper“, kam es lüstern zurück. Doch Jason fand in der Mimik des anderen keinen Spott und auch keine Kälte. Das irritierte ihn, da er diese Emotionen schon geradezu erwartet hatte. „Jetzt geh endlich weg, damit ich dort hinein kann“, meinte er leise. Er deutete auf die Tür, vor der sich Lance aufgebaut hatte. „Nach einem Kuss“, zuckte der Ältere mit den Schultern. Auf Jasons Lippen legte sich ein Lächeln, eines, das gewiss nicht der Freude entsprungen war. „Soll das der Todeskuss werden?“, fragte er sarkastisch. Obwohl er keinerlei Reaktion darauf erwartet hatte, störte es ihn, dass der Schwarzhaarige schon wieder nichts sagte. Diese übertriebene Teilnahmslosigkeit oder was es auch immer sein mochte empfand er einfach nur als lästig. Vielleicht wollte er selbst des Öfteren mit dem Kopf durch die Wand, aber das war allemal besser als diese gespielte Arroganz. „Du wirst es nicht verstehen“, seufzte Lance und machte ihm nicht nur Platz, sondern ging wieder zurück in die Küche. Jason sah ihm nach und runzelte die Stirn. Es stimmte, er verstand es nicht - und seinen Freund schon gar nicht. Seine Handlungen passten einfach nicht zusammen. Einerseits torpedierte er all seine politischen Bemühungen, andererseits war er wohl ebenso heißhungrig auf Intimitäten. „Das ist alles so absurd“, klagte er leise und ging ins Schlafzimmer. Er wusste wirklich nicht, was er von Lance’ Verhalten halten sollte. Und doch rief eine innere Stimme, dass der Schwarzhaarige nur mit ihm spielte. Ihn einlullen wollte, um mühelos zum nächsten Schlag ansetzen zu können. Zu seiner Erleichterung hörte er, als er sich gerade ein schwarzes T-Shirt überstreifte, wie Lance die Haustür hinter sich schloss. Obgleich sein Herz für einen traurigen Moment aussetzte, war er dennoch froh, dass sein Freund wieder gegangen war. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass Holly jeden Moment wie am Vorabend vereinbart auftauchte, und er wollte einen Zusammenstoß der beiden tunlichst vermeiden. Außerdem konnte er seine Anwesenheit gerade nicht recht ertragen. Wie aufs Stichwort klingelte es wenige Minuten später. „Hi“, grüßte er die Brünette und hielt ihr die Tür auf. Nachdem sie ihn von oben bis unten gemustert hatte, erwiderte sie: „Hast du deine Meinung bezüglich Lance wohl doch endlich geändert.“ Fragend sah er sie an. „Der war zwar vorhin hier, aber das heißt noch lange nicht, dass ich ihm vergeben habe“, entgegnete er etwas feindselig. „Mhh…“ Sie ging an ihm vorüber und entledigte sich ihres leichten Mantels, den sie an einen freien Haken hing. „Deine Augen erzählen eine andere Geschichte.“ Mit stark aufeinander gepressten Lippen lief er der Brünetten hinterher und starrte sie noch immer verunsichert an, als sie sich schon lange im Wohnzimmer auf dem Sofa niedergelassen hatte. „Er ist schuld an meinem Übel“, rann es leise aus seinem Mund und er senkte die Augen nicht, als sie zu ihm blickte. „Doch du bist sicherlich nicht hier“, fuhr er fort, „um mich damit zu demütigen, sondern um unsere Abmachung einzuhalten, oder?“ „Ich halte meine Versprechen, aber ein Blick in die Zeitung würde eigentlich genügen, um mehr über Father Dest zu erfahren. Eine Sonderausgabe ließ sich die Redaktion nicht entgehen.“ Als sie bemerkte, wie er auf ihre Worte reagierte, wie sich sein Körper anspannte und sich seine Hände zu Fäusten ballten, fügte sie an: „Aber die Geschichte wird ziemlich einseitig dargestellt, was…“ Sie unterbrach sich abrupt. „Was?“, hakte Jason nach. „Was sich negativ auf deinen Ruf auswirkt“, beendete sie ihren Satz. „Welchen Ruf?“, ächzte er verdrießlich und schlug mit einer Faust auf das neben ihm stehende Regal. Kurzerhand öffnete sie ihre Handtasche, die sie bisher noch nicht abgelegt hatte, und hielt ihm alsbald ein graues Bündel entgegen. „Möchtest du?“ Das Rehbraun auf die Zeitung geheftet setzte er einen Fuß vor den anderen und nahm sie ihr entschlossen ab. Samt ihr ließ er sich neben Holly auf das Sofa fallen. „Sehr verwerflich?“, fragte er seufzend an sie gewandt. „Lies es selbst.“ Einen letzten sanften Blick schenkte sie ihm, ehe sie sich zurücklehnte und aus dem Fenster sah. Nur leicht zögerlich faltete er die Zeitung auf und brauchte nicht in ihr herumzublättern, denn die Titelseite hielt alles parat, was er wissen wollte. Sowohl ein Bild von seinem Vater als auch von ihm selbst waren von vielen schwarzen Lettern umrahmt. Worten, von denen er jetzt schon wusste, dass sie ungerechtfertigt waren. ‚Zwei Männer – Eine Familie Kehrt Father Dest nach gut zwei Jahren zurück? Jason Sartaren, ein Heuchler? Asht-Zero: 17.Mai Jason Sartaren – ein bisweilen wohlbekannter Name – rief eigens eine Versammlung ins Leben, die ihm als Propaganda zur Wahl des Bürgermeisters dienen sollte, die ihm aber letztendlich zum Verhängnis wurde. Es trat das ein, womit er wohl am wenigsten gerechnet hat. Er musste nicht nur auf seine angekündigte Rede verzichten, sondern wurde vor aller Öffentlichkeit als Sohn des berühmt-berüchtigten Father Dest entlarvt. Neben hunderten von Menschen, die sich auf dem Marktplatz versammelt hatten, blieben ebenso viele erschüttert vor ihrem Fernseher zurück. Nachdem die Situation nach dem Bekanntwerden seiner Herkunft zu eskalieren drohte, zog sich der junge Herr Sartaren eiligst zurück und hinterließ eine bebende Menge, die später durch die Polizei zerschlagen wurde. Bis dahin hatte Tyrone von Zundersby, der Mann, der den Mut besessen und die wahre Identität von Father Dest ans Licht gebracht hat, versucht, die Menschen auf dem großen Marktplatz zu beruhigen. Die Fernseh-Live-Übertragung wurde auf Befehl des Stadtratsvorsitzenden sofort eingestellt, als das Verschwinden von Jason Sartaren bekannt wurde. Mit wütenden Gesichtern packte das Fernsehteam seine sieben Sachen und einer der Kameraleute wurde etwa eine halbe Stunde später dabei erwischt, wie er weiterhin die Bilder einer aufgebrachten Bevölkerung an die Menschen zuhause vor den Bildschirmen schickte, und darf in den nächsten Tagen mit einer Geldbuße rechnen. Der junge auf das Amt des Bürgermeisters kandidierende Herr Sartaren wurde bis Redaktionsschluss nicht wieder gesehen und es spricht sich herum, er habe die Stadt verlassen, um aus der Ferne das Werk seines Vaters fortzusetzen. Asht-Zero wurde nur aus einem Grund in den letzten zwei Jahren nicht von Father Dest behelligt: Father Dests Mahnung wurde zusammen mit Kelvin Sartaren auf dem hiesigen Friedhof begraben! Asht-Zero muss sich von nun an eine Frage stellen: Entstammt der vermeintlich gute Wille seines Sohnes wirklich ehrenhaften Zielen, wie dieser von Beginn an beteuerte? Father Dest – Ein Pseudonym des Schreckens Vor gut fünf Jahren...’ Mit blassem Teint sah Jason von der Zeitung auf. Noch immer hatte er keine Antworten auf all die Fragen, die seine noch vorhandenen Kopfschmerzen gewiss nicht linderten, aber bei einem war er sich bereits jetzt schon sicher: Sobald er einen Fuß vor die Tür setzte, war er geliefert! „Wurdest du auf dem Weg hierher verfolgt?“, fragte er Holly, die sich ihm trotz der Dringlichkeit in seiner Stimme nicht zuwandte. „Das nicht. Aber die ersten Reporter stehen bereits unten auf der Straße. Nicht alle glauben, dass du Asht-Zero verlassen hast“, meinte sie leise. Er schluckte krampfhaft und richtete seine Augen wieder auf die Titelseite, die ihn über Father Dest selbst und über Father-Dests-Mahnung in Kenntnis setzen sollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)